Liebesmond - J. R. Ward - E-Book
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Liebesmond E-Book

J. R. Ward

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Beschreibung

Im Dunkel der Nacht tobt ein unerbittlicher Krieg zwischen der Bruderschaft der BLACK DAGGER und ihren Verfolgern. Doch das ist nichts im Vergleich zu dem grausamen Kampf, der im Herzen des Vampirkriegers Thorment wütet: Seit dem Tod seiner geliebten Frau Wellsie ist für den einst so mächtigen Kämpfer nichts mehr, wie es war. Geschwächt und mit gebrochenem Herzen ist er nur mehr ein Schatten seiner selbst – und das ausgerechnet, als die Bruderschaft ihn am dringendsten braucht. Doch dann sieht Thorment Wellsie in seinen Träumen und schöpft neue Hoffnung: Kann er seine große Liebe aus dem Reich der Toten befreien?

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Seitenzahl: 478

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Das Buch

Seit seine große Liebe Wellsie ermordet wurde, ist der mächtige Vampirkrieger Tohrment nur noch ein Schatten seiner selbst: Er kann nicht mehr schlafen, er kann nicht mehr essen, und er wird von Albträumen gequält. Nur im Kampf gegen seine Gegner verausgabt er sich völlig, in der Hoffnung, so den Tod zu finden, um endlich wieder mit Wellsie vereint zu werden. Doch dadurch bringt er nicht nur sich selbst, sondern die gesamte Bruderschaft der BLACKDAGGER in allerhöchste Gefahr– und ausgerechnet jetzt taucht ein neuer, mysteriöser Feind auf, der die Bruderschaft endgültig auslöschen will. Als Tohr der schönen Vampirin No’One wiederbegegnet, schöpft er neue Hoffnung und findet auch langsam zu alter Stärke zurück. Sein neues Glück mit No’One könnte perfekt sein, doch Tohr kann Wellsie nicht vergessen …

Die Autorin

J. R. Ward begann bereits während des Studiums mit dem Schreiben. Nach dem Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACKDAGGER-Serie, die in kürzester Zeit die amerikanischen Bestsellerlisten eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem Golden Retriever in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als Star der romantischen Mystery.

Ein ausführliches Werkverzeichnis aller von J. R. Ward im Wilhelm Heyne Verlag erschienenen Bücher finden Sie am Ende des Bandes.

www.twitter.com/HeyneFantasySF

@HeyneFantasySF

www.heyne-magische-bestseller.de

J.R.Ward

Liebesmond

Ein Black dagger-Roman

Wilhelm Heyne Verlag

München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Titel der OriginalausgabeLOVER REBORN (Part 1)Aus dem Amerikanischenvon Corinna Vierkant
Deutsche Erstausgabe 12/2012Redaktion: Bettina SpanglerCopyright © 2012 by Love Conquers All, Inc.Copyright © 2012 der deutschen Ausgabeund der Übersetzung byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Umschlagbild: Dirk SchulzUmschlaggestaltung: Animagic, BielefeldAutorenfoto © by John RottSatz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
ISBN: 978-3-641-09939-8V003
www.penguinrandomhouse.de

Gewidmet: Dir.

Es ist so lange her,

zu lange,

dass du ein Zuhause hattest.

Danksagung

Ein großes Dankeschön allen Lesern der Bruderschaft der Black Dagger und ein Hoch auf die Cellies!

Vielen Dank für all die Unterstützung und die Ratschläge an: Steven Axelrod, Kara Welsh, Claire Zion und Leslie Gelbman.

Danke auch an alle Mitarbeiter von NAL– diese Bücher sind echte Teamarbeit!

Danke an unsere Cheforganisatoren für alles, was ihr aus reiner Herzensgüte tut!

Alles Liebe an das Team Waud– ihr wisst, wer gemeint ist. Ohne euch käme die Sache gar nicht zustande.

Nichts von alledem wäre möglich ohne: meinen liebevollen Ehemann, der mir mit Rat und Tat zur Seite steht, sich um mich kümmert und seine Visionen mit mir teilt; meine wunderbare Mutter, dir mir mehr Liebe geschenkt hat, als ich ihr je zurückgeben kann; meine Familie (die blutsverwandte wie auch die frei gewählte) und meine liebsten Freunde.

Ach ja, und an die bessere Hälfte von WriterDog.

Glossar der Begriffe und Eigennamen

Ahstrux nohtrum– Persönlicher Leibwächter mit Lizenz zum Töten, der vom König ernannt wird.

Die Auserwählten– Vampirinnen, deren Aufgabe es ist, der Jungfrau der Schrift zu dienen. Sie werden als Angehörige der Aristokratie betrachtet, obwohl sie eher spirituell als weltlich orientiert sind. Normalerweise pflegen sie wenig bis gar keinen Kontakt zu männlichen Vampiren; auf Weisung der Jungfrau der Schrift können sie sich aber mit einem Krieger vereinigen, um den Fortbestand ihres Standes zu sichern. Einige von ihnen besitzen die Fähigkeit zur Prophezeiung. In der Vergangenheit dienten sie alleinstehenden Brüdern zum Stillen ihres Blutbedürfnisses. Diese Praxis wurde von den Brüdern wiederaufgenommen.

Bannung– Status, der einer Vampirin der Aristokratie auf Gesuch ihrer Familie durch den König auferlegt werden kann. Unterstellt die Vampirin der alleinigen Aufsicht ihres Hüters, üblicherweise der älteste Mann des Haushalts. Ihr Hüter besitzt damit das gesetzlich verbriefte Recht, sämtliche Aspekte ihres Lebens zu bestimmen und nach eigenem Gutdünken jeglichen Umgang zwischen ihr und der Außenwelt zu regulieren.

Die Bruderschaft der Black Dagger– Die Brüder des Schwarzen Dolches. Speziell ausgebildete Vampirkrieger, die ihre Spezies vor der Gesellschaft der Lesser beschützen. Infolge selektiver Züchtung innerhalb der Rasse besitzen die Brüder ungeheure physische und mentale Stärke sowie die Fähigkeit zur extrem raschen Heilung. Die meisten von ihnen sind keine leiblichen Geschwister; neue Anwärter werden von den anderen Brüdern vorgeschlagen und daraufhin in die Bruderschaft aufgenommen. Die Mitglieder der Bruderschaft sind Einzelgänger, aggressiv und verschlossen. Sie pflegen wenig Kontakt zu Menschen und anderen Vampiren, außer um Blut zu trinken. Viele Legenden ranken sich um diese Krieger, und sie werden von ihresgleichen mit höchster Ehrfurcht behandelt. Sie können getötet werden, aber nur durch sehr schwere Wunden wiezum Beispiel eine Kugel oder einen Messerstich ins Herz.

Blutsklave– Männlicher oder weiblicher Vampir, der unterworfen wurde, um das Blutbedürfnis eines anderen zu stillen. Die Haltung von Blutsklaven wurde vor Kurzem gesetzlich verboten.

Chrih– Symbol des ehrenhaften Todes in der alten Sprache.

Doggen– Angehörige(r) der Dienerklasse innerhalb der Vampirwelt. Doggen pflegen im Dienst an ihrer Herrschaft altertümliche, konservative Sitten und folgen einem formellen Bekleidungs- und Verhaltenskodex. Sie können tagsüber aus dem Haus gehen, altern aber relativ rasch. Die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfhundert Jahren.

Dhunhd– Hölle.

Ehros– Eine Auserwählte, die speziell in der Liebeskunst ausgebildet wurde.

Exhile Dhoble– Der böse oder verfluchte Zwilling, derjenige, der als Zweiter geboren wird.

Gesellschaft der Lesser– Orden von Vampirjägern, der von Omega zum Zwecke der Auslöschung der Vampirspezies gegründet wurde.

Glymera– Das soziale Herzstück der Aristokratie, sozusagen die »oberen Zehntausend« unter den Vampiren.

Gruft– Heiliges Gewölbe der Bruderschaft der Black Dagger. Sowohl Ort für zeremonielle Handlungen als auch Aufbewahrungsort für die erbeuteten Kanopen der Lesser. Hier werden unter anderem Aufnahmerituale, Begräbnisse und Disziplinarmaßnahmen gegen Brüder durchgeführt. Niemand außer Angehörigen der Bruderschaft, der Jungfrau der Schrift und Aspiranten hat Zutritt zur Gruft.

Hellren– Männlicher Vampir, der eine Partnerschaft mit einer Vampirin eingegangen ist. Männliche Vampire können mehr als eine Vampirin als Partnerin nehmen.

Hohe Familie– König und Königin der Vampire sowie all ihre Kinder.

Hüter– Vormund eines Vampirs oder einer Vampirin. Hüter können unterschiedlich viel Autorität besitzen, die größte Macht übt der Hüter einer gebannten Vampirin aus.

Jungfrau der Schrift– Mystische Macht, die dem König als Beraterin dient sowie die Vampirarchive hütet und Privilegien erteilt. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und besitzt umfangreiche Kräfte. Hatte die Befähigung zu einem einzigen Schöpfungsakt, den sie zur Erschaffung der Vampire nutzte.

