Liebe an den Königshöfen - Marie Louise Fischer - E-Book

Liebe an den Königshöfen E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Es gibt kaum eine Autorin in Deutschland, die sich in ihren Romanen mehr mit der Liebe befasst hat als Marie Louise Fischer. Welch wunderbare Idee, dass sie in diesem Roman hinter fürstliche Tapetentüren oder in verschwiegenen Pavillons schlüpft und über die Liebe und die Liebesabenteuer von gekrönten Häuptern, Prinzen und Prinzessinnen erzählt. Mit Wonne hat sie sich dieses Stoffes bemächtigt und plaudert charmant, aber auch historisch fundiert aus dem Nähkästchen über viele gekrönte Häupter Europas des 19. Jahrhunderts. Und nicht immer war es nur Amor, der die Geschicke lenkte; oft waren auch Machtstreben, Rivalität und Eifersucht im Spiel – in England, in Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien und Mexiko.Marie Louise Fischer wurde 1922 in Düsseldorf geboren. Nach ihrem Studium arbeitete sie als Lektorin bei der Prag-Film. Da sie die Goldene Stadt nicht rechtzeitig verlassen konnte, wurde sie 1945 interniert und musste über eineinhalb Jahre Zwangsarbeit leisten. Mit dem Kriminalroman "Zerfetzte Segel" hatte sie 1951 ihren ersten großen Erfolg. Von da an entwickelte sich Marie Louise Fischer zu einer überaus erfolgreichen Unterhaltungs- und Jugendschriftstellerin. Ihre über 100 Romane und Krimis und ihre mehr als 50 Kinder- und Jugendbücher wurden in 23 Sprachen übersetzt und erreichten allein in Deutschland eine Gesamtauflage von über 70 Millionen Exemplaren. 82-jährig verstarb die beliebte Schriftstellerin am 2. April 2005 in Prien am Chiemsee.-

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Marie Louise Fischer

Liebe an den Königshöfen

Roman

Saga Egmont

Liebe an den Königshöfen

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1982 by Lübbe Verlag, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719008

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Als Herzog Ernst I. den Thron des kleinen Herzogtums Sachsen-Coburg-Gotha bestieg - man schrieb das Jahr 1806 -, übernahm er auch die wenig angenehme Pflicht, seine beiden jüngeren Brüder Ferdinand und Leopold standesgemäß versorgen und unterhalten zu müssen. Außer ihrem Talent zur Liebe besaßen die drei jungen Herren nämlich nicht viel, worum man sie hätte beneiden können, denn das Geld war so knapp wie bei den meisten der zahllosen Herrscher und Fürsten des damaligen Deutschlands.

Die liebliche und romantische Residenz des Herzogs Ernst I., das Städtchen Coburg, war sehr alt. Es wurde beherrscht von der gotischen Veste Coburg, die schon im Jahre 1056 als Saalfelder Klostergut in den Chroniken aufscheint. Später war sie Sitz der Grafen von Henneberg geworden und bis 1549 Residenz der Herzöge von Sachsen.

Sie hatte viel erlebt, die Veste Coburg, ja, sie hatte sogar einmal ein halbes Jahr lang den Mönch von Wittenberg, Martin Luther, in ihren dicken Mauern beherbergt.

Die Herzöge von Sachsen-Coburg-Gotha waren gute Protestanten, und ihre Untertanen waren es auch, nach dem Gesetz: cuius regio eius religio, zu deutsch: Wie der Herr, so ‘s Gescherr.

Man mag über die Coburger Fürsten reden, was man will. Es ist wahr, dass sie hinter jeder Schürze und jedem Weiberrock her waren, aber dass sie etwa ihre Untertanen für gute harte Taler an das kriegführende England verkauft hätten, wie es in manchen anderen kleinen deutschen Fürstentümern vorgekommen war, das stimmt nicht. So etwas war bei den Herzögen von Sachsen-Coburg-Gotha ganz ausgeschlossen.

Die Herzöge und das Volk waren der Liebe untertan. So lief mancher Coburger herum und wusste nicht, wer in Wahrheit sein Vater war. Aber eines wussten sie alle - Geld war weder bei den Fürsten noch bei den Bürgern genügend da.

In Coburg gab es zwar damals noch keinerlei Industrie, aber die hölzernen Spielwaren - das Städtchen Coburg liegt am Südhang des Thüringer Waldes, und sein größter Reichtum ist und war das Holz -, die in Heimarbeit hergestellt wurden, waren weit und breit berühmt. Die Coburger aßen und tranken gern, und so lobte auch jeder, der sie einmal hatte kosten dürfen, die Erzeugnisse der Coburger Lebzelter und Methersteller, nicht zu vergessen die wohlschmeckenden Coburger Würste.

Jeder Schuster, Schneider, Schreiner, Apotheker, Metzger, und wie sie alle hießen, die Handwerker und Kaufleute, durfte oberhalb seines Namens das fürstliche Wappen führen und sich stolz - wenn man auch auf die Bezahlung der Ware meist lange warten musste - Hoflieferant nennen. Die Coburger waren mit ihrem Dasein sehr zufrieden, sie waren ein fröhliches Volk. Geschäftig tummelten sie sich in den schmalen Straßen und Gässlein ihrer Stadt, waren stolz auf die hoch aufgeschossenen schmalen Häuser, deren rote Giebeldächer weit ins Land hinein leuchteten. Wenn Herzog Ernst durch das Städtchen ritt, öffneten die neugierigen Frauen und Mädchen ihre Fenster, um ihm zuzulächeln - aber meist kamen sie nicht dazu, weil eifersüchtige Väter und Ehemänner sie rasch wieder zurückzogen und ihnen die Fenster vor der Nase schlossen. Herzog Ernst war nicht ganz so glücklich wie seine Untertanen, denn seine beiden jüngeren Brüder Ferdinand und Leopold lagen ihm ständig auf der Tasche. Tatsächlich herrschte in der Staatskasse und auch in der Privatschatulle des guten Herzogs Ernst eine dauernde und trostlose Ebbe.

»Glaubt mir«, erklärte er seinen Brüdern, »unser Land kann nur einen Mann standesgemäß ernähren - und das bin ich! Warum wollt ihr nicht anderswo euer Glück versuchen? Europa ist groß. Es gibt viele Fürstenhäuser - da müsste es doch wahrhaftig mit dem Teufel zugehen, wenn ihr eure Tugend nicht irgendwo teuer verkaufen könntet!«

»Tugend ist gut«, sagte Leopold.

»Verkaufen ist noch besser«, war Ferdinands Ansicht.

»Hört gut zu … Ihr müsst die Frauen in euch verliebt machen!«

Voll Stolz schwenkte Herzog Ernst ein kleines Buch, in teuerstes Leder gebunden, mit roten Korallen gefasst, in seiner Hand. »Wenn ihr nicht wisst, wie man das macht dann lasst es euch von mir erklären. Ich empfehle euch die Lektüre dieses Buches, das hat eine Frau geschrieben, die mich geliebt hat. Ich habe sie in Wien kennen gelernt, beim großen Kongress. Man hatte mich zwar nicht eingeladen, aber ich bin trotzdem hingefahren …«

Die Österreicher, vor allem die Wiener, wussten manch lustiges Liedlein vom Coburger Herzog Ernst zu singen. Der allmächtige Staatskanzler Fürst Metternich war sein besonderer Gönner.

Er nahm ihn eines Abends beiseite und sagte: »Mon cher ami … ich habe Sie gestern gesehen …«

Herzog Ernst war am Abend zuvor mit der Frau eines überaus beschäftigten Diplomaten ungesehen - wie er glaubte - ins Grüne hinausgefahren. Er geriet nicht in Verlegenheit, als er sich entdeckt wusste. Lächelnd hob er die Augenbraue und wartete ab.

»Ich weiß ja, Jugend hat keine Tugend«, fuhr der Fürst fort, »trotzdem muss ich Ihnen mit allem Nachdruck sagen: Ich wünsche keinen Skandal auf dem Kongress!«

In Wien ging es hauptsächlich darum, den Usurpator Napoleon, der auf der Insel Elba gefangen gehalten wurde, zu entmachten und zu entrechten. Er hatte neue Grenzen in Europa gezogen, die nun, da er geschlagen war, nicht mehr galten. Natürlich hätte man sich an die alten Grenzen halten können, aber so einfach ging das auch nicht. Die Fürsten Europas waren in zwei Gruppen aufgespalten - die einen hatten an den Stern Napoleons geglaubt, ihn anerkannt oder anerkennen müssen, sie sollten jetzt bestraft werden; die anderen hatten sich rechtzeitig zur Partei seiner Gegenspieler geschlagen, sie sollten belohnt werden.

Fürst Metternich zitierte gerne das Wort: »Andere mögen Krieg führen, du, glückliches Österreich, heirate!« - Er hatte für alle Kongressteilnehmer reizende Frauen geladen, deren Aufgabe darin bestand, den politischen Ehrgeiz der Herren zu dämpfen, damit er, Metternich, mit Talleyrand, dem Vertreter Frankreichs, in aller Ruhe Europa nach ihrem Gutdünken aufteilen konnte. Diese Methode war, wie die Geschichte zeigt, von Erfolg gekrönt, und die ausländischen Herren fühlten sich noch dazu sehr wohl dabei.

