Jung und verliebt im Landschulscheim - Marie Louise Fischer - E-Book

Jung und verliebt im Landschulscheim E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Im Landschulheim Burg Rabenstein herrscht große Aufregung. Es gibt ein Geheimnis, die von allen geschätzte junge Erzieherin scheint in einen der älteren Schüler verliebt zu sein. Leona und Ute platzen fast vor Neugierde und Spannung. Eine heikle Situation. Intrigenspiel oder Verständnis und Hilfsbereitschaft — wofür entscheiden sich die Mädchen? Doch man soll sich nicht nur für die anderen interessieren. Das Gefühlsleben der beiden Freundinnen selbst gerät in dieser Zeit in Unordnung und es droht sogar die Gefahr, dass ihre Freundschaft darunter leidet. Es sind eben aufregende Zeiten, die man auf dem Weg zum Erwachsenwerden durchmacht.-

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Marie Louise Fischer

Jung und verliebt im Landschulscheim

SAGA Egmont

Jung und verliebt im Landschulscheim

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de) represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1980 by F. Schneider, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719732

1. e-bogsudgave, 2017

Format: EPUB 3.0

Denne bog er beskyttet af lov om ophavsret. Kopiering til andet end personlig brug må kun ske efter aftale med Lindhardt og Ringhof samt forfatter.

lindhardtogringhof.dk

Lindhardt og Ringhof Forlag A/S, et selskab i Egmont

Fröhliche Ankunft

Die Weihnachtsferien waren vorüber.

Auf dem weiten, mit Kopfsteinpflaster gepflasterten Hof von Burg Rabenstein herrschte der übliche Wirbel bei der Rückkehr und Ankunft der Schüler und Schülerinnen im Landschulheim. Nicht nur, daß der Omnibus aus München junge Leute ausspie, viele wurden auch von ihren Eltern, einem Vormund, einer Tante, einem Onkel oder einem Elternteil im Personenauto hereingefahren. Einige der älteren Schüler kamen sogar im eigenen Auto.

Fast alle kannten sich, schrien sich Begrüßungsworte zu, oft weit über den Hof, suchten Hilfe, um ihre schweren Koffer zu schleppen, lachten, fluchten und waren außerordentlich vergnügt.

Natürlich war es schön gewesen, Ferien zu haben, Weihnachten zu feiern, zu Hause sein zu können, aber jetzt genossen die meisten die Heimkehr – denn auch dies war eine Heimkehr – nach Rabenstein.

Die alte Burg mit ihren verspielten Türmen und gotischen Spitzbogen war ihnen eine zweite Heimat geworden, und die Freude, die Freundinnen und Freunde wiederzusehen, war riesengroß. Die Eltern oder andere ältere Anverwandte sahen sich so schnell vergessen, daß es sie fast schockierte. Sie trösteten sich damit, daß diese Begeisterung, wieder im Landschulheim zu sein, immerhin besser war, als Tränen, Seufzen und Geschrei beim Abschied,

Nur der jungen Frau Heuer stiegen die Tränen in die Augen, als sie ihre Tochter Leona nach ein paar flüchtigen Küßchen ganz vergnügt und selbstvergessen mit ihrer hübschen Freundin Ute und ihrem Freund Kurt Büsing lachend und plaudernd abziehen sah.

Ihr Mann, Peter Heuer, nur wenig älter als sie, legte ihr den Arm um die Schultern. „Nimm’s nicht tragisch, Irene“, versuchte er sie zu trösten, „denk immer daran: wir haben es ja selber gewollt.“

Irene Heuer schluckte. „Aber daß es ihr so leichtfällt!“

„Es war ja nicht von Anfang an so. Inzwischen hat sie sich eingewöhnt. Seien wir froh darüber.“

Frau Heuer zog ihr Taschentuch. „In ein paar Jahren wird sie erwachsen sein.“

„Das ist der Lauf der Welt, Irene.“ Er zog sie zärtlich an sich. „Wir könnten uns ja noch was Kleines anschaffen. Aber dann müßtest du natürlich deinen Beruf aufgeben.“

„Ich weiß nicht, Peter.“

„Das ist auch keine Sache, die wir hier und jetzt entscheiden müssen. Steh nicht länger herum wie eine trauernde Niobe, sondern laß uns zurück nach München fahren. Vielleicht halten wir an einem netten Gasthof unterwegs und fügen uns was zu Gemüte. Ist das nicht ein Vorschlag?“ Er dirigierte seine Frau sanft in das Auto, mahnte noch: „Schnall dich an!“ – tat es selber und startete.