Leahdyre– Eine mächtige und einflussreiche Person.

Lesser– Ein seiner Seele beraubter Mensch, der als Mitglied der Gesellschaft der Lesser Jagd auf Vampire macht, um sie auszurotten. Die Lesser müssen durch einen Stich in die Brust getötet werden. Sie altern nicht, essen und trinken nicht und sind impotent. Im Laufe der Jahre verlieren ihre Haare, Haut und Iris ihre Pigmentierung, bis sie blond, bleich und weißäugig sind. Sie riechen nach Talkum. Aufgenommen in die Gesellschaft werden sie durch Omega. Daraufhin erhalten sie ihre Kanope, ein Keramikgefäß, in dem sie ihr aus der Brust entferntes Herz aufbewahren.

Lewlhen– Geschenk.

Lheage– Respektsbezeichnung einer sexuell devoten Person gegenüber einem dominanten Partner.

Lhenihan– Mystisches Biest, bekannt für seine sexuelle Leistungsfähigkeit. In modernem Slang bezieht es sich auf einen Vampir von übermäßiger Größe und Ausdauer.

Lielan– Ein Kosewort, frei übersetzt, in etwa »mein Liebstes«.

Lys– Folterwerkzeug zur Entnahme von Augen.

Mahmen– Mutter. Dient sowohl als Bezeichnung als auch als Anrede und Kosewort.

Mhis– Die Verhüllung eines Ortes oder einer Gegend; die Schaffung einer Illusion.

Nalla oder Nallum– Kosewort. In etwa »Geliebte(r)«.

Novizin– Eine Jungfrau.

Omega– Unheilvolle mystische Gestalt, die sich aus Groll gegen die Jungfrau der Schrift die Ausrottung der Vampire zum Ziel gesetzt hat. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und hat weitreichende Kräfte, wenn auch nicht die Kraft zur Schöpfung.

Phearsom– Begriff, der sich auf die Funktionstüchtigkeit der männlichen Geschlechtsorgane bezieht. Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa »würdig, in eine Frau einzudringen«.

Princeps– Höchste Stufe der Vampiraristokratie, untergeben nur den Mitgliedern der Hohen Familie und den Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Dieser Titel wird vererbt; er kann nicht verliehen werden.

Pyrokant– Bezeichnet die entscheidende Schwachstelle eines Individuums, sozusagen seine Achillesferse. Diese Schwachstelle kann innerlich sein, wie zum Beispiel eine Sucht, oder äußerlich, wie ein geliebter Mensch.

Rahlman– Retter.

Rythos– Rituelle Prozedur, um verlorene Ehre wiederherzustellen. Der Rythos wird von dem Vampir gewährt, der einen anderen beleidigt hat. Wird er angenommen, wählt der Gekränkte eine Waffe und tritt damit dem unbewaffneten Beleidiger entgegen.

Schleier– Jenseitige Sphäre, in der die Toten wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden zusammentreffen und die Ewigkeit verbringen.

Shellan– Vampirin, die eine Partnerschaft mit einem Vampir eingegangen ist. Vampirinnen nehmen sich in der Regel nicht mehr als einen Partner, da gebundene männliche Vampire ein ausgeprägtes Revierverhalten zeigen.

Symphath– Eigene Spezies innerhalb der Vampirrasse, deren Merkmale die Fähigkeit und das Verlangen sind, Gefühle in anderen zu manipulieren (zum Zwecke eines Energieaustauschs). Historisch wurden die Symphathen oft mit Misstrauen betrachtet und in bestimmten Epochen auch von den anderen Vampiren gejagt. Sind heute nahezu ausgestorben.

Trahyner– Respekts- und Zuneigungsbezeichnung unter männlichen Vampiren. Bedeutet ungefähr »geliebter Freund«.

Transition– Entscheidender Moment im Leben eines Vampirs, wenn er oder sie ins Erwachsenenleben eintritt. Ab diesem Punkt müssen sie das Blut des jeweils anderen Geschlechts trinken, um zu überleben, und vertragen kein Sonnenlicht mehr. Findet normalerweise mit etwa Mitte zwanzig statt. Manche Vampire überleben ihre Transition nicht, vor allem männliche Vampire. Vor ihrer Transition sind Vampire von schwächlicher Konstitution und sexuell unreif und desinteressiert. Außerdem können sie sich noch nicht dematerialisieren.

Triebigkeit– Fruchtbare Phase einer Vampirin. Üblicherweise dauert sie zwei Tage und wird von heftigem sexuellem Verlangen begleitet. Zum ersten Mal tritt sie etwa fünf Jahre nach der Transition eines weiblichen Vampirs auf, danach im Abstand von etwa zehn Jahren. Alle männlichen Vampire reagieren bis zu einem gewissen Grad auf eine triebige Vampirin, deshalb ist dies eine gefährliche Zeit. Zwischen konkurrierenden männlichen Vampiren können Konflikte und Kämpfe ausbrechen, besonders wenn die Vampirin keinen Partner hat.

Vampir– Angehöriger einer gesonderten Spezies neben dem Homo sapiens. Vampire sind darauf angewiesen, das Blut des jeweils anderen Geschlechts zu trinken. Menschliches Blut kann ihnen zwar auch das Überleben sichern, aber die daraus gewonnene Kraft hält nicht lange vor. Nach ihrer Transition, die üblicherweise etwa mit Mitte zwanzig stattfindet, dürfen sie sich nicht mehr dem Sonnenlicht aussetzen und müssen sich in regelmäßigen Abständen aus der Vene ernähren. Entgegen einer weitverbreiteten Annahme können Vampire Menschen nicht durch einen Biss oder eine Blutübertragung »verwandeln«; in seltenen Fällen aber können sich die beiden Spezies zusammen fortpflanzen. Vampire können sich nach Belieben dematerialisieren, dazu müssen sie aber ganz ruhig werden und sich konzentrieren; außerdem dürfen sie nichts Schweres bei sich tragen. Sie können Menschen ihre Erinnerung nehmen, allerdings nur solange diese Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert sind. Manche Vampire können auch Gedanken lesen. Die Lebenserwartung liegt bei über eintausend Jahren, in manchen Fällen auch höher.

Vergeltung– Akt tödlicher Rache, typischerweise ausgeführt von einem Mann im Dienste seiner Liebe.

Wanderer– Ein Verstorbener, der aus dem Schleier zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Wanderern wird großer Respekt entgegengebracht, und sie werden für das, was sie durchmachen mussten, verehrt.

Whard– Entspricht einem Patenonkel oder einer Patentante.

Zwiestreit– Konflikt zwischen zwei männlichen Vampiren, die Rivalen um die Gunst einer Vampirin sind.

1

»Dieser Idiot nimmt die Brücke! Er gehört mir!«

Tohrment wartete auf einen Pfiff als Antwort und setzte dann dem Lesser nach. Seine Stiefel platschten durch Pfützen, seine Beine hoben und senkten sich wie Kolben, die Hände hatte er zu Fäusten geballt. Er passierte Müllcontainer und parkende Fahrzeuge, scheuchte Ratten und Obdachlose auf, sprang über eine Absperrung, tat schwungvoll einen Satz über ein Motorrad.

Um fast drei Uhr morgens bot die Innenstadt von Caldwell, New York, gerade genug Hindernisse, dass der Spaß nicht zu kurz kam. Doch bedauerlicherweise schlug dieser kleine Pisser von Vampirjäger eine Richtung ein, die Tohrment überhaupt nicht in den Kram passte.

Als sie die Auffahrt zur westlich gerichteten Brücke erreichten, hätte Tohr den Hohlkopf am liebsten umgebracht– was sonst? Denn anders als im Geflecht der Gassen um die Diskotheken herum, wo man ungestörte Ecken fand, gab es auf der Hudsonbrücke garantiert Verkehr, selbst zu dieser vorgerückten Stunde. Klar, Stau würde nicht gerade herrschen auf der Herbert-G.-Falcheck-Hängebrücke, aber ein paar Autos verirrten sich immer hierher– und heutzutage hatte eben jeder Mensch am Steuer ein verdammtes iPhone.

Es gab nur eine Regel im Kampf der Vampire gegen die Gesellschaft der Lesser: Haltet euch verdammt noch mal von den Menschen fern. Diese Spezies neugieriger, aufrecht gehender Orang-Utans sorgte einfach immer für Komplikationen, darum war niemand an der Verbreitung der Nachricht interessiert, dass Dracula doch mehr als eine literarische Figur war oder man den Walking Dead nicht nur in einer Fernsehserie begegnen konnte.

Keiner von ihnen wollte als Topmeldung in Nachrichtensendungen, Tageszeitungen oder Magazinen erscheinen.

Nur Internet war okay. Das war nämlich nicht glaubwürdig.

