Im Jenseits schmeckt die Liebe süßer - Sabine Richling - E-Book

Im Jenseits schmeckt die Liebe süßer E-Book

Sabine Richling

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Beschreibung

Autorin Sabine Richling für prickelnde Romantik auf www.sabine-richling.com besuchen. "Eine spannende, außergewöhnliche Liebesgeschichte voller emotionaler Momente." "Ab auf die Couch und von diesem romantischen Liebesroman verführen lassen." Die siebzehnjährige Lina ist in der Lage, mit Verstorbenen zu reden. Welch verrückte Gabe, die Segen und Fluch zugleich ist! Dabei will sie nur eines: ein normales Leben führen und den attraktiven Florian näher kennenlernen. Und tatsächlich spricht er sie eines Tages in der Schule an. Er weiß von ihrem Talent und bittet sie um Hilfe. Lina möchte ablehnen, denn so hat sie sich die erste Verabredung mit ihrem Schwarm nicht vorgestellt. Aber sein Charme ist verboten sexy und auch er besitzt eine geheime Begabung. Als Lina ein rätselhaftes Zeichen aus dem Jenseits erhält, ist sie zutiefst verunsichert. Sie befürchtet, sterben zu müssen. Oder versteht sie alles ganz falsch? Eine herzergreifende Fantasy-Liebesroman-Erzählung mit Herz und Humor, die sich der Frage widmet: Gibt es ein Leben nach dem Tod? "Witzig, romantisch und übersinnlich."

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

1

Ich heiße Lina und bin siebzehn Jahre alt. Meine Hobbys sind mein Smartphone, Freunde treffen und Geisterbeschwörungen. Im Grunde bin ich ein ganz normaler Teenager, der es liebt, vieles auszuprobieren. Gerade tingle ich mit meiner Freundin Ronja durch die Drogerie, um mich mit neuen Mittelchen einzudecken für eine flotte Kriegsbemalung. Aber ich paniere mich nicht mit dem Zeug, ich benutze nur ein bisschen Wimperntusche und versuche, mich zu pflegen. So wie es alle tun in meinem Alter. Ich gehe in die elfte Klasse eines Gymnasiums und wechsle diesen Sommer in die zwölfte. Nach meinem Abitur möchte ich studieren, aber bis dahin ist noch Zeit. Solange werde ich das Leben genießen und mir nicht so viele Gedanken machen.

„Schau mal“, sagt Ronja zu mir. „Der Nagellack hat ja ’ne geile Farbe. Findest du nicht auch?“

„Wow, lila. Der letzte Versuch“, gebe ich zurück. „Passt gut zu deinen dunklen Haaren.“

Ronja lacht und stellt das Fläschchen wieder ins Regal.

Wir suchen uns ein paar Sachen aus und gehen zur Kasse.

„Mist, ich glaube, mein Geld reicht nicht“, stellt Ronja fest, als sie in ihr kleines Portemonnaie sieht. „Kannst du mir aushelfen?“

„Kein Problem“, entgegne ich und reiche ihr einen Zehneuroschein. „Reicht das?“

„Locker. Danke.“

Ronjas Geldprobleme sind mir vertraut. Ihre Eltern verdienen nicht so viel, daher fällt ihr Taschengeld geringer aus und mich stört es nicht, meiner besten Freundin ab und zu ein paar Taler zuzustecken.

„Wollen wir nachher wieder pendeln?“, fragt sie mich mit glänzenden Augen.

„Ja, komm doch um vier bei mir vorbei.“

„Super! Dann können wir mal auspendeln, wie deine Chancen bei Flori stehen.“

„Glaub mir, das habe ich schon“, entgegne ich gefrustet. „Obwohl mir das Pendel immer wieder eine positive Antwort gibt, schaut er mich nicht mal an, wenn er an mir vorbeigeht.“

Womöglich bin ich es auch, die ihn vor Nervosität nicht anschaut, aber das lasse ich jetzt mal unter den Tisch fallen.

