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Dr. Benjamin Weston war außer sich vor Freude. Er war Großvater geworden. Seine Tochter Marjorie hatte in Washington ein Mädchen zur Welt gebracht, eine kleine Alice von knapp sechs Pfund. Doc Weston hatte die freudige Nachricht gerade erhalten und platzte fast vor Stolz. Doch leider konnte er sein Glück mit niemandem teilen. Auch nicht mit Bonny McCain, seiner Geliebten.
Kein Mensch durfte erfahren, dass er, der nomadisierende Westentaschendoktor, der Vater der Schwiegertochter des amerikanischen Präsidenten war. So war es abgemacht.
Jetzt wollte Marjorie, dass er sie und das Baby besuchte. Aber wie sollte er Bonny das erklären? Sie hing wie eine Klette an ihm...
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Doc Weston in der Falle
Vorschau
Impressum
Doc Weston in der Falle
von Tom Hogan
Dr. Benjamin Weston war außer sich vor Freude. Er war Großvater geworden. Seine Tochter Marjorie hatte in Washington ein Mädchen zur Welt gebracht, eine kleine Alice von knapp sechs Pfund. Doc Weston hatte die freudige Nachricht gerade erhalten und platzte fast vor Stolz.
Doch leider konnte er sein Glück mit niemandem teilen. Auch nicht mit Bonny McCain, seiner Geliebten.
Kein Mensch durfte erfahren, dass er, der nomadisierende Westentaschendoktor, der Vater der Schwiegertochter des amerikanischen Präsidenten war. So war es abgemacht.
Jetzt wollte Marjorie, dass er sie und das Baby besuchte. Aber wie sollte er Bonny das erklären? Sie hing wie eine Klette an ihm ...
Bonny McCain spürte, dass Doktor Ben ihr etwas verheimlichte.
Sie war nicht nur eine sinnliche, sondern auch eine sehr gefühlvolle und überaus sensible Frau. Sie und Ben kannten sich zwar erst wenige Monate, aber die gebürtige Schottin hatte bereits einen untrüglichen Instinkt für das Seelenleben ihres Weggefährten entwickelt. Obwohl der Doktor zwanzig Jahre älter war als sie, liebte sie ihn mit jeder Faser ihres Körpers.
Doktor Ben war der Mann ihrer Träume. Sie würde herausbekommen, was er vor ihr geheim hielt, und wenn sie ihn hypnotisieren musste, um die Wahrheit aus ihm herauszukitzeln.
Bei dem Gedanken an Hypnose musste sie kichern.
Sie fuhren gerade auf dem holprigen Overland Trail, fünfzig Meilen nördlich von Wells Breck. Der Doktor lenkte den Einspänner, während Bonny neben ihm saß und scheinbar gelangweilt auf die Sandpiste blickte, die sich in Schlangenlinien vor ihnen herzog. Sie waren auf dem Weg zum Hudson Hole. Die Frau eines Ranchers namens Billy Cramer hatte Weston eine Nachricht zukommen lassen, dass er mal nach ihrem Mann sehen sollte. Er habe eine tiefe Entzündung, die seine Hand immer mehr anschwellen ließ. Doch Billy ignorierte die Sache und tat, als sei alles in bester Ordnung.
Aus ihren Augenwinkeln beobachtete Bonny den Mann neben sich. Über den Rücken des Pferdes hinweg spähte Weston unverwandt nach vorn.
Hin und wieder huschte ein fröhliches Lächeln über sein Gesicht.
Verdammt, worüber freut er sich?
Bonny konnte sich keinen Reim darauf machen. Es wurmte sie, dass sie im Dunkeln tappte. Deswegen entschied sie, einen netten, kleinen Vorstoß zu wagen. Es gab da ein Mittel, auf das Doktor Ben sehr positiv reagierte. Bonny öffnete unauffällig den obersten Knopf ihrer Bluse. Sie spürte, wie ihr Busen in dem knappen Mieder von einem warmen Windhauch gestreichelt wurde.
Prompt bekam sie eine Gänsehaut.
Sie atmete tief durch und sah zur Seite. »Doktor Ben?«
Er war so tief in seine Gedanken versunken, dass er erschrak, als sie ihn ansprach. »Ähm, ja, Bonny?«
Sie hakte sich bei ihm unter. »Mir tun alle Knochen weh«, sagte sie. »Wollen wir nicht eine Rast einlegen? Nur ein halbes Stündchen.«
Er sah ihr in die Augen.
