Kommissar Mareks trügerische Idylle - Volker Jochim - E-Book

Kommissar Mareks trügerische Idylle E-Book

Volker Jochim

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Beschreibung

Kriminalhauptkommissar Robert Marek vom Morddezernat der Kripo in Frankfurt/Main ist wegen seiner unkonventionellen Methoden bei Kollegen und Vorgesetzten nicht gut gelitten. Aufgrund seiner überdurchschnittlichen Aufklärungsquote soll er auch noch zum BKA versetzt werden, was er jedoch auf jeden Fall verhindern will. Er nimmt Urlaub und fährt mit seinem alten 2CV nach Caorle, einer historischen Kleinstadt im Veneto. Dort hofft er, eine Lösung seines Problems zu finden. Er lernt die attraktive Journalistin Silvana kennen, die ihn überredet, sich vorzeitig pensionieren zu lassen und nach Caorle zu ziehen. Sie besorgt ihm eine Wohnung und im Herbst des gleichen Jahres zieht er nach Italien. Im Frühsommer des folgenden Jahres entdeckt Marek eine eigenartig über den Rand eines Müllcontainers drapierte Leiche. Bei der Aufnahme der Zeugenaussage lernt er den jungen Brigadiere Ghetti der örtlichen Carabinieri kennen und bietet ihm seine Hilfe bei der Aufklärung des Falles an, die der junge Mann gerne annimmt. Nach zwei weiteren brutalen Morden scheint der Fall zu eskalieren. Sie stehen vor einem Sumpf aus Behördenkorruption und groß angelegten Grundstücksspekulationen, bis es ihnen gelingt, eine Verbindung zwischen den Morden herzustellen und ein Motiv sichtbar wird.

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Volker Jochim

Kommissar Mareks trügerische Idylle

Kommissar Marek wandert aus

Kommissar Mareks erster Fall

© 2008/2016 Volker Jochim

Umschlag, Illustration: trediton,

Volker Jochim (Foto)

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

Überarbeitete Neuauflage

Die Erstauflage erschien 2008 im

Asaro Verlag

ISBN

Paperback

978-3-7345-1857-7

Hardcover

978-3-7345-1858-4

e-Book

978-3-7345-1859-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Erster Teil

1

Er saß auf der Kaimauer des kleinen Fischerhafens, begrüßte die ein- und ausfahrenden Fischer, plauderte mit den Alten, die ihre Angelruten im Hafenbecken ausgelegt hatten, genoss die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne und ließ Beine und Seele baumeln. Er war ein glücklicher Mann.

***

Ein penetrantes Geräusch, nicht einmal sehr laut, aber dafür durchdringend, schreckte ihn aus dieser Idylle. Sein Herz krampfte sich zusammen. Er suchte sich zu orientieren, das ekelhafte Geräusch zu lokalisieren. Dabei stieß er sehr schmerzhaft mit seinem linken Arm an die Kante seines Nachttisches.

„Mist, verdammter!“, fluchte er. „Wo ist dieser scheiß Wecker?“

Er fand die Geräuschquelle auf dem Boden neben seinem Bett und schlug so heftig darauf ein, dass das Glas des Zifferblattes absprang und unter das Bett rollte. Augenblicklich war es wieder ruhig. Ein zufriedenes Grinsen zeigte sich auf seinem Gesicht und er ließ sich wieder in die Kissen fallen.

Aber so sehr er sich auch bemühte, er konnte nicht zurück in sein Idyll, in die Sonne, auf seine Kaimauer, an seinen Hafen.

***

„Was soll‘s“, dachte er sich, „es hilft ja doch nichts.“

Er streckte sich ausgiebig und schob die Beine über die Bettkante. Langsam richtete er seinen Oberkörper auf. So saß er eine Weile, bis er mit einem Ruck aufstand. Ein stechender Schmerz zog von seinem Nacken die Wirbelsäule hinunter und verteilte sich schön gleichmäßig über den gesamten Rücken.

Das waren die Momente, in denen er sein Alter hasste. Er war jetzt dreiundfünfzig und fühlte sich eigentlich noch ganz fit. Dachte er zumindest.

Er machte ein paar halbherzige gymnastische Übungen, bis es im Kreuz leicht krachte und der Schmerz nachließ.

„Na, geht doch“, dachte er, „aber innerlich bin ich wenigstens noch jung geblieben.“

Langsam tappte er im Halbdunkel seines Schlafzimmers vorwärts, stolperte über einen Schuh, verfing sich in einem größeren Stück Stoff und stieß schließlich mit dem Kopf gegen die Zarge der Badezimmertür.

Er tastete nach dem Lichtschalter. Die Halogenbeleuchtung seines Badezimmers traf ihn unvorbereitet wie ein Blitz. Er hielt sich die linke Hand vor die Augen und dreht sich ab. Dabei spähte er vorsichtig durch einen Spalt zwischen seinen Fingern über den ausgestreckten rechten Arm, mit dem er sich noch immer am Türrahmen festhielt, auf das Chaos in seinem Schlafgemach. Es sah aus wie nach einer Schlacht. Kleidungsstücke und Schuhe waren überall verstreut, eine leere Weinflasche lag auf dem Boden nahe der Tür und ein umgekippter Aschenbecher hatte seinen Inhalt auf dem Teppich verteilt.

Der Stoff, in dem er sich vorhin verfangen hatte, war die Hose seines besten und auch einzigen Anzugs. Der benötigte jetzt wohl erst einmal eine gründliche Reinigung.

„Oh Mann“, brummte er und wandte sich mit Grausen ab.

Mittlerweile hatte er sich an die Helligkeit gewöhnt und tappte ins Bad. Er stützte sich mit beiden Händen auf den Rand des Waschbeckens und sah in den Spiegel.

„Hallo, Robert! Du siehst vielleicht scheiße aus. Muss wohl gestern spät geworden sein“, sagte er zu seinem Spiegelbild.