Ich bin verknallt in Florian, einen Mitschüler aus der Oberstufe. Als ich ihn das erste Mal sah, blieb mir die Luft weg. Er hat kurzes braunes Haar und Wimpern, die jedes Mädchen vor Neid erblassen lassen. Seine dunklen Augen sind zum Wegschmelzen und sein Lächeln ist so süß, dass beinahe alle Mädels auf ihn abfahren. Wahrscheinlich sind meine Chancen gleich null. Daher habe ich mir verboten, ihn weiterhin anzuschmachten.

„Ach, das ist nur Unsicherheit“, weiß Ronja und grinst. „Wir können ihn ja zu meiner Party einladen nächsten Samstag.“

„Das würdest du für mich tun?“

„Dämliche Frage! Natürlich.“

Pünktlich um sechzehn Uhr schlägt Ronja bei mir auf. Ich habe schon alles vorbereitet: das Pendel und die Tarot-Karten liegen auf dem Tisch. Ich bin ein Medium – seit ich denken kann. Bereits als Kind habe ich Verstorbene gesehen und gedacht, das wäre normal. Ich konnte schließlich nicht ahnen, dass nicht alle Menschen solch eine Gabe besitzen und bin immer davon ausgegangen, jeder hätte diese Erscheinungen. Bis ich eines Tages meiner Mutter davon erzählte und ihr eine höllische Angst damit eingejagt habe. Ich sagte ihr, dass Oma Helga – die vor zehn Jahren verstorben ist – mich manchmal besuchen käme und mir Geschichten erzählte. Erst nahm meine Mum mein Gerede nicht ernst. Als ich aber von Erlebnissen berichtete, die vor meiner Geburt stattgefunden haben und von denen ich absolut nichts wissen konnte, lief ihr der Schauer über den Rücken. Seitdem bin ich vorsichtiger geworden mit dem, was ich erzähle. Ich begriff, dass nicht jeder bereit ist, an eine Parallelwelt und demzufolge an ein Leben nach dem Tod zu glauben.

Meine Freundin Ronja ist ganz scharf auf den überirdischen Kram und kann nicht genug davon bekommen. Wenn wir uns treffen, pendeln wir oft oder legen die Karten. Das Gläserrücken haben wir auch einige Male ausprobiert, allerdings ist mir dabei nicht so wohl. Manchmal kommen die Seelen vorbei, die wir rufen. Hin und wieder aber mischen sich andere ein und wollen uns ärgern. Sie lassen das Glas bloß sinnlos über den Tisch tanzen und geben keine richtigen Antworten. Deshalb habe ich Ronja darum gebeten, dass wir damit vorerst aufhören und nur einen Geist rufen, wenn wir etwas Wichtiges wissen wollen.

Ronja und ich gehen in mein Zimmer und machen es uns auf der Couch gemütlich. Wir quatschen über den Tag und kichern – wie zwei Teenager eben. Wir ahnen nichts Böses, als sich eines unserer Wassergläser auf dem Tisch von allein zu bewegen beginnt.

„Warst du das?“, fragt Ronja erschrocken.

„Nein, wie hätte ich das tun sollen?“, gebe ich ebenso verwundert zurück und fahre mir nervös durch die blonden Locken.

„Bestimmt ist da ein Geist, der auf sich aufmerksam machen will“, nimmt meine Freundin an und fängt Feuer. Sobald es um dieses Thema geht, ist sie voll dabei.

„Eigentlich ist das nicht möglich“, erkläre ich ihr. „Es funktioniert doch lediglich, wenn wir unsere Finger darauf legen.“

„Bist du sicher?“, fragt sie mich.

„Hm …nein.“

„Na bitte. Dann lass uns gleich mal nachfragen, wer da ist.“

„Da ist niemand, Ronja. Wäre es so, würde ich das merken.“

„Du könntest dich irren.“

„Nein, bestimmt nicht.“

Plötzlich fängt Ronja schallend an zu lachen.

