Lautlos morden in Barcelona - oder: Eisiges Schweigen - Irene Rodrian - E-Book
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Lautlos morden in Barcelona - oder: Eisiges Schweigen E-Book

Irene Rodrian

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Beschreibung

Ein spektakulärer Mord und eine gnadenlose Verfolgungsjagd: »Lautlos morden in Barcelona« von Irene Rodrian jetzt als eBook bei dotbooks. Sie kann ihn nicht hören, aber seine finsteren Taten haben sich in ihre Netzhaut gebrannt … Die renommierte Wissenschaftlerin Dr. Lídia Pastor soll der Öffentlichkeit ihr neustes Forschungsprojekt präsentieren: ein Aufsehen erregendes Medikament, das für ewige Jugend sorgen soll und dessen Formel hochbegehrt ist. Kurz vor der Konferenz wird sie unter rätselhaften Umständen ermordet. Privatermittlerin Pia und ihre Freundinnen nehmen die Ermittlungen auf: Die Einzige, die Licht in die Sache bringen könnte, ist die dreizehnjährige Júlia, die Zeugin bei der Tat war. Doch das gehörlose Straßenkind ist völlig hilflos, auf der Flucht vor der Polizei – und der Täter hat sie bereits im Visier! Wird es den Frauen der Detektei Llimona 5 gelingen, das junge Mädchen vor dem Mörder zu finden? »Fünf höchst sympathische Frauen, die das Schicksal in Barcelona zusammenführt.« Brigitte Jetzt als eBook kaufen und genießen: »Lautlos morden in Barcelona« von Irene Rodrian, auch bekannt unter dem Titel »Eisiges Schweigen«, ist der dritte Band einer Barcelona-Krimireihe, der auch unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden kann. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 348

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Über dieses Buch:

Die dreizehnjährige Júlia ist die einzige Zeugin, als Dr. Lídia Pastor in ihrem Hotelzimmer ermordet wird. Und das kurz bevor die Wissenschaftlerin ein neues Forschungsprojekt vorstellen wollte: ein unbezahlbares Wundermittel, das für ewige Jugend sorgt. Doch der Täter hat Júlia gesehen. Sie scheint ein leichtes Opfer, denn sie ist gehörlos und lebt auf der Straße. Eine gnadenlose Verfolgungsjagd beginnt. Wird es den Frauen der Llimona 5 gelingen, das junge Mädchen vor dem Mörder zu finden?

»Fünf höchst sympathische Frauen, die das Schicksal in Barcelona zusammenführt.« Brigitte

Über die Autorin:

Irene Rodrian, 1937 in Berlin geboren, wurde u.a. mit dem Ehrenglauser des Friedrich-Glauser-Preises und dem Edgar-Wallace-Preis für Kriminalliteratur ausgezeichnet. Seither hat sie sich mit zahlreichen Bestsellern in einer Gesamtauflage von über zwei Millionen und als Drehbuchautorin (Tatort, Ein Fall für Zwei) einen Namen gemacht. Irene Rodrian lebt heute in München.

Ebenfalls bei dotbooks erschienen Irene Rodrians Romane Meines Bruders Mörderin, Im Bann des Tigers, Eisiges Schweigen und ihre Kinderbücher Pepolino sticht in See, Pepolino auf großer Fahrt und Pepolino und der dicke Kapitän.

Die Autorin im Internet: www.irenerodrian.com, www.facebook.com/irene.rodrian und www.llimona5.com

***

Neuausgabe Januar 2013

Copyright © der Originalausgabe 2006 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © 2013 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © Astonishing | photocase.com

ISBN 978-3-95520-091-6

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Irene RodrianEisiges Schweigen

Der dritte Fall für Llimona 5

dotbooks.

I. Hinter verschlossenen Türen

II. Das Geheimnis ewiger Jugend

III. Totenstille

IV. Und früher Tod

V. Das Auge

Nachwort

Lesetipps

FÜR MANUEL VÁZQUEZ MONTALBÁN

I. Hinter verschlossenen Türen

1

Es wurde früh dunkel im November.

