Passion on Park Avenue - Lauren Layne - E-Book
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Passion on Park Avenue E-Book

Lauren Layne

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Beschreibung

Die prickelnde neue Trilogie über Träume, Glamour und die große Liebe in der Stadt, die niemals schläft.

Für die junge New Yorkerin Naomi Powell bricht mit dem Tod ihres Freundes, des Bankiers Brayden Hayes, eine Welt zusammen. Denn sie erfährt, dass er verheiratet war und ihn zwei weitere Frauen betrauern. Claire, Braydens Ehefrau – und Audrey, seine Geliebte. Kurzerhand lassen die drei Betrogenen die Beerdigung sausen und schließen Freundschaft fürs Leben. Und als Naomi in eines der altehrwürdigsten Häuser der Upper East Side zieht, kann sie jede Unterstützung gebrauchen. Denn ihr Nachbar ist Oliver Cunningham, der Albtraum ihrer Kindheit. Doch heute, als unverschämt attraktiver Mann, bereitet er Naomi aus ganz anderen Gründen schlaflose Nächte ...

Band 1 der New-York-Trilogie.

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Seitenzahl: 407

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Buch

Ausgerechnet über die Todesanzeige ihres Freundes, Brayden Hayes, erfährt die erfolgreiche Jungunternehmerin Naomi Powell, dass der Bankier verheiratet war. Im Central Park, gegenüber der Kirche, wo die Trauerfeier stattfinden soll, trifft sie auf zwei weitere Frauen in Schwarz. Claire, Braydens Ehefrau, und Audrey, seine Geliebte, verstecken sich ebenfalls vor den zahlreichen Gästen der New Yorker High Society. Kurzerhand beschließen die drei Frauen, die Beerdigung sausen zu lassen und ihre gebrochenen Herzen gemeinsam mit einem Drink zu heilen. Und als Naomi kurz darauf in eines der altehrwürdigsten Häuser der Upper East Side einzieht, kann sie die Unterstützung ihrer neuen Freundinnen gut gebrauchen. Denn ihr Nachbar ist ausgerechnet Oliver Cunningham, bei dessen Familie ihre Mutter als Haushälterin tätig war und der ihr die Kindheit zur Hölle gemacht hat. Doch heute, als unverschämt attraktiver Mann, bereitet er Naomi aus ganz anderen Gründen schlaflose Nächte …

Weitere Informationen zu Lauren Layne

sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin

finden Sie am Ende des Buches.

Lauren Layne

Passion on

Park Avenue

Roman

Übersetzt von

Nicole Hölsken

Die englische Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel »Passion on Park Avenue« bei Gallery Books, A Division of Simon & Schuster, Inc., New York.

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Deutsche Erstveröffentlichung April 2020

Copyright © der Originalausgabe by Lauren LeDonne

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2020

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotiv: FinePic®, München

spreephoto.de/Moment/Getty Images

Redaktion: Antje Steinhäuser

MR · Herstellung: kw

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-25358-5V001

www.goldmann-verlag.de

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1

Samstag, 21. Juli

Naomi Powell fand, dass es ohnehin keine gute Art gab, um herauszufinden, dass der Mann, mit dem man seit drei Monaten ausging, mit jemandem verheiratet war. Aber von der Existenz einer Mrs Brayden Hayes durch die Todesanzeige des miesen Betrügers zu erfahren?

Das war definitiv die schlimmste.

Das Taxi hielt an der Central Presbyterian, und Naomi verlor beinahe den Mut. Ihr Instinkt sagte ihr deutlich, dass es besser gewesen wäre, sich vom Taxifahrer zurück in die Lower East Side bringen zu lassen.

Aber stattdessen gab sie ihm einen Zwanziger, öffnete die Tür und trat auf die noble Park Avenue hinaus, als gehöre sie hierher. Sie holte die Gucci-Sonnenbrille aus der Tasche und setzte sie sich auf die Nase. An diesem bewölkten Julitag wäre keine Verdunklung nötig gewesen, aber sie ging auf eine Beerdigung. Hoffentlich glaubten die Leute, dass sie mit der Sonnenbrille ihre roten, geschwollenen Augen verbergen wollte, und durchschauten nicht ihren eigentlichen Zweck.