„Du miese Schlange“, entfährt es mir. Ich sehe den Faden, den sie in der Hand hält und der mit dem Glas verbunden ist.

„Reingelegt“, amüsiert sie sich und rauft sich mit mir auf dem Sofa. Als wir uns wieder gefangen haben, steht sie auf und setzt sich an meinen Tisch. „Komm, lass uns die Tarot-Karten mischen und fragen, wann du mit Flori zusammenkommst.“

„Okay“, erwidere ich und setze mich beschwingt dazu. Solche Spiele finde ich lustig. Sie sind harmlos und machen Spaß. Sie reicht mir den Stapel und ich mische die Karten. Danach breite ich sie auf dem Tisch aus. Ich überlege ein bisschen und kann mich nicht entscheiden. Auf einmal bekomme ich Beklemmungen, mein Magen zieht sich zusammen. Ich könnte schwören, jemand steht neben mir und haucht mir eine Warnung ins Ohr.

„Nun zieh schon eine Karte!“, fordert mich Ronja auf. „Warum überlegst du so lang? Die Dinger beißen nicht.“

„Vielleicht machen wir was anderes“, schlage ich vor. „Wir können ja pendeln.“

„Hä? Was ist los?“

„Ich weiß nicht. Irgendwas Seltsames geht hier vor. Ich habe das Gefühl, dass ich keine Karte ziehen sollte.“

„Aber wir haben doch eine harmlose Frage gestellt! Was kann daran verkehrt sein? Jetzt zieh eine, sonst mache ich es für dich!“ Ronja nimmt meine Hand und hält sie über den ausgebreiteten Kartenstapel. „Du hast ja bloß Angst zu erfahren, dein Schwarm könnte eine andere lieben.“

„Ja, wahrscheinlich ist es das“, beruhige ich mich selbst und entscheide mich endlich für eine Karte. Ich sehe sie nicht an und reiche sie an Ronja weiter.

„Was ist es für eine?“, frage ich und blicke sie unsicher an.

Sie starrt auf die Karte und gibt mir keine Antwort. Ihre Augen weiten sich und ihre Pupillen werden zusehends größer.

„Ach, nichts“, sagt sie und will das Spiel neu mischen. Ich halte sie auf und entreiße ihr die Karte.

„Der Tod“, stelle ich fest. „Es ist die Todeskarte. Na und! Wo ist dein Problem? Sie sagt nur aus, dass das Alte vergehen muss, damit etwas Neues wiedergeboren werden kann.“

„Na, wenn alles harmlos ist, verstehe ich nicht, warum du so ein komisches Gefühl bei der Sache hattest? Und was hat das Ganze mit Flori zu tun? Lina, auf deine Gefühle konnten wir uns bisher immer verlassen. Warum ziehst du die Todeskarte, wenn wir wissen wollen, wann er sich endlich in dich verliebt?“

„Tja, womöglich habe ich zu lange überlegt und mich vergriffen. Ich könnte die Frage wiederholen und noch mal ziehen.“

„Los!“, bestimmt Ronja und sieht mich auffordernd an.

Ich vermische das Blatt neu und breite die Tarot-Karten im Halbmond auf der Tischplatte aus. Diesmal warte ich nicht so lange und greife eine Karte, die mich regelrecht anspringt. Als ich sie aufdecke, erbleiche ich.

„Wieder die Todeskarte!“, ruft Ronja aus. „Lina, das ist gruselig.“

„Lass uns damit aufhören, ja?“, bitte ich meine Freundin.

„Ich habe eine bessere Idee“, entgegnet Ronja. „Wir fragen die Karten einfach, warum wir so eine Antwort bekommen haben.“

„Das wäre ja so, als würdest du den lieben Gott fragen, warum er der liebe Gott ist. Das ist unlogisch.“

„Ich werde für dich fragen und die nächste Karte ziehen“, entscheidet sie und ignoriert meinen Einspruch. Sie verteilt die Karten wahllos auf der Tischplatte und wühlt mit beiden Händen solange darin herum, bis alles gut vermischt ist. „So, liebes Tarot-Spiel, warum hast du Lina die Todeskarte geschickt?“, fragt sie und zieht mit geschlossenen Augen eine Karte aus dem Stapel. Sie dreht sie um und sieht mit offenem Mund auf das Bild.

