Liebe für immer und ewig - Sabine Richling - E-Book

Liebe für immer und ewig E-Book

Sabine Richling

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Beschreibung

"Mitreißender Romantik-Roman." Ich bin Mina - jung, dynamisch - und sitze nach einem Unfall im Rollstuhl. Während meine Freundinnen bereits auf einen beachtlichen Erfahrungsschatz in Liebesangelegenheiten zurückblicken können, lässt meine erste Liebe noch auf sich warten. Doch unerwartet gerate ich ausgerechnet in Finns Blickfeld - der sexyeste Herzensbrecher aller Zeiten. Von nun an geht mir dieser Typ nicht mehr aus dem Kopf, obwohl mir klar ist, dass ich mir die Finger an ihm verbrennen werde. Ich stehe nicht auf oberflächliche Kerle, aber schnell bröckelt seine Fassade. Nur warum ist er nicht ehrlich? "Berührende, romantische Lovestory." "Erhöhter Schmunzelfaktor trifft auf pure Emotionen." "Einfach nur schöne Liebesgeschichte."

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Seitenzahl: 204

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Leseprobe

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

1

„Oh Gott, da ist ja der Schönling unserer Schule!“, schreit mir Anita ins Ohr und zeigt hemmungslos mit dem Finger zur Bar. Die Musik ist so laut, dass ich ihre Worte kaum verstehe, aber als ich ihrem Blick folge, sehe ich Finn inmitten seiner versnobten Freunde stehen. Neben ihm klebt ein aufgebrezeltes Püppchen, das ihn schamlos anschmachtet.

„Meine Güte, hier lassen sie aber auch jeden rein!“, erwidert Julia für mich, die mit uns auf der Tanzfläche abzappelt.

„Na und, was kümmert’s uns?“, sage ich, drehe mich mit meinem Rollstuhl und wackle damit im Takt zur Musik.

Finn ist ein Aufschneider, der jedem Rock hinterherschaut. Mit oberflächlichen Menschen kann ich nichts anfangen und er bestimmt auch nichts mit solchen wie mir. Immerhin ist sein Beuteschema eher blond und blauäugig sowie talentfrei. Ich bin weder das eine noch zähle ich mich zu dem anderen, zudem sitze ich im Rollstuhl – passe demnach ganz sicher nicht in seine kunterbunte, ach so perfekte Welt. Das will ich auch gar nicht. Weshalb denke ich überhaupt darüber nach? Dieser Typ ist mir egal und ich bin glücklich mit meinem Leben – endlich! Schließlich hat es zwei lange Jahre gedauert, mich nach meinem Unfall mit meinem Schicksal abzufinden. Ich war mal eine Sportskanone, habe Bewegung geliebt – besonders an der frischen Luft. Als Hamburger Urgestein verbrachte ich meine Ferien gerne auf dem Land mit Wandern und Freeclimbing. Bei meinen Großeltern in der sächsischen Schweiz konnte ich mich regelmäßig zur Genüge austoben. Bis zu jenem folgenschweren Tag, als ich die steile Felswand und meine Fitness an diesem Morgen unterschätzte. Der Sturz veränderte alles in meinem Leben – von heute auf morgen musste ich mich darauf einstellen, nie wieder laufen zu können. Zuerst dachte ich, das könnte ich niemals schaffen. Bis dahin war ich sehr glücklich gewesen, hatte Pläne für meine Zukunft und plötzlich war ich perspektivlos – behindert. Das musste ich erst einmal begreifen.

Anfangs fühlte ich mich wertlos, glaubte, nicht mehr gut genug für mich selbst und meine Mitmenschen zu sein. Letztlich war ich doch in diesem Zustand (so hilflos und abhängig) für andere eine Belastung. Jedenfalls redete ich mir das lange Zeit ein.