»Rindfleisch kann ich jeden Tag zu Hause essen«, sagte der englische Gesandte ganz offen, »wenn ich auf Reisen bin, steht mir der Appetit nach Spezialitäten!«

Eine Spezialität war sie tatsächlich, das süße Wiener Mädel, das man dem Zar aller Reußen gastfreundlich ins Bett gelegt hatte, mit so viel Anmut und Lieblichkeit ausgestattet, dass sie den großmächtigen und gefürchteten Herrn buchstäblich zu ihren Füßen zwang.

Der schöne Alexander, Zar aller Reußen, der wildeste, aber auch der freigiebigste Liebhaber - er warf, wenn er durch die Straßen Wiens fuhr, Edelsteine und Goldstücke unter das Volk - ließ sich über die Wienerinnen mit folgenden Worten aus: »Sie sind kindlich rein - rein kindlich, doch voll himmlischer Sünden. Und küssen können sie, wie es keine Russin und auch keine Französin fertig bringt!« - Es war so. Ihm schwanden die Sinne, wenn er eine Wienerin in seinen Armen hielt, ganz gleich, ob sie eine Putzmacherin oder eine Fürstin war.

»Nimm du mein ganzes Reich und gib mir dafür nur dein Wien!« sagte er einmal im verliebten Überschwang zu seinem kaiserlichen Vetter von Österreich.

Im Gegensatz zu den meisten Herren verliebte Herzog Ernst von Sachsen-Coburg-Gotha sich nicht in eine Wienerin, sondern in eine bildschöne junge Griechin. Diese junge Dame wurde als Tänzerin damals sehr gefeiert.

Der junge Herzog Ernst war von ihr hingerissen. Er schwor ihr ewige Liebe. Es war eine wilde, leidenschaftliche und ziemlich aufreibende Liebe, die den jungen Herzog Ernst mit der schönen Griechin verband. Sie schenkte ihm nicht nur das Paradies, sondern gleichzeitig auch die Hölle auf Erden. Sie quälte ihn Tag und Nacht mit ihrer Eifersucht, und er quälte sie nicht minder.

Wer waren die Männer, denen sie sich vor ihm geschenkt hatte? Konnte er sicher sein, dass sie sich nicht schon unter den gekrönten Häuptern des Kongresses seinen Nachfolger gewählt hatte?

Oft genug schwor er sich, sie nie mehr wiederzusehen, um dieser Qual ein Ende zu machen. Aber länger als vierundzwanzig Stunden ertrug er die Trennung von ihr nicht. Eine brennende Sehnsucht trieb ihn zu ihr.

Sie empfing ihn in ihrem Liebesnest, einem Pavillon aus schneeweißem Marmor, dessen Boden über und über mit schwellenden Kissen belegt war. Nackt, wie Gott sie erschaffen hatte, lag sie in einem Meer von duftenden Blüten, streckte verlangend die Arme nach ihm aus.

Er zog sie an sich. »Wenn ich nur glauben könnte, dass du mir treu bist«, sagte er seufzend.

»Du bist unverschämt!«

»Ich meine ja nur … es war doch kein Zufall, dass wir uns kennen gelernt haben!«

»Nein es war kein Zufall«, sagte die schöne Tänzerin mit der Würde einer Tragödin, »es war Schicksal!«

Herzog Ernst wusste, was sich gehörte, er stattete der österreichischen Kaisertochter Marie Louise, der Gattin des exilierten Napoleon, einen Besuch ab. Er glaubte, dass sich die verlassene Gattin vielleicht sehr unglücklich fühlen würde und dass er als Tröster gerade recht käme. Er wusste natürlich, dass die Ehe zwischen der kaiserlichen Prinzessin Marie Louise und dem Sohn eines korsischen Advokaten keine Liebesheirat gewesen war. Bis an den letzten Fürstenhof Europas war seinerzeit das böse Gerücht gedrungen, dass der Kaiser seine Tochter an den französischen Emporkömmling verkauft hätte, damit er, wie er sich selber ausgedrückt haben sollte, »als Kaiser in seinem Bett sterben konnte«. Man sagte, es hätte ihm mehr daran gelegen, seine vielen Uhren in Ruhe reparieren zu dürfen, als an das Glück seiner Tochter zu denken.

Herzog Ernst hatte geglaubt, Marie Louise zumindest in einer bedrängten Lage zu finden, denn ihre Stellung bei Hofe und in der Gesellschaft der europäischen Fürsten war alles andere als angenehm. Ihr Sohn, der einmal den stolzen Titel »König von Rom« hatte tragen dürfen, galt nun als nicht mehr ganz ebenbürtig und musste als Herzog von Reichstadt ein Schattendasein führen.

Jeder Kontakt zwischen ihm und der Außenwelt wurde unterbunden, denn es gab viele, die in dem Sohn Napoleons eine Gefahr für das neue Europa sahen. Es ging das Gerücht, dass die Ballerina Fanny Elßler von ihrem Hofrat Gentz - selbstredend im Einvernehmen mit Fürst Metternich, ihrem ehemaligen Geliebten - den Auftrag bekommen haben sollte, sich des jungen Mannes anzunehmen, damit er nur ja auf keine dummen, sprich politischen Gedanken käme. Herzog Ernst fand Napoleons Gattin Marie Louise im Arm des schönen Frauenhelden Graf Neipperg. Einen Augenblick war er konsterniert, dann sah er das Lächeln der Exkaiserin und - lachte. Marie Louise lachte, der Graf lachte, sie lachten alle zusammen.

In dieser Zeit wurde in Wien sehr viel gelacht. Fürst Metternich dirigierte alle Kongressteilnehmer wie Musikanten eines großen Orchesters. Er kannte sie alle genau, ihre wenigen Fähigkeiten und ihre vielen Schwächen, und er wusste jeden einzelnen so einzusetzen, dass er - oft ohne es selber zu wissen - seine, Metternichs, Melodie spielten musste.

Jede jener schönen und liebeswilligen Frauen, die den Gesandten und gekrönten Häuptern die Nächte versüßten, stand in seinen Diensten. Morgen für Morgen erschienen sie zur Berichterstattung. Noch im Bett erfuhr der Fürst alles, was die Herren in den langen, heißen Nächten ausgeplaudert hatten - und es ist erstaunlich viel, was starken Männern in ihren schwachen Stunden entschlüpft.

So war Fürst Metternich genau orientiert, wo die Fürsten und Könige der Schuh drückte, wo man mit Geld, guten Worten oder Schmeicheleien nachhelfen konnte, um Forderungen durchzusetzen. Metternich handelte mit Thronen und Ländern, gab hier ein Stück dazu, nahm dort ein Stück weg. Über Nacht sprengte die Nachricht, dass Napoleon I. sein Exil, die Insel Elba, verlassen hatte und schon auf dem Weg nach Paris war, den Kongress auseinander.

Herzog Ernst wollte seine Geliebte mit nach Coburg nehmen. Er erkundigte sich bei Metternich, ob es nicht möglich wäre, ihr den Titel einer Baronin zu verleihen - aber der österreichische Staatskanzler hörte kaum hin, er hatte jetzt andere Sorgen. Herzog Ernst schlug der Tänzerin vor, nur um des Titels willen einen alten Grafen zu heiraten, damit sie in Coburg standesgemäß auftreten könne. Er bot ihr an, dem Opernballett in Coburg vorzustehen.

Die Griechin weigerte sich entschieden, ihn zu begleiten. »Eine Sauce wird nicht besser, wenn man sie verlängert«, sagte sie, unter Tränen lächelnd, »und eine kurze Liebe ist besser als eine lange Langeweile!«

Aber sie vergaß ihren Ernst nicht, sie verfasste ein Büchlein, in dem sie unter dem Titel Mémoires d’une jeune grecque ihre Wiener Liebeserlebnisse mit dem Coburger schilderte. Mit diesem Buch, das bald an allen Höfen Europas kursierte, stieg der Ruhm der Coburger - ein Ruhm, der allein auf ihrer vitalen Männlichkeit basierte - ins Ungemessene.

Die Prinzen Ferdinand und Leopold fassten den Entschluss, den Rat ihres Bruders Ernst zu befolgen und das Ländchen Sachsen-Coburg-Gotha zu verlassen, um in der weiten Welt ihr Glück zu suchen.