„Ja, und?“, halte ich die Anspannung nicht mehr aus. „Was ist das für ein Motiv?“

„Der Gehängte“, antwortet sie aufgewühlt. „Was heißt das?“

„Das heißt, dass ich meine Lage akzeptieren muss.

„Welche Lage?“, fragt Ronja.

„Vermutlich habe ich keine Chancen bei Florian. Außerdem besagt sie, dass ich eine große Veränderung erleben werde. Der Gehängte ist vom Licht erfüllt und erwartet das Kommen großer Dinge.“

„Könnte es also bedeuten, dass du Flori mit ein bisschen Geduld für dich gewinnen wirst?“

„Könnte es“, gebe ich zur Antwort, obwohl ich spüre, dass die Aussage der Karten in eine andere Richtung abzielt. Welche, kann ich allerdings nicht sagen.

2

Die Schule will am folgenden Tag nicht enden. Ich denke unentwegt an den gestrigen Abend zurück, diese seltsamen Tarot-Karten, die mich durcheinandergebracht haben. In der großen Pause stehe ich mit Ronja und ein paar anderen Klassenkameradinnen auf dem Schulhof herum, als Florian mit zwei Mitschülern auf uns zukommt. Ich halte mich bei Ronja fest. Meine Aufregung, ihn zu sehen, bringt mich fast um den Verstand. Gott, wie ist das möglich, dass er so gut aussieht? Heute trägt er hellblaue Jeans mit modisch aufgeribbelten Säumen und Löchern. Dazu ein helles enges Shirt und weiße Sneakers. Ich bin tot, wenn er nicht sofort aufhört, mich anzusehen. Das hat er noch nie gemacht! Jedenfalls nicht so intensiv. Warum jetzt?

„Er kommt!“, stellt Ronja richtig fest und boxt mich in die Seite.

„Wer?“, fragt Toni, die ihre Ohren natürlich überall haben muss.

„Ich muss weg!“, sage ich und will mich gerade davonmachen, als Ronja mich am Arm festhält.

„Hey, Mädels“, sagt Max, der neben Florian und Hendrik auf uns zugestapft kommt.

„Hey, ihr Süßen“, sagt Lilly und legt ihr pretty face auf.

Ich möchte auf der Stelle weglaufen, aber Ronja zerdrückt mir fast das Handgelenk.

„Wir haben gehört, dass du eine Party am Samstag schmeißt, Ronja“, sagt Max, als er uns mit Hendrik und Florian erreicht hat. Sie bleiben bei Lilly stehen und heften ihren Blick auf Ronja und mich – schließlich stehe ich direkt neben ihr.

„Ja, habt ihr Lust zu kommen?“, fragt sie hocherfreut, von den attraktivsten Jungs der Schule angesprochen zu werden.

„Bist du auch dabei?“, spricht mich Florian plötzlich an, als würden wir uns seit Jahren kennen. Dabei haben wir noch nie ein Wort miteinander gewechselt.

„Ich denke schon“, antworte ich mit feuerroten Wangen.

„Klar, ist sie dabei“, geht Ronja dazwischen. „Die Party geht um fünf los.“

„Stimmt es, dass du mit Verstorbenen in Kontakt treten kannst?“, will Hendrik von mir wissen. „Unser Flo hätte da ein kleines Anliegen an dich.“ Er klopft Florian auf die Schulter. „Sein Vater ist vor Kurzem gestorben. Meinst du, da ließe sich etwas machen?“

Florian sieht beklommen auf den Boden. Offenbar ist ihm der Vorstoß seines Freundes unangenehm. Er hätte es wohl lieber auf seine Art geregelt, ohne großes Aufsehen.

