1,99 €
Jim Baxter blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Lagerfeuer in der Mitte der kleinen Wagenburg. Etwa ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder hatte sich an der Feuerstelle eingefunden. Der Geruch von gebratenem Fleisch lag in der Luft.
Dem Banditen lief das Wasser im Mund zusammen, aber er zügelte seinen Hunger. Vorsichtig griff er nach seinem Gewehr. Auch Cal und Wes, seine jüngeren Brüder, zogen ihre Schießeisen. Die Siedler am Feuer waren völlig arglos. Der Mann am Grillrost legte Steaks in eine Schüssel aus Steingut. Eine Frau im geflickten Kattunkleid verteilte das Fleisch auf die Teller.
Baxter wandte den Kopf. "Über ihre Köpfe schießen", raunte er. "So, wie wir es vereinbart haben." Cal und Wes machten ihre Waffen schussbereit.
Da erscholl eine laute Stimme vom Lagerplatz her: "Zu den Waffen! Wir sind nicht allein!"
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2023
Cover
Auf dem Treck ins Jenseits
Vorschau
Impressum
Auf dem Treck ins Jenseits
von Tom Hogan
Jim Baxter blickte mit zusammengekniffenen Augen auf das Lagerfeuer in der Mitte der kleinen Wagenburg. Etwa ein Dutzend Männer, Frauen und Kinder hatte sich an der Feuerstelle eingefunden. Der Geruch von gebratenem Fleisch lag in der Luft.
Dem Banditen lief das Wasser im Mund zusammen, aber er zügelte seinen Hunger. Vorsichtig griff er nach seinem Gewehr. Auch Cal und Wes, seine jüngeren Brüder, zogen ihre Schießeisen. Die Siedler am Feuer waren völlig arglos. Der Mann am Grillrost legte Steaks in eine Schüssel aus Steingut. Eine Frau im geflickten Kattunkleid verteilte das Fleisch auf die Teller.
Baxter wandte den Kopf. »Über ihre Köpfe schießen«, raunte er. »So, wie wir es vereinbart haben.« Cal und Wes machten ihre Waffen schussbereit.
Da erscholl eine laute Stimme vom Lagerplatz her: »Zu den Waffen! Wir sind nicht allein!«
In Oak Springs war der Teufel los!
Die Stadt am Ende des Trails bebte unter dem Ansturm der arbeitslosen Cowboys. Die Rinder, die sie aus Texas hierher getrieben hatten, traten ihre letzte Reise an: im Viehwagen in die Schlachthäuser von Chicago.
Im Amüsierviertel im westlichen Teil von Oak Springs ging es hoch her. Bier und Whisky flossen in Strömen. Vor den Bordellen warteten die liebeshungrigen Freier darauf, dass die Frau ihrer Träume für sie Luft an ihren Hintern ließ. Auch an den Spieltischen herrschte Hochbetrieb. Eine Menge mühsam verdienter Dollars wechselte ihren Besitzer. Die Pferde an den Zügelholmen dösten gleichmütig mit hängenden Köpfen vor sich hin. Aus dem offenen Fenster im oberen Stockwerk vom Maverick-Saloon drang das laute Stöhnen einer Frau, begleitet von den rhythmischen Quietschtönen der ungeölten Bettfedern. Ein mechanisches Klavier sorgte mit einem beschwingten Gassenhauer für den musikalischen Hintergrund.
Ein Betrunkener mit schief sitzendem Plainsmanhut rammte die Schwingtüren auf und torkelte auf den Vorplatz. Nach drei, vier Yards stolperte er über seine eigenen Beine und stürzte zu Boden. Mit einem lästerlichen Fluch rappelte er sich wieder auf die Füße.
Lassiter leinte sein Pferd ans Haltegeländer und trat auf die Veranda. Über die brusthohen Pendeltüren hinweg quoll dicklicher Tabakrauch aus dem Inneren des Saloons. Der säuerliche Geruch von verschüttetem Bier lag in der Luft.
Lassiter schob die Türen auf, als er plötzlich eine Hand auf seiner Schulter spürte.
»He, Amigo! Haste mal 'n Sargnagel für mich?« Es war der Saufaus mit dem verrutschten Plainsman.
»Nein, bin Nichtraucher.« Lassiter löste die krallende Hand aus seiner Jacke.
Der Betrunkene glotzte ihn an. »Willst du 'n paar in die Fresse?«, lallte er.