Doch irgendwann lernte ich, meine neue Realität in einem anderen Licht zu sehen. Ja, ich hatte meine Fähigkeit, laufen zu können, verloren. Aber hey, das Leben war doch nicht vorbei! Es gab so viele Möglichkeiten, meinen Alltag anders zu gestalten. Ich war immer noch da! Und dafür war ich unendlich dankbar.

Also begann ich, neue Pläne zu schmieden, richtete mein Leben entsprechend ein. Ich bin in einen Basketball-Verein für Rollstuhlfahrer eingetreten und spiele dort sehr erfolgreich in der zweiten Liga.

Alles hat sich verändert, aber nichts ist wirklich schlechter geworden. Ich bin wieder zuversichtlich und richtig motiviert, was meine Zukunft angeht.

Mein Liebesleben läuft allerdings auf Sparflamme. Einen Jungen kennenzulernen, der mich nimmt, wie ich bin, ist mit der Behinderung nicht so einfach. Während meine Freundinnen ihr Teenagerdasein in vollen Zügen genießen und die Kerle der Reihe nach austauschen, lässt meine erste Liebe noch auf sich warten. Ich versuche, diese Tatsache auszuklammern, und will mir über solche Dinge keine Gedanken machen. Schon gar nicht heute, denn ich feiere meinen achtzehnten Geburtstag und lasse mir die Laune nicht durch sinnloses Grübeln verderben.

„Hey Mädels, ich habe Appetit auf einen Cocktail. Wollen wir zu unserem Platz zurück und uns eine Pina Colada bestellen? Außerdem brauche ich mal eine kleine Pause, hier ist es so eng“, schlage ich meinen beiden Freundinnen vor.

„Ja, super Idee!“, zeigt sich Julia begeistert.

„Sehr gerne“, stimmt Anita mit ein. „Ich könnte auch eine Erfrischung gebrauchen.“

Gemeinsam bahnen wir uns den Weg durch die Menge zu unserem Tisch. Es ist aber auch verdammt voll an diesem Samstagabend in meinem Lieblingstanzclub „Aquarell“. Trotz meiner Behinderung komme ich gerne her. Hier herrscht immer gute Stimmung und die Musik ist einfach klasse.

Kurze Zeit später stoßen wir an und während Julia und Anita dem attraktiven Kellner nachschauen, mit dem sie gerade enthemmt geflirtet haben, starre ich geistesabwesend durch die vielen Menschen hindurch. Mein Blick wandert ziellos umher, bis er unerwartet aufgehalten wird. Finn sieht zu mir herüber und beobachtet mich. Ich bin irritiert und widme mich verlegen meinem Cocktail. Als ich wieder aufschaue, stelle ich fest, dass er mich nach wie vor mustert. Offenbar hat er noch nie eine Frau im Rollstuhl gesehen, oder weshalb guckt er mich an, als wäre ich nicht von dieser Welt? Als er auch noch zu lächeln beginnt, ist meine Verwirrung komplett. Macht er sich jetzt über mich lustig? Denn ein Flirt soll das sicherlich nicht sein. Ein Typ wie er – frauenverschlingend und übertrieben eitel – hält eher Ausschau nach Perfektion und Makellosigkeit. Damit kann ich leider nicht dienen.

Nach wie vor hält sein Blick an mir fest und als er sich unerwartet vom Barhocker erhebt, erstarre ich. Oh je, er hat doch wohl nicht vor herzukommen! Aber einer seiner Freunde hält ihn auf und spricht ihn an. Zum Glück! Es wäre sonst verdammt peinlich für alle Beteiligten geworden. Das hatte er sich bestimmt nicht gut genug überlegt. Ich bin erleichtert, als er kurz darauf die Bar Richtung Ausgang verlässt. Womöglich habe ich mich auch geirrt und er wollte ohnehin gerade gehen.

„Hallo, Erde an Mina!“, holt mich Anita in die Gegenwart zurück. „Auf welchem Planeten warst du denn eben?“

Julia wendet ihren blonden Schopf und schaut kontrollierend zur Bar.