„Äh …“, entfährt es mir und nun bin ich ebenso sprachlos wie Florian.

„Sie kann das“, übernimmt Ronja für mich das Wort.

Herrje, muss sie das jetzt so sagen? Ich hatte nicht vor, mit meiner Gabe zu hausieren. Bloß einige wenige wissen davon. Die anderen halten mich doch sonst für einen Freak.

„Echt?“, fragt Lilly. „Das ist ja abgefahren! Davon wusste ich noch nichts. Bist du eine Hexe? Wie machst du das?“

Ja, genau das meine ich.

„Nun ja“, gebe ich leise von mir. Ronja, ich könnte dich erwürgen! Warum musst du das so rausposaunen?

„Das gelingt ihr fast immer“, prahlt sie herum.

„Irre!“, staunt Lilly. „Könntest du auch mit meinem Opa sprechen? Der ist letztes Jahr verstorben.“

„So was ist doch total schräg“, geht Toni dazwischen. „Seit wann glaubt ihr so einen Unsinn? Tot ist tot. Es gibt kein Danach. Wie soll das auch gehen ohne Körper?“

Ich hätte ihr jetzt natürlich erklären können, dass das Leben danach nicht in körperlicher Form weitergeht, dass unser Bewusstsein weiterexistiert als reine Energie – feinstofflich, ohne feste Gestalt, nebenan in einer weiteren Dimension. Aber das hätte sie mir genauso wenig geglaubt. Außerdem ist es nicht meine Absicht, jemanden zu bekehren. Jeder soll das glauben, was er möchte – was ihm guttut. Ich würde ihr keinen Gefallen damit tun, ihr Weltbild zu zerstören.

„Natürlich gibt es ein Leben nach dem Tod!“, haut Ronja raus. „Ihr habt alle keine Ahnung!“

„Hör bitte auf damit!“, stoppe ich meine Freundin. Ich reiße meine Hand los, die sie nach wie vor umklammert hielt, um mich an einer Flucht zu hindern. Jetzt aber bin ich energischer, denn ich habe nicht vor, dieses Gespräch länger zu befeuern. Ich bin verärgert, so bloßgestellt worden zu sein. Wer hat dieses Gerücht nur in Umlauf gebracht? Wenn das die Runde macht, bin ich erledigt. Niemand wird mich mehr ernst nehmen und ich kann sehen, wie ich auf die Schnelle eine neue Schule finde. Ich mache mich vom Acker und will zurück in den Klassenraum.

„Hey, warte!“, ruft mir Florian hinterher. Ich drehe mich nicht nach ihm um und gehe einfach weiter, obwohl ich ihn gehört habe. Er folgt mir mit schnellem Schritt, überholt mich und stellt sich mir in den Weg. „Warte bitte, Lina“, beschwört er mich und sieht peinlich berührt aus. „Es tut mir leid! Ich wollte nicht, dass Hendrik es vor allen anderen anspricht. Eigentlich hatte ich vor, dich auf der Party danach zu fragen. Jetzt wissen es alle, und das hast du bestimmt nicht gewollt.“

„Richtig, das habe ich nicht gewollt“, sage ich bloß und gehe an ihm vorbei.

Er kommt mir nach und passt sich meinem Gang an.

„Hör zu, ich möchte nicht, dass du sauer auf mich bist.“

„Warum nicht?“, frage ich erstaunt. „Wir kennen uns überhaupt nicht. Kann dir doch egal sein.“

„Ich wollte dir nicht schaden. Ehrlich!“

„Na schön, lass uns das vergessen, ja?“, schlage ich vor, kurz bevor wir den Eingang erreichen.

„Können wir uns treffen?“, fragt mich Florian allen Ernstes. Ich bin platt und bleibe stehen.

„Wie bitte?“, kann ich es kaum glauben.