Eine Maske.

Verdammt, dachte Naomi wütend, schob die Sonnenbrille in ihr dunkelrotes Haar hinauf und schritt zielstrebig der imposanten Kirche im gotischen Stil entgegen. Sie brauchte keine Maske. Sie war neunundzwanzig und hatte einen Großteil ihres Lebens mit Menschen zugebracht, die ihr das Gefühl gegeben hatten, minderwertig zu sein. Verdammt wollte sie sein, wenn so einem miesen Playboy etwas Ähnliches sogar noch aus dem Grab heraus gelang.

Sie hatte das gleiche Recht, hier zu sein, wie alle anderen auch. Schließlich hatte sie keine Ahnung gehabt, dass er verheiratet war. Sie hatte nicht mal gewusst, dass er in Manhattan wohnte. Naomi bezweifelte sogar, dass sie auch nur eine einzige, verdammte Sache über den wahren Brayden Hayes wusste. Aber trotz ihres Zorns wollte sie die Chance haben, sich von ihm zu verabschieden.

Zumindest für eine Weile hatte der Mann ihr Leben besser gemacht. Auch wenn er es jetzt dafür umso schlimmer machte.

Sie seufzte und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Nicht um sich selbst zu schützen, sondern Braydens Ehefrau. Naomi hatte keine Ahnung, ob Claire von ihrer Existenz wusste, aber für den unwahrscheinlichen Fall, dass es so war, wollte Naomi es ihr nicht noch schwerer machen, als es ohnehin schon für sie war.

Naomi ging die Treppe zum Eingang der Kirche hinauf, während sie mal wieder an Braydens Todesanzeige dachte. Schon seit Tagen wurde sie die Worte nicht los. Brayden Hayes fiel einem tragischen Segelunfall zum Opfer. Er hinterlässt eine Ehefrau, Claire Hayes …

Ein Segelunfall. Wirklich? Wirklich?

War der Tod auf einem Luxusboot nicht ein wenig zu schön für einen Frauenheld mit der Moral eines Matrosen?

Das Einzige, was sie mit der Situation versöhnte – und Naomi hatte sich wirklich sehr anstrengen müssen, um etwas Derartiges zu finden –, war, dass Claire und Brayden keine Kinder hatten. Gott sei Dank! Nur das hatte verhindert, dass Naomi komplett zusammengebrochen war, als sie von Braydens Doppelleben erfahren hatte. Das Unheil, das ein untreues Arschloch im Leben eines Kindes anrichten konnte, kannte sie nur zu Genüge.

Naomi betrat die dunkle, stille Kirche und wandte sich einer der hinteren Bänke zu. Einige Leute drehten sich zu ihr um, und sie zögerte.

Ihr Verstand sagte ihr, dass sie sich lediglich instinktiv umwandten, als sie das scharfe Klacken ihrer Louboutin-Stilettos auf dem Kirchenboden hörten. Vielleicht erkannten einige in ihr sogar die Naomi Powell aus der neuesten Forbes 30-Under-30-Liste wieder oder hatten ihr Interview in der Today Show gesehen.

Aber wohin sie auch blickte, schlug ihr nur Verachtung entgegen. Als blickten sie geradewegs durch das konservative Chloé-Kleid hindurch, unter dem ihre Bronx-Wurzeln deutlich zu erkennen waren. Als ob sie wüssten, dass sie die andere Frau war. Genau die Rolle, die ihre Mutter kaputtgemacht hatte und die Naomi sich geschworen hatte, niemals einzunehmen.

Sie atmete tief ein und versuchte, sich auf das Selbstvertrauen zu besinnen, durch das sie sich von einem Niemand in eine der wohlhabendsten Frauen der Stadt verwandelt hatte. Sie versuchte, jene herausfordernde Miene zur Schau zu stellen, die ihr landesweit den Ruf eingebracht hatte, dass man sie im Auge behalten musste. Trotzdem kam sie sich heute gar nicht vor wie die erfolgreiche Senkrechtstarterin in der Geschäftswelt. Heute fühlte sie sich klein. Schlimmer noch, sie kam sich schmutzig vor.

