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Band 4 der Lost Limits-Reihe! Wie weit wirst du gehen? Gideons ungutes Gefühl hat ihn nicht getäuscht. Royal, Marshall und Eli scheinen verschwunden zu sein. Mit der Hilfe eines Freundes versucht er die drei Männer zu finden, nicht ahnend, dass sie längst in einen Strudel aus Gewalt, Angst und Hoffnungslosigkeit geraten sind. Um zu bekommen, was sie wollen, schrecken die Entführer vor nichts zurück und schicken die Männer durch ihre persönliche Hölle. In einem Wettlauf gegen die Zeit versucht Gideon, sie aus ihrer Lage zu befreien, stößt jedoch ein weiteres Mal an seine Grenzen. Er wird alles verlieren, was er sich aufgebaut hat. Und noch mehr. Denn er selbst ist der Einsatz.
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Veröffentlichungsjahr: 2023
Triggerwarnung
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Nachwort
Danksagung
Impressum
Über T.C. Daniels
Lost Limits - Desire
Lost Limits - Passion
Lost Limits - Darkness
Lost Limits - Revenge
Lost Limits - Forever
Lieber Leser, liebe Leserin,
die Teile 1-3 der Lost Limits - Reihe haben alle eine allgemeine Triggerwarnung enthalten. Dieses Buch könnte über die Grenzen einiger Leser hinausgehen und deshalb spreche ich eine explizite Triggerwarnung aus. Es könnte vorkommen, dass die Themen in diesem Buch triggernd auf dich wirken. Auch wenn du gewöhnlich nicht vor Büchern gewarnt werden musst, möchte ich dich darauf hinweisen, dass dieses Buch anders ist, als alles, was ich davor geschrieben habe. Die Schilderungen in diesem Buch könnten dich schockieren und deinen Lesegenuss schmälern, doch sie gehören zur Geschichte von Gideon und Royal und deshalb habe ich sie genau so beschrieben.
Solltest du dir im Moment also nicht sicher sein, ob du mit diesem Buch und seinen Inhalten zurechtkommst, verschiebe das Lesen auf einen späteren Zeitpunkt, denn deine Gesundheit geht vor.
Solltest du dieses Buch dennoch lesen wollen, wirst du mit folgenden Themen konfrontiert werden:
Gefangenschaft, Foltermethoden wie Waterboarding und Strom, Verstümmelung, körperliche und psychische Gewalt, körperlicher und psychischer Missbrauch.
Für River.
Weil sie dich nicht so sehen wie ich.
Gideon
Sie hatte blaue Haare.
Die landesweit bekannte Traumaspezialistin, die die kindliche Psychologin seines Bruders Marshall ihm empfohlen hatte, hatte blaue Haare. Wenn er klug gewesen wäre, hätte Gideon nicht mal in Betracht gezogen, ihrem Rat zu vertrauen.
Sie hat viel Erfahrung mit Fällen wie Ihren, hatte Dr. Andrews damals zu ihm gesagt, als er Marshall aus der Entzugsklinik mitgenommen hatte.
Wie viel Erfahrung konnte man denn bitte haben, wenn man bis vor zwei Tagen noch in den Kindergarten gegangen war? Wahrscheinlich hatten Dr. Warren und Dr. Andrews den gleichen besucht und dort ihr Arztdiplom erhalten. So musste es gewesen sein.
Dr. Augusta Warren ließ sich auf einem Sessel ihm gegenüber nieder. Sie trug ein ausgeleiertes, weißes T-Shirt auf dem die Rolling Stones abgebildet waren, und eine schwarze Leggins. Sie kaute auf einem Kaugummi, und schien ebenfalls eine Schwäche für Piercings zu haben. Wie ihr Partner in Crime, Dr. Andrews.
An ihrem linken Augenwinkel fanden sich zwei Glitzersteinchen. Gideon hatte nicht den blassesten Schimmer, wie sie dort hingekommen waren, und er wollte sich nicht mal vorstellen, wie es möglich war, dass sie nicht abfielen.
Hatte sie sich die Teile implantiert?
Himmel.
Ihr ganzes Auftreten war so weit weg von einer professionellen Psychotherapeutin, dass er am liebsten ganz schnell wieder abgehauen wäre. An einen Ort, an dem es Sinn machte, zu sein. In seinem Büro. Oder in Shelter Cove. Bei Royal.