„Ich weiß, ich falle mit der Tür ins Haus. Sorry! Aber ich möchte unbedingt noch einmal mit meinem Vater sprechen.“

„Florian …“

„Bitte sag Flo zu mir. Alle nennen mich so.“

„Okay, Flo. Das ist kein Spiel. Wir können die Verstorbenen nicht einfach aus Spaß rufen, weil wir mal testen wollen, ob das funktioniert. Ich bin ein Medium, ja! Das heißt jedoch nicht, dass ich mich für niedere Beweggründe zur Verfügung stelle. Eine solche Sitzung mache ich nur, wenn der Trauernde daran glaubt und er seinen Kummer nicht auf normalem Wege bewältigen kann. Ich helfe einem Hinterbliebenen gern, aber ich biete keine Spielchen zur Belustigung an.“

„Tut mir leid, falls das so rübergekommen ist“, sagt Florian mit gedämpfter Stimme. Er sieht auf seine Füße und eine kurze Haarsträhne fällt ihm in die Stirn. „Ich meine es ernst, Lina. Bitte weise mich nicht ab!“

Mein Herz erweicht, als ich ihn so sehe. Er scheint ehrlich um seinen Vater zu trauern. So hart bin ich noch nie mit einem Betroffenen umgegangen. Ich schäme mich für meine frostigen Worte. Offenbar hat mir mein unfreiwilliges Outing stärker zugesetzt, als mir lieb ist.

„Wenn du willst, können wir uns heute Nachmittag treffen“, schlage ich vor. „Du kannst zu mir kommen.“

Florian schaut auf und sieht mich erleichtert an.

„Danke. Das weiß ich zu schätzen.“

Wir tauschen unsere Adressen aus und Knall auf Fall bin ich mit dem Jungen meiner Träume verabredet. Auch wenn ich mir das irgendwie anders vorgestellt hatte.

3

Um halb vier klingelt Florian an der Tür unseres Reihenhauses in Berlin Rudow, einem ruhigen Teil der Stadt. Meine Mutter kommt mir zuvor und öffnet, als ich gerade die Treppen herunterhaste. Heute ist sie eher von der Arbeit nach Hause gekommen – wer weiß, warum? –, was mir natürlich sehr ungelegen kommt. Da sie ein Hausmonster ist, wird sie mit ihrem übertriebenen Ordnungsfimmel durch die Räume fegen und dafür sorgen, dass alles wie geleckt aussieht. Dabei nimmt sie keine Rücksicht darauf, ob ich Besuch habe oder nicht.

„Oh, wen haben wir denn hier?“, ruft sie aus und scheint sich über das neue Gesicht zu wundern. „Dich kenne ich noch nicht.“

„Guten Tag, ich bin Florian“, antwortet er und reicht meiner Mutter die Hand. „Ich bin mit Lina verabredet.“

„Ist gut, Mum, ich übernehme ab jetzt“, gehe ich dazwischen und bitte Flo herein.

„Heute nicht so lange, junge Dame!“, erinnert mich meine Mutter an meine Pflichten. „Du weißt, dass heute Putztag und dein Zimmer mal wieder fällig ist.“

„Das kann ich auch am Wochenende machen“, halte ich dagegen.

„Am Wochenende, mein liebes Kind, wolltest du zu Ronjas Party. Und wenn ich mich nicht irre, verhandeln wir noch darüber, ob du dort schlafen darfst.“

„Verstehe schon, Mum“, gebe ich klein bei und rolle mit den Augen. Ich führe Florian nach oben in mein Zimmer und schließe vorsichtshalber die Tür ab, damit meine Mutter nicht unverhofft hereinkommt.

„Wie du siehst, geht hier alles ganz irdisch zu“, sage ich zu Florian und grinse.

„Ja, was anderes habe ich auch nicht erwartet“, lächelt er zurück.

„Du hältst mich also nicht für einen Freak?“, frage ich und setze mich mit ihm an den Tisch.

