Sag es einfach - Oliver Stöwing - E-Book

Sag es einfach E-Book

Oliver Stöwing

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Beschreibung

Oliver Stöwing kennt alle Tricks der Sprache. In »Ausgesprochen gut« zeigt er, wie man mit einer Hand voll cleverer Kniffe seine Wirkung verbessern kann. Denn oft liegt es an der Wortwahl, dass wir auf andere nicht so wirken, wie wir es möchten. Wenn es mit der Gehaltserhöhung schon wieder nicht geklappt hat, lag es vielleicht daran, dass wir »Ich würde gerne« statt »Ich will« gesagt haben. Der Kommunikationspsychologe Oliver Stöwing hilft, die Sprache bewusst wahrzunehmen und achtsam mit ihr umzugehen. Er zeigt an 66 Tricks, wie Sie Schlüsselworte erkennen, Sprachfallen vermeiden und lernen, wirkungsvoll zu formulieren.

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Oliver Stöwing

Sag es einfach

66 Sprachtricks, die Ihr Leben verändern

Knaur e-books

Über dieses Buch

Oliver Stöwing zeigt in »Sag es einfach«, wie jeder mit cleveren Kniffen seine Ausstrahlung, sein Selbstbewusstsein und seine Wirkung verbessern kann. Denn oft liegt es an der Wortwahl, dass wir auf andere nicht so wirken, wie wir es möchten. Wenn es mit der Gehaltserhöhung schon wieder nicht geklappt hat, lag es vielleicht daran, dass wir »Ich würde gerne« statt »Ich will« gesagt haben.

Inhaltsübersicht

WidmungEinleitungMuss ja!Nichts ist, wie es istIch bin nicht zickig. Ich bin emotionsflexibelIch habe keinen Plan!»Versprechen« ist ein überaus gefährliches Wort»Schwören«»Hoffen«»Versuchen«Keinen Stress, okay?Da arbeiten wir aber noch mal dranChill-out-ZoneWas tun, wenn das Gespräch kippt?WohlfühlworteMentales TrainingHast du nicht was vergessen?»Was haben Sie da wieder alles vertilgt?«Bist du »aktiv« oder »passiv«?Immer lässt du mich nie ausredenDas wird man ja wohl noch sagen dürfen!Man ist ich.Man ist ein anderer.Man sind alle.Aber-kadabraDu kannst mich mal!Noch ist nicht alles gesagt!Jetzt mal ehrlich!Nicht wahr?Ihr wisst ja, dass ihr nichts wisstHalten Sie doch einfach mal den Mund!Das macht doch alles keinen Sinn!Der PhrasenmäherÜbung:Noch mehr Phrasen auf dem PrüfstandMal schauen.Das soll mir erst einmal einer nachmachen.Er/Sie hat alles richtig gemacht.Kommt drauf an.Da bin ich ganz bei dir.Wie gesagtAls ob ich es geahnt hätte./Ich habe es ja kommen sehen.Was macht das mit dir?Ein Stück weit …WertschätzenDer meint das nicht so.Aus Gründen …Ich begegne ihm auf Augenhöhe.Wie geil ist das denn?Das ist ja total Old School!Ich bin fein damit.Hilfe, die 90er wollen ihre Sprüche zurück!Klug geschissen!Die allgemeine Phrasenmaschine läuft anGeht gar nicht.Du hast es ja so gewollt.Hab ich dir gleich gesagt.Ich wollte es nur gesagt haben.Ach ja, und wo wir gerade dabei sind …Darüber lässt sich streiten.Hab grad was zu dem Thema gelesen.Musst du im Original gucken!Die frühen Sachen waren gut.Wenn ich da mal kurz einhaken darf …Nee, lass mal …Warum hast du nicht bei der Konkurenz geguckt, da gibt’s das meist noch billiger.Suchst du was Bestimmtes?Bisschen schwierig.Phrasenschweinerei bei der ArbeitWir müssen den Kunden abholen.Er macht einen guten Job.Das zieht mich (nicht) rein.Vielleicht sind wir schon betriebsblind.Da bin ich leidenschaftslos.Da sind wir gut aufgestellt.Ooookay!?Wir müssen sehen, dass wir uns das Controlling mit ins Boot holen.Da müssen Sie jetzt aber Gas geben.Wir sind auf einem guten Weg.Das haben wir auf dem Schirm.AbsolutDas finde ich spannend/sexy.Jetzt müssen wir die Kuh vom Eis holen.Da habe ich ein Zeitfenster./Bitte zeitnah erledigen?Nennen Sie mal eine Hausnummer.Wir müssen uns neu erfinden.Wer hat hier den Hut auf?Das ist doch alles kein Hexenwerk.Leg dich wieder hin.Fragen? Fragen!Danke für das angenehme Gespräch.Da ist noch Luft nach oben.Das wird sportlich.So, das hab ich jetzt eingetütet.Guter Hinweis!Wir fahren auf Sicht.Ich freue mich auf Sie!Lassen Sie uns dann noch mal zusammentelefonieren.Ich schick das jetzt mal kommentarlos.Ups, jetzt auch mit Anhang.Lassen Sie uns da noch mal drauf rumdenken.Wie man so schön auf Neudeutsch sagtDas nur mal für den Hinterkopf.Das Budget ist auf Kante genäht.Das ist eine Operation am offenen Herzen.Stand: Jetzt.Phrasen im RemixIch liebe dich, du kleines ArschlochWie können Sie solche inneren Konflikte lösen?Die undichte SeeleAlternativen zum Ich-SatzSagen Sie, was Sie wollenWie Sie aufhören, sich selbst zu verkleinernDas Unbewusste glaubt, was es hörtPrivat bin ich ganz anders!Gute Fragen, schlechte FragenGeschlossene FragenOffene FragenAlternativfragenSuggestivfragenRhetorische FragenGeneration Warum»Weshalb« statt »warum«»Wozu« statt »warum«»Was« oder »wie« statt »warum«»Inwiefern« statt »warum«»Worüber« statt »warum«Ich-Aussage statt unterstellender »Warum«-FrageWie Sie »Weil«-Antworten variierenWie Sie Schlussfolgerungen überprüfenOb-FragenWie Sie aktiv zuhörenWie Sie Danksagen gezielt einsetzenUnsere Sprache ist das Ergebnis unserer GefühleRaus aus dem Schatten, rein ins LichtWelche Rückkopplungseffekte Sprache auf Ihre Motivation hatWie Sie Ihre Motivation erforschenWie Sie Ihre Ziele formulierenTraining: So stärken Sie Ihr SelbstvertrauenFakten über SpracheWie wichtig ist Körpersprache?Haste Worte?Vorsicht mit den SuuuuuperlativenWie Sie Schlüsselwörter erkennen und nutzenÜbung: Finden Sie Ihre SchlüsselwörterWie Sie Zeiten sinnvoll einsetzenSparen Sie sich die WorteFüllwörterSprach-Training:Fassen Sie sich kurzDas ist ja voll einfachWählen Sie das einfachere WortSparen Sie sich die Leier mit dem »leider«Finden Sie Ihr MantraDie Macht der MetaphernWie Sie die Sinnlichkeit von Sprache nutzenWie Sie die passenden Wörter für Ihre Gefühle findenMentales TrainingIch denke mich schlankAlte GlaubenssätzeNeue GlaubenssätzeDie MotivationDas ZielDie äußeren SaboteureMentales Training Nr. 1Mentales Training Nr. 2Mentales Training Nr. 3Die inneren SaboteureMentales Training Nr. 4Nachsatz
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»Das Wort gehört halb dem, der es spricht, und halb dem, der es hört.«

