Love on Lexington Avenue - Lauren Layne - E-Book
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Love on Lexington Avenue E-Book

Lauren Layne

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Beschreibung

Die prickelnde neue Trilogie über Träume, Glamour und die große Liebe in der Stadt, die niemals schläft.

Dass ihr verstorbener Mann zahlreiche Affären hatte, löst nicht nur Wut in Claire Hayes aus – es hat ihr auch das Herz gebrochen. Nie wieder will die junge Witwe einen Mann so nahe an sich heranlassen. Auch soll nichts in ihrem Leben sie mehr an Brayden Hayes erinnern. Claire stürzt sich in die Renovierungsarbeiten an ihrem Haus in der Upper East Side. Dass ihr ungehobelter Bauleiter, Scott Turner, sie für eine verwöhnte Prinzessin hält, bestätigt sie in ihrer Überzeugung: New Yorker Männer können ihr gestohlen bleiben! Selbst wenn sie so attraktiv sind wie Scott, in dessen Gegenwart Claire sich endlich wieder lebendig fühlt ...

Band 2 der New-York-Trilogie.

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Seitenzahl: 398

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Buch

Dass ihr verstorbener Mann zahlreiche Affären hatte, löst nicht nur Wut in Claire Hayes aus – es hat ihr auch das Herz gebrochen. Nie wieder will die junge Witwe einen Mann so nahe an sich heranlassen. Auch soll nichts in ihrem Leben sie mehr an Brayden Hayes erinnern. Claire stürzt sich in die Renovierungsarbeiten an ihrem Haus in der Upper East Side. Dass ihr ungehobelter Bauleiter, Scott Turner, sie für eine verwöhnte Prinzessin hält, bestätigt sie in ihrer Überzeugung: New Yorker Männer können ihr gestohlen bleiben! Selbst wenn sie so attraktiv sind wie Scott, in dessen Gegenwart Claire sich endlich wieder lebendig fühlt …

Weitere Informationen zu Lauren Layne

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Lauren Layne

Love on

Lexington Avenue

Roman

Übersetzt von

Nicole Hölsken

Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel

»Love on Lexington Avenue« bei Gallery Books,

A Division of Simon & Schuster, Inc., New York.

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Deutsche Erstveröffentlichung Juni 2020

Copyright © der Originalausgabe by Lauren LeDonne

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-25355-4V001

www.goldmann-verlag.de

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Für Anth, bester Freund und »der einzig Wahre«

Prolog

Samstag, 21. Juli

Es laut auszusprechen wäre geschmacklos gewesen; trotzdem fanden alle, die in New York City Rang und Namen hatten, dass die Beerdigung von Brayden Daniel Hayes das gesellschaftliche Ereignis des Sommers war.

Dabei war Brayden keineswegs ein A-Promi gewesen, sondern vielmehr eine gesellschaftliche Randfigur. Zwar Teil des Sonnensystems, aber eher einem Mond vergleichbar, den man leicht vergaß und der nur in der Nähe deutlich beeindruckenderer Planeten seine Umlaufbahn hatte. Brayden war wohlhabend, aber keineswegs stinkreich. Auch äußerlich war er durchaus einigermaßen attraktiv gewesen, über Mittelmaß aber doch nicht hinausgekommen. Man mochte ihn, aber man liebte ihn nicht.

Einen Großteil seines relativ kurzen Erwachsenenlebens hatte er zu den Menschen gehört, die höchstens eine Ach-ja-der-Reaktion hervorriefen. Ein Mann, der durchs Leben kam und ging, ohne große Spuren zu hinterlassen.

Außer natürlich nach seinem Unfalltod durch Ertrinken.

Im Alter von fünfunddreißig Jahren.

Da gab es zwei leere Flaschen Sauvignon Blanc, die an Deck des Segelbootes herumkullerten. Ganz zu schweigen von den Gerüchten darüber, was er getan hatte, bevor er Segel gesetzt hatte. Oder mit wem er es getan hatte.

Durch diese Art des Ablebens hätte es wohl jeder für eine Saison auf Page Six geschafft.

Und so saß an einem sonnigen Nachmittag im Juli Manhattans gesamte Elite in der Central Presbyterian Church Ecke Park Avenue und Sixty-Fourth Street. Sie alle trugen eine perfekt betretene und respektvolle Miene zur Schau, auch wenn es maßlos übertrieben war, dass sie im Flüsterton ihre Nähe zum Verstorbenen zu betonten.

Habt ihr gehört? Am Tag bevor sie ihn fanden, hatte er noch meine Einladung zur Dinnerparty angenommen.

Ich hätte wissen können, dass da etwas im Busch war. Als wir letzte Woche miteinander sprachen, war er einfach nicht er selbst.

Wir sind einmal miteinander ausgegangen. Ist schon Jahre her. Ich denke immer wieder daran, was hätte sein können …

Diejenigen, die ihn überhaupt nicht gekannt hatten, beschränkten sich auf Klatsch und Tratsch. Immer wieder tauchte die Frage auf, ob sein Leichnam tatsächlich nackt gewesen war, wie die Gerüchte hartnäckig behaupteten. Ob es stimmte, dass es eine Studentin der NYU gewesen war, die die Küstenwache gerufen hatte, als er nicht zum Steg gekommen war, wo sie sich verabredet hatten.

Was aber die Neugier unter den schwarzen Hüten und tristen Anzügen aufs Köstlichste anstachelte, war eine ganz andere Frage:

Wo war Claire Hayes?

Offenbar waren doch nicht alle zu Braydens Beerdigung gekommen.

In der vordersten Kirchenbank, in der Braydens Familie saß und stoisch den milden Worten über ein Leben, das zu früh geendet hatte, lauschte, blieb ein wichtiger Platz in der ersten Reihe verdächtiger- und schockierenderweise leer.

Und während die Theorien, warum das so war, hohe Wellen schlugen, saßen drei Frauen, die sich gerade erst kennengelernt hatten, ein paar Straßen weiter auf einer Bank im Central Park und stellten fest, dass sie zwei wichtige Dinge gemeinsam hatten:

1. Identische Louboutins.

2. Eine sehr intime Beziehung zu Brayden Hayes.

Und während Fremde, die den Mann kaum gekannt hatten, die Kirche verließen, von Mimosas und ihrer bevorstehenden Rückkehr in ihre Ferienhäuser in den Hamptons murmelten, schmiedeten diese drei Frauen, die ihn besser als irgendjemand sonst kannten, einen ganz anderen Plan.

Die Ehefrau.

Die Freundin.

Die Geliebte.

Sie schlossen einen Pakt. Niemals, auf keinen Fall, wollten sie zulassen, dass eine von ihnen wieder auf einen Frauenhelden wie Brayden Hayes hereinfiel.

1

Ein Jahr später – Dienstag, 6. August

Alles begann mit einem Cupcake.

Na ja, dem Cupcake und den Karten.

Claire Hayes blickte auf den einsamen Cupcake und die einzelne, kümmerliche Kerze herab und fragte sich, warum sie sich überhaupt die Mühe gemacht hatte. Einige Dinge sollte man eigentlich gar nicht beachten, geschweige denn feiern. Und Claires Ansicht nach gehörten fünfunddreißigste Geburtstage definitiv dazu.

Insbesondere der fünfunddreißigste Geburtstag einer Witwe, der es bedauerlicherweise an jeglichem Optimismus mangelte, deren Stoffwechsel immer langsamer wurde und die besagten Geburtstag allein beging.

Zumindest das Alleinsein hatte sie selbst gewählt.

Claires Eltern hatten angeboten, von ihrem Altersruhesitz in Florida herüberzufliegen und sie zum Dinner auszuführen, aber sie hatte abgelehnt. Sie liebte Helen und George Burchett heiß und innig, aber das Letzte, was Claire jetzt ertragen konnte, war das ständige Gemurmel ihres Dads.

