Liebes Google, wie viele Selbstgespräche sind noch normal? - Oliver Stöwing - E-Book

Liebes Google, wie viele Selbstgespräche sind noch normal? E-Book

Oliver Stöwing

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Beschreibung

Wer bin ich? Warum sind andere glücklicher als ich? Wie soll ich das alles schaffen? Was wir in das Suchfeld bei Google eingeben, kann unsere Sehnsüchte und Ängste, unsere Begierden und Zweifel widerspiegeln. Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, an dem wir ganz wir selbst sind, dann ist es Google. Anstatt unsere engsten Freunde einzuweihen, fragen lieber die Suchmaschine. Der Journalist Oliver Stöwing hat die Algorithmen der Suchmaschine ausgewertet und die häufigsten intimen Fragen zu Glück, Liebe und Sex gesammelt. Doch die Antworten, die er online fand, waren derart verwirrend und widersprüchlich, dass er sich selbst auf Recherche begab, um die komplexen Fragen gewissenhaft zu beantworten. Mit Humor und viel Einfühlungsvermögen nimmt Stöwing alle Fragen und Probleme ernst und eröffnet uns, dass wir nicht alleine sind – als hätten wir doch einen guten Freund oder eine gute Freundin gefragt.

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Oliver Stöwing

LIEBES GOOGLE,WIE VIELE SELBSTGESPRÄCHE SIND NOCH NORMAL?

Oliver Stöwing

LIEBES GOOGLE,WIE VIELE SELBSTGESPRÄCHE SIND NOCH NORMAL?

Was wir nur das Internet zu fragen wagen – und die einzig wahren Antworten

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

Originalausgabe

1. Auflage 2021

© 2021 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Nadine Lipp

Umschlaggestaltung: Manuela Amode

Umschlagabbildungen: Shutterstock.com/Huza Studio

Satz: Carsten Klein, Torgau

Druck: CPI books GmbH, Leck

ISBN Print 978-3-7474-0244-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-96121-596-6

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-96121-597-3

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

INHALT

EINLEITUNG

GLÜCK

»Warum sind andere glücklicher als ich?«

»Warum sind andere erfolgreicher als ich?«

»Was kann ich gegen meinen Neid tun?«

»Warum ärgert man sich?«

»Wie kann ich meine Ängste überwinden?«

»Warum habe ich nie Zeit?«

»Wie soll ich das alles schaffen?«

»Macht Konsum glücklich?«

»Was tun gegen Langeweile?«

Die häufigsten Was-Fragen bei Google

PERSÖNLICHKEIT

»Wer bin ich?«

»Bin ich schön?«

»Warum bin ich so faul?«

»Wie viel Selbstgespräche sind normal?«

»Warum bin ich so gern allein?«

Die Klassiker unter den Wo-Fragen bei Google

ZWISCHENMENSCHLICHES

»Warum bin ich einsam?«

»Wie finde ich Freunde?«

»Wie beende ich eine Freundschaft?«

»Warum sind mir andere wichtiger als ich?«

»Wie lüge ich richtig?«

»Was verdienen meine Kollegen?«

»Warum hasse ich?«

»Wie gehe ich mit Trauer und Vermissen um?«

»Warum glauben Leute an Verschwörungstheorien?«

Die häufigsten »Wie reagiere ich«-Fragen

»Wie räche ich mich richtig?«

»Schulde ich meinen Eltern etwas?«

»Wie überrede ich jemanden?«

»Was kann ich tun gegen Lästern?«

So tickt Deutschland

PARTNERSCHAFT

»Was ist ein gutes Profilbild bei Tinder?«

»Was soll ich beim ersten Date sagen?«

»Warum meldet er sich nicht mehr?«

»Ist meine Beziehung toxisch?«

»Was ist ein Narzisst?«

»Warum gehen Frauen fremd?«

»Wie gehe ich fremd?«

»Woher weiß man, dass es Liebe ist?«

»Woran merke ich, ob ich meinen Partner noch liebe?«

»Was kann ich machen, dass er mich liebt?«

SEX

»Warum ist ein Leben ohne Sex ungesund?«

»Was bedeutet mein Sex-Traum?«

»Wie viele Sexpartner sind normal?«

»Wie bekämpfe ich Sexsucht?«

»Wie viel Selbstbefriedigung ist normal?«

»Was kann ich tun gegen Impotenz?«

»Bin ich asexuell?«

»Woran merke ich, dass ich bisexuell bin?«

»Warum begehre ich den Mann meiner Freundin?«

NACHWORT

ÜBER DEN AUTOR

EINLEITUNG

Jeder Tag hat seine Mühen. Und jede Nacht ihre Geheimnisse. Irgendwann in den Abendstunden legen wir unseren Panzer ab, in dem wir uns zuvor den Anforderungen und Erwartungen anderer gestellt haben. Das Kostüm, den Anzug, die Uniform, das erwachsene Gesicht, das wir uns morgens aufgesetzt haben, kurz nachdem uns der Wecker dem Wunderland der Träume entrissen hat. Jetzt also sind wir im Feierabend. Vielleicht haben wir nach der Arbeit noch ein paar Punkte der To-do-Liste abgearbeitet, haben Sport gemacht, waren einkaufen. Vielleicht haben wir uns noch mit Freunden getroffen oder telefoniert und dabei geradegerückt, was am Tag schiefgegangen ist.