Dieses stillschweigende Abkommen war das Einzige, worauf sich der Feind und die Bruderschaft der Black Dagger einigen konnten, die eine Einschränkung, die beide Seiten akzeptierten. Und das hieß, die Jäger konnten, nur um ein Beispiel zu nennen,… deine schwangere Shellan abpassen, ihr ins Gesicht schießen und sie dem Tod überlassen und damit nicht nur ihr Leben auslöschen, sondern deines gleich mit dazu. Aber wehe dem, der die Menschen verärgerte.

Denn das wäre einfach falsch.

Leider hatte dieser orientierungsschwache Idiot mit der hydraulischen Beinmaschine das offenbar nicht mitgekriegt.

Aber das war ein Problem, das sich mit einem schwarzen Dolch durch die Brust rasch kitten ließ.

Ein Knurren entrang sich Tohrs Kehle, und seine Fänge verlängerten sich im Mund. Er ging tief in sich und trank von der Quelle aus hoch konzentriertem Hass, bis sein Tank gefüllt und seine schwindenden Kräfte erneuert waren.

Es war ein langer Weg hierher zurück gewesen, von jener albtraumhaften Nacht, in der ihm sein König und seine Brüder die Nachricht vom Ende seines Lebens überbracht hatten. Die Shellan war das Herz, das in der Brust eines gebundenen Vampirs schlug, und ohne seine Wellsie war er lediglich ein Schatten seiner selbst, eine leere Hülle. Allein das Jagen, Zupacken und Töten hielt ihn am Leben. Und die Gewissheit, dass er am nächsten Abend aufwachen würde, um weitere Opfer zu stellen.

Doch statt Vergeltung zu üben für den Tod seiner Familie, hätte er genauso gut im heiligen Schleier bei ihnen weilen können. Eigentlich wäre das die angenehmere Variante für ihn gewesen– und vielleicht wurde ihm ja heute Nacht das Glück beschert. Vielleicht zog er sich im Eifer des Gefechts eine entsetzliche tödliche Verletzung zu und wurde von seiner Bürde befreit.

Man konnte es nur hoffen.

Ein Hupen, gefolgt von quietschenden Reifen, war das erste Zeichen dafür, dass das Unheil seinen Lauf nahm.

Tohr kam gerade rechtzeitig oben auf der Auffahrt an, um noch zu sehen, wie der Jäger über die Motorhaube eines unscheinbaren Toyotas segelte. Die Wucht des Aufpralls brachte die Limousine zum Stehen– den Fliehenden bremste sie kein bisschen. Wie alle Lesserwar der Mistkerl kräftiger und widerstandsfähiger als zu seiner Zeit als Mensch, denn das schwarze, ölige Blut von Omega stattete ihn mit einem größeren Motor, einer härteren Federung und einer besseren Lenkung aus– und mit Rennreifen, in seinem Fall.

Nur sein GPS konnte man wirklich in die Tonne treten.

Der Jäger machte eine Rolle über den Asphalt, sprang auf wie ein geübter Stuntman und rannte einfach weiter. Doch er war verletzt, und sein widerlicher Talkum-Gestank intensivierte sich.

Als Tohr auf Höhe des Fahrzeugs war, öffneten sich die Türen, und die zwei Insassen stolperten heraus und fuchtelten mit den Armen, als ob etwas in Flammen stünde.

»Polizei!«, schrie Tohr im Vorbeirennen. »Alles unter Kontrolle!«

Das beruhigte sie etwas und diente als eine erste Schadensbegrenzung. Jetzt konnte man sicher davon ausgehen, dass sie sich das Spektakel ansehen und es filmen würden. Ideal. Auf diese Weise konnte Tohr sie aufspüren, wenn die ganze Sache vorbei war, ihre Erinnerungen löschen und ihnen die Handys abnehmen.

Der Lesser rannte unterdessen auf den Fußweg zu– was nicht besonders helle war. Tohr an seiner Stelle hätte den Toyota gekapert und versucht, damit zu türmen…

»Das ist nicht dein Ernst«, presste Tohr hervor.

Anscheinend wollte der Jäger gar nicht auf den Gehweg, sondern auf den Brückenrand dahinter: Er sprang mit einem Satz über den umzäunten Fußgängerstreifen und landete auf dem schmalen Sims auf der anderen Seite. Dahinter lag nur noch der Hudson.

Der Lesser sah sich um, und im orangen Schein der Straßenlaternen hatte er das Gesicht eines Sechzehnjährigen, nachdem er im Beisein seiner Freunde ein Sixpack geleert hatte.

Riesenego. Null Hirn.

Er würde springen. Der Pisser würde garantiert springen.

Verdammter Idiot. Obwohl Omegas Cocktail den Jägern übermäßige Kraft verlieh, wurden die Naturgesetze für sie nicht einfach ausgehebelt. Und Newtons lustige kleine Gleichung darüber, dass Kraft der Masse mal Beschleunigung gleichkam, würde auch für ihn gelten. Wenn dieses kleine Stück Dreck also auf der Wasseroberfläche aufschlug, würde es ihn zerreißen und zusammenstauchen. Was ihn zwar nicht umbringen, aber dafür komplett kampfunfähig machen würde.

Diese Ratten starben nicht, es sei denn, man rammte ihnen einen Dolch ins Herz. Und sie konnten eine Ewigkeit im Fegefeuer der Verwesung vor sich hinvegetieren.

Was für ein Jammer.

Vor Wellsies Ermordung hätte es Tohr an diesem Punkt vermutlich gut sein lassen. Auf der Prioritätenliste des Krieges war viel entscheidender, die Menschen in einen Nebel des Vergessens zu hüllen und zu John Matthew und Qhuinn zurückzukehren, die sich immer noch mit der Angelegenheit in dieser Gasse befassten. Doch jetzt gab es für Tohr kein Zurück mehr: Auf irgendeine Weise würden er und dieser Jäger heute noch persönliche Bekanntschaft schließen.

Tohr hüpfte über die Leitplanke, landete auf dem Fußgängerweg und sprang auf die Absperrung. Dann griff er ins Gitter, schwang die Beine über den oberen Rand und landete mit den Füßen auf der Brüstung.

Der ausgelassene Übermut des Lessers ließ etwas nach, als er langsam zurückwich.

»Was? Dachtest du etwa, ich hätte Höhenangst?«, fragte Tohr leise. »Oder dass dich ein Meter fünfzig Maschendraht vor mir schützt?«

Der Wind heulte ihnen entgegen, klatschte ihnen die Kleidung an den Leib und pfiff in den Stahlträgern. Weit, weit unter ihnen waren die tiefschwarzen Fluten des Flusses nicht mehr als eine vage, dunkle Ahnung. Genauso gut hätte das dort in der Tiefe ein Parkplatz sein können.

Und es würde sich auch anfühlen wie Asphalt.

»Ich habe eine Pistole«, schrie der Lesser.

»Dann hol sie doch raus.«

»Meine Freunde kommen mir zu Hilfe.«

»Du hast keine Freunde.«

Der Lesser war ein Neuling, Haar, Augen und Haut waren noch kaum verblasst. Schlaksig und zappelig, wie er war, handelte es sich wahrscheinlich um einen Junkie, der an Hirnverbranntheit litt– was zweifelsohne der Grund war, warum er auf die Nummer mit der Gesellschaft der Lesser reingefallen war.

»Ich springe! Das meine ich ernst!«

Tohr umschloss den Griff einer seiner zwei Dolche und zog die schwarze Klinge aus dem Brusthalfter. »Dann hör auf zu reden und mach den Abflug.«

Der Jäger blickte über die Brüstung. »Ich tu’s! Ich schwör’s, ich tu’s!«

Ein Windstoß erfasste sie aus einer anderen Richtung und wehte Tohrs langen Ledermantel hinaus über den Abgrund. »Mir egal. Ich töte dich hier oben oder da unten.«

Der Lesser lugte erneut über die Kante, zögerte, doch dann ließ er los, sprang seitwärts ins große Nichts, mit rudernden Armen, als versuche er, das Gleichgewicht zu halten, um mit den Füßen zuerst aufzukommen.

Was ihm aus dieser Höhe vermutlich nur die Oberschenkelknochen in die Bauchhöhle treiben würde. Aber das war sicher besser, als den eigenen Kopf zu verschlucken.

Tohr steckte den Dolch zurück in die Scheide und machte sich für den eigenen Abflug bereit. Er holte tief Luft und…

Als er über die Kante trat und einen ersten Atemzug Antigravitation einsog, fiel ihm die Ironie seines Brückensprungs auf. So lange hatte er den Tod herbeigesehnt und darum gebetet, dass die Jungfrau der Schrift seine sterbliche Hülle hinauf zu seinen Lieben schicken möge. Doch Selbstmord war nie eine Option gewesen. Wer sich das Leben nahm, konnte nicht in den Schleier eintreten– das war der einzige Grund, warum er sich nicht die Pulsadern aufgeschlitzt, den Lauf einer Pistole in den Mund gesteckt oder… den Sprung von einer Brücke gewagt hatte.