Graue Bartstoppeln umrahmten sein ebenfalls graues Gesicht und tiefe dunkle Ringe zeigten sich unter seinen Augen, oder waren das schon die ersten Tränensäcke?

„Was soll‘s“, dachte er und stieg unter die Dusche, um gleich wieder fluchend herauszuspringen, als der kalte Wasserstrahl ihn traf.

***

Fünfzehn Minuten später kam ein wesentlich besser gelaunter und frisch rasierter Kriminalhauptkommissar Robert Marek aus dem Bad, um sich anzukleiden.

Er wählte eine beige Baumwollhose, ein flaschengrünes Strickhemd und sein braunes Ledersakko.

Fertig angezogen betrachtete er sich im Spiegel und salutierte: “Hauptkommissar Marek meldet sich zu seinem letzten Arbeitstag!“

***

In der Küche sah es auch nicht gerade besser aus als in seinem Schlafzimmer.

In der Spüle stapelte sich Geschirr mit eingetrockneten Essensresten und auf dem Tisch standen etliche leere Weinflaschen und noch ein trauriger Rest seines besten Grappas.

Da fiel ihm ein, dass sein alter Kumpel Paul gestern noch auf ein Gläschen mit zu ihm kam. Das müssen wohl ein paar Gläschen mehr geworden sein. Er schob die Flaschenbatterie mit dem Unterarm zur Seite und wischte den Tisch mit einem auch nicht mehr ganz frischen Küchentuch ab. Danach füllte er Wasser und Pulver für einen doppelten Espresso in seine Caffettiera und stellte sie auf den Herd.

Während er auf seinen Caffè wartete, steckte er sich eine Zigarette an, blies blaue Ringe in die Luft und dachte an Paul.

***

Paul Krüger und er kannten sich schon seit der Polizeischule. Paul war auch etwa in seinem Alter. Nur Paul fuhr noch immer Streife. Aber er war damit zufrieden, wollte gar nicht mehr.

„Eigentlich hätte ich auch dabei bleiben sollen“, dachte Marek.

Die blubbernde Caffettiera riss ihn aus seinen Gedanken ins Heute zurück. Er goss das schwarze Gebräu in eine kleine Tasse, schaufelte ordentlich Zucker hinein und trank in kleinen Schlucken.

Dann stellte er die Tasse auf den Tisch und drückte seine Kippe im Kaffeesatz aus.

„Auf zum Endspurt!“, sagte er laut zu sich selbst, glaubte im Flur noch seine Aktentasche auf und verließ das Haus gut gelaunt in Richtung Präsidium.

2

Marek war jetzt seit fünfundzwanzig Jahren bei der Kriminalpolizei und genauso lange beim Morddezernat in Frankfurt am Main.

Vor knapp einem Jahr teilte man ihm mit, dass er aufgrund seiner erstaunlichen Aufklärungsquote zum Bundeskriminalamt versetzt werden sollte.

Was für seine Kollegen ein wohl unerfüllbarer Traum bleibt, war für ihn ein Horrorszenario. Er assoziierte die Kollegen des BKA mit den Figuren in schlechten amerikanischen Krimis. Special Agent soundso. Alle in dunklen Anzügen, weißen Hemden und schwarzen Krawatten. Alle mit den gleichen schicken Igelfrisuren – was bei seiner hohen Stirn schon nicht mehr möglich war – und einem eingefrorenen Lächeln, welches ein makelloses, weißes Gebiss einer Zahnpasta Werbung präsentierte.

Nein, das wollte er nicht. Auf keinen Fall.

Er ging zu seinem Chef und fragte, ob man nicht einen anderen Kollegen versetzen könnte. Es gäbe bestimmt viele, die sich darüber freuen würden.

Sein Chef meinte, dass er das auch schon überlegt habe, da man ihn wegen seiner doch sehr unkonventionellen Art dem BKA kaum zumuten könne. Aber das BKA würde nun einmal auf ihm bestehen.

Allein wegen dieser Äußerung seines Vorgesetzten war er geneigt, seinen Entschluss zu überdenken und die Versetzung zu akzeptieren.

Er stand auf und verließ grußlos das Büro. Dabei schloss er die Tür etwas heftiger als allgemein üblich, womit er die missbilligenden Blicke der Vorzimmerdame auf sich zog.

Zurück in seinem Büro warf er sich auf seinen Stuhl, der ächzend gegen diese Behandlung protestierte und starrte auf die Aktenstapel auf seinem Schreibtisch.

„Wie komme ich da wieder raus?“, fragte er sich und zündete sich gedankenverloren eine Zigarette an. Marek wäre nicht Marek, wenn er keinen Ausweg finden würde.

Ein sehr diskretes Hüsteln unterbrach seine Gedanken. Ach ja, sein junger Kollege, mit dem er sich das Büro teilen musste, war Nichtraucher, und da die Nichtraucher eine geschützte Gattung sind, wurden alle Büros zu Nichtraucherzonen bestimmt. Dass man damit die Raucher, die ja mit ihren Steuergeldern einen nicht unerheblichen Teil des Staatshaushaltes finanzierten, zu einer diskriminierten Minderheit abstempelt, interessiert niemanden.

Er warf seine angerauchte Zigarette in den halb vollen Kaffeebecher seines Kollegen und versank wieder ins Grübeln.

Er konnte ja plötzlich Alzheimer bekommen, oder aus dem Fenster seiner Erdgeschosswohnung fallen und sich anschließend eine eingeschränkte Mobilität bescheinigen lassen.

Alles Blödsinn. Dann wäre er seinen Job hier auch los, oder würde an einem verstaubten Schreibtisch im Archiv versauern.

Er musste schnellstens einen Ausweg finden aber den fand er mit Sicherheit nicht hier. Er musste ungestört überlegen.