Leona winkte ihnen nicht einmal nach.

Sie unterließ das nicht etwa, um ihre Eltern zu kränken, oder weil sie sie nicht liebhatte. Es war nur so, daß ihr gepflegtes Zuhause und das Landschulheim zwei Welten waren, die einander völlig ausschlossen.

Es war wunderbar gewesen, wieder einmal zu Hause zu sein, kleine gepflegte Mahlzeiten einzunehmen, täglich auszuschlafen, ins Theater und in Konzerte gehen zu dürfen. Aber gerade weil ihre Eltern sie so verwöhnten und fast wie eine Erwachsene behandelten, hatte sie gefühlt, wie rasch sie wieder zu der Einzelgängerin werden konnte, die sie gewesen war, bevor sie nach Rabenstein gekommen war. Doch jetzt, als der gutmütige, etwas dickliche Kurt aus Hamburg, der meist „Kuddel“ genannt wurde, und die strahlend hübsche Ute aus Berlin, Leonas Zimmergenossin, sich so begeistert auf sie gestürzt hatten, fühlte sie sich wie von einem Bann befreit.

Kurt hatte ihr den Koffer abgenommen und Ute ihre Skier geschultert, so daß Leona selber nur ihre Reisetasche – helles Leinen mit ledernem Besatz und ledernen Griffen — tragen mußte.

„Menschenkinder!“ schrie sie. „Schnee! So viel Schnee! Wer hätte das gedacht! In München hat es nur ein bißchen gerieselt!“

„In Berlin noch weniger!“ rief Ute.

„Und in Hamburg gar nicht!“

Alle drei sprachen viel lauter, als es nötig gewesen wäre. Das kam daher, daß alle anderen rings um sie her schrien, und weil sie alle das Wiedersehen, das Entkommen aus der elterlichen Gewalt und die Rückkehr nach Rabenstein als eine Befreiung empfanden – ohne sich natürlich selber darüber klar zu sein.

Sie hatten das schwere, jetzt weit geöffnete Tor zur Halle schon erreicht, als sie von hinten angerufen wurden.

„He, Leona, altes Mädchen!“ rief Alma, allgemein Amsi genannt, ihnen zu. „Ute, gutes Stück! Wie geht’s, wie steht’s?“

„Wartet auf uns!“ rief Sabine.

Alma, ein sehr sportliches Mädchen mit kurzem, fast jungenhaft geschnittenem Haar, und Sabine, zartbesaitet und empfindsam, waren beste Freundinnen und teilten ein Zimmer auf Burg Rabenstein. Leona hatte ein halbes Jahr mit ihnen zusammengewohnt und mochte beide sehr. Da Sabines Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren und ihr Vormund, ein Junggeselle, nichts weiter für sie tun konnte, als ihre Geldangelegenheiten regeln, hatte sie die Weihnachtsferien bei Alma verbracht. Jetzt waren sie gerade aus dem Auto von Almas Vater gestiegen.

„Bleibt, wo ihr seid!“ rief Leona zurück. „Wir verstauen erst mein Zeug, dann helfen wir euch bei euren Sachen!“

Auch in der Halle wimmelte es nicht nur von Mädchen – die Jungen wohnten nicht im Schloß, sondern in einem modernen Anbau – sondern auch von Eltern, die den Abschied nicht so leichtnehmen wollten. Allenthalben wurden Hände geschüttelt, Küsse und gute Ratschläge verteilt.

Am häufigsten drang an das Ohr der drei, die sich unbeirrt einen Weg durch das Gewimmel bahnten, die Mahnung: „Reiß dich um Himmels willen zusammen! Ich möchte es auf keinen Fall erleben, daß du sitzenbleibst!“

„Gott, wie ich das hasse!“ Leona schlug die schönen grauen Augen, denen sie mehr Ausdruck gab, indem sie ihre von Natur hellen, aber hübsch geschwungenen Wimpern schwarz tuschte, gen Himmel.

