Nolde sehen und sterben - Volker Jochim - E-Book

Nolde sehen und sterben E-Book

Volker Jochim

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Beschreibung

Marek besucht seine Freunde in Frankfurt. Bei einem gemeinsamen Museumsbesuch entdecken sie die Leiche eines Kunstdetektivs, drapiert wie der vitruvianische Mensch von Leonardo da Vinci. Hat das eine Bedeutung? Marek beginnt zu ermitteln. Eine Spur führt nach Venedig zu einem bekannten und renommierten Kunstsammler. Da geschieht ein weiterer Mord. Ein Maler wird in seinem Atelier in Venedig erstochen. Gibt es Parallelen zu dem Mord im Museum?

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Volker Jochim

Nolde sehen und sterben

Kommissar Marek und die Kunst

Kommissar Mareks sechster Fall

Kriminalroman

© 2018 Volker Jochim

Umschlag, Illustration: tredition,

Volker Jochim (Foto)

Verlag und Druck: tredition GmbH,

Halenreie 42, 22359 Hamburg

1.Auflage

ISBN

Paperback

978-3-7469-2304-8

Hardcover

978-3-7469-2305-5

e-Book

978-3-7469-2306-2

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

1

Es war Mitte August und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite. Täglich lachte die Sonne von einem wolkenlosen, blauen Himmel und die Temperaturen kletterten schon am Vormittag auf tropische Werte. Während die Bauern im Hinterland wegen der Hitze und der anhaltenden Trockenheit jammerten, rieben sich die Hoteliers und Restaurantbesitzer in Caorle die Hände. Ein seit Jahren nicht mehr dagewesener Ansturm von Touristen, vorwiegend aus Österreich und Deutschland, hatte die kleine Stadt fest im Griff. Selbst an den wenigen freien Strandabschnitten, die nicht gerade zu einem Hotel gehörten, war kaum noch ein Stehplatz zu finden. Auch dort lagen die sonnenhungrigen Fremden, mit ihren ölig glänzenden und von der Sonne verbrannten, feuerroten Körpern, wie die Sardinen in ihrer Büchse. Sollte doch noch irgendwo ein kleines Fleckchen Sand frei sein, wurde es umgehend von den lieben Kleinen der Sonnenanbeter in Besitz genommen, die dann feine Löcher gruben, in denen man sich trefflich die Beine brechen konnte, falls man nicht ununterbrochen nach unten schaute. Oder aber sie bewarfen sich gegenseitig mit dem feinen Sand, der sich dann auf den eingeölten Körpern der Eltern festsetzte und sie wie ein paniertes Schnitzel aussehen ließ. Dies führte dazu, dass die lieben Kleinen eine Tracht Prügel bezogen, was wiederum in ein sirenenartiges Geheul mit der Lautstärke einer Kreissäge mündete. Das ganz normale Strandleben also.

***

Marek hatte vor ein paar Tagen mit Silvana und Michele Ghetti, sowie dessen neuer Freundin Chiara seinen Geburtstag gefeiert. Eigentlich lehnte er es seit Jahren schon ab, das Älterwerden auch noch zu feiern, aber Silvana hatte ihn überredet diesen Tag in Rosangelas Trattoria gebührend zu begehen. Also willigte er ein. Was blieb ihm auch anderes übrig und als Rosa die köstlichen Speisen auftischte, war alles vergessen. Als Vorspeise gab es caparosso’li dazu einen Pinot Grigio del Piave. Danach bisato su l’ara, eine Spezialität aus Murano, mit Polenta. Als Desert gab es Käse und Obst und zu Caffè und Grappa servierte Rosa noch baico’li, die sie extra in Venedig besorgt hatte. Nach diesem Essen war er froh nachgegeben zu haben, denn es wurde noch ein schöner, langer und feuchtfröhlicher Abend.