»Deine Bonny hat Schmerzen.« Sie machte ein Hohlkreuz, sodass ihre Bluse weiter aufklaffte. »Große Schmerzen, Doktor Ben.«
Er grinste. »Ich kenne dich, meine Süße. Ich weiß genau, worauf es hinausläuft, wenn wir jetzt eine Pause einlegen.«
Sie mimte das Unschuldslamm. »Was meinst du?«
»Ich werde auf dem Rücken liegen, noch bevor ich die Feststellbremse angezogen habe.«
»Schäm dich!« Sie knuffte ihn gegen die Schulter. »Wie kann man nur so schlecht von einer Frau denken, die so selbstlos ist wie ich?«
Doc Weston gab keine Antwort. Er schüttelte die Zügel und spornte das Pferd zu einer schnelleren Gangart an.
Doch Bonny gab nicht auf. Sie wollte ihre weibliche Verführungskunst ausspielen, aber das konnte sie nur, wenn der Mann die Zügel aus der Hand legte.
»Ich muss mal«, quäkte sie.
»Wie? Was?« Weston starrte sie an.
»Pipi!« Sie verzog das Gesicht, presste die Knie gegeneinander und rutschte auf dem Sitz hin und her. »Bitte, Doktor Ben. Halt an, du willst doch nicht, dass ich mir ins Höschen mache, oder?«
Bonny Kriegslist funktionierte. Natürlich wollte Doktor Ben nicht, dass sie den Kutschsitz nässte.
Der Arzt erbarmte sich ihrer. »Brrr!« Er zog die Zügel gegen seinen Bauch.
Der Wagen kam ruckweise zum Stehen.
Bonny stemmte sich vom Kutschsitz und sprang auf die Erde. Mit geschürzten Röcken eilte sie durch das hohe Büffelgras hinter ein weit ausladendes Dornengestrüpp, an dem schwarze Früchte schillerten. Sie sah sich um, setzte sich dann auf einen abgeplatteten Findling und fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihr Haar. Auf Verdacht öffnete sie zwei weitere Knöpfe ihrer Bluse.
Mit Speck fängt man Mäuse, sagte sie sich. Na los, Doktor Ben, du alter Schwerenöter! Schau dir an, wie schön deine süße Bonny den Tisch für dich gedeckt hat.
Nachdem sie ihren zweischüssigen Derringer, den sie unter dem Rock bei sich trug, zurechtgerückt hatte, pflückte sie eine Blume und riss nacheinander alle Blüten aus. Doc Weston ließ auf sich warten. Ein weiteres Blümchen fiel Bonny zum Opfer.
Dann noch ein drittes.
Doc Weston blieb weg. Bonny kam das Spanisch vor. Nach einer Weile beschloss sie, nach ihm zu sehen.
Als sie hinter dem Strauchwerk hervorkam, sah sie ihn auf Knien am Wegrand kauern. Er hielt ein aufgeschlagenes Heft auf den Oberschenkeln und lachte leise.
Bonny raffte die Röcke und ging zu ihm.
Er nahm sie erst wahr, als sie neben ihm stand. »Huch, Bonny, hast du mich erschreckt!«
Sie blickte auf das Heft. »Was machst du da?«
»Hatte gerade einen Geistesblitz«, erwiderte er. »Bevor ich den vergesse, hab' ich ihn fix notiert.«
»Ein neuer Witz?«
»Yeah.« Er rückte seine Brille zurecht. »Sobald wir wieder in Wells Breck sind, schicke ich ihn an eine einschlägige Männerzeitschrift.«
Bonny ließ sich neben ihm dem nieder. Sie mochte seine Männerwitze, die manchmal heftig unter die Gürtellinie gingen. Früher, als sie noch in Wichita auf dem Strich ging, hatte sie einen Freier kennengelernt, der jeden Doc Weston-Witz, den er in den Zeitschriften fand, ausschnitt und in einem Album sammelte.
»Na los, Doktor Ben«, sagte sie. »Erzähl ihn mir. Lass deine Bonny nicht warten.«
»Er ist ziemlich...«
»Versaut?«
Doc Weston schob die Brille höher und nickte.