»Ein andermal.«
»Okay.« Der Mann tippte sich an den Hutrand und schob ab.
Lassiter trat in den Gastraum. Vom Eingang aus sandte er einen spähenden Blick in die Runde.
Niemand schien von ihm Notiz zu nehmen.
Er fand die Idee seines Kontaktmannes, sich hier im Maverick-Saloon zu treffen, völlig deplatziert. Sollten sie die Einzelheiten seiner geheimen Mission etwa in aller Öffentlichkeit erörtern? Seltsam. Den Namen der Kontaktperson wusste er auch nicht. Es hieß, der Typ würde ihn schon erkennen, darüber brauche er sich keine Sorgen zu machen.
Lassiter passierte einen quadratischen Tisch, an dem vier Cowboys mit aufgesetztem Pokerface auf ihre Karten starrten, als wollten sie sie hypnotisieren. Er ging an dem munter klimpernden Klavier vorbei und steuerte auf das rechte Ende der Bar zu.
Es dauerte eine Weile, bis der überforderte Barkeeper seine Bestellung angenommen hatte. Während Lassiter geduldig auf sein Bier wartete, stellte sich eine rotblonde Frau neben ihn. Mit Kennerblick konstatierte er, dass sie eine ungemein attraktive Evastochter war.
»Howdy, ich bin Becky«, sagte sie salbungsvoll.
Er lächelte dünn, gab aber keine Antwort.
Die Frau hatte ein hübsches Gesicht, grüne Augen, volle Lippen und Grübchen auf den leicht geröteten Wangen. Sie war ziemlich groß und hatte eine Figur, deren Anblick wohl jedem Adamsjünger das Herz schneller schlagen ließ. Lassiter fragte sich, was so eine schöne Frau dazu bewog, in einer Kaschemme wie dem Maverick die Gäste zum Trinken zu animieren. Womöglich ging sie auch mit dem einen oder anderen in ein Separee, wenn er das nötige Kleingeld locker machte.
Sie sah ihn an. »Bist du stumm?«
»Ja«, antwortete er.
Sie drückte ihr Rückgrat durch, sodass ihr Oberbau das Dekolleté jeden Moment zu sprengen drohte.
All devils! Ob Lassiter wollte oder nicht, er musste hinsehen. Für den Bruchteil einer Sekunde kam er sich vor, als hätte ihm eine geheimnisvolle Macht ihren Willen aufgezwungen.
Die Rotblonde bewegte langsam ihre Schultern.
Lassiter räusperte sich, und unter Aufbietung all seines Willens hob er den Blick. Er sah in ihre grünen Augen.
»Spendierst du mir einen Drink?«, fragte die Frau, die es sichtlich genossen hatte, wie er sie musterte. Ohne die Antwort abzuwarten, hob sie eine Hand und rief den Salooner. »He, Spooky! Der Gent hier lädt mich zu einem Gläschen ein!«
Lassiter roch, dass Becky angenehm nach Jasmin duftete. Erneut reckte er seinen Hals und sah sich nach allen Seiten um. Keine Spur von jemandem, der sein Kontaktmann hätte sein können.
»Dein Drink, Sweetheart!« Der Keeper stellte einen Kelch schäumenden Sektes auf die Theke. Lassiters Bier landete daneben.
»Ich möchte gleich zahlen«, sagte er.
Die Frau kam ganz nahe. »Bleib doch noch ein bisschen... Lassiter«, flüsterte sie.
Er hielt den Atem an und starrte sie an.
»Du brauchst nicht nach mir zu suchen, ich bin schon da«, sagte sie und schmunzelte.
»Du bist...?« Er war verblüfft. Narrte ihn ein Spuk? Becky – seine Kontaktperson? Heiliger Strohsack! Was hatten sich die Jungs von der Zentrale in Washington bloß dabei gedacht?
»Ja, ich bin«, sagte sie und hob ihr Glas. »Lass uns anstoßen, auf gutes Gelingen, in allen Dingen.«
Ihre Stimme besaß etwas extrem Erotisches, sodass ihn ein wohliger Schauer überkam. Er pustete den Schaum von seinem Bier und nippte daran, ohne die Frau aus den Augen zu lassen.
Becky war die leibhaftige Versuchung. Er überlegte hin und her. Wollte man ihn etwa auf die Probe stellen? Die Einfälle der Brigade-Sieben-Burschen aus Washington waren mitunter mit Vorsicht zu genießen.