***

Bereits am Nachmittag hatten ihn nacheinander seine Freunde aus Frankfurt angerufen, um ihm zu gratulieren. Bei dieser Gelegenheit hatte ihn Jakob Jung gefragt, wann er denn einmal wieder in die alte Heimat käme. Versprochen hätte er es ja schon mehrfach, nur bis dato noch nicht gehalten. Aus einer plötzlichen Laune heraus sagte er zu, in der folgenden Woche sein Versprechen einzulösen und nach Frankfurt zu kommen.

Silvana war davon nicht gerade begeistert, zumal er vorhatte mit seinem alten Lada Niva zu fahren und sie der Meinung war, dass er es mit diesem altersschwachen Gefährt nicht einmal bis zur italienischen Grenze schaffen würde.

***

Marek überlegte noch, ob er die kürzere Strecke über Udine, oder die längere über Verona nehmen sollte. In einem Anflug von Sentimentalität entschied er sich für letztere, da dies die Strecke war, auf der er damals bei seinem Umzug nach Caorle kam.

Am späten Montagabend fuhr er, nach fast sechszehn stündiger Fahrt mit fünf Tankstopps, in die Garage eines zentral gelegenen Hotels in der Frankfurter Innenstadt. Im Gegensatz zu seiner früheren Ente brauchte er für dieses Auto bei längeren Strecken wohl einen eigenen Tankwagen.

Nachdem er eingecheckt hatte, rief er sofort Silvana an, um sie über seine unversehrte Ankunft zu informieren. Ihre Erleichterung konnte er förmlich durch das Telefon spüren. Anschließend meldete er Jakob seine Ankunft. Der wollte sofort mit Paul Krüger, seinem alten Kumpel, den er noch von der Polizeischule her kannte, auf einen Schlummertrunk vorbeikommen, doch Marek war müde und hatte nur noch das Bedürfnis zu schlafen. Also verabredete man sich für den nächsten Morgen zum Frühstück im Hotel.

Er ging hinauf in sein Zimmer, zog sich aus und warf sich auf das Bett, was ächzend gegen diese Behandlung und sein Gewicht protestierte. Die Temperaturen waren in Frankfurt bei weitem nicht so hoch wie in Caorle und so fiel er gleich in einen festen und traumlosen Schlaf.

***

Als Marek am nächsten Morgen frisch und erholt den Frühstücksraum betrat, grinsten ihm schon die Gesichter seiner beiden Freunde von einem Tisch in der hinteren Ecke entgegen. Er wurde sofort freudig begrüßt, umarmt und geherzt, als hätte man sich seit ewigen Zeiten nicht mehr gesehen. Dabei war der Besuch der beiden bei ihm in Caorle gerade einmal ein Jahr her.

„Nun erzähl schon, wie geht’s dir?“, fing Paul sofort an, ihn auszufragen.

„Darf ich mich erst einmal setzen und einen Kaffee trinken?“

„Aber selbstverständlich. Setz dich hierhin. Wir haben auch schon Frühstück besorgt.“

„Habt ihr auch noch etwas auf dem Büfett gelassen?“, grinste Marek, als er auf den Tisch sah.

Dort stand ein Teller mit Wurst, einer mit Käse, mehrere Schälchen mit Marmelade und zwei Teller mit Brötchen und Croissants.

„Aber sicher, nur den Kaffee muss man sich selbst an der Maschine dort holen. Kaffee in Kännchen gibt’s wohl nicht mehr.“

„Ihr seid schon versorgt, wie ich sehe.“

„Ja, wir wussten ja nicht wann du kommst.“

Marek ging zu der großen Kaffeemaschine, stellte eine Tasse unter den Auslauf und drückte auf den Knopf, auf dem eine kleine Tasse abgebildet war. Das Mahlwerk setzte sich in Gang um kurz darauf schon wieder zu verstummen. Dann floss eine Flüssigkeit in seine Tasse, die das Aussehen von abgestandenem Spülwasser hatte. Er verzog angewidert das Gesicht, als er daran gerochen hatte. Willkommen in Deutschland.

„Bei den Hotelpreisen könnte man ja etwas anders verlangen“, maulte er, als er wieder bei seinen Freunden am Tisch saß.