Michel de Montaigne, französischer Philosoph (1533–1592)

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Einleitung

Worte können zaubern und zerstören. Sie können heiligsprechen und verfluchen. Worte besiegeln die Liebe und schüren den Hass. Sie versöhnen und zetteln Kriege an. Worte können klären und ins Chaos stürzen. Worte bewegen die Welt, in jede Richtung. Sie können Wahrheit oder Lüge sein, retten oder verderben. Sie führen zu Weisheit und locken in die Klauen von Menschenfängern.

Jeder Satz, der sich aus dem diffusen Ur-Ozean Ihrer Träume und Gefühle formt, ist ein Akt der Schöpfung. Ganz gleich, ob Sie den Satz jemals aussprechen, ganz gleich, ob aus ihm jemals eine Tat folgt. »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.« So beginnt das Johannesevangelium. Worte sind die Brücke zwischen Vision und Wirklichkeit. Aus Worten wird eine Idee, eine Innovation, ein Stück Geschichte. »Unsere Gefühle brauchen einen Ausdruck, oder sie bleiben Wolken, die zwar Regen abgießen, aber niemals Früchte oder Blumen bringen.«, sagte der amerikanische Geistliche Henry Ward Beecher, der für die Abschaffung der Sklaverei kämpfte. Worte verleihen dem Geist Flügel. Noch in unserem jüngsten Gedanken liegt das Erbe unserer Ahnen. Generationen von Menschen vor uns haben unsere Sprache geformt: In ihr schlägt sich all das nieder, von dem sie meinten, dass es voneinander unterschieden werden sollte.

»Ein Mensch kann für ein einziges Wort als weise betrachtet werden und für ein einziges Wort als närrisch«, ist vom chinesischen Philosophen Konfuzius überliefert. »Wir sollten vorsichtig mit dem sein, was wir sagen.«

Ich bin kein Sprachtherapeut, kein Rhetoriker und kein Coach. Ich sage Ihnen nicht, wie Sie sprechen sollen. Ich verspreche Ihnen nicht, dass Sie reicher, berühmter und glücklicher werden, wenn Sie erst die richtigen Worte einsetzen. Aber ich bin davon überzeugt: Die Art, wie wir unsere Gedanken und unsere Sprache formen, kann unser Leben verändern. Diese Kraft hat die Sprache, weil sie jeder Tat vorausgeht. Am Anfang, um noch einmal auf die Bibel zurückzukommen, war das Wort.

Als Journalist bin ich selbst ein Suchender. Ich wollte Fragen stellen und nach Antworten recherchieren. Also suchte ich einen Kommunikationstrainer auf. Was ich mit ihm entdeckte, entsprach nicht meinem Wunschbild von mir. Ein bisschen hatte ich schon geahnt, was er mir sagen würde. Ich neige zur Rückwärts-Sprache. Sehr präzise kann ich formulieren, was ich nicht will. Schwierigkeiten habe ich damit, das zu sagen, was ich will. Außerdem spreche ich oft distanziert über mich, wie über eine fremde Person, die mich nur am Rande etwas angeht. Durch Selbstironie versuche ich mich unangreifbar zu machen – ich habe die Tendenz zum »Self-Bashing«, wie mein Coach es ausdrückte. Vielleicht, um anderen damit zuvorzukommen. Ich habe festgestellt, dass ich fröhlich mit Phrasen um mich schmeiße und das in Ordnung ist. Darauf zu achten, immer originell zu sein, würde mich nur unnötig befangen machen.

Vor allem wollte ich wissen: Wenn Worte so machtvoll sind – wie wäre es, an ein paar Schrauben der Gedanken- und Alltagssprache zu drehen? Wie könnte ich damit mein Wohlbefinden steigern und meine Beziehungen zu meinen Mitmenschen sowie die Beziehung zu mir selbst verbessern? Wenn ein Wort aus einem Gefühl entsteht, wie kann umgekehrt das Wort ein Gefühl beeinflussen?