Womöglich mussten wir vor jemandem etwas runterschlucken, der mehr Gehalt bekommt und daher zwangsläufig recht hat. Mit unseren Freunden haben wir uns anschließend über die Ungerechtigkeiten ausgetauscht, die uns widerfahren sind. Endlich hatten wir recht! Wozu hat man schließlich Verbündete. Dann, auf dem Sofa, klappen wir noch einmal den Laptop auf, der das Wohnzimmer in ein gespenstisch blaues Licht taucht. Oder wir greifen noch einmal zum Smartphone, aber wirklich zum allerletzten Mal heute. Wir beantworten noch ein paar Nachrichten, tätigen eine Überweisung, liebäugeln mit einem Paar Schuhe aus dem Onlineshop.

Nun ist auch die Zeit der kleinen Laster. Der Hochschuldozent liest bei »Promiflash« über das »Umstyling-Drama« in Heidi Klums Modelshow, obwohl er die Folge bereits im Fernsehen verfolgt hat. Anschließend informiert er sich noch über die Möglichkeit einer Penisverdickung. Die Krankenschwester amüsiert sich über die »Saxy Cat«, die Animation einer Saxofon spielenden Katze mit schwarzer Sonnenbrille. Der IT-Administrator tauscht sich in einem Forum darüber aus, welche geheimen Botschaften sich möglicherweise in den Kondensstreifen am Himmel verbergen. Die Controllerin sucht im Netz nach Neuigkeiten über ihren heimlichen Lieblingsschauspieler (der offizielle ist Anthony Hopkins), ein Actionheld, der häufig bei seinem Hobby, dem Wellenreiten, fotografiert wird. Heute aber stößt sie auf ein Interview, in dem er über seine Stiftung für den Kampf gegen Multiple Sklerose spricht, die er nach seiner verstorbenen Tante benannt hat – die Controllerin ist gerührt.

Und so irren wir immer weiter durch das unendliche Labyrinth des Internets und gleichzeitig durch das Labyrinth in unserer Brust. Im Netz holen wir uns die Informationen und den Beistand, nach denen wir noch vor wenigen Stunden unsere Freunde nicht zu fragen gewagt hätten. Wer ist eigentlich noch mal Joe Biden, über den heute alle geredet haben? Wäre bestimmt peinlich gewesen, unsere Ahnungslosigkeit preiszugeben. Ist diese Hautunebenheit an der Schulter etwa eine Warze? Was kann ich dagegen tun, dass mein Gesicht rot wird und meine Haare grau werden?

Was wir in das Suchfeld bei Google eingeben, ist die Essenz unseres derzeitigen Seelenlebens, unserer Sehnsüchte und Ängste, unserer Begierden und Zweifel. Wenn es einen Ort auf der Welt gibt, an dem wir ganz wir selbst sind, dann ist es Google, jene Suchmaschine, die am 15. September 1997 startete und seitdem die Leben der Menschen verändert hat wie wohl zuletzt die Erfindung des Rads. Unser Vertrauen in sie ist grenzenlos. Sicher, wir wissen, es handelt sich bei Google um ein machtstrebendes Unternehmen, das unsere Daten aus Profitgründen sammelt. Aber unsere Ausbeutung durch Google bleibt abstrakt. Viel mehr haben wir das Gefühl, dass Google uns viel gibt, ohne etwas dafür zu nehmen.

Und wenn uns dann erst die vertraute und reduziert gestaltete Startseite diskret begrüßt, mit diesen freundlichen, bunten Buchstaben, umgeben von unschuldigem Weiß, sind all die Mutmaßungen über Googles finstere Seiten in weite Ferne gerückt. Wir fühlen uns gänzlich unbeobachtet. Googeln ist ein wenig wie Nasebohren oder Masturbieren, beides übrigens Tätigkeiten, die oft währenddessen erledigt werden.

So wird die Suchmaschine zu unserer besten Freundin, die nie eine Gegenleistung verlangt. Sie erklärt uns die Welt, ist rund um die Uhr für uns da und hört uns immer zu. Sie hat auf alles eine Antwort. Auch auf das absurdeste Problem. Es ist eine Freundin mit Verständnis auch für die bizarrste Vorliebe, und seien es Bilder von Frauen, die in High Heels auf Stofftieren herumtrampeln. Auch zu ihren lasterhaftesten Archiven haben wir Zugang. Krätze, Mundgeruch, Penisse, die sich ihrer Pflicht verweigern, oder ein Exfreund, den man einfach nicht vergessen kann – Google ist nichts, aber auch gar nichts Menschliches fremd. Die Suchmaschine beurteilt uns nicht und wertet uns nicht ab, ganz egal, aus welchen schmutzigen Ecken unserer Seele wir unser Anliegen hervorholen, aus jenen Ecken, in die man mit dem Schrubber immer so schlecht hinkommt. Bei Google dürfen wir ganz wir selbst sein.