Bonny kicherte. »Leg schon los. Ich vertrage 'nen Stiefel, das weißt du doch.«
»O ja, das weiß ich.« Doc Weston schob seinen Hut in den Nacken. »Pass auf, meine Süße: Johnson kommt auf seine Ranch und schreit: Schatz, schnell, geh ins Schlafzimmer! – Die Frau freut sich sehr, da schon seit Monaten nicht mehr viel zwischen ihnen lief. Sie eilt ins Schlafzimmer. Johnson schreit vom Flur aus: Zieh dich schon aus! Ich komme gleich! – Die Frau denkt: Yeah, endlich wieder ein bisschen Bettgymnastik, und zieht sich schnell aus. Sie hört ihren Mann kommen. – Bitte, sagt er, mach mal einen Kopfstand vor dem Spiegel und spreize die Beine kopfüber zum Spagat. – Die Frau jubelt innerlich und denkt: Klasse! Endlich mal eine ausgefallene Stellung. – Endlich kommt Johnson, er kniet sich hinter sie und schaut kritisch über die gespreizten Beine in den dahinter liegenden Spiegel. – Tod und Teufel!, knurrt er. Die Jungs von der Shannon-Ranch hatten recht. Mir steht einfach kein Bart!«
Bonny boxte ihn kumpelhaft gegen die Schulter. »Beim Hoden des Manitou!«, rief sie aus. »Doktor Ben, ich hatte immer gedacht, dass keiner so verdorben ist wie Bonny McCain aus Wichita, aber spätestens jetzt weiß ich, dass ich in dir meinen Meister gefunden habe.«
Weston grinste. »Ein Kompliment aus deinem Mund bedeutet mir viel, Darling.«
Bonny beugte sich vor, sodass er einen guten Einblick in ihr Busenschaufenster bekam. »Wenn du magst, kannst du ein wenig Luft an meine Twins lassen.«
»Ach, Bonny...«
Sie kniff ein Auge zu. »Ich weiß, dass dir das gefällt.«
In dem Augenblick, als Weston das Heft aus der Hand legte, gab es in der Nähe einen peitschenden Knall.
Etwas schwirrte durch die Luft und bohrte sich wenige Inches neben Bonnys Füße in den Boden.
Eine Kugel!
»Achtung!« Bonny wirbelte herum. Blitzschnell gab sie Weston einen Schubs, sodass er der Länge nach auf den Bauch fiel.
»Wer zum Geier schießt denn hier?«, keuchte er atemlos.
✰
Schon im nächsten Moment wurde das Rätsel gelöst.
Aus dem Buschwerk am Wegrand traten zwei Männer hervor, beide hielten ihre Revolver in Hüftanschlag.
»Macht keinen Blödsinn, ihr zwei«, sagte der, aus dessen Waffe Rauch züngelte. »Rückt euren Zaster heraus, dann bleiben wir Freunde.«
Weston erkannte den Mann auf Anhieb – der Typ gehörte einstmals zur Bande von Dirty Johnny. Vor ein paar Wochen hatte Lassiter einen Teil der Mischpoke in einem Pullmanwagen aufgerollt und in die Hölle geschickt. Der bravouröse Coup dieses Draufgängers war noch heute ein beliebtes Thema in den Bars und Saloons der Umgebung.
Leider Gottes war Lassiter jetzt nicht zur Stelle.
Einmal mehr verspürte Doc Weston die Hilflosigkeit, die ihn jedes Mal befiel, wenn er in den Revolverlauf eines mordbereiten Desperados sah.
Bonny McCain war da mutiger. »Wir haben kein Geld«, sagte sie. »Ihr Jungs habt euch die Falschen ausgesucht.«
»Das wollen wir erst mal sehen.« Der größere Mann kletterte auf den Wagen. Er hob Westons Hebammenkoffer in die Höhe, öffnete den Verschluss und schüttelte den Inhalt auf den Boden. Skalpelle, Scheren, Pinzetten, alles purzelte wild durcheinander.
»Medizinische Instrumente«, erklärte Doc Weston. »Ich brauche sie für die Behandlung meiner Patienten.«
Als der Bandit sah, dass die Tasche tatsächlich nichts Wertvolles enthielt, fluchte er lästerlich.
Sein Spannmann war derweil zu Bonny getreten. Er gaffte die attraktive Rothaarige an, als wolle er sie mit Haut und Haaren verschlingen. Zum Glück hatte Bonny ihre Bluse rechtzeitig bis zum Hals geschlossen.