Marek nahm den Telefonhörer und ließ sich mit der Personalabteilung verbinden. Er fragte die Jungmädchenstimme, die sich meldete, ob er an seiner Urlaubsplanung noch etwas ändern könnte, es wäre aus familiären Gründen sehr wichtig.

„Ich dachte, Sie leben allein?“, warf sein junger Kollege vorsichtig ein und wurde umgehend von Marek mit einem bitterbösen Blick und einer drohenden Faust zum Schweigen gebracht.

Die Jungmädchenstimme meldete sich wieder.

„Eigentlich ist das nicht mehr möglich, aber wenn es aus familiären Gründen ist, drücken wir mal ein Auge zu.“

Marek bedankte sich artig und bat darum, eine Woche seines Sommerurlaubs zu streichen und auf die kommende Woche einzutragen. Dann ließ er sich für diese Woche noch vom Dienstplan nehmen.

„Das wäre erledigt“, brummte er zufrieden und seine Laune besserte sich zusehends.

Was jetzt? Er sah auf seine Armbanduhr. Es war schon kurz nach fünfzehn Uhr. Ein aktueller Fall lag nicht an und die Berichte, die er noch schreiben musste, konnten bis morgen warten.

Gut gelaunt sprang er auf, schnappte sich seine Jacke, rief seinem Kollegen noch ein „bis morgen“ zu und verließ das Büro.

Als er auf dem Parkplatz hinter dem Präsidium seinen Taubenblauen Citroen 2CV aufschloss, spürte er wie immer die mitleidig lächelnden Blicke seiner jüngeren Kollegen oder die verständnislosen Blicke der älteren auf sich ruhen. Doch das machte ihm nichts mehr aus. Er liebte seine Ente.

***

Seit den späten sechziger Jahren hatte er davon geträumt einen 2CV zu fahren und vor ein paar Jahren hatte er sich dann diesen Traum erfüllt. Er fand das Auto passte zu ihm, oder er zu diesem Auto.

***

Marek schob eine Kassette von Led Zeppelin ins Kassettenfach, kurvte vom Parkplatz und fuhr Richtung Innenstadt. Er hatte beschlossen im l‘Angolo, seinem Lieblingsitaliener, bei einem guten Essen und einem guten Glas Wein seine weiteren Vorhaben zu überdenken. Es musste alles genauestens überlegt und geplant werden, ging es doch um nicht weniger als um seine Zukunft. Er durfte sich keinen Lapsus erlauben.

Als er bei der Trattoria ankam, gab es, wie eigentlich immer, nirgendwo einen Parkplatz. Er fuhr mehrmals um den Block, erweiterte seinen Radius um einen, dann um zwei Blocks, jedoch ohne Erfolg. Leicht genervt stellte er sein Auto schließlich auf eine schraffierte Fläche an der Ecke einer Kreuzung. Um einem Knöllchen seiner Streifenkollegen vorzubeugen, befestigte er hinter der Windschutzscheibe einen Zettel mit dem Vermerk: Polizei im Einsatz.

***

Marek ging durch den Garten, in dem man in warmen Sommernächten bei Kerzenlicht gemütlich sitzen und genießen konnte, der aber zu dieser Jahreszeit natürlich noch nicht geöffnet war, und wurde an der Eingangstür schon von Gianluca, dem Padrone, höchstpersönlich begrüßt.

„Woher wusstest du, dass ich komme?“, wollte Marek wissen, als er sich an seinem Stammplatz im hinteren Bereich der rustikalen Gaststube niedergelassen hatte.

Gianluca grinste ihn an. „Ich habe dein Auto gehört, obwohl ich in der Küche war. Toktoktoktok … wie eine alte Vespa. So etwas fährst nur du.“

„Dafür fährt mein Auto wenigstens während dein Alfa nur in der Werkstatt steht“, konterte Marek.

Er war diese Frotzeleien gewohnt. Autos waren, neben seiner Küche und dem Fußball, Gianlucas große Leidenschaft.

Marek bestellte sich ein viertel Verdicchio, eine Flasche San Benedetto und eine Portion tortelli di cernia.

Dann zündete er sich eine Zigarette an, sah aus dem Fenster ins Nichts und überlegte seine nächsten Schritte. Aber jeden Einfall verwarf er augenblicklich wieder. Es wollte ihm einfach nichts Brauchbares einfallen.

***

Enrico, der Kellner, brachte den Wein und das Wasser. Marek nahm zuerst einen Schluck Mineralwasser um die Geschmacksnerven zu reinigen, wie er es nannte. Dann nahm er den ersten Schluck Wein, ließ ihn um die Zunge kreisen, umspülte seinen Gaumen und ließ ihn anschließend langsam die Kehle hinabgleiten.

Der Wein hatte genau die richtige Temperatur. „Schade, dass dieser leicht trockene, fruchtige Tropfen aus den Marchen hierzulande so wenig Beachtung findet“, dachte er. Gut gekühlt ein wahrhaft guter Begleiter zu raffinierten Pasta-gerichten.

***

Mareks Gedanken schweiften mit jedem Schluck weiter ab. In Gedanken saß er vor einer Bar an irgendeiner Piazza in der Sonne und trank einen Caffè.

Gianluca brachte das Essen höchstpersönlich und holte ihn wieder ins Hier und Heute zurück.

„Lass es dir schmecken“, rief er und entschwand in der Küche.

Der Duft, der aus seinem Teller aufstieg, ließ ihn alles vergessen und bereitete seine Geschmacksnerven auf ein großes Erlebnis vor.

Dieses einfache und doch unglaublich raffinierte Gericht war einfach göttlich. Die Teigtaschen, gefüllt mit frischem Spinat, Frühlingszwiebeln, Peperoncini und in feinstem Olivenöl gebratenem Wolfsbarschfilet, serviert in einer würzigen Tomatensoße mit Karotten, Sellerie, Zucchini und kleinen Stückchen vom Barsch, ein Fest für die Sinne. Jeden Bissen ließ er langsam im Mund zergehen, um sich ja keine Nuance entgehen zu lassen. Die Reste der Soße wischte er mit einem Stück Weißbrot vom Teller und lehnte sich dann zufrieden auf seinem Stuhl zurück.