Google wollen wir nicht beeindrucken. Unsere Freunde schon. Zumindest wollen wir sie nicht verstören oder vor den Kopf stoßen. Und jeder enge Freund oder jede enge Freundin ist auch immer ein bisschen ein enger Feind. Vertrauen ist gut, Google ist besser. Vor unserem Partner oder unserer Partnerin, egal, wie eng wir zusammenleben und wie sehr wir ihn oder sie lieben, verstecken wir sowieso mehr als der Vatikan in seinen Kellerarchiven. Oder würden Sie Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin die Chronik der Webseiten zeigen, die Sie in der letzten Woche besucht haben?

Nicht einmal gegenüber unserer Ärztin oder unserem Therapeuten sind wir grenzenlos ehrlich. Wir wollen von ihnen gemocht werden oder sie manipulieren, damit sie uns noch einmal diese herrlichen Pillen verschreiben, mit denen wir so gelassen durch den Tag kommen. Vor allem zweifeln wir gerne an der Fähigkeit der Mediziner. Hatten wir das alles nicht ganz anders gelesen, bei, nun ja, Dr. Google?

Bliebe noch das Tagebuch. Es beantwortet zwar keine Fragen, aber dort zumindest dort geben wir uns unverfälscht. Oder? Vergessen Sie es. Jeder schreibt sein Tagebuch mit dem Gedanken daran, dass es eines Tages doch von anderen gelesen wird. Nein, nur bei Google sind wir ganz und gar wir selbst.

Bei Google also fragen wir das, was wir sonst niemanden zu fragen wagen. Schon wenn man seine Frage zu formulieren beginnt und Google sie wie ein Gedankenleser vervollständigt, fühlen wir uns angenommen. Uns wird klar: Andere haben die gleiche Frage schon vor uns gestellt. »Das höre ich nicht zum ersten Mal!«, flüstert Google uns beruhigend zu. Und: »Ich nehme dich ernst.«

Doch während man bei Google ziemlich schnell und verlässlich herausbekommen kann, was SUV bedeutet oder wie lange Bienen leben, sind die Antworten auf die vielen wirklich wichtigen Fragen des Lebens, also Fragen zu Liebe und Leid, Scham und Schuld, Tod und Traurigkeit, schwammig, widersprüchlich und irreführend. Denn Googles großer Vorteil ist auch sein größter Nachteil. Seine Stärke – die Unendlichkeit, die Schwarmintelligenz, seine Öffnung für jedermann – ist bei solchen Anliegen seine Schwäche. Antwortgeber sind oft Amateure, Scharlatane, windige Geschäftemacherinnen, Verschwörungsspinner, obskure Bloggerinnen und anonyme Alleswisser in Frage-Antwort-Foren. Es gibt keine klare Grenze zwischen privat und professionell, zwischen Information und kommerziellen Interessen. So werden uns Potenzpillen aus Indien angeboten oder ein Coaching mit einer Glücksdetektivin, das so teuer ist, dass man dafür eine Hypothek auf sein Haus aufnehmen müsste. Und so steht man am Ende meist so klug da wie zuvor – nur noch verwirrter.

Hier zeigt sich der Vorteil des guten, alten, oft totgesagten, aber erstaunlich zähen Buchs. Dieses hier soll sorgfältig recherchierte, ausgeruhte, wissenschaftlich fundierte, praktisch erprobte und präzise Antworten auf jene Fragen geben, bei denen Google versagt. Jedes Kapitel behandelt eine Frage, die so tatsächlich millionenfach gestellt wird. Um die Fragen herauszubekommen, habe ich Statistiken von Google und Algorithmen untersucht. Vielfach führte mich die sogenannte Autocomplete-Funktion auf die Spur dessen, was Deutschland bewegt. Dieses Buch fängt jedoch da an, wo das Internet aufhört – ich habe für Sie recherchiert, mich durch andere Bücher, durch Studien und Zeitschriftenartikel gewühlt und mit Fachleuten und Betroffenen gesprochen. Mein Ziel war es, Wahrheiten zu finden und Lebenshilfe anzubieten zu allen Themen, die uns laut Analyse unserer Google-Suchanfragen wirklich bewegen. Dieses Buch soll eine Reise durch unsere Seelen sein. An deren Ende werden Sie sich hoffentlich öffnen für mehr Wahrhaftigkeit, mehr Liebe, mehr Lust, mehr Begeisterung. Denn Google hat ja recht: Scham ist überflüssig. Und mit keinem Problem sind wir wirklich allein.