Ferdinand plante eine Reise nach Ungarn. Er rechnete dem Bruder aus, dass die Kosten außer einer anständigen Ausstattung gering sein würden, da die ungarischen Magnaten wegen ihrer Großzügigkeit berühmt waren. Herzog Ernst war gerne einverstanden. Er gab sofort dem Hofschneider Auftrag, Anzüge und Uniformen für die beiden Prinzen zu schneidern, und zwar - so befahl er ausdrücklich - sollte an Material nur das Beste vom Feinsten genommen werden. Höchstpersönlich überwachte er die Anfertigung der Kleidung, legte größten Wert darauf, dass die Brustkörbe richtig herauswattiert, die Schultern ausgearbeitet und die strammen Schenkel zur Geltung gebracht wurden. Herzog Ernst wusste ganz genau, was Frauen und jungen Mädchen an einem Mann gefiel.

Der Coburger Prinz Ferdinand hatte sich nicht verrechnet. Die ungarischen Magnaten erwiesen sich tatsächlich als überaus großzügig. Sie rissen sich geradezu darum, den deutschen Prinzen bei sich aufnehmen zu dürfen, versuchten sich gegenseitig an Gastfreundschaft zu überbieten.

Es wurden großartige »Festereien und Fressereien« für Ferdinand veranstaltet, rauschende Bälle - die Zigeunerkapellen spielten vom Untergang der Sonne bis zum hellen Mittag des nächsten Tages auf.

Ferdinand passte sich den Landessitten an. Er verzog keine Miene, wenn sein Gastgeber ihm Hände voll goldener Dukaten oder blitzender Juwelen zuschob, mit denen er beim Kartenspiel setzen sollte. Es wurde hoch und heiß gespielt.

Ferdinand schrieb einen begeisterten Brief nach Hause, vom Heimkommen stand kein Wort darin. Schöne Frauen, edle Pferde, hohe Spiele waren seit jeher die Leidenschaften der Coburger gewesen, und Ferdinand war in Ungarn ganz in seinem Element.

Die ungarischen Magnaten waren sehr stolz, einen echten deutschen Prinzen als Gast unter sich zu haben. Er hätte auf jedem der großen Güter bleiben können, solange es ihm gefiel, auch Jahre - und da es viele Güter in Ungarn gab, hätte er sich gut und gern ein ganzes Leben dort aufhalten können. Er wollte es aber den andern gleichtun, selber Gastgeber sein, einladen, großzügig sein eigenes Geld mit beiden Händen verschwenden.

Auf einem Ball im Schloss des Fürsten Esterhazy traf Prinz Ferdinand mit einer mandeläugigen jungen Ungarin zusammen. Diese erste Begegnung mit Antonia, Tochter des Fürsten von Kohary, war von seinen Gönnern und ihren Verwandten mit Bedacht arrangiert worden.

Beide hatten, bevor sie sich zum ersten Mal sahen, schon viel voneinander gehört. Antonia wusste, dass Ferdinand ein echter deutscher Prinz und wegen seiner Manneskraft berühmt war. Ferdinand wusste, dass die schlanke Achtzehnjährige von ihrem Vater, dem Fürsten Kohary, dem Mann, der sie eines Tages heiraten würde, mit Gold und Edelsteinen aufgewogen werden würde.

»Was sind diese Koharys für eine Familie?« hatte Prinz Ferdinand interessiert gefragt.

»Familie? Freundchen«, hatte Graf Esterhazy geantwortet, »was willst Familie? Geld ist Familie. Mit Geld kannst du alles kaufen, auch gute Familie … ohne Geld kannst mit bester Familie verhungern!«

»Ist er denn wirklich ein Fürst?«

»Ist sich Fürst, Freundchen, unbesorgt … ist sich Fürst, wenn auch nix mit großem Stammbaum!« Fürst Esterhazy hielt die Hand vor den Mund und flüsterte Ferdinand zu: »Hat mehr Geld als der Kaiser von Österreich-Ungarn, gehört ihm viertel Ungarn … verstehst du? Kann pfeifen auf großen Stammbaum!«

Ferdinand pfiff sich ein Lied - Antonia gefiel ihm. Das Geld der Koharys passte ihm nicht weniger, auf das Gerede hörte er nicht, auf den Stammbaum verzichtete er gerne. Wohlgefällig musterte er Antonias rundliche Formen, nicht nur deshalb, weil er wusste, dass ihm bei der Hochzeit ihr Gewicht mit Gold und Edelsteinen aufgewogen würde.

Ferdinand gefiel Antonia weit besser als die ungarischen Edelleute, die ihr bisher den Hof gemacht hatten. In ihren Augen waren sie nichts weiter als junge Taugenichtse, die auf Kosten ihres Vaters zechten und seine Knechte schikanierten.

Dieser deutsche Prinz aus Coburg war ganz anders, er war ein richtiger Mann.

Antonia und Ferdinand ritten gleich am nächsten Morgen - sie waren nach dem Ball nicht schlafen gegangen, sondern hatten sich nur umgezogen - miteinander aus. Die wilde Schönheit des Landes faszinierte Ferdinand an der Seite Antonias, die genauso gut ritt, wie er selbst es konnte, noch mehr als sonst. Auf den Kaminen der Bauernhäuser hatten Störche ihre großen, kreisrunden Nester gebaut, die Knechte und Mägde arbeiteten singend in ihren farbenfrohen Trachten auf den Kukuruzfeldern, deren goldgelbe Kolben sich hell gegen den tiefblauen Himmel abhoben. In feurigem Galopp ritten Ferdinand und Antonia weit in die Puszta hinaus, über sandige Hügel und Felder, wo niemals ein Weg gewesen war. Erst als die Mittagssonne heiß vom strahlenden Himmel brannte, glitten sie erhitzt vom Pferd, um zu rasten. Ferdinand zögerte keinen Augenblick, er riss das Mädchen leidenschaftlich in seine Arme, so leidenschaftlich, dass ihr Widerstand dahinschmolz.

Antonia erwiderte die heißen Küsse ihres Prinzen.

Am gleichen Tag noch - die Nacht senkte sich tiefblau auf das weite Land - warf sich Prinz Ferdinand in einer elegantesten Uniform dem fürstlichen Vater zu Füßen und bat um die Hand Antonias.

Fürst Kohary verbarg seine Befriedigung nicht. Die Dinge hatten sich genauso entwickelt, wie er es sich gewünscht hatte. Was konnte er mehr verlangen, als einen echten Prinzen zum Schwiegersohn? Er war zwar etwas erstaunt über das Tempo, das der deutsche Prinz vorlegte, aber da er annahm, dass seine temperamentvolle Tochter nicht ganz unschuldig daran war, gab er, ohne zu zögern, sein Jawort. Ferdinand wurde von allen Koharys und allen Freunden des gastfreien Hauses in die Arme geschlossen und herzlich geküsst.

Schon am nächsten Morgen wurden die Kuriere in die Welt geschickt - nach Paris, nach Brüssel, nach Wien, nach Florenz.

Antonias Aussteuer wurde eingekauft. Das Beste und Teuerste war gerade gut genug für die Tochter des reichsten Mannes von Ungarn, dessen Schätze so groß waren, dass er seine Goldstücke in Säcke schaufeln lassen musste. Aus vielen Ländern kamen jüdische und christliche Händler, sie breiteten ihre Waren aus, priesen mit lauten Worten den Schmuck und die Kleinodien an, die sie verkaufen wollten. Antonia und ihr Vater lachten sie aus - die Edelsteine, die sie selber besaßen, waren hundertmal schöner. Nur die golddurchwirkten Spitzen, die Gobelins aus Antwerpen, Gent und Brügge fanden Gnade vor ihren Augen.

Die Fugger aus Augsburg durften Linnen und edle Hölzer liefern, sie brachten aus China und Indien wunderbare Seidenstoffe, aus Elfenbein geschnitzte Flakons mit seltsam duftenden Riechölen.

Der Tag der Hochzeit brach an. Viele Ungarn und Freunde aus ganz Europa waren auf den Beinen, um bei dieser Märchenhochzeit dabei zu sein. Siebenhundertneunzig Zigeuner kamen mit ihren Fiedeln, um zum Tanz aufzuspielen. Der Zigeunerkönig, Aladar Reczy, kam persönlich, um dem prinzlichen Paar seine Aufwartung zu machen. Er verbürgte sich dafür, dass, solange die Hochzeitsfeierlichkeiten andauerten, keiner seiner Leute fremdes Gut anrühren würde.

Der alte Kohary lachte. »Ihr könnt stehlen, so viel ihr wollt … nur lasst euch nicht erwischen! Wer erwischt wird, wird gehenkt!«

Der Fürst hielt sein Wort. Die Hochzeit dauerte nicht weniger als neun Tage und neun Nächte, genau neun Diebe wurden in dieser Zeit erwischt und auch - gehenkt.

Die Hochzeitsgäste lachten, scherzten, jubelten, tanzten. Es wurde getrunken, gefressen und gespielt, kurzum, es war eine Hochzeit, von der in Ungarn, ja, in ganz Europa gesprochen wurde. Ferdinand bekam von seinem Schwiegervater als Hochzeitsgeschenk eine Urkunde Seiner Majestät des Kaisers überreicht, die ihn zum General ernannte, und tausendfünfhundert kräftige junge Burschen dazu, die vom Fürsten eingekleidet worden waren und verproviantiert wurden. Als Waffen trugen sie tausendfünfhundert blinkende Gewehre. Antonia wurde, so wie der Vater es versprochen hatte, buchstäblich in Gold aufgewogen.