Als Enrico kam um den Tisch abzuräumen bat er ihn seinem Chef auszurichten, dass er sich wieder selbst übertroffen habe. Dann bestellte er sich noch einen Caffè und einen Grappa D‘Oro.

Er genoss den durch die lange Lagerung in Eichenfässern goldgelben Tresterschnaps in kleinen Schlückchen. Dann trank er bedächtig seinen Caffè, rauchte noch eine Zigarette und träumte vor sich hin.

***

Plötzlich wusste Marek was er machen würde.

„Ja, genau das ist es“, sagte er zu sich selbst, rief nach Enrico und beglich seine Rechnung.

Er beglückwünschte sich, für die kommende Woche Urlaub genommen zu haben. Morgen war ja schon Freitag. Jetzt hatte er noch drei Tage zur Vorbereitung für sein Unterfangen.

Als er zu seiner Ente kam, steckte unter dem Scheibenwischer, genau über seinem Schild, das auf einen Polizisten im Einsatz hinwies, ein Strafmandat wegen Falschparkens. Wütend riss er das Knöllchen unter dem Scheibenwischer heraus, sah sich die Signatur an, knüllte den Zettel zusammen und warf ihn in den Rinnstein.

„Den werde ich mir kaufen“, brummte er wütend. „Keine Achtung mehr bei den Kollegen aber die werde ich euch beibringen.“

Als er gerade in sein Auto steigen wollte, sah er am Ende dieser Straße etwas Uniformiertes stehen.

Schnell riss er den Choke raus und drehte den Zündschlüssel um. Sofort sprang der Motor an und lief auf höchster Drehzahl. Dann zog er den ersten Gang rein und wollte mit Vollgas losfahren. Der betagte 2CV schüttelte sich, fuhr bockend an und beschwerte sich so gegen diese grobe Behandlung.

„Scheiße!“, fluchte Marek, drückte unsanft den zweiten Gang rein und schoss mit immer noch überdrehendem Motor nach vorn.

Die Politesse, die gerade mit dem Ausstellen weiterer Strafmandate beschäftigt war, wurde auf diesen Lärm aufmerksam. Diesem Verkehrsrowdy würde sie auch ein saftiges Knöllchen verpassen, dachte sie voller Vorfreude.

Als Marek auf ihrer Höhe angekommen war stieg er voll auf die Bremse und die Ente blieb ein paar Meter weiter quietschend stehen.

Mit hochrotem Kopf stieg er aus und stapfte wütend auf die Politesse zu, die ihrerseits gerade Luft geholt hatte, um ihm eine Strafpredigt zu halten. Doch er war schneller.

„Was fällt ihnen eigentlich ein, einem Einsatzfahrzeug der Kripo einen Strafzettel zu verpassen?“, polterte er los. „Sie haben doch das Schild gesehen, oder können Sie nicht lesen?“

Die uniformierte Kollegin hatte ihre Fassung wieder gefunden.

„So ein Schild kann sich jedes Kind selbst machen und seit wann benutzt die Polizei solche Schrotthaufen als Einsatzfahrzeuge?“, giftete sie ihn an.

Das hätte sie nicht sagen dürfen. Seine geliebte Ente zu beleidigen stand unter Todesstrafe.

„Ich werde für Ihre Suspendierung sorgen!“, drohte er wütend.

„Dann kommt noch Beamtenbeleidigung dazu“, konterte sie. „Darf ich mal ihre Papiere sehen?“

„Ich bin Kriminalhauptkommissar Marek vom Morddezernat“, bellte er sie an und suchte nach seinem Dienstausweis.

„Und ich bin Paris Hilton“, erwiderte sie sarkastisch.

„Das passt“, dachte er und hielt ihr seinen Dienstausweis unter die Nase.

Schlagartig wich alle Farbe aus ihrem Gesicht. Sie stammelte irgendetwas von „… es tut mir leid … “ und „… ich konnte doch nicht wissen …“

Marek hatte sich wieder beruhigt. Er hatte einen Sieg davon getragen. Das verlangte nach einer honorigen Geste.

„Nun beruhigen Sie sich mal wieder“, sagte er gönnerhaft zu der immer noch kreidebleichen Politesse, „das nächste Mal wissen Sie Bescheid.“

Zufrieden kletterte er in sein Auto und drückte den Choke sachte nach unten, was ihm sein Auto mit einem runden, sanften und wesentlich leiseren Tuckern dankte.

„Robert, du bist ein Schwein“, sagte er zu sich im Rückspiegel, „aber ich mag dich trotzdem.“

Langsam fuhr er zurück nach Hause ins Frankfurter Nordend. Dort wohnte er in einer Dreizimmeraltbauwohnung von fast einhundert Quadratmetern, die er sich eigentlich nicht leisten konnte. Aber er fühlte sich dort wohl und hatte genügend Platz für seine unzähligen Bücher, CDs und Schallplatten, und auch genügend Wandfläche für seine kleine Sammlung von Stichen und Grafiken. So machte er lieber bei anderen Dingen Abstriche. Er hatte ein extrem sparsames Auto, kaufte seine Klamotten im Kaufhaus und flog im Urlaub nicht in die Karibik oder nach Asien, sondern fuhr mit dem Auto an die Mosel, an die Nordsee oder nach Italien. Das Einzige was er sich außer der Wohnung noch an Luxus gönnte, war gutes Essen und Trinken.

Marek fand einen Parkplatz direkt in der Nähe seiner Wohnung, was auch nicht immer der Fall war.