Vom Hafen her fegte ein eisiger Wind die welken Blätter der Platanen durch die Ramblas. Die ersten Stände wurden zusammengepackt. Bunte Vögel kreischten in ihren Käfigen aus Angst vor den freien Stadttauben, die sie immer aggressiver attackierten. Menschentrauben stauten sich an den Zebrastreifen. Laute Rufe, Lachen. Ein Kind schrie, ein Hund jaulte auf. Aus einer Bar dröhnte ohrenbetäubender Rock, aus einer anderen heulte ein Tango. Die Autos schoben sich Stoßstange an Stoßstange vorbei. Wütendes Hupen. Eine grelle Polizeisirene verschaffte sich Platz.

Das Mädchen hörte nichts.

Júlia war dreizehn, fast vierzehn.

Sie sah jünger aus. Klein und dünn. Mit grünen Augen in einem herzförmigen Gesicht. Das dichtbraune Haar hatte sie unter eine weiße Wollmütze gequetscht. Sie trug hohe Stiefel aus weichem Leder, einen kurzen Lederrock, eine knappe Lammfelljacke über einem T-Shirt mit dem  Gesicht vom Zunge zeigenden Einstein und einen kleinen Rucksack.

Sie konnte nicht hören.

Sie sah die Menschen, die Autos, die Lichter.  Sie sah eine Lücke zwischen den Autos und rannte dazwischen, um die Fahrbahn zu überqueren.

Im letzten Sekundenbruchteil nahm sie das blaue Lichtsignal auf dem Dach des vorpreschenden Polizeiautos wahr und sprang mit einem langen Satz nach vorn. Sie spürte noch die Wärme des nahen Motors in den Kniekehlen, roch heißen Diesel und sah im Sekundenbruchteil wie festgebrannt das Gesicht des Polizisten am Steuer. Vor Schreck geweitete Augen unter der dunkelblauen Mütze und ein halb offener Mund. Júlia lachte und war schon im Gewühl auf der anderen Straßenseite verschwunden.

Sie fror. Diesen dämlichen Rock hatte sie nur geklaut, weil er schon so vergessen in der Kabine herumhing und weil er auch noch passte. Sie lief schneller, bog in die Ferran ein und dann in die Avinyó. Sie blieb stehen. Gleich hinter der Placa Verónica blinkte grün, rot und weiß das Neonkreuz einer Apotheke. Hinter den Schaufensterscheiben goldgelbes Licht über einer Wand aus schimmernd altem Holz. Schmale Schubladen mit Goldknöpfen wie in einem altmodischen Spielzeugladen. Júlia drückte die Tür auf und war in windgeschützter Wärme.

Die Apothekerin im weißen Mäntelchen war allein, müde und gelangweilt. Perfekt. Außer Julia war nur noch ein Kunde da, ein Mann. Júlia blieb gleich neben der Tür stehen und musterte das erstaunlich reiche Angebot an Zahnbürsten. Beobachtete die Apothekerin und den Mann im Spiegelbild der Schaufensterscheibe.

Er war groß, ging aber irgendwie gebückt, er hatte einen Wettermantel mit hochgestelltem Kragen an und einen Hut auf. Na schön, es war kalt, aber sie waren doch immer noch in Barcelona am Mittelmeer und nicht in Sibirien. 

Der Mann wusste, was er wollte. Eine graue Pappschachtel mit kleinen Glaspipetten und vier in Plastik eingeschweißte rote Gummihütchen. Die Apothekerin war ihm zu langsam. Sie wiederholte alles, was er sagte. Ungeduldig ballte er die linke Hand zur Faust, in der rechten hielt er eine braune Zigarette. Ihm war wohl wirklich kalt, er behielt sogar hier drin die Handschuhe an. Dann war er fertig und trommelte ungeduldig mit dem Fuß auf den abgetretenen Steinboden, weil die Apothekerin die Preise für die Glasdinger erst im Katalog nachschlagen mußte. Júlia wartete noch, bis er zur Tür raus war und ging dann hinüber zur Theke.

Sie lächelte und legte ihr Rezept auf das polierte Mahagoni. Der Arzt, bei dem sie den Block geklaut hatte, war Orthopäde und hatte seine Praxis in einer ganz anderen Ecke von Barcelona, in L’Hospitalet, da war kaum eine Verbindung möglich.

