1,99 €
Lassiter saß an dem Klapptisch seines Hotelzimmers in Denver und schrieb an dem Bericht für die Zentrale der Brigade Sieben in Washington. Seine letzte Mission hatte er am Vortag zu Ende gebracht. Wie durch ein Wunder hatte er bei dem Showdown mit seinen Widersachern nicht einen Kratzer abbekommen. Morgen würde er Colorado verlassen und sich nach Kansas begeben.
In Wichita gab es etwas zu feiern - die Geburt eines Mädchens namens Alice Weston. Bei dem Gedanken an seine Freunde Ben und Bonny Weston wurde Lassiter ganz warm ums Herz.
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Erinnerungen. Ein Laufbursche vom Post Office brachte ein Telegramm. Als Lassiter den kurzen Text las, überlief ihn ein kalter Schauder.
"Zur Hölle!", murmelte er.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2024
Cover
Showdown am Arapaho Pass
Vorschau
Impressum
Showdown am Arapaho Pass
von Tom Hogan
Lassiter saß am Klapptisch seines Hotelzimmers in Denver und schrieb an dem Bericht für die Zentrale der Brigade Sieben in Washington. Seine letzte Mission hatte er am Vortag zu Ende gebracht. Wie durch ein Wunder hatte er bei dem Showdown mit seinen Widersachern nicht einen Kratzer abbekommen. Morgen würde er Colorado verlassen und sich nach Kansas begeben.
In Wichita gab es etwas zu feiern – die Geburt eines Mädchens namens Alice Weston. Bei dem Gedanken an seine Freunde Ben und Bonny Weston wurde Lassiter ganz warm ums Herz.
Ein zaghaftes Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Erinnerungen. Ein Laufbursche vom Post Office brachte ein Telegramm. Als Lassiter den kurzen Text las, überlief ihn ein kalter Schauder.
»Zur Hölle!«, murmelte er.
Der Bote des Post Office aus der Boulder Street hieß James Lawrence, aber alle, die ihn kannten, sagten Jimmy zu ihm.
Er war ein lang aufgeschossener Blondschopf von knapp zwanzig Jahren. Mit seiner schwarzen Hornbrille und der Schirmmütze sah er wie ein Student der Yale University in New Haven aus. Als er die Treppe zum Erdgeschoss des Valverde Hotels hinabstieg, passierte es.
Eine auffallend hübsche Frau vertrat ihm den Weg. »He, Moment mal, Mr. Postman!«
Jimmy erkannte sie auf den ersten Blick: Phoebe Gallagher, die berüchtigte Skandalreporterin vom Denver Courier.
O Mann, dieses Unikum hat mir gerade noch gefehlt! Wortlos wollte er sich an der Wegelagerin vorbei zwängen, doch die resolute Rotblonde packte ihn unsanft am Ärmel.
»Sie haben diesem Lassiter eben ein Telegramm gebracht«, sagte sie gepresst.
Jimmy hob die Brauen. »Ja, das ist richtig. Woher wissen Sie das?«
Sie machte eine Geste, als scheuche sie eine lästige Fliege fort. »Sagen Sie mir, was drin stand?«
»Wie bitte?«
»Was stand drin?«, drängte die Frau.
»Postgeheimnis«, entfuhr es Jimmy.
Phoebe Gallagher lachte, als hätte er einen Witz gerissen. Sie geleitete ihn ein Stück am Geländer entlang. »By gosh, Jimmy, hab dich nicht päpstlicher als der Papst. Zier dich nicht so! Sag mir, von wem das Telegramm kam und was drin stand!« Sie senkte die Stimme, spitzbübisch kniff sie ein Auge zu. »Wenn du nett zu MIR bist, bin ich auch nett zu DIR.«
Wow! Sie will nett zu mir sein!
Jimmy stand wie angegossen.
Sein Herz hämmerte wild. Phoebe Gallagher war eine der ansehnlichsten Evastöchter im Umkreis von hundert Meilen, wie er fand. Hinter vorgehaltener Hand munkelte man, dass sie, um die Story zu bekommen, der sie hinterherjagte, unter gewissen Umständen sogar mal zu einem Schäferstündchen mit einem Informanten bereit sei. Okay, der Rotkopf war ein paar Jahre älter als er, aber das störte ihn nicht.
Ganz im Gegenteil. Er fand Frauen ihres Kalibers sehr erotisch.