Gut gelaunt schloss er die Wohnungstüre auf, warf seine Jacke auf einen Stuhl neben der Garderobe, streifte seine Schuhe ab, kickte sie unter eben diesen Stuhl und ging fröhlich pfeifend in die Küche.

***

Die Küche alleine hatte schon die Dimension einer Zweizimmerwohnung in einem dieser hässlichen Plattenbauten, die als architektonische Blähungen seit den Sechzigerjahren die Peripherie der Stadt verunstalteten.

Seit dieser durch geknallte Franzose Le Corbusier meinte, ganz Paris in drei Hochhäusern unterbringen zu können, hatten sich die Architekten der Welt an seine Lippen gehängt, um die Metropolen dieser Welt mit solchen Betonklötzen zu veredeln.

In seinem alten Bosch-Kühlschrank aus den Fünfzigerjahren, einem Erbstück seiner Großeltern, fand er noch eine halbe Flasche Merlot und ein Schälchen Oliven. Beides nahm er mit ins Wohnzimmer und stellte es auf einen kleinen Beistelltisch. Dann legte er eine CD von Anna Oxa auf, holte sich ein Glas aus dem Schrank und warf sich auf sein Lieblingssofa.

Während er der Musik lauschte, den Wein austrank und sich mit Oliven vollstopfte, nahm sein Plan Gestalt an. Morgen würde er als Erstes sein Auto zu seinem Entenspezialisten nach Offenbach bringen. Der sollte das Auto auf Herz und Nieren durchchecken. Von da musste er halt mit der S-Bahn zum Präsidium fahren. Eigentlich hasste er öffentliche Verkehrsmittel aber morgen würde er eine Ausnahme machen. Am Nachmittag könnte Paul ihn mit dem Streifenwagen nach Offenbach bringen, um sein Auto wieder abzuholen. Mit dem Blaulicht hatte er auch keine Befürchtung in dem üblichen Freitag-Nachmittag-Stau hängen zu bleiben. Am Samstag würde er einkaufen was er noch so benötigte, dann seinen Koffer packen und am Sonntag ganz früh losfahren.

Nach Italien hatte er sich überlegt. Genauer gesagt nach Caorle, einem kleinen, beschaulichen und von der sommerlichen Touristeninvasion noch halbwegs verschonten Fischerstädtchen im Veneto.

***

Caorle blickt auf eine über zweitausendjährige Vergangenheit zurück. Gegründet als Vorhafen des römischen Stützpunkts Iulia Concordia wurde Caorle zur Blütezeit Venedigs eine der größten Städte Norditaliens. Später verlor es immer mehr an Bedeutung, bis es vor fünfzig Jahren zu einem der ersten Ziele des einsetzenden deutschen Massentourismus wurde, der sich aber heute glücklicherweise mehrheitlich auf die Nachbarorte Bibione und Lido di Jesolo verteilt.

***

In dieser Idylle, in der er jährlich seinen Urlaub verbrachte, hoffte er die Lösung seines Problems zu finden.

Es war zwar erst Anfang März, aber es war kein Schnee auf der Brennerautobahn zu erwarten.

Da fiel ihm siedend heiß ein, dass er noch kein Quartier hatte. Er musste unbedingt noch Angelina anrufen. Angelina, eine Bekannte Mareks, lebte zwar in Frankfurt hatte aber eine kleine Eigentumswohnung in Caorle, die sie ihm im Sommer für zwei Wochen überlies.

Marek wühlte auf seinem Schreibtisch in Stapeln von Papier nach der Telefonnummer.

„Nur das Genie beherrscht das Chaos“, sagte er sich, als er triumphierend einen kleinen, zerfledderten Zettel in die Höhe hielt … doch wo war jetzt das verdammte Telefon? Auf dem Schreibtisch stand eine leere Ladestation. Er drückte auf den Suchknopf und lauschte, ob er irgendwo das Piepen des Handapparates hören würde. Erst war alles stumm, doch dann meinte er im Hintergrund des Zimmers, dort wo seine Couch steht, etwas zu hören. Er ging dem Geräusch nach, sah unter alle Kissen und fand das Telefon schließlich in der Ritze zwischen Rückenlehne und Sitzkissen. Wer weiß, wie lange es da schon lag. Der Akku war jedenfalls ziemlich am Ende. Er würde sich kurzfassen.

„Ciao Angelina … du … danke, mir geht’s gut und dir? … Na, so was … du es ist dringend und mein Akku ist gleich leer … nein, ich kann nicht bis morgen warten … ich wollte dich fragen, ob ich die Wohnung nächste Woche haben kann … ja, es ist wichtig und ich erzähle dir alles, wenn ich zurück bin … versprochen … danke, du bist ein Schatz! … Ciao.“

So, das war geschafft. Die Schlüssel konnte er bei Angelinas Bruder in Caorle abholen. Zufrieden setzte er sich mit einer Dose gesalzener Erdnüsse vor den Fernseher und fing an sich mit der Fernbedienung durch die Programme zu arbeiten.

„Verdammt! Für was zahle ich eigentlich Gebühren?“, fluchte er bei dem, was ihm von den einzelnen Sendern so geboten wurde.

Entweder waren es irgendwelche bekloppten Talkshows, in denen sich irgendwelche geistig minderbemittelten Kids gegenseitig an die Wäsche gingen, oder diverse Herz-Schmerz-Soaps. Auch die Öffentlich-Rechtlichen waren nicht viel besser. Selbst der Sportkanal brachte abends nur noch stundenlange Pokerrunden oder hochintelligente Ratespiele mit leicht bekleideten, dickbusigen Moderatorinnen, die sich dann auch noch zu fortgeschrittener Stunde ihrer Oberteile entledigen.