„Ist da jemand Besonderes? Haben wir was verpasst?“, fragt sie und stiert mich mit ihren tiefblauen Augen neugierig an. Während sie mich ansieht, fällt mir wieder einmal auf, wie unglaublich hübsch sie ist. Würde sie nicht mit dem Rücken zur Bar sitzen, hätte Finn mit Sicherheit sie ins Visier genommen.

„Was? Nein, alles in Ordnung“, antworte ich weiterhin abwesend, während es mir schwerfällt, meine Gedanken auf meine Freundinnen zu fokussieren. Herrje, es war doch nur ein kurzer Moment – ein unbedeutender Blick – nichts weiter. Warum bin ich jetzt so aufgewühlt? „Ich verschwinde mal kurz, um mich frisch zu machen“, teile ich den beiden mit und drehe meinen Rollstuhl herum. „Bin gleich wieder zurück.“

„Soll ich dich begleiten?“, fragt Anita und klemmt sich ihre kinnlangen, dunklen Haare hinters Ohr.

„Nicht nötig“, lehne ich ihr hilfsbereites Angebot ab, „das schaffe ich schon.“

Kurz vor den Waschräumen werde ich von zwei Typen aus Finns Clique aufgehalten und blöd angequatscht.

„Ich glaube, du bist hier falsch mit deinem Porsche. Da muss man ja Angst haben, dass du einem über die Füße fährst“, sagt einer der beiden in einem abfälligen Ton zu mir.

„Leute wie dich sollte man hier nicht reinlassen!“, gibt der andere seinen Senf dazu und blockiert meinen Weg.

Heute ist mein Geburtstag! Da werde ich mich von niemandem ärgern lassen, erst recht nicht von solchen Idioten.

„Lass mich bitte durch“, fordere ich die schlaksige Gestalt in ihrer geschmacklosen, viel zu großen Lederjacke auf.

„Vielleicht überlege ich es mir, wenn ich einen Kuss von dir bekomme“, sagt der Typ doch glatt und grinst mich dämlich an. Im nächsten Moment spitzt er seine Lippen und kommt mir langsam näher.

Ich will etwas zurückrollen, um zwischen diesem Widerling und mir Abstand zu gewinnen. Aber sein Kumpel stellt sich hinter mich und hält meinen Rollstuhl fest. Ich bekomme es mit der Angst zu tun, als mir der Kerl auf die Pelle rückt und sich plötzlich zu mir runterbeugt.

„Na, mein schönes Lockenköpfchen“, raunt er mir mit einer Alkoholfahne ins Ohr, „wie wär’s mit uns beiden? Rothaarige sollen doch feurig und leidenschaftlich sein. Ich würde zu gern wissen, ob das auch auf ein angeschossenes, scheues Reh wie dich zutrifft.“

Er nimmt eine Strähne meiner langen roten Locken zwischen Daumen und Zeigefinger und zieht meinen Kopf gewaltsam zu sich heran, um kurz darauf seine Hand in meinen Nacken zu legen.

„Nimm deine Pfoten von mir!“, gifte ich ihn an.

„Oder was?“, amüsiert er sich mit seinem Kumpel über mich. „Willst du mich sonst treten? Ach nein, warte, das kannst du ja nicht. Richtig? Dazu müsstest du dich ja erst mal aus deinem Porsche erheben. Und weglaufen geht wohl auch nicht, Schätzchen. Ich fürchte, ich muss auf meinen Wegzoll bestehen. Also bekomme ich den Kuss jetzt freiwillig oder muss ich ihn mit Nachdruck einfordern?“

„Verdammt noch mal, Basti, was ist hier los?“, höre ich Finns Stimme hinter uns fluchen.

„Was denn? Ich will doch bloß einen Kuss von ihr. Aber die Kleine ist ja störrisch“, lallt Basti mit schwerer Zunge.