Ich schwöre, Prinzessin, wenn dieser Idiot nicht von selbst von diesem Boot gefallen wäre, hätte ich ihn mit eigenen Händen umgebracht.

Genauso wenig wie die wohlmeinende, aber anstrengende Sorge ihrer Mutter über den Zustand ihrer Fortpflanzungsorgane. Habe ich dir erzählt, dass Annmaries Tochter ihre Eier eingefroren hat? Eine Vorsichtsmaßnahme, dabei ist sie erst zweiunddreißig …

Deshalb nein. Ihre Eltern wollte Claire an diesem speziellen Geburtstag nun wirklich nicht sehen. Und auch wenn sie deshalb ein schlechtes Gewissen hatte: Nach der Gesellschaft ihrer Freundinnen stand ihr der Sinn ebenso wenig. Zumal Freundinnen – also wahre Freundinnen – heutzutage nur schwer zu finden waren. Ihr ehemals höchst aktives Sozialleben war nach Braydens Tod weitgehend eingetrocknet.

Anscheinend waren ihre früheren Freunde zu dem Schluss gekommen, dass eine Witwe auf jeder Cocktailparty ein Stimmungskiller war, weshalb der Strom der Einladungen genauso plötzlich versiegt war wie der der Beileids-Blumen.

Allerdings war das nicht der einzige Grund für ihre gesellschaftliche Isolation. Immerhin hatte sie selbst sich ebenfalls zurückgezogen.

Selbst die wohlmeinenden Freundinnen, diejenigen, die sich nicht ausschließlich für Klatschgeschichten interessierten, sondern denen sie am Herzen gelegen hatte, hatten es nicht verstanden. Nicht, was es bedeutete, in so jungen Jahren einen Partner zu verlieren, und ganz gewiss nicht, was es bedeutete, einen Partner zu verlieren, der sich als ausgesprochener Schuft entpuppt hatte.

Es gab nur zwei Menschen, die das nachvollziehen konnten. Zwei Freundinnen, die sich auf eine Weise in sie hineinversetzen konnten, wie ihre alten Kontakte das nie zu tun vermocht hätten. Tatsächlich wären Naomi Powell und Audrey Tate die einzigen Menschen gewesen, mit denen Claire sich hätte vorstellen können, ihr nächstes Lebensjahr einzuläuten.

Sie wären im Bruchteil einer Sekunde hier gewesen. Die Freundin und die Geliebte ihres Ehemannes hätten besser als jeder andere die melancholische Note dieser speziellen »Feier« verstanden.

Und doch wollte die leise Stimme in Claires Hinterkopf nicht verstummen: Vielleicht konnten selbst sie nicht alles nachvollziehen, was sie momentan empfand.

Naomi Powell mochte keine Ahnung gehabt haben, dass Brayden verheiratet gewesen war, genauso wenig wie Claire gewusst hatte, dass Brayden sie betrog. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass Naomi die heiße, verwegene Geliebte gewesen war. Die Verführerin à la Jessica Rabbit, von der Männer sich angezogen fühlten, wenn sie zu Hause nicht zufrieden waren. Männer wie Brayden offenbar.

Audrey hätte mich vielleicht ein bisschen besser verstanden. Für Naomi war Brayden nur eine Affäre gewesen, aber Audrey Tate hatte ihn geliebt, hatte Claire gestanden, dass sie gehofft – ja sogar angenommen – hatte, ihn eines Tages zu heiraten, ohne zu wissen, dass der Titel »Brayden Hayes’ Ehefrau« schon vergeben war. Der durchdringende Schmerz des Betrugs – Audrey verstand ihn.

Und doch war die Situation nach Braydens Betrug für Audrey und Claire eine jeweils vollkommen andere. Mit dem ganzen hoffnungsfrohen Optimismus einer Frau in den Zwanzigern war Audrey nach wie vor davon überzeugt, dass ihr Prince Charming da draußen noch immer auf sie wartete.

Claire hingegen? Wohl kaum. Ein Frosch war und blieb manchmal eben nur ein Frosch, egal, wie gut er geküsst wurde.

Ihre einsame Geburtstagskerze tropfte grünes Wachs auf das Vanille-Frosting. Mit einem verärgerten Schnauben blies Claire sie aus und wandte sich dem anderen Herold ihres Geburtstagsblues zu.

Dem Stapel an Geburtstagskarten.

Eigentlich waren die paar Textnachrichten und E-Mails, die im Laufe des Tages eingegangen waren, schon deprimierend genug gewesen. In den meisten war lediglich ein HAPPY BIRTHDAY zu lesen, das hernach in Luftballons auf ihrem iPhone-Display aufging. Frauen, von denen sie seit ihrem letzten Geburtstag nichts mehr gehört hatte, hatten ihr zudem ein munteres HAPPY BDAY, MEINE LIEBE! zukommen lassen.

Aber das hier – diese Karten, die nun schon seit ein paar Tagen in ihrem Briefkasten auftauchten – fühlte sich an wie aus einem anderen Leben. Claire war gar nicht klar gewesen, dass Menschen unter sechzig immer noch Karten aus Papier schickten, aber neben den erwarteten Grüßen von entfernten Verwandten gab es sogar jede Menge Post von Leuten ihres Alters.

Sie wusste, dass sie in bester Absicht verschickt worden war. Die Absender wollten ihr zeigen, dass jemand an sie dachte, aber ein Teil von ihr, jener verbitterte, erschöpfte Teil, der nach Braydens Tod zum Vorschein gekommen war, fragte sich unwillkürlich …

Hatten diese sogenannten Freunde Papierkarten geschickt, weil diese Art der Kommunikation eine Einbahnstraße war? Eine Möglichkeit, ihres Geburtstags zu gedenken, ohne sich mit ihrer ganzen verpesteten, deprimierten Witwenschaft auseinandersetzen zu müssen?

Alle ausgesuchten Druckwerke waren teuer, wie es bei der Elite der Upper East Side üblich war. Glitzer, Schmuck und fester Cardstock waren im Überfluss vorhanden – im Gegensatz zu Botschaften, die von Herzen kamen.

Alles Gute fürs neue Lebensjahr, Claire.

Nur die besten Wünsche, Claire!

Genieße Deinen großen Tag!

Sie schluckte, kämpfte gegen die Woge der Niedergeschlagenheit an, als sie erkannte, dass diese allgemein gehaltenen Geburtstagswünsche die Erwachsenenversion von »Wünsche Dir einen tollen Sommer!« waren, die man früher ins Highschool-Jahrbuch gekritzelt hatte.

Wann war aus ihr eine Frau geworden, an die niemand dachte, bis ihr Geburtstag im Kalender auftauchte? Oh ja. Die. Armes Ding. Vielleicht sollten wir ihr wenigstens eine Karte schicken …

Claire schob die ganze Post beiseite und funkelte den Cupcake wieder wütend an. Sie pflückte die Kerze heraus und leckte das daran klebende Frosting ab.

Na denn. Das ist also mein Fünfunddreißigster.

Claires einziger Trost bestand darin, dass die Fünfunddreißig wohl kaum schlimmer sein konnte als die Vierunddreißig. Vor einem Jahr war sie immer noch mit den Nachwirkungen für die Beerdigung ihres Mannes beschäftigt gewesen. Auch nicht toll. Die Tatsache, dass sie bei der Beerdigung, die sie selbst geplant hatte, gar nicht dabei gewesen war? Schlimmer. Viel schlimmer.

Claire hatte es nur bis zum obersten Treppenabsatz geschafft. Ihr Verstand hatte ihr befohlen, die Rolle der trauernden Witwe zu spielen, aber ihr Herz hatte ihr etwas anderes geboten: Scheiß auf ihn!

Scheiß auf Brayden und auf das Gespött, zu dem er deine Ehe gemacht hat.