Die gesprochene Sprache lässt große Freiheiten zu, innerhalb gewisser grammatischer Grenzen. Aber auch die Grammatik wird zunehmend tolerant ausgelegt. Ich will Sie also nicht dazu anhalten, druckreif zu sprechen. Ich spreche selber selten so. Ich bin der Meinung, dass alles erlaubt ist: stammeln, Sätze abbrechen, schnell sprechen. Auch die abgedroschenste Floskel hat ihre Berechtigung, sonst würde es sie nicht geben. Ihre Sprache gehört Ihnen, sie ist Ausdruck Ihrer Person. Beim Sprechen gibt es kein »richtig« oder »falsch«. Es gibt auch kein »schlecht« oder »gut«, wohl aber eine Wirkung, welche die Sprache auf den Empfänger ausübt. Sprache wird von uns Sprechern gemacht, nicht von Sprach-Päpsten oder Sprach-Bewahrern, nicht von Coaches oder Buchautoren, Linguisten oder Lehrern. Gesagt zu bekommen, was man vermeintlich alles falsch macht, ist zermürbend. Seine Sprache zu sezieren und zu reglementieren kann verunsichern und hemmen. Gerade die gesprochene Sprache lebt von Unbefangenheit und Spontaneität. Und die Gedanken sind sowieso frei.

Gleichzeitig ist Sprache zu kraftvoll, um nur so zu reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Mit diesem Buch möchte ich Ihre Wahrnehmung schärfen und ein Bewusstsein für Ihre Sprachmuster schaffen. Was Sie damit machen, entscheiden Sie. Bestenfalls erweitern Sie durchs Lesen Ihr Repertoire und entdecken die vielen Möglichkeiten der Sprache. Nichts davon ist dogmatisch. Es gibt keine Regeln. Viel eher als jede Sprachgewohnheit sollte man jede Regel hinterfragen und prüfen, ob es sich lohnt, sie zu brechen.

Ich werde Ihnen darum Tipps geben, wie Sie die Kraft der Sprache nutzen können. Die Tipps sind nie absolut gemeint. Wenn sie in der einen Situation auch hilfreich sind, kann es dennoch sein, dass sie in einer anderen nicht angebracht sind. Die Tipps zielen vor allem auf die Sprache unserer Gedanken, also die Art und Weise, wie wir mit uns selbst reden. Denn oft sprechen wir in inneren Monologen, und manchmal sprechen wir in einer despektierlichen Weise, in der wir mit anderen kaum sprechen würden.

Schon innerhalb des Buches werden Sie Widersprüche entdecken. Denn so ist unsere Sprache: widersprüchlich, komplex, fließend. Sie ist keine Mathematik. Picken Sie sich heraus, was Ihnen plausibel erscheint. Probieren Sie das eine oder andere aus und schauen Sie, ob es etwas bewirkt. Was nicht funktioniert, lassen Sie wieder. Bei allen Ihren Experimenten kann ich Ihnen eines versprechen: Ihre Sprache – und die der anderen – zu entdecken bedeutet eine aufregende Reise, bei der Sie Erstaunliches über sich und andere herausfinden können. Nehmen Sie mich beim Wort.

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Muss ja!

Wie Ihnen Sprache zu mehr Freiheit verhilft

Juliane wurde bedroht, plötzlich, unvermittelt, an diesem friedlichen Nachmittag, an dem sie doch nur routiniert ihre Aufgaben als freie Mitarbeiterin in einer Onlineredaktion erledigen wollte. Sie wurde bedroht von einer Karriere! Sie, die Karriere, kam auf sie, auf Juliane, wollte sie vereinnahmen, ach was, verschlingen! Als ihr Chef sie zum Gespräch bat, blieb Juliane ganz ruhig. Sie ahnte ja, was kommen würde: »Liebe Juliane, wir schätzen dich und deine Arbeit, aber wir müssen uns gesundschrumpfen, und, nun ja, Marlis hat zwei Kinder, Jonas wartet schon seit sechs Jahren auf eine Festanstellung, also hatte ich da keinen Spielraum. Es ist ein Jammer, es fällt niemandem schwerer als mir …«, nahm sie das Gespräch innerlich vorweg. Sie würde würdevoll die Augen niederschlagen und die Kündigung annehmen, ohne Verbitterung. Doch es kam anders: Ihr Chef bot ihr eine Festanstellung an – als seine Stellvertreterin.

Dabei war doch alles so gut gelaufen für sie! Sie hatte bisher etwa 15 Tage im Monat für das Online-Magazin gearbeitet, schrieb manchmal eine Reportage für eine Zeitschrift und manchmal auch nicht. Sie hatte genug Zeit, Kaffee zu trinken, das Kursprogramm ihres Fitnessstudios zu studieren (man muss ja nicht gleich hingehen) und Reisen zu planen. Und jetzt das!

»Und?«, fragte ich. »Wann wirst du anfangen?«

Sie riss die Augen auf. »Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt anfange.«

»Warum das denn nicht?«, fragte ich.

Julianes Antwort: »Ich kann das doch gar nicht.«

Was natürlich Stuss war. Sie arbeitete seit vier Jahren für das Magazin, sie wusste, wie der Laden tickte. Sie konnte. Sie wollte nicht. Oder besser: Ein Teil von ihr wollte nicht. Der ängstliche, unsichere Teil, ein hartnäckiges Überbleibsel des schüchternen, ungelenken Mädchens, das sie einst war. Ihre Unter-Persönlichkeit wollte die Stelle nicht, weil sie zu scheitern fürchtete. Weil sie sich ihr Leben als Freie bequem eingerichtet hatte. Weil die neue Position Anstrengung und Ungewissheit bedeutete. Um sich durchzusetzen innerhalb der Gesamtperson Juliane, flüsterte dieser Teil ihr zu: »Du kannst das nicht.« Und Juliane schien es gern zu glauben.

Modalverben zeigen einen Wunsch, eine Notwendigkeit oder eine Möglichkeit an. »Müssen« und »sollen« sowie verneinte Modalverben wie »nicht können« und »nicht dürfen« haben einen stark einschränkenden Charakter. Sie stellen eine Regel auf, die irgendwann in der Vergangenheit entstanden ist und deren Gültigkeit für die Gegenwart oder die Zukunft wir nicht mehr überprüfen.