„Bist du noch ganz dicht? Du kannst doch nicht ein wehrloses Mädchen belästigen!“, zeigt sich Finn empört über das Verhalten seines Freundes.

„Das mach ich gar nicht! Siehst du nicht, dass sie ganz wild darauf ist, mich zu küssen?“

„Ich sehe nur, dass du zu viel getrunken hast und hier schleunigst verschwinden solltest – ihr beide! Jonas, kümmere dich um Basti und bestell euch ein Taxi! Und sorge verflixt noch mal zukünftig dafür, dass er nicht immer so einen Mist baut!“

„Bin ich etwa sein Kindermädchen? Basti ist für sich selbst verantwortlich.“

„Richtig, Jonas! Und du für dich! Deshalb frage ich mich, weshalb du dabei mitgespielt hast, ein Mädchen in Bedrängnis zu bringen.“

„Mein Gott, Finn, was bist du nur für eine Spaßbremse!“, geht Basti dazwischen und lässt von mir ab. „Komm, Jonas, wir gehen zurück an die Bar was trinken. Hier ist ja nix los.“

„Warte, Basti, ich denke, Finn hat Recht. Du hast genug für heute. Ich bring dich nach Hause“, sagt Jonas und zieht seinen schwankenden Freund mit sich.

„Neiiin, ich will aber nicht, lass mich!“

„Doch, es ist besser so“, hört man Jonas noch sagen, bevor sich ihre Stimmen im Discolärm verlieren.

„Hör mal“, sagt Finn zu mir und tritt an mich heran, sodass er in mein Blickfeld kommt. Ich stehe nach wie vor mit meinem Rollstuhl unbeweglich an der gleichen Stelle und bin noch dabei, das Ganze zu verarbeiten. Gerade wurde ich diskriminiert, und zwar auf übelste Weise. „Ich muss mich für meine Freunde entschuldigen“, fährt er fort und sieht mich mitleidig an. Diesen Blick habe ich schon viel zu häufig ertragen müssen und kann ihn in diesem Moment erst recht nicht gebrauchen. „Es tut mir sehr leid“, fügt er noch an, als ich nichts auf seine Worte erwidere.

„Und mir tut es für dich leid, dass du solche Freunde hast“, habe ich mich entschieden zu reden, und schaue in sein gebräuntes Gesicht, das von seinen dunklen Haaren umrahmt wird.

Ich greife zu den Rädern meines Rollstuhls und will meinen Weg den langen Flur zu den Waschräumen fortsetzen, als Finn mich aufhält.

„Warte“, sagt er und hebt seine Hand wie ein Verkehrspolizist, der ein Fahrzeug an der Weiterfahrt hindern will. „Mina, richtig?“, fragt er und bringt mich zum Staunen, weil ihm mein Name bekannt ist. Immerhin sind wir in unterschiedlichen Jahrgangsstufen an unserem Gymnasium und kennen uns eigentlich nicht.

Ich nicke und bestätige somit seine Frage.

„Du hast Recht, ich sollte mir wirklich neue Freunde suchen“, sagt er zu meiner Verwunderung. „Vielleicht würdest du dich ja mal mit mir treffen und mir ein paar Ratschläge geben. Ich gerate nämlich in der Regel immer an die gleiche Sorte von Menschen.“ Er lächelt mich vertrauensvoll an und wirkt erstaunlicherweise unsicher. „Oh Gott, ich weiß, wie blöd das für dich klingen muss“, hat er richtig erkannt. „Ich stehe hier plötzlich vor dir, nachdem meine Freunde dir Angst eingejagt haben, und bitte dich um ein Date. So hatte ich das eigentlich nicht geplant.“

„Du hattest einen Plan?“, frage ich verwirrt.