Aus zusammengekniffenen Augen musterte er die Journalistin. Sie hatte ihren Pelzmantel geöffnet, und sein Blick huschte schnell über die sinnlichen Wölbungen auf ihrem schafwollenen Pullover.
Sogleich schlug seine Fantasie Purzelbäume. Ein Schäferstündchen mit der schnuckeligen Phoebe Gallagher! Davon hätte er nicht mal zu träumen gewagt! Und jetzt dieses verlockende Angebot...
Sie waren am unteren Absatz der Treppe angelangt. Draußen heulte der Sturm. Schnee klatschte gegen die Frontfenster des Valverde. Im mollig warmen Foyer des Hotels duftete es nach teurem Parfüm und dem Rauch von kostspieligen Zigarren. Einige wohlhabende Pärchen von der Ostküste waren angereist, um in den Rocky Mountains Winterurlaub zu machen. Ein Gentleman im Smoking geleitete eine Dame mit perfekt gestylter Hochfrisur zum Restaurant. Der Oberkellner riss zuvorkommend die Tür auf.
Jimmy nahm seine Brille ab, um die beschlagenen Gläser zu putzen. Die Zeitungsfrau wich nicht einen Inch von seiner Seite.
»Sag mir, was in dem Telegramm stand«, flüsterte sie.
Er schob die Brille auf die Nase. »Warum ist das so wichtig für Sie, Ma'am?«
»Warum?« Sie lachte leise. »Weil dieser Lassiter nach seinem Bravourstück seit gestern das Thema Nummer eins im ganzen County ist. Die Leser des Courier wollen mehr über diesen Prachtkerl wissen. Sie lechzen nach Details. Das Kugelgewitter auf dem Broadway ist die Sensation des Jahres. Ich brauche Informationen über diesen Gunslinger. Je mehr, desto besser. Das verstehst du doch, oder?«
Jimmy war hin- und hergerissen. Natürlich wusste er, von wem das Telegramm für Lassiter war, ebenso wusste er, was darin stand. Jedes Wort hatte er sich eingeprägt. Das Scharmützel auf dem Broadway hatte er aus dem Fenster des Telegrafenamtes beobachtet. Dieser Lassiter war wirklich ein toller Kerl. Aber wenn er, Jimmy, unbefugterweise aus der Schule plauderte, konnte das böse Folgen für ihn haben:
Verrat von Postgeheimnissen!
Sollte Mr. Shelby, der Amtsvorsteher, Wind von seiner Gesprächigkeit bekommen, würde er ihn entlassen, und zwar fristlos.
Jimmys Blick streichelte die sanften Wölbungen auf dem beigefarbenen Pullover der attraktiven Rothaarigen. Nur unter Aufbietung all seiner Willensstärke konnte er die Augen von diesem erfreulichen Anblick lösen.
Die Frau spitzelte mit der Zungenspitze an der Oberlippe. »Weißt du, was ein Cowgirl ist?«, fragte sie leise.
Ups! Die schonungslose Vertraulichkeit der Reporterin verblüffte ihn. Natürlich kannte er den Ausdruck, aber nur vom Hörensagen, wenn andere Burschen mit ihren Besuchen bei Huren in Freudenhäusern prahlten. Bisher war er selbst noch nicht von einer Frau geritten worden. Aber der Gedanke daran gefiel ihm. Die Vorstellung, dass die hübsche Phoebe Gallagher auf ihm thronte, während er rücklings unter ihr lag, bescherte ihm ein Paar heiße Wangen.
Sie blickte ihn starräugig an.
»Ja, ich weiß es«, sagte er schließlich.
»Heute Abend?« Ihre Stimme war nur ein Hauch.
Sein Kopf bewegte sich wie von selbst auf und ab. Seine Mütze verrutschte, und mit einer hastigen Bewegung korrigierte er ihren Sitz.
Phoebe Gallagher schob ihn burschikos hinter eine Säule. Sie blickte sich nach allen Seiten um, dann musterte sie ihn. »Also los, Mr. Postman! Von wem war es, das Telegramm?«
Ihr Gesicht war ihm so nah, dass er ihren Atem auf der Haut fühlte. »Von einem Doktor aus Wichita«, hörte er sich raunen. »Sein Name ist Ben Weston.«
Dankbar tätschelte Phoebe seine Wange. »Was wollte der Doc von Lassiter?«
Jimmy spürte, wie die Frau ihre Hüften an ihm rieb. Es machte ihr nichts aus, dass sie nicht allein im Foyer waren. Er spürte einen Kloß im Hals und musste mehrmals schlucken. In seiner Fantasie spielten sich gerade unglaublich prickelnde Szenen ab.