GLÜCK

»Warum sind andere glücklicher als ich?«

Ich könnte damit beginnen, dass man von anderen meist nur die Schokoladenseite mitbekommt. Wir sehen unsere Freundinnen und Bekannten immer dann, wenn sie sich für Treffen herausgeputzt haben. Oder wenn sie Bilder ihrer Reise ins Netz stellen. Von uns selbst aber kennen wir jeden Abgrund, jeden düsteren Seelenwinkel, jede Angst, Unsicherheit, Pleite, jedes Pech, jede Panne. Da können wir im Vergleich nur verlieren. Ein wirklicher Trost ist das wahrscheinlich nicht. Denn man will es ja haben, dieses verdammte Glück. Da kommen wir der Sache schon näher: Wahrscheinlich wären wir glücklicher, wenn wir aufhören würden, dem Glück hinterherzujagen. Wir sind wie der Esel, der durch die Möhre angetrieben wird, die an der Leine vor seinen Augen baumelt.

Glück ist flüchtig. Glück ist vage. Was fehlt uns denn zum Glück? Das ist gar nicht so einfach zu benennen. Wie wäre unser Leben, wenn wir glücklich wären? Was genau würde dieser Zustand bedeuten? Was wäre dann anders? Würden wir jauchzend über Blumenwiesen springen wie ein geistesgestörtes Lamm? Erkenne ich mein Glück überhaupt, wenn es da ist? Oft identifizieren wir es erst, wenn es verschwunden ist. Dann stellen wir im Rückblick fest, wie viel Glück wir doch einmal hatten. Wir fordern das Glück ein, weil wir glauben, wir hätten ein Recht darauf. Wir betrachten das Leben als einen Automaten. Ich stecke meine Anstrengungen hinein, Glück springt heraus. Doch so läuft das nicht. Wahrscheinlich sind wir nicht fürs Glück gemacht, schon gar nicht fürs dauerhafte Glück. Wir befinden uns evolutionär bedingt im Überlebensmodus. Das heißt, unser inneres Programm ist darauf ausgerichtet, Gefahren vorherzusehen, Schwierigkeiten abzuschätzen, uns Sorgen zu machen, ja, auch Angst zu haben – kurz: zu überleben.

Wenn man es schafft, diese ewigen Gedankenkarusselle herunterzufahren und sich klarmacht, dass Gefahr für Leib und Leben heutzutage nur noch selten droht, lebt es sich bereits eine Spur besser. Denn unbewusst wollen wir entweder angreifen oder flüchten. Diese nicht ausgeführten Impulse reproduzieren ständige Gedanken, die uns als Sorgen bestens vertraut sind. 99 Prozent dieser Sorgen sind unbegründet. Das meiste geht gut. Und wenn es nicht gut geht, ist es noch nicht das Ende.

Wir können nicht dauerhaft glücklich sein. Niemand kann das. Aber wir können Entscheidungen treffen. Wir beeinflussen unser Leben und damit unser Wohlbefinden zum Guten, wenn wir …

… einem so vagen Begriff wie »Glück« nicht mehr hinterherhecheln, uns stattdessen entspannen und den Moment so nehmen, wie er ist. Und so schlecht ist er nicht.

… uns konkrete Ziele setzen und große Ziele in kleinere Teilziele aufsplitten.

… uns etwas weniger bedroht fühlen.

… etwas weniger Angst haben.

… etwas öfter sagen: »Scheiß drauf.«

… uns öfter auf das Hier und Jetzt konzentrieren.

… öfter das Gegebene annehmen.

… unsere Umwelt betrachten, ohne sie zu bewerten oder auf sie einwirken zu wollen.

… überhaupt mehr wahrnehmen und weniger interpretieren.

… uns als Teil dieser Wirklichkeit akzeptieren.

… uns und unsere derzeitige Situation öfter von außen betrachten und damit neutralisieren.

… uns etwas weniger durch die »Ich muss der oder die Beste sein«-Brille betrachten.

… uns selbst und anderen verzeihen.

… weniger an uns und anderen herumnörgeln.

… öfter mit einem Kind spielen oder ein Tier streicheln oder mit einem alten Menschen reden.

… etwas anpflanzen.

… öfter in die Natur gehen und die Natur in uns spüren.

… öfter das Handy weglegen und öfter soziale Medien ignorieren.

… uns jeden Tag etwas schenken.

… anderen etwas schenken.

… etwas Gutes tun, ohne etwas dafür zu erwarten.

… uns unsere Umgebung behaglich gestalten und/oder uns mit Wohlgerüchen umgeben.

… ein unangenehmes Gespräch oder eine unangenehme Begegnung oder eine unglückselige Beziehung abkürzen.

… weniger mit vergifteter Zunge reden.

… uns bewegen.

… durchatmen.

… die Vergänglichkeit von allem akzeptieren.

… Musik hören.

… konzentriert lesen (nicht zu lesen wäre gleichzusetzen mit sich nicht die Hände zu waschen).

… alles tun, was wir sonst auch tun, nur jeweils etwas weniger: zwei Gläser Wein statt vier, ein Stück Kuchen statt zwei, ein paar neue Schuhe im halben Jahr statt alle zwei Monate.

… akzeptieren, dass das Leben voller Widersprüche ist und dass alles zwei Seiten hat.

… uns nicht nur von Selbstoptimierung und Selbstbeherrschung leiten lassen.