Und also war sie weggerannt. Buchstäblich. Oder genauer, sie war, so schnell es ihre Stilettos erlaubten, davongestöckelt. Während also Familie und Freunde sich versammelt hatten, um von Brayden Abschied zu nehmen, hatte Claire auf einer Bank im Central Park gesessen.

Ironischerweise hatte sie ausgerechnet an diesem Tag Audrey und Naomi kennengelernt, während sie auf dieser Bank saß und Hayden gleichzeitig hasste und vermisste. Dort hatten die drei Frauen einen Pakt geschlossen, sich gegenseitig zu beschützen, um nie wieder auf einen Mann wie Brayden hereinzufallen.

Was Claire den beiden aber an diesem Tag nicht verraten hatte – was sie ihnen bis heute nicht gesagt hatte –, war, dass sie nicht die Absicht hatte, überhaupt jemals wieder auf einen Mann hereinzufallen. Punkt. Mit der großen Hochzeit in Weiß hatte sie ein für alle Mal abgeschlossen. Sie hatte versprochen, ihn zu lieben und zu achten. Und verdammt, sie hatte sich an ihr Eheversprechen gehalten. Niemand hatte ihr damals gesagt, dass es nur eine einseitige Verpflichtung war. Niemand hatte ihr gesagt, dass sich unter der Fassade einer Beziehung, unter dem Etikett der »Liebe« ein stinkender Haufen Unrat befand.

Ob sie deshalb verbittert war? Ab.So.Lut.

Und verbittert war vollkommen okay für sie.

Claire fuhr mit dem Finger an dem Cupcake entlang und nahm etwas von dem Frosting, auf dem kein Wachs gelandet war. Der vertraute Vanillegeschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Sie runzelte die Stirn. Natürlich Vanille. Lange Zeit war das ihr Lieblingsgeschmack gewesen. Bei Kuchen, Eis, Kaffee.

Vanille-Frosting, Vanille-Cupcake …

Vanille-Leben.

Mit verengten Augen musterte sie den Cupcake, irrationalerweise wütend auf das Gebäck, weil es nicht aufregend war. Sie hätte auch Naomis Lieblingskuchen wählen können: Red Velvet Cupcakes mit Cream Cheese Frosting, gesprenkelt mit aromatischen Zimtstückchen. Oder Audreys Double-Chocolate-Alles-Mögliche für jeden Anlass, je schokoladiger, desto besser.

Claire lächelte kläglich, als ihr klar wurde, dass die jeweiligen Lieblingscupcakes des Trios ihrem Aussehen entsprachen. Naomis Red Velvet passte zu ihrem leuchtend-roten Haar. Audreys Schokoladen-Fetisch war ein Abbild ihres seidig-dunklen Schopfs.

Und bei Claire war es eben … Vanille.

Sie streifte mit der Hand ihr schulterlanges, blondes Haar. Nicht platinblond; auch nicht wirklich golden, sondern einfach nur ein langweiliger Allerwelts-Gelbton. Genervt schob sie den Teller beiseite, stand auf und suchte fieberhaft nach einer Ablenkung. Sie ging zur Küchentheke und war wild entschlossen, sich auf ihr neuestes Hobby zu stürzen.

Die Renovierung ihres Hauses.

Seit drei Jahren schon juckte es Claire in den Fingern, ihr Domizil in New York City instand zu setzen. Die Lage war ein Traum. Das elegante Sandsteinhaus auf der Seventy-Third Ecke Lexington Avenue war eine absolut auserlesende Adresse in Manhattan. Sie und Brayden hatten die Immobilie von Braydens Großmutter geerbt.

Das Problem war nur: Es sah aus, als wohnte Braydens Großmutter immer noch hier.

Zwar hatten Claire und Brayden niemals wirklich Geldsorgen gekannt, aber ihr Bankkonto eröffnete ihnen auch nicht jene unbegrenzten Möglichkeiten, über die viele ihrer Standesgenossen verfügten. Brayden war eher bestrebt gewesen, so auszusehen, als habe er Geld, statt tatsächlich welches anzuhäufen. Ein Großteil seines Gehalts war in extravagante Geschenke, Designerklamotten und teure Dinner in den angesagtesten Restaurants geflossen – was immer nötig war, um dem Anschein nach zur Hautevolee New Yorks zu gehören.

Er hatte Claire immer ermutigt, es ihm gleichzutun; bei Givenchy oder Chanel zu kaufen, den teuersten Champagner zu trinken, wenn sie mit ihren Freundinnen aus war, aber diese Freundinnen niemals zu sich nach Hause einzuladen. Wie gesagt, Braydens Einkommen war nach den Maßstäben der meisten Menschen durchaus großzügig bemessen gewesen, aber megareich war er nicht gewesen. Sie hatten nicht genug, um draußen das Highlife zu genießen und gleichzeitig Geld in ihr Haus zu investieren.

Demzufolge sah Claires Haus alt aus. Nicht im distinguierten Vanderbilt-Stil, sondern eher die müde und langweilige Variante. Ich frage mich, ob oben noch eine wie auch immer geartete Lavalampe herumsteht. Die fehlte zwar, aber der Teppich stammte definitiv aus der Zeit, als Lavalampen in Mode gewesen waren.

Die Küche hasste sie am meisten. Klein und vollgestopft, eher eine Art Flur als wirklich ein Raum, mit schrecklichen, beigefarbenen melaminbeschichteten Schränken, einer Resopalplatte und einem Ofen, der erheblich älter war als Claire selbst. Der Rest des Hauses war nicht ganz so dramatisch, aber auch hier musste man Arbeit hineinstecken. Mit demjenigen, der auf die Schnapsidee gekommen war, im gesamten Erdgeschoss dunkelgelben Teppichboden verlegen zu lassen, hätte Claire liebend gern ein Hühnchen gerupft. Und die Person, die die düstere rot-grüne Blümchentapete ausgewählt hatte, war mit Sicherheit farbenblind, wenn nicht gar komplett blind gewesen.

Das Gebälk war zu dunkel und die unmodernen Möbel zu hell, sodass nichts so recht zusammenpassen wollte. Das moderne, weiße Sofa, das man eher in einem trendigen, schwedischen Nachtclub erwartet hätte, wirkte in einem Raum, der eines Horrorfilms würdig gewesen wäre, entsetzlich deplatziert.

Aber nicht mehr lange, dachte Claire, während sie ihre Farb-, Fliesen- und Holzmuster durchging. Nach monatelanger Planung und durch die Summe, die ihr durch Braydens Lebensversicherung zugeflossen war, würde morgen der offizielle Startschuss für ihre Renovierungsaktion fallen.

Obwohl ihr bewusst war, dass ihr Haus dann über mehrere Monate eine Baustelle sein würde, freute sie sich darauf. Sie konnte es gar nicht erwarten, das Hämmern, Bohren und die leisen Flüche zu hören. Ja, es würde das reine Chaos werden, aber das hatte Claire auch dringend nötig. Sie sehnte sich danach.

Und dennoch …

Mit verengten Augen beäugte sie die Muster, die sie für die Küche ausgewählt hatte. Kirschholzschränke und passende Bodendielen. Als Kontrast Arbeitsplatten aus weißem Granit. Edelstahlspüle. Gedämpfte Eierschalfarbe für die Wände. Vor ein paar Tagen noch war Claire von ihrer Auswahl begeistert gewesen. Alles schien zeitlos zu sein. Elegant, ohne spießig zu wirken. Modern, aber nicht Schickimicki.

Aber nun, vor dem Hintergrund dieses verdammten Cupcakes, sah sie nur eins … Vanille. Jedes einzelne Muster, jede Farbe, jeder Stoff entsprach genau dem, was erwartet wurde.

Langsam begann Claire, ihre Farbauswahl und Stoffmuster für die anderen Zimmer des Hauses durchzusehen. Ihre Bewegungen wurden immer hektischer, als ihr aufging, was sie da vor sich sah.