„Na, du bist eben intelligent!“ spaßte Kurt Büsing. „Deine Eltern brauchen dir bestimmt keinen Tritt in den Allerwertesten zu verpassen.“

„Tun sie auch picht. Aber ich finde es trotzdem Wahnsinn. Als wenn irgendwer aus purer Böswilligkeit das Ziel der Klasse, wie es so schön heißt, verfehlen würde.“

„Ilse Moll zum Beispiel!“ erinnerte Ute.

„Ja, die! Der ist die Schule gänzlich schnuppe. Daran ändert sich aber auch nichts, wenn man auf sie einredet wie auf ein lahmes Pferd. Ach, da ist sie ja! Hei, Ilse!“

Ilse wirkte, zwei Jahre älter als Leona, aber dennoch in der gleichen Klasse, ausgesprochen sexy in einem bunten Skipullover, der sich über ihrem gut entwickelten Busen spannte, eine dazu passende Mütze keck auf ihre blonde Lockenpracht gestülpt. „Grüßt euch!“ rief sie vergnügt zurück.

„Hast du dein Mütterchen schon abgehängt?“ fragte Kurt.

Ilses Mutter war eine selbständige Unternehmerin, eine hochintelligente, energische und willensstarke Frau, die ihre Tochter zur Schnecke machen konnte wie sonst niemand.

„Ist gar nicht mit rausgefahren!“ erwiderte Ilse vergnügt. „Unser Chauffeur hat mich gebracht!“

„Euer Chauffeur!“ rief Kurt beeindruckt. „Dunnerlüttchen! Setz mich auf die Liste deiner Heiratskandidaten!“

Ilse verzog die Mundwinkel. „Ich fürchte, du würdest dem Röntgenblick meiner Mutter nicht standhalten. Aber sagt mir mal: Wo soll ich mit den verdammten Skiern hin?“

„Das weißt du nicht?“

„Im vorigen Jahr hatte ich sie immer im Schuppen beim Sessellift. Aber da hat es ja auch nicht gleich nach Weihnachten so viel Schnee gegeben.“

Kurt stellte Leonas Koffer ab. „Gib her!“ Er nahm Ilse die Skier ab und legte sie gekonnt über die Schulter. „Die von Leona auch!“ sagte er zu Ute. „Für die Skier haben wir im Keller einen Extra-Abstellraum. Die Stöcke nehmt ihr, bitte, mit auf euer Zimmer. Alte Skifahrerregel: Trennt euch nie von euren Stöcken, dann werden euch die Bretter nicht geklaut.“

„Scheint mir ziemlich sinnlos“, entgegnete Ute, „man kann doch die Skier …“

„Mädchen, Mädchen, hier ist weder Ort noch Zeit für eine Diskussion. Es ist ’ne alte Regel, ich sag’s ja. Ich habe sie nicht erfunden.“

Kurt schulterte auch Leonas Skier.

„Wartet auf mich. Es dauert nur ein paar Minuten. Dann helfe ich euch mit den Koffern weiter.“

„Absolut nicht nötig!“ wehrte Ute ab. „Das schaffen wir schon allein. Was meinst du, Leona?“

„Aber sicher!“

Mit vereinten Kräften schleiften sie den Koffer durch den langen Gang, an dessen Ende linker Hand der Speisesaal, und rechter Hand der Aufstieg zu den Zimmern der Mädchen lagen. An der einen Seite des Ganges gab es einfache, braun gestrichene Türen, die in verschiedene Schulzimmer und in das Sekretariat führten, auf der anderen Seite Spitzbogenfenster, die den Ausblick auf den Hang hinter der Burg freigaben; er war jetzt dick mit leuchend weißem, pulvrigem Schnee bedeckt.

„So was von Schnee!“ rief Leona begeistert. „Wo findet man den sonst noch!? In der Stadt bestimmt nicht!“

Ute, die sich mit ihr um den Transport des Koffers bemühte, und Ilse Moll, die neben ihnen herstolzierte, stimmten ihr darin unumwunden zu.