Die Apothekerin hatte einen dicken gelben Eiterpickel auf der Nase. Sie schrieb in irgendeiner Liste herum, schaute Júlias Rezept gar nicht richtig an, wandte sich nur kurz ab und zog eine der vielen schmalen Schubladen auf.

Und legte eine neue Packung Yaba vor Júlia hin.

Die Nacht war gerettet. Und die ganze Woche auch. Júlia zahlte und ging hinaus. Gleich an der nächsten Ecke hinter der Escudellers blinkte schon wieder ein grünes Kreuz über einer Apotheke. Sie lag eingeklemmt zwischen zwei Bürgerhäusern und war wohl in letzter Zeit renoviert worden. Im vorderen Raum gab es nur offene Regale mit allen möglichen Flaschen, Tuben und bunten Werbeständern. Dahinter kam ein offener Gang mit deckenhohen Schieberegalen in hygienisch einwandfreiem Plastikweiß.

Die Apothekerin war jung und dürr, hatte strähniges Haar und trug eine Brille mit Flaschenbodengläsern. Sie sprach mit jemandem, den Júlia von der Straße aus nicht sehen konnte. Júlia stieß die Glastür auf und sah, dass es der Mann von vorhin war.

Er hielt eine Schachtel mit Latexhandschuhen hoch und wollte wohl wissen, ob es die in seiner Größe auch gab, oder auch in einer kleineren Packung. Júlia wandte sich hastig ab und versuchte sich hinter einem Werbeposter bei Puder, Windeln und Babynahrung unsichtbar zu machen.

Rein theoretisch war die Sache mit den Rezepten narrensicher. Júlia ging nie zweimal zum selben Arzt, sie gab immer einen falschen Namen an, sie legte die Rezepte nie im gleichen barrio vor, und sie benutzte nie mehr als zwei oder drei, höchstens mal vier. Den Rest gab sie weiter.

Trotzdem. Es gab immer ein Risiko. Und es war völlig überflüssig, dass dieser komische Hutling sich an sie erinnerte, nur weil er sie kurz hintereinander in zwei Apotheken traf. Was machte er hier überhaupt? Hatte er nur etwas vergessen? Drogen kaufte er ja offensichtlich nicht. Er wirkte nicht wie ein normaler Apothekenkunde. Ein Bulle? Er zahlte und ging, und Júlia wagte es nicht, aufzusehen, bevor er draußen war. Erst dann kam sie hinter dem rosa Babyposter hervor und legte ihr Rezept für die Thaipillen vor.

Die Apothekerin schien in Gedanken immer noch bei dem Mann zu sein, schaute zur Tür und sagte irgendetwas Verächtliches in catalán. Sie hatte kratertiefe Pockennarben am Kinn und einen rasierklingenschmalen Mund. Sie nahm das Rezept hoch und verschwand in dem Regalgang. Zog eine Schiebewand nach der anderen auf und fand das Yaba  nicht. Júlia erkannte am Vibrieren ihrer Schultern, dass sie etwas sagte, aber sie konnte ihr Gesicht nicht sehen. Júlia zwang sich dazu, ruhig zu bleiben. Endlich. Die Apothekerin hob das Päckchen triumphierend hoch.

Júlia war froh, endlich wieder draußen zu sein. Der kalte Wind vom Meer roch nach Salz und weiter Welt. Sie hatte genug Yaba für den ganzen Monat, und es gab keinen Grund, jetzt noch mehr zu besorgen. Sie lief zum Hafen hinunter, aber am Übergang zur Simó Oller war schon wieder eine Apotheke. Grün-weiß-rotes Blinken.

Júlia blieb stehen. Sie zögerte. Ein wuchtiges Eckhaus. Die Apotheke war viel größer und aufwendiger als die beiden vorher. Ein großer Raum, dahinter weitere Räume. Schimmerndes Mahagoni bis hoch unter die stuckverzierte Decke. Golden blitzende Knöpfe und Griffe. Ein Apotheker diesmal. Ein alter Mann mit einem letzten weißen Haarkranz über einem runden Schädel und randloser Brille.