„Na ja. Nein“, korrigiert er sich. „Ich wollte dich vorhin schon ansprechen, als mich ein Kumpel aufhielt, weil er für seinen Wagen Starthilfe brauchte.“

Ich kann nicht glauben, was er gerade zu mir gesagt hat. Es kann unmöglich wahr sein, dass er ausgerechnet mich ansprechen wollte! Hat er eine Wette zu laufen, ob er bei mir landen kann – einer gehbehinderten Frau, die in seinen Augen ohnehin keinen Mann abbekommt?

„Such dir eine andere für deine Spielchen. Ich glaube dir kein Wort.“

Ich will mich an ihm vorbeischlängeln, um unser Gespräch für beendet zu erklären, aber er gibt den Weg nicht frei, sodass andere Leute schon auf uns aufmerksam werden. Ihm wird bewusst, dass sich die Blicke einiger Umstehender auf uns heften.

„Bitte lass mich hier nicht so stehen“, fleht er mich beinahe an, als er fürchtet, missverstanden zu werden. „Ich meine es wirklich ernst.“

Ungläubig blicke ich in seine dunkelbraunen Augen, die einen einladen, darin zu versinken, und zweifle die Wahrheit seiner Worte an.

„Hör zu, Finn. Richtig?“, erkundige ich mich nach seinem Namen auf die gleiche Weise wie er zuvor nach meinem, obwohl er mir seit über zwei Jahren bekannt ist. Deshalb warte ich seine Antwort auch nicht ab und fahre fort. „Ich bewundere deine Hartnäckigkeit. Die ist vielleicht auch ein entscheidender Grund, warum du so erfolgreich beim weiblichen Geschlecht bist.“

Ihm entgleiten die Gesichtszüge und er sieht plötzlich verärgert aus. Aber ich ignoriere seinen augenscheinlichen Stimmungswechsel und rede weiter.

„Allerdings habe ich kein Interesse daran, eine deiner Trophäen zu werden. Wenn du beabsichtigst, weitere Frauenherzen zu brechen, dann such’ dir eine andere.“

„Du denkst also, ich wäre ein Frauenheld und ein oberflächlicher Scheißkerl?“, fragt er erbost und blockiert weiterhin meinen Weg.

Ich erwidere nichts und bin überrascht, dass ihn meine Worte offenbar hart getroffen haben.

„Du weißt gar nichts von mir, Mina, klar? Meinst du etwa, nur weil du im Rollstuhl sitzt, hast du das Recht, andere Menschen vorzuverurteilen? Ich gebe zu, meine Art, dich anzusprechen war womöglich etwas plump. Und vielleicht war ich zu direkt und bin zu überfallartig vorgegangen. Allerdings lässt meine Vorgehensweise wohl kaum darauf schließen, wie ich mit Frauen umgehe. Tut mir leid, dass ich dich angesprochen habe, Mina. Ich habe mich anscheinend in dir getäuscht“, fügt er noch an, bevor er das Feld räumen will, doch ich strecke meinen Arm aus, um ihn zu stoppen.

„Warte bitte“, sage ich und bin erstaunt über sein Plädoyer, mit dem er sich auf beeindruckende Weise in einem für mich völlig neuen Licht dargestellt hat. „Ich wollte dich nicht kränken“, setze ich an, mich zu entschuldigen. „Und ich finde auch gar nicht, dass du mich plump angesprochen hast. Im Gegenteil, es war sogar recht charmant. Nur dein Ruf eilt dir voraus, Finn. An der Schule bist du als Schürzenjäger verschrien.“

„Aha!“, erwidert er genervt. „Und weil du jeden Mist glaubst, der an dich herangetragen wird, bevor du dir eine eigene Meinung bildest, haben vorverurteilte Menschen bei dir keine Chance.“

Ich bin erschrocken über seine Analyse meines Verhaltens ihm gegenüber. Auf einmal komme ich mir schäbig vor. Ich müsste es besser wissen als schwerbehinderte Person, die mit ihrem Handicap die Vorurteile anderer regelrecht anzieht. Stumm blicke ich ihn an und suche nach den richtigen Worten.