Während des Falls gestattete er sich die wundervolle Vorstellung, dass dies das Ende war, dass der Aufprall, der in eineinhalb Sekunden bevorstand, die Beendigung all seines Leids darstellte. Er müsste nur seine Flugbahn ändern und in Tauchposition gehen und dann den Kopf nicht schützen und das Unabwendbare geschehen lassen: Ohnmacht, wahrscheinlich Lähmung, Tod durch Ertrinken. Nur dass ihm dieser Abgang nicht gestattet war. Denn wer auch immer für Abgänge zuständig war, würde wissen, dass es für ihn, anders als für den Lesser, einen Ausweg gab.

Also sammelte sich Tohr in Gedanken und dematerialisierte sich aus dem freien Fall– eben noch in den Klauen der Schwerkraft, war er im nächsten Moment nichts als eine unsichtbare Wolke von Molekülen, die er kraft seines Willens in jede beliebige Richtung lenken konnte.

Nebenan kam der Jäger auf dem Wasser auf, aber nicht mit einem Platsch!, wie bei einem Sprung vom Beckenrand, und auch nicht mit dem Pa-tschum des Sprungturmspringers. Der Pisser schlug ein wie eine Bombe, und die Explosion klang wie eine durchbrochene Schallmauer, während Gallonen von verdrängtem Hudson-Wasser in die kalte Luft emporschossen.

Tohr hingegen wählte den mächtigen Betonpfeiler rechts des Aufschlagorts. Drei… zwei… eins…

Bingo.

Ein Kopf tauchte ein Stück flussabwärts von der noch immer brodelnden Einschlagstelle entfernt auf. Keine rudernden Arme, bei dem Versuch, an Luft zu kommen. Kein Beingestrampel. Kein Keuchen.

Aber das Ding war nicht tot: Man konnte die Biester mit dem Auto auf die Hörner nehmen, sie verprügeln, bis einem die Faust abfiel, ihnen Arme und/oder Beine ausreißen, tun, was immer man wollte… sie lebten weiter.

Diese Scheusale waren die Zecken der Unterwelt. Und ihm würde es nicht erspart bleiben, nass zu werden.

Tohr schälte sich aus seinem Mantel, faltete ihn sorgfältig zusammen und legte ihn am Fuß des Pfeilers auf den breiten, im Wasser verankerten Betonsockel. Mit dem Ding ins Wasser zu springen war ein sicheres Rezept, um zu ertrinken. Außerdem musste er seine Vierziger und sein Handy schützen.

Er nahm ein paar große Schritte Anlauf, um mit einem Sprung ins offene Wasser zu gelangen, und hechtete los, die Arme über dem Kopf, Handflächen aufeinander, Körper pfeilgerade durchgestreckt. Anders als der Lesser tauchte er elegant und geschmeidig ins Wasser ein, obwohl auch er aus einer Höhe von vier bis fünf Metern gesprungen war.

Kalt. Wirklich richtig scheiße kalt.

Schließlich war es Ende April hier nördlich von New York– mit so etwas wie auch nur annähernd lauen Nächten war frühestens in einem Monat zu rechnen.

Tohr ließ die Luft durch den Mund ausströmen, während er mit kräftigen Zügen an die Oberfläche ruderte, wo er in zügigen Freistil verfiel. Er erreichte den Jäger, packte ihn an der Jacke und zog das nasse Bündel ans Ufer.

Wo er diese Sache zu Ende bringen würde. Um nach dem Nächsten Ausschau zu halten.

Als Tohr seitlich von der Brücke sprang, zog John Matthews Leben vor seinem geistigen Auge vorüber– so als hätte er selbst den Schritt ins Nichts getan.

Er war gerade damit beschäftigt, den Lesser abzufertigen, den er gejagt hatte, am Ufer unter der Ausfahrt, da geschah es: Aus dem Augenwinkel sah er etwas aus großer Höhe in den Hudson stürzen.

Erst hatte er nicht verstanden. Jeder Lesser mit auch nur einem Funken Verstand musste wissen, dass dies kein Ausweg war. Doch dann war plötzlich alles viel zu klar geworden. Eine Gestalt stand am Rand der Brücke, und der Ledermantel flatterte über dem Fluss wie ein Leichentuch.

Tohrment.

Neeeeeein, hatte John geschrien, ohne dabei einen Laut von sich zu geben.

»Ach du Scheiße, er wird springen«, keuchte Qhuinn hinter ihm.

John stürzte los, so wenig es auch half, und stieß dann einen weiteren stummen Schrei aus, als dieser Vampir lossprang, der für ihn fast so etwas wie ein Vater war.

Später würde John darüber sinnieren, dass in solchen Momenten wohl das geschah, was die Leute vom Tod selbst erzählten– wenn man etwas beobachtete, das auf das sichere Ende hinauslief, schaltete der Kopf auf Diavortrag und zeigte Ausschnitte aus dem Leben.

John am Tisch bei Tohr und Wellsie in dieser ersten Nacht, nachdem er in die Vampirwelt aufgenommen worden war… Tohrs Gesicht, als der Bluttest ergab, dass John der Sohn von Darius war… dieser albtraumhafte Moment, als die Bruderschaft zu ihnen kam und ihnen eröffnete, dass Wellsie nicht mehr war…

Dann kamen Bilder vom zweiten Akt: Wie Lassiter einen vollkommen ermatteten, ausgemergelten Tohr von irgendwoher anschleppt… Wie Tohr und John schließlich gemeinsam an dem Mord zerbrechen… Wie Tohr langsam wieder zu Kräften kommt… Wie Johns eigene Shellan in dem roten Kleid erscheint, in dem sich Wellsie mit Tohr vereinigt hatte…

Mann, das Schicksal war wirklich das Letzte. Es platzte bei jedem in den Garten und zertrampelte die Rosenbeete.

Und dann setzte es zur Krönung noch einen fetten, stinkenden Haufen in die Mitte.

Doch plötzlich löste sich Tohr in Luft auf. Gerade stürzte er noch in den Abgrund, im nächsten Moment war er verschwunden.

Dem Himmel sei Dank, dachte John.

»Dem Himmel sei gedankt«, hauchte auch Qhuinn.

Einen Moment später schoss ein dunkler Blitz hinter einem der Brückenpfeiler hervor ins Wasser.

Ohne einen Blick oder irgendwelche Worte zu wechseln, rannten er und Qhuinn in diese Richtung und kamen gerade am felsigen Ufer an, als Tohr sich wieder materialisierte, den Jäger packte und ans Ufer paddelte. John brachte sich in Position, um zu helfen, den Lesser herauszuziehen, und heftete dabei den Blick auf Tohrs verbissenes, bleiches Gesicht.

Der Vampir sah aus wie tot, obwohl er streng genommen lebte.

Hab ihn, signalisierte John in Gebärdensprache, beugte sich nach vorne, ergriff einen Arm und hievte den durchweichten Jäger aus dem Fluss. Das Ding sackte in sich zusammen und gab ein wundervolles Bild ab, wie ein Fisch mit Glupschaugen und aufgerissenem Maul. Aus seiner Kehle drangen leise, klickende Geräusche.

Doch das eigentliche Problem war Tohr, und John musterte ihn skeptisch, als er aus dem Wasser stieg: Die Lederhose klebte an den dürren Oberschenkeln, das ärmellose Shirt haftete wie eine zweite Haut an der flachen Brust, das kurze schwarze Haar mit der weißen Strähne stand in alle Richtungen ab, obgleich es nass war.

Finstere blaue Augen waren auf den Lesser geheftet.

Oder sie mieden bewusst Johns Blick.

Vermutlich beides.

Tohr packte den Lesser an der Gurgel. Dann bleckte er gefährlich lange Fänge und knurrte: »Hab dich gewarnt.«

Damit zog er seinen schwarzen Dolch und begann, auf sein Opfer einzustechen.

John und Qhuinn mussten einen Schritt zurücktreten. Sonst hätte ihnen das Spektakel einen Anstrich verpasst.

»Er könnte ihm doch einfach in die verdammte Brust stechen«, murmelte Qhuinn, »und dieser Sache ein Ende setzen.«

Aber hier ging es nicht allein darum, den Jäger zu töten. Hier ging es ums Schänden.

Die scharfe schwarze Klinge durchbohrte jeden Zentimeter Fleisch– abgesehen von der Brust, wo sich bei dem Kerl sozusagen der Lichtschalter befand. Mit jedem vernichtenden Hieb stieß Tohr keuchend die Luft aus, und mit jedem Herausreißen der Klinge atmete er wieder ein, sodass seine Atmung die scheußliche Szene diktierte.

»Jetzt weiß ich, wie man Hackfleisch herstellt.«

John rieb sich das Gesicht und hoffte, dass der Kommentar damit zu Ende war.

Tohr wurde nicht langsamer. Er hörte einfach auf. Und dann sackte er zur Seite und stützte sich mit einer Hand auf der öldurchtränkten Erde ab. Der Jäger war… nun ja, zerhackt, aber noch nicht tot.