… gelegentlich komplett sinnlose, aber kreative Dinge tun, etwa nur für uns selbst singen, ein Gedicht oder einen Filmdialog auswendig lernen oder eine Kurzgeschichte schreiben, die wir niemandem zeigen. Machen Sie sich frei von dem manischen Streben nach Exzellenz. Bei allem, was nicht dem Lebensunterhalt dienen soll, dürfen Sie fröhlich dilettieren.

… hinnehmen, dass Veränderungen kleinteilig vonstattengehen und oft auch, zumindest am Anfang, mühselig sind.

… an Vorhaben, die uns wichtig sind, dranbleiben.

… etwas lernen, bis der berühmte Knoten platzt, in unserem Tempo, mit einem Ergebnis, das für uns einen großen Fortschritt bedeutet, egal, wie wir im Vergleich mit anderen abschneiden.

… aufhören, über verschüttete Milch zu jammern.

… es als bereichernd und nicht als Zumutung empfinden, Probleme zu lösen.

… akzeptieren, dass es ein Leben ohne Probleme noch nie gab und auch nie geben wird.

… akzeptieren, dass jedes Gefühl und jeder Gedanke sein darf. Ein Gefühl oder ein Gedanke sind zunächst einmal ein Gefühl oder ein Gedanke und weder gut noch schlecht. Ich darf auch ablehnen, neidisch oder unglücklich sein, mir bewusst machen, dass Gefühle, gute wie schlechte, sich auch wieder verflüchtigen, und zwar ausnahmslos.

… weniger klagen und uns bei Selbstmitleid, zumindest nach einer Weile, freundlich, aber bestimmt, selbst zur Raison bringen.

… unsere Grenzen kennen, akzeptieren und sogar lieben.

… uns unabhängiger vom Lob anderer und dadurch auch weniger angreifbar für Tadel machen.

… weniger spekulieren und in andere hineininterpretieren, sondern uns auf das beschränken, was wir tatsächlich wahrnehmen.

… akzeptieren, dass alles richtig und falsch zugleich ist und das Gegenteil unserer Überzeugung genauso seine Berechtigung hat.

… höflich und freundlich sind und zuhören.

… Ordnung halten, außen und innen.

… den Tag strukturieren und uns ein paar machbare Dinge vornehmen und die dann auch durchziehen.

… einfach anfangen. Der beste Zeitpunkt, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren, heißt es in einem chinesischen Sprichwort. Der zweitbeste ist jetzt.

… die Ruhe bewahren und einfach weitermachen.

… rechtzeitig einen Holzweg erkennen und abbrechen.

… aufhören, alles zu wollen und nicht immer sofort jedem Impuls nachgeben.

… uns einem Menschen öffnen.

… uns in einen Menschen einfühlen.

… bereit sind, aus Erfahrung für die Zukunft zu lernen.

… unseren Wirklichkeitssinn schulen und schärfen.

… auch mal etwas zur Seite legen und verdrängen, statt ewig darüber zu reden oder darüber nachzudenken.

… aufhören, anderen die Schuld zu geben und es sich als Opfer nicht bequem machen, selbst wenn wir tatsächlich Opfer geworden sind.

… aufhören, uns ungerecht behandelt zu fühlen – niemand schuldet uns etwas, nicht einmal eine gerechte Behandlung.

… aufhören zu glauben, das Leben schulde uns Glück. Das Leben schuldet uns gar nichts.

… aufhören, andere mithilfe von Schuldgefühlen gefügig zu machen.

… gelassen bleiben und möglichst nie im Affekt handeln.

… akzeptieren, dass ein Körper keine Maschine ist, die man reparieren kann und dass Gesundheit und Krankheit einander bedingen – sie sind ineinanderfließende, willkürlich gesetzte Begriffe. »Gesundheit ist das Maß an Krankheit, dass es noch erlaubt, seinen wesentlichen Beschäftigungen nachzugehen«, sagte der Philosoph Friedrich Nietzsche.

… den Tod als Teil des Ganzen akzeptieren, den eigenen und den der anderen, statt ihn als Affront zu betrachten.

… aufhören, aus einzelnen Ereignissen allgemeine Schlüsse zu ziehen.

… aufhören, in anderen das zu kritisieren, was wir an uns selbst nicht mögen.

… versuchen, möglichst wenig persönlich zu nehmen.

… uns möglichst viele Alternativen bereithalten und unser Leben so einrichten, dass wir eine Wahlmöglichkeit haben.

… nicht zu viel erwarten.

… uns schätzen und respektieren – es muss nicht gleich Liebe sein.

… unsere Gedanken nicht immer um unsere Befindlichkeiten kreisen lassen.

… aufhören zu glauben, wir könnten uns komplett neu erfinden – wir sind nicht zufällig so, wie wir sind, und wir sind nicht zufällig da, wo wir sind.

… begreifen, dass jegliche Mühen meist verblassen angesichts des Lohns.