»Wo wollen wir uns treffen?«, krächzte er.
Sie ignorierte die Frage. »Dieser Doc aus Wichita, was wollte er von Lassiter?«
Jimmy Lawrence schmolz dahin wie Schnee in der Frühlingssonne. »Es ging um eine Frau namens Annie Turner. Doc Weston befürchtet, dass sie sich etwas antut. Lassiter solle nach ihr sehen.«
»Annie Turner?« Phoebe furchte die Stirn. »Ich habe mal von einer Autorin gehört, die Theaterstücke schreibt, eine gewisse Annie Turner. Ist sie gemeint?«
»Keine Ahnung.« Jimmy hob die Achseln. »Scheint eine gute Freundin von Lassiter zu sein. Oder eine Geliebte, was weiß ich?« Er atmete tief durch.
Phoebe war auf Tuchfühlung gegangen. Ihre körperliche Nähe brachte sein Blut gehörig in Wallung. »Jedenfalls soll sie sich gerade auf einer Ranch oben in den Bergen befinden, am Arapaho Pass Trail, unweit des Kiowa Peak.«
Die Frauenaugen schienen Funken zu sprühen. »Wie heißt die Ranch?«
Er starrte verzückt auf ihre üppige Oberweite. »Little-Caribou.«
»Little-Caribou-Ranch«, murmelte Phoebe, dann hielt sie den Kopf schief. »Alles?«
»Yeah.« Mit zittrigen Fingern nestelte Jimmy an seinem Sehglas. »Alles. Mehr weiß ich nicht.«
Zu seiner Überraschung hatte es die Reporterin auf einmal sehr eilig. Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich von ihm ab, knöpfte im Gehen ihren Mantel zu und steuerte auf den Ausgang zu.
Der livrierte Hotelpage riss beflissen einen Flügel der Tür auf.
Phoebe Gallagher bedankte sich mit einem knappen Kopfnicken und trat hinaus ins Freie.
Im nächsten Augenblick war sie im Schneegestöber verschwunden.
Jimmy Lawrence fiel es wie Schuppen von den Augen. Die gewitzte Journalistin hatte ihn ausgetrickst. Wie ein kleiner, dummer Junge hatte er sich hinters Licht führen lassen.
Tod und Teufel!, jagte es ihm durch den Kopf. Was bin ich bloß für ein gottverdammtes Greenhorn...
✰
Annie Turner fuhr sich mit gespreizten Fingern durch ihr langes, seidiges Haar. Sie spähte durch das Fenster der warmen Wohnstube auf die mit Schnee bedeckten Bergkämme der Rocky Mountains – und dachte an Lassiter.
Es war Ende November. Vor einigen Tagen hatte ein Blizzard die Gegend heimgesucht und schwere Schäden angerichtet. Zum Glück hatte der Schneesturm die Ranch, in der sie Unterschlupf gefunden hatte, verschont. Die orkanartigen Windböen hatten nur ein paar Schindeln vom Dach eines Schuppens gerissen und die Latten des Holzzaunes in der Gegend verstreut.
Seit Harry Moswell sie verlassen hatte, lebte Annie allein in der Blockhütte.
Am Anfang empfand sie die Einsamkeit als wohltuend, aber dieses Gefühl hielt nicht lange an. Jetzt kam sie sich manchmal so vor wie der letzte Mensch auf der Welt.
Eigentlich war sie mit Harry hierher gekommen, um an ihrem neuen Theaterstück zu arbeiten. Das letzte Stück, das sie »Romeo und Julia am Lucky Cuss« genannt hatte, war nur wenige Male in Tombstone aufgeführt worden. Ein Kritiker namens Cortham hatte eine vernichtende Einschätzung des Bühnenwerks in den Tombstoner Zeitungen Nugget und Epitaph veröffentlicht.
Der gnadenlose Verriss zeigte umgehend Wirkung. Innerhalb kürzester Zeit war die Tragödie aus dem Spielplan der Theater genommen worden.
Dabei hatte Annie so große Hoffnungen auf ihr neues Werk gesetzt. Sie träumte davon, dass es mal erfolgreich in den Spielhäusern der Metropolen Omaha, St. Louis oder Kansas City aufgeführt wurde. Harry hatte seine Beziehungen in der Theaterwelt spielen lassen und zwei, drei namhafte Schauspieler engagiert.