Im Nu hatte Becky ihr Sektglas geleert. Zu Lassiters Überraschung griff sie nach seiner Hand. »Lass uns nach oben gehen«, sagte sie leise. »Ich habe uns ein ruhiges Plätzchen organisiert. Dort können wir ungestört über alles reden.«
»Meinetwegen. Wenn du es sagst.« Lassiter beschloss, sich heute über nichts mehr zu wundern. Er trank noch einen Schluck, dann stellte er sein Glas neben den geleerten Sektkelch.
Hand in Hand durchquerten sie den Saal, bis zur breiten Treppe, die hinauf zur Galerie führte.
Lassiter bemerkte, dass einige Männer ihm neidische Blicke zuwarfen.
Das gefiel ihm.
Immerhin schleppte er gerade die schönste Frau im Saloon ab, bestimmt sogar die schönste von ganz Oak Springs, wenn nicht sogar aus dem County.
Unwillkürlich fiel sein Blick auf Beckys wackelnden Po, und er atmete tief durch. Diese Frau sah von hinten genau so verführerisch aus wie von vorn. Das Kleid, das sie trug, war einfach hinreißend. Ein Augenschmaus ohnegleichen.
Lassiter geriet das Blut gehörig in Wallung. Zum Glück gelang es ihm, sich äußerlich nichts anmerken zu lassen. Aber er war sicher, dass seine Begleiterin längst bemerkt hatte, was in ihm vorging.
Das stimmte genau.
Als sie die Galerie erreichten, blieb Becky unvermittelt stehen. »Wie wär's, wenn du mich küsst?«, sagte sie und hielt den Kopf schief.
Er zögerte.
»Wir wollen doch, dass niemand Verdacht schöpft, nicht wahr?« Auf ihren Lippen lag ein feines Lächeln, während sie mit einer Hand auf die lärmenden Zecher im unteren Gastraum deutete.
Lassiters Herz schlug schneller. »Nein, das wollen wir nicht«, sagte er scheinbar teilnahmslos.
Einem jähen Impuls folgend, schob er seinen Hut höher und nahm die schöne Frau in die Arme. Zärtlich küsste er sie.
Wow!, dachte er drei Minuten später, als ihre Lippen sich voneinander gelöst hatten. Das war der beste Kuss seit einer gefühlten Ewigkeit!
In diesem Augenblick wandte Becky sich ab. Sie öffnete die Tür neben dem Aquarell mit dem wildromantischen Smoky-Hills-Motiv. »Lass uns zur Sache kommen«, sagte sie.
Lassiter, der nicht genau wusste, was sie damit meinte, rückte umständlich seinen Stetson zurecht. Dann folgte er Becky in das abgedunkelte Zimmer.
Er freute sich schon auf das, was jetzt auf ihn zukam. Bestimmt ein erotisches Highlight.
Aber er sollte sich irren.
✰
Kaum hatte sich die Tür hinter ihnen geschlossen, verwandelte sich Beckys Gesichtsausdruck, von einer Sekunde auf die andere. Prompt war alles Kokette und Hurenhafte an ihr wie weggeblasen.
»Nehmen Sie Platz, Mr. Lassiter«, sagte sie im Befehlston.
Ohne ein Wort nahm er ihre Verwandlung hin und setzte sich auf einen der beiden Stühle, die unter dem mit azurblauen Wolkengardinen verhangenen Fenster standen.
Sie sah ihn prüfend an. »Mein Name ist Rebekka Stout«, erklärte sie. »Damit wir uns gleich verstehen: Die Becky von vorhin habe ich im Saloon gelassen. Es ist nur eine Rolle, in die ich bisweilen schlüpfe. Eine gute Tarnung ist alles. Sie verstehen das sicher, nehme ich an.«
»O ja, natürlich.« Er nickte beifällig. Insgeheim war er jedoch ein bisschen enttäuscht. Eigentlich hatte er sich mehr versprochen. In seiner Männerfantasie hatte er sich schon ausgemalt, wie er Beckys zur Schau getragene Weiblichkeit auf die Probe stellte. Gern hätte er mehr als nur das Dekolleté von der bezaubernden Rotblonden gesehen.
Und nicht nur gesehen!
Er bemühte sich um eine entspannte Miene. Sie küsste wie eine Liebesgöttin, mit einem Zungenschlag, der im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend war.
Alles nur Getue?