Doch ihm zu helfen kam nicht infrage. Obwohl Tohr vollkommen erschöpft war, wussten John und Qhuinn nur zu gut, dass sie sich nicht in dieses Finale einmischen durften. Sie hatten das schon öfter erlebt. Der endgültige Todesstoß musste Tohr gehören.

Nach einem kurzen Moment erholte sich der Bruder, brachte sich schwankend in Position, umfasste den Dolch mit beiden Händen und hob ihn über den Kopf.

Ein heiserer Schrei brach sich aus seiner Kehle, als er die Spitze tief in der Brust seiner Beute oder dem, was davon noch übrig war, versenkte. Als gleißendes Licht aufblitzte, wurde Tohrs trauriges Gesicht beleuchtet, und seine verzerrten, furchterregenden Züge waren wie ein Ausschnitt aus einem Comic, eingefangen für den Moment… und für die Ewigkeit.

Er blickte immer in den Lichtblitz, obwohl die kurz aufflammende Sonne eigentlich zu grell für die Augen war.

Und dann sank er in sich zusammen, als hätte sich seine Wirbelsäule in Wackelpudding verwandelt, und seine Kraft erlosch. Es war offensichtlich, dass er sich nähren musste, doch wie so vieles andere war auch dieses Thema tabu.

»Wie spät ist es?«, brachte er zwischen zwei Atemzügen hervor.

Qhuinn warf einen Blick auf seine Suunto. »Drei.«

Tohr löste den Blick vom besudelten Boden, auf den er gestarrt hatte, und richtete seine rot geäderten Augen auf den Teil der Stadt, aus dem sie gerade gekommen waren.

»Wie wäre es, wenn wir zurück zum Anwesen gehen?« Qhuinn zückte sein Handy. »Butch ist nicht weit von uns…«

»Nein.« Tohr stieß sich ab und setzte sich auf den Hintern. »Ruf niemand an. Ich fühle mich gut– ich muss nur kurz durchatmen.«

Schwachsinn. Der Kerl fühlte sich gewiss kein bisschen besser als John in diesem Moment. Dabei war nur einer von ihnen patschnass, und das bei Sturm und zehn Grad Kälte.

John hielt dem Bruder die Hände vors Gesicht. Wir gehen jetzt heim…

Da wehte der Wind, wie ein Alarmsignal, das durch ein stilles Haus schallt, den Geruch von Talkum in ihre Nasen.

Der Gestank bewirkte, was alles Durchatmen im Sitzen nicht bewerkstelligen konnte: Er brachte Tohr wieder auf die Beine. Seine Erschöpfung und Orientierungslosigkeit waren wie weggeblasen– zur Hölle, hätte man ihn darauf hingewiesen, dass er noch immer nass wie ein Fisch war, wäre er wahrscheinlich überrascht gewesen.

»Da sind noch mehr«, knurrte er.

Als er sich auf den Weg machte, verfluchte John den Wahnsinnigen.

»Los«, meinte Qhuinn. »Schwing die Hufe. Das wird eine lange Nacht.«

2

»Nimm dir ein paar Tage frei… spann aus… lass es dir gut gehen…«

Xhex unterhielt mit ihrem Gemurmel ein Publikum aus antiken Möbeln, während sie vom Schlafzimmer ins Bad ging. Und wieder raus. Und… einmal mehr in den Marmortempel.

In dem Bad, das sie und John jetzt teilten, blieb sie vor dem ausladenden Whirlpool stehen. Neben den Messingarmaturen stand ein Silbertablett mit allen möglichen Cremes, Tinkturen und Schnickschnack. Und das war noch lange nicht alles. An den Waschbecken stand ein zweites Tablett mit der gesamten Palette von Chanel: Cristalle, Coco, No. 5, Coco Mademoiselle. Dann war da noch ein zartes Weidenkörbchen mit Bürsten, einige davon mit kurzen Noppen, andere mit spitzen Borsten oder Metallzinken. In den Schränkchen reihten sich Nagellacke in Rosatönen, bei denen selbst Barbie einen epileptischen Anfall bekommen hätte. Und daneben standen fünfzehn verschiedene Schaumfestiger. Gels. Haarsprays.

Also bitte!

Mal ganz abgesehen von dem ganzen Bobbi-Brown-Make-up.

Was glaubten die eigentlich, wer hier eingezogen war? Eine von diesen durchgeknallten Kardashian-Schwestern?

Und wo sie schon dabei war… Verfluchte Scheiße, sie konnte nicht fassen, dass sie jetzt wusste, wer Kim, Kourtney, Khloe und Kris waren, der Bruder Rob, der Stiefvater Bruce, die kleinen Schwestern Kendall und Kylie, genauso wie die diversen Ehegatten, Freunde und dieser Junge Mason…

Sie begegnete ihrem Blick im Spiegel und dachte: hochinteressant. Sie hatte es geschafft, sich das Hirn mit schlechten Fernsehshows wegzupusten.

Das war lange nicht so schmutzig wie mit einer abgesägten Schrotflinte, aber mindestens so effektiv.

»Diese Scheiße sollten sie wirklich mit einem Warnhinweis versehen.«

Im Spiegel vor sich musterte sie das kurz rasierte schwarze Haar und die blasse Haut sowie den harten, durchtrainierten Körper. Die kurzen Nägel. Das gänzliche Fehlen von Make-up. Sie hatte sogar ihre eigene Kleidung an, das schwarze ärmellose Shirt und die Lederhose. Das war die Uniform, die sie seit Jahren Nacht für Nacht trug.

Nun ja, mit Ausnahme der Nacht vor ein paar Tagen. Da hatte sie etwas völlig anderes angehabt.

Vielleicht war dieses Kleid der Grund für den ganzen Girlie-Kram, der nach der Vereinigungszeremonie aufgetaucht war: Fritz und die Doggen hatten vielleicht geschlossen, dass sie ein neues Leben beginnen wollte. Entweder das, oder das alles war ganz einfach der übliche Willkommensgruß für eine frischgebackene Shellan.

Xhex wandte sich ab und legte die Hände an den Halsansatz, auf den großen, quadratischen Diamanten, den John ihr geschenkt hatte. Er war in robustes Platin gefasst und der einzige Schmuck, den sie jemals tragen würde: roh, solide, geeignet, einen anständigen Kampf zu überstehen, ohne verloren zu gehen.

In dieser neuen Welt von Shampoo, Haarfestiger und Duftwässerchen verstand zumindest John sie noch immer. Und den Rest von ihnen konnte man vielleicht noch erziehen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie diesen Kerlen Nachhilfe geben musste, die glaubten, bloß weil man Brüste hatte, gehört man in einen goldenen Käfig. Und sollte jemand versuchen, sie in eine Glymera-Schnitte zu verwandeln, dann würde sie kurzerhand die goldenen Stäbe zersägen, eine Bombe in den Sockel setzen und die qualmenden Überreste an einen Lüster in der Eingangshalle hängen.

Sie ging ins Schlafzimmer, öffnete den Schrank und zog das rote Kleid heraus, das sie bei der Zeremonie getragen hatte. Das einzige Kleid, das sie je tragen würde– und zugegebenermaßen hatte es ihr gefallen, wie John es ihr mit den Zähnen ausgezogen hatte. Und ja, klar, die Nächte, die sie ganz für sich gehabt hatten, waren toll gewesen– das war jetzt ihre erste Pause seit Ewigkeiten. Sie hatten sich vollkommen dem Sex hingegeben, sich voneinander genährt, lecker gegessen und die Sache wiederholt, unterbrochen von ausgiebigem Schlafen.

Aber jetzt war John wieder im Einsatz auf der Straße– während sie selbst erst morgen Abend wieder eingeteilt war.

Es waren nur vierundzwanzig Stunden, ein Aufschub, keine Sackgasse.

Also, was hatte sie eigentlich für ein Problem?

Vielleicht hatten diese ganzen Schicksen die Zicke in ihr geweckt. Man hatte sie nicht eingesperrt, niemand nötigte sie, sich zu ändern, und dieser dämliche Kardashian-Marathon in der Glotze war ihre eigene verdammte Schuld gewesen. Und der ganze Schönheitskram? Die Doggen wollten einfach nur nett sein und kannten es eben nicht anders.

Nicht viele Frauen waren wie sie. Und nicht nur, weil sie zur Hälfte Symphath…

Stirnrunzelnd blickte sie über die Schulter.

Sie ließ den Satin aus den Händen gleiten und konzentrierte sich ganz auf das emotionale Raster draußen im Flur.

Für ihre Symphathen-Sinne war das dreidimensionale Gebilde aus Trauer, Verlust und Scham so greifbar wie ein Gebäude, das man passieren, umrunden oder von innen erkunden konnte. Leider gab es in diesem Fall keine Möglichkeit, die schadhaften Träger oder das Loch im Dach zu reparieren, oder die maroden elektrischen Leitungen auszuwechseln: Auch wenn sie das Gefühlsgebäude einer Person empfand wie deren Haus, gab es keine Subunternehmer, die anrückten und in Ordnung brachten, was nicht mehr funktionierte, keine Klempner oder Elektriker oder Maler für diese Art von Reparatur. Der Hauseigentümer musste selbst richten, was kaputt oder ramponiert war, keiner konnte ihm das abnehmen.