„Ruf an … wir suchen Automarken mit A … es sind fünf Leitungen geschaltet … wenn du durchkommst gewinnst du drei Geldpakete … blah, blah, blah.“

Marek entschied, lieber eine DVD anzuschauen. Er wählte Jean-Jacques Beineix‘ Kultfilm Diva. Das war genau das, was er jetzt brauchte. Die Arie Ebben? Ne andro lontana aus Catalani‘s Oper La Wally verzauberte ihn immer wieder aufs Neue.

Anschließend ging er zufrieden mit sich und der Welt zu Bett.

***

Er saß auf der Kaimauer des kleinen Fischerhafens und winkte den ein- und ausfahrenden Fischern zu…

3

Am nächsten Morgen stand Marek gut gelaunt wie selten auf.

Nachdem er sich geduscht, rasiert und angezogen hatte, füllte er Espressopulver und Wasser in die Caffettiera und setzt sie auf den Herd. Ohne seinen Caffè war er morgens nur ein halber Mensch.

Als die Maschine anfing zu dampfen nahm er sie vom Herd, schenkte sich eine Tasse ein, löffelte großzügig Zucker dazu und zündete sich seine Morgenzigarette an.

Während er rauchte und seinen Caffè genoss, sah er auf die noch kahlen Bäume im Hof. Schwarz ragten die knorrigen Äste in den wolkenverhangenen, grauen Morgenhimmel. Es würde wieder so ein trüber Tag werden wie gestern und der Tag zuvor – eigentlich wie die Hälfte des Jahres in Deutschland.

***

Marek fuhr über die Stadtautobahn nach Offenbach und stellte seine Ente im Hof der kleinen Werkstatt ab.

Er hatte sich auf die Schnelle zwar keinen Termin holen können aber der Meister dieser Spezialwerkstatt für Oldtimer versprach, dass er sein Auto um fünf Uhr nachmittags wieder abholen könnte.

Zur nächsten S-Bahn Haltestelle musste er ein ganzes Stück laufen und er verfluchte sich insgeheim, dass er Paul nicht gebeten hatte ihn auch abzuholen.

Als die Bahn endlich kam, mit Verspätung wie immer, und er einstieg, wurde er in seiner Abneigung gegen öffentliche Verkehrsmittel wieder einmal bestätigt. Der Zug war rappelvoll und es stank erbärmlich nach Schweiß und anderen undefinierbaren Aromen. An einen Sitzplatz war nicht zu denken. Zwei Haltestellen weiter wurde es dann etwa leerer und er konnte jetzt einigermaßen bequem stehen.

Marek fing an die einzelnen Fahrgäste zu beobachten, und in Gedanken Persönlichkeitsprofile zu erstellen.

Der Mann rechts neben ihm war bestimmt Buchhalter oder Finanzbeamter mit Frau, drei Kindern, einem Hund, einem fast abgezahlten Reihenhaus und einer Geliebten, die er einmal wöchentlich immer exakt zur gleichen Zeit beglückte.

Und die Frau schräg gegenüber, die so lässig ihre übergroße Handtasche über die Schulter gehängt hatte und …

… und an der sich eben ein junger Schnösel in Bomberjacke und Baseballmütze sehr unauffällig zu schaffen machte.

Erst streifte er mit seinem Arm wie zufällig an der Tasche entlang, ein kurzer Blick, ein blitzschneller Griff hinein, wie eine fließende Bewegung, und in seiner Hand erschien ein Gegenstand, der wie eine Brieftasche oder eine Damengeldbörse aussah. Danach schlenderte dieser Kerl einfach weiter als wäre nichts gewesen.

„Ich wusste, warum ich nicht Bahn fahren wollte“, dachte Marek. Das gab wieder Arbeit, für die er gerade jetzt keine Zeit hatte.

Er stellte sich dem Schnösel in den Weg.

„Ich glaube du hast da etwas, das dir nicht gehört.“

„Hast du‘n Problem, Alter?“, erwiderte der und sah Marek herausfordernd an.

„Nö, aber du“, sagte Marek und wich geschickt einem als Heumacher angesetzten Schlag aus. Dabei packte er den Schlagarm, drehte ihn mit einem Ruck auf den Rücken, dass es in der Schulter krachte. Gleichzeitig packte er das Handgelenk und drückte die Handfläche mit beiden Daumen nach oben. Der Junge schrie vor Schmerz auf und ging in die Knie. Dabei fiel aus seiner schlaff runterhängenden anderen Hand die geklaute Geldbörse. Marek bückte sich und hob sie auf, ohne seinen Gefangenen dabei loszulassen.

„Ich ruf die Bullen“, jammerte der Schnösel.

„Ich bin die Bullen“, sagte Marek, „und du bist verhaftet, Arschloch.“

Der Vorfall war natürlich nicht unbeachtet geblieben. Alle Fahrgäste in diesem Abteil saßen oder standen mit offenen Mündern. Die näher am Geschehen waren, hatten Platz gemacht. Gaffen wollte jeder, reagiert hatte keiner. Soviel zum Thema Zivilcourage dachte Marek.

Als die Bahn endlich die nächste Haltestelle erreicht hatte, bat er die Bestohlene mit auszusteigen und auf dem Revier eine Aussage zu machen. Doch zu seiner Verwunderung wollte sie nur ihre Geldbörse zurück, für eine Aussage hätte sie keine Zeit. Kein Wort des Dankes.

Marek trieb es die Zornesröte ins Gesicht.

„Die Geldbörse nehme ich mit, das ist Beweismaterial. Die können Sie, falls Sie irgendwann einmal Zeit haben sollten, auf irgendeinem Revier abholen. Ihre Personalien brauche ich aber trotzdem noch.“

„Stehen in Ihrem Beweisstück“, erwiderte sie schnippisch.

Er ließ sie stehen und zerrte seinen Gefangenen, den er immer noch im gleichen Griff hielt, aus der Bahn. Draußen suchte er mit seiner freien Hand in seinen Taschen nach Handschellen, konnte aber keine finden. Die hatte er wohl in der Eile vergessen. Mit seinem Handy, das er glücklicherweise nicht vergessen hatte, rief er über die Einsatzzentrale einen Streifenwagen, der ihm seinen Ballast abnehmen sollte. Der Schnösel jammerte und fluchte vor sich hin.