Prinz Ferdinand hatte es geschafft, er war reich und ein glücklicher Ehemann. Er hatte gar nichts dagegen einzuwenden, sich von nun an Prinz von Coburg-Kohary zu nennen und so den Namen Kohary endlich voll und ganz hoffähig zu machen. Keines der europäischen Fürstenhäuser wagte gegen diesen Schritt eine Einwendung - der Fürst Kohary war viel zu reich, als dass man sich mit ihm oder seinem jungen Schwiegersohn hätte anlegen mögen. Antonia war eine Prinzessin geworden, so gut wie jede andere. Non olet - dieser Spruch galt nicht nur im alten Rom, sondern auch im Europa des 19. Jahrhunderts - Geld stinkt nicht.

Prinz Ferdinand wurde zum Stammvater eines neuen Geschlechts.

Pünktlich nach neun Monaten kam der erste Stammhalter an, er wurde nach dem Vater Ferdinand genannt. Ein Jahr später folgte der kleine August. Jeder Vater schwört sich an der Wiege seiner Sprösslinge: »Meine Kinder sollen es einmal besser haben!« - Prinz Ferdinand von Coburg-Kohary schwor: »Meine Söhne sollen Könige werden!«

Er brüllte diesen Schwur heraus, wenn er in langen Nächten mit seinen Freunden zechte. Niemand nahm ihn ernst, man hielt es für eine der üblichen weinseligen Prahlereien.

Ferdinands reiche Heirat löste indes bei Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha reine Freude aus. Dieser Bruder war versorgt, er hatte ihn endgültig vom Hals - wer weiß, vielleicht konnte man ihn sogar eines Tages anpumpen. Leopold, der jüngste der drei Brüder, konnte sich einiger bissiger Bemerkungen über das Geschlecht derer von Kohary nicht enthalten.

»Nur kein Neid«, erwiderte Ernst lachend, »eine reiche Frau ist viel mehr wert als ein einwandfreier Stammbaum!«

Leopold verstand die Spitze. »Abwarten!« sagte er. »Ich stelle höhere Ansprüche!«

Prinz Leopold von Coburg hatte einen Wahlspruch: Ohne Glück soll man nicht auf der Welt sein, und: Ein Titel ohne Mittel ist weniger als nichts. Er hatte Glück, und wenn er mal keines hatte, dann half er dem Glück nach.

Der Arzt Dr. Stockmar, Vertrauter und Freund schon in seiner Kinderzeit, ein weltoffener Kopf, machte ihn darauf aufmerksam, dass für die einzige Tochter König Georgs IV. von Großbritannien eine passende Partie gesucht wurde. Leopold hatte politischen Ehrgeiz und zeigte sich sogleich interessiert. Charlotte galt als englische Thronfolgerin. Diese Tatsache wog für Leopold so schwer, dass er alle Bedenken in den Wind schlug - und Bedenken gab es genug.

Charlotte stammte aus einer zwar adeligen, aber nicht gerade feinen Familie, die in dem Königreich, das sie beherrschte, alles andere als beliebt war. Ihr Vater, Georg IV, hatte als Kronprinz heimlich und nicht standesgemäß, sozusagen linker Hand, die reiche katholische Lady Mary Ann Fitzherbert geheiratet. Offiziell ehelichte er, ohne mit der Wimper zu zucken, eine Tochter des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel, namens Karoline.

Diese Karoline war eine recht überspannte Dame, trotzdem hatte sie das Schicksal, das ihr an der Seite Georgs blühte, nicht verdient. Er kümmerte sich nämlich überhaupt nicht um sie. Damit hätte sie sich noch abfinden können - es ist ja schließlich nicht so ungewöhnlich, dass eine Frau von ihrem Ehemann vernachlässigt wird -, aber Georg trieb es noch toller. Kaum dass sie den Thron bestiegen hatte, strengte er - nach fünfundzwanzigjähriger Ehe! - einen skandalösen Scheidungsprozess gegen Karoline an. Ein Chronist schreibt, dass Georg mit seiner ihm rechtlich angetrauten Karoline nur eine einzige Nacht seines Lebens verbracht haben soll, nämlich die Hochzeitsnacht. Die Frucht dieser Nacht war Charlotte, um die der junge Leopold von Sachsen-Coburg-Gotha im Jahre 1816 freite.

Zwanzig Lenze zählte Charlottchen, und doch hatte sie schon manchen Sturm erlebt. Sie hatte das heiße Blut ihres Vaters geerbt und war - obwohl alles andere als hübsch - von sehr leidenschaftlicher Natur.

Achtzehnjährig, hatte sie sich in den Prinzen August von Preußen verliebt. Sie wollte ihn, koste es, was es wolle, besitzen. Sie bearbeitete den Prinzen so lange, bis er auf ihren verwegenen Vorschlag einging, sie zu entführen. An eine Ehe zwischen Charlotte und August war aus einem einfachen Grund nicht zu denken - er war schon verheiratet. An dieser Tatsache stießen sich begreiflicherweise ihre Eltern und der gesamte englische und europäische Adel.

Nur Charlotte machte sich gar nichts daraus.

Charlotte wollte einen Mann, und zwar einen deutschen Mann. Den Engländern traute sie nichts zu.

Die Geschichte von der widerspenstigen Kronprinzessin von England drang auch an das Ohr des Coburger Prinzen Leopold.

»Charlotte ist zur Zeit die einzige interessante Frau in ganz Europa. Wer sie auch heiratet - eines Tages wird er Prinzgemahl von England werden!« meinte Dr. Stockmar.

Prinz Leopold sah den Freund und Berater nachdenklich an. Dr. Stockmar war ein seltsamer Mann. Er war Arzt, aber seine Patienten interessierten ihn weit weniger als die Politik. Er besaß einen ungeheuren Ehrgeiz, nicht für sich selber, sondern für die Coburger, sein angestammtes Fürstenhaus. So war es kein Wunder, dass er Leopold drängte, sein Glück bei der englischen Prinzessin Charlotte zu versuchen, ja, er erklärte sich sogar bereit, Leopold nach England zu begleiten.

Im Frühjahr 1816 - die Obstbäume standen in heller Blüte - schifften sich Prinz Leopold und Dr. Stockmar nach England ein. Die See, die wochenlang vorher stürmisch gewesen war, glättete sich am Tage ihrer Überfahrt. Sie nahmen es als ein gutes Zeichen, hielten sich nicht lange in London auf, sondern fuhren geradewegs nach Windsor weiter.

Charlottes Vater empfing sie mit enttäuschten Gefühlen. Ein Coburger war für ihn nicht gerade das Ideal eines Schwiegersohnes, weil diese Familie unter dem europäischen Adel als ehrgeizig verschrien war. Charlottes Mutter, die gute Karoline, wurde nach ihrer Meinung nicht gefragt.

Prinz Leopold und Dr. Stockmar taten so, als seien sie bloß zu einem freundschaftlichen Besuch gekommen.

Trotzdem durchschaute Charlotte sehr schnell, was hier gespielt werden sollte.

Wenige Tage später erklärte sie gesprächsweise ihrem Vater, dass dieser Leopold von Coburg gar kein übler Mensch sei und es sich eigentlich recht gut mit ihm leben lassen müsste. Ohne es selber zu wissen, förderte der Vater noch Dr. Stockmars Plan, indem er deutlich zu verstehen gab, dass ihm an einer Heirat Charlottes mit dem Coburger nicht das Geringste gelegen war. Erst jetzt wurde Charlotte hartnäckig. Sie setzte sich so beharrlich für eine Heirat mit dem Coburger Prinzen Leopold ein, dass Leopold nichts mehr übrig blieb, als formell um die Hand der Prinzessin anzuhalten.

Am 2. Mai 1816 gab Charlotte mit lauter Stimme ihr Jawort.

In der Hochzeitsnacht fand Leopold seine »Inselfrau«, wie er sie nannte, so kalt, dass er erschauderte. »Ich vermochte nicht, sie zu erwärmen«, schrieb er an Dr. Stockmar, »ihre Kälte schnitt mir ins Herz. Diese Frau ist aus Eis. Ich glaube, dass eine Wärmflasche, die sie sich abends mit ins Bett nimmt, des Morgens gefroren sein muss.«

Charlotte benahm sich aber auch tagsüber alles andere als angenehm und umgänglich, sie machte Leopold das Leben mit ihren Launen, ihren Hysterien und ihrer Boshaftigkeit so schwer, dass er manchmal drauf und dran war, sie durchzuprügeln oder einfach stehen zu lassen.