Aber was genau glaubt Juliane nicht zu können? Welche Fähigkeit, welches Wissen fehlt ihr? Und: Gibt es eine Möglichkeit, das fehlende Wissen zu erlangen? Wenn sie ihre »Ich kann das nicht«-Regel hinterfragt, wird Juliane schnell feststellen, dass der angebotene Job keine Frage des Könnens ist. Sie – oder ein Teil von ihr – will nicht.

1. Tipp

Wenn Sie ein »Ich kann das nicht« ersetzen durch ein »Ich will das nicht« oder ein »Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich das will«, verlieren Sie an Angst und gewinnen an Klarheit.

So können Sie die Gründe hinterfragen, warum Sie etwas nicht wollen. Die Bedenkenträger in Ihnen verdienen es, gehört zu werden. Die skeptischen Stimmen dürfen sich dabei nicht ohne innere Diskussion durchsetzen, indem sie Ihnen vorgaukeln, Sie seien zu dumm, zu untalentiert oder schlicht ungeeignet. Das würde Ihre Gesamtpersönlichkeit schwächen. Die Bedenkenträger spielen sich oft als Wahrsager auf. Sie können vielleicht mit über 30 kein Trapezkünstler mehr werden oder keine Opernsängerin. Aber wer sagt, dass ich nicht zum Skifahren geeignet bin, nur weil ich bei einem ersten Versuch die Anmut eines ins Gebüsch machenden Obdachlosen bewiesen hatte und jämmerlich gestürzt war? Dieser Versuch liegt vielleicht schon so lange zurück, es war Ende der 90er!

2. Tipp

Achten Sie auf Formulierungen wie »Ich kann nicht seitwärts einparken«, »Ich kann nicht abschalten«, »Ich kann nicht nein sagen«. Ersetzen Sie dann ein »Ich kann das nicht« durch ein »Ich kann das noch nicht«.

Stellen Sie sich folgende Fragen:

Was wäre, wenn ich es täte?

Wovor habe ich Angst?

Was wäre, wenn ich es könnte? Was würde das ändern, im Positiven wie im Negativen?

Was kann ich dafür tun, um es zu können?

Welches Wissen kann ich einholen und welche Fertigkeiten gewinnen, welche Bedingungen schaffen, um eben doch abzuschalten, seitwärts einzuparken, etwas abzulehnen?

Apropos Obdachloser. »Gibt es eine Pflicht zu teilen?«, fragte Leserin Mia T. aus Münster in der Neon, nachdem ein Bettler sie in der U-Bahn um etwas zu essen bat. »Ich hatte einen Kaffee und eine Croissanttüte dabei«, schrieb sie. »Hätte ich ihm etwas davon abgeben müssen?«

Neon-Praktikantin Sophia Schirmer antwortete daraufhin: »Ich finde das Wort ›müssen‹ in deiner Frage falsch. Denn du solltest einem Menschen dann helfen, wenn du es ehrlich meinst. Das ›müssen‹ deutet aber darauf hin, dass es dir eher darauf ankommt, gesellschaftliche Erwartungen zu erfüllen.«

Die Frage, die Leserin Mia sich stattdessen stellen könnte:

Will ich dem Obdachlosen helfen? Tut er mir leid, weil er Hunger hat?

Fühle ich mich gut, wenn ich teile?

Oder denke ich, dass in Deutschland niemand hungern muss und Betteln langfristig keine Lösung sein kann, meine Hilfe eigentlich sinnlos, vielleicht sogar schädlich ist?

Oder will ich mein Croissant gern für mich behalten, weil ich selber Hunger habe, gleich fit bei der Arbeit sein will und ich mich gerade nicht danach fühle, den U-Bahn-Sankt-Martin zu geben?

Ich komme aus dem Ruhrgebiet, wo die Ureinwohner ein Gespräch wie folgt eröffnen: »Wie isset?« Die unbedingte Antwort: »Muss ja.« Das tapfere, zähe, aber freudlose »Muss ja« rührt von einer rußgeschwärzten Zeit her, als im Bergbau malocht wurde und Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung noch keine Begriffe waren, denen man Bedeutung zumaß. Man erledigte seine mühselige Arbeit, am Wochenende gab’s Bier und Grillfleisch im Schrebergarten.

Heute spielen oft scheinbare Zwänge eine Rolle in unserem Leben. Wir denken oft, dass wir etwas »müssen«, nur weil wir uns in gewisse Verbindlichkeiten begeben haben. Erleben Sie anhand des folgenden Beispiels, wie unterschiedlich die Sätze wirken:

Ich muss mit meinen Kindern auf den Spielplatz.

➙ Ich will mit meinen Kindern auf den Spielplatz.

➙ Ich darf mit meinen Kindern auf den Spielplatz.

3. Tipp

»Müssen« klingt fremdbestimmt. Prüfen Sie, ob Sie es durch ein »wollen« ersetzen können oder gar durch ein »dürfen«.

Das »wollen« bedeutet, dass Sie eigenständig entscheiden; bei dem Modalverb »dürfen« klingt sogar noch mit, dass Sie die vermeintliche Pflicht als Privileg schätzen. Oder Sie bereinigen den Satz ganz von Modalverben:

Ich werde mit meinen Kindern auf den Spielplatz gehen.

Kolumnistin Meike Winnemuth schrieb in ihrer Kolumne Ich muss mal … im Stern über das »Zwangs- und Jammerwort«: »Oft ist es nur eine Frage der Formulierung, die dafür sorgt, dass man sich die Entscheidungsfreiheit zurückerobert und aus der eingebildeten Knechtschaft befreit.« Sie sagen oder denken, dass Sie etwas müssen? Stellen Sie sich folgende Fragen:

Wer oder was zwingt mich?