„Nirgends!“ sagten sie mit einer Gleichzeitigkeit, über die alle drei in helles Gelächter ausbrachen.

Sie hatten das Ende des Ganges noch nicht erreicht, als Kurt sie wieder einholte.

Energisch nahm er Leona und Ute den Koffer aus der Hand. „Laßt das den guten Onkel Kurt machen!“

„Ja, wenn wir dich nicht hätten!“ Leona war froh, sich nicht länger abplagen zu müssen, aber sie hatte auch gelernt, daß Jungen für Komplimente genauso empfänglich sind wie Mädchen – vielleicht sogar noch empfänglicher, weil sie Schmeicheleien gegenüber weniger mißtrauisch sind.

Ute blies in das gleiche Horn, wobei sie Leona hinter Kurts Rücken ein Äuglein kniff. „Man sieht dir auf den ersten Blick an, wie stark du bist, Kuddel!“

„Was heißt hier erster Blick?“ fragte Kurt. „Du solltest inzwischen doch Gelegenheit genug gehabt haben, dich von meinen Bärenkräften zu überzeugen!“

Ute ließ sich nicht verwirren. „Zugegeben!“ erklärte sie. „Aber sie beeindrucken mich eben immer wieder!“

Ilse Moll beteiligte sich an dem Geplänkel nicht. Sie hatte keinen Koffer zu schleppen, und außerdem war ihr der gleichaltrige Kurt Büsing herzlich gleichgültig; sie interessierte sich nur für erwachsene oder zumindest halberwachsene Männer.

Durch eine Tür erreichten sie eine zweite Halle, ziemlich kahl und auch im gotischen Stil, von der die Treppe zu den Mädchenzimmern hinaufführte.

Kurt stellte den Koffer ab. „Tut mir leid, meine Damen … bis hierher und nicht weiter!“

So freizügig das Leben auf Burg Rabenstein war: das Betreten des Mädchentrakts, der am Fuße dieser Treppe begann, war für Jungen streng verboten.

„Na klar, Kuddel“, sagte Leona, „niemand hat erwartet, daß du dich für uns in Ungelegenheiten bringst.“

„Wieso, denn nicht?“ fragte Ilse Moll. „Nur dadurch kann ein Mann beweisen, daß ihm wirklich was an seinem Mädchen liegt.“

„Ich mag Kurt“, erklärte Leona hitzig, „aber das heißt noch lange nicht, daß ich ,sein Mädchen’ bin, wie du es zu nennen beliebst. Ich gehöre immer noch mir selber, und nichts wäre mir mehr zuwider, als ihn in Schwierigkeiten zu bringen.“

„Versteht sich am Rande“, stimmte Ute ihr zu, „hör doch gar nicht auf Ilse.“

So unauffällig wie möglich tupfte Kurt sich indessen den Schweiß von der Stirn. „Wenn ihr wirklich wollt, daß ich …“

„Spar dir den Unsinn!“ fuhr Leona ihm über den Mund. „Natürlich wollen wir nicht! Komm, pack bitte mit an, Ute!“

Gemeinsam hievten sie das schwere Gepäckstück mit Leonas Wintersachen von Stufe zu Stufe, während Ilse sehr lässig die Skistöcke trug.

Als sie oben angekommen waren, rief Leona dem immer noch schwitzenden Kurt über die Schulter zu: „So sei bedankt, mein lieber Schwan!“

„Wie bitte?“ fragte Kurt verdutzt zurück.

Leona, die in den Weihnachtsferien mit ihren Eltern die Oper „Lohengrin“ gesehen hatte, in der ein Schwan dem Helden als Transportmittel dient, lachte. Ute wußte als Tochter einer Schauspielerin auch Bescheid und lachte mit.