Weiß. Off-White. Sanftes Weiß. Schneeweiß. Einfach nur Weiß. Leuchtend Weiß. Warmes Weiß. Papierweiß. Cremefarben. Beige. Eierschalfarben. Ecru. Sahnefarben. Elfenbein. Hafermehlweiß. Puder. Kokosnuss. Knochen. Leinen. Spitze. Porzellan. Taubengrau.

Um Himmels willen, und eine Farbe nannte sich tatsächlich Vanille.

Das Schlimmste daran war nicht, wie fade das alles war, obwohl das natürlich auch nicht toll war. Das Schlimmste war das Wissen tief in ihrem Innern, dass dieser Stapel Unsinn genau das war, was jedermann von ihr erwartete. Was sie sogar von sich selbst erwartete.

Claire hatte sich immer für beständig gehalten. War stolz auf ihre Zuverlässigkeit gewesen, aber was, wenn diese Konstanz eine Schattenseite hatte?

Was, wenn sie vielmehr der Langeweile in die Klauen geraten war? Und noch schlimmer? Was, wenn sie nicht den blassesten Schimmer hätte, wie sie sich aus ihnen befreien konnte?

Voller Panik schnappte Claire sich das Handy, das auf der Theke lag.

»Claire?« Audreys Stimme klang verwirrt, als sie abhob. »Geht es dir gut?«

Hieß so viel wie: Warum rufst du an, statt mir, wie sonst, einfach zu schreiben?

Claire holte tief Luft. »Ich habe mir heute einen Cupcake gekauft. Rate mal, welche Geschmacksrichtung?«

»Oh, das hier ist also ein Cupcake-Notfall?«, antwortete Audrey so verständnisvoll, dass Claire gleich wusste, dass sie die Richtige angerufen hatte. Naomi hätte sich sicherlich auch auf die Richtung eingelassen, die dieses Gespräch einschlug, aber Claire wusste, dass sie ihre Abende in den Armen ihres sexy Freundes verbrachte; da waren Cupcake-Anrufe sicherlich nicht ganz so willkommen.

»Hmm, okay, du hast ihn dir also selbst gekauft?«, überlegte Audrey. »Dann ist es definitiv Vanille.«

Claire sank das Herz. »Ja. Ja, es ist ein Vanille-Cupcake.«

»Ich verstehe nicht so ganz …«, meinte Audrey langsam. »Ich habe das Gefühl, das Rätsel zwar gelöst zu haben, aber dennoch falsch zu liegen.

»Nein, liegt nicht an dir«, antwortete Claire und rieb sich die Stirn. »Nur aus Neugier; was ist der verrückteste Cupcake-Geschmack, den du dir denken kannst?«

»Naja … Bei Magnolia gibt es diese absolut dekadenten glutenfreien Schokoladen-Cupcakes, die …«

»Keine Schokolade«, unterbrach Claire sie. »Ich meine, es darf durchaus Schokolade drin sein. Aber ich will keine Standardgeschmacksrichtungen. Ich suche nach einem Cupcake, der sämtliche Regeln bricht.«

»Haben Cupcakes denn überhaupt Regeln? Bist du gerade in einer Konditorei und kannst dich nur nicht entscheiden, oder steckt etwas anderes dahinter?«

Etwas anderes.

Sie konnte ihrer Freundin keinen Vorwurf daraus machen, dass sie verwirrt war, denn Claire war nun einmal absolut nicht der Typ, der um neun Uhr abends irgendwo wegen eines Dessert-Notfalls anrief.

Eigentlich war Claire nicht der Typ für irgendeinen Notfall. Sie löste Probleme. Sie war diejenige, bei der andere anriefen, wenn sie Hilfe, Rat oder auch nur ein offenes Ohr brauchten. Die Freundin, die einem sagen konnte, wie man Rotweinflecken aus Seide entfernte, oder die einem liebevoll, aber entschieden erklären würde, dass – nein, wirklich nicht – ein Bobschnitt nicht zu deiner Gesichtsform passte.

In ihrer Ehe war sie der Fels in der Brandung gewesen, diejenige, die Brayden am Ende des Tages einen Drink gebracht hatte und dann geduldig zugehört hatte, während er über seine hirnlosen Kollegen, seinen kleingeistigen Boss oder die Barista herzog, die seine Bestellung falsch ausgeführt hatte.

Selten war es umgekehrt gewesen, und Claire hatte das auch nichts ausgemacht – eigentlich hatte sie es gar nicht so richtig gemerkt. Erst nach Braydens Tod war es ihr überhaupt zu Bewusstsein gekommen. Erst nach seinem Ableben war ihr aufgegangen, dass das stabile Fundament, auf dem sie ihr ganzes Leben errichtet hatte, nicht annähernd so solide war, wie sie geglaubt hatte.

Denn Brayden war nicht einfach nur verstorben. Er hatte die Welt nackt und betrunken verlassen, war von einem Boot gefallen, während eine zwanzigjährige Studentin am Dock auf ihn wartete, damit sie genau das tun konnten, was Fremdgänger und sorglose Mädchen um die zwanzig eben so miteinander trieben.

Seine Autopsie hatte ergeben, dass er sich den Kopf gestoßen hatte und bewusstlos gewesen war, als er untergegangen war, dass er von seinem Ertrinken gar nichts mitbekommen hatte. Und auch nicht mitbekommen würde, dass seine hingebungsvolle, im Stillen agierende Ehefrau wieder einmal die Aufgabe hatte, hinter ihm herzuräumen und die Scherben aufzusammeln.

Genau das hatte sie getan. Sie hatte sämtliche Stadien der Trauer durchlaufen. Sie hatte Tränen vergossen, ihrem Zorn Luft gemacht, hatte darüber geredet, um es zu verarbeiten.

Sie hatte ihr Leben wieder im Griff, verdammt.

Also warum fühlte sie sich so leer?

»Claire?«, fragte Audrey vorsichtig und riss Claire aus ihren Gedanken.

»Ich habe heute Geburtstag«, antwortete sie.

»Was?« Audreys Stimme klang beinahe entrüstet. »Wie konntest du uns das verschwei…«

»Ich wollte allein feiern«, unterbrach Claire sie hastig. Zumindest hatte sie das geglaubt. »Es ist nur so, dass … na ja, ich saß hier herum, hatte den Blues und dachte daran, dass letzte Nacht acht neue Fältchen hinzugekommen sind. Und dann fiel mein Blick auf diesen kleinen, schlichten Vanille-Cupcake. Und die Sache ist die, Audrey: Ich habe mir diese Geschmacksrichtung ausgesucht. Ich bin in die Konditorei gegangen, um mir etwas Leckeres zum Geburtstag zu kaufen, und dann habe ich ausgerechnet so etwas gewählt. Ich habe wahrscheinlich gar nichts anderes wahrgenommen. Und jetzt, naja, keine Ahnung, frage ich mich halt … bin ich langweilig, Audrey?«

Bin ich langweilig, und ist das der Grund, warum Brayden sich auf die Suche nach jemandem gemacht hat, der nicht langweilig ist? Jemandem wie dich?

Sie sprach es nicht laut aus, aber sie vermutete, dass Audrey trotzdem verstand, denn ihre Freundin schwieg eine ganze Weile.

»Strawberry-Lemonade«, sagte Audrey schließlich.