Júlia sah sich um. Sie war allein, niemand, der sie beobachtete. Sie gab sich einen Ruck. Noch ein letztes Rezept, und dann Schluss für heute und runter zum Hafen.

Sie öffnete die breite Glastür, ein goldenes Glöckchen bewegte sich über ihrem Kopf, sie ging hinein und merkte erst viel zu spät, dass hier außer dem Apotheker auch noch zwei Frauen arbeiteten. Dass schon eine andere Kundin in der Apotheke war, hochschwanger offenbar. Sie stand hinter einem breiten Drehständer mit homöopathischen Mitteln in Gläschen und blätterte in dem aushängenden Heft.

Und wieder der Mann mit dem Hut. Im Moment noch in ein Gespräch mit einer der  Apothekerinnen vertieft.

“Kann ich Ihnen helfen?” fragte die andere und lächelte.

Júlia lächelte auch und wollte sich zurückziehen. So schnell wie nur möglich. Nur raus hier. Plötzlich stand die schwangere Frau hinter ihr, Júlia versuchte, ihr auszuweichen und stieß gegen die homöopathischen Gläschen. Die erste Reihe purzelte zu Boden Das schien einen Höllenlärm zu machen, denn alle schauten her.

Auch der Mann mit dem Hut.

2

Das pompöse Hauptportal des Gran Hotel Big Sur mit seinen polierten Topfpalmen, den vergoldeten Türen, dem rotem Teppich und dem schwarz-gold livrierten Portier ging auf den Passeig de Gràcia hinaus, aber in der düsteren Seitenstraße gab es einen Nebeneingang. Der Mann wartete hinter der Einfahrt zu einer Tiefgarage, bis das Taxi auf der anderen Seite  seine Fahrgäste ausgeladen hatte und weiterfuhr.

Hier gab es keinen Pförtner. Der Mann kam unbeachtet in die Lobby, drückte seine Zigarette in einem der großen Aschenbecher aus und wartete hinter einer der gewaltigen Marmorsäulen. Riesige Designerteppiche in leuchtenden Farben bis nach vorne zur Rezeption. Gewaltige Töpfe mit blühenden Orchideen. Vielstöckige Lüster mit hunderten funkelnder Kristalle, die nur bei genauem Hinsehen als geschliffene Glasscherben zu erkennen waren. Sideboards, Wandschränke und Vitrinen in ungewöhnlichen Formen, Mehrarmige  Stehlampen aus verschiedenen Materialien bei den ausladenden Sitzgruppen aus bunt gefärbtem Büffelleder. Die halbrunde Bar nahm die Jugendstilornamente der Außenfassade wieder auf. Der junge Bartender und zwei Gäste, erstarrt wie auf einem Bild von Dennis Hopper, der Barpianist sah aus wie Count Basie und spielte auch so. Die letzten Tagungsgäste trafen ein.

Er hatte den Mord nicht geplant. Sonst hätte er sich sorgfältiger vorbereiten können. Möglicherweise sogar einen Tag früher eingecheckt, um das Hotel in allen Einzelheiten zu studieren. Andererseits war es ganz gut, dass er nicht mehr Zeit zum Nachdenken und Planen hatte. Es erhöhte das Risiko, den Reiz, die Spannung.

Die beiden goldglänzenden Fahrstuhltüren lagen auf der einen Seite der breiten Freitreppe, die Personal- und Feuertreppe auf der anderen. Ein Kellner mit langer weißer Schürze rollte den Teewagen zu einer der Sitzgruppen.

Sie waren zu viert. Drei Männer und sie. Lídia. Frau Doktor Lídia Pastor. Sie lachte über eine Bemerkung und nahm sich zwei Baisers vom Gebäckturm. Lídia liebte Baisers, vor allem, die etwas gröberen roccas mit ganzen Haselnüssen drin. 

Keiner sah zu ihm her, keiner bemerkte ihn. Er schob sich zur schmalen Personaltreppe hin und lief in den vierten Stock hoch. Halb sieben, später Nachmittag, eine ideale Zeit. Da hatte das Personal normalerweise nichts mehr hier oben zu suchen. Und auch die meisten Gäste  waren unterwegs. Und falls ihn doch jemand sehen sollte, dann war er der Mann mit dem Hut, kein Gast jedenfalls.

