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Wie immer, wenn er in Kansas zu tun hat, will Lassiter auch diesmal Annie Turner auf ihrer idyllisch gelegenen Ranch besuchen. Mit der hübschen Annie, die sich als Autorin von Theaterstücken einen Namen gemacht hat, verbindet den Agenten der Brigade Sieben mehr als nur eine platonische Freundschaft. Kein Wunder, dass Lassiter es kaum abwarten kann, sie in die Arme zu schließen.
Doch es soll anders kommen. Er findet die Ranch verlassen vor und erfährt von einem Nachbarn, dass Annie aus finanzieller Not die Ranch verkaufen musste. Seitdem hat niemand mehr die junge Frau gesehen. Als dann auch noch Jenny, die Tochter des Nachbarn, nach einem nächtlichen Bad im See spurlos verschwindet, schrillen bei Lassiter alle Alarmglocken. Und tatsächlich wird sich schon bald zeigen, dass nicht nur diese beiden Frauen in höchster Gefahr schweben...
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Seitenzahl: 132
Veröffentlichungsjahr: 2022
Cover
Trumpfass für Doc Weston
Vorschau
Impressum
Trumpfass fürDoc Weston
von Tom Hogan
Als die zwei Satteltramps an dem Holzzaun vorbeikamen, sahen sie die rothaarige Frau. Sie war dabei, Wäsche auf die Leine zu hängen.
Die Männer gingen langsamer, dann blieben sie stehen. »Ein hübsches Weib«, sagte Al Beestock. »Eine Figur wie ein Stundenglas. Genau das Richtige für meiner Mutters Sohn. Man sagt, Rotblonde haben das meiste Feuer unter dem Rock.«
Frank Croft blickte sich nach allen Seiten um. »Wir könnten Rotfuchs ja mal fragen, ob wir ihr helfen können. Mit Damenwäsche kenne ich mich ganz gut aus.«
Sie lachten leise.
Die Frau blickte über den Zaun hinweg zu ihnen herüber. Sie wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht und ging mit dem leeren Korb in das Haus.
Die Tramps wechselten einen Blick. Dann trat Croft an die Pforte und schob sie auf.
Bonny McCain stand am Spülstein in der Küche. Sie warf einen Blick aus dem Fenster. Die zwei Kerle, die vorhin am Zaun vorbeigekommen waren, hatten das Grundstück betreten.
Mit ihren zotteligen Bärten und dem langen, ungeschnittenen Haar wirkten sie wie die Vogelscheuchen im Gemüsegarten ihrer Nachbarin Mrs. Pendergast. Die Kleidung der Tramps war zerschlissen, an den Stiefeln klebte getrockneter Dreck. Die Sättel, die sie geschultert hatten, waren ungepflegt und voller Schrammen. Nur die Revolver, die sie im Holster trugen, sahen ganz manierlich aus.
Bonny war auf der Hut. Sie wusste nicht, mit wem sie es zu tun hatte, da war äußerste Vorsicht angesagt. Sie schritt zur Tat. Aus der obersten Schublade des Küchenschranks holte sie den kurzläufigen Pocket-Colt, den Doc Weston beim Händler in der Shawnee Street gekauft hatte, um das schnelle Ziehen und Schießen zu trainieren. In den letzten drei Wochen hatte er bereits gute Fortschritte gemacht.
Sie überprüfte das Magazin.
Die Waffe war geladen.
Draußen scharrten die Schritte der ungebetenen Gäste.
»He, Lady! Wir haben Durst!«, krächzte eine Stimme. »Kommen Sie mal vor die Tür!«
Bonny ließ die Trommel des Sechsschüssers rotieren. Ihr Herz schlug ein paar Takte schneller, doch sie rang ihre Erregung nieder. Jetzt galt es, kühles Blut zu bewahren. Im nächsten Augenblick trat sie auf die Plattform vor das Haus.
Die Männer starrten sie an wie die Spezialität des Hauses aus dem New Yorker Feinschmecker-Restaurant Delmonico.
Bonny kniff die Augen zusammen. Sie wusste genau, worauf diese schmierigen Typen aus waren. Die Halunken hatten lange keine Frau mehr gehabt und wollten nun ihren Trieb an ihr befriedigen. Vermutlich mangelte es ihnen an dem nötigen Kleingeld für die Etablissements im Amüsierbezirk. Nun dachten sie wohl, sie könnte das Ganze umsonst bekommen.