„Mit ausreichend Zucker und Milch kann man ihn trinken“, meinte Jakob und legte sich zwei Scheiben Wurst und eine Scheibe Käse auf ein halbes Brötchen.

„Nun erzähl mal, wie ist es dir ergangen?“, drängte Paul.

„Mir geht’s soweit gut“, erwiderte Marek, „aber wo ist eigentlich der Doc?“

„Der lässt sich entschuldigen. Er hat heute Vormittag eine wichtige Autopsie durchzuführen und der Staatsanwalt wollte keine Verschiebung dulden.“

„Schade. Kann man nichts machen.“

Dann musste er ausführlich über die letzten drei Fälle berichten, an denen er mitgearbeitet hatte. Den Fall der verbrannten Leiche im Dreikönigsfeuer am Strand von Caorle, der ihn seine geliebte Ente und fast das Leben kostete, den Fall des deutschen Arztes, der auf unvorstellbare Weise die Leiche seiner Tochter entsorgen wollte und erst vor kurzem den Fall eines Rachefeldzugs mit einem Mörder, der sich für den Erzengel Gabriel hielt.

„So, jetzt wisst ihr alles, und wie sieht es bei euch aus?“, fragte er, als er seinen Bericht beendet hatte.

„Es macht keinen Spaß mehr, seit du weg bist“, winkte Jakob ab. „Dein Nachfolger ist ein borniertes Arschloch. Er meint, mir ständig Befehle erteilen zu können.“

„Da ist er ja wohl bei dir an der richtigen Adresse“, lachte Marek.

„Schon, aber bei mir ist schon zweimal die Innere aufgetaucht, weil dieser Idiot behauptet hat, ich würde Ergebnisse absichtlich zurückhalten. Ich mache Dienst nach Vorschrift. Halt nicht so, wie bei dir damals.“

„Das waren noch Zeiten“, ergänzte Paul mit Resignation in der Stimme.

„Lasst uns von etwas erfreulicherem reden. Was wollen wir unternehmen? Habt ihr vielleicht schon etwas vor?“

„Ja, wir dachten, da du immer so gerne ins Museum gegangen bist, gehen wir heute ins Städel. Da wird morgen offiziell eine Nolde Retrospektive eröffnet. Ich dachte, das würde dich interessieren, zumal sich ja an Emil Nolde die Geister scheiden.“

„Ja sicher interessiert mich das, aber was machen wir heute im Städel, wenn die Ausstellung erst morgen eröffnet wird?“

Jakob Jung konnte sich ein verschmitztes Grinsen nicht verkneifen.

„Tja, da ich Fördermitglied des Städel bin, komme ich, natürlich auch mit den anderen Mitgliedern, in den Genuss einer exklusiven Sonderführung, bevor morgen der Ansturm losbricht. Und Gäste darf ich auch mitbringen. Da können wir uns in aller Ruhe die Ausstellung ansehen.“

„Prima!“, freute sich Marek. „Dann lasst uns gehen. Das heißt, wenn ihr fertig gefrühstückt habt.“

„Wir haben noch etwas Zeit“, beeilte sich Jakob zu sagen, „Paul, bringst du mir bitte noch einen Kaffee mit, wenn du eh gehst?“

Dann nahm er sich noch ein Brötchen und belegte es wieder großzügig mit Wurst und Käse.

Dieses Frühstück hier war für Marek nicht genießbar. Er würde sich unterwegs noch etwas besorgen. Wurst und Käse waren offenbar Aufschnitt vom Discounter. Die Brötchen waren aufgebacken und schmeckten nach Pappe und der Kaffee war eine ungenießbare Spülbrühe. Unglaublich, wie seine Freunde dieses Zeug in sich hinein stopfen konnten.