Naomi sah, wie eine Frau die Lippen schürzte und sich abwandte, als könne sie den Anblick von Brayden Hayes’ Hure nicht länger ertragen. Dazu hatte er sie gemacht. Ein Leben lang hatte sie versucht, nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter zu treten, und so ein Drecksack aus der Upper East Side hatte sie in ihren eigenen schlimmsten Alptraum verwandelt.

Erst als die warme Sommerbrise ihr das Haar zerzauste, merkte Naomi, dass sie die Kirche fluchtartig wieder verlassen hatte. Sie wusste nicht, welche Richtung sie eingeschlagen hatte, bis sie am östlichen Rand des Central Park angekommen war.

Erst dort gestattete sie es sich, wieder richtig durchzuatmen, sog tief die Luft ein. Aber sie weinte nicht. Naomi hatte sich vor langer Zeit geschworen, niemals wegen eines Mannes Tränen zu vergießen.

Für einen Spaziergang war sie wohl kaum richtig gekleidet, aber die Bäume und der Anblick des gewundenen Pfades im Park beruhigten sie. Eine willkommene Atempause von dem angrenzenden Stadtteil und seinem ganzen Snobismus. Im Central Park spielte es keine Rolle, in welcher Straße man wohnte, aus welchem Viertel man kam. Der Central Park gehörte allen New Yorkern, ein herrlicher, gemeinsamer Garten.

Der Park lag ziemlich verlassen da. Die meisten Touristen betraten ihn durch den Südeingang, sodass ihr lediglich ein paar Jogger begegneten; dazu ein paar ältere Pärchen, die einen Spaziergang machten, zwei Moms mit Kinderwagen, die sich verabredet hatten und …

Naomi musste zweimal hinsehen. Auf einer Parkbank saß eine Blondine. Ihr drehte sich der Magen. Lieber Gott, willst du mich veralbern?

Nach dem Schock, als sie gelesen hatte, dass Brayden Hayes verdammt noch mal verheiratet war, hatte sie als Erstes seine Frau gegoogelt, verzweifelt nach einem Indiz Ausschau haltend, dass die Times sich im Hinblick auf seinen Familienstand geirrt hatte. Dass es sich um einen Druckfehler handelte oder dass er geschieden war. Aber die Zeitung hatte nicht falsch gelegen. Eine Mrs Brayden Hayes existierte tatsächlich.

Und auch sie hatte den Central Park Braydens Beerdigung vorgezogen.

Naomi war jetzt beinahe auf gleicher Höhe mit Claire Hayes. Außerdem gewährte ihr die Sonnenbrille eine gewisse Anonymität, weshalb sie es wagte, aus den Augenwinkeln einen Blick auf die andere Frau zu werfen.

Braydens Witwe sah ziemlich genau so aus wie das Bild, das Naomi online gefunden hatte: eine weiße, angelsächsische, protestantische Frau um die dreißig aus der Upper East Side. Wie Naomi trug sie eine übergroße Sonnenbrille, deren Chanel-Logo in einem verirrten Sonnenstrahl aufblitzte. Naomis geübte Augen identifizierten das schlichte schwarze Etuikleid als St. John und die schmucklosen schwarzen Pumps als Louboutins – die gleichen, die sie auch anhatte.

Aber im Gegensatz zu Naomi trug Claire eine vornehme Gelassenheit zur Schau. Als würde ihr ein Wort wie verflucht nie über die Lippen kommen, geschweige denn, dass sie die F-Bombe platzen lassen würde. Naomi hätte ein hübsches Sümmchen darauf gewettet, dass Claire Hayes niemals Macaroni & Cheese der Firma Kraft direkt aus der Pfanne verspeiste, wenn sie gestresst war, und dass Claire niemals so arm gewesen war, dass sie ernsthaft in Erwägung gezogen hatte, die Matratze mit nach Hause zu nehmen, die ein Nachbar auf dem Sperrmüll entsorgt hatte – Bettwanzen hin oder her –, nur weil sie nichts kostete.

Claires gelassene Miene verriet keine Regung, als Naomi an ihr vorüberging. Die Sonnenbrille war zu groß, um Emotionen auf ihrem Gesicht erkennen zu lassen. Naomi fragte sich, ob Frauen wie sie überhaupt irgendwelche Gefühle hatten. Es kam ihr nicht so vor. Die Frau war ein Sinnbild der Ruhe, nur …

Ihre Hände nicht.