Xhex trat hinaus in den Gang mit den Statuen und spürte eine leichte Erschütterung in ihrem eigenen kleinen Häuschen. Doch die in eine Robe gehüllte, lahmende Gestalt vor ihr war schließlich auch ihre Mutter.

Verdammt, es fühlte sich immer noch seltsam an, diese Bezeichnung zu verwenden, selbst in Gedanken– und in vielerlei Hinsicht passte sie auch nicht.

Xhex räusperte sich. »Guten Abend… äh…«

Es klang unpassend, Mahmen oder Mutter oder Mom zu sagen. Doch No’One– wie sie genannt werden wollte– klang genauso merkwürdig. Wie aber sollte man jemanden nennen, der von einem Symphathen entführt und gewaltsam zur Empfängnis gezwungen worden war, bevor er dann das Ergebnis dieser Folter gebären musste?

Vor und Nachname: Tut und Leid. Zweiter Vorname: Mir.

Als No’One sich umwandte, verdeckte die Kapuze ihr Gesicht. »Guten Abend. Wie geht es dir?«

Die Worte ihrer Mutter klangen steif, was vermuten ließ, dass ihr die Alte Sprache geläufiger war. Und ihre vollkommen überflüssige Verbeugung wirkte leicht schief, wahrscheinlich wegen der Verletzung, die auch für ihr Hinken verantwortlich war.

Doch der Geruch, den sie verströmte, stammte ganz bestimmt nicht aus der Kollektion von Chanel. Es sei denn, man hatte kürzlich eine Linie unter dem Namen Tragik auf den Markt gebracht.

»Danke, gut.« Ruhelos und gelangweilt hätte es wohl eher getroffen. »Wohin gehst du?«

»Das Gesellschaftszimmer aufräumen.«

Xhex unterdrückte ein erschrockenes Nein. Fritz ließ niemanden außer den anderen Doggen auch nur einen Finger im Anwesen rühren– und No’One war zwar hergekommen, um sich um Payne zu kümmern, aber sie wohnte in einem Gästezimmer, aß mit den Brüdern am Tisch und war hier als Mutter einer Shellan anerkannt. Sie war alles andere als ein Zimmermädchen.

»Ja, äh,… was hältst du davon, wenn wir…« Tja, was tun, fragte sich Xhex. Was konnten sie beide schon zusammen machen? Xhex war eine Kriegerin. Ihre Mutter war… ein Geist, den man anfassen konnte. Das bot nicht gerade viele Gemeinsamkeiten.

»Ist schon gut«, sagte No’One sanft. »Es ist nicht leicht…«

Ein Donner echote durch die Eingangshalle unter ihnen, als hätten sich Wolken geformt und das Haus mit Regen und Gewitter überzogen. Während No’One zurückwich, blickte Xhex über die Schulter. Was zur Hölle…

Rhage alias Hollywood alias der Größte und Schönste der Brüder sprang regelrecht auf die Balustrade im ersten Stock. Als er landete, wirbelte sein blonder Kopf in ihre Richtung, und seine türkisblauen Augen standen in Flammen.

»John Matthew hat angerufen. Sie brauchen alle verfügbaren Kräfte in der Stadt. Schnall dir die Waffen um, wir treffen uns in zehn Minuten im Hof.«

»Ach du Scheiße«, zischte Xhex und schlug die Hände zusammen.

Als sie sich wieder ihrer Mutter zuwandte, zitterte diese, versuchte aber, es zu verbergen.

»Ist schon in Ordnung«, sagte Xhex. »Ich bin gut im Kämpfen. Mir passiert schon nichts.«

Nette Worte. Doch das war es gar nicht, was diese Frau in Angst versetzte. Ihr emotionales Raster zeigte Furcht, ja… aber vor Xhex.

Kein Wunder. Weil Xhex zur Hälfte Symphathin war, dachte No’One natürlich erst einmal daran, dass sie gefährlich war, bevor ihr in den Sinn kam, dass es sich ja um ihre Tochter handelte.

»Ich lass dich in Frieden«, sagte Xhex. »Keine Sorge.«

Als sie zurück auf ihr Zimmer zulief, konnte sie das Stechen in der Brust nicht länger ignorieren. Aber genauso wenig konnte sie die Wirklichkeit ignorieren. Ihre Mutter hatte sie nicht gewollt.

Und wollte sie noch immer nicht.

Wer konnte es ihr auch verübeln?

Unter ihrer Kapuze hervor sah No’One zu, wie die große, starke, schonungslose Frau, die sie zur Welt gebracht hatte, davoneilte, um gegen den Feind zu kämpfen.

Xhexania schien die Aussicht auf einen Kampf gegen tödliche Lesser kein bisschen zu schrecken. Im Gegenteil, so, wie sie das Gesicht beim Befehl des Bruders verzogen hatte, schien es ihr sogar Vergnügen zu bereiten.

No’One bekam ganz weiche Knie bei dem Gedanken, was sie da in die Welt gesetzt hatte, diese Vampirin mit Kraft in den Gliedern und Rachsucht im Herzen. So hätte kein weibliches Mitglied der Glymera reagiert. Andererseits hätte man die auch nie angesprochen.

Aber der Symphath steckte nun mal in ihrer Tochter.

Gütige Jungfrau der Schrift…

Und doch, als Xhexania sich abgewandt hatte, war etwas über ihr Gesicht gehuscht, das sie eilig versteckt hatte.

No’One eilte den Gang entlang zum Zimmer ihrer Tochter und klopfte sanft an die schwere Tür.

Es dauerte einen Moment, bis Xhexania öffnete. »Hallo.«

»Es tut mir leid.«

Das löste keine Reaktion aus. Zumindest keine sichtbare. »Was tut dir leid?«

»Ich weiß, wie es ist, von den Eltern abgelehnt zu werden. Ich will nicht, dass du…«

»Schon okay.« Xhexania zuckte die Schultern. »Ist ja nicht so, dass ich nicht wüsste, was dir passiert ist.«

»Ich…«

»Hör zu, ich muss mich fertig machen. Komm rein, wenn du willst, aber sei gewarnt: Ich ziehe mich nicht zum Kaffeekränzchen an.«

No’One zögerte vor der Schwelle. Das Zimmer sah recht bewohnt aus: Das Bett war zerwühlt, Lederhosen hingen über Stühlen, zwei Paar Stiefel lagen auf dem Boden, zwei Weingläser standen auf einem Tischchen in der Ecke bei der Chaiselongue. Und überall hing der Bindungsduft eines vollblütigen Vampirs in der Luft, dunkel und sinnlich.

Haftete auch Xhexania selbst an.

Es klickte ein paarmal, und No’One schielte um die Tür. Xhexania stand vor dem Schrank und prüfte eine heimtückisch aussehende Pistole. Sie wirkte sehr geübt. Dann steckte sie die Waffe in den Halfter unter dem Arm und holte eine zweite raus. Anschließend kamen die Patronen und ein Messer…

»Dir wird es nicht leichter mit mir fallen, wenn du weiter da stehst.«

»Ich bin nicht meinetwegen gekommen.«

Das brachte den routinierten Bewegungsablauf ins Stocken. »Sondern?«

»Mir ist dein Gesicht eben nicht entgangen. Ich will dir das nicht antun.«

Xhexania zog eine schwarze Lederjacke aus dem Schrank, zwängte sich hinein und fluchte. »Hör zu, lass uns nicht so tun, als hätte irgendwer von uns meine Geburt gewollt, okay? Ich entbinde dich von deiner Schuld, du mich von meiner, wir beide waren wehrlose Opfer, bla, bla, bla. Darauf sollten wir uns einigen und dann getrennter Wege gehen.«

»Bist du dir sicher, dass du das willst?«

Xhexania erstarrte, dann sah sie No’One scharf an. »Ich weiß, was du getan hast. In der Nacht meiner Geburt.«

No’One trat einen Schritt zurück. »Wie…«

Xhexania deutete auf ihre Brust. »Ich bin eine Symphathin, schon vergessen?« Die Kriegerin kam auf sie zu, raubtierhaft, lauernd. »Das heißt, ich kann in Leute hineinsehen– deshalb spüre ich auch die Angst, die du in diesem Moment empfindest. Und das schlechte Gewissen. Und den Schmerz. Allein mich zu sehen versetzt dich zurück an den Ort, an dem all das geschah– und ja, ich weiß, dass du dir lieber einen Dolch in den Bauch gerammt hast, als dich einer Zukunft mit mir zu stellen. Also, wie gesagt, wie wäre es, wenn du und ich einander in Zukunft meiden und uns beiden den Stress ersparen?«

No’One hob das Kinn. »Fürwahr. Du bist ein echtes Halbblut.«

Dunkle Brauen schossen nach oben. »Wie bitte?«

»Du spürst nur einen Teil dessen, was ich für dich empfinde. Oder vielleicht willst du aus nur dir bekannten Gründen nicht sehen, dass ich mir wünsche, für dich da zu sein.«

Obwohl die Vampirin bis an die Zähne bewaffnet war, wirkte sie plötzlich ungemein verletzlich.