Stattdessen war er hier. Bei seiner ersten psychotherapeutischen Sitzung. Auf einem Tischchen direkt neben seinem Sessel stand eine Groot-Figur, die anfing zu wackeln, wenn man sie anstupste. Er war sich noch nie so dermaßen fehl am Platz vorgekommen wie in diesem Moment.
»Sie können ihn anstoßen. Groot mag das«, sagte Dr. Warren lächelnd, die seinem Blick gefolgt war. Entgegen seiner Erwartungen hielt sie kein Klemmbrett in der Hand, auf dem sie sein gesamtes Auftreten und jedes einzelne Wort protokollieren würde. Stattdessen legte sie einen Recorder auf den Tisch zwischen ihnen. »Ich zeichne das Gespräch auf. Ist ein cooles Programm. Es überträgt mir alles Gesagte direkt in ein Computerdokument und ich muss es nur noch gegenlesen. Sehr praktisch.« Sie grinste.
Gideon nickte, und legte einen Fußknöchel über das Knie des anderen Beins. Er begann mit seinen Fingerspitzen auf dem Tischchen zu klopfen, bis er es bemerkte, dann hörte er auf, denn er wollte Dr. Warren nicht den Eindruck vermitteln, er sei nervös, obwohl er genau das war.
»Erste Frage, langweiligste Frage: Warum sind Sie hier?«
Für ihn war das überhaupt keine langweilige Frage. Der Grund seines Herkommens war so schwerwiegend, so traurig, so lebensverändernd. Wenn er die Hoffnung nicht verlieren wollte, dass Royal ihm irgendwann nochmal eine Chance gab, war sein Herkommen der einzige Weg.
»Weil ich einem Freund wehgetan habe.« Gideon räusperte sich.
»Wie heißt Ihr Freund?«
»Royal.« Gideon räusperte sich wieder. Himmel, warum war das nur so schwer? »Er heißt Royal Wright.«
»Netter Name.« Dr. Warren schmunzelte. Sie zog ihre Beine an und setzte sich in den Schneidersitz. »Können wir erst die Beziehung definieren, in der sie zu ihm stehen?«
Nein.
Er wollte überhaupt nichts definieren. Er wollte nur einmal in seinem Leben das Richtige tun, und Royal hatte ihm gesagt, dass er professionelle Hilfe brauchte, also hatte er sich professionelle Hilfe gesucht. Obwohl er sowohl die Professionalität, als auch die Hilfe in diesem Raum ernsthaft anzweifelte.
Gideon räusperte sich wieder. »Also, wir … ich bin … wir sind … Freunde?« Das letzte Wort wollte ihm kaum über die Lippen kommen. Selbst sein eigener Körper verschwor sich gegen ihn. Royal war doch so verdammt viel mehr als nur einFreund. Er war der Mann, der alle Grenzen seines Lebens neu definiert hatte. Ihn als Freund zu bezeichnen, kam einer Beleidigung gleich. Aber vielleicht war die Definition ihrer Beziehung auch unwichtig. Royal könnte auch eine Clubbekanntschaft oder der Pizzabote sein. So oder so war Gideons Verhalten falsch und verwerflich gewesen, nur dass es eben nicht die Clubbekanntschaft getroffen hatte, sondern Royal, der so eine Behandlung am wenigsten verdiente.
»Okay. Wir müssen jetzt keine endgültige Definition formulieren. Halten wir fest, dass er eine Rolle in ihrem Leben spielt?«
»Spielte.«
»Sie sind keine Freunde mehr?«
Gideon atmete tief durch. Das Bedürfnis, den Groot anzuschubsen, wurde plötzlich übermächtig. Einfach etwas tun. Nur nicht reden. »Ich bin mir nicht sicher«, würgte er hervor.
Dr. Warren stand auf und schlenderte zu einer Karaffe mit Wasser, neben der einige elegante Kristallgläser standen. Bunte Plastikbecher mit Disney-Figuren darauf hätten besser zu ihr gepasst.