… akzeptieren, dass Veränderungen neue Herausforderungen, aber auch neue Möglichkeiten mit sich bringen, auch diejenigen, die uns zunächst schmerzen – auch oder gerade ein Schicksalsschlag.

… erkennen, wo sich für uns eine Möglichkeit auftut und sie nutzen.

… uns nicht durch Nachrichten verrückt machen lassen und uns bewusst machen, dass Gewalt, Armut und Krankheit weltweit abnehmen, trotz vieler Rückschläge.

… aufhören, uns mit anderen zu vergleichen.

… so viel Vermögen anhäufen, dass wir eine Weile davon leben könnten.

… eine neue Erfahrung machen und mit einem Menschen sprechen, mit dem wir bisher noch nie gesprochen haben.

… ein Kompliment machen.

… einfach mal machen, vielleicht wird es ja gut.

… das, was wir tun, ernst nehmen, aber uns selbst nicht allzu sehr.

Wenn Sie all diese Entscheidungen treffen und auch danach leben, werden Sie wahrscheinlich zu einem Mönch, der durch sein Kloster schwebt. Ein Leben ist jedoch nicht einzig zum dauerhaften Glücklichsein geschaffen. Es ist oft belanglos, es ist voller Dinge, die erledigt werden müssen. Moment, ich bin gleich wieder da, die Geschirrspülmaschine piept. Es gibt zwangsläufig Krisen, Kämpfe, Herausforderungen und handfeste Probleme. Es werden uns herzzerreißende Schicksalsschläge ereilen, und wirklich niemand ist davor gefeit. Liebende trennen sich, weil einer immer mehr geliebt hat. Eltern werden sterben, aber auch Kinder und Hunde. So ist das. Das war schon immer so und wird immer so bleiben. Die Krise ist der Normalfall und lässt sich nicht wegoptimieren. Wenn einen zwischendurch, unerwartet, plötzlich das Glück erfasst, ist das ein kleines Wunder. Herrlich, wenn es sich einstellt, aber auch kein Drama, wenn es das nicht tut. Es wird ohnehin nicht bleiben und das muss es auch gar nicht.

Ich beispielsweise liebe Südfrankreich, was nicht besonders originell ist, denn viele Menschen aus aller Welt lieben diese Region. Trotzdem sprudele ich nicht durchgehend vor Glück wie eine frisch entkorkte Flasche Moët & Chandon, wenn ich dort bin. Ich gehöre zu den privilegierten Menschen, die in diese gesegnete Gegend reisen können, doch dieses Wissen macht es nicht leichter, denn ich fühle mich manchmal undankbar, weil ich im Urlaub nicht immer euphorisch bin. Wenn ich französische Großfamilien sehe, die sich an weiß gedeckten Tischen Weißwein einschenken, freut mich der Anblick und er stimmt mich zugleich auch melancholisch. Angesichts der Schönheit und Lebensfreude spüre ich manchmal einen Widerspruch zu meinem eher kargen inneren Erleben. Aber ich kann mich nicht dazu zwingen, glücklicher zu sein. Ich war nie der Typ, der bei seinen Reisen auf den Hochzeiten der Einheimischen mittanzt. Das ist okay. Inzwischen nehme ich hin, dass ich auch im Urlaub – oder gerade im Urlaub – zur Melancholie neige. Melancholie ist doch mindestens genauso intensiv wie Glück und ich kann sie ja als Tiefe verkaufen. Ich sehe die Brüchigkeit hinter der Fassade, die Nacht hinter der Sonne, die Vergänglichkeit hinter der Schönheit. Ich habe nun mal eine norddeutsche Seele.

Dafür habe ich herausgefunden, dass es mich glücklich macht, etwas zu lernen. In der Schule habe ich es noch gehasst, ich habe es mit Zwang und Druck verbunden. Ich habe erst mit 44 Jahren angefangen, Französischkurse zu belegen. Talent habe ich nicht, besonderen Fleiß auch nicht, aber eine gewisse Beharrlichkeit. Als ich mein erstes Gespräch auf Französisch führte und mein Gesprächspartner nicht ins Englisch wechselte, machte mich das glücklich. Zumindest für einen flüchtigen Moment.

»Warum sind andere erfolgreicher als ich?«

Der Legende nach trafen sich im Jahr 1709 im Palast des Kardinals Pietro Ottobini in Rom zwei Genies zu einem Wettstreit: Der in Halle geborene Komponist Georg Friedrich Händel und der Italiener Domenico Scarlatti wollte herausfinden, wer sein Tasteninstrument virtuoser beherrschte. Die Partie endete unentschieden: Händel siegte auf der Orgel, Scarlatti auf dem Cembalo. Trotz ihrer Rivalität sollen sich die beiden Musiker angefreundet und stets in Hochachtung voneinander gesprochen haben; Scarlatti habe sich sogar jedes Mal bekreuzigt, wenn Händels Name fiel, heißt es. Es gingen also beide als Sieger – und als Freunde – aus dem Wettbewerb heraus. Denn jeder war auf seinem Gebiet unübertroffen.