„Offenbar habe ich den Nagel auf den Kopf getroffen“, sagt er, da ihm mein Schweigen wohl zu lange gedauert haben muss, dabei fehlen mir einfach nur die nötigen Argumente. Es läge an mir, ihn zu rehabilitieren, ihn von möglichem Fehlverhalten freizusprechen. Denn er hat Recht, es obliegt mir nicht, ihn zu beurteilen – einen Schulkameraden, den ich im Grunde nicht weiter kenne. Ich hole Luft und möchte etwas erwidern, doch er ist schneller und ergreift erneut das Wort.

„Lass nur, Mina, du brauchst mir nichts zu erklären.“ Er fährt sich mit den Händen frustriert durchs Gesicht. „Ich bin es gewohnt, von anderen falsch eingeschätzt zu werden. Jedoch hatte ich gehofft, dass gerade du frei von Vorurteilen bist und dich von Klatsch und Tratsch nicht beeinflussen lässt. Bestimmt wird gerade dir das dumme Gerede anderer Leute des Öfteren zu Ohren kommen.“

Als ich immer noch nichts auf seine Worte zu sagen habe, da er mir eben den Spiegel vor Augen gehalten hat, schüttelt er enttäuscht den Kopf und versenkt seine Hände in den Hosentaschen.

„Tja, so kann man sich irren“, sagt er abschließend und geht.

Ich drehe meinen Rollstuhl herum und schaue ihm stumm hinterher. Den Drang, ihm nachzurufen, verkneife ich mir. Auch wenn er mit dem, was er sagte, richtig lag, braucht er doch nicht so hart mit mir ins Gericht zu gehen. Ja, ich habe ihn vorverurteilt, mir eine Meinung über ihn gebildet, obwohl ich ihn nicht näher kenne. Aber erstens sieht man ihn regelmäßig mit anderen Mädchen, die ziemlich offensichtlich später unter Liebeskummer leiden, und zweitens umgibt er sich mit Leuten, die richtige Mistkerle zu sein scheinen. Also warum sollte ich seinen Worten trauen, die durchaus gelogen sein könnten?

Immerhin sprechen die Tatsachen für sich. Darüber kann ich nicht einfach hinwegsehen und unbeschwert mit ihm flirten. Ich wünsche mir einen festen Freund und keine unbedeutende Liaison, die am Ende womöglich das Gesprächsthema der ganzen Schule ist.

Ich sollte froh sein, dass er nun weg ist und ich nicht schwach geworden bin wie die anderen Mädchen, bei denen er seinen Charme spielen lässt.

Und warum bin ich dann jetzt unzufrieden? Hoffe ich vielleicht, mich zu irren und dass es ihm tatsächlich ernst mit mir war? Oje, Mina, unter diesen Umständen wärst du ein naives Schaf und nicht mehr zu retten.

Als ich gerade den Kopf über mich selbst schüttle, kommen meine Freundinnen in mein Blickfeld und sehen besorgt aus.

„Mein Gott, Mina!“, ruft Julia aus und kommt mit Anita fast im Laufschritt auf mich zu. „Wo bleibst du nur so lange? Wir haben uns Sorgen gemacht.“

„Ist alles okay mit dir?“, will Anita wissen, als mich beide erreicht haben.

„Ja, ja, keine Angst“, gebe ich beschwichtigend zur Antwort. Denn sorgenvolle Gesichter kann ich jetzt nicht gebrauchen. „Ich wurde nur aufgehalten und habe mich etwas verquatscht.“

Offenbar habe ich mich entschieden, die Wahrheit für mich zu behalten. Warum, kann ich allerdings nicht sagen. Möchte ich mir etwa noch ein Türchen offenhalten, falls Finn doch ein netter Kerl ist? Eujeujeu! Mina, du stehst eindeutig unter Drogen und hast einen Cocktail zu viel getrunken.