Dennoch hatte Doc Weston Angst um sie. Er fragte sich, wie weit die zwei Straßenräuber gehen würden. Sie waren angefressen, wegen der geringen Beute. In Westons Brieftasche waren nur ein paar Dollar gewesen. Würden die Mistkerle jetzt über Bonny herfallen, um ihr Mütchen an ihr zu kühlen?
Ein Bandit schwenkte das Stethoskop und schleuderte es mit einem Fluch weit von sich.
Sein Kumpan wandte sich dem Pferd zu.
Er lachte plötzlich. »Einen kräftigen Traber habt ihr zwei Quacksalber da. Der Gaul gefällt mir. Steht gut im Futter. Ihr habt sicher nichts dagegen, wenn wir uns das Pferd ausborgen.«
Weston biss die Zähne zusammen. Ohne Pferd und Wagen waren sie völlig hilflos. Bis zum Hudson Hole würden sie es zu Fuß kaum schaffen.
»Sieh mal, Brooks, der Wagen ist auch nicht übel«, sagte der zweite Mann.
»Stimmt, Jaffy.« Brooks rieb sein stoppeliges Kinn. »Eine flotte Kalesche, genau das Richtige für meiner Mutter Sohn.«
»Es ist aber unser Wagen«, sagte Bonny mit leiser, aber fester Stimme.
Doc Weston horchte auf. Er kannte den Unterton in Bonnys Stimme, und er wusste, dass sie unberechenbar war, sobald sie in die Enge getrieben wurde. Wenn sie außer Kontrolle geriet, konnte sie für ihr Umfeld sehr gefährlich werden. Westons Herz schlug schneller, als er ihr einen Blick zuwarf. Bonny stand am rückwärtigen Teil des Wagens, halb verdeckt von der Bordwand. Der Wind zauste ihr langes Haar.
Weston kniff mit den Augen. Was in aller Welt machte sie da?
Brooks und Jaffy achteten nicht auf sie. Voller Eifer nahmen sie gerade den Kutschwagen in Besitz. Brooks hatte seinen Colt ins Holster geschoben. Jaffys Schießeisen steckte im Hosenbund.
Die beiden Plagegeister waren leichtsinnig geworden. Sie glaubten, ein Landarzt und dessen Gehilfin wären keine ernstzunehmenden Gegner für sie.
»Ich brauche den Wagen, um zu meinem Patienten zu gelangen«, sagte Weston.
»Kauf dir einen neuen«, riet der Typ namens Jaffy.
Brooks saß bereits auf dem Kutscherbrett und löste die Zügel von der Feststellbremse.
Doc Weston war gespannt wie eine Harfensaite. Er spürte, dass etwas in der Luft lag. Bonny war auf einmal nicht mehr zu sehen. Offenbar sammelte sie die verstreuten Instrumente auf, die der Bandit aus dem Hebammenkoffer geschüttelt hatte.
»Lass uns die Kurve kratzen, Brooks!«, rief Jaffy und rückte seinen Hut zurecht. »Heute Abend gibt die Scharfe Annie in ihren Gemächern eine Party. Da will ich nicht zu spät kommen!«
Brooks griff nach der Peitsche und ließ die Enden laut knallen.
Der Wagen setzte sich in Bewegung.
»Platz da!«, brüllte Brooks Doc Weston an.
Der Arzt sprang zur Seite, stolperte und wäre um ein Haar hingefallen, doch in letzter Sekunde gewann er seine Standfestigkeit zurück.
Plötzlich sah er Bonny – und er fuhr bei ihrem Anblick zusammen. Das Gesicht der jungen Frau war nicht wiederzuerkennen. Es war zu einer Maske erstarrt.
Langsam griff Bonny mit einer Hand unter ihren Rock.
Im nächsten Moment hielt sie ihre zweischüssige Pistole in der Hand. Die Banditen blickten über das Pferd hinweg nach vorn auf den Trail. In Gedanken waren sie wohl schon bei der Scharfen Annie. Sie hatten keinen Blick für Bonny übrig.
Der größte Fehler ihres Lebens!
Westons Herz hämmerte wie der Stößel in einer Turmglocke. Er sah, wie seine Gefährtin sich gemächlich in Bewegung setzte. Bonny ging einige Schritte neben der langsam rollenden Kutsche her.
Die Wegelagerer würdigten sie keines Blickes.
»Ich werde die Scharfe Annie von hinten nehmen«, lachte der Mann, der Jaffy hieß.
»Erst nachdem ich mit ihr fertig bin«, quäkte sein Kumpan.