»Was?«

»Molly’s Cupcakes auf der Bleeker Street. Dort gibt es jede Menge Fantasie-Geschmacksrichtungen. Ich war letzte Woche da, und Strawberry-Lemonade gehört zu ihrem Sommerprogramm. Nichts Wildes. Eine durchaus herkömmliche Geschmackskombination, aber bei Cupcakes eben unerwartet. Und es schmeckt fantastisch. Süß und säuerlich zugleich, bleibt einem im Gedächtnis haften.«

»Strawberry-Lemonade«, wiederholte Claire nachdenklich. »Ich mag Erdbeeren. Und Limonade auch.«

»Siehst du! Du bist nicht langweilig! Du bist Erdbeer-Limonade! Willst du gleich hinfahren? Ich könnte vorbeikommen, wir nehmen uns ein Taxi …«

Claire lachte. »Ich liebe deinen Enthusiasmus, aber die Zeiten, in denen ich an einem Dienstagabend ins Village gefahren bin, sind vorbei. Insbesondere, da morgen um sieben Uhr morgens schon einer der potenziellen Auftragnehmer auf der Matte steht, um mir ein Angebot für die Renovierung zu unterbreiten.«

Audrey seufzte leise und ergeben. »Ja gut. Vielleicht am Wochenende?«

Normalerweise hätte Claire zustimmend genickt und wäre erleichtert gewesen, dass ihre Freundin sie nicht drängte. Aber Audrey schien so gar nicht überrascht gewesen zu sein, dass Claire abgelehnt hatte, was wiederum Claires schlimmste Befürchtungen bestätigte.

Sie war nicht nur langweilig. Sie war vorhersagbar langweilig.

Claires Blick glitt über den Stapel nichtssagender Geburtstagskarten hinweg. Über den hellen, einsamen Cupcake. Den Stapel fantasieloser Muster und neutraler Proben, die darauf hinwiesen, dass sogar ihre Renovierungsaktion, ein Prozess, der von Natur aus Veränderung signalisierte, letztlich hinauslaufen würde auf … das ewig Gleiche. Ihr Haus wäre hinterher moderner, das ja, aber wenn sie weiterhin bei Weiß und Off-White blieb, würde es das sein, was jedermann von ihr erwartete: Vanille.

Plötzlich erfasste Claire ein starker, unbekannter Drang, und da sie sich ihr Leben lang immer an Regeln gehalten hatte, brauchte sie einen Augenblick, um zu erkennen, was sie da fühlte: Auflehnung.

Sie wollte die Menschen überraschen. Sie wollte sich selbst überraschen.

»Weißt du was, Aud?«, sagte sie nun zu ihrer Freundin. »Was dieses Cupcake-Date angeht. Ziehen wir los.«

»Jetzt?«, fragte Audrey überrascht.

»Ich bin in zwanzig Minuten bei dir. Wir nehmen uns ein Taxi.«

»Ja! Aber bist du auch sicher?«

»Absolut«, antwortete Claire. »Bis gleich.«

Claire wollte gerade zur Treppe gehen, um sich oben umzuziehen, machte dann aber noch einen Abstecher in die Küche.

Und warf den Vanille-Cupcake in den Müll.

2

Mittwoch, 7. August

Um genau zwei Minuten vor sieben am darauffolgenden Morgen knallte Scott Turner die Tür seines Pick-up zu. Es kümmerte ihn nicht, ob er die Bewohner, die auf der Seventy-Third Street lebten, damit aufweckte. Im Gegenteil, er hoffte geradezu, sie damit aus dem Schlaf zu schrecken.

Es war keineswegs so, als hasse er die Bewohner der Upper East Side. Er hasste einfach alle Menschen, zumindest bis zu seinem Morgenkaffee. Und ganz besonders verhasst war ihm, dass seine miese Laune seine eigene verdammte Schuld war. Er war derjenige gewesen, der sich darauf eingelassen hatte, ein Angebot für diesen Job abzugeben. Und dieses frühmorgendliche Meeting hatte er sogar selbst vorgeschlagen.

Damals war ihm das wie eine gute Idee vorgekommen. Um im August in New York City überhaupt etwas geschafft zu bekommen, war der frühe Morgen ideal, wollte man nicht den ganzen Tag über schwitzen wie ein Kuli. Zum Teufel, es war jetzt schon stickig, und dabei war es nicht mal sieben.

Doch als Scott den Termin mit Claire Hayes gemacht hatte, hatte er nicht damit gerechnet, dass sich sein Flug aus Seattle am Abend zuvor verspäten würde, weshalb er seine Kaffeevorräte nicht hatte auffüllen können.

Zu behaupten, dass Scott es bedauerte, seinem Freund Oliver einen Gefallen zu tun, war untertrieben, aber wenn diese Claire Hayes eine Klimaanlage und Kaffee hatte, würde er ihr alles verzeihen. Wahrscheinlich.

Wie erwartet sah Claire Hayes’ Haus genauso aus wie jedes andere auf dieser Straße, was hier in der Gegend wahrscheinlich sogar als charmant galt. In Manhattan, wo viele Menschen auf relativ kleinem Raum zusammenlebten, schnellten die Immobilien in die Höhe, und zwar buchstäblich. Hochhäuser und entsprechende Eigentumswohnungen gab es hier wie Sand am Meer. Deshalb leckte sich die Elite der Stadt nach diesen vornehmen Häusern in eleganten, historischen Vierteln nur so die Finger.

In beinahe jedem anderen Teil des Landes galten diese unscheinbaren Sandsteinhäuser als Ersthäuser für Frischvermählte oder Familien. Als Stützrädchen für Hausbesitzer, bis man sich etwas Richtiges leisten konnte, mit vernünftigem Garten, Garage, Platz für die Kinder etc. Anders an der Upper East Side in Manhattan, wo selbst kümmerliche Bauten mit Leichtigkeit achtstellige Beträge einbrachten. Selbst die unmodernen bekamen siebenstellige Angebote, nur wegen der Grundstückspreise und der Möglichkeit, hinterher damit herumzuprotzen.

Scott hatte keine Ahnung, mit welcher Kategorie von Besitzerin er es hier zu tun haben würde. Oliver hatte nur angekündigt, dass diese Claire eine größere Renovierungsaktion vorhatte. Seiner Erfahrung nach bedeutete das, dass sie die Küchentheke vom letzten Jahr austauschen lassen wollte. Wohlhabende Hausfrauen waren nicht unbedingt bekannt für ihre planerische Weitsicht. Was bei solchen Frauen als renovierungstechnischer Notfall galt, rangierte bei normalen Menschen allenfalls unter ferner liefen.

Scott joggte die Treppen hinauf, genauso sehr angetrieben von der Hoffnung auf Kaffee wie von dem Wunsch, diesen Besichtigungstermin so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, um der Dame höflich eine Abfuhr zu erteilen und sich wieder einem Projekt zu widmen, für das er brannte.

Was die frühe Morgenstunde anging, war es seine eigene verdammte Schuld, dass er sich jetzt überhaupt in dieser Lage befand. Scott hatte Oliver verkündet, eine Abwechslung von diesen Großaufträgen für irgendwelche Konzerne zu benötigen. Dabei hatte er wohl versäumt zu erwähnen, dass es kaum seinen Vorstellungen entsprach, den silbernen Handtuchhalter einer versnobten Witwe gegen einen kupfernen auszutauschen.

Er wollte ein wirklich renovierungswürdiges Haus, keinen verklärten Dekorier-Job für eine reiche Frau, die wahrscheinlich das ursprüngliche Hartholz durch irgendeinen Bambus-Schnickschnack ersetzen wollte. Aber Oliver gehörte zu den wenigen Menschen, für die Scott so ungefähr alles getan hätte, also hatte er sich bereit erklärt, sich Claire Hayes’ Projekt zumindest anzusehen, bevor er ihr einen Korb gab.

Auch wenn er nicht die Absicht hatte, sich auf dieses Projekt einzulassen, nahm Scotts geübtes Auge die Einzelheiten des Eingangsbereichs in sich auf, als er klopfte. Das Ganze wirkte, gelinde gesagt, ziemlich baufällig. Er hielt sich gar nicht erst mit dem überladenen Messing-Türklopfer auf, der aussah, als würde ein ordentlicher Schlag auf die Tür ihm gleich den Garaus machen.