„Ich glaube, ich möchte nach Hause“, sage ich überraschenderweise, denn ich fühle mich plötzlich elend. Die Tatsache wegen meiner Behinderung diskriminiert worden zu sein, gepaart mit diesem ungeahnten Flirtversuch von Finn, der völlig danebenging, hat meine Gefühle durcheinandergewirbelt.

„Mensch Mina, du siehst auch ganz blass aus“, stellt Julia fest und beugt sich zu mir herunter, um mich genauer zu betrachten. „Bist du etwa krank?“, fragt sie und legt ihre Hand auf meine Stirn.

Ich antworte nicht – lasse ihre Frage unkommentiert im Raum stehen. Immerhin fühle ich mich durchaus auf einmal unpässlich. Bin ich etwa schon vom Finn-Virus infiziert worden, obwohl wir ja nicht mal ein Date hatten?

„Ich finde auch, du siehst erschöpft aus“, stimmt Anita mit ein und zückt ihr Handy. „Wenn ihr damit einverstanden seid, rufe ich uns jetzt ein Taxi.“

2

„Du bist so still heute. Ist alles okay mit dir?“, fragt mich mein Vater am nächsten Tag im Auto auf dem Weg zum Training nach Hamburg Eimsbüttel. Jeden zweiten Sonntag im Monat ist früh aufstehen angesagt. Selbst wenn man am Abend zuvor seinen achtzehnten Geburtstag in einer Disco gefeiert hat.

Doch es ist nicht meine Müdigkeit, die mich so schweigsam sein lässt. Ununterbrochen muss ich daran denken, wie mich Finns Freunde gemobbt haben – wie bedrohlich mir diese Lage erschien. Ich fühlte mich machtlos und ausgeliefert. Zum ersten Mal seit langer Zeit nach meinem Unfall ist mir wieder bewusst geworden, wie sehr mich dieser Rollstuhl einschränkt. Dabei hatte ich gedacht, über solche unproduktiven Gedanken längst hinweg zu sein. Denn wenn eines vollkommen klar und unabänderlich ist, dann ist es die Tatsache, nie wieder gehen zu können. Deshalb hilft es mir nicht weiter, mit meinem Schicksal zu hadern. Tu ich im Grunde auch nicht. Doch das gestrige Erlebnis hat alte Wunden aufgerissen und mir meine Hilflosigkeit in gewissen Situationen vor Augen gehalten.

Ich möchte mich nicht schwach fühlen. Deshalb bin ich in den Basketball-Verein eingetreten und versuche mein Leben so normal wie möglich zu gestalten. Das ist mir bis gestern auch gut gelungen. Jetzt jedoch nagen Selbstzweifel an mir – fürchte ich, mein hart erkämpftes Selbstbewusstsein durch solch einen dummen Vorfall einbüßen zu müssen.

„Ja, Dad, alles in Ordnung. Mach dir keine Gedanken. Bin nur noch ein bisschen müde“, erwidere ich und hoffe, dass mein Vater sich mit meiner Antwort zufrieden gibt.

„So spät ist es gestern doch nicht geworden. Hattet ihr keinen Spaß?“, lässt er meine Ausrede offenbar nicht gelten.

„Doch, Dad, es war sehr lustig. Können wir nun das Thema wechseln?“

Ich rolle mit den Augen. Warum sind Eltern nur immer so neugierig und erkennen stets die wahren Gefühle ihrer Kinder? Ich möchte darüber jetzt nicht sprechen. Erst einmal muss ich mir selbst im Klaren sein, was mich die ganze Zeit so aus dem Gleichgewicht bringt.