Nur Ilse blieb ernst und äußerte leicht pikiert: „Ich verstehe immer nur Bahnhof!“

Spaß muß sein

Leona und Ute hielten sich nicht lange auf, sondern schoben nur den Koffer in ihr gemeinsames Zimmer und rannten dann gleich wieder hinunter, um Alma und Sabine zu helfen. Ilse Moll hielt das nicht für nötig, sondern zog sich in ihre eigene Kemenate zurück. Sie gehörte zu den wenigen Jüngeren auf Burg Rabenstein, die ein Zimmer für sich allein hatten. Aber niemand beneidete sie darum, denn erstens fanden es die meisten lustiger, mit einer Freundin zusammen zu hausen, und zweitens verstand es Ilse durchaus nicht, es sich gemütlich zu machen. Bei ihr sah es immer aus, wie die junge, fesche Erzieherin von Leonas Gruppe ziemlich grob, aber treffend zu sagen pflegte, „wie in einem Schweinestall“. Das war um so erstaunlicher, als Ilse Moll für ihre eigene Schönheit mehr Zeit verwendete als irgendeine andere Rabensteinerin.

Doch Leona und Ute verschwendeten keinen weiteren Gedanken an Ilse Moll, sondern sausten, so schnell sie konnten, die Treppe wieder hinunter, den Gang entlang und stießen in der Eingangshalle auf die Freundinnen, die ziemlich hilflos zwischen Taschen, Koffern und Skiern standen.

„Gut, daß ihr kommt!“ sagte Sabine ganz erleichtert.

„Ehrensache!“ rief Leona. „Wir hatten es doch versprochen.“

„Wartet auf mich“, bat Alma, „ich bringe jetzt erst einmal die Skier weg. Hier, Sabine, halt du die Stöcke!“ Sie schulterte die beiden Skierpaare und verschwand in Richtung Kellertür.

„Du siehst fabelhaft aus, Bine!“ sagte Leona.

„Ja, wirklich“, stimmte Ute ihr zu, „wo hast du dir diese Farbe geholt?“

Tatsächlich war die von Natur aus weiße Haut der blonden, grünäugigen Sabine leicht gebräunt, wie es um diese Jahreszeit kaum zu erwarten war.

Unter den bewundernden Blicken der Freundinnen errötete sie. „Ich war Weihnachten in der Karibik.“

Leona und Ute starrten sie verdutzt an, bevor sie fragten, als hätten sie nicht recht verstanden: „Wo?“ und „Was?“

„Mein Onkel meinte, weil Weihnachten doch immer ziemlich … na ja, traurig für mich ist, so ohne Familie … sollte ich mal etwas ganz anderes unternehmen. Und da hat er mich dieses Jahr zu einer Kreuzfahrt durch die Karibik eingeladen. Die ging von Nassau aus. Nassau ist die Hauptstadt der Bahamas, wie ihr wissen solltet. Erst also eine Kreuzfahrt …“

„Mit einem Segelboot?“ fragte Leona dazwischen.

„Nein, das wäre viel zu gefährlich. In der Karibik soll es jede Menge Piraten geben. Wir sind auf einem griechischen Dampfer gefahren, der,Aquarius’, acht Tage lang, und dann noch eine Woche in einem tollen Hotel in Nassau geblieben. Nur die letzten Tage war ich diesmal bei Alma.“ Da die beiden anderen sie immer noch aus großen Augen anstarrten, fügte sie rasch hinzu: „Aber ihr braucht mich nicht zu beneiden. Es war lustig, das ist wahr. Doch ein richtiges Weihnachtsfest mit Vater und Mutter ist etwas ganz anderes.“

Ute lachte. „Ja, da knallen die Türen und fliegen die Fetzen.“

„Bei uns war es richtig gemütlich“, sagte Leona.

„Da hast du Glück gehabt. Ich habe die Weihnachtszeit, wenn plötzlich die ganze Familie aufeinander hockt und keiner eine richtige Beschäftigung hat – außer der Mutter versteht sich, die immerzu etwas Gutes auftischen soll – immer ziemlich schwierig gefunden.“

„Wann steht denn deine Mutter in der Küche?“ fragte Leona.

„In der Weihnachtszeit ebent!“ Ute sprach nicht berlinerisch, sondern hochdeutsch, aber manchmal entschlüpfte ihr doch ein berlinerisches t an dem Wörtchen eben, das dort gar nicht hingehörte.

Leona und Sabine lachten.