Stattdessen klopfte er mit den Fingerknöcheln gegen das Holz, wobei er gleichzeitig die Stabilität der Tür überprüfte. Alt, erkannte er. Wirklich alt. Tatsächlich war die Haustür in einem ähnlichen Zustand wie der Türklopfer. Abgewrackt. Verblassende Farbe, verzogenes Holz, hässliche, unmoderne Milchglasscheiben. Sogar die Türknäufe waren in einem schlimmen Zustand.

»Mein Gott«, murmelte er und fuhr mit dem Finger über ein potthässliches Muster, das in Taillenhöhe in das Holz geschnitzt war. »Sollen das etwa Blätter sein?«

Die Tür öffnete sich, sodass seine Hand ungeschickt in der Luft hängen blieb und seine Finger nun … na ja, auf den Schritt einer Frau deuteten. Gelassen ließ Scott die Hand sinken und den Blick über den Körper der Frau nach oben gleiten. Langweilige graue Hose, langweilige blaue Bluse …

Sein Blick traf auf den ihren, und abrupt wurde er aus seiner Langeweile katapultiert. Nicht weil ihr Gesicht besonders interessant gewesen wäre. Sämtliche Einzelheiten waren genau dort, wo sie sein sollten. Kleine Nase, voller Mund, zierliches Kinn.

Aber diese Augen. Sie waren einen zweiten Blick wert.

Die korrekte Bezeichnung war wahrscheinlich haselnussbraun, aber dennoch waren sie erheblich interessanter. In der Mitte grün, umrahmt von einem goldenen Ring. Scott war schon immer von Dingen fasziniert gewesen, die sich veränderten, je länger man sie ansah. Prismen. Sonnenuntergänge. Wolken. Der Nachthimmel.

Im Geiste fügte er Claire Hayes’ Augen dieser Liste hinzu.

Zu blöd, dass sie ansonsten eher wie eine der Stepford-Frauen wirkte.

»Sie müssen Scott sein«, sagte sie mit einem Lächeln, bei dem diese atemberaubenden Augen keineswegs aufleuchteten, und streckte ihm die Hand entgegen.

»Muss ich wohl.« Er schüttelte ihr die Hand und war angenehm überrascht von ihrem festen Händedruck. Dennoch sah er gleich an ihr vorbei ins Innere des Hauses, wollte die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich bringen.

Claire schien das zu spüren, denn sie verzichtete auf jeglichen weiteren Smalltalk und trat beiseite, um ihn einzulassen. Scott betrat den Eingangsbereich und spürte es sofort. Den Rausch. Dieses Gefühl, das ihn stets befiel, wenn er ein Haus betrat, das so weit davon entfernt war, sein Potenzial auszuschöpfen, dass es beinahe körperlich schmerzte.

Er pfiff durch die Zähne, während er sich einen Überblick über seine unmittelbare Umgebung verschaffte. Er betrachtete die dunkle Diele, die vollgestopfte Sitzecke gleich neben der Tür, die Treppe, die ebenso schmal wie hässlich war. Er musste keinen Schritt weiter machen, um zu erkennen, dass es sich bei diesem Projekt keineswegs um eine kleine Schönheitskorrektur handelte.

»So schlimm?«, fragte Claire, die sein Mienenspiel beobachtet hatte.

»Ein Phönix«, murmelte er und ging weiter ins Haus hinein, ohne dass sie ihn dazu aufgefordert hätte.

»Ein was?« Sie folgte ihm, während er mit dem Finger über die hässliche Metallic-Tapete im Flur fuhr.

»Ein Phönix. So nenne ich ein Haus, das so verdammt hässlich ist, dass die einzige Möglichkeit, es wieder herzurichten, darin besteht, es niederzubrennen und neu aufzubauen. Im übertragenen Sinne, natürlich.«

»Natürlich«, murmelte sie höflich.

Scott betrat die Küche. »Mein Gott.«

»Ja. Die mag ich am allerwenigsten«, antwortete sie.

»Vierundsiebzig«, sagte er und betrachtete die Resopalflächen, den angeschlagenen Fliesenboden, die unpraktische, flache Spüle.

»Was?«

»Neunzehnhundertvierundsiebzig. Damals wurde das Haus zum letzten Mal renoviert, obwohl das Gebäude selbst viel älter sein dürfte.«

»Ja, das dürfte in etwa stimmen«, antwortete sie nach einer kleinen Pause. »Woher wissen Sie das?«

»Ist mein Job.« Er wollte gerade die Küche verlassen, um das restliche Erdgeschoss zu erkunden, kehrte dann aber zurück und deutete auf die Kaffeemaschine. »Funktioniert die?«

Sie folgte seinem Finger mit dem Blick, dann sah sie ihn ausdruckslos an. »Sie glauben, dass ich eine kaputte Kaffeemaschine auf meiner Küchentheke habe?«

»Woher soll ich das wissen? Na ja, Ihr Türklopfer sieht jedenfalls so aus, als würde er beim nächsten Sommergewitter zerbröseln.«

»Zerbröseln …«

»So sieht’s aus«, stellte er klar und sah sie herausfordernd an. »Den darf aber wirklich niemand zu fest anpacken!«

Er hätte erwartet, dass sie ein wenig verlegen reagieren würde. Irgendwie hoffte er es sogar, wofür wahrscheinlich sein Kaffeedefizit verantwortlich war. Aber er konnte keinerlei Verlegenheit feststellen. Zum Teufel, er bekam überhaupt keine Reaktion. Claire Hayes warf ihm nur noch einen dieser ausdruckslosen, unerschütterlichen Blicke zu, bevor sie zu dem megascheußlichen Schrank hinüberging und zwei Tassen herausholte. »Milch? Zucker? Kaffeesahne mit Vanillegeschmack?«

»Schwarz. Danke.« Er applaudierte sich im Geiste ein weiteres Mal, weil er sich nicht gleich wie ein Ertrinkender auf die Tasse stürzte. »Wenn ich ein bisschen Koffein intus habe, bin ich auch nicht mehr so unleidlich.«

Vielleicht. Die Chancen standen halbe-halbe. Scott hielt sich selbst zwar nicht gerade für ein Arschloch, aber der Inbegriff gefälliger Manieren oder verbindlicher Höflichkeit war er nun auch wieder nicht.

Claire ging auf seinen Kommentar gar nicht ein. Sie gab ihm einfach nur die Tasse, dann holte sie einen Behälter mit Kaffeesahne aus dem Kühlschrank und goss einen großzügigen Schluck in ihre eigene Tasse. Sie zog einen Löffel heraus und rührte um, sodass die dunkle Flüssigkeit einen Hellbraunton annahm.

Er hielt es für ein Verbrechen, das Koffein dermaßen zu verdünnen, und schüttelte nur leicht den Kopf.

»Also, Sie haben zwar noch nicht das ganze Haus gesehen, aber was meinen Sie?«, fragte sie, umfing die Tasse mit beiden Händen und führte sie an die Lippen. Allerdings trank sie nicht, sondern musterte ihn lediglich über den Rand hinweg, wobei der Dampf ihren seltsamen, grün-goldenen Augen eine zusätzliche, geheimnisvolle Aura verlieh.

Scott sah sie geradewegs an. »Es ist potthässlich. Aber das wissen Sie ja schon.«

Sie senkte die Tasse wieder und legte den Kopf schief, betrachtete ihn, wie man es mit einem Tier im Zoo tun würde.

»Was?«, fragte er und war selbst überrascht, dass er tatsächlich wissen wollte, was sie dachte.

»Ich hatte den Eindruck, dass Sie und Oliver gute Freunde sind.«

»Das stimmt.«

»Hmm.« Sie nippte an ihrem Getränk, und verdammt – jetzt interessierte es ihn sogar sehr.

»Das überrascht Sie?«, fragte er und nahm ebenfalls einen Schluck. Der Kaffee war gut. Wirklich gut.