Ist das wirklich notwendig?

Was wäre, wenn ich es nicht täte?

Was wäre, wenn ich es nicht müsste?

Liebeskummer-Hotline Jana. Gita rief an. Stimme: tränenerstickt. Atmung: um Fassung ringend. Alles aus mit Joe, dem coolen Restaurantbesitzer. Nach nur drei Wochen. Es kam heraus, dass das »Ex« bei seiner Ex-Freundin großzügig ausgelegt wurde – die beiden trafen sich offenbar immer noch.

»Es tut mir so leid für dich«, sagte Jana. »Du hattest dich doch schon so auf das Mallorca-Wochenende mit ihm gefreut.«

»Ach, scheiß drauf«, sagte Gita und schluckte. »Es tut mir auch leid für dich. Du hattest dich schon auf den Job bei ihm gefreut.«

Jana stockte. Gita hatte ihr bei Joe eine Traumstelle als Restaurantleiterin vermittelt. Der Vertrag war zwar noch nicht unterzeichnet, aber mündlich war bereits alles eingetütet. Nächste Woche sollte sie anfangen.

»Sollte ich den Job bei Joe ausschlagen, weil er meine beste Freundin betrogen und verlassen hat?«, fragte mich Jana.

Im »sollen« steckt wie im »müssen« die Frage nach einer gesellschaftlichen Norm. Doch Fragen nach dem »sollen« sind in einer freiheitlichen und individuellen Gesellschaft immer schwer zu beantworten. Jana hat keinen Dorfältesten, keinen Priester, keinen Rabbi, der ihr sagen kann, was richtig und was falsch ist. Sie kann nur ihre Entscheidung selbst abwägen, anhand ihrer eigenen Maßstäbe und anhand der Erfordernisse einer bestimmten Situation.

So kann sie sich folgende Fragen stellen:

Will ich den Job annehmen?

Kann ich damit leben, dass mein Chef ein Liebes-Arschloch ist? Tut es eigentlich etwas zur Sache?

Möchte ich, dass Privatangelegenheiten anderer Leute meine beruflichen Entscheidungen beeinflussen?

Kann ich aushalten, dass Gita dann vielleicht sauer auf mich ist?

Jana entschied sich, den Job anzunehmen – und dafür, es Gita zu verheimlichen. An ihrem ersten Arbeitstag, der Eröffnung von Joes neuem Restaurant, traf sie übrigens überraschenderweise auf Gita. Sie hatte sich mit Joe versöhnt, es aber Jana verheimlicht.

»Ich weiß, ich hätte es dir sagen sollen«, sagten beide gleichzeitig. Mit der Erkenntnis, dass sie die ziemlich schlimmsten besten Freundinnen aller Zeiten sind, stießen sie auf Janas Job, Gitas zweite Liebeschance und das Wiedersehen an.

 

Weitere Beispiele, die zeigen, wie die Sprache uns selbstbestimmter erscheinen lässt, indem wir auf bestimmte Modalverben verzichten:

Ich konnte nicht kommen.

➙ Ich habe mich entschieden, nicht zu kommen.

Du solltest das nicht tun.

➙ Du musst das nicht tun.

Ich darf keine Kohlenhydrate essen.

➙ Ich esse zurzeit keine Kohlenhydrate.

 

4. Tipp

Viele Menschen scheuen sich vor der direkten Aufforderung. Unsere Sprache aber erscheint erstaunlicherweise weniger gängelnd, wenn wir die Aussage mit einem Modalverb grammatisch in eine Aufforderung (Imperativ) umwandeln. Dafür gewinnt sie an Klarheit.

Ich konnte das Angebot nicht ablehnen.

➙ Ich wollte das Angebot annehmen.

Du sollst nicht fluchen.

➙ Bitte fluche nicht.

Hier darfst du nicht rauchen.

➙ Bitte rauche hier nicht.

Bei mir müssen Gäste die Schuhe ausziehen.

➙ Bitte zieh doch deine Schuhe aus.

Du solltest mal lächeln.

➙ Lächle doch mal.

Du machst den Eindruck, als bräuchtest du etwas menschliche Zuwendung. Du solltest dich mal an die Mitkuschelzentrale wenden.

➙ Probiere es doch mal mit der Mitkuschelzentrale.

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Nichts ist, wie es ist

Warum Sie sich von Vorurteilen befreien, wenn Sie weniger »ist« sagen

Sagt der Mann zum Eheberater: »Meine Frau ist Nymphomanin.« Der Therapeut: »Frühstückt Ihre Frau auch manchmal?« Der Patient: »Ja, natürlich frühstückt sie, was ist denn das für eine Frage.« Der Therapeut: »Sehen Sie, dann ist sie auch Frühstückerin!«

 

Okay, eine richtige Pointe hat diese in verschiedenen Varianten kursierende Anekdote nicht. Aber sie offenbart eine urmenschliche Denkweise. Wir neigen dazu, einer Persönlichkeit bestimmte auffällige Verhaltensweisen zuzuschreiben und den Einfluss der Situation auf die Person zu unterschätzen. Für Psychologen fällt diese Neigung unter die Kategorie der sogenannten Attributionsfehler. Weil die Frau in der Anekdote offenbar Spaß hatte und ihr Mann nicht, pathologisiert er ihr Verhalten. Der Ehemann schreibt seiner untreuen Gattin eine »Krankheit« zu, die praktischerweise nur Frauen treffen kann, und vergisst dabei, die Umstände zu berücksichtigen.