Sie schenkte zwei Gläser voll und kam zurück zu ihrer fröhlichen Teerunde. »Ich krieg hier drinnen auch immer einen trockenen Hals.« Sie reichte ihm eines der Gläser und setzte sich zurück auf den Stuhl.
»Was ist passiert?«
Gideon blinzelte. Das Gewicht in seiner Hand war angenehm kühl und schwer und erdete ihn etwas. Aber trinken würde er nicht können. Sein Hals war wie zugeschnürt.
»Ich habe ihn geschlagen.«
Er sah Dr. Warren an, wartete auf eine Erwiderung von ihrer Seite, vielleicht auch ein Urteil. Bisher hatte sie immer etwas gesagt oder gefragt, aber ausgerechnet in diesem Moment schwieg sie.
»Ich wollte es nicht«, setzte er also hinzu, um das unangenehme Schweigen zwischen ihnen zu brechen. Mit Royal war Schweigen nie so unangenehm. Nie.
»Haben Sie ihn versehentlich geschlagen?«
»Nein.«
»Dann haben Sie ihn bewusst geschlagen?« Dr. Warren legte den Kopf schief, dabei rutschten ihre langen blauen Haare zur Seite. Er entdeckte, dass auch ihre Ohren voller Ohrstecker und Piercings waren. Ein Sammelsurium metallischer Schmuckstücke, die vereinzelt glitzerten.
»Ich … ich weiß es nicht«, sagte Gideon, und fand, dass er dabei furchtbar kleinlaut klang. Als ob die Ärztin ihm die richtige Antwort nennen könnte. Innerlich verdrehte er die Augen. Im Nachhinein konnte er sich seine Reaktion nicht mehr erklären. Er wusste nur, dass er unter Schock gestanden hatte, nachdem Sterling ihn im Haus seines Vaters derart in die Enge getrieben hatte. In seinem Körper schwelte der Hass, und als Royal bei ihm gewesen war, da war es ihm vorgekommen, als könne nur er die Dämonen zum Schweigen bringen. Mit einem Blowjob oder einem Fick. Mit irgendeiner grenzüberschreitenden Scheiße, die ihn retten sollte. Doch am Ende war er zum grenzüberschreitenden Drecksack geworden.
Doch sogar in der Situation hatte Royal bewiesen, wie gut er ihn kannte. Natürlich wollte Gideon sich nicht ficken lassen. Nicht von einem Mann. Garantiert nicht. Aber allein schon, den Wunsch auszusprechen – und ihn erfüllt zu bekommen –, hätte ihm einen Teil seiner Kontrolle über sein Leben zurückgegeben. Weil dieses Mal er derjenige gewesen wäre, der danach verlangte. Das waren gute Aussichten gewesen, egal, wie er sich danach gefühlt hätte, es ging nur um diesen einen Moment.
»Was ist dann passiert? Nachdem Sie Royal attackiert haben?« Sie setzte das Wort in Anführungszeichen.
»Er hat gesagt, dass er keinen Kontakt mehr mit mir wünscht und ich Hilfe brauche.«
»Und deshalb sind Sie hergekommen?« Dr. Warren lächelte leicht.
»Ja.«
»Das ist großartig von Ihnen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Kann ich verstehen. Aber es sieht so aus, als würde Royal Ihnen etwas bedeuten. Sie kommen her, obwohl Sie sich sichtlich unwohl fühlen.«
Gideon schnaubte. Seinetwegen müsste sie jetzt nicht die volle Schlagkraft ihrer Beobachtungsgabe auspacken. Es würde reichen, wenn sie einfach registrieren würde, dass er sich unwohl fühlte. Es auszusprechen ließ ihn sich noch hilfloser fühlen.
»Bedeutet er Ihnen etwas?«, hakte Dr. Warren nach, weil er nichts gesagt hatte.
»Ja. Das tut er.« Ein bisschen Ehrlichkeit war okay.
»Gut. Damit können wir arbeiten. Können Sie mir sagen, wie der Angriff ausgesehen hat? Haben Sie ihn verbal angegriffen, hatten Sie einen Streit? Wurde einer von Ihnen handgreiflich?«
Gideon schluckte. Die heldenhaften Zeiten waren wohl vorbei. »Ich habe ihn geschlagen. Und ich war … nicht sehr freundlich.«
»Haben Sie so etwas schon mal getan? Einen Freund geschlagen?«
Er hatte keine Freunde.Die Frage war sinnlos.