Er war da nicht so sicher, dennoch entschied er, seine erotischen Anwandlungen zunächst einmal zu den Akten zu legen. Jetzt ging es um seine Mission. Rebekka Stout würde ihn ins Bild setzen. Sie war vom Headquarter in Washington dazu auserkoren worden, ihn mit den Details seines Auftrages bekannt zu machen.
Lässig schlug er ein Bein über das andere. »Also gut, Miss Stout«, sagte er ruhig. »Spannen Sie mich nicht länger auf die Folter. Ich bin ganz Ohr. Worum geht es diesmal?«
Sie raffte ihre Rockschöße, entblößte dabei ihre perfekt gewachsenen Unterschenkel und sank auf den zweiten Stuhl. »Es handelt sich um das Massaker bei einem Treck auf dem Chicawa-Trail, vor ein paar Wochen. Drei Familien sind mit ihren Planwagen in Richtung Glenville gezogen, aber nie dort angekommen. Beim Bluff Rock wurden sie bei einer Rast am Lagerfeuer überrascht und allesamt niedergemetzelt, bis auf eine junge Frau, die in eine Schockstarre verfallen ist und seitdem kein Wort mehr spricht.«
Lassiter nickte betrübt.
Becky fuhr fort: »Die Wagen wurden anschließend mit Petroleum übergossen und in Brand gesteckt. Die Ermittlungen des Sheriffs und der Rangers führten zu keinem Ergebnis. Aus der Überlebenden war kein Wort herauszukriegen. Daraufhin wurde die Pinkerton-Agentur ins Spiel gebracht. Zwei Detektive reisten an und schnüffelten eine Weile herum. Keine Anhaltspunkte. Auch sie bekamen kein Wort aus der Zeugin heraus. Die Pinkerton-Leute gaben auf und setzten sich wieder in den Zug nach Chicago.«
»Keine Anhaltspunkte«, sinnierte Lassiter. »Dazu eine Zeugin, die schweigt. Tod und Teufel! Ich frage mich, wie ich da helfen kann. Warum wurde ausgerechnet ich von der Zentrale mit dieser Mission betraut?«
Unten im Gastraum läutete eine Glocke! Vermutlich hatte jemand den Jackpot bei einem Glücksspiel eingeheimst. Trunkenes Grölen brandete auf. Eine Frau kreischte, als hätte sie eine Klapperschlange unter dem Rock.
»Warum gerade Sie?« Becky machte die Augen schmal. »Na, mein Lieber, dreimal dürfen Sie raten.«
»Weil ich gut mit Frauen kann?«, tippte er.
»Bingo.« Sie lächelte matt. »Ihr Ruf eilt Ihnen voraus, Lassiter. Glauben Sie, all ihre amourösen Eskapaden bleiben unbemerkt?«
»Hm.« Er ließ seinen Atem aus den Lungen. »Ich denke, diesmal werde ich meinem Ruf als Schürzenjäger nicht bestätigen können.« Er blickte auf. »Das stumme Mädchen, wie alt ist es?«
»Schätzungsweise Anfang zwanzig. Übrigens eine sehr hübsche. Ihr Name ist leider nicht bekannt. All ihre Papiere und Unterlagen sind dem Feuer zum Opfer gefallen.«
»Armes Ding.« Er hob die Stimme. »Wo befindet sich das Mädchen? In einer kirchlichen Einrichtung? Oder ist sie privat untergebracht?«
Becky zupfte an ihrem Dekolleté. »Der Sheriff hat eine Pflegefamilie für sie gefunden. In Glenville, nur ein paar Meilen von Oak Springs entfernt. Ein beschaulicher kleiner Ort, in dem sich überwiegend meist Handwerker angesiedelt haben. Hufschmiede, Zimmerleute, Schneider und so weiter. Saloons und Spielhöllen – Fehlanzeige. Übrigens sehr nette Leute, die Andersons, er hat einen Drugstore, worin auch seine Frau und seine Schwiegermutter arbeiten. Mandy wird rund um die Uhr von ihnen betreut.«
»Mandy?«
»Ja. Das Mädchen brauchte doch einen Namen. Da haben die Andersons sie eben Mandy genannt. Der Name gefiel ihnen.«
»Verstehe.« Nachdenklich rieb Lassiter sein glatt rasiertes Kinn. Er dachte über die Mission Chicawa-Massaker nach, konnte sich aber immer noch nicht so recht vorstellen, wie er die Sache in den Griff bekommen sollte. Wie es aussah, erhoffte man sich von ihm, dass er die stumme Überlebende durch seinen Charme irgendwie dazu animierte, ihr Gedächtnis aufzufrischen. Mandy war womöglich der Schlüssel zur Aufklärung des Verbrechens. Eines stand fest: Die Bestien, die das unfassbar Grausame getan hatten, mussten unbedingt aus der Gesellschaft entfernt werden. Vermutlich planten diese Unholde bereits den nächsten blutigen Coup.
