lebenslänglich - Guido Bachmann - E-Book

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Guido Bachmann

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Beschreibung

"Ich bin kein Schweizer." Mit diesem Satz beginnt Guido Bachmann seinen autobiographischen Bericht, der ein Heranwachsen in der Schweiz von 1940 bis 1959 dokumentiert. Der Sohn eines Schweizer Vaters und einer italienischen Mutter beleuchtet in diesem schnörkellosen Protokoll einer Jugend die Kehrseite der kriegsverschonten Schweiz. Mit "lebenslänglich" gibt der Autor nebst dem Einblick in seine persönliche Geschichte und einer bitteren, aber nie verbitterten Zeitkritik auch einen Schlüssel zum präziseren Verständnis seines bisherigen Werks.

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Seitenzahl: 252

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Der Autor Guido Bachmann, geboren 1940 in Luzern. Studium der Musikgeschichte und Theaterwissenschaft in Bern. Lebte bis zu seinem Tod 2003 als freier Schriftsteller und Schauspieler in St. Gallen. Sein literarisches Werk, für das er mehrfach ausgezeichnet wurde, umfasst zahlreiche Romane und Novellen.

E-Book-Ausgabe 2015 Copyright © 1997 by Lenos Verlag, Basel Alle Rechte vorbehalten Cover: Anne Hoffmann Graphic Design, Zürich Coverfoto: Guido Bachmann im Jahre 1947  www.lenos.ch   ISBN 978 3 85787 933 3

In memoriam Max Jäggi

Frei wären die Schweizer? frei diese wohlhabenden Bürger in den verschlossenen Städten? Frei diese armen Teufel an ihren Klippen und Felsen? Was man den Menschen nicht alles weis machen kann, besonders wenn man so ein altes Märchen in Spiritus aufbewahrt! Sie machten sich einmal von einem Tyrannen los und konnten sich in einem Augenblick frei denken; nun erschuf ihnen die liebe Sonne aus dem Aas des Unterdrückers einen Schwarm von kleinen Tyrannen durch eine sonderbare Wiedergeburt; nun erzählen sie das alte Märchen immer fort, man hört bis zum Überdruss, sie hätten sich einmal frei gemacht und wären frei geblieben; und nun sitzen sie hinter ihren Mauern, eingefangen von ihren Gewohnheiten und Gesetzen, ihren Fraubaserien und Philistereien, und da draussen auf den Felsen ist’s auch wohl der Mühe wert, von Freiheit zu reden, wenn man das halbe Jahr vom Schnee wie ein Murmeltier gefangen gehalten wird.

Goethe, Werther’s Papiere. Briefe aus der Schweiz

Ich bin kein Schweizer. Meine Mutter blieb bis zu ihrer Heirat Italienerin. Danach wurde sie Schweizerin. Sollte ich mich meines Vaters wegen als Schweizer fühlen? Ich kann mich mit diesem Land nicht identifizieren, obwohl ich einen Schweizer Pass habe. Mein Identifikationsvermögen ist ohnehin gering. Ich verabscheue Vaterlandsliebe. Ein Mutterland wäre vorzuziehen.

Der Vater meiner Mutter hat nicht gewusst, dass seine Familie 1492 von Ferdinand dem Katholischen aus Spanien vertrieben worden war: mein Grossvater mütterlicherseits war eben ein katholischer Italiener spanisch-jüdischer Herkunft, der als Baumeister in die Schweiz eingewandert und hier Italiener geblieben ist, so dass Schulkinder, es geschah im Luzernischen, meiner Mutter „Tschinggelemore, Dräck a dr Schnore“ nachgerufen haben. Als Knabe hat es mich tief beeindruckt, dass meine Mutter mit Pferdeäpfeln nach den johlenden Kindern geworfen hatte. Sie musste mir das Vorkommnis immer wieder erzählen. In die Bewunderung mischte sich allerdings ein Ekelgefühl; denn es hätte mich gegraust, einen Pferdeapfel in die Hand zu nehmen, obschon ich während des Krieges, Bern war autoverkehrsfrei, zusehen konnte, wie die Zugpferde kackten. Vermutlich würde ich Steine vorgezogen haben.

Die Beschaffenheit der Wurfgeschosse schmälerte indessen Mutters Heldinnentat nicht; im Gegenteil: die Tatsache, dass der Borner Emil, ich habe den Namen nie vergessen, die Pferdescheisse mitten ins Gesicht gekriegt und also auch als Nichttschingg und Schweizer Dräck a dr Schnore hatte, liess mich tief erschauern, und ich konnte einfach nicht begreifen, dass ausgerechnet der Borner Emil, immerhin muss er gut Violine gespielt haben, der Schulschatz meiner Mutter gewesen war.

Diese Geschichte dürfte sich um 1910 zugetragen haben, und als ich mehr als achtzig Jahre später der Mutter, die fast neunzig war und von meiner Schwester täglich besucht wurde, in der Casa per anziani bei Bellinzona begegnete, begriff sie von ihrer Umgebung und von der Zeit kaum noch etwas. Sie lebte in der Vergangenheit. Gehen konnte sie nicht mehr. Das Haar weisser Flaum. Die Kopfhaut schimmerte durch. Sie wog kaum vierzig Kilo. Die Augen schauten tief nach innen. Meine Schwester schob die Mutter, die seitlich eingeknickt im Rollstuhl sass, vors Altersheim in den Park. Meine Mutter richtete sich auf. Sie sah mich an, sagte aber nichts, und die Schwester ermunterte sie zum Sprechen. Da schau, wer dich besucht. Weisst du denn, wer das ist? Es war ein Lächeln des Erkennens in meiner Mutter Gesicht, und sie sagte mit grosser Überzeugung: Jooo, dr Emil.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!