Der königsblaue Flauschboden verschluckte das Geräusch seiner Schritte, aber es war niemand da, der ihn hätte hören können. Vor dem Zimmer 412 sah er sich noch einmal um. Lauschte auf Schritte. Erst dann drückte er die Passpartoutkarte in den Schlitz und schob sich in das Zimmer.

Vom Schnitt her glich es seinem eigenen, nur seitenverkehrt. Auch keine anderen Farben, keine kühnen oder verrückten Designereinfälle, einfach nur ein ganz normales Hotelzimmer der oberen Klasse. Hinter der Tür der Vorraum,  links der geräumige Wandschrank, rechts die Tür zum Bad. Dann kam das eigentliche Zimmer, mit dem Alkoven für das Doppelbett rechts, der bequemen Sitzecke mit Tisch, Sesseln und Leselampe davor, einem Sideboard mit Barschrank, Blumenvasen und Obstkorb. Und an der Wand neben den Terrassentüren der Schreibtisch.

Ihr Koffer lag offen auf dem Bänkchen vor dem Schrank, eine Reisetasche stand daneben. An einem Bügel hing ein blauer Hosenanzug. Auf dem Bett lagen zwei Tops und ein kleiner unordentlicher Haufen Unterwäsche. Winzige Strings und BHs mit Spitzenrand, in rot und in weiß.

Auf dem Schreibtisch stand ihr Laptop, ein silberner Vaio, die rote BenQ Minimaus obendrauf. Daneben lag die blaue Tagungsmappe und ihre eigenen Unterlagen in einem kleinen, ordentlichen Haufen, daneben ein etwas schiefer Turm CDs. Automatisch wollte er sie geradeschieben, hatte  aber zu wenig Gefühl mit den Handschuhen und schubste den Turm ganz um. Baute ihn vorsichtig wieder auf, genauso wie er vorher gewesen war.

Die Terrassentüren waren geschlossen, die Klimaanlage war abgeschaltet. Der Mann öffnete vorsichtig eine Tür, ohne hinauszugehen. Üppige Gladiolen in Terracottaschalen, ein zusammengeklappter Sonnenschirm und Rattanmöbel mit weißen Leinenpolstern spielten eine wärmere Jahreszeit vor. Unten, auf dem breiten Boulevard bewegten sich die Platanen, aber hier oben war der Wind noch nicht zu spüren.

Der Mann setzte sich an den Schreibtisch und leerte vorsichtig die Tüten aus den verschiedenen Apotheken. Er hatte etwas Mühe, die Packung mit den Latexhandschuhen zu öffnen, dann erst zog er seine Lederhandschuhe aus und streifte sich die dünnen Plastikfinger über.

Sorgfältig legte er alles, was er brauchte vor sich hin. Atmete langsam aus und ein, bis er sich völlig entspannt und ruhig fühlte. Das tödliche Gas herzustellen, war einfach. Das Problem war die Zeit. Wenn es ihm nicht gelang, die Zutaten in wenigen Sekundenbruchteilen zu vermischen und sicher zu verschließen, war er tot. Sofort. Da konnte ihn auch die offene Tür nicht mehr retten.

Er hatte die Möglichkeiten schon oft durchgespielt. Er könnte sich eine Atemmaske aus Aktivkohle bauen, er könnte die Zutaten in getrennten Pipetten vorbereiten, um sie dann erst durch ein Klebeband zu verbinden. Aber die Handschuhe beeinträchtigten seine Fingerfertigkeit, und zudem bot ihm keine dieser Lösungen wirkliche Sicherheit. 

Er hatte die Handgriffe exakt geprobt. Er beherrschte sie blind. Und zur Not konnte er die Luft anhalten, gut drei Minuten, wenn’s wirklich drauf ankam.