»Nein.«
»Waren Sie wütend?«
»Ja. Sehr.«
»Auf Royal?«
»Auf mich.« Er war ein elender Sack.
»Wie hat Royal reagiert? Hat er zurückgeschlagen?«
Nein. Weil Royal so etwas nicht tun würde. Weil er der verdammt beste Mann war, dem er jemals begegnet war. »Er hat sich von mir getrennt und gesagt, dass er mich nie wiedersehen will.«
Dr. Warren lehnte sich vor. »Sie waren also ein Paar?«
Gideon spürte, wie er errötete. Gewöhnlich vermied er es, zu seinem Sexualleben Stellung zu beziehen. Er war weder geoutet, noch ein schwuler Mann. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Wir … nein. Wir haben uns nur eine Weile getroffen.«
»Und seit dem Streit hatten Sie keinen Kontakt mehr zu Royal?«
»Ich habe ihn am Tag darauf aufgesucht und ihn um Entschuldigung gebeten.«
»Hat es Ihnen wirklich leid getan?«
»Ja.«
»Und hat er ihre Entschuldigung angenommen?«
»Nein.«
»Was ist dann passiert?«
»Er ist nach Syrien gereist. Er arbeitet dort«, fügte Gideon hinzu. Dr. Warren lehnte sich in ihrem Sessel zurück und betrachtete Gideon. »Warum sind Sie hier?«
»Wie bitte?«
»Ich frage Sie, warum Sie hier sind. Sie haben alles richtig gemacht. Ich spreche dabei nicht von dem Streit. Ich heiße es auch nicht gut, dass Sie handgreiflich wurden. Aber Sie haben sich danach entschuldigt. Das ist mehr, als die meisten Menschen hinbekommen. Warum also sind Sie hier?«
Gideon schluckte wieder. Sein Mund war trocken und sein Hals kratzte. Das hier war noch viel schlimmer als alles andere. Andererseits hatte er sich geschworen, etwas zu verändern. Wenn er die Sache mit der Schlägerei, Aidan und seinem geheimnisvollen Partner geklärt hatte, wollte er eine ernsthafte Chance bei Royal haben. Keine Geheimnisse mehr. Keine Flucht. Keine Ausraster. Mehr Licht, weniger Dunkelheit.
Jetzt, hier, neben Groot, gegenüber der blauhaarigen Psychologin, hatte er das Verlangen, es irgendwie wiedergutzumachen. Irgendwie der Mann zu werden, den Royal haben wollte. Zumindest Gideon wollte das. Ihm nahe sein, ihm zeigen, wie gern er ihn mochte.
In diesem Moment war er zu so ziemlich allem bereit, nur damit er Royal wieder zurückbekam. Es war knapp eine Woche her, seit er nach Syrien abgeflogen war, seither hatte Gideon kein Lebenszeichen von ihm erhalten, was ihn unruhig machte.
Nach den Geschehnissen der letzten Wochen und Sterlings Besuch hatte er das Gefühl, dass er irgendetwas verpasst hatte. Ein Puzzleteil war zu Boden gefallen, aber weil noch so viele andere auf dem Tisch lagen, wusste er nicht mal, um welches es sich handelte.
Sein Leben war zu einem unlösbaren Mosaik geworden, und welche Bruchstücke auch fehlten, Royal hatte es verdient, seinen Platz darin zu finden.
»Ich muss weitergehen«, sagte er dann entschlossen.
Tag 7
Royal
Royal hob langsam den Kopf, sah in den Himmel und betrachtete den still herabrieselnden Schnee. Er hatte sein Leben lang in San Francisco gelebt und nie auch nur eine Schneeflocke gesehen. Hätte er gewusst, wie wunderschön und friedvoll sie waren, er wäre schon früher an einen Ort gefahren, wo er dieses Wunder hätte betrachten können.
Kleine Eiskristalle blieben für einen Moment auf seiner nackten Haut haften, glitzerten neckisch, ehe sie schmolzen und nur noch einen Wassertropfen hinterließen, der nicht annähernd so magisch war wie das filigrane Gebilde aus Kälte zuvor.