„Halt die Schnauze sonst stampf ich dich ein!“, herrschte Marek ihn an. Ihm war die Laune für heute endgültig verhagelt.

Als der Streifenwagen endlich kam, für Marek eine gefühlte Ewigkeit, schob er das jammernde Bündel auf den Rücksitz, gab seinen uniformierten Kollegen einen Kurzbericht und drückte ihnen noch die Geldbörse in die Hand.

„Was haben Sie denn mit ihm gemacht?“, fragte einer der beiden. „Der sieht ja schlimm aus.“

„Ich hab ihn festgehalten, damit er nicht umfällt“, erwiderte Marek in bittersüßem Tonfall. „Ihr könnt ihn ja jetzt in Watte packen. Meinen Bericht bekommt ihr später. Ich hab jetzt keine Zeit.“

Damit ließ er die verdutzten Beamten stehen und marschierte los. Nach ein paar Hundert Metern blieb er stehen und sah sich um. Es war noch viel zu weit bis in die Stadt. Er rief Paul an, der ihn fünfzehn Minuten später einsammelte und zum Präsidium fuhr.

Unterwegs erzählte er Paul sein Erlebnis in der S-Bahn. Der lachte nur und meinte: „… und du musstest natürlich wieder deine Dirty Harry Nummer abziehen.“

Im Büro angekommen besorgte er sich zuerst einen Kaffee und ging dann gelangweilt einige Akten durch. Dabei sah er immer wieder auf die Uhr. Doch die Zeit wollte deshalb auch nicht schneller vergehen. Um halb fünf erschien Paul wie vereinbart, um ihn nach Offenbach zu fahren.

„Wann kaufst du dir endlich mal ein richtiges Auto?“, fragte Paul, als er ihn vor der Werkstatt absetzte.

„Kein negatives Wort über mein Auto“, lachte Marek.

Paul war der einzige Mensch, dem er solche Bemerkungen nicht übel nahm. Sie waren auch nicht ernst gemeint.

„Mach’s gut Alter. Bis übernächste Woche.“

***

„Das gute Stück ist bestens in Schuss“, empfing ihn der Meister. „Sie müssten nur gelegentlich mal nach dem Öl sehen. Da hat was gefehlt.“

Marek zahlte seine Rechnung, bedankte sich, wählte eine Kassette von Jimi Hendrix und fuhr vom Hof. Seine Laune besserte sich zusehends, als er seinen 2CV, begleitet von Purple Haze, durch den abendlichen Berufsverkehr nach Hause steuerte.

***

Als er seinen Kühlschrank öffnete, stellte er entsetzt fest, dass er nichts mehr Essbares im Haus hatte und Einkaufen hatte er ja erst für morgen eingeplant. Marek überlegte kurz, ob er noch mal ins l‘Angolo fahren sollte, aber richtige Lust hatte er keine. So ging er in den zwei Blocks entfernten Supermarkt und kaufte sich, entgegen jeder Überzeugung, eine Tiefkühlpizza und eine Flasche Wein.

Eigentlich wollte er ja noch Proviant für seinen Kurzurlaub einkaufen, aber dann ließ er es bleiben. In Caorle gibt es auch Supermärkte, bessere als hier meinte er, und wenn er unterwegs Hunger bekommen sollte, gab es ja Raststätten. Vor allem in den italienischen Autogrill bekam man leckere Tramezzini.

Zu Hause schob er die Pizza, deren Belag nicht gerade sehr viel versprechend aussah, in den Ofen und öffnete die Weinflasche. Bewaffnet mit der Flasche und einem Glas ging er ins Wohnzimmer und ließ sich auf das Sofa fallen. Beim ersten Schluck verzog er das Gesicht. Mit einem Sangiovese hatte dieser Wein höchstens den Namen auf dem Etikett gemein.

Die Pizza sollte nun auch fertig sein. Er ging in die Küche, nahm sie aus dem Ofen, legte sie auf ein rundes Holzbrett, schnitt sie in handliche Stücke und ging wieder zurück zu seinem Sofa.

Er war angenehm überrascht. Die Pizza schmeckte nicht schlecht. Der Boden war dünn und knusprig und der Belag war auch besser als er anfangs aussah. Die Marke musste er sich merken, dann könnte er sich gelegentlich auch mal selbst etwas in den Ofen schieben.

Marek kocht zwar leidenschaftlich gerne und auch gut, wie er meinte und seine Gäste auch bestätigten, aber das ging eben nur an seinen seltenen freien Tagen und nicht abends nach dem Dienst.

Nachdem er die Pizza vertilgt und mit einem Schluck Wein runtergespült hatte, zündete er sich eine Zigarette an und lehnte sich gut gelaunt und rundum zufrieden zurück und fing an zu träumen.

***

Er saß auf der Kaimauer des kleinen Fischerhafens, plauderte mit den Alten, die ihre Angeln im Hafenbecken ausgeworfen hatten, und genoss die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne …

4

„Warum eigentlich erst am Sonntag?“

Dieser Gedanke riss Marek abrupt aus seinem Traum. Er könnte ja eigentlich schon morgen fahren. Nur weil er es so geplant hatte, musste er ja nicht so lange warten.

Er sprang auf, lief ins Schlafzimmer, riss alle Schränke auf und fing an alles an Kleidung heraus zuziehen, von dem er meinte, es mitnehmen zu müssen. Jetzt brauchte er nur noch seine Reisetasche. Aber wo war sie? Er durchsuchte alle Schränke im Schlafzimmer – Fehlanzeige. Dann weitete er seine Suche auf Wohn- und Arbeitszimmer aus – wieder nichts. Er suchte auch noch in allen Küchenschränken – keine Tasche. Schon wollte er resigniert aufgeben als ihm einfiel, dass er noch nicht in der Vorratskammer nachgesehen hatte.