Er tat beides nicht. Sie musste ihm ein Kind schenken, um seine Stellung zu festigen. Es lag bestimmt weder an seinem guten Willen noch an seinem Können, dass dieser Wunsch nicht in Erfüllung ging. Ohne Zweifel war es Charlotte, die sich ihm versagte oder überhaupt versagte. Ein Jahr nach der Hochzeit starb Charlotte. In der Sterbestunde flüsterte sie: »Sag August, dass ich ihn nie vergessen habe« - eine Botschaft, die den Preußenprinzen - wenn sie ihn überhaupt je erreichte - bestimmt nicht mehr interessierte, da er längst nicht mehr an die kleine überspannte Prinzessin in England dachte.

Leopolds Trauer war aufrichtig. Mit Charlottes Tod zerschlugen sich all seine hochfliegenden Pläne. Noch bevor er wirklich Prinzgemahl geworden war, war er schon außer Dienst gesetzt. Es bestand nicht die geringste Aussicht, dass er in der englischen Politik je eine Rolle spielen würde.

Er blieb in England. Dr. Stockmar sagte: »Sie dürfen Ihre Ehe nicht als einen Fehlschlag betrachten, Hoheit, sie kann immer noch ein Sprungbrett sein. Wollen Sie etwa zurück nach Coburg? Was versprechen Sie sich davon? Genauso gut könnten Sie sich gleich begraben lassen - Großbritannien ist eine Weltmacht, was ist Coburg? Bleiben Sie, Hoheit, warten Sie Ihre Chance ab.«

Prinz Leopold blieb nicht der einzige Coburger in England. Seine Schwester Viktoria Marie Luise heiratete Eduard von Kent. Es war eine reine Vernunftheirat, nur von dem Ehrgeiz der an sich recht phlegmatischen Coburgerin diktiert. Eduard war nicht jung, und er war auch nicht schön, er hatte eine Glatze und war durchaus kein angenehmer Zeitgenosse.

Nun muss aber gesagt werden, dass Viktoria Marie Luise selber auch kein Engel war. Ganz im Gegenteil, sie hatte eine recht böse Zunge, die sie unentwegt in Betrieb hatte - entweder lästerte sie, oder sie aß, und beides tat sie mit gleicher Begeisterung. Sie war untersetzt und stämmig - die Engländer nannten sie »die deutsche Dickmadame« - und, wie ihre eigene Mutter, die Herzogin Auguste, sagte, entsetzlich dumm.

Viktoria Marie Luise und Eduard hatten sich nicht das Geringste vorzuwerfen, sie führten eine ausgesprochen mittelmäßige Ehe.

Der Herzog von Kent hatte den größten Teil seines Lebens außerhalb seines Vaterlandes verbracht - in den Kolonien oder auf dem Kontinent -, und es ist bezeichnend für ihn, dass er es trotzdem fertig gebracht hatte, sich bei seinen Standesgenossen so unbeliebt wie nur möglich zu machen. Er war ein kleinlicher und tyrannischer Pedant, dessen einziges Vergnügen darin bestand, seine Umgebung zu schikanieren und die Fehler der anderen rücksichtslos aufzudecken - seine eigenen sah er nicht. Er war ein unangenehmer und bigotter Heuchler und galt so wenig, dass die Rente, die das Parlament ihm zumaß, nicht mehr als sechstausend Pfund im Jahr betrug. Der nicht einmal Prinzgemahl gewordene Leopold von Coburg hatte es durch geschickte Verhandlungen auf fünfzigtausend Pfund gebracht. Mit sechstausend Pfund war es unmöglich, standesgemäß in England zu leben, und so ging das nicht mehr junge Paar einstweilen nach Deutschland, und zwar nach Amorbach. Eduard hätte sich dort eigentlich recht wohl fühlen können - bis - ja, bis Viktoria Marie Luise ihm eines Tages ein süßes Geheimnis ins Ohr flüstern konnte. Von diesem Augenblick an war es mit der Ruhe des Herzogs vorbei.

»Bist du sicher?« fragte er misstrauisch.

»Natürlich. Ich bin ja kein junges Mädchen mehr!«

»Mädchen oder Junge?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Ich will eine Tochter haben, und ich werde eine Tochter haben!«

»Na bitte, von mir aus!«

»Und diese Tochter wird Königin von England werden!«

»Schön wär’s! Aber soviel ich weiß, erwartet dein Bruder Wilhelm schon seit ein paar Monaten Nachwuchs!«

»Was hat das zu sagen?«

»Mein lieber Eduard, bitte, nun stell dich doch nicht noch dümmer, als du bist! Du weißt doch genau, dass Wilhelm älter ist als du und dass seine Kinder in der Thronfolge den Vorrang haben!«

»Ja, ja, ja … Wilhelms Kinder haben den Vorrang, und Friedrichs Kinder haben den Vorrang, und Georgs Kinder haben den Vorrang … und trotzdem wird meine Tochter Königin von England werden!«

»Woher willst du das so genau wissen?«

»Eine Zigeunerin hat mir prophezeit, dass ich Vater einer Königin werde!«

»Daran glaubst du?« fragte Viktoria Marie Luise erstaunt. Aber er hörte schon gar nicht mehr hin. »Wir müssen unbedingt sofort nach England. Die künftige Königin von England muss in England geboren werden!«

Um zu reisen, braucht man Geld, und Eduard besaß buchstäblich nur das, was er mit seiner kleinen Familie zum Leben benötigte. Vergebens wandte er sich an seine Brüder, vergebens appellierte er an das Parlament - niemand war bereit, für die Heimkehr des unangenehmen Eduard auch nur einen Penny auszugeben. Dass er ein Kind bekam, war völlig bedeutungslos, denn Adelheid, die Frau seines älteren Bruders Wilhelm, war tatsächlich schon seit einigen Monaten in guter Hoffnung, und Georg und Friedrich hatten zwar keinen Nachwuchs zu erwarten, waren aber froh, Eduard weit vom Schuss zu wissen.

Wörtlich schrieb der Regent: »Ich sehe keine Veranlassung für Dich, gerade jetzt, nach England zu kommen. Niemand hier ist der Meinung, dass es einen Zweck hätte. Ich halte es durchaus nicht für ratsam, Deiner Frau in diesem Zustand die weite Reise zuzumuten. Du darfst versichert sein, dass Du meinem brüderlichen Herzen auch in der Fremde immer nahe bist.«

Der Gedanke, dass die zukünftige Königin von England in Amorbach zur Welt kommen sollte, machte Eduard von Kent fast rasend.

Seine Verzweiflung ging selbst der phlegmatischen Viktoria Marie Luise zu Herzen. Auch sie raffte sich auf, einen Brief in dieser Angelegenheit zu schreiben, und zwar an den einzigen Menschen, der ihrer Meinung nach helfen konnte. Sie schrieb an ihren Bruder Leopold.

Leopold schickte Geld. Nicht so viel, dass es zu einer luxuriösen Reise reichte, aber immerhin genug, dass man es, wenn auch unter den ärgsten Einschränkungen, irgendwie schaffen konnte.

Es war eine unbequeme und strapaziöse Reise, und Viktoria Marie Luise, die mittlerweile im achten Monat war, hatte guten Grund zu stöhnen. Sie war heilfroh, als sie endlich in England landeten.

Obwohl der Empfang in London nicht gerade enthusiastisch war, wurden sie doch immerhin von der Familie im Kensington-Palast aufgenommen. Hier erblickte, wie es das Ziel des Vaters gewesen war, am 24. Mai 1819 ein kleines Mädchen das Licht der Welt. Die Geburt war schwer gewesen, das Kind war zwanzig Tage über die Zeit ausgeblieben - aber was tat es? Eduard jubelte, das Kind war da, ein prächtiges dickes Baby. Die englische Verwandtschaft nannte das Neugeborene, wenn sie von ihm sprach, nur »das fette Rebhuhn«. Der Erzbischof von Canterbury taufte die Tochter Eduards von Kent auf den Namen ihrer Mutter Viktoria. Der glückliche Vater betrank sich sinnlos an diesem Tag - er hatte das schon oft zuvor auch ohne jeden Anlass getan - und erzählte im Rausch jedem, der es hören wollte, dass seine Tochter eines Tages Königin von Großbritannien werden sollte.

Die Gläubiger bedrängten Eduard von Kent, ohne Rücksicht auf seine hohe Stellung, immer hartnäckiger und rücksichtsloser. Sein Bruder legte ihm freundlich, aber bestimmt, nahe, sich wieder nach Deutschland zurückzuziehen.

»Ich werde England nicht verlassen … niemals!« brüllte Eduard, als auch sein Schwager Leopold von Coburg ihn zu einer Abreise zu bewegen suchte.

»Hast du Lust, dir den Schuldturm von innen anzusehen?« fragte Leopold.

»Sie werden es nicht wagen!«

»O doch, sie werden es wagen!«

»Ich bin der Vater der Thronfolgerin! Das Parlament ist verpflichtet, mir eine anständige Apanage auszuzahlen.«

»Von mir aus, mein Lieber. Es ist immer mein Prinzip gewesen, dass man keinen Menschen an seinem Unglück hindern soll.«

Schließlich einigte man sich darauf, dass Eduard und seine Familie sich nun fürs erste nach Sidmouth zurückziehen sollten.