Wir werden von Kind auf darauf getrimmt, besser zu sein als der andere und ihn zu schlagen. Doch das Leben ist kein Tennis-Match, es können bei jedem Spiel auch beide Seiten gewinnen – oder eben auch verlieren. Was wir durch Zusammenarbeit schaffen können, ist größer als jedes Triumphgefühl, das wir dadurch erleben, dass wir jemanden vom Feld fegen.

Die Europäische Union etwa hat unbestritten viele Schwierigkeiten. Doch ebenso unbestritten ist, dass die Europäer in den letzten Jahrzehnten besser lebten als während der Weltkriege zuvor, als sie sich gegenseitig die Schädel einschlugen.

»Never compare, never compete« sagen die Briten: Vergleichen Sie sich nicht, konkurrieren Sie nicht. Das klappt natürlich nicht. Es wäre so, als wenn jemand sagte: Hören Sie auf zu atmen. Der Vergleich verrät uns, was in unserem sozialen Umfeld möglich ist, was erwünscht ist und was nicht. Ein Vergleich mit Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind wie wir, zeigt uns Möglichkeiten auf. Er liefert uns wichtige Informationen über die Welt, in der wir leben. Holen Sie sich diese Informationen. Aber machen Sie sich bewusst, dass Ihre Situation dennoch immer einzigartig ist und ein Vergleich nur bedingt Aussagen treffen kann, egal, wie Sie dabei abschneiden. Lernen Sie durch den Vergleich Ihre Werte besser kennen: Filtern Sie heraus, was wirklich wichtig für Sie ist – und was Sie gar nicht wollen.

Nur weil ein Verhalten – in dem Fall der Vergleich – einen Sinn hat, heißt es aber nicht, dass es in jeder Situation angebracht ist. Die Dosis macht das Gift. Es ist schlicht zermürbend, sich immer mit anderen zu vergleichen, weil es immer jemand Besseren geben wird. Sich mit anderen zu vergleichen und sich danach auszurichten, raubt Ihnen Energie, die Sie besser dafür verwenden können, Ihr persönliches Ziel zu erreichen. Schauen Sie lieber nach vorne als nach links oder rechts. Sonst ist die Gefahr groß, dass wir am Ende gar nicht mehr wissen, was wir überhaupt an unserem Ziel wollten. Wenn der Gegner erst einmal geschlagen ist, stehen wir dann plötzlich erschöpft und allein auf unserem Siegerpodest. Und das Schlimmste: Der Killerinstinkt verdirbt uns unsere Leidenschaft. Hätte Händel nur Orgel gespielt, um darin besser zu sein als Scarlatti, hätte er vielleicht die Begeisterung an seiner Musik verloren. Oft genießen wir unseren grimmigen Triumph dann nicht einmal, denn irgendwo wird es jemanden geben, der noch virtuoser ist.

Akzeptieren Sie lieber, dass jeder unter seinen eigenen Voraussetzungen kämpft. Jeder Mensch ist anders, hat andere Begabungen und ist auf seine Weise einzigartig. Es ist sinnvoller, wenn wir unsere Ziele danach aussuchen, was wir selbst wollen und nicht danach, was andere erreicht haben. Wenn wir uns dessen bewusst sind, können wir auf andere blicken, die schon dort sind, wohin wir gerne gehen wollen, und von ihnen lernen.

Eine weitere Schwierigkeit unserer individualisierten Epoche: Uns wird vermittelt, wir wären komplett selbst verantwortlich für das Gelingen unseres Lebenslaufs. Und das sind wir ja auch zum großen Teil. Wir können einen verpackungsfreien Lebensmittelmarkt aufmachen, in einer Faultierfarm in Costa Rica arbeiten, uns als Drehbuchautorin versuchen oder uns zum Alpakatherapeuten ausbilden lassen. Auf dem Weg zum Erfolg stehen uns unendlich viele Ausbildungswege, Apps, Bücher, Seminare, neuartige oder altbewährte Methoden, Ratgeber, Coaches und Trainings zur Auswahl. Es ist diese Unübersichtlichkeit, die uns schier überfordert. Die große Freiheit schafft eine neue Knechtschaft: Wir sind besessen davon, uns zu optimieren, um reicher, selbstbewusster, erfolgreicher, beliebter, schlagfertiger, besser gekleidet und ernährt, besser geformt, glatter, gesünder und gebildeter zu sein.

Ein ganzer Markt lebt davon, uns täglich darauf aufmerksam zu machen, dass wir Mängelwesen sind. Die Botschaften, die auf uns hereinprasseln, sind die: Wir essen zu viel Fett oder Zucker, trinken zu viel Wein, bewegen uns zu wenig, legen unser Geld nicht an, investieren nicht genug in unsere Zukunft, verpassen kulturelle Highlights, klettern zu wenig auf irgendetwas hinauf, haben zu wenig Sex.

Dabei neigen wir zu Selbstüberschätzung und zu einem verzerrten Denken: Sicherlich können wir unser Glück beeinflussen, aber es gibt auch viele Faktoren, die nicht in unserer Macht stehen. Wenn wir dem Irrtum erliegen, wir müssten uns nur ein bisschen mehr Mühe geben, um im Paradies zu leben, leiden wir unter der Last unserer Schuldgefühle und fühlen uns wie Versager.