Rastet jemand aus, sagen wir: »Ist das ein aggressiver Typ!« Vielleicht handelt es sich aber um einen Friedensnobelpreisträger, dem gerade lediglich fürchterlich gegen den Strich geht, dass die Menschenrechtsverletzungen in Dafur von seinen Diskussionspartnern kleingeredet werden. »Ist die aber tolerant«, denken wir über die gepflegte Dame, die milde lächelt, als ein fremdes blondes Kind sie mit seinem Eis streift. Die Dame kommt allerdings gerade von einer Demonstration vor einem Flüchtlingsheim, bei der sie Immigranten entgegenzischte, man solle ihnen besser heute als morgen einen Ausreisestempel auf die Stirn drücken, sie auf einen Baumstamm setzen und zurück ins Mittelmeer schicken.

Das ebenso unscheinbare wie allgegenwärtige Hilfsverb »sein« in all seinen Formen kann ein Hinweis darauf sein, dass wir gerade dem Attributionsfehler aufgesessen sind. Schreiben wir Personen Eigenschaften zu, sagen wir dabei oft mehr über uns selbst aus als über den anderen. Denn jede unserer Charakterisierungen ist beeinflusst von unseren Vorannahmen und Vorurteilen. Die Quizkandidatin bei Günther Jauch weiß bei der ersten Frage nicht, dass die meisten Schäfer Hunde haben, und glaubt stattdessen, die meisten Riesen hätten Schnauzer? – Sie ist eben eine blöde, blonde Modestudentin. Vielleicht aber hat sie das Gehirn von Stephen Hawking und wird im Jahr 2033 die Weltformel finden. Möglicherweise war sie in der Sendung lediglich zu aufgeregt, um ihre Intelligenz gewinnbringend einzusetzen. Ein Lehrer brüllt herum? Der ist total überfordert. Dass er laut werden muss, um überhaupt gehört zu werden, weil seine Schüler während des Unterrichts einen Breakdance-Battle veranstalten, wo doch eigentlich die Polynomdivision Thema sein sollte, wird ausgeklammert.

Das Wort »sein« zementiert, etikettiert und pauschalisiert. Es missachtet aber, dass sich alles ständig ändert, jede Persönlichkeit und auch die Umstände, unter denen wir uns auf eine bestimmte Weise verhalten – alles bewegt sich. Nichts bleibt, wie es ist. Alles ist eben nur gegenwärtig. »Sein« allerdings in all seinen Konjugationen im Präsens (»bin«, »bist«, »ist«, »sind«, »seid«) verkauft als unabänderliche und für alle gültige Tatsache, was doch nur vorübergehend so ist und was auf einer individuellen Beobachtung oder Meinung beruht. Dann handelt es sich bei dem, was wir mit »sein« charakterisieren, um unsere wertende Deutung und nicht um die Wirklichkeit. »Sein« verweist auf die persönliche Landkarte, die wir von der Welt haben, nicht auf die Welt selbst. Es macht unsere Wahrnehmung zur allgemeinen Gesetzmäßigkeit. Egal, ob wir äußern: »Der Januar ist immer ein fieser Monat« oder »Die Leute in Hamburg sind mir zu distanziert«. Gerade sagte mir ein Taxifahrer, der vergessen hatte, seinen Taxameter laufen zu lassen: »Das ist heute nicht mein Tag.« Er hatte den Tag schon um 11.46 Uhr abgeschrieben!

Beispiel: Männer sind Schweine.

Stellen Sie sich dazu folgende Fragen:

Sind wirklich alle Männer Schweine? Kenne ich alle Männer?

Was macht sie zu Schweinen? Was meine ich mit ›Schwein‹?

Sind sie Schweine für mich, weil sie nicht so handeln, wie ich es mir wünsche und wie es meinen Bedürfnissen zuträglich wäre?

Der Subtext der Aussage: »Mir passiert immer wieder, dass Männer einer Bindung mit mir aus dem Weg gehen und sich durch den neuen Aus-dem-Staub-mach-Trend verabschieden. Sie melden sich einfach nicht mehr, wenn sie ihren Spaß hatten.« Das Wort »sein« hat aber auch einen anderen Effekt. Es meißelt in Stein, was tatsächlich an bestimmte Handlungen gebunden ist. Wenn wir sagen: »Sophie ist eine Kriminelle«, klingt mit, dass sie als schlechter Mensch geboren wurde und es auch bleiben wird. Egal, was sie verbrochen hat, das Etikett hat sie nun lebenslang. Es macht einen Unterschied, wenn ich dagegen sage: »Sophie wurde vor drei Jahren wegen Körperverletzung verurteilt.«

Das Hilfsverb »sein« in seiner Konjugation »bist« begegnet uns in der Du-Botschaft. Generationen von Paartherapeuten haben die Du-Botschaft als Gift für jede Beziehung ausgemacht. Deren Beharrlichkeit hat allerdings noch nicht dazu geführt, dass die Du-Botschaft verschwunden wäre.

»Du bist egoistisch.« »Du kümmerst dich nicht um mich.« »Mach dir nichts vor, du bist künstlerisch völlig unbegabt.« So heißt es im Konfliktfall. Wir sagen »du« und meinen zusätzlich ein verborgenes Ich: Denn mit der Du-Botschaft projizieren wir unsere heimlichen Eigenschaften, Wünsche und Ängste auf den anderen.

Gegen die vergifteten Du-Botschaften gibt es zwei Möglichkeiten, mit deren Hilfe Sie …

Ihre Sprache von Vorurteilen befreien,

aufhören, sich selbst herunterzuputzen,

Ihre Aussagen persönlich und lebendig satt dogmatisch und statisch gestalten und

Konflikte mit anderen besser lösen.

5. Tipp

Überprüfen Sie, wo Sie eine Form von »sein« durch ein Vollverb ersetzen können.

Beispiel: Er ist so ein nervöser Typ.

Hinterfragen Sie gedanklich Ihre Aussage: Wann genau? Wie äußert sich das?

Neue Variante: Auf mich wirkt er während der Meetings sehr nervös, so schnell, wie er spricht, und so oft, wie er ›im Endeffekt‹ sagt.

Beispiel: Er ist ein Arschloch.

Hinterfragen Sie: Wann genau? Warum?