Der Mann nahm eine Visitenkarte des Hotels aus der Mappe und faltete sie in der Mitte. Er öffnete die Fläschchen mit den Chemikalien und stellte sie bereit. Dann befestigte er die winzigen Saughütchen aus Gummi an zwei der kleinen Glaspipetten. Sorgsam bröselte er die Citronensäure in die geknickte Karte.

Er nahm das schwarze Feuerzeug mit dem goldenen Logo des Hotels in die rechte Hand und die dritte Glaspipette in die linke. Zögerte kurz. Er hätte eine Kerze nehmen sollen. Was, wenn das Feuerzeug nicht funktionierte? Er schnippte die Flamme an, sie kam sofort. Er hielt das spitze Ende des Röhrchens darüber. Das Glas schmolz wie Wachs, die Pipette war an einem Ende verschlossen.

Er nahm die zweite, saugte vorsichtig drei Tröpfchen aus dem blauen Fläschchen und tropfte sie in die erste Pipette, dann nahm er die dritte und fügte etwas  Isopropanol dazu.

Jetzt hielt er die Luft an. Schüttelte die Citronensäure als Reaktionsbeschleuniger dazu und schnippte das Feuerzeug wieder an, direkt unter der ersten Pipette. Verschmolz blitzartig das hintere Ende.

Er holte Luft. Lächelte. Seit vielen Jahren hatte er sich nicht mehr so lebendig gefühlt. In der Hand hielt er ein winziges, zerbrechliches Glasröhrchen, keine zwei Millimeter breit, keine zwei Zentimeter lang. Gefüllt mit seiner ganz privaten Art von Sarin, einem der schnellsten Gifte der Welt.

Der Mann räumte alle Zutaten wieder in die Apothekertüten zurück, schob sie in die Manteltasche und schloss die Terrassentür. Er setzte sich an den Schreibtisch und öffnete den Laptop. Er schob seinen Daumennagel unter die Kappe der großen Entertaste und hebelte sie hoch. Der kleine Hohlraum darunter bot genug Platz für das winzige und extrem fragile Glasröhrchen. Äußerst vorsichtig schob er die Kappe wieder an ihren Platz. Blieb einen Moment sitzen. Bewegte spielerisch die Finger über der Tastatur. Ließ den Zeigefinger kurz über der Entertaste schweben. Die Taste, die man am häufigsten benutzte.

Für Lídia würde es nur noch ein einziges Mal geben. Eine Berührung mit minimalem Druck reichte aus, um das tödliche Gas freizusetzen. 

Er legte die Hände auf den Deckel und schloss den Laptop wieder.

Als er das Zimmer verließ, sah er sich noch einmal sorgfältig um. Nichts war verändert. Er hatte keine Spur zurück gelassen.

3

“412 bitte”, Lídia lächelte, aber Javi war enttäuscht. Er kannte ihre Zimmernummer doch. Er bewunderte sie, er flirtete mit ihr, er liebte ihr rotes Haar. Javi sah gut aus in seiner maßgeschneiderten Uniform. Das wusste er. Das bekam er täglich zu spüren. Er war nicht mehr irgendeiner der kleinen Bellboys. Lídia hatte sich sogar seinen Namen gemerkt. Sie nahm ihre Post. Lächeln. Eine nichtssagende Geste, und sie wandte sich ab. Javi sah ihr nach. Na schön, sie war eine Ecke älter als er, aber das turnte ihn eher an. Sie war nicht wie die anderen. Und sie hatte eine Bombenfigur, schlank aber üppig an den richtigen Stellen.  Und sie war allein da. 

Lídia wartete auf den Fahrstuhl und hatte Javi schon vergessen. Von der Bar her kam mitreißend Count Basies Version von ‘Baby Lawrence’. Sie dachte an das Gespräch mit den Kollegen eben, und an ihren Vortrag heute abend. Da war noch ein Punkt, den sie ändern mußte. Sie war müde. Sie hätte nicht so viele von diesen verdammt leckeren roccas essen sollen. Vielleicht hatte sie noch Zeit für eine kleine siesta.