Diese alten Häuser hatten ja alle neben der Küche eine kleine Kammer, in der früher, mangels Kühlschrank, die Lebensmittel gelagert wurden.

Er hatte damals, als er einzog, ein Flaschenregal für seinen niemals vorhandenen Weinvorrat und ein weiteres Regal für Konserven eingebaut, in dem heute hauptsächlich Ersatzteile für sein Auto und diverse Werkzeuge lagerten.

Oben auf diesem Regal fand er dann auch seine Reisetasche.

„Immer schön zu wissen, wo man was hin räumt“, sagte er sich zufrieden und fing an zu packen.

Danach ging er zurück ins Wohnzimmer, legte eine CD mit Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 auf, einer tollen Einspielung mit Friedrich Gulda und den Wiener Philharmonikern unter Claudio Abbado, und setzte er sich mit einem Glas Wein, dem letzten für heute wie er sich vornahm, auf seine Couch.

Nachdem das Rondo verklungen war, ging er zu Bett und stellte seinen Wecker auf fünf Uhr. Das war früh genug, wenn er um sechs Uhr fahren wollte.

***

Am nächsten Morgen erwachte Marek noch bevor ihn sein Wecker mit seinem penetranten Gepiepse aus dem Schlaf reißen konnte.

Beschwingt stand er auf, nahm eine ausgiebige Dusche, setzte Caffè auf und kleidete sich an.

Während er am Küchentisch saß, Caffè trank und rauchte, sah er aus dem Fenster in die winterliche Dunkelheit des frühen Morgens und ging in Gedanken den Inhalt seiner Reisetasche durch, ob er auch nichts vergessen hatte.

Dann spülte er noch schnell die Caffettiera aus, damit der feuchte Trester während seiner Abwesenheit nicht verschimmelte, nahm im Flur seine Reisetasche und verschloss die Wohnungstür.

Die Tasche verstaute er auf dem Rücksitz, atmete noch einmal tief durch und fuhr los.

Unterwegs fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, zu tanken. Er warf einen Blick auf die Tankanzeige. Der Zeiger pendelte so um die Mitte herum. Da diese Anzeige aber eher die Wasserstandsmeldung des Mains als den aktuellen Benzinstand anzeigte, entschloss er sich an der nächsten Tankstelle noch einmal vollzutanken.

Als er dann endlich auf der A3 Richtung München unterwegs war, fühlte Marek sich richtig wohl. Daran konnte auch das ewige Drängeln und die Lichthupen der meisten anderen Verkehrsteilnehmer nichts ändern, die ihm damit zeigen wollten, was sie von seinem Auto hielten.

Als die Autobahn sich hinter Aschaffenburg auf zwei Fahrspuren verengte, tauchte in seinem Rückspiegel wie aus dem Nichts eine große Limousine auf. Obwohl die linke Fahrspur völlig frei war, fuhr dieser Wagen auf Tuchfühlung und im Zickzack hinter Marek her und blendete ununterbrochen auf. Plötzlich scherte der Wagen aus, fuhr haarscharf an ihm vorbei, scherte Zentimeter vor der Ente wieder ein, bremste abrupt ab, um dann mit Vollgas in der Dunkelheit zu verschwinden.

Normalerweise wünschte Marek sich in solchen Situationen, die er schon zur Genüge schon erlebt hatte, seit er seinen 2CV fuhr, einen Raketenwerfer auf dem Dach, mit dem er solche Typen von der Straße pusten konnte.

Doch nicht heute. Heute war alles anders. So wollte er sich seine gute Laune durch nichts und niemanden verderben lassen.

Er wünschte sich nur, diesen Penner am nächsten Baum wieder zu sehen. Dann würde er langsam vorbeifahren und freundlich winken.

Bedrohlich und tief hingen die grauschwarzen Wolkenberge über den Baumwipfeln des Spessarts. So als würde der Himmel auf die Welt hinabstürzen.

Abschnittsweise regneten sich die Wolken in aller Heftigkeit aus. Dann war von der Außenwelt nichts mehr zu sehen. Nur noch Dunkelheit und Wassermassen, die vom Scheibenwischer des betagten 2CV nicht mehr bewältigt werden konnten, zumal es nur eine Geschwindigkeit und keine Intervallschaltung gab. Nur an und aus.

Langsam schlich die Ente die Steigungen hinauf. Marek musste in den dritten Gang zurückschalten. Für die siebenundzwanzig PS seines Autos waren die Anstiege doch zu lang und zu heftig.

Nach gut zwei Stunden Fahrt durch Regen und Dunkelheit sah er endlich die Lichter von Würzburg vor sich auftauchen.

Noch ein kurzer Anstieg und dann hatte er es geschafft. Dann konnte er es rollen lassen.

Einen Moment überlegte Marek, ob er im Rasthof am Ende der Steigung eine Pause einlegen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder.

Er wollte noch ein Stück weit kommen. Vielleicht war weiter im Süden das Wetter besser und er liebte es, in den anbrechenden Morgen hinein zu fahren.

Aber auch als er durch den Steigerwald Richtung Nürnberg fuhr wurde das Wetter nicht besser.

Nach einer weiteren Stunde, er hatte Nürnberg schon weit hinter sich gelassen, sah er, dass der Zeiger der Tankanzeige langsam gegen null pendelte. Das konnte bedeuten, dass der Tank fast leer war, aber auch, dass sich noch zehn Liter darin befanden.

Marek wollte es gar nicht so genau wissen und außerdem meldete sich der kleine Hunger. So beschloss er, seine erste Rast in Greding einzulegen.

An der Raststätte fuhr er auf den fast leeren Parkplatz und betrat die ebenfalls fast leere Gaststube.