2

Der Himmel war milchig weiß und die schon recht hochstehende Sonne warf ein gleißendes Licht auf die Wolkenkratzer des Bankenviertels. Marek ließ seinen Blick über die Skyline seiner Heimatstadt gleiten, als sie gerade den Main in Richtung Sachsenhäuser Museumsufer überquerten. Nein, das war nicht mehr seine Stadt. Diese Glastürme des Turbokapitalismus erdrückten alles schöne, was diese Stadt einmal für ihn ausgemacht hatte. Selbst ein so wunderbares, monumentales Bauwerk wie der Kaiserdom, mit seinen fast einhundert Metern Höhe, sah dagegen aus, wie ein achtlos weggeworfenes Spielzeug. Nein, es kam keine Wehmut auf. Er bereute es nicht, nach Caorle gezogen zu sein, selbst wenn dort, dank EU und Globalisierung, mittlerweile auch schon negative Einflüsse zu bemerken waren.

Wie üblich war im Umkreis des Museums wieder einmal kein Parkplatz zu finden. Notgedrungen mussten sie zum nächsten Parkhaus fahren und die fünfzehn Minuten Fußweg zum Museum auf sich nehmen.

Vor der Treppe zum Eingang wartete schon eine größere Gruppe von Menschen unterschiedlichster Couleur. Einige in eleganten Anzügen und ihre Frauen im kleinen Schwarzen und mit Schmuck behängt wie ein Weihnachtsbaum. Im krassen Gegensatz dazu einige andere im zerknitterten Leinensakko und Jeans oder bunten, langen Kleidern, welche an die späten sechziger Jahre erinnerten.

Da bis zur Führung noch etwas Zeit war, steckte sich Marek eine Zigarette an und Jakob erklärte ihm, dass für diese Retrospektive alles an Werken von Nolde zusammengetragen werden konnte, was überhaupt möglich war. Ein Teil der Ausstellung sei sogar ausschließlich den ungemalten Bildern gewidmet. Dies wiederum konnte Paul nicht verstehen.

„Wie kann man Bilder ausstellen, die nicht gemalt wurden?“

Jakob erklärte ihm kurz, was es damit auf sich hat. Dass Noldes Werk, trotz seiner Mitgliedschaft in der NSDAP, von den Nazis zu entarteter Kunst erklärt und er mit einem Malverbot belegt wurde.

„…so malte er heimlich kleine Aquarelle auf Japanpapier. Man spricht von über tausend Bildern. Ungemalte Bilder, da sie ja nicht existieren durften.“

Den Rest würde er ja bei der Führung sehen. Dann war es soweit. Wie auf ein geheimes Kommando setzte sich die Gruppe in Bewegung und ging nach oben ins Foyer, wo sie von dem Kurator der Ausstellung begrüßt wurden. Nach ein paar einleitenden Worten, bat er dann die ausgesuchte Besuchergruppe ihm zu folgen.

Das erste, was Marek auffiel war, dass sein geliebter Goethe fehlte. Im ersten Ausstellungsraum hing sonst Tischbeins Monumentalgemälde Goethe in der Campagna genau gegenüber dem Eingang und war natürlich ein Blickfang. Nun wurde es wohl vorübergehend durch andere Werke ersetzt.

Der Kurator gab in den nächsten Räumen ein paar erklärende Hinweise zu Werken von Noldes Kollegen aus der Künstlergruppe Die Brücke, wie Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff, deren expressionistische Werke dort auch zu bewundern waren. Dann ging es durch einen Raum, in dem eine Verkaufstheke für Ausstellungskataloge und diversen Nippes mit Nolde Motiven aufgebaut war, in einenschmalen Gang zum neueren Westflügel, in dem die Sonderausstellungen untergebracht waren. Schon über der Tür war Marek ein kleiner Streifen eines orangefarbenen Netzes aufgefallen, das sich nun an der Decke des Gangs fortsetzte. Auf den ersten Blick schien dieses Netz aus Plastik zu bestehen und hatte an einigen Stellen dunkle Flecken, als ob jemand erfolglos versucht hatte es abzufackeln. Die Erklärung kam in Form eines kleinen Hinweisschilds an der Wand, was dem staunenden Besucher erklärte, dass es sich dabei auch um ein Kunstwerk, und bei den dunklen Flecken um zum Kunstwerk gehörendes Graffiti handelte.