Der Lift kam, und sie stieg ein. Der Wandspiegel war leicht bernsteinfarben getönt und schmeichelte normalerweise. Aber auch er konnte die Ringe unter ihren Augen nicht wegretuschieren. Sie hatte in den letzten Wochen definitiv zuviel gearbeitet und zu wenig geschlafen. Im vierten Stock glitten die Türen auf, und Lídia ging hinaus auf den weichen Läufer. Jetzt war es fast geschafft. Morgen würde sie zum allerersten Mal in der Öffentlichkeit über Tretino-A sprechen. Vor den Kollegen aus aller Welt. Vor der Fachpresse. Vor den Großen der Pharmaindustrie. Vor Rubén Morales, ihrem früheren Professor. Und  vor Marcel.

412. Sie schob die Karte in den Schlitz, öffnete die Tür und ging hinein. Ein fremder Duft. Leicht, aromatisch. Tabak? Das Zimmer war so, wie sie es vor einer Stunde verlassen hatte. Ihr halb ausgepackter Koffer, die Klamotten auf dem Bett, ihr Laptop. Vermutlich rauchte das Zimmermädchen. Lídia setzte sich an den Tisch, klappte den Laptop auf und fuhr ihn hoch.

Ihre Müdigkeit war wie weggeblasen. Sie wußte jetzt, was sie tun mußte. Im zweiten Teil ihres Vortrags ging sie ja viel zu stark auf die Einzelheiten ein. Nicht alle bei dem Kongress waren Chemiker. Viele Ärzte, und vor allem die Journalisten waren schnell gelangweilt. Sie kramte in dem kleinen Stapel mit den CDs. Komisch,  die blau markierte CD hatte sie doch als letzte aus dem Computer genommen. Und direkt links daneben gelegt. Und jetzt war sie irgendwie nach unten gerutscht. Sie öffnete das Fach und legte die CD ein. Sie hasste es, wenn das Hotelpersonal etwas an ihrem Arbeitsplatz veränderte.

Lídia stand auf und ging ins Bad. Auf der Klopapierrolle waren nur noch wenige Blatt, und eine neue Rolle gab es nicht. Auch sonst hatte das rauchende Zimmermädchen offenbar nicht wirklich sauber gemacht. Lídia wusch sich die Hände.

In dem gnadenlosen Badezimmerlicht sah man nicht nur die dunklen Ringe unter ihren Augen, auch die feinen Falten neben dem Mund und am Hals. Und den leichten Farbunterschied am Haaransatz. Naja, nichts, was ein bißchen Schlaf und ein gutes Make Up nicht ausgleichen konnten. Sie schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse.

Auf dem Weg zurück zum Tisch streifte sie die Schuhe ab und holte sich ein Mineralwasser aus der Minibar. Leichtes Klopfen an der Tür. Lídia wollte jetzt nicht gestört werden, nicht mal von lieben Kollegen oder sogar Marcel.

Sie riß die Tür ziemlich ungehalten auf. Ein Blitzlicht blendete sie für einen Augenblick. “Nur eine Frage, senora. Haben Sie schon einen Namen für Ihre neue Erfindung? Was ist es? Eine Lotion? Eine Creme? Stimmt es, dass es die Haut um Jahrzehnte verjüngen kann?” Eine sehr junge Frau mit makellosem Teint hielt ihr ein kleines Diktiergerät vor die Nase. Hinter ihr stand ein ebenso junger Mann mit einem altmodisch großen Fotoapparat.

Es kam Lídia wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich kapierte, dass das Journalisten waren. Noch ein Blitz. Sie knallte die Tür zu, bevor die junge Frau ihren Fuß dazwischenschieben konnte und verriegelte sie von innen. Nicht zu fassen. Woher wußten die das? Die kamen nicht von einer Fachzeitschrift, das war eher das Niveau der Regenbogenpresse. Was kam da nur auf sie zu.

Lídia nahm sich ein Glas von dem kleinen Tablett und goss sich Mineralwasser ein. Nahm einen Schluck. Noch einen. Irgendwie war das alles ganz prickelnd. Diese Aufmerksamkeit. Dieses große Interesse. Und Tretino-A war ein Durchbruch, keine Frage. Eine absolute Neuheit.