Anfang Januar 1820 erkältete sich der Herzog von Kent, und da er es ablehnte, außer durch verstärkten Konsum von Whisky irgendetwas gegen seine Krankheit zu tun, wurde sein Zustand hoffnungslos.

Sein Schwager Leopold eilte mit Dr. Stockmar und einer Schar englischer Ärzte an das Krankenbett. Sie konnten aber nur noch feststellen, dass der Patient im Sterben lag. Eduard war fast besinnungslos. Er keuchte schwer und rang nach Atem.

Leopold beugte sich zu ihm nieder. »Wo ist denn dein Testament, Eduard?« Er bekam keine Antwort.

»Dein Testament!« forderte der Schwager mit verdoppelter Lautstärke und schüttelte Eduard bei den Schultern.

»Habe keins …«

»Ja, Menschenskind, bist du denn wahnsinnig?«

Plötzlich wurde Eduard wach. »Ich muss doch nicht sterben?«

»Doch! Du stirbst! Die Ärzte sagen, es gibt keine Rettung mehr für dich! Du musst sofort dein Testament machen!«

»Wer wird meine Schulden erben wollen …«

»Auf deine Schulden kommt es doch nicht an. Es geht um Viktoria! Du willst doch, dass sie Königin wird, nicht wahr? Davon hast du immer wieder gesprochen.«

»Die Zigeunerin hat es gesagt …«

»Na also. Du musst ein Testament machen, in der du der Herzogin die Vormundschaft überträgst. Sonst nehmen sie ihr das Kind weg, und dann …«

»Durst!« stöhnte der Sterbende.

»Wenn du das Testament machst, beschaffe ich dir Whisky, hörst du? Du bekommst von mir so viel Whisky, wie du willst …«

Dr. Stockmar, der mit der Herzogin eingetreten war, entwarf in fliegender Hast ein Testament, schob dem Sterbenden das Schriftstück zu. Mit zitternder Hand unterschrieb Eduard, sorgfältig bemüht, dass seine Schrift auch lesbar würde.

»Besorgen Sie bitte Whisky, Stockmar!« forderte Leopold. »Irgendwoher, aber rasch.« Eduard kam nicht mehr in den Genuss dieses Getränkes. Sein Körper verkrampfte sich, er verlor das Bewusstsein. Siebzehn Minuten später konstatierte Dr. Stockmar den Tod.

»Mein Gott, mein Gott, womit habe ich das verdient!?« jammerte die Herzogin, als sie sich später in ihrem Salon an dem Whisky stärkten, der eigentlich dem Sterbenden zugedacht gewesen war.

»Bitte, nimm dich zusammen, das ist ja nicht zu ertragen«, sagte ihr Bruder Leopold. »Erzähl mir lieber … was hast du nun vor?«

Die Herzogin seufzte schwer. »Ich gehe zurück nach Amorbach!«

»Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Hoheit!« meldete sich der Arzt Dr. Stockmar.

»Bitte …«

»Ich halte es nicht für ratsam, wenn Königliche Hoheit Ihre Stellung hier in England aufgäbe.«

»Was für eine Stellung, Doktor? Meine englische Verwandtschaft wartet ja nur auf den Tag, an dem ich verschwinde!«

»Gerade deshalb sollten Sie bleiben.«

»Wovon sollen wir leben?«

»Zweifellos wird das Parlament …«

»Ach, hören Sie auf damit! Das Parlament lehnt uns genauso ab wie die Braunschweiger.«

»Viktoria hat eine Chance, Thronfolgerin zu werden«, sagte Dr. Stockmar, »aber nur, wenn sie in England erzogen wird. Sonst wird man Mittel und Wege finden, sie von der Thronfolge auszuscheiden. Es ist eminent wichtig, dass Sie, Königliche Hoheit, wenigstens so lange mit ihr in England bleiben, bis sich die Verhältnisse geklärt haben!«

»Aber … wovon?«

»Mir scheint, es bleibt mir nichts anderes übrig«, erklärte Leopold nach einer kleinen Pause. »Ich werde also deinen Aufenthalt in England finanzieren, Marie Luise. Ich denke, dreitausend Pfund genügen. Davon kannst du mit Vicky sorglos hier in England leben.«

Herzog Ernst I. von Sachsen-Coburg-Gotha hatte aus Staatsräson Luise, eine geborene Prinzessin von Sachsen-Coburg-Altenburg, geheiratet. Seine Brüder wusste er gut versorgt, Ferdinand in Ungarn und Leopold als Witwer in England mit einem Jahreseinkommen von fünfzigtausend Pfund.

Luise war eine gescheite und talentvolle Frau, aber vielleicht war es gerade das, was der Herzog am allerwenigsten ertragen konnte - die Überlegenheit eines anderen Menschen, und dazu noch einer Frau. Er machte gar nicht den Versuch, eine gute Ehe zu führen, unterbrach sein Junggesellenleben nicht einen Tag, sondern war nach wie vor aufs Heftigste mit seinen großen und kleinen Liebesgeschichten beschäftigt. Er behandelte seine Frau schlecht, kümmerte sich, sobald sie in gesegnete Umstände gekommen war, überhaupt nicht mehr um sie, und wenn sie es jemals wagte, eine eigene Meinung zu äußern, schrie er sie rücksichtslos an, ohne sich um die Anwesenheit der Hofgesellschaft zu kümmern.

Die Söhne Albert und Ernst verstanden nicht, was in der Ehe der Eltern vorging, aber der häusliche Unfriede überschattete ihre Kindheit. Prinz Albert hing mit abgöttischer Liebe an der Mutter.

Albert war ein sehr eigenartiges Kind, dessen markanteste Eigenschaft, jedenfalls in den frühesten Jahren, ein ausgesprochener Dickkopf war. Es war ihm höchst unangenehm, wenn er fremde Leute begrüßen sollte. Er floh dann in die äußerste Ecke des Zimmers, bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen, stellte sich stumm, taub und blind. Weder den Eltern noch den Erziehern gelang es, ihn dazu zu bewegen, sich umzudrehen oder gar ein Wort zu sprechen. Einmal versuchte es Herzog Ernst, der Vater, mit Gewalt. Die Wirkung war verheerend.

Prinz Albert brüllte aus voller Kehle, stampfte in äußerster Wut und Verzweiflung mit seinen kleinen Beinen auf den Boden, man musste ihn fortbringen.

Man kann Herzog Ernst I. vieles nachsagen, eines steht fest: an seinen Kindern hing er mit großer Liebe, und nur in den seltensten Fällen konnte er es über sich bringen, sie zu strafen.

Als Prinz Albert wieder einmal seinen berühmten Schreianfall hatte, bewaffnete er den ein Jahr älteren Ernst mit einem Stöckchen und schickte die beiden Buben zusammen ins Freie, in der Hoffnung, dass Ernst den Jüngeren auf diese oder jene Weise zur Vernunft bringen würde Dem Erbprinz gelang es überhaupt nicht, gegen den jüngeren Bruder aufzukommen, der immer so genau wusste, was er wollte.

Albert setzte sich stets durch, entweder mit hinreißender Liebenswürdigkeit, mit intelligenter Spitzfindigkeit oder, wenn alles nichts half, mit Ungestüm und Gewalt.

Es war nun aber nicht so, dass Ernst ein Martyrium durch seinen rechthaberischen Bruder hätte durchstehen müssen, im Gegenteil. Albert war ein guter Kamerad.

Albert neigte sehr dazu, sich mehr zuzumuten, als für ihn gut war. Nicht nur beim Lernen, sondern auch beim Schwimmen, Reiten und Turnen wollte er immer der Erste sein. Schon als kleine Jungen gingen die beiden Prinzen leidenschaftlich gern mit auf die Jagd oder zum Fischen, tummelten sie sich in den herrlichen Wäldern und an den klaren Gebirgsflüssen Thüringens.

Wenn Albert behauptete, die Lektüre des Ovid wäre interessant, dann hatte sie auch für seinen erbprinzlichen Bruder Ernst interessant zu sein - Widerspruch duldete er nicht. Für ihn war das Lernen keine lästige Pflicht. Die Kindheitstage der beiden Prinzen flossen gleichmäßig und ruhig dahin. Im kleinen Coburg ereignete sich wenig. Der Abschied der Mutter - Herzog Ernst hatte die Trennung dieser Ehe durchgesetzt - war ein einschneidendes Erlebnis, tiefer noch wurden die Prinzen durch den Tod ihrer Großmutter Auguste getroffen, deren besonderer Liebling Albert immer gewesen war. Sie hatte sich nach der Abreise der Mutter mit ganz besonderer Wärme und Liebe um die beiden Jungen gekümmert.

Ein freudiges Ereignis war es für die beiden Prinzen, wenn der Vater ihnen den Besuch ihres Onkels Leopold ankündigte. Prinz Albert vergötterte diesen eleganten, weitgereisten Onkel, lief ihm auf Schritt und Tritt nach, hing bei jedem Wort an seinen Lippen. Er geriet außer sich vor Begeisterung, als der Vater ihm eines Tages die Mitteilung machte, dass Onkel Leopold König der Belgier geworden war.