Der Kurator bat die Gruppe eine Treppe hinunter und in einen weiteren Gang, an dessen linker Seite sich eine Brüstung befand, hinter der eine weitere kleine Treppe nach unten führte. An dieser Treppe hielt er an.

„Meine sehr verehrten Damen und Herren. Kommen wir nun zu der einmaligen Ausstellung von Werken Emil Noldes, die es in diesem Umfang wahrscheinlich so nicht wieder geben wird. Es ist uns gelungen sein umfassendes Werk mit Leihgaben der Nolde Stiftung, privater Sammler und anderer Museen, und natürlich auch aus unserem eigenen Fundus, in dieser Ausstellung zusammenzuführen.“ Marek beugte sich über die Brüstung und sah nach unten. In das grau-weiße Schachbrettmuster des Bodens der kleinen Vorhalle war ein weißes Rondell eingearbeitet, das von sechs weißen Säulen eingerahmt wurde. Und mitten in diesem Rondell lag eine Gestalt, die wie der vitruvianische Mensch von Leonardo da Vinci drapiert war. Nur mit dem kleinen Unterschied, dass diese Gestalt hier bekleidet war. Und tot war sie offensichtlich auch. Ein großer, roter Fleck hatte sich auf dem Hemd der Gestalt ausgebreitet, bei der es sich zweifellos um einen Mann von etwa fünfzig Jahren handelte.

„Entschuldigen Sie bitte“, unterbrach Marek den Vortrag, „aber das da unten sieht eher wie ein Werk von Joseph Beuys aus, als eins von Nolde, oder?“

Der Kurator stockte irritiert in seiner Ansprache und eine Frau mittleren Alters, in einem schwarzen Cocktailkleid mit Pailletten, die sich neugierig über die Brüstung gebeugt hatte, schrie hysterisch auf. Dann drängte es die ganze Gruppe zur Brüstung und ein wildes Stimmengewirr folgte.

„Mein Gott“, murmelte der Kurator und fasste sich an die Stirn.

„Der wird ihm auch nicht mehr helfen können“, erwiderte Marek, „der Mann ist offenbar tot.“

Kaum gesagt, wollten plötzlich alle nach unten laufen, um sich das bizarre Geschehen aus der Nähe zu betrachten. Vielleicht dachten auch einige an eine künstlerische Performance.

„Stopp!“, brüllte Marek. „Niemand geht da runter bevor die Polizei alles aufgenommen hat und da wir von der Polizei sind, fangen wir auch schon einmal damit an, bevor die Kollegen kommen.“

Ein Grummeln ging nun durch die Gruppe.

„Können Sie sich denn ausweisen?“, fragte der Kurator, dem die Sache sehr suspekt erschien. Marek stieß seinen Freund Paul in die Seite.

„Du hast doch hoffentlich deinen Dienstausweis dabei?“, raunte er ihm zu.

„Ja, aber wir sind doch privat hier.“

„Scheiß drauf! Mach schon.“

Widerwillig zog Paul seinen Ausweis aus der Tasche und hielt ihn in die Höhe.

„Polizeihauptmeister Paul Krüger. Dies hier sind Jakob Jung von der Kriminaltechnischen Abteilung und …“

Ein weiterer Stoß in die Rippen brachte ihn dazu den Satz zu vollenden.

„… und Hauptkommissar Robert Marek. Ich muss Sie bitten das Museum nicht zu verlassen. Später werden Ihre Aussagen aufgenommen. Sie können so lange in einem der vorderen Ausstellungsräume Platz nehmen. Bis unsere Kollegen eintreffen, werden wir eine erste Untersuchung vornehmen. Danke.“

Murrend verzog sich die Gruppe in zwei Ausstellungsräume, in denen es Sitzgelegenheiten gab. Unterdessen stiegen Marek und seine Freunde die Treppe hinunter, um die skurrile Situation aus der Nähe in Augenschein zu nehmen.