„Nein, nicht im Geringsten. Ich halte dich für ein hübsches und kluges Mädchen.“

Meine Wangen werden heiß. Mit netten Worten habe ich nicht gerechnet. Florian schmunzelt unmerklich, er will mich wohl nicht noch mehr in Verlegenheit bringen.

„Seit wann bist du dieser Meinung?“, frage ich verwundert. „Du hast mich doch nie beachtet.“

„Wie kommst du darauf?“, gibt er zurück. „Ich würde sagen, es ist eher umgekehrt. Wann immer ich an dir vorbeigelaufen bin, hast du dich abgewendet.“

„Ach ja?“, bin ich fassungslos, was ich da höre, und überlege. Kann schon sein, dass ich vor lauter Hemmungen seinem Blick ständig ausgewichen bin. Wie soll es einem auch gelingen, seinem Schwarm in die Augen zu schauen? Mag ja sein, dass es Mädchen gibt, die das können. Ich kann das jedenfalls nicht. Mein Herz pumpt im Akkord, wenn ich ihn sehe. So wie jetzt!

„Ja“, bestätigt er meine Nachfrage. „Ich spiele wohl nicht in deiner Liga.“

Er spielt nicht in meiner Liga! Ich lach mich schlapp. Umgekehrt wird ein Schuh draus. Aber egal. Darüber will ich mich nicht mit ihm streiten. Ich finde es amüsant, wenn er das so sieht. Immerhin ist er der Schönling der Schule und nicht ich. Gerne mehr davon!

„Erzähl mir von deinem Vater“, gehe ich nicht auf seine letzte Bemerkung ein. Es gefällt mir, diesen Satz unkommentiert zu lassen. Er macht mich interessant. Das möchte ich ein bisschen genießen.

Florian nickt mit dem Kopf und scheint enttäuscht zu sein, dass ich das Gespräch in eine andere Richtung gelenkt habe. Kann es sein, dass er mich mag? Bis eben nahm ich noch an, es war nur dummes Gerede von ihm.

„Du sprichst anscheinend nicht gern über dich“, stellt er fest und lehnt sich weiter vor. Dabei sieht er mir mit seinen kugelrunden braunen Augen so tief in die Iris, dass ich glaube, er bohrt sich an meinem Hinterkopf wieder heraus.

„Wie meinst du das?“, frage ich verunsichert. Zu gern würde ich wissen, was er mit seiner Fragerei beabsichtigt.

„Ich denke, dass du dich hinter deiner Begabung versteckst und niemanden an dich heranlässt. Ein Kompliment ist dir unangenehm und du wechselst lieber das Thema, als dich zu sehr mit deinen Gefühlen zu beschäftigen.“

„Wow, woher hast du denn diese Weisheit?“, bin ich geplättet von so viel Ehrlichkeit. Ich rutsche auf dem Stuhl herum und würde gern aufstehen, um mich unterm Bett zu verkriechen. Ja, verflixt, er hat Recht. Mich mit mir selbst und meinen Gefühlen auseinanderzusetzen, ist mir lästig. Das gestehe ich mir kaum ein. Aber woher will Florian das wissen? Wir treffen uns heute das erste Mal.

„Ich habe auch eine Gabe“, behauptet er. „Nämlich Menschen zu durchschauen.“

Während ich weiter von ihm abrücke, zieht er den Stuhl näher zu mir heran. Wenn wir das so weitertreiben, sitzen wir bald an der Wand.

„Und du glaubst, auch mich durchschaut zu haben? Nach so kurzer Zeit?“

„Ja, absolut.“

„Na fein, dann haben wir das ja geklärt“, will ich zum Ende dieser unerquicklichen Unterhaltung kommen. Ein Junge, der mich mehr kennt, als ich mich selbst, ist mir unheimlich. Ich werde ihn aus meiner Schwarmliste streichen. Max ist doch auch recht attraktiv und bestimmt weniger scharfsinnig. Zu viel Cleverness bei einem Jungen kann problematisch sein. Schließlich sind die Mädels diejenigen, die das männliche Geschlecht manipulieren sollten und nicht umgekehrt.