Garry DeVille hatte zuerst ja nur eine Andeutung gemacht. Und Lídia glaubte, sich verhört zu haben. Aber er hatte wirklich von diesen Dimensionen gesprochen. Millionen. Unvorstellbare Summen.

Sie würde sich heute abend noch einmal die Haare waschen. Dazu der mitternachtsblaue Anzug aus weich fallender Viskose, der ihr so gut stand. Ja, und diese völlig irren neuen Schuhe dazu. Sie mußte ja nicht mehr weit laufen, heute abend blieben sie im Hotel.

Sie setzte sich wieder an den Laptop und klickte sich mit der Maus auf die Seite drei ihres Vortrags. Hier.  Die Behandlung mit Alpha-hydroxy-Säuren...dieser ganze Absatz mußte hier raus, darum ging es ja überhaupt nicht. Stattdessen eine leicht verständliche Zusammenfassung der schwachen beziehungsweise schädlichen Wirkung von Fruchtsäuren, Trichloressigsäure und ähnlichen Stoffen. Sie mußte sich völlig auf die Vitamin-A-Säure konzentrieren.  Sie markierte eine halbe Seite und ging auf Ausschneiden. Lídia lehnte sich zurück und überlegte. Vor den Fenstern hatte der Wind zugenommen. Der zusammengebundene Sonnenschirm versuchte, sich zu befreien, und die Oleanderbüsche rieben sich an der Balkonbrüstung. Ihr fiel ein, wie sie vor über zwei Jahren mit der Forschungsarbeit begonnen hatte. Das war noch bevor sie auf die Idee gekommen war, Tretinoin so intensiv für ein Anti- Aging-Mittel einzusetzen. Damals hatte sie noch ganz harmlos an einer neuen Gesichtscreme gearbeitet. Dann hatte es in Deutschland einen ziemlich heftigen Skandal gegeben. Eine bekannte Schauspielerin hatte eine Schönheitscreme auf den Markt gebracht, und sich zum Gespött der Medien gemacht, weil die Creme statt Jugend und Schönheit nur Hautreizungen und Entzündungen hervorrief. Was hatten sie gelacht. Lídia und ihre Chemiestudenten. Paco mit seiner blühenden Akne und der dunkelhäutige Ali mit seinen Pockennarben. 

Sie hatten sich Lídias neue Paste sofort selbst ins Gesicht geschmiert. Obwohl die damals aus nicht viel mehr als Schweinefett und Vitamin A-Säure bestand. Aus Spaß. Aber das Ergebnis hatte sie alle verblüfft. Die Akne beruhigte sich, die Pockennarben schienen sich zu glätten. Nur Lídias Falten blieben, wie sie waren. Die ersten Tage, Wochen. Dann, sehr langsam, verschwanden auch sie.

Das wäre doch eine lustige Story als Einstieg in den etwas trockenen Chemieteil. Lídia hatte lange nichts mehr von den beiden gehört. Soweit sie wusste, hatte Paco die Apotheke seiner Eltern in Toledo übernommen, und Ali war in ein pharmazeutisches Forschungsprogramm an der Uni Madrid aufgenommen worden.

Vor gut zwei Jahren arbeitete ich... nein, viel zu trocken. Der Wind ließ die Rattanliegen über den Terrassenboden schubbern. Eigentlich ist der Skandal um einen deutschen Filmstar schuld an meiner Entdeckung... genau, so konnte das gehen. YES!

Absatz, neue Zeile.

Lídia drückte die Enter-Taste.

4

Es wurde schnell dunkel. Das wolkenzerfetzte Grau des Himmels war nur noch eine Schattierung heller als die flachen Dächer mit ihren schieferfarbenen Aufbauten. Die meisten Pflanzen in den roten Tonschalen hatte Pia schon heruntergeschnitten, nur ein paar letzte Oleanderblüten hatten sich bisher erfolgreich gegen die Herbststürme behauptet.

Der Kater sprang auf die Steinbrüstung und rollte sich zu einer gelben Pelzkugel zusammen. Der Wind plusterte sein dichtes Winterfell auf und ließ ihn fast doppelt so groß aussehen. Er saß mit dem Rücken zum Wind, damit er die Tür zur Küche im Auge behalten konnte.

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