Die lagen verkrampft in ihrem Schoß. Weiß traten die Knöchel der rechten Hand hervor, mit der sie die linke umklammerte. Aber es war nicht die zartrosa Maniküre, die Naomis Aufmerksamkeit erregte, sondern die leuchtend-roten Halbmonde unter den Nägeln.

Naomi war ein spontaner Mensch und handelte oft, ohne vorher lange nachzudenken, und so war es auch jetzt. Sie ging zu der anderen Frau hinüber und setzte sich neben sie auf die Parkbank.

»Jetzt reicht es«, sagte sie mit ihrer CEO-Stimme, ruhig und gebieterisch.

Claire rührte sich nicht. Naomi bezweifelte sogar, dass die andere Frau sie wahrgenommen hatte.

Naomi zögerte nur einen Augenblick, bevor sie langsam die Hand ausstreckte und Claires rechte Hand von der linken löste. Schmale Blutrinnsale wurden sichtbar.

Claire blickte verwirrt darauf herab, als komme ihr der Schmerz erst jetzt zu Bewusstsein.

»Sind in dieser Givenchy Papiertücher?«, fragte Naomi und deutete mit einem Kopfnicken auf die Clutch auf der Bank.

Claire regte sich lange Zeit gar nicht, dann holte sie tief Luft und langte ruhig nach ihrer Tasche, aus der sie ein kleines Paket Papiertaschentücher hervorzog.

»Wir tragen die gleichen Schuhe. Und auch noch das gleiche Kleid«, bemerkte Claire und tupfte sich das Blut auf ihrem Handrücken ab, wobei sie die gleiche beiläufige Gleichgültigkeit an den Tag legte wie jemand, der einen Tropfen Wasser aufwischt.

Naomi nickte, obwohl es sich bei Claires St. John um ein knielanges Turtleneckkleid handelte, während Naomis Chloé einen U-Boot-Ausschnitt aufwies und der Rock in der Mitte der Schenkel endete.

Eine Weile sagte keine von ihnen ein Wort.

»Ich sollte eigentlich auf einer Beerdigung sein«, sagte Claire schließlich, zerknüllte das Papiertuch und ließ die Hände wieder in den Schoß sinken.

»Und warum sind Sie das nicht?«

Naomi war wirklich neugierig. Sie wusste zwar, warum sie selbst nicht auf dieser Beerdigung war. Aber dass die Witwe nicht auftauchte … das war der Stoff, aus dem waschechte Klatschgeschichten für Page Six gemacht waren.

Claire öffnete den Mund, um zu antworten, schloss ihn aber gleich wieder, als eine hübsche, junge Frau mit dunkelbraunem Haar an ihnen vorüberging. Naomi wartete, dass sie wieder verschwand. Doch ein genauerer Blick zeigte, dass die Frau sich ein wenig zu langsam bewegte, als wolle sie sich der Bank nähern. Sie kam Naomi vage bekannt vor. Sicher hatte sie sie schon bei einigen Veranstaltungen gesehen, konnte ihrem Gesicht allerdings keinen Namen zuordnen.

Braydens Witwe hingegen kannte sie offenbar genauer. »Audrey«, rief sie aus und schien neben Naomi förmlich zu erstarren.

Im Gegensatz zu den anderen beiden Frauen trug die Brünette keine Sonnenbrille, sodass Naomi bemerkte, wie ihre ohnehin schon großen Augen sich noch mehr weiteten. »Sie wissen, wer ich bin?«

»Sie sind Audrey Tate. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt, nachdem Sie neulich Abend zu Hause angerufen haben«, antwortete Claire leise. »Ich weiß, dass Sie mit meinem Mann geschlafen haben.«

Naomis Kopf wirbelte überrascht herum, und dann verwandelte sich ihre Überraschung in Entsetzen, denn Claire hatte keineswegs mit ihr gesprochen.

Was zum …

Audrey schluchzte auf und kam zu ihrer Bank hinüber. Naomi hätte beinahe laut aufgelacht, als sie die Schuhe der anderen Frau sah. Schwarze Louboutin-Pumps, genau wie ihre und Claires.