Ute, die nicht wußte, warum, fügte hinzu: „Dann fühlt sie sich bemüßigt. Sie redet dann auch dauernd davon, was für eine wunderbare Kindheit sie gehabt hat, und wie sehr sie sich bemüht hat, mir eine wunderbare Kindheit zu schenken, aber natürlich, da war immer das Theater, das an ihren Kräften gezehrt hat. Sie hat sich sozusagen zwischen ihrem Beruf und ihren Pflichten mir gegenüber zerfetzt.“ Utes wunderschöne, tiefblaue Augen hatten sich verdunkelt, sie seufzte schwer. „Ziemlich schlimm, wenn sie mit dieser Masche kommt.“

Leona legte ihr den Arm um die Schultern. „Nimm’s nicht tragisch. Jetzt bist du ja bei uns.“ Sie dachte, wie sehr sie doch um ihre jungen, fröhlichen Eltern zu beneiden war.

Alma kam zurück und riß sofort die Oberleitung des Unternehmens an sich. Sie verteilte Gepäckstücke und Skistöcke, und zu viert war der Transport dann auch kein Problem mehr. Das Schleppen hinderte sie auch nicht daran, sich gegenseitig von ihren Erlebnissen aus den Weihnachtsferien zu erzählen, die alle auf ganz verschiedene Art verbracht hatten.

Leona war die erste, der es auffiel, daß mehr geredet als zugehört wurde. „Wißt ihr was“, schlug sie vor, „spart euch jetzt mal euren Atem! Ute und ich laden euch für heute abend ein … zu einer Ankunftsparty auf unserem Zimmer.“

„Einverstanden!“ sagte Alma sofort. „Aber bei uns ist mehr Platz.“

„Dafür steht das dritte Bett bei euch im Weg!“ widersprach Leona. „Nein, diesmal wird bei uns gefeiert!“

„Wenn ihr darauf besteht“, sagte Sabine.

„Ja, tun wir“, unterstützte Ute ihre Stubengenossin.

Sie brachten das Gepäck in das Zimmer von Alma und Sabine, ein Dreierzimmer, in dem die beiden nur durch einen glücklichen Zufall zu zweit hausten. In ihrem ersten Halbjahr in Rabenstein hatte Leona bei ihnen gewohnt. Ihre Eltern hatten es so gewollt, weil es ihnen als eine gute Kur erschienen war, sie aus ihrer Einzelgängerhaltung herauszuholen. Diese ziemlich harte Kur hatte Erfolg gehabt, weil Sabine und Alma sich sehr viel Mühe mit ihr gegeben hatten. Dennoch hatte Leona aufgeatmet, als sie in ein Zweierzimmer ziehen durfte, und Sabine und Alma waren nicht weniger froh gewesen, wieder allein zu sein.

Jetzt standen die vier Mädchen in diesem Dreierzimmer mit dem Blick auf den schneebedeckten Hang noch eine Weile herum, holten Luft und redeten über dies und jenes, bis Sabine den Reißverschluß ihrer Reisetasche aufzog.

Darauf sagte Leona: „Bis später dann! Wir müssen auch auspacken!“ Sie wandte sich zur Tür, und Ute folgte ihr.

Aber sie kamen nicht weit, denn ehe sie die Tür öffnen konnten – sie war nicht geschlossen, sondern nur sorglos angelehnt gewesen – wurde sie von außen aufgerissen, und Klaus Voss schubste einen mageren, großen, dunkelhaarigen Jungen herein.

Sekundenlang waren die Mädchen starr und wußten nicht was sie davon denken, noch weniger, was sie dazu sagen sollten.

„Das ist dein Zimmer, Gaston!“ behauptete Klaus Voss, der sich denkbare Mühe gab, dabei so ernst wie möglich zu bleiben. „Dies ist dein Bett!“ Er wuchtete eine Reisetasche auf das freie, nicht überzogene, sondern mit einer Tagesdecke bedeckte Bett. „Darf ich dir deine Zimmergenossinnen vorstellen … nein, nicht die schöne Ute, das könnte dir so passen! Dies ist Alma und dies ist Sabine … mit den beiden wirst du wohnen.“

Die Mädchen hatten inzwischen begriffen, daß Klaus sich einen alten, oft durchexerzierten Witz erlaubte: Ein neuer Junge wurde in den Mädchentrakt, beziehungsweise ein neues Mädchen in den Jungentrakt geführt, nur um sich an deren dummem Gesicht zu weiden. So alt der Spaß auch war, wurde er doch immer wieder bejubelt. Die Mädchen mochten ihn Klaus, der ja allerlei damit riskierte – zumindest ein Heimfahrtswochenende –, nicht verderben und machten unschuldsvolle Gesichter. Interessiert beäugten sie den neuen Jungen.