»Verbaue uns nicht jeden Weg durch deinen ruppigen Selbstschutz«, flüsterte No’One. »Wir müssen keine Nähe erzwingen, die nicht besteht. Aber lass sie uns nicht im Keim ersticken, wenn es eine Chance gibt, dass sie noch sprießt. Vielleicht… vielleicht kannst du mir heute Nacht einfach sagen, ob ich dir auf irgendeine bescheidene Weise helfen kann. So können wir anfangen… und sehen, was daraus wird.«

Xhexania setzte sich in Bewegung und lief umher. Sie war muskulös und sehnig wie ein Mann, gekleidet wie ein Mann, und selbst ihre Energie war maskulin. Vor dem Kleiderschrank blieb sie stehen, und nach einem Moment zog sie das rote Kleid hervor, das Tohrment ihr in der Nacht ihrer Vereinigung gegeben hatte.

»Hast du den Satin gereinigt?«, fragte No’One. »Und ich will damit nicht sagen, dass du es bekleckert hast. Aber feine Stoffe müssen gepflegt werden, sonst verschleißen sie.«

»Ich habe keine Ahnung, wie man so etwas macht.«

»Darf ich also?«

»Ach, das ist schon in Ordnung.«

»Bitte. Gestatte es mir.«

Xhexania sah sie an. Leise sagte sie: »Aber warum solltest du das tun wollen?«

Die Wahrheit war so simpel wie die folgenden vier Worte und doch so komplex wie eine ganz eigene Sprache. »Weil du meine Tochter bist.«

3

In der Innenstadt von Caldwell schüttelte Tohr Kälte, Schmerz und Erschöpfung ab und nahm erneut die Verfolgung auf: Der Geruch von frischem Lesser-Blut wirkte wie Kokain bei ihm, putschte ihn auf und gab ihm die Kraft weiterzumachen.

Hinter sich hörte er die anderen beiden aufschließen, nur wusste er zu gut, dass sie es nicht auf den Feind abgesehen hatten– aber sie würden kein Glück haben, wenn sie ihn zurück zum Anwesen bringen wollten. Das vermochte allein die Dämmerung zu bewirken.

Außerdem verbesserten sich seine Chancen auf wenigstens ein, zwei Stunden Schlaf, wenn er sich ordentlich verausgabte.

Er bog in eine Gasse und kam schlitternd zum Stehen. Vor ihm hatten sieben Lesser zwei Kämpfer umzingelt, aber das in ihrer Mitte waren nicht Z und Phury oder V und Butch oder Blaylock und Rhage.

Der Linke hielt eine Sichel in der Hand. Eine große, scharf geschliffene Sichel.

»Ach du Scheiße«, murmelte Tohr.

Der Vampir mit der geschwungenen Klinge stand breitbeinig auf dem Asphalt wie ein Gott, die Waffe erhoben, das hässliche Gesicht zu einem erwartungsvollen Grinsen verzogen, als wollte er sich eben an einen reich gedeckten Tisch setzen. Den Vampir an seiner Seite hatte Tohr seit Urzeiten nicht gesehen, und er erinnerte auch kaum mehr an den Kerl, den er einstmals im Alten Land getroffen hatte.

Es sah ganz so aus, als wäre Throe, Sohn des Throe, in schlechte Gesellschaft geraten.

John und Qhuinn bauten sich rechts und links von ihm auf, und Letzterer blickte ihn von der Seite an. »Sag mir, dass das nicht unser neuer Nachbar ist.«

»Xcor.«

»Wurde er mit dieser Fresse geboren, oder hat sie ihm jemand verpasst?«

»Wer weiß?«

»Tja, wenn das eine neue Nase werden sollte, sucht er sich besser einen anderen Schönheitschirurgen.«

Tohr wandte sich an John. »Texte ihnen, dass sie nicht kommen sollen.«

Wie bitte?, gebärdete der Junge.

»Ich weiß, dass du bei den Brüdern zu Hause Verstärkung angefordert hast. Sag ihnen, es war ein Fehler. Sofort.« Als John etwas einwenden wollte, fuhr er ihm über den Mund. »Möchtest du hier einen richtigen Krieg anzetteln? Wenn du die Bruderschaft hinzuziehst, holt Xcor seine Leute, und auf einmal stehen wir mit dem Rücken zur Wand ohne eine Strategie. Wir erledigen das hier allein– ich meine es ernst, John. Ich hatte schon mit diesen Jungs zu tun. Du nicht.«

Als John ihm prüfend in die Augen blickte, hatte Tohr wie so oft das Gefühl, dass sie diese Art Situationen schon erheblich länger gemeinsam durchlebten als erst ein paar Monate.

»Du musst mir vertrauen, mein Sohn.«

Als Antwort formte John einen Fluch mit den Lippen, holte sein Handy raus und schrieb eine SMS.

In diesem Moment bemerkte Xcor die Neuankömmlinge. Trotz der Überzahl an Lessern vor ihm lachte er. »Sieh einer an, die Black Dagger sind da– und gerade rechtzeitig, um uns zu retten. Sollen wir auf die Knie gehen?«

Die Jäger wirbelten herum– ein großer Fehler. Xcor verschwendete keine Sekunde. Er beschrieb einen Bogen mit seiner Sense und traf zwei von ihnen unten am Rücken. Das war sein Startschuss. Als die beiden zu Boden gingen, teilten sich die anderen in zwei Lager. Das eine ging auf Xcor und Throe los, das andere stürzte sich auf Tohr und seine Jungs.

Tohr brüllte und stellte sich dem Angriff mit bloßen Händen, indem er nach vorne sprang und sich den ersten Lesser schnappte, der in seine Reichweite kam. Er packte ihn am Schopf, riss das Knie hoch und schlug ihm das Gesicht ein. Dann drehte er ihn herum und schleuderte den schlaffen Kerl Kopf voraus gegen einen Müllcontainer.

Als das Scheppern verklang, nahm sich Tohr den Nächsten vor. Eigentlich hätte er gerne mit den Fäusten weitergekämpft, aber er wollte sich nicht zu lange aufhalten: Am hinteren Ende der Gasse glitten sieben weitere Newbies an einem Maschendrahtzaun herab wie Schlangen von einem Baum.

Tohr zog beide Dolche, verschaffte sich festen Stand und legte sich eine Angriffsstrategie für die neu Hinzugekommenen zurecht. Wow, man konnte über Xcors moralische Einstellung, Gesellschaftsfähigkeit und GQ-Eignung sagen, was man wollte, aber kämpfen konnte er. Er schwang seine Sense, als hätte sie kein Gewicht, und er hatte ein ausgezeichnetes Gespür für Distanzen– Körperteile von Lessern flogen nur so durch die Luft, Hände, ein Kopf, ein Arm. Der Kerl war unglaublich effektiv, doch Throe war auch nicht ohne.

So verrückt es war und obwohl es keiner wollte, verfielen Tohr und seine Crew in einen Rhythmus mit den Lumpen: Xcor trieb die erste Runde in die wartenden Klingen am Ausgang der Gasse, während sein Lieutenant die zweite Welle auf Abstand hielt, damit keiner in die Enge gedrängt wurde. Nachdem Tohr, John und Qhuinn dem größten Ansturm Herr geworden waren, wurden die restlichen Jäger einer nach dem anderen zur Schlachtbank geschickt– frisch verwundet.

Während es am Anfang noch um die Show gegangen war, wurde jetzt hart geschuftet. Xcor vollführte keine ausgefallenen Moves mit seiner breiten Sense, Throe sprang nicht herum. John und Qhuinn arbeiteten höchst konzentriert.

Und Tohr widmete sich ganz der Vergeltung.

Die Jäger waren alle Neulinge– und stellten sich dementsprechend ungeschickt an. Aber ihre schiere Masse konnte das Blatt durchaus noch wenden…

Eine dritte Schwadron sprang soeben über den Zaun.

Als sie einer nach dem anderen auf dem Asphalt landeten, bereute Tohr seine Anweisung an John. Er hatte sich von seiner Rachgier verleiten lassen. Von wegen, er wollte einen Showdown von Bruderschaft versus Xcor vermeiden. Er hatte die Lesser für sich allein gewollt. Das Ergebnis war, dass er jetzt Johns und Qhuinns Leben in Gefahr brachte. Xcor und Throe– die mochten heute sterben oder morgen, in einem Jahr, wann immer. Und was ihn selbst betraf– nun, von einer Brücke springen konnte man auf tausend verschiedene Arten.

Aber seine Jungs…? Sie mussten gerettet werden. John war jetzt ein Hellren. Und Qhuinn hatte sein Leben noch vor sich.