»Ich wollte dir schon immer den Schnee zeigen«, sagte Gideon. Er stand neben ihm, die Hände in den Taschen seines Mantels vergraben und hatte den Kopf gen Himmel gehoben. Sein Atem wirbelte als weiße Wolke durch die Luft und verschwand in der Unendlichkeit.
»Ich mag es sehr.«
Gideon richtete seinen Blick auf Royal und lächelte. »Ich auch.«
»Alter, der träumt von Schnee«, sagte eine Stimme direkt neben ihm, die gar nicht mehr nach Gideon klang. Auf einmal spürte er die Kälte als eisigen Schimmer auf seiner Haut, die er eben noch überhaupt nicht unangenehm gefunden hatte.
Er fröstelte. So sehr, dass sich sein gesamter Körper verkrampfte.
»Vielleicht, weil es hier unten so verflucht kalt ist«, sagte eine andere Stimme und lachte.
Royal sah wieder zur Seite, erwartete, Gideon dort stehen zu sehen, mit seinem unvergleichlichen Lächeln. Er brauchte einen Moment, bis sich sein Blick scharfstellte, aber dann erblickte er eine grob verputzte Ziegelwand. Es bereitete ihm große Mühe, seinen Kopf zu drehen, daran schuld war unter anderem auch seine Hand, die mittels eines Kabelbinders an einem Gitter befestigt war.
»Hör auf zu träumen, Arschloch«, sagte eine Stimme neben ihm, die ihm irgendwie bekannt vorkam. Er wusste nur nicht woher. Er erblickte Beine, die in militärgrünen Hosen und Springerstiefeln steckten, traute sich aber nicht, den Blick zu heben, weil ihnen das strengstens untersagt worden war.
»Dein Essen«, sagte der Mann. Ein Tablett wurde neben ihm abgestellt, dann vernahm er schwere Schritte, die irgendwann verklangen.
Royal betrachtete den grüngrauen Inhalt der Suppenschüssel. Scheinbar brauchte der Mensch nicht sonderlich lang, um neue Gewohnheiten anzunehmen. Es hatte genau drei Tage und erste Schwindelanfälle lang gedauert, bis er verstanden hatte, dass er essen musste, solange er die Gelegenheit dazu hatte, denn sonst würde er über kurz oder lang verhungern. Deshalb setzte er sich langsam in eine aufrechte Position, ignorierte den Schmerz in seinem Rücken und Handgelenk und holte tief Luft.
Kalte Suppe. Wie die letzten Tage auch schon. Er schauderte leicht vor Ekel, griff aber gleichzeitig nach der Schüssel. Wenn er jetzt nicht aß, würde er die nächsten Stunden den nagenden Hunger verspüren, der nur darauf wartete, zuzuschlagen.
Soweit er beobachtete hatte, bekamen sie eine Mahlzeit am Tag, zumindest wenn er die Dunkelheit und das Tageslicht richtig interpretierte, die durch das schmale Eckfenster in Deckennähe drangen.
Seine Geschmacksnerven zogen sich zusammen, als sie mit der kalten Flüssigkeit in Kontakt kamen, aber auch das hatte er inzwischen gelernt. Vier Suppen später schaffte er es, die Mahlzeit einfach hinunterzuschlingen. Ohne Ekel, ohne Würgereiz.
»Royal!« Marshalls Flüstern war so verdammt laut. Sie würden sie hören. Royal sah nervös durch die Gitter seiner Zelle. Er hatte direkte Sicht auf die metallische Tür, durch die die Entführer immer kamen. Sie stand halboffen, weshalb er schon fast erwartete, dass einer ihrer Wärter sie gehört hatte.
Bisher hatte Royal zwei verschiedene Männer gesehen, die zu ihnen gekommen waren. Der Mann von heute, mit der Stimme, die ihm irgendwie bekannt vorkam, war zum ersten Mal zu ihnen gekommen. Vielleicht würde er sich erinnern, wer er war, wenn sein Körper und sein Geist nicht so angeschlagen wären. Aber im Moment blieb ihm nichts anderes übrig, als die brutalen und willkürlichen Misshandlungen über sich ergehen zu lassen, ohne groß nachzudenken. Royals schmerzender Körper war Zeugnis von vielen Fußtritten und Schlägen.