Der stand starr und steif mitten im Raum, umklammerte den Griff seines Koffers, den er nicht einmal absetzte und stieß hervor: „Je ne veux pas!“

Die Mädchen hatten im Herbst als zweite Fremdsprache Französisch bekommen und hätten ihn wohl verstehen können.

Aber sie waren so perplex, daß sie ihn und sich gegenseitig fragten: „Was sagt er?“ – Was ist los?“ – „Was hat er gesagt?“

„Ich … will nicht!“ wiederholte Gaston in gequältem Deutsch.

„Was willst du nicht?“ fragte Leona, jedes einzelne Wort überdeutlich aussprechend.

„Mit Mädchen schlafen!“

Sie guckten den neuen Jungen an und konnten nicht länger an sich halten; sie platzten vor Lachen. Im Nu füllte sich das Zimmer. Ilse Moll stürzte herein, nach ihr kamen Marga und Claudia. Alle starrten den großen, dunklen Jungen an, der nicht in die Mädchenzimmer gehörte, und schütteten sich aus vor Lachen. Natürlich lachte Klaus Voss, der den Spaß inszeniert hatte, am meisten.

„Ich ’asse Weiber!“ schrie Gaston in das Gelächter hinein.

„Nun übertreib aber mal nicht“, erwiderte Ute seelenruhig, „erst mal sind wir keine Weiber, sondern Mädchen, und zweitens kann man uns mögen oder auch nicht … aber uns zu hassen besteht wirklich kein Grund.“

„Wenn du keine Mädchen magst“, fragte Alma, „warum bist du dann hier?“

„Wirklich“, stimmte Leona zu, „dann hättest du lieber ins Landerziehungsheim Marquartstein gehen sollen. Da haben sie bloß ein paar Externe.“

Gaston rang um Worte: „Ich ’atte keine Wahl. Mein Papa ’at mir keine Wahl gelassen. Er ’at mich gezwungen …“

„Ach, das alte Lied.“ Leona zuckte die Achseln. Sie erinnerte sich noch sehr gut, wie Klaus sie bei ihrer Ankunft auf Rabenstein in das Zimmer von Hellmer Theiss geführt, was sie damals gar nicht lustig gefunden hatte. Aber jetzt genoß sie den Scherz, weil er nicht auf ihre Kosten ging. „Armer kleiner Junge. Wie leid du mir tust. Ich könnte vor Mitleid weinen. Welch schreckliches Schicksal, mit Amsi und Sabine in einem Raum hausen zu müssen.“

Mit dieser spöttischen Bemerkung erntete sie dankbaren Beifall.

„Kann ich denn nicht ’aben einen Raum für mich allein?“ rief Gaston erbittert.

„Leider nicht, mein lieber Junge!“ Ute schwänzelte vor ihm her und tippte ihm mit dem Zeigefinger auf die Nasenspitze. „Einzelgänger sind auf Rabenstein unerwünscht. Wir hier legen Wert auf Teamwork, um es mal gut deutsch auszudrücken.“

Die anderen lachten noch mehr.

„Aber niemand kann von mich verlangen …“

„Mir“, verbesserte Leona ernsthaft, „es heißt mir.“

„Aber ich spreche nicht von dir, sondern von mich!“

„Es heißt mir … du spricht von dir und nicht von dich. Dich ist falsch.“

„Ach so!“ Gaston hatte es verstanden. „Niemand kann von mir verlangen …“ Er warf einen fragenden Blick auf Leona.

„Richtig!“ sagte sie.

„ … daß ich mit Mädchen zusammen schlafe!“

Die anderen prusteten.

„Wenn du dir einbildest, daß wir mit dir schlafen wollen“, sagte Alma, „bist du auf dem Holzweg.“

„Auf dem … was?“ fragte Gaston.

„Niemand will mit dir schlafen“, dolmetschte Leona.