Von ihr. Aber da waren die Himmelhunde auf dem falschen Dampfer.
»Was wollen Sie?«, fragte sie schroff.
Der Größere tippte sich lässig an den Hutrand. »Nur was trinken, Ma'am«, antwortete er. »Frank und ich sind kurz davor, zu verdursten. Geben Sie uns einen Schluck Wasser, und wir bleiben gute Freunde.«
Gute Freunde? Die versteckte Drohung missfiel Bonny. Sie hob ihre rechte Hand. »Wir sind keine Freunde, Gents«, erklärte sie. »Und jetzt verlassen Sie schleunigst mein Gehöft. Ich zähle bis drei, dann möchte ich Sie jenseits des Zaunes sehen.«
Die Drifter hielten das Ultimatum für einen Witz und lachten rau.
Bonny hob den Colt und spannte den Schlaghahn, dass es laut knackte.
»Eins«, sagte sie laut.
Der Mann, der Frank hieß, verzog das Gesicht. »Vorsicht, Lady! So eine Bleispritze ist kein Spielzeug. Eine falsche Bewegung, und es könnte ein Unglück geben.« Sprach's und trat einen Schritt auf sie zu. Der zweite Mann blieb noch, wo er war.
Aber Bonny sah, dass sich seine linke Hand langsam seinem Holster näherte. Sie blieb unbeeindruckt.
»Zwei!«
Die Männer rührten sich nicht vom Fleck. Der Mann namens Frank war nur noch zwei Armlängen von ihr entfernt. Den Finger am Trigger, zielte Bonny auf die linke Seite seiner Hemdbrust.
»Das wagst du nicht, kleine Schlampe!«, zischte er.
Bonny schätzte solche Ausdrücke nicht sonderlich. Deshalb machte sie kurzen Prozess, hob die Waffe höher und schoss.
Die Kugel riss dem unhöflichen Patron den Hut vom Kopf. Er brüllte vor Wut, aber Bonny ließ sich nicht einschüchtern. Die rauchende Mündung des Pocket-Colts wanderte zwischen den Vagabunden hin und her.
»Macht, dass ihr hier wegkommt, ihr Penner!«, forderte sie hart. »Wenn ihr nicht spurt, lege ich euch um, ehe ihr Piep sagen könnt. Ist es das, was ihr wollt?!«
Die Gesichter der Männer versteinerten. Mit so einem vehementen Widerstand hatten sie nicht gerechnet.
»Drei!«, zischte Bonny kalt und spannte erneut den Hahn.
Die Herumtreiber trollten sich. Keiner wagte es, blank zu ziehen. Ohne ein weiteres Wort passierten sie die Pforte. Mit eiligen Schritten wandten sie sich dem nahe gelegenen Zentrum von Topeka zu.
Bonny McCain stellte sich an den Zaun und blickte den Tramps so lange hinterher, bis sie hinter einer Krümmung der Straße verschwunden waren.
»Feiglinge«, murmelte sie. »Elende Feiglinge.« Dann ging sie zurück in die Küche. Sie hatte vor, Doktor Ben, ihren Verlobten, heute Abend mit selbst gemachtem Käse zu überraschen. Das Rezept hatte sie von einer alten Küchenfee, aus ihrer turbulenten Zeit im Vergnügungsviertel der Rinderstadt Wichita.
Bonny McCain lud den Colt nach, legte ihn in die Schublade und schob sie wieder zu. Dann trug sie die Zutaten für den Käse zusammen. »Wirst dir alle zehn Finger danach lecken, Doktor Ben«, sagte sie vergnügt.
✰
Sobald ihn eine Mission der Brigade Sieben nach Kansas führte, begab sich Lassiter so oft es ging auf die idyllisch gelegene Ranch von Annie Turner. Mit der Autorin, die für das Theater abenteuerliche Stücke schrieb, verband ihn eine nahezu magische, hocherotische Beziehung.
Diesmal hatte Lassiter sein Kommen nicht angekündigt. Er wollte die hübsche Annie überraschen. Der Auftrag, der ihn nach Kansas geführt hatte, war erledigt. Der Desperado, den er gejagt hatte, saß im Bezirksgefängnis von Shawnee County. Gestern Abend hatte Lassiter den Abschlussbericht verfasst und ihn zur Zentrale nach Washington geschickt.