»Na ja, schon. Olivers Manieren sind einwandfrei. Ihre nicht so sehr.«

Scott zuckte mit den Schultern. »Was hätte ich denn Ihrer Meinung nach sagen sollen? Dass Ihr Haus Charakter besitzt? Ich neige nicht zu Nettigkeiten, Ms. Hayes, wenn Sie also höfliche Euphemismen über das, was hier getan werden muss, bevorzugen, dann bin ich nicht Ihr Mann.«

Und er wollte, dass er ihr Mann war – zumindest was dieses Projekt anging. Dieses Haus brauchte ihn.

»Ich finde es erfrischend. Auf gewisse Weise …«, sagte Claire wie nebenbei, als hätte er gar nichts gesagt.

»Sorry?«

Mit einer ausladenden Handbewegung deutete Claire auf seine ganze Gestalt. »Die einfache Bluejeans. Das Flanellhemd über dem T-Shirt, wie ich es seit der Ausstrahlung der Gilmore Girls nicht mehr gesehen habe. Ein Kinn, das …« Wieder legte sie den Kopf schief und musterte ihn. »… bestimmt schon vier Tage lang keine Rasur mehr gesehen hat?«

Er fuhr sich mit der Hand über die Bartstoppeln. Vier Tage waren ungefähr richtig. »Gutes Auge.«

Sie zuckte mit den Schultern. »Sie haben eins für Küchen. Ich für männliche Körperpflege. Ist die Folge einer siebenjährigen Ehe.«

Stimmt ja. Er war so sehr darauf aus gewesen, dieses Meeting schnell hinter sich zu bringen, dass er ganz vergessen hatte, dass Claire Hayes seit nicht allzu langer Zeit Witwe war. »Tut mir leid«, sagte er barsch. »Habe gehört, dass er ein ziemliches Arschloch war.«

Während des letzten Jahres hatte Scott Olivers Freundin Naomi näher kennengelernt, die ihm die schmutzigen Einzelheiten erzählt hatte, wie sie Claire am Tag der Beerdigung ihres Gatten kennengelernt hatte. Er fand so etwas ätzend. Er hielt nicht viel von Beziehungen, aber von Leuten, die welche eingingen, erwartete er verdammt noch mal, dass sie ihren Partner nicht betrogen.

Sie lachte in ihren Kaffee hinein. »Was tut Ihnen leid? Dass er gestorben ist oder dass er ein ziemliches Arschloch war?«

Scott zuckte erneut mit den Schultern. »Sagen Sie es mir. Ich bin dem Kerl nie begegnet.«

Claire stellte ihre Tasse ab. »Um eins klarzustellen, Mr. Turner, wenn wir uns entschließen zusammenzuarbeiten, ist jegliche Diskussion über meinen verstorbenen Mann tabu.«

»Kann ich mit leben.« Im Grunde war es ihm sogar lieber.

Sie nickte zustimmend. »Also. Sind Sie interessiert? Ich weiß, es ist ein kleines Projekt im Vergleich zu dem, was Sie sonst so übernehmen. Und ich sage Ihnen gleich, dass ich zwar Rücklagen dafür habe, mir aber trotzdem bewusst ist, dass das hier keine Kleinigkeit ist. Ich habe keine Ahnung, wie viel es letztlich kosten wird und ob ich es mir leisten kann. Je nachdem, wie Ihr Angebot ausfällt, muss ich die Renovierung doch noch einmal zurückstellen.«

Scott nickte. Jetzt schon wusste er, dass er das Angebot an ihr Budget anpassen würde und nicht umgekehrt. Schon in der Zeit, als er noch nicht finanziell abgesichert gewesen war, hatte Scott sich bei seinen Entscheidungen niemals vom Geld leiten lassen. Vielmehr verließ er sich auf seinen Instinkt, und er hatte schon in dem Augenblick, da er durch diese Tür trat, gewusst, dass dies die Herausforderung war, die er sich wünschte. Die Chance, ein Heim zu schaffen, und zwar nach seinen Vorstellungen. Kein steriles, aufwendiges Vorzeigeobjekt, dessen Hauptzweck darin bestand, im Architectural Digest besprochen zu werden.

»Vergessen wir Ihr Budget erst einmal«, sagte er und schenkte sich Kaffee nach. Scott hielt die Kanne in die Höhe, womit er ihr wortlos anbot, ihr auch noch etwas nachzugießen, aber sie schüttelte den Kopf.

Er wandte sich ihr zu, lehnte sich an die Arbeitsplatte, die, wie er bemerkte, ganze fünf Zentimeter zu niedrig war. Entweder war die Küche für jemanden konzipiert worden, der extrem klein war, oder – was wahrscheinlicher war – wer immer dieses Haus eingerichtet hatte, hatte sich keinen Deut um derlei Details geschert.

»Wie sind Ihre Vorstellungen?«, fragte Scott sie.

Sie schenkte ihm ein kleines Lächeln, das erste überhaupt. Aber es war immer noch verhalten und wachsam. »Wie viel Zeit haben Sie?«

Er bemühte sich, nicht zusammenzuzucken. »Sie haben also schon spezifische Vorstellungen?«

Scott hatte gehofft, dass das Gegenteil der Fall war. Dass sie jemand anders für sich die Entscheidungen treffen lassen wollte. Ihn. Und für dieses Haus wollte er auch die Entscheidungen treffen.

»Viele.«

Er seufzte. »Dann sehen wir uns die mal an.«

Sie zögerte, und sein Interesse wuchs. Der Aufregung nach zu schließen, die er noch vor einer Sekunde in ihrer Stimme gehört hatte, hätte er angenommen, dass sie ihm jetzt mit jeder Menge Farbmustern und Pinterest-Bildern kommen würde.

Nicht dass es ihm etwas ausgemacht hätte, dass Letztere fehlten. Pinterest war sein Feind, ebenso wie der jedes anderen Innendesigners. Aber damit nicht genug. Pinterest war zwar eine Plage, doch der eigentliche Albtraum waren diese verdammten Renovierungssendungen. Vorbei die Tage, als Kunden vielleicht eine vage Vorstellung von der Wandfarbe für ihr Schlafzimmer hatten, sich aber ansonsten mehr oder weniger auf das Urteil des Innenarchitekten verließen. Heutzutage hatten die Leute ihre Räume schon bis auf den letzten Quadratzentimeter durchgeplant und wünschten sich Absurditäten wie Oberlichter im Erdgeschoss.

Das Problem war, dass den meisten die Vision fehlte. Deshalb war er so gut in seinem Beruf. Er hatte nicht nur Visionen, sondern besaß auch eine gute Menschenkenntnis, und das, obwohl er wie ein Eremit lebte. Zumindest wusste er immer genau, was die jeweiligen Besitzer aus ihrem Wohnhaus oder Bürogebäude oder Gewerbeobjekt machen wollten. Darin war er gut. Das zu erschaffen, von dem die Kunden nicht mal wussten, dass sie es wollten.

»Ich bin immer noch … im Entscheidungsprozess«, sagte sie zögerlich, was sicher nicht typisch für sie war.

»Erklären Sie mir das«, forderte er unverblümt. Wenn sie zusammenarbeiten sollten, musste er im Vorhinein wissen, ob Claire Hayes eine wandelnde Zeitbombe war, die irgendwann auf die Idee kam, ihr Wohnzimmer in eine Voliere oder ihr Badezimmer in einen Panikraum zu verwandeln.

»Was ist Ihr Lieblings-Cupcake?«

Er starrte sie an. »Wie bitte?«

Sie lachte und wirkte überrascht – sowohl von ihrer eigenen Frage als auch von ihrem Gelächter. »Ach egal. Sagen wir einfach nur, dass ich mich noch nicht auf die Details festgelegt habe und noch nicht sicher bin, was ich will. Aber eins weiß ich. Ich will nichts Langweiliges.«

»Ich mache nichts Langweiliges.«

»Was halten Sie von Erdbeer-Limonade?«

Scott rieb sich den Nacken. Zum Teufel. Oliver und Naomi hatten schlicht zu erwähnen vergessen, dass Claire Hayes total durchgeknallt war.