Die Vorstellung daran ließ eine Faust in seinem Bauch wachsen.
Becky sagte: »Ich kann mir ausmalen, was Sie gerade denken, Lassiter. Warum gerade ich? Was soll das?« Sie hielt einen Moment inne. »Da gibt es jemanden im Hintergrund, der den Jungs von der Zentrale ans Herz gelegt hat, Sie für diesen Fall einzusetzen.«
»Ach ja? Wer ist dieser Jemand?«
»Geheime Kommandosache. Spielt auch keine Rolle.« Becky sah ihn an. »Nur so viel: Dieser Jemand hat mächtigen Einfluss, auch auf den Kopf der Brigade Sieben. Er hält große Stücke von Ihnen. Nicht nur wegen ihres Faibles für das weibliche Geschlecht. Wie dem auch sei, es muss alles Menschenmögliche versucht werden, damit Mandys Erinnerung aktiviert wird.«
»Und was genau soll ich tun?«
Becky fegte sich mit ihren rot lackierten Fingernägeln einen Fussel von ihrem Rockschoß. »Ich schlage vor, dass Sie sich unverzüglich zu den Andersons nach Glenville begeben. Sie wissen Bescheid, dass sie kommen. Verbringen Sie mit Mandy so viel Zeit wie möglich. Gehen Sie mit ihr Reiten, unternehmen Sie Spaziergänge mit ihr, machen Sie Picknicks am Wegesrand, schauen Sie sich Fotografien mit ihr an. Und nebenbei stellen Sie ihr Fragen, immer wieder – solange, bis sie darauf antwortet.«
»Gütiger Gott!« Lassiter schüttelte den Kopf. »Das kann ja ewig dauern. Gibt es denn wirklich keine andere heiße Spur? Diese Menschenschinder sind doch nicht vom Himmel gefallen.«
Auf dem Gang der Galerie trippelten eilige Schritte. »Nicht so stürmisch, Tigerman!«, lispelte eine hohe Stimme. »Warte, bis wir im Zimmer sind!« Kurz darauf fiel eine Tür ins Schloss.
»Nein, es gibt keine andere Spur«, antwortete Becky. »All unsere Hoffnungen ruhen auf Ihnen, Lassiter. Die Brigade Sieben ist der Ansicht, dass es Ihnen gelingen könnte, Licht in das Dunkel zu bringen. Gewinnen Sie Mandys Vertrauen. Das wäre ein guter Anfang.«
Mit gemischten Gefühlen betrachtete er seine Stiefelspitzen. Am liebsten hätte er diese merkwürdige Mission abgelehnt. Wer wusste schon, ob Mandy überhaupt je wieder sprach. Andererseits war es mal eine willkommene Abwechslung, eine Zeitlang ruhig zu treten. Keine Schießereien, keine wilden Verfolgungsjagden. Wie es hieß, war Mandy ein nett anzusehendes Mädchen. Und in weiblicher Gesellschaft fühlte er sich eigentlich ganz wohl.
Verrückt, das alles!
»Sie werden bei den Andersons ein Zimmer beziehen«, sagte Becky, dann kniff sie die Augen zusammen und lächelte. »Gleich neben Mandys Kammer. Sie werden Tag und Nacht für sie da sein.«
»Na klar. Mach ich. Es soll ihr an nichts fehlen.«
»Mandy ist ein sehr hübsches Mädchen«, sagte Becky langsam.
Lassiter hob die Brauen. »Ich bitte Sie, Miss Stout. Was denken Sie denn von mir? Trauen Sie mir etwa zu, ich würde die Situation ausnützen?«
»Sagen Sie's mir.«
Er winkte ab. »Seien Sie unbesorgt. Ich bin Profi und werde mich verhalten wie ein perfekter Gentleman.«
»Na ja«, druckste Becky. »Allzu große Perfektion ist in diesem Fall vielleicht auch nicht das Wahre.«
Lassiter stutzte. »Was meinen Sie?«
Sie seufzte. »Wie gesagt, Mandy ist sehr hübsch – und überaus sexy.«