»Vergesst es!«, rief Bonny. Sie brachte die Pistole in Anschlag. »Schaut mal, was ich da habe!«
Die Banditen rissen die Köpfe herum.
Aus dem Derringer flammte Mündungsfeuer.
In Brooks' linker Hemdbrust erschien ein hässliches Loch. Er sank zur Seite und fiel auf den Schoß seines Beifahrers. Jaffy brüllte wie ein Kalb, das mit einem glühenden Brandeisen Bekanntschaft machte. Er wollte Brooks' leblosen Körper abschütteln, um nach seinem Colt zu greifen.
Doch Bonny McCain hatte bereits die zweite Kugel auf die Reise geschickt.
Mit lautem Knall fuhr das Geschoss Jaffy in die rechte Wange und trat aus der linken wieder aus.
Der Bandit blickte starräugig auf die rauchende Waffe in der Faust der kaum mittelgroßen Frau.
»Es ist unser Wagen«, sagte Bonny zu ihm.
»Du... du verdammte Hexe...!« Jaffy langte nach dem Schießeisen im Holster seines sterbenden Kumpans. Er stieß blubbernde Laute aus. Aus seinem Mund und den zwei Schusswunden in den Wangen sickerte Blut und tropfte auf den Kragen seiner Jacke.
Bonny war noch nicht fertig mit ihm. Mit einem Satz sprang sie auf dem Wagen.
Doc Weston stockte der Atem. Was er da mit ansehen musste, war unfassbar. Bonny hatte sich in eine rasende Bestie verwandelt. Urplötzlich hielt sie das rasiermesserscharfe Skalpell in der Hand, mit dem er chirurgische Eingriffe vornahm.
Jaffy brüllte vor Wut, während er Brooks' Revolver auf Bonny richten wollte.
»Du willst Krieg, Amigo?«, Bonnys Stimme schien aus den Tiefen der Hölle zu kommen. »Krieg mit Bonny McCain aus Wichita? Okay, hier hast du deinen Krieg!«
Das Skalpell zuckte durch die Luft.
Mit einer langen, klaffenden Halswunde kippte Jaffy zur Seite.
Doc Weston bekam weiche Knie. Bonnys Kaltblütigkeit flößte ihm pures Entsetzen ein. War das die gleiche Frau, die ihm die schönsten Gefühle seines Lebens beschert hatte?
Er sah, wie Bonny die beiden sterbenden Männer vom Wagen stieß und nach den blutigen Zügeln griff.
»Schwachköpfe«, sagte sie gepresst. »Wollen sich mit einem Wichita-Girl anlegen! – Doktor Ben!« Sie wandte den Kopf. »Na los, steh nicht so dumm herum und halt Maulaffen feil! Wir müssen weiter, zu Mr. Cramer ins Hudson Hole.«
Doc Weston starrte sie an wie ein Stinktier, das auf Stelzen lief.
Bonnys Gesichtszüge entspannten sich. Sie brachte sogar ein schmales Lächeln zustande. Jetzt war ihr Gesicht wieder das alte; die Maske der unbarmherzigen Kaltblütigkeit hatte sich verflüchtigt.
Bonny McCain, dachte Weston und schauderte. Du bist das verrückteste Weibsstück, das mir je untergekommen ist...
✰
Sie ließen die Leichen der Banditen am Wegrand liegen und fuhren ein Stück weiter.
An der Weggabelung hinter einer Schwarzeiche lenkte Bonny den Wagen einen leicht abschüssigen Trampelpfad entlang. Die Sandpiste endete am Ufer eines kleinen Gewässers. Ringsum wuchsen Nadelhölzer und blickdichte, mannshohe Sträucher.
Unmittelbar vor dem See brachte Bonny den Wagen zum Stehen. »Wir müssen unsere Kalesche saubermachen«, sagte sie. »Was sollen deine Patienten von dir denken, wenn wir mit diesem Blut-Vehikel auf ihre Ranch kommen?«
Doc Weston hatte sich wieder gefangen. Er nickte zustimmend. »Alles klar, Sweety.«
Bonny stieg aus – und spitzte die Ohren. Narrte sie ein Spuk? Da hatte doch eben ein Pferd gewiehert, ganz in ihrer Nähe – und es war nicht der Gaul, der ihren Wagen zog.
Auch Doc Weston hatte das Geräusch gehört. »Wo ein Pferd ist, gibt es auch einen Reiter«, sagte er.