Alles für die Katz!
Nach Erscheinen von Corthams Zeitungsartikel war das Interesse an dem unglücklichen Tombstoner Liebespaar Romeo und Julia mit einem Schlag erloschen. Das Stück wurde abgesetzt. Die Schauspieler machten sich davon.
Annie malte versonnen ein Herz auf das Fensterglas. Ich vermisse dich, Lassiter, dachte sie. Ich bin sicher, wenn du hier bei mir wärst, würden die guten Ideen nur so aus mir heraussprudeln.
Das Gebell von Hunden drang an ihr Ohr.
Sie wandte den Kopf. Rechter Hand gewahrte sie einen flachen Schlitten, von einem Dutzend Wolfshunde gezogen. Die Leinen in den Händen, stapfte ein in Pelzen gehüllter Mann mit Schneeschuhen nebenher. Harry hatte ihr erzählt, Hunde wären die stärksten Zugtiere der Welt. Im Schnee könnten sie mehr Gewicht als Zugpferde ziehen. Die kräftigsten von ihnen könnten hundertfünfzig Meilen am Tag laufen. Auch klirrende Kälte machte ihnen kaum etwas aus. Die Natur hatte sie mit einer speziellen Fellschicht ausgestattet.
Lassiter! Annie zerquetschte einen Seufzer. Immer wieder träumte sie von dem beeindruckenden Adamsjünger. Ihre Gedanken glitten zu ihren gemeinsamen Erlebnissen zurück. Die ergötzlichen Nächte in ihrer Ranch bei Topeka. Die unvergleichlich schöne Zeit im Haus der Westons in Wichita. Jeden Tag hatten sie sich geliebt, bis sie vor Erschöpfung in einen tiefen, traumlosen Schlaf fielen.
Bei der süßen Erinnerung an diese Wohltaten schlug ihr Herz ein paar Takte schneller. Oh, wie ihr dieser Mann fehlte! Die Zeit mit Harry Moswell war wie ein Albtraum dagegen. Fast jeden Tag hatte er eine Flasche Bourbon oder Cognac geleert. Er war unausstehlich, wenn er betrunken war. Ein Albtraum auf zwei Beinen. Dass er eines Tages mit diesem Kiowa-Mädchen durchgebrannt war, empfand sie als Erleichterung.
Lassiter war da aus einem ganz anderen Holz geschnitzt.
Sie hatte einen Plan entwickelt, um ihren Traummann noch einmal für sich zu gewinnen. Wenigstens für eine gewisse Zeit. Zugegeben, der Plan war eigennützig und hinterhältig. Wie auch immer, Hauptsache, er funktionierte, und sie bekam, wonach sie sich sehnte. Sie hatte den Westons einen dramatischen Brief geschrieben. Dass sie des Lebens überdrüssig sei, keinen Ausweg mehr wusste und daher über kurz oder lang ein Ende machen wolle. Lassiter sei der Einzige, der sie von dieser Todessehnsucht befreien könne.
Annie war sicher, dass Doc Weston Lassiter prompt von dieser Sache in Kenntnis gesetzt hatte. Lassiter war ein Frauenfreund. So wie sie ihn einschätzte, würde er alles stehen und liegen lassen, um zu ihr zu eilen, sobald er von ihrer misslichen Lage erfuhr. Wenn er hier war, würde sie ihm die Lebensmüde, von der Welt Enttäuschte vorspielen. Natürlich würde er alle Hebel in Bewegung setzen, um sie von ihrem schrecklichen Vorhaben abzubringen.
Annie lächelte matt. Sie würde seine Bemühungen in eine bestimmte Richtung lenken. Bei dem Gedanken an all die schönen Dinge, die sie miteinander machen würden, seufzte sie voller Inbrunst.
Der Hundeschlitten verschwand hinter einem verharschten Schneehügel.
Annie Turner hauchte auf die Scheibe. Sie malte ein neues Herz mit einem Pfeil mittendurch. Während sie mit verschwommenem Blick auf die Schneelandschaft schaute, drang plötzlich ein lautes Klopfen an ihr Ohr.
Nanu? Besuch? Und dann noch an der Hintertür?