„Okay, Schneckchen“, gibt er seine Fragerei auf, „aber falls du jemanden zum Reden brauchst, weißt du ja, dass deine Mutter und ich immer für dich da sind.“

„Danke, Paps, aber mir geht’s gut, ehrlich.“

Er nickt und setzt den Blinker, um auf die Einfahrt des großen Parkplatzes meines Sportvereins einzubiegen.

„Kannst du mich heute Abend noch bei Kati vorbeifahren?“, frage ich, als mein Vater den Wagen auf der Behindertenparkfläche vorm Eingang zum Stehen bringt.

„Ist das nicht die Schulkameradin aus der Parallelklasse, die du nicht magst?“, hat er sich diese Tatsache offensichtlich gut gemerkt.

„Ja, richtig“, bestätige ich seine Annahme. „Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr Mathe übe.“

„Und du konntest wieder mal nicht Nein sagen“, stellt mein Vater schmunzelnd fest. „Schneckchen, du bist einfach zu gut für diese Welt.“

„Und du redest Unsinn“, entgegne ich und lächle ihn an. „Du brauchst nicht mehr auf mich aufzupassen, Paps. Ich bin alt genug, Entscheidungen zu treffen. Kati hat mich gefragt, ob ich ihr helfe, und ich habe Ja gesagt. Dass ich sie nicht besonders mag, spielt für mich keine Rolle.“

„Komm her, mein Engel, ich bin sehr stolz auf dich“, wird mein Vater plötzlich emotional und zieht mich in seine Arme. „Du hast so viel durchgemacht und trotz allem sorgst du dich mehr um andere als um dich selbst. Du bist meine kleine Heldin des Alltags.“

Er knuddelt mich so fest, als wäre ich ein Sofakissen.

„Und du hast wohl zu viel Spinat gegessen“, beschwere ich mich. „Gleich hast du mich zerdrückt.“

Er lacht und gibt mich frei.

„Dann wollen wir uns mal beeilen, damit du nicht zu spät zum Training erscheinst.“

Nach dem Sport quatsche ich noch mit Ella vor der Halle und warte mit ihr gemeinsam darauf, dass wir abgeholt werden. Da sie wie ich im Rollstuhl sitzt und weiß, was ein solch eingeschränktes Leben bedeutet, erzähle ich ihr von meinen gestrigen Erlebnissen.

„Vergiss diesen Finn mal ganz schnell wieder“, bricht es regelrecht aus ihr heraus. „Wer solche Freunde hat, kann es unmöglich ernst mit dir meinen, Mina.“

Im Grunde bin ich der gleichen Meinung, aber trotzdem hätte ich lieber etwas anderes von ihr gehört. Und ich wüsste zu gern, weshalb. Schließlich ist er ein Mädchenschwarm, den man nie für sich alleine hat. Will ich das denn? – Quatsch! Dennoch scheine ich seit gestern Abend an nichts anderes mehr zu denken. Ständig gehe ich unser Gespräch im Kopf aufs Neue durch, versuche, mich an den Klang seiner Stimme und an jedes einzelne Wort zu erinnern, das er zu mir sagte. Ich bin infiziert – ich habe die Finn-Krankheit so wie siebzig Prozent aller Mädchen an unserer Schule. Was für ein Schlamassel! Hoffentlich ist das heilbar.

Zehn Minuten später bringt mich mein Vater zu Kati. Es wird Zeit, endlich den Führerschein zu machen, um etwas unabhängiger zu werden. Ein paar Fahrstunden habe ich schon genommen und für ein Auto, das speziell für mich umgebaut werden muss, spare ich bereits seit Längerem.

„So, da sind wir“, sagt mein Dad, als er auf die lange Einfahrt des Einfamilienhauses auffährt.

Er steigt aus und zieht meinen Rollstuhl aus dem Kofferraum, um ihn auf der Beifahrerseite aufzubauen. Ich öffne die Tür und hangle mich aus eigener Kraft vom Autositz in den Rolli. Als ich meine unbeweglichen