»Ich hatte keine Ahnung«, versicherte Audrey hastig, setzte sich neben sie und sah sie bittend an. »Bis Sie an jenem Abend ans Telefon gingen, hatte ich keine Ahnung, dass er verheiratet war. Ich schwöre Ihnen, er hat behauptet, seine Frau habe ihn verlassen, dass er getrennt lebe … Ich hätte niemals – Sie müssen mir glauben. Ich wusste nicht …«

»Ach Liebes«, unterbrach Naomi halb mitfühlend, halb entsetzt. »Reißen Sie sich zusammen.«

Audrey hörte auf zu schniefen und warf Naomi einen Blick zu, den sie wahrscheinlich für eisig hielt. Aber die Wirkung wurde durch ihre rote Nase und die geschwollenen Augen deutlich gemindert. »Bei allem Respekt«, zischte sie Naomi an, »aber Sie haben doch gar keine Ahnung, was hier los ist.«

»Na ja«, widersprach Naomi und sah auf ihre eigenen Nägel hinunter. »Irgendwie weiß ich das doch.«

Jetzt sahen beide Frauen sie erwartungsvoll an.

»Wer sind Sie?«, fragte Claire.

Naomi warf ihr einen kurzen Blick zu. Dann folgte sie dem gleichen Instinkt, der aus ihr im Lauf der Jahre, nachdem sie von der Bronx High School geflogen war, eine Unternehmerin der Spitzenklasse gemacht hatte. Sie hatte das Gefühl, dass Claire Hayes zu jenen Frauen gehörte, die die Wahrheit verdient hatten. Die ganze Wahrheit.

Naomi schob sich ihre Sonnenbrille hoch und sah Claire in die Augen. »Ich bin Naomi Powell. Die andere andere Frau.«

Audrey blieb der Mund offen stehen, aber Claire blinzelte nur langsam. »Was?«

Verdammt. Eigentlich war das doch deutlich gewesen.

»Ihr Mann hat seine Gurke in ein Sandwich zu viel gesteckt«, verkündete Naomi rundheraus. »Na ja, eigentlich in zwei Sandwiches zu viel, wenn Sie sie mitzählen.« Sie deutete mit dem Kinn auf Audrey.

»Haben Sie gerade einen Vergleich gezogen zwischen … einer Gurke … oh mein Gott … und Sandwiches …«, sagte Audrey und legte sich die Hand auf die Stirn.

Claire ließ den Kopf so weit sinken, dass das Kinn ihre Brust berührte, und Naomi wand sich. Vielleicht hätte sie es doch etwas anders formulieren sollen … dass er seine Nudel in die falsche Auflaufform gesteckt hatte? Seine Salatgurke in zu viele Salate?

Aber Claire Hayes’ Reaktion war überraschend. Ihre Schultern bebten, nicht weil sie weinte, sondern in stummer Belustigung. Dann warf sie den Kopf zurück, blickte in den Himmel hinauf und lachte laut los.

»Ich sage es Ihnen nicht gern«, meinte nun Audrey an Claire gewandt. »Aber ich glaube nicht, dass er da oben ist.«

Jetzt war es an Naomi, überrascht aufzulachen. Offensichtlich hatte sie die Brünette unterschätzt. Sie mochte aussehen wie die schlanke Audrey Hepburn, aber unter ihrem süßen, taubenäugigen Äußeren verbarg sich offenbar durchaus ein gewisser Schneid.

»Sollten wir nicht vielleicht doch bei der Beerdigung sein?«, fragte nun Claire. Wahrscheinlich sagte sie das eher zu sich selbst, aber Naomi antwortete trotzdem.

»Ach was. Ich bin vornehmlich deshalb hingegangen, um Gott zu bitten, ihn keinesfalls durch die Himmelspforte zu lassen, und das hatte Gott – wie Audrey schon gesagt hat – mit Sicherheit sowieso nicht vor.«

»Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas mal erleben könnte«, meinte Claire erschöpft und rieb sich gedankenverloren die Schläfen.

»Sie meinen, auf einer Parkbank mit den Geliebten Ihres Mannes zu sitzen, während ein paar Straßen weiter seine Beerdigung stattfindet?«, fragte Naomi.