Wer ständig das Leben seiner Mitmenschen mit dem eigenen Dasein abgleicht, läuft Gefahr, eine Angststörung, eine Depression oder eine Suchterkrankung zu bekommen. Weil es unendliche Wahlmöglichkeiten gibt und große Freiheiten, unterliegen wir einer Kontrollillusion: Der Einfluss von nicht kontrollierbaren Faktoren wird dabei unterschätzt. Diese sind: unsere Veranlagung, die Art, wie wir aufgewachsen sind, der Zufall, Glück und Pech.

Der Zwang, uns selbst zu optimieren, soll uns wappnen gegen eine Welt, die uns überfordert und die nur schlecht planbar ist. Denn eigentlich ist es wie bei dem Spiel Reise nach Jerusalem. Alle Teilnehmer tanzen um eine Stuhlreihe und müssen sich einen Platz suchen, sobald die Musik stoppt. In jeder Runde gibt es jedoch einen Stuhl weniger als Teilnehmer – und wer sich, wenn die Musik aufhört, mit dem Hintern zu weit entfernt von der nächsten Sitzfläche befindet, fliegt raus. Man ist manchmal einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.

Die durchdigitalisierte Welt ermöglicht es, dass wir uns im großen Stil mit anderen vergleichen können, etwa über Facebook oder Instagram. Andauernde Vergleiche aber lähmen uns und greifen unser Selbstwertgefühl an. Chefs fachen zudem häufig die Konkurrenz zwischen Mitarbeitern an. Sie erhoffen sich dadurch bessere Leistungen. Ein gewünschter Nebeneffekt ist, dass die Mitarbeiter dadurch nicht zu stark werden, weil sie keine Bündnisse miteinander schmieden. Vielmehr werden sie zu den berühmten Krabben im Korb, die sich gegenseitig angreifen, statt sich zu helfen, in die Freiheit zu entkommen. Am Ende gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer, und die landen ausnahmslos in der Pfanne.

Ein Arbeitsklima, das von Konkurrenz durchsetzt ist, zermürbt. Es nährt Konflikte, die Energie und Zeit rauben. Energie und Zeit, die besser in das gemeinsame Ziel des Teams investiert wären.

Es kann jedoch auch motivierend sein, sich mit anderen zu vergleichen. Das beschreibt die New York Times-Journalistin Lindsay Crouse in ihrer Kolumne vom 27. Februar 2020. Über soziale Medien fand sie heraus, dass ihr Exfreund, eine College-Liebe und inzwischen Unternehmer, eine neue Freundin hat. Und deren Name ist: Lady Gaga. Zunächst war Crouse verwirrt und überrascht, dann aber sagte sie sich: »Lady Gaga ist einfach großartig! Sich mit ihr zu vergleichen, kann sehr motivierend sein.« Sie schritt sogleich zur Tat: Sie musterte ein Abendkleid, das sie bereits 27-mal getragen hatte, umgehend aus. Sie dachte daran, dass Lady Gaga niemals das Gleiche trägt. Also ging sie in einen erlesenen Laden, den sie bislang nur von außen gesehen hatte, und gönnte sich für eine Feier ein unvernünftig teures neues Kleid – und ein professionelles Make-up beim Stylisten gleich dazu. Anschließend holte sie sich einen Kaffee, den größten, den es gab. Sie leitete eine E-Mail, in der sie für einen Artikel gelobt wurde, an ihren Chef weiter. Und sie riss eine Präsentation an sich, die sie früher nervös gemacht hätte. »Der Punkt ist: Lady Gaga lebt das ehrgeizige Leben, von dem uns Frauen immer gesagt wird, wir sollten es uns zutrauen«, schreibt Crouse. Die Popsängerin höre eben nicht auf, sich zu fordern, Neues auszuprobieren und zu strahlen. Das wolle sie sich zum Vorbild nehmen – innerhalb ihres eigenen Rahmens.

Ich habe einmal vor vielen Jahren einen Mann kennengelernt, der als Model arbeitete. Sein Lebensstil, der sich jeder Regelmäßigkeit verweigerte und die Tatsache, dass er auf der ganzen Welt zu Hause zu war, beeindruckten mich damals immens. Ich schämte mich, als er gerade aus Paris einflog und ich gestehen musste, im Alter von 29 Jahren noch nie dort gewesen zu sein. Doch meine Bewunderung für ihn, ja manchmal auch mein Neid auf ihn, führten dazu, dass ich mich verstärkt in der Welt umzusehen begann. Ich schloss Freundschaften mit Menschen in anderen Ländern, einige wenige von ihnen bestehen bis heute. Ich flog endlich nach Paris und stellte nicht nur fest, dass dies eine wunderbare Stadt ist, sondern auch, dass eine solche Reise ein überschaubarer finanzieller und organisatorischer Kraftakt ist.