Jetzt war er auf dem Weg zu seiner schreibenden Geliebten. Die Aussicht, die heutige Nacht mit dem sündhaft erotischen Liebesengel zu verbringen, erwärmte nicht nur sein Herz. Er war blendender Laune.
Lassiter ritt gemächlich über den holprigen Trail, der zu Annies Mini-Ranch führte. Rechter Hand floss ein schmaler Fluss, der nur wenige Yards entfernt von Annies Gehöft entlang führte. Einige Male hatten Annie und er schon in dem Fluss gebadet. Anschließend hatten sie sich geliebt, unter freiem Himmel, ringsum die rauschenden Bäume und das ferne Heulen der umtriebigen Coyoten.
Lassiter schwelgte in süßen Fantasien. Je näher er Annies Ranch kam, desto mehr forcierte er die Gangart seines Pferdes. Endlich kam das Gebäude in Sicht.
Wenige Yards vor der Einfriedung brachte er sein Reittier zum Stehen und saß ab. Nachdem er den Braunen an dem Pfosten vor der Freitreppe angeleint hatte, stieg er die wenigen Stufen hinauf zur Vordertür.
Auf dem Grundstück war kein Geräusch zu vernehmen. Offenbar saß Annie an ihrem Sekretär in der Schreibstube und dachte sich eine spannende Geschichte für das Theater aus.
Er rückte seinen Stetson zurecht und nahm den Türknauf in die Hand. Ups! Die Tür war verriegelt. Nanu? Für gewöhnlich ließ Annie die Tür doch offen. Ein ungutes Gefühl beschlich ihn. Nach kurzem Zögern umrundete er das Haus. Das Fenster zur Annies Arbeitszimmer befand sich im rückwärtigen Teil des Gebäudes.
Als er davor stand, fand er die Vorhänge zugezogen. War Annie nicht zu Hause? Eine tiefe Enttäuschung machte sich in ihm breit. Er pochte an die Scheibe und wartete. Keine Reaktion.
Auf Verdacht machte er einen Rundgang auf dem kleinen Grundstück. Nirgendwo eine Spur von Annie. Die Pferde standen nicht im Stall, und der Kutschwagen war auch nicht da.
Lassiter rieb nachdenklich sein Kinn. Es war wohl keine gute Idee gewesen, Annie überraschen zu wollen. Jetzt stand er vor verschlossenen Türen. Womöglich befand sich Annie zu diesem Zeitpunkt irgendwo in einem Theater und präsentierte dem Intendanten ihr neues Stück.
Irgendwo knackte es im Gehölz, nicht allzu weit weg.
Lassiter wandte den Kopf. Auch sein Brauner schaute in die Richtung.
Zwischen den Bäumen trat ein Mann hervor. Er war groß und stämmig und trug einen langen Mantel und einen Hut, dessen Krempe auf einer Seite mit einer Nadel an die Krone gesteckt war. Der Fremde hielt ein großes Jagdgewehr in den Händen, eine Hundert Dollar Remington Creedmor Rifle.
Der Fremde hob die Waffe, als er näher kam.
»Wer sind Sie?«, fragte er. »Und was haben Sie hier zu suchen?«
Der Mann von der Brigade Sieben blieb freundlich. »Mein Name ist Lassiter, und ich bin hier, um Miss Turner einen Besuch abzustatten. Annie und ich sind alte Freunde.«
Der Mann ließ die Waffe sinken und musterte ihn prüfend. »Sie sind also Lassiter?«
»Ja, das bin ich.«
»Annie hat mir von Ihnen erzählt«, erklärte der Mann. »Mein Name ist John Greenburgh, bin Annies Nachbar.« Er zeigte mit dem Daumen hinter sich. »Wohne drüben, jenseits des Wäldchens.«
»Wo ist Annie?«, wollte Lassiter wissen.
Greenburgh hob die Achseln. »Keine Ahnung. Sie hat das Grundstück verkauft und ist auf und davon.«
»Auf und davon?«
»Ja, schon vor ein paar Wochen. Ich weiß nicht, was Annie dazu bewogen hat, die Ranch aufzugeben. Vielleicht brauchte sie Geld. In der letzten Zeit ging es ihr nicht so gut.«
»Was ist geschehen?«
»Das letzte Stück, das sie geschrieben hat, war ein Rohrkrepierer. Die Premiere in Topeka ist voll in die Hosen gegangen.«
»Oh, das tut mir leid für Annie«, meinte Lassiter.