Neue Variante: Er hat sich verhalten wie ein Arschloch.

6. Tipp

Überprüfen Sie, wo Sie eine Form von »sein« durch eine präzisere Aussage ersetzen können. Überprüfen Sie außerdem, wo Sie eine Form von »sein« durch eine Meinungsäußerung ersetzen können.

Beispiel: Ich bin ein Versager.

Gedankliche Fragen an Sie selbst: Wirklich immer? Ist mir noch nie etwas gelungen? Wie komme ich darauf?

Neue Variante: Ich will prüfen, welchen Anteil ich daran habe, dass ich nun schon zum dritten Mal hintereinander gefeuert wurde.

Beispiel: Diese Ausstellung ist Mist.

Gedankliche Frage an Sie selbst: Irren all jene, die von diesen Porträts und Skulpturen aus Marmelade und Erdnussbutter schwärmen?

Neue Variante: Ich kann mit dieser Kunst nichts anfangen.

 

Beispiel: Ich habe kein Talent.

Gedankliche Frage an Sie selbst: Sagt wer? Habe ich wirklich noch nie Talent bewiesen?

Neue Variante: Ich bin an der Aufnahmeprüfung gescheitert.

Beispiel: Du bist unzuverlässig.

Gedankliche Frage an Sie selbst: Wirklich immer?

Neue Variante: Ich ärgere mich darüber, dass du mich jetzt schon das zweite Mal in dieser Woche versetzt.

 

Beispiel: Du machst dich doch lächerlich mit deinem Meerjungfrauen-Spleen.

Gedankliche Frage an Sie selbst: Was genau stört mich daran?

Neue Variante: Ich fürchte, dass es dir schaden könnte, wenn du Youtube-Videos runterlädst, in denen du dich als Meerjungfrau inszenierst. Und ich fürchte auch, dass der Spott auch auf mich abfärbt.

 

Beispiel: Sie ist ein Engel.

Gedankliche Frage an Sie selbst: Immer und für alle?

Neue Variante: In meinen Augen wirkt sie wie ein Engel.

7. Tipp

Sprechen Sie von sich selbst, anstatt den anderen zu etikettieren.

Die Ehefrau im Eingangsbeispiel ist ebenso wenig Nymphomanin wie Frühstückerin, nur weil sie einmal (oder war es doch zweimal?) den DHL-Boten zum Frühstück vernascht hat. Sie ist das Opfer der verallgemeinernden Schlüsse ihres Mannes. Was wissen wir über ihre Beweggründe? Was über den Zustand ihrer Ehe, als es geschah? Im Gegensatz zu erwischten untreuen Männern, die sich meistens damit herausreden, verführt worden zu sein (»Du weißt doch selbst, was für ein Luder deine Nichte ist«), sind Frauen, die ihre Untreue gestehen, oft mutiger, erforschen ihre Gründe und sprechen dabei von sich. Und das klingt meist so: »Ich habe mich mit ihm auf einmal so lebendig gefühlt.« Heißt: Mit dem Boten ging richtig die Post ab!

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Ich bin nicht zickig. Ich bin emotionsflexibel

Wie Sie neues Licht auf ein vermeintliches Problem werfen

Zwei Männer spielen Golf. Gerade als einer der beiden seinen Abschlag machen will, setzt sich eine Beerdigungsprozession über den benachbarten Friedhof in Bewegung. Der Mann nimmt seine Mütze ab und verbeugt sich. »Wow«, sagt sein Golfpartner, »das war wirklich sehr rücksichtsvoll von dir!« Daraufhin der erste Mann: »Das ist ja das Mindeste, was ich tun kann. Wir waren 25 Jahre verheiratet.«

 

Dieselbe Geste, die gerade noch taktvoll gewirkt hat, lässt den Mann nun kaltherzig erscheinen.

Was der Witz soll? Er zeigt, dass eine Handlung – das Ziehen einer Mütze – an sich erst einmal keine Bedeutung hat. Die Bedeutung verleihen wir ihr je nach Zusammenhang, nach unserem Weltwissen, unseren Erfahrungen, unseren Werten, unseren Vorlieben und Abneigungen sowie der jeweiligen Situation.

Jede Handlung, jedes Erlebnis, jede Eigenschaft und jedes Gefühl bekommt seine Bedeutung erst im Zusammenhang mit einer konkreten Situation. Was anderen in einem bestimmten Umfeld taktlos erscheint, kann in einer anderen Situation ein erwünschtes Verhalten sein. Was in einem Zusammenhang hinderlich erscheint, kann in einem anderen nützlich sein. Aus der Vielzahl an Situationen, in denen wir unterschiedliche Verhaltensweisen kennengelernt haben, bilden wir einen Erfahrungsschatz. Mit diesem Wissen können wir verallgemeinernde Zuschreibungen relativieren, egal, ob wir jemand anders charakterisieren oder uns selbst. Wir setzen Handlung, Erlebnis, Eigenschaft oder Gefühl in einen anderen oder erweiterten Rahmen und deuten damit eine Zuschreibung um. Der vermeintliche Nachteil wird so zu einer neuen Ressource. Die Verhaltenspsychologie spricht daher vom »Reframing« (»Frame« engl. Rahmen).

Wir stellen dazu die Frage: In welchem Zusammenhang wäre die Eigenschaft oder das Ereignis nützlich?

8. Tipp

Spielen Sie mit Umdeutungen. Setzen Sie einen neuen Rahmen, indem Sie eine Handlung, ein Erlebnis, einen Zustand, eine Eigenschaft oder ein Gefühl mit neuen Worten beschreiben. Das funktioniert bei gesprochenen Worten, aber auch in Gedanken.

Die folgenden Beispiele zeigen, wie die gleichen Verhaltensweisen je nach Bewertung des Sprechers und der Situation anders beschrieben werden.

Ich bin nicht aggressiv genug, um in meinem Job weiterzukommen.