Er hatte nicht mal eine Scheiß-Ahnung, was diese Typen von ihm wollten und warum Marshall, Eli und er hierher verschleppt worden waren. Das alles kam ihm wie ein ziemlich gestörter Scherz vor, nur dass es keinen Grund gab, zu lachen.
»Geht es dir gut?« Das war Marshall. Eindeutig. Royal seufzte innerlich auf. Um ihn hatte er sich die meisten Sorgen gemacht, denn bisher hatte er kein Wort gesagt.
»Ja«, flüsterte Royal und stellte seine Schüssel weg. »Alles okay. Wo ist Eli?«
»Ich bin hier«, schaltete sich Eli ein.
»Wir sind in der gleichen Zelle, sitzen einander gegenüber.«
Royal war zwar erleichtert, dass es den beiden offenbar gut ging, doch seine eigene Einsamkeit wurde in diesem Moment grenzenlos. Er würde jetzt sehr viel dafür geben, wenn er mit ihnen zusammen in dieser Zelle sitzen könnte.
Stattdessen war er allein und fror, weil sie ihm seine Klamotten weggenommen hatten, er war dreckig und bekam nur zweimal am Tag die Gelegenheit, auf einer verschmutzten Toilette sein Geschäft zu verrichten.
»Eli?«
»Ja?«
»Du hast gesagt, in Syrien wird es übel.«
»Tut mir leid, Mann«, war seine Antwort, die Royal ein kleines Lächeln abrang. Sie mussten gar nicht erst nach Syrien fliegen, um einen wahrgewordenen Albtraum zu erleben.
Royal vernahm Schritte und presste sich an die eiskalten Metallgitter. Er konnte nicht verbergen, dass er Angst hatte. Genaugenommen hatte er die Hosen voll. Er hatte keine Ahnung, was diese Leute von ihnen wollten, aber sie waren gewaltbereit, das war Grund genug, sich Sorgen zu machen. Fragen half allerdings nicht viel, das hatten sie gleich nach ihrer Entführung und einigen harten Schlägen mit einem Stock gelernt.
»Scheint ja wunderbar zu schmecken, so schnell, wie ihr das Zeug herunterschlingt.« Das war wieder der Kerl, dessen Stimme ihm so bekannt vorkam. Obwohl sie die Männer nicht ansehen durften, riskierte Royal einen Blick. Der Wärter trug eine Baseballkappe und eine Sonnenbrille, dennoch wusste Royal jetzt, woher er die Stimme kannte.
»Tobyn?«, fragte er fassungslos. Er sollte nicht so erstaunt sein, denn immerhin hatte Gideons Fahrer sie überhaupt erst in diese prekäre Lage gebracht. Trotzdem schockierte es ihn, dass er jetzt hier war und sich als einer ihrer Peiniger herausstellte.
Tobyn verzog den Mund. »Du weißt, dass du uns nicht ansehen sollst, oder?«
»Warum haben Sie das getan? Sie helfen denen?«
Tobyn lachte. »Du hast ja keine Ahnung, wie lange ich schon darauf warte, dem vielbeschäftigten Arschloch-Boss Gideon McDermott seine eigene Scheiße zum Fressen zu geben.«
»Er hat Ihnen nie etwas getan!«
»Nein. Hat er nicht.«
»Warum machen Sie dann hier mit?«
Tobyn lachte wieder und zuckte mit der Schulter. »Sie zahlen besser.«
»Sie? Wer sind die?«
»Das wirst du noch früh genug herausfinden, Idiot. Und jetzt halt deine Klappe, bevor ich dir noch wehtun muss. Wir haben die Anweisung, nicht sanft mit euch umzugehen.«
»Wieviel Geld sie dir auch zahlen, Gideon wird dir mehr geben«, beschwor Royal Tobyn und riss an seiner Fessel. »Sie müssen uns nur hier rausbringen!«
»Das wird er«, warf Marshall ein. »Gideon interessiert sein Geld nicht.«
»Halt deinen verdammten Mund!«, rief Tobyn aus und dann holte er aus und schlug ihm seine Faust gegen die Schläfe. Royal sackte zur Seite und verlor kurzzeitig das Bewusstsein. Als er wieder aufwachte, saß er allein in der Zelle. Sein Kopf schmerzte, was sich seltsam tröstlich anfühlte. Und vertraut.