„Aber ich kann nicht mit diesen beiden Mädchen … wie ’eißen sie?“

„Alma und Sabine“, erklärte Leona geduldig.

„Ich kann nicht mit Alma und Sabine in einem Zimmer wohnen!“

Leona fand, daß der Scherz nun weit genug getrieben war und hätte dem jungen Franzosen am liebsten die Wahrheit gesagt. Aber sie wollte nicht unkameradschaftlich sein und die Pläne von Klaus Voss durchkreuzen. Deshalb schwieg sie.

„Und warum nicht?“ fragte Alma keck. „Hast du Angst, wir könnten dich beißen?“

„Non, nein, nicht, im Gegenteil…“

Diese mühsame Erklärung löste natürlich neue Lachstürme aus.

„Ich ’ab keine Angst!“ schrie Gaston gegen das Gelächter an. „Ich bin es nur nicht gewohnt … ich mag keine Mädchen!“

„Oje“, sagte Leona, um Fassung ringend, „dann wirst du hier auf Rabenstein ein schweres Leben haben!“

Sie schrien vor Lachen, hielten sich förmlich die Bäuche, während Gaston, der unfähig war zu verstehen, was mit ihm geschah, finster dreinblickte und krampfhaft überlegte, was die anderen wohl so lustig finden mochten.

„Wie ich höre, seid ihr ja sehr vergnügt …“, sagte Frau Tina Wegner in den Lärm hinein.

Ohne daß es jemand bemerkt hatte, war sie in das Zimmer getreten; das Lachen erstarb.

Sie blickte von Gaston zu Klaus Voss. „Nanu, ich sehe wohl nicht recht?! Was habt ihr hier zu suchen?“

„Der Neue“, log Klaus Voss, „er hat sich verirrt. Ich bin ihm nach, als er die Treppe rauflief und wollte ihn gerade zurückholen.“

„Verirrt?“ wiederholte die junge Erzieherin und sah Gaston an. „Du hast dich verirrt?“

„Ich weiß nichts … ich … ich kenne mich nicht aus.“

„Niemand hat dir also gesagt, daß im Schloß nur die Mädchen wohnen?“

„Niemand.“

„Das ist ärgerlich. Du mußt wieder hinunter … Klaus wird es dir zeigen … und über den Hof in das neue Haus. Dort wohnen die Jungen.“

„Ich muß nicht schlafen zusammen mit Mädchen?“

Jetzt lachte sogar Frau Wegner.,Na hör mal, das wäre ja noch schöner. Hast du wirklich geglaubt, bei uns herrschen solche Sitten?“

„Ich kenne nicht die Sitten der Deutschen.“

„Sie werden von den euren nicht weit verschieden sein. Also ab mit dir! Hast du sonst noch Gepäck?“

„Die Tasche.“ Gaston wies mit dem Kinn auf die Reisetasche, die auf dem freien Bett stand.

„Klaus wird dir tragen helfen.“

Klaus, sehr froh, ohne Tadel und Strafe davongekommen zu sein, griff gleich zu.

„Betreue den Neuen“, sagte Frau Wegner, „bis er seinen Platz gefunden hat.“

Die Jungen verließen das Zimmer.

„Und ihr“, ermahnte Frau Wegner, „seht zu, daß ihr eure Sachen auspackt.“ Sie nickte den Mädchen zu und ließ sie allein.

„Das ist gerade noch einmal gutgegangen,“, sagte Sabine, die keine Ungezogenheiten liebte, erleichtert.

„Glaubt ihr, die Wegner hat nichts gemerkt?“ fragte Leona. „Oder hat sie nur so getan?“

„Wenn du mich fragst: sie hat sich mit Absicht dumm gestellt!“ erklärte Alma.

„Das ist aber hochanständig von ihr“, meinte Ute.

„Reine Taktik“, sagte Leona, „wem nützt es denn, wenn es gleich am ersten Tag im Internat einen Riesenkrach gibt?! Es war doch nur einer von Klausens dummen Späßen. Es kam ja nur darauf an, die Jungen hier rauszubugsieren. Das hat sie ohne Krach geschafft.“

„Alle Achtung!“ sagte Alma.