„Ich muss die Kollegen informieren“, meinte Jakob, „bis die hier sind haben wir noch genügend Zeit.“

„Das mach ich schon“, erwiderte Krüger, „seht ihr zu, was ihr rausbekommen könnt, bevor die ganze Kavallerie hier auftaucht.“

Marek machte mit seinem Handy schnell ein paar Fotos, dann fing Jung vorsichtig an, die Gestalt am Boden näher zu untersuchen. Dabei vermied er es tunlichst eigene Spuren zu hinterlassen. Schließlich hatte er offiziell frei. Marek überprüfte inzwischen den Raum auf mögliche Spuren der Tat.

Krüger war nach oben gegangen, um seine Freunde rechtzeitig informieren zu können, wenn die Kollegen eintrafen.

„Ich bin soweit fertig, Robert.“

„Und, was hast du gefunden?“

„Der Mann ist etwa Anfang fünfzig. Er hat eine Kopfverletzung am Hinterkopf mit einem möglichen Schädelhirntrauma, und er hat eine Stichverletzung in der Brust. Beides könnte die Todesursache sein. Da es nur wenig Blut gibt, wurde er entweder woanders umgebracht, oder er ist hier innerlich verblutet. Der Stich liegt im Bereich des Herzens, wäre also möglich.“

Sie setzten sich auf eine weiße Bank. Hier war alles in Weiß gehalten und machte einen kalten, unpersönlichen Eindruck.

„Deine Theorie könnte stimmen. Ich habe Blutspuren an der unteren Kante der Treppenbrüstung gefunden. Jemand hat versucht sie eiligst abzuwischen, aber auf der weißen Farbe ist das nicht möglich. Entweder er ist mit dem Kopf dort aufgeschlagen, nachdem er den Stich bekam, oder er wurde gegen die Kante gestoßen und dann abgestochen, als er schon bewusstlos auf dem Boden lag.“

„Bleibt noch …“, weiter kam er nicht, denn Krüger erschien oben an der Treppe.

„Sie sind da.“

„Wer hat die Leitung?“, wollte Jakob wissen.

„Hauptkommissar Schulthe.“

„Scheiße!“, brummte Marek.

„Kennst du den?“

„Ja. Ein dämliches, korruptes Arschloch. Seit wann ist der beim Mord? Früher war er bei der Sitte. Der sieht nicht einmal einen Mörder, wenn er mit der blutigen Tatwaffe vor ihm steht und mit einem Geständnis winkt.“

„Na dann viel Vergnügen.“

Es wurde laut. Eine kleine Gruppe in weißen Plastikanzügen und mit Alukoffern kam die Treppe hinunter. Sie begrüßten kurz Jakob Jung und fingen dann an zu arbeiten. Es wurden Fotos gemacht, nach Fingerabdrücken und anderen Spuren gesucht. Kurze Zeit später waren die weißen Wände, die weißen Fliesen des Bodens, die weißen Säulen und die weiße Bank mit grauem Grafitpuder übersät.

„Marek! Ich fasse es nicht!“

Ein Mann kam langsam die Treppe hinunter. Mit seiner grünen Hose, dem roten Sakko und dem, bis fast zum Bauchnabel aufgeknöpften, weißen Hemd sah er aus, wie die Karikatur eines Zuhälters. Dazu trug er elegante, hellbraune Slipper mit einer Goldschnalle.

„Ich dachte, die hätten dich vor Jahren endlich aus dem Verkehr gezogen.“

„Du mich auch“, knurrte Marek. Den Rest seiner Antwort verkniff er sich.

„Ihr habt hoffentlich nichts angefasst.“

„Natürlich nicht. Wir haben brav gewartet, bis der große Meister kommt. Im Gegensatz zu dir wissen wir, wie man sich an einem Tatort verhält.“

Marek merkte, wie sein Blutdruck langsam in ungesunde Höhen stieg. Schulthe hingegen tat so, als hätte er nichts gehört.

„Ah, der Herr Jung ist auch da. Sieh an, sieh an. Dann muss der da hinten wohl der Krüger von der Streife sein. Da haben wir ja das gesamte Dream Team zusammen.“

„Für Sie immer noch Herr Krüger“, beschwerte sich Paul.

„Gebt eure Aussagen dem Kollegen da hinten zu Protokoll und dann verschwindet.“