Es war nicht fair, dass sie wegen seiner Todessehnsucht früh ins Grab kamen.

Xcor, Sohn eines unbekannten Vaters, hielt seine Geliebte in den Händen. Seine Sense war die Einzige, die ihm jemals etwas bedeutet hatte, und heute Nacht, während er sich erst sieben Feinden stellte, aus denen vierzehn wurden und schließlich einundzwanzig, vergalt sie ihm seine Treue mit einer beispiellosen Darbietung.

Wenn sie sich im Einklang bewegten, war sie nicht nur eine Verlängerung seiner Arme, sondern Teil seines Körpers, seiner Augen, seines Hirns. Er war kein Kämpfer mit einer Waffe. Als Einheit bildeten sie ein Ungeheuer mit gewaltigen Kiefern. Das war es, was ihm gefehlt hatte. Das war der Grund, warum er den Ozean überquert hatte und in die Neue Welt gekommen war: um ein neues Leben zu finden in einem neuen Land, wo es noch viele von den alten, würdigen Gegnern gab.

Doch bei seiner Ankunft hatte sein Ehrgeiz ein noch hochfliegenderes Ziel auserkoren. Was bedeutete, dass ihm die anderen Vampire hier im Weg waren.

Am Ausgang der Gasse bot Tohrment, Sohn des Hharm, ein beeindruckendes Spektakel. Auch wenn Xcor es nur ungern zugab: Der Bruder war ein unglaublicher Krieger. Die schwarzen Dolche wirbelten durch die Luft und fingen das Licht der Umgebung ein, Arme und Beine wechselten die Position in Sekundenbruchteilen, seine Balance und die Ausführung– absolute Perfektion.

Wäre der Bruder einer von Xcors Leuten gewesen, hätte er ihn womöglich töten müssen, um seine Führungsposition zu sichern: Es war eine der wichtigsten Regeln der Führerschaft, dass man jene eliminierte, die einem zu nahe kamen… obwohl seine Krieger keineswegs inkompetent waren– schließlich musste man sich auch der Schwachen entledigen.

Das und so viel mehr hatte ihm Bloodletter beigebracht.

Zumindest ein paar der Dinge waren nicht gelogen gewesen.

Doch für Leute wie Tohrment würde es nie einen Platz in seiner Truppe geben: Dieser Bruder und seinesgleichen würden sich niemals mit Leuten wie ihm an einen Tisch setzen und schon gar nicht mit ihnen zusammenarbeiten.

Obwohl sie es heute Nacht einen kurzen Moment lang taten. Im Laufe der Schlacht begannen er und Throe, sich mit den Brüdern zusammenzuschließen, indem sie Lesser in kleinen Gruppen in ihre Klingen trieben, wo die anderen drei sie zu Omega schickten.

Zwei Brüder, oder vielmehr Kandidaten für die Bruderschaft, begleiteten Tohr, und beide waren größer als er– tatsächlich war Tohr, Sohn des Hharm, nicht so kräftig wie einst. Vielleicht erholte er sich von einer kürzlich erworbenen Verletzung? Wie dem auch sei, Tohr hatte seine Begleiter weise gewählt. Der rechts war ein Hüne, ein wandelnder Beweis für die Wirksamkeit des Zuchtprogramms der Jungfrau der Schrift. Der andere ähnelte in Umfang und Größe eher Xcor und seinen Kriegern– was heißen sollte, er war nicht klein. Beide packten sicher und ohne Zögern zu und zeigten keine Furcht.

Als es schließlich vorbei war, atmete Xcor schwer, und seine Arme waren taub von der Anstrengung. Alles, was Fänge hatte, stand. Alle mit schwarzem Blut in den Adern waren fort, zurückgeschickt zu ihrem widerlichen Schöpfer.

Die fünf Vampire verharrten in ihren Positionen, die Waffen in den Händen, während sie keuchten und nach möglichen Anzeichen eines Angriffs seitens der anderen Ausschau hielten.

Xcor schielte zu Throe und nickte beinahe unmerklich. Hätte die Bruderschaft Verstärkung hinzugerufen, wären sie nicht lebendig aus einer Schlacht gegen sie hervorgegangen. Aber gegen diese drei hier? Er und sein Helfer hatten eine Chance, aber es würde Verletzte geben.

Er war nicht nach Caldwell gekommen, um zu sterben. Er war hier, um König zu werden.

»Ich freue mich schon auf ein Wiedersehen, Tohrment, Sohn des Hharm«, rief er.

»Du willst schon gehen?«, erwiderte der Bruder.

»Hast du etwa gedacht, ich würde mich vor dir verbeugen?«

»Nein, dafür müsstest du Klasse haben.«

Xcor lächelte kalt und bleckte seine Fänge, die sich nun verlängerten. Seine Wut bändigte er durch schiere Selbstbeherrschung– und die Tatsache, dass er bereits mit dem Bearbeiten der Glymera begonnen hatte. »Anders als die Bruderschaft nutzen wir Fußsoldaten die Nacht tatsächlich zum Arbeiten. Anstatt also veralteten Bräuchen zu frönen, werden wir weitere Feinde aufstöbern und eliminieren.«

»Ich weiß, warum du hier bist, Xcor.«

»Tatsächlich? Kannst du Gedanken lesen?«

»Das wirst du nicht überleben.«

»Tja, mag sein. Aber vielleicht ist es auch umgekehrt.«

Tohrment schüttelte langsam den Kopf. »Betrachte es als freundliche Warnung: Geh zurück, wo du hergekommen bist, bevor dich das, was du in Bewegung gesetzt hast, frühzeitig ins Grab bringt.«

»Aber mir gefällt es hier. Die Luft ist so frisch auf dieser Seite des Ozeans. Und wie geht es eigentlich deiner Shellan?«

Ein kalter Hauch wehte ihm entgegen. Und genau das hatte er mit seiner Frage bezweckt: Ihm war über verschlungene Pfade zu Ohren gekommen, dass die Vampirin Wellesandra vor einiger Zeit im Krieg gestorben war, und Xcor war sich nicht zu fein, seinen Feind mit jeder erdenklichen Waffe aus der Bahn zu werfen.

Dieser Schlag hatte gesessen. Augenblicklich traten Tohrs Begleiter von rechts und links neben ihn und hielten ihn fest. Aber er würde nicht kämpfen oder streiten. Nicht in dieser Nacht.

Xcor und Throe dematerialisierten sich, zerstreuten sich in die kalte Frühlingsnacht. Er fürchtete nicht, dass sie ihm folgten. Die beiden würden dafür sorgen, dass Tohr nichts zustieß, und das hieß, sie würden ihn von allen unausgereiften Dummheiten abhalten, die möglicherweise in einen Hinterhalt führten.

Sie konnten ja nicht ahnen, dass es Xcor unmöglich war, den Rest seiner Truppe zu erreichen.

Er und Throe nahmen Gestalt auf dem höchsten Wolkenkratzer der Stadt an. Es gab immer einen Treffpunkt, an dem sich seine Truppe im Laufe der Nacht von Zeit zu Zeit versammelte, und dieses hoch aufragende Dach war nicht nur gut sichtbar von allen Seiten des Schlachtfeldes aus. Es schien ihm auch in seiner Größe angemessen.

Xcor gefiel der Ausblick von dieser Höhe.

»Wir brauchen Handys«, sagte Throe über das Heulen des Windes hinweg.

»Ach, wirklich?«

»Die anderen benutzen sie auch.«

»Du meinst den Feind?«

»Aye. Beide Arten von Feinden« Als Xcor nichts weiter sagte, murmelte Throe: »Sie haben Möglichkeiten, sich zu verständigen…«

»Die wir nicht brauchen. Wenn du anfängst, dich auf Hilfsmittel zu verlassen, werden sie noch zu Waffen, die sich gegen dich richten. Wir sind jahrhundertelang bestens ohne derartige moderne Technologien ausgekommen.«

»Aber das hier ist eine neue Ära und ein anderer Ort. Hier laufen die Dinge anders.«

Xcor löste sich vom Ausblick auf die Stadt und sah seinen Stellvertreter über die Schulter hinweg an. Throe, Sohn des Throe, war ein auserlesenes Beispiel für vornehme Herkunft, mit den ebenmäßigen Zügen und dem wohlgestalten Leib, der dank Xcors Trainingseinheiten jetzt nicht nur hübsch anzusehen, sondern auch nützlich geworden war: Tatsächlich war Throe im Laufe der Jahre hart geworden und hatte sich schließlich das Anrecht erworben, ein ganzer Kerl genannt zu werden.

Xcor lächelte kalt. »Wenn Taktik und Methoden der Brüder so erfolgreich sind, wie konnte es dann zu den Plünderungen kommen?«

»So etwas passiert.«

»Und manchmal ist es die Folge von Fehlern– fatalen Fehlern.« Xcor wandte seinen Blick wieder der Stadt zu. »Denk darüber nach, wie leicht solche Fehler entstehen.«

»Ich sage ja nur…«

»Das ist das Problem mit der Glymera