Man schrieb das Jahr 1830, als die große Stunde des Prinzen Leopold von Sachsen-Coburg-Gotha schlug.

Prinz Leopold, der Witwer, hatte auf den Rat Dr. Stockmars nach dem Tode seiner Charlotte treulich in England ausgeharrt, seine fünfzigtausend Pfund dort kassiert und auch ausgegeben.

Um sich die Zeit zu vertreiben, hatte er sich, als echter Coburger, einige kostspielige Geliebte zugelegt. Aber auf die Dauer konnte ihn das nicht befriedigen, im Gegenteil, es ödete ihn an. Er hungerte nach Macht, nach der Möglichkeit, seine Fähigkeiten spielen zu lassen. Es kostete Dr. Stockmar harte Kämpfe, ihn zu bewegen, die griechische Krone auszuschlagen, als man für dieses Land einen Monarchen suchte.

Im Jahre 1830 war er Dr. Stockmar dankbar dafür, denn Belgien war mehr als Griechenland. Die Engländer hatten gegen seine Nominierung als König der Belgier nichts einzuwenden. Die einflussreichen Freunde, die er sich erschmeichelt oder erkauft hatte, unterstützten seine Wahl zum König, und seine Feinde waren froh, ihn bei dieser Gelegenheit aus dem Land zu bekommen. Freudig erleichtert strich das englische Parlament die fünfzigtausend Pfund, die es ihm bisher ausgesetzt hatte.

Eine einzige Bedingung musste Leopold erfüllen, um auf den belgischen Thron zu kommen - Louis Philipp I. hatte eine Tochter Luise, für die er schon seit einiger Zeit einen Mann suchte. Leopold hätte diese Königstochter in Kauf genommen, auch wenn sie einäugig und bucklig gewesen wäre. Davon aber konnte bei Luise von Orleans keine Rede sein. Sie war ein hübsches Mädchen, das jedem Mann gefallen konnte. Ob ihr der damals schon vierzigjährige Leopold passte, danach wurde sie nicht gefragt. Louis Philipp I., der sich gerne der »Bürgerkönig« nannte, weil er nicht auf Grund seiner Legitimität, sondern durch Anerkennung des Bürgertums wieder auf den Thron gekommen war, war ein Geschäftemacher par excellence. Zu seiner Zeit kursierte über ihn folgendes Wort: Vor sechsunddreißig Bankiers müsse man sich nicht so in Acht nehmen wie vor einem Louis Philipp, König von Frankreich!

Der Coburger Leopold stand an Intelligenz und kaufmännischer Gerissenheit Louis Philipp nichts nach. Man sagte von ihm, dass er sogar von Geschäften träume.

Diese beiden kaufmännischen Könige verstanden einander. Sie waren Spekulanten größten Stils. Leopold erklärte sich bereit, Luise zu heiraten, und als Äquivalent präsentierte König Louis Philipp ihn den Belgiern als Monarch.

Den Belgiern gefiel Leopold. Er war ein Mann ganz nach ihrem Herzen: kühl, unsentimental, geschäftstüchtig. Er sagte, dass es ihm hauptsächlich darauf ankäme, Handel und Wandel im Lande zu fördern, und das gefiel den Belgiern noch besser. Die Fabrikanten, die Spekulanten, die Bankiers, die Kaufleute und auch die Handwerker waren einer Meinung - dieser Leopold ist der richtige Mann für uns.

Sämtliche europäischen Länder und Fürstenhäuser gaben ihre Zustimmung, besonders freudigen Herzens tat das die Coburger Verwandtschaft, denn es war gut, einen Verwandten zu besitzen, der auf einem Thron saß und über Geld verfügte.

Nachdem Leopold I. zwei Jahre König von Belgien war, lud er seinen älteren Bruder Ernst, Herzog von Coburg-Gotha, und seine beiden kleinen Neffen Albert und Ernst zu sich nach Brüssel ein.

Für die beiden Jungen war diese Reise ein großes Erlebnis. Zum ersten Mal atmeten sie die Luft der großen Welt. Sie waren von allem, was sie sahen und hörten, hell begeistert.

Albert war fest überzeugt, der Lieblingsneffe des belgischen Königs zu sein. Leopold studierte ihn wie ein Pferdehändler ein junges Fohlen, das er, wenn seine Zeit gekommen ist, möglichst günstig verkaufen will. Er hatte auch schon einen ganz bestimmten Käufer im Auge - Viktoria, Kronprinzessin von England.

»Was halten Sie von den Jungen?« fragte er einmal Dr. Stockmar, der inzwischen Baron geworden war.

»Was soll man von dreizehnjährigen Jungen schon sagen?« antwortete Stockmar zurückhaltend.

»Ich bitte Sie, Stockmar, Sie haben mich doch auch schon gekannt, als ich dreizehn war!«

»Nun, was das betrifft, Majestät … ganz ehrlich, Sie waren nicht viel anders!«

»Nicht?«

»Sie sind mir damals jedenfalls nicht viel anders vorgekommen. Man vergisst leicht die Torheiten seiner Kindheit.«

Nach kurzem Nachdenken fuhr Leopold fort: »Stockmar, mich hat Albert, wenn ich ehrlich sein soll, etwas enttäuscht.«

»Vergessen Sie nicht, Majestät, alle Coburger Prinzen haben sich langsam entwickelt … dafür haben sie aber ganz andere Qualitäten aufzuweisen gehabt als nur Intelligenz.«

Leopold lachte. »Da haben Sie natürlich Recht. Unter uns, Stockmar … schätzen Frauen wirklich Klugheit bei einem Mann oder … ?«

»Oder, Majestät, ohne Zweifel … oder! Außerdem gebe ich zu bedenken, dass ein Genie uns nichts nützen würde. Wir brauchen keinen selbstständigen, vorausblickenden Kopf, der selber denkt, sondern einen willigen, vertrauensvollen Geist, der sich leiten lässt. Ich glaube, das verspricht Prinz Albert unbedingt zu werden.«

Leopolds Vertrauen zu Stockmars Menschenkenntnis, die sich bisher noch nie getäuscht hatte, war so groß, dass er ohne weiteres zustimmte, als sein Bruder, der regierende Herzog von Coburg, ihm einige Jahre später den Plan unterbreitete, mit den beiden jungen Prinzen einen Besuch in England abzustatten.

Zwischen Albert und Viktoria spannen sich beim Englandbesuch keineswegs zarte Bande an. Im Gegenteil. Schon das erste ungestörte Beisammensein wurde eine Katastrophe. Viktoria empfing die Prinzen recht hochnäsig, sie reichte ihnen nur flüchtig die Hand, musterte sie beide von oben bis unten. Albert war verärgert, er errötete.

»Wie gefällt es euch in England?« fragte Viktoria, gewiss, eine Lobeshymne zu hören.

»Scheußlich«, antwortete Albert.

Der gutmütige Ernst suchte zu vermitteln: »Albert meint nur das Wetter … den Nebel und die Kälte, denk’ ich mir!«

»Nun, soweit ich weiß, bei euch in Coburg scheint auch nicht immer die Sonne!«

»Aber dafür haben wir zu Hause gemütlichere Räume. Ich habe noch niemals so etwas Schauderhaftes erlebt wie diesen Kensington-Palast. Es zieht um alle Ecken wie in einer alten Ruine«, beharrte Albert. »Und die Diener laufen herum wie im Mittelalter.«

Viktoria ärgerte sich um so mehr, als sie wusste, dass Albert Recht hatte. »London ist der Mittelpunkt der Welt!« sagte sie hochmütig. »London ist das Herz eines Weltreiches … und was ist Coburg?«

»Immerhin die Heimat deiner Mutter!« erwiderte Albert prompt.

»Ach, wozu höre ich euch überhaupt an!« sagte Viktoria wütend. »An der Meinung von zwei eingebildeten deutschen Prinzen ist mir nichts gelegen!« Albert lachte. »Wer, glaubst du denn, dass du bist?«

»Ich? Ich bin erstens eine Dame und … zweitens die Thronfolgerin!«

»Davon, dass du eine Dame bist, haben wir bisher noch nichts gemerkt, und ob du wirklich Thronfolgerin wirst, das ist noch gar nicht raus!«

»Unverschämtheit!«

»Sehr damenhaft!«

»Soll ich dir mal was sagen, was du bist?«

»Bitte, wenn es dir Vergnügen macht!«

»Ein ganz dummer Junge bist du, dass du es nur weißt! Ein eingebildeter Dreikäsehoch!«

»Komm, Ernst, wir gehen!« sagte Albert entschlossen. »An diesem Hof haben wir nichts mehr zu suchen!«

»Gegen deinen Bruder habe ich gar nichts gesagt, dass du es nur weißt!« schrie Viktoria. »Der ist mir zehnmal lieber als du … du …«

»Dreikäsehoch! Sag’s nur, du hast es schon einmal gesagt!«

»Und ich werde es nochmals sagen … und immer wieder! Weil es wahr ist! Überhaupt, ich kann dir sagen, was ich will … ich bin ja älter als du!«

»Wie bitte?«

»Jawohl! Drei Monate! Und Mädchen sind überhaupt immer viel klüger als Jungen!«

»Das merkt man dir aber nicht an!«

Mit Mühe und Not gelang es Ernst, den Anschein von Eintracht herzustellen. Trotzdem entging es Herzog Ernst nicht, dass etwas vorgefallen war, als er mit seiner Schwester Marie Luise, der Herzogin von Kent, das Zimmer betrat.