➙ Es gibt eine Menge Jobs, in denen mein ausgeglichenes Wesen von Vorteil ist. Auch in meinem jetzigen Job hat es mir schon geholfen.

Ich bin stur.

➙ Ich kann willensstark sein.

Ich will alles bestimmen.

➙ Ich übernehme Verantwortung.

Sie ist ein Opfer.

➙ Sie ist eine Überlebende.

Ich verbeiße mich in Details.

➙ Ich sorge für perfekte Ergebnisse.

Du bist verschwenderisch.

➙ Du kannst großzügig sein.

Du bist konfliktscheu.

➙ Dir scheint Harmonie wichtig.

Ich bin schlecht im Frauenaufreißen.

➙ Ich sehe mich als Beziehungsmenschen.

Alle Erlebnisse, so negativ sie uns erscheinen, können in neuen Zusammenhängen zur Stärke werden.

Sie sind also in Ihrem Unternehmen rausgeschmissen worden? Schon die Passivkonstruktion zeigt: Es wurde etwas mit Ihnen gemacht. Sie waren nicht der Handelnde, egal, was Sie zuvor angestellt haben. (Vielleicht war es nicht hilfreich, den Casual Friday zu überdehnen und nackt ins Büro zu kommen?) Das ist immer unangenehm. Auch was jetzt auf Sie zukommt, ist kein Wendy-Pferdeheft: Gang zum Arbeitsamt, Bewerbungen, sich prüfen und bewerten lassen, ganz abgesehen von dem (vorübergehenden) Verdienstausfall und dem Prestigeverlust. Alles ist ungewiss. Das ist die Wahrheit. Und doch ist es nicht die ganze Wahrheit. Wenn Sie die Kündigung in einem neuen Zusammenhang sehen, erscheint sie in einem anderen Licht. Sie ist eine einmalige Chance, sich neu zu orientieren und Ihre Biographie interessant und abwechslungsreich zu gestalten. Jetzt haben Sie die Gelegenheit, Neues anzupacken.

Mein Kumpel Mike ist in seiner Kindheit mit seiner Mutter fast 20 Mal umgezogen. Ob ihm dies nicht ein permanentes Unsicherheitsgefühl gebe, fragte ich. »Eigentlich ist es so, dass ich dadurch sicher wurde. Ich kann mich in jeder neuen Umgebung schnell anpassen.« Tatsächlich fremdelt Mike nie: Ein neuer Job? Eine Party, bei der er niemanden kennt? Alleine in einem Hotelzimmer am Ende der Welt? Mike fühlt sich überall wie zu Hause. In neuen Zusammenhängen ist seine unstete Kindheit zur hilfreichen Ressource geworden – auch wenn er sie damals überwiegend als schwierig empfunden hat.

Ein weiteres Beispiel. Altern wird in unserer Gesellschaft als der Verlust von etwas wahrgenommen. Weniger Attraktivität, Energie, Chancen. Ein Vorgang, den es etwa durch Botox, Bodybuilding oder Basecaps zu verschleiern gilt. Schreiben Magazine über einen »alternden Filmstar« (meistens schreiben sie solche Dinge über Frauen), klingt das, als sei er von einer grässlichen Krankheit befallen, für die es keine Heilung gibt. In dieser Häme zeigt sich der ganze Selbsthass des Menschen. Er erwacht mit der demütigenden Erkenntnis, dass wir nicht besser sind als jedes kriechende Tierchen und früher oder später als Leiche enden werden. Betrachten wir den Alterungsprozess, dessen einzige Alternative, der frühzeitige Tod, uns auch nicht verlockend erscheint, doch einmal anders. Nämlich als Gewinn: von Weisheit, Erfahrung, Gelassenheit, Selbstsicherheit, Charakter, Identität. All das sind brauchbare Eigenschaften im täglichen Überlebenskampf. Auf diese Weise begreifen wir das Älterwerden als Upgrade und nicht als Herabstufung.

Eine Meisterin des Umdeutens ist meine ehemalige Kollegin Yvonne. Sie hatte erfahren, dass nach einer Feier über sie gelästert wurde: Sie sei beim Flirten ein wenig aufdringlich gewesen. Sie zuckte nur mit den Schultern. »Ich sage eben, was ich will, und eiere nicht lange rum.«

Mit dem Wissen, dass eine Wahrnehmung nie absolut ist, sondern erst durch den jeweiligen Standpunkt ihre Bedeutung erhält, können wir andere Worte wählen, Vorwürfe entkräften und uns neue Möglichkeiten erschließen. Unser Denken beeinflusst die Wortwahl und unsere Wortwahl unser Denken. Das macht es so lohnend, unsere Wortwahl zu steuern.

Reframing kann jedoch auch zu einem schematischen Zwangspositivismus missbraucht werden, mit dem wir uns alles schönreden wollen. Mittels dieser Technik können Tatsachen verdreht und verharmlost werden. Davon leben die Pointen von Internetsprüchen wie »Ich bin nicht zickig, ich bin emotionsflexibel« oder »Ich bin nicht faul, ich bin nur hoch motiviert, nichts zu tun«. So darf man auch mehr oder weniger witzige Ausreden verstehen, wie die, seine Rechtschreibfehler als orthographische Besonderheiten oder seine Lügen als Fiktionalisierung herunterzuspielen. Die von Menschen verursachte globale Erwärmung etwa ist mit Klimawandel recht beschwichtigend und neutral beschrieben. Umweltschutz klingt, als wollten wir aus einer romantischen Motivation eine Blumenwiese vor Baggern bewahren, wo es in Wahrheit um Lebensraumrettung und Selbsterhaltung geht. Mit Reframing betreiben Machthaber immer wieder Propaganda. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 beispielsweise sprach die Regierung Bush zunächst von Opfern, Stunden später jedoch von Verlusten. »Ein Sprachmoment von höchster politischer Relevanz«, sagt US-Sprachforscher George Lakoff in der Zeit Wissen