Er richtete sich sehr vorsichtig auf, weil der Schlag noch immer Schmerzsignale durch seinen Körper schickte und Übelkeit in ihm heraufbeschwor.
»Royal?«, fragte Marshall hinter ihm. »Alles okay?«
»Alles prima«, erwiderte Royal langsam. Vor seinen Augen zuckten ein paar gleißende Blitze, die ihm die Orientierung nahmen.
»Tobyn macht auch bei dieser Sache mit.« Marshalls Stimme klang fassungslos.
»Ja. Er scheint einer unserer Wärter zu sein«, sagte Royal bitter. Was würde Gideon dazu sagen? Würde er misstrauisch werden? Würden sie durch Tobyn eine Chance bekommen, diesem Albtraum zu entrinnen?
»Wenn ich ihn in die Finger bekomme, mach ich Hackfleisch aus ihm«, knurrte Marshall. »Er hat uns diesen Kerlen ausgeliefert.«
»Ja«, sagte Royal nur. Es kam ihm vor, als befände er sich in einem nicht enden wollenden Albtraum, was zwar klischeehaft klang, aber absolut der Wahrheit entsprach. Solche Dinge passierten nicht Menschen wie ihm. Oder Eli und Marshall. Es gab keinen Grund, sie zu entführen, sie nackt an Gitterstäbe zu fesseln und sie hier unten ausharren zu lassen. Absolut keinen.
Royal lehnte seinen Kopf zurück. Die Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit ihrer Lage machte ihm zu schaffen. Er wurde gerade müde, als ein Geräusch ihn aufhorchen ließ. Die letzten Tage hatten sie nach den Mahlzeiten keinen weiteren Besuch mehr gehabt, sondern nur noch still auf dem Boden sitzend verbracht. Schritte kamen näher, die anders klangen. Schwerer. Gemächlicher. In sich ruhend. Als hätten sie alle Zeit der Welt.
Eine Gänsehaut breitete sich auf seiner Haut aus, und wie eine La-Ola-Welle erreichte sie auch den letzten Winkel seines Körpers und ließ ihn erzittern. Sein Instinkt sagte ihm, dass sie das siebentägige Vorspiel nun hinter sich gebracht hatten.
»Ihr seht ja noch richtig frisch aus, Jungs. Hattet ihr schöne Weihnachten?« Die Stimme lachte tief und leise. Das Timbre ließ weitere Schauer über Royals Haut wandern. Er klang so selbstsicher, fast schon unbeschwert. Royal kam auch diese Stimme bekannt vor. Er hatte sie an jenem Tag gehört, an dem Tobyn sie nicht zum Flughafen, sondern zu diesen Männern gebracht hatte.
»Tut mir leid, dass ich so lange abwesend war, aber ich hatte noch ein paar Dinge zu erledigen. Ab jetzt stehe ich jedoch zu eurer vollen Verfügung.« Der Mann gluckste.
Royal schluckte. Er wandte seinen Kopf, obwohl er wusste, dass er es besser nicht tun sollte. Der Mann, der direkt vor dem Gitter seiner Zelle stand, war angsteinflößend. Seine Armyhosen mit einem grau-schwarzen Muster bedruckt und die breiten Schultern von einem Rollkragenpullover verhüllt. Seine nach hinten gekämmten Haare waren vom gleichen glänzenden Schwarz wie sein sorgfältig gestutzter Bart, der ihm einen gewissen Hauch von Eleganz verlieh.
»Wir haben einen Gewinner«, sagte er und schlug mit dem Schlüsselbund gegen das Zellengitter. »Ich wusste, dass einer von euch dumm genug sein wird, mich anzusehen.«
Das Gitter klirrte unheilvoll, als die Tür aufschwang und der Mann seine Zelle betrat. Es war genug Platz hier drin. Rein vom Augenmaß her schätzte Royal, dass er einen Raum von etwa drei mal vier Meter hatte, der ihm zur Verfügung stehen könnte, wenn er nicht festgebunden wäre.