Greenburgh runzelte die Stirn. »Es war ein schwerer Schlag für sie. Sie hatte geglaubt, das Stück wäre genau so erfolgreich wie die Liebenden aus Kansas. Aber sie hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Man hat sie und die Schauspieler ausgebuht.«
»Das ist schlimm.«
»Annie war völlig von der Rolle«, erzählte ihr Nachbar. »Sie sagte, sie wolle nie wieder etwas schreiben.«
»All devils! Und Sie haben keine Ahnung, wo sie hingegangen sein könnte?«
»Leider nicht.« Greenburgh hob die Stimme. »Wenn Sie wollen, können Sie zu mir kommen. Es fängt langsam an, dunkel zu werden. Meine Frau hat einen leckeren Blaubeerkuchen gebacken.«
Lassiter überlegte nicht lange. »Sehr freundlich von Ihnen. Ich nehme Ihr Angebot gern an, Mr. Greenburgh.«
Wenig später ritten die Männer einen schmalen Hohlweg entlang. Es dauerte eine Weile, bis sie das Anwesen von Annies Nachbarn erreichten. Mrs. Greenburgh erwies sich als resolute, überaus liebenswürdige Frau von knapp fünfzig Jahren. Als John ihr mitgeteilt hatte, wer sein Gefährte war, nahm sie Lassiter in die Arme und drückte ihn herzlich.
»Wie komme ich denn zu dieser Ehre?«, fragte er.
»Ehre, wem Ehre gebührt«, antwortete die Dame des Hauses. »Annie hat mir erzählt, dass Sie Kansas bereits von einigen miserablen Halsabschneidern befreit haben.«
Er verzog das Gesicht. »Nur schade, dass ich nicht weiß, wo ich sie finden kann.«
Mrs. Greenburgh winkte ab. »Das finden Sie schon heraus. Da bin ich mir ganz sicher. Und jetzt setzt euch an den Tisch, Männer. Ich hole nur fix die Torte, dann sage ich Jenny Bescheid.«
»Jenny ist unsere älteste Tochter«, erklärte Greenburgh. »Wenn sie hört, dass Sie bei uns zu Gast sind, wird sie einen Luftsprung vor Freude machen. Sie ist richtig vernarrt in Ihre Heldentaten, Mr. Lassiter.«
Lassiter zog sich verlegen am Ohrläppchen. Es tat ihm gut, bei so herzlichen Menschen zu Gast zu sein. Als Jenny hereinkam, blieb sie an der Tür stehen und starrte ihn an wie einen Geist.
»Mein Gott, Sie sind es wirklich...«, murmelte sie.
Lassiter sah sie an. Jenny war ungefähr Mitte zwanzig – eine brünette, junge Frau in einem raffiniert geschnittenen roten Kleid, das ihre weiblichen Formen auf dezente Weise zur Geltung brachte. »Miss Jenny.« Er stand auf.
Sie himmelte ihn an. »Ich kann es noch gar nicht glauben«, stammelte sie aufgeregt. »Dass Sie mal am Tisch bei uns zu Hause sitzen, Mr. Lassiter – wow! Das hätte ich nie für möglich gehalten.«
Er hob lächelnd die Schultern. »Heute ist es so weit.«
Mrs. Greenburgh trat an den Tisch und schwenkte die Kaffeekanne. »Reicht mir mal eure Tassen rüber«, bat sie. »Aber seid ja vorsichtig, sie sind aus echtem Porzellan, Import aus Übersee.«
Jenny schob sich neben Lassiter auf den Stuhl.
Er sah sie an und sie ihn. In ihrem Blick leuchtete etwas auf, das dem Mann von der Brigade Sieben sehr gut gefiel. Er hob den Kopf und schnupperte in ihre Richtung. Oh, wie er den betörenden Duft von schönen Frauen liebte! Sein untrüglicher Instinkt verriet ihm, dass seine Tischnachbarin ihn gern näher kennenlernen würde. Und ihm ging es keinen Deut anders. Wo die Liebe hinfällt, dachte er.
»Greifen Sie nur zu!«, riss ihn Mrs. Greenburgh aus seinen Gedanken. »Es ist genug da. Guten Appetit allerseits.«
»Ja, danke gleichfalls.« Lassiter zauberte ein Lächeln auf seine Lippen. Dann tat er, wie ihm geheißen.