„Okay, schon klar“, hat Florian einen Geistesblitz. „Das Thema ist dir unangenehm.“

„Nein, ganz und gar nicht. Wir können auch gerne den ganzen Nachtmittag über mich sprechen, statt Kontakt mit deinem Vater aufzunehmen“, werde ich sarkastisch.

„Sorry“, entschuldigt er sich unerwartet. „Ich bin zu weit gegangen und habe den eigentlichen Grund unseres Treffens aus den Augen verloren.“ Er wendet seinen Blick ab und schaut aus dem Fenster. „Es ist nur so: Ich bin verknallt in dich!“

Es wird still im Zimmer und keiner redet weiter. Ich stiere ihn bloß an, während er weiterhin nach draußen sieht.

„Äh, was?“, bringe ich endlich heraus.

„Na ja, du hast richtig gehört“, sagt er und blickt wieder in meine Richtung. „Ich dachte mir, ich sage es einfach geradeheraus, bevor der Nachmittag vorbei ist und wir uns danach nicht mehr kennen.“

Jetzt kommt er mir mit seinem Stuhl wieder entgegen. Gleich sitze ich auf seinem Schoß.

„Ich bin ein wenig sprachlos“, gebe ich offen zu. Dass mir mein Schwarm so unverblümt seine Gefühle gesteht, haut mich aus den Pantoffeln.

„Ja, das kann ich mir vorstellen“, hat er Verständnis. „Weißt du, Lina, seitdem mein Vater gestorben ist, habe ich einen anderen Blick auf das Leben. Nun ist auch meine Mutter schwer an Krebs erkrankt und keiner weiß, ob sie das nächste Jahr noch da sein wird.“

„Oh Gott, das tut mir leid.“

Ich bin geneigt, seine Hand zu nehmen, aber das traue ich mich nicht. Also belasse ich es bei meinen mitfühlenden Worten. Er nickt lediglich und erzählt weiter.

„Ich werde in ein paar Monaten zwanzig und beende die Schule, bin also alt genug, um für mich selbst zu sorgen und mir eine Wohnung zu nehmen. Ich muss realistisch bleiben. Niemand weiß, wie es weitergeht, aber ich habe Vorahnungen seit dem Tod meines Vaters. Ich denke, dass es meine Mutter nicht schaffen wird. Glaubst du, dass man so etwas vorher wissen kann?“

„Ja!“, schreie ich meine Antwort fast heraus. „Da bin ich sicher. Auch ich habe Vorahnungen und oft genug bewahrheiten sie sich. Ich weiß genau, wovon du sprichst.“

„Hey“, freut er sich, „dann haben wir ja was gemeinsam.“

„Scheint so“, lächle ich und bin froh, mit ihm eine Basis gefunden zu haben.

„Dann bin ich für dich kein Freak?“, stellt er mir die gleiche Frage wie ich ihm zuvor und grinst amüsiert.

„Nein, das bist du nicht. Du bist toll!“, schenke ich ihm meine Anerkennung, nachdem er mir seine Gefühle offenbart hat.

„Du findest mich toll?“ Er greift nach meinen Händen. „Na, das lässt doch hoffen.“

Er strahlt mich an und seine dunklen Augen beginnen zu glänzen.

„Vielleicht!“, sage ich vieldeutig. Ich schaffe es nicht, über meinen Schatten zu springen und ihm anzuvertrauen, dass es mir nicht anders geht als ihm, dass auch ich für ihn schwärme – bereits seit einem Jahr. Dabei hat er mir gerade vor Augen gehalten, wie schnell das Leben vorbei sein kann und man selten eine zweite Chance erhält. Ich sollte ehrlich zu ihm sein, ebenfalls gestehen, dass ich ihn sehr mag.

„Nur vielleicht?“, fragt er traurig.