Er ließ die Zellentür offenstehen und kam auf ihn zu. Im nächsten Moment verspürte Royal einen scharfen Schmerz an seinem Handgelenk, dann fiel sein Arm zu Boden, ohne dass auch nur ein Muskel gezuckt hätte. Seine Schulter schmerzte aufgrund der plötzlichen Bewegung und der ungewohnten Durchblutung unendlich.
»Aufstehen«, sagte der Mann. Nicht mehr. Royal wartete auf einen Fußtritt oder einen Fausthieb, aber nichts geschah. Er wusste, dass es dumm wäre, den Befehl des Mannes zu ignorieren, weshalb er seinen schmerzenden, müden, gefrorenen Muskeln ein wenig Motivation zusandte. Er musste sich am Gitter abstützen, um langsam in den Stand zu kommen, dabei ließ er einen Blick in die direkt angrenzende Zelle schweifen. Er entdeckte Eli und Marshall. Beide waren nackt, wie er, mit jeweils einer Hand an einem Gitterstab festgebunden. Elis Gesicht konnte er von hier aus sehen. Die Hoffnungslosigkeit seines Blickes erschreckte ihn zutiefst.
Aus einem dummen, dummen, absolut lebensmüden Instinkt heraus mobilisierte er seine letzten Kräfte und warf sich mit seinem gesamten Körper gegen den Mann, der ihn um einen halben Kopf überragte. Der taumelte ein oder zwei Schritte nach hinten, dann hatte er sein Gleichgewicht wieder. Wie Schraubstöcke legten sich seine Hände um Royals Oberarme. Es tat nicht mal wirklich weh, war einfach nur ein fester Griff, der ihn fixierte, und seinen Angriff mehr als jämmerlich wirken ließ.
»Ich werde das jetzt als ein unbeabsichtigtes Stolpern betrachten, denn wenn ich den Verdacht hätte, dass du die Absicht hattest, mich anzugreifen, dann müsste ich dich totprügeln, und dafür ist es eindeutig zu früh. Wir hatten noch nicht mal die Gelegenheit, uns kennenzulernen. Mitkommen.«
Royal biss die Zähne aufeinander. Er war wütend auf sich selbst, auf seinen schwachen Körper, darauf, dass er so gedankenlos gehandelt hatte, und auch auf die Gnade, die dieser Wichser ihm jetzt zuteilwerden ließ.
Royal wurde von dem Mann aus der Zelle geführt.
»Wo bringst du ihn hin, Arschloch!«, schrie Marshall von seinem Sitzplatz aus. Royal wandte seinen Kopf, aber mit einem festen Griff brachte der Mann ihn dazu, wieder nach vorne zu sehen. »Klappe«, sagte er nur und schob Royal weiter. Sie gingen durch die Eisentür, durch die sie vor so unendlich langer Zeit hereingebracht worden waren, und gleich darauf einen dunklen Gang entlang. Irgendwann schob der Mann eine weitere Tür auf und schubste Royal hinein. Der Raum war in gleißend helles, fast schon weißes Licht getaucht, das ihn für einen Moment beinahe erblinden ließ. Er kniff die Augen zusammen und stolperte nach vorne.
»Hinsetzen«, sagte der Mann, und Royal wurde auf einen Stuhl gedrückt. Als sich seine Augen endlich an die Helligkeit gewöhnt hatten, stellte er fest, dass außer seinem Stuhl nur ein anderer mitten im Raum stand. Ansonsten schien er leer zu sein.
Er sah dabei zu, wie seine beiden Arme mit jeweils einem Kabelbinder an den Armlehnen des Stuhls fixiert wurden.
»Sitzt du auch bequem?«, hakte der Mann nach. Er klang, als würde er sich wirklich um sein Wohlergehen sorgen, aber das bezweifelte Royal ernsthaft.
»Wer sind Sie?«
Er lachte. »Tut mir leid, mir steht nicht der Sinn nach einer Plauderrunde. Aber du kannst mich gern Mr. Pain nennen, wenn du unbedingt einen Namen brauchst.«
»Das werde ich ganz sicher nicht«, murmelte Royal.
»Ist er bereit?«, fragte eine andere Stimme, die zu einem weiteren Mann gehörte. Wie viele Menschen gab es hier noch?
»Und wie er bereit ist.