✰
Während Lassiter sich bei den Greenburghs an der schmackhaften Heidelbeertorte labte, war seiner Freundin Annie Turner zum Heulen zumute.
Sie saß draußen vor Eli's Liquor Shop in der Travis Street, unter dem schützenden Verandadach – und trank bereits ihren dritten Whiskey. Es war früher Nachmittag, und Annie spürte, dass sie langsam einen Schwips bekam. Die letzten Wochen waren für sie die Hölle gewesen. Zuerst war ihr Stück durchgefallen, dann hatte sie eine Schreibblockade gehabt. Als sie aus einer Laune heraus ihre Ranch verkauft hatte, kam es noch schlimmer.
Das Geld, das sie für Haus und Hof bekommen hatte, war ihr im Hotel gestohlen worden. Der Dieb blieb unerkannt und wurde nicht gefasst. Jetzt war sie nahezu mittellos. Sie wusste nicht, wie es weitergehen sollte, und hatte vor Kummer angefangen zu trinken.
Heute war die Rechnung im Hotel fällig, und wenn sie ihre Schulden nicht beglich, würde der Gastwirt sie auf die Straße setzen. Trübe Aussichten!
Annie nahm ihr Glas und schlürfte den letzten Schluck Whiskey. Der Schnaps brannte in ihrem Inneren, und sie hätte gern noch mehr getrunken, aber sie zügelte sich. Wenn sie das letzte Geld auch noch vertrank, würde sie die Nacht wohl auf der Straße verbringen müssen.
Auf der Straße rollte ein großer Murphy-Transporter vorbei. Er war mit Baumaterial beladen, offenbar für das sich schon im Bau befindliche Kansas State Capitol an der Jackson Street. Die angespannten Ochsen stemmten sich kraftvoll in das Geschirr. Ein hünenhafter Mann mit rötlichem Backenbart schwenkte eine Bullpeitsche.
Der Knall der Peitschenschnüre schnitt Annie grell in die Ohren. Die Passanten blieben auf den Bürgersteigen stehen und sahen dem Murphy-Wagen staunend hinterher.
Das Serviermädchen kam.
»Zahlen«, sagte Annie, wobei sie feststellte, dass sie ein wenig lallte.
Die Bedienung, eine hübsche Mexikanerin mit auffallend schönen, braunen Augen, lächelte sie an. »No tiene que pagar nada«, sagte sie, »Sie brauchen nichts zu bezahlen. Die Rechnung ist schon beglichen.«
Annie hob die Brauen. »Wie? Was?«
»Todo pagado«, sagte die Mexikanerin. »Alles bezahlt.«
»Von wem?«
Das Mädchen wies auf die Frau, die auf der anderen Seite der Terrasse saß. Die Fremde war elegant gekleidet, trug einen Hut mit einer Pfauenfeder und hatte die Finger mit den rot lackierten Nägeln voller Goldringe.
Annie nickte der Dame lächelnd zu. Sie fragte sich, wie diese Unbekannte dazu kam, ihr den Whiskey zu bezahlen.
Die Frau lächelte zurück, dann stand sie auf und trat an Annies Tisch. »Ich bin Elizabeth Sanders«, sagte sie. »Ich kenne Sie, Miss Turner. Ich war bei der Premiere Ihres ersten Stückes dabei.« Sie hielt inne und seufzte. »Und es tut mir sehr leid, dass ihr neues Werk so wenig Anklang gefunden hat. Sehr erstaunlich, das Ganze. Mir persönlich hat die Aufführung gut gefallen.«
Annie nickte betrübt. »Danke für Ihre Anteilnahme. Es tut gut, zu wissen, dass es jemanden wie Sie gibt, Mrs. Sanders.«
Die Frau mit den Goldringen winkte der Bedienung. »He, Dolores! Bring uns zwei Whiskey!«, rief sie ihr zu.
»Con mucho gusto, Senora!«
Annie hob abwehrend die Hände. »Oh nein, nett gemeint, Mrs. Sanders, aber ich denke, ich habe genug für heute.«
Die elegante Frau setzte sich zu ihr an den Tisch. »All meine Freunde sagen Liz zu mir. Ich kann Sie doch auch dazu zählen, Annie, oder etwa nicht?«