»Was hat das mit der Renovierung zu tun?«, fragte er.

»Ich bin noch dabei, das herauszufinden«, antwortete sie. »Aber Sie können doch schon anfangen, ohne die Details zu kennen, oder? Teppiche herausreißen, die Tapeten abziehen, so etwas eben?«

Das konnte er. Aber er wusste nicht genau, ob er das wollte. Nicht, wenn er dann hinterher ein bonbonfarbenes Haus für eine Frau gestalten sollte, die von Cupcakes und Erdbeeren sprach.

»Die übergreifende Vision«, hakte er nach.

»Hab ich doch schon gesagt. Strawberry-Lemonade. Sie wissen schon, einen Hauch Pink. Unerwartete … Wonnen.«

»Oh Gott«, grummelte er.

»Ein Mann, der kein Pink mag«, fügte sie in drolligem Ton hinzu. »Wie absolut originell.«

»Pink hat in Häusern nichts zu suchen.«

»In Ihrem Haus vielleicht nicht. Aber hier lebe nun mal ich!«

Scott nippte erneut an seinem Kaffee. Er war wirklich sehr gut. Zu blöd, dass er Nein zu diesem Auftrag sagen musste. Pink. Um Himmels willen.

Sie musterte ihn mit diesen irritierenden, haselnussbraunen Augen und wirkte merkwürdigerweise enttäuscht von ihm. »Haben Sie nie einen Blick auf Ihr Leben geworfen und bemerkt, dass Sie es … einfach leid sind? Sich selbst leid sind?«

Scott zögerte. Gern hätte er das verneint. Er hätte gern gesagt, dass nur Menschen so empfanden, deren Gedanken ständig um sich selbst kreisten und die genug Zeit hatten, müßig herumzusitzen und über so etwas nachzugrübeln, um dann zu allem Überfluss hinterher auch noch mit Fremden darüber zu reden. Aber in Wahrheit … verstand er sie.

War dies nicht der Grund, warum er überhaupt in diesem Schandfleck von Küche gelandet war? Weil er eine Veränderung brauchte? Weil er das Gefühl hatte, dass das Leben, das er sich so mühevoll nach den eigenen Vorstellungen geschaffen hatte, ihm nicht mehr reichte?

Scott kratzte sich seine Wange, etwas überrascht, als ihm klar wurde, dass er und diese verwitwete Hausfrau einander womöglich besser verstanden, als er erwartet hätte.

»Ich mach’s.«

Sie wirkte skeptisch. »Wirklich? Auch wenn Pink droht? Und Sie haben sich ja noch nicht mal das ganze Haus angesehen. Drei Schlafzimmer, drei Bäder …«

»Klingt gut. Wir fangen morgen an, okay?«

»Was? Nein! Ich habe ja noch nicht mal entschieden …«

»Wir denken später darüber nach«, sagte er, trank den Kaffee aus und stellte die Tasse in die Spüle. »Das ist schließlich das halbe Vergnügen.«

»Klingt aber überhaupt nicht nach Vergnügen.«

Er lächelte leicht über ihre Aufrichtigkeit und machte sich auf den Weg zur Haustür. »Wir fangen morgen um sieben an, und danach auch an jedem weiteren Werktag. An den Wochenenden entscheiden wir spontan, je nach Terminen. Ich werde versuchen, mit den weniger wichtigen Räumen anzufangen, damit ich Ihr Leben so wenig wie möglich durcheinanderbringe. Aber ich muss Sie warnen: Es wird laut, und es wird schmutzig. Ich arbeite meist allein, außer wenn ich ein zusätzliches Paar Hände für die gröberen Arbeiten brauche. Sie werden ein paar Wochen ohne Küche auskommen müssen, denn das Ding ist am schlimmsten, aber ich bin schneller als die meisten und verdammt gut.«

»Mr. Turner …«

»Scott«, unterbrach er sie. »Wir hängen uns jetzt eine ganze Weile ziemlich auf der Pelle, deshalb sind Vornamen ein Muss. Und noch etwas: kein Pink.«

Ihre Augen verengten sich bedrohlich. »Sorry, ich bin etwas irritiert. Ich dachte, das sei mein Haus.«

Er nickte und wippte auf den Fußballen zurück. »In der Tat. Und das ist auch der Grund, warum Sie es mit Sicherheit bedauern werden, wenn es hinterher aussieht, als sei hier eine Flasche mit pinkfarbenem Hustensaft für Kinder explodiert.«

Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Ein bisschen Vertrauen bitte. Ich bin nicht ganz und gar frei von Geschmack.«

»Na ja, was soll ich denn davon halten, wenn Sie von Erdbeer-Limonade sprechen. Ich habe keine Ahnung, was zum Teufel das heißen soll. Und ich glaube, Sie wissen es auch nicht.«

»Nein, weiß ich nicht«, fauchte sie. »Aber ich finde es heraus, ob mit Ihnen oder ohne Sie. Ist doch schließlich das halbe Vergnügen, oder? Und ja, das heißt ein bisschen Pink. Sonst …«, fügte sie hinzu, als er das Gesicht verzog, »… suche ich mir jemand anderen.«

»Jemand anders ist mit Sicherheit ein Ja-Sager«, widersprach er.

»Klingt großartig«, antwortete sie begeistert.

Er fuhr sich mit der Zunge über die Zähne und dachte nach. Das Projekt würde nicht leicht werden. Und die Kundin war es definitiv nicht. Und doch …

Er warf noch einen Blick ins Innere des Hauses. Wirklich, wirklich hässlich.

Scott sah ihr wieder in die Augen. »Ich bin morgen früh um sieben da. Dann reden wir über Geld und Zeitrahmen. Was halten Sie von Hunden?«

»Hunden?«

Scott zögerte, denn er wusste, dass das unprofessionell war, aber im Grunde war ihm das gleichgültig. »Ich bin viel unterwegs und sehe meinen Hund daher nicht ganz so häufig, wie ich möchte. Ich dachte – hoffte –, ich könnte Bob mitbringen.«

»Oh.« Eine leichte Falte bildete sich zwischen ihren Augenbrauen, und sie schien intensiv über seine Frage nachzudenken. »Ich glaube, das geht in Ordnung.«

Er war ziemlich erleichtert, dass er zumindest ein paar Wochen mit seinem Hund, den er viel zu häufig allein ließ, verbringen konnte. »Danke.«

»Gern geschehen«, sagte sie förmlich und streckte den Arm aus, um ihm die Tür zu öffnen. »Bis morgen.«

Er trat auf die Veranda hinaus und drehte sich noch einmal um. »Wenn Sie Pink sagen, dann meinen Sie doch höchstens einen diskreten Malventon, oder?«

»Auf Wiedersehen, Mr. Turner.«

Er wandte sich ab. »Erdbeer-Limonade, von wegen.«

Die Eingangstür schlug hinter ihm zu, und er grinste über das metallische Kling im Nachhall. Er hatte mal wieder ins Schwarze getroffen. Dieser Messingklopfer war tatsächlich nur ein einziges Türenschlagen vom Untergang entfernt.

3

Donnerstag, 8. August

»Ich wusste nicht mal, dass es so was wie das hier überhaupt gibt«, sagte Audrey und sah sich staunend um.

»Was, Baumärkte?«, fragte Naomi Powell und hielt einen der Metallgegenstände, die sie auf ihrer Tour durch den Laden gesammelt hatte, an Audreys Ohr, als wolle sie abschätzen, ob daraus vielleicht mal ein Ohrring werden konnte. Wie man Naomi kannte, war das wahrscheinlich tatsächlich ihr Hintergedanke. Naomi war zwar keine Schmuckdesignerin im eigentlichen Sinne, aber als Gründerin von Maxcessory, einem Abo-Service für Accessoires, hielt sie stets Ausschau nach dem nächsten großen Wurf.