Annie eilte durch die Stube, vorbei an dem bullernden Ofen und dem Schreibtisch, auf dem haufenweise Blätter mit angefangenen Spielszenen lagen. Sie wollte eben fragen, wer da sei, aber schon ertönte eine wohlbekannte Stimme.
»Miss Turner!«, rief es von draußen. »Annie? Sind Sie da?«
Annie machte auf und stand dem alten Stonecroft gegenüber, dessen Gehöft knapp zwei Meilen von der Caribou-Ranch entfernt lag.
Jed Stonecroft war ein Mann von knapp siebzig Jahren, mit langen, silbergrauen Haaren und einem Spitzbart, der von gelben Strähnen durchzogen war. Vor etlichen Jahren war er mal Hilfspolizist in der Rinderstadt Abilene gewesen, unter dem Kommando des legendären Marshals »Bear River« Thomas J. Smith, der während eines Einsatzes hinterrücks erschossen worden war.
Der Wind blies Annie eine Ladung Schneeflocken ins Gesicht. »Hui! Old Jed! Kommen Sie schnell herein!«
Der Alte trat über die Schwelle.
Annie drückte hastig die Tür hinter ihm zu.
»Ein Wetterchen ist das!« Der Mann nahm den Hut vom Kopf und wedelte den Schnee von der Krempe. »Bin gekommen, um Sie zu fragen, ob sie genügend Vorräte im Haus haben«, sagte er ohne Umschweife. »Mein Freund Charley, der Arapaho-Schamane, meint, dass wir in Kürze mit einer Menge Schnee rechnen müssen. Möglich, dass der Trail nach Boulder eine Weile nicht passierbar ist. Dann wird's eng mit dem Nachschub.«
Annie erschrak. Sie ging davon aus, dass Lassiter bereits auf dem Weg zu ihr war. Wenn ein Unwetter über sie hereinbrach, würde er vielleicht umkehren.
»Mehl, Bohnen, Mais, fermentiertes Gemüse?« Der Greis musterte sie prüfend. »Von allem genug gebunkert, kleine Miss?«
Sie dachte kurz nach. »Ja, ich denke schon. Zwei, drei Wochen könnte ich locker überstehen. Wenn ich das Essen rationiere, bestimmt noch länger. Holz ist auch genug da.« Sie lächelte. »Wie wär's mit einem Kaffee, Old Jed?«
»Oh, da sage ich nicht nein.« Er hängte seinen Hut an den Haken, schälte sich aus seinem Pelz und strich sich über den Bart. »Wie kommen Sie mit Ihrer Schreiberei voran, Annie? Dürfen wir uns bald auf ein neues Stück von Ihnen freuen?«
»Na ja«, druckste sie, während sie Wasser in einen Topf goss. »Offen gestanden habe ich noch nicht so richtig Feuer gefangen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die Geschichte, die ich mir ausgedacht habe, ist noch etwas lahm.«
»Ja, meinen Sie?« Er warf einen Blick auf den unaufgeräumten Schreibtisch. »Wie ich sehe, haben Sie schon eine ganze Menge geschrieben. Verraten Sie mir, worum es in der Story geht?«
»Um Liebe«, sagte sie ausweichend.
Es war ihr unangenehm, über ihre bisherige Arbeit zu sprechen. Was sie bislang zu Papier gebracht hatte, fand sie selbst nicht sehr berauschend. Irgendwie fehlte es der Story an Pepp.
Doch ihr Besucher gab sich zuversichtlich. »Liebe ist immer gut«, fand er. »Ich weiß noch, als ich das erste Mal verliebt war. Holy spirit! So lange her. Das Mädel hieß Mary, eine hübsche Brünette mit Knopfaugen und Grübchen auf den Wangen. Ein richtiger Hingucker, sage ich Ihnen. Eine Figur wie ein Stundenglas. Einfach nur zum Anbeißen. Ich hatte gleich einen ganzen Schwarm Schmetterlinge im Bauch.« Er zwirbelte an seinem Bart. »Marys Vater besaß eine Sägemühle, an einem Bayou des Mississippi. Er hat sein Töchterchen bewacht wie ein Zerberus, aber Mary und ich haben immer wieder ein Schlupfloch gefunden, um uns heimlich zu treffen.«
Annie gab ein paar Löffel Kaffeemehl in den Topf. Dann stellte sie zwei große Becher und eine Dose gezuckerte Kondensmilch auf den Tisch, dazu eine Schale mit den Butterkeksen, die sie am Vortag gebacken hatte.