»Ich hoffe, ihr habt euch anständig benommen!« sagte er und musterte seine Söhne mit strengem Blick.

»Sehr anständig!« sagte Viktoria, noch immer wütend.

»Sei eine Dame!« tadelte die Mutter. »Ich habe dir schon oft gesagt, Kind, du darfst dich nicht so gehen lassen!«

»Ach, lass mich in Ruhe!« schrie Viktoria und rannte aus dem Zimmer.

»Ihr müsst das Kind entschuldigen«, sagte Marie Luise seufzend. »Sie ist leider, leider ein bisschen launisch. Vielleicht kommt es daher, dass sie keinen Vater hatte. Ihr fehlt eben die strenge Hand. Ich habe es nicht geschafft. Ihr müsst mir glauben, ich habe getan, was in meiner Macht stand!«

»Reg dich nicht auf, Marie Luise«, sagte Herzog Ernst besänftigend. »Bis sie auf dem Thron sitzt, hat sie sich bestimmt ihre Hörner abgelaufen.«

Fräulein Lehzen, Viktorias Kinderfrau, hatte König Leopold in einem ausführlichen Brief von der Begegnung zwischen Albert und Viktoria berichtet. Leopold selber hatte seinerzeit das Fräulein Lehzen als Kinderfrau für Viktoria empfohlen, er hatte ihr all die Jahre hindurch ihr Gehalt ausgezahlt, weil er wusste, dass dieses Geld gut angelegt war. Fräulein Lehzen war nicht nur Viktorias Kinderfrau, sie war auch ihre Vertraute, und Leopold treu ergeben. So geschah nichts in der Umgebung der Herzogin von Kent und ihrer Tochter, das er nicht auf schnellstem Wege erfuhr. Fräulein Lehzen hatte ein kurzes, aber sehr bezeichnendes Gespräch mit Viktoria gehabt, das sie, wie folgt, berichtete.

»Nun, mein Maiblümchen, wie gefallen Ihnen die deutschen Verwandten?« hatte sie gefragt.

Viktoria zuckte gleichmütig ihre schönen vollen Schultern. »Überhaupt nicht.«

»Nicht? Aber es sind doch sehr nette Leute!«

»Nett! Kann sein. Aber nicht interessant.«

»Aber mit Prinz Albert haben Sie doch öfters gesprochen, Maiblümchen?«

»Albert? Er ist ein ungezogener Flegel, ich habe ihn oft zurechtweisen müssen.«

»Und Ernst?«

Viktoria überhörte diese Frage, sie geriet gegen ihren Willen in Eifer.

»Ganz unverschämt ist Albert. Er hat sich benommen … am liebsten hätte ich ihn geohrfeigt.«

»Aber, Maiblümchen!«

»Regen Sie sich nicht auf, Lehzen, ich habe es ja nicht getan. Ich sagte nur, dass er ein Flegel ist. Von Kavalier keine Spur. Und dabei bildet er sich ein, er wäre ein Mann! Aber ich habe es ihm gesagt. Er ist ein ganz grüner Junge!«

»Aber er hat hübsche Augen, nicht wahr?«

Die Lehzen schrieb weiter, dass Viktoria sich bei jeder Gelegenheit mit Albert gezankt hatte, und Dr. Stockmar nahm es als ein gutes Zeichen.

»Sie sind beide noch Kinder, Majestät«, sagte er zu König Leopold, »und was sich liebt, das neckt sich. In diesem Alter hat man für zärtliche Gefühle noch keinen Sinn.«

»Das entschuldigt Alberts Verhalten keineswegs. Wenn er diplomatischer vorgegangen wäre …«

»Ja, wenn! Ich fürchte, Majestät, die Schuld liegt bei uns. Man hätte ihn besser auf diese erste Begegnung vorbereiten müssen.«

»Sie haben Recht, Stockmar. Aber wir werden es selbstverständlich nachholen. Mein Bruder besucht mich auf der Rückreise nach Coburg. Ich werde die Gelegenheit benutzen, Albert tüchtig die Leviten zu lesen.«

Herzog Ernst besuchte mit seinen beiden Jungen zuerst Paris, das aber auf Albert gar keinen Eindruck machte. Er hatte keinen Sinn für den Zauber dieser Stadt, das pulsierende Leben, die Eleganz, den Reiz der bezaubernden Frauen. Nur der Bois de Boulogne und die schöne Umgebung von Paris gefielen ihm.

Während Ernst jede Gelegenheit benutzte, sich von der Gesellschaft der anderen frei zu machen und allein durch Paris zu bummeln, war Albert froh, wenn er sich mit einem Buch auf sein Zimmer zurückziehen konnte. Eines Tages kam Ernst erst gegen Morgen ins Hotel zurück.

»Wo bist du gewesen?« fragte Albert den Bruder.

»Wo soll ich schon gewesen sein?« fragte Ernst grinsend zurück.

»Ich habe die ganze Nacht auf dich gewartet! Ich habe kein Auge zugetan.« Ernst lachte. »Ich auch nicht!«

»Wo warst du?

»Hast du dir das wirklich nicht denken können?«

»Denken?«

»Ja. Versuch’s doch! Wo kann ein junger Mann in Paris sein, wenn er nachts nicht nach Hause kommt?«

»Da gibt es tausend Möglichkeiten.«

»Aber nur eine sehr naheliegende.«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»Armer Unschuldsengel! Na, mach dir nichts draus. Eines Tages wirst du auch noch daraufkommen.«

Herzog Ernst freute sich über die nächtlichen Ausflüge seines Ältesten.

»Ich hoffe nur, du hast nicht zu viel Geld ausgegeben!«

»Wo denkst du hin, Papa! Ich habe natürlich nicht gesagt, wer ich bin. Ich habe getan, als wäre ich ein armer deutscher Student.«

Albert hatte keine Ahnung, wovon die beiden redeten, aber so gerne er es erfahren mochte, wollte er sich doch nicht durch allzu ahnungslose Fragen bloßstellen.

Prinz Albert war nicht im Geringsten nervös, als ihn sein Onkel, König Leopold, nachdem die erste allgemeine Begrüßung vorüber war, zu einem privaten Gespräch in seinem Arbeitsraum aufforderte. Er fühlte sich, als er in den hohen Raum trat, der durch die großen Fenster, die schweren Ledersessel und die kostbaren Gobelins an den Wänden prächtig wirkte, nur leicht befangen. Alles strahlte Macht und Persönlichkeit aus. An jenem riesigen Schreibtisch, auf den er jetzt zuging, pflegte Leopold seine kaufmännischen und politischen Pläne auszuarbeiten, hier verbrachte er oft ganze Nächte, hier wurde über Dinge von schwerwiegender Bedeutung entschieden.

Albert kam sich sehr klein und nichtig vor, als ihn sein Onkel bat, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

»Ich habe Berichte über deinen Besuch in England vorliegen …«

»Berichte?« unterbrach Albert erstaunt.

»Ja, Berichte! Sag mal, Albert, was hast du dir eigentlich dabei gedacht, dich Viktoria gegenüber so flegelhaft aufzuführen?«

»Ich … ich habe sie nicht kränken wollen«, stotterte Albert.

»Du hast sie aber gekränkt.«

»Du weißt nicht, wie sie mich behandelt hat, Onkel!« wehrte sich Albert.

»Sie hat getan, als wenn ich ein dummer Junge wäre. Sie ist unausstehlich und überheblich gewesen … sie ist eine Ziege!«

»Mein lieber Albert, ich muss dich darauf aufmerksam machen, du sprichst von der Thronfolgerin von England. Und wer bist du?«

»Ich bin Prinz von Sachsen-Coburg-Gotha!«

»Immerhin, sei es! Aber mach dir bitte klar, dass Sachsen-Coburg-Gotha ein kleines Ländchen ist, und noch dazu bist du nicht einmal der Thronfolger dieses Ländchens.«

»Du redest genau wie Viktoria!«

»Albert, ich meine es nur gut mit dir.«

»Das weiß ich, Onkel.«

»Es freut mich, das zu hören. Es war mein Fehler, nicht vor deinem Besuch in England mit dir zu reden. Aber dein Vater schrieb mir, dass du inzwischen ein Mann geworden wärst!«

»Ich bin ein Mann, Onkel!«

»Ein grüner Junge bist du. Du beschwerst dich über Viktoria …«

»Ich mag sie nicht, Onkel … ich werde sie nie mögen!«