Claire lachte. »Ja. Genau. Ich denke andauernd, dass ich doch eigentlich traurig sein müsste, aber mir kommt immer wieder in den Sinn, wie dumm ich doch war, und zwar schon bevor ich wusste, dass es sogar zwei von Ihnen gab. Wie konnte ich das nur übersehen?«

»Wir waren genauso dumm«, versicherte Audrey und legte Claire die Hand auf den Arm. »Er war seit einem Jahr mein Freund. Er hat mir weisgemacht, ständig auf Reisen zu sein.«

»Drei Monate«, fügte Naomi hinzu und deutete auf sich selbst. »Mir hat er erzählt, dass er die meisten Geschäfte in Hong Kong tätigte und nachts häufig arbeiten müsse. Ich habe es ihm voll und ganz abgekauft.«

Die drei Frauen schwiegen, verloren sich in ihren eigenen Erinnerungen an den Mann. Naomi kam der Gedanke, dass dies vielleicht das schrägste Zusammentreffen von Frauen war, das es je gegeben hatte. Trotzdem fühlte es sich keineswegs so seltsam an, wie es eigentlich hätte der Fall sein sollen. Sie war weit davon entfernt, wütend auf die anderen beiden zu sein, sondern fand ihre Anwesenheit beinahe tröstlich. Claires und Audreys Existenz bewies, dass Naomi nicht die einzig Ahnungslose gewesen war. Nicht das einzige Opfer im Spiel eines herzlosen Mannes.

Wer hätte gedacht, dass weibliche Übermacht auch gegen notorische Betrüger half?

Naomi richtete sich auf und wandte sich an die anderen. »Ich muss etwas gestehen.«

Claire wölbte die Augenbrauen. »Schlimmer als die Tatsache, dass Sie mit meinem Mann geschlafen haben?«

»Von dem ich schließlich nicht wusste, dass er Ihr Mann war«, stellte Naomi klar und wedelte mit ihrem Finger vor Claires Gesicht hin und her. »Aber nein. Ich will Folgendes beichten: Ich bin zwar stinksauer auf Brayden, aber noch wütender bin ich auf mich selbst. Weil ich zugelassen habe, dass er mich hinters Licht geführt hat.«

Audrey nickte. »Geht mir ähnlich. Ich meine, bei mir sind es eher Selbstvorwürfe als Wut, glaube ich, aber … ich grübele unaufhörlich darüber nach, wieso ich es nicht gesehen habe. Wie soll ich verhindern, dass mir so etwas noch einmal passiert?«

Claire blickte auf ihre Hände herunter, fuhr mit einer Fingerspitze über die kleinen Wunden, die sie sich durch ihre eigenen penibel manikürten Nägel zugefügt hatte. »Darüber mache ich mir keine Gedanken. Nach alldem bin ich fest entschlossen, mich in eine einsame, alte Lady mit Katzen zu verwandeln.«

»Nope«, rief Naomi entschlossen. »Wir werden nicht zulassen, dass er uns das antut. Ich gehöre eigentlich nicht zu den Frauen, die sich auf langfristige Beziehungen einlassen, aber männliche Gesellschaft gefällt mir durchaus, und ich habe nicht die Absicht, mir von Brayden den Appetit verderben zu lassen auf …«

»Gurken?«, schlug Audrey vor.

»Ich wollte eigentlich Sex sagen, aber ja. Gurken.«

Audrey lächelte flüchtig. »Ich bin eigentlich durchaus der Typ für langfristige Beziehungen. Ich wünsche mir den Ring und die Babys, und den …«

»Sag jetzt bitte nicht den Lattenzaun.«

»Oh Gott, nein!« Audrey schauderte, dann deutete sie auf ihre Schuhe. »Rote Sohlen wie diese passen nur auf die Fifth Avenue, nicht in die Vororte. Aber ich wünsche mir trotzdem das Märchen, und ich wünsche mir einfach …« Sie schluckte. »Aber heutzutage fällt es immer schwerer, daran zu glauben.«

»Dass wir uns nicht missverstehen.« Naomi wandte sich an Claire. »Sie wollen sich in eine Katzenfrau verwandeln, und Sie wollen Ihre Disney-Prinzessinnen-Träume aufgeben«, sagte sie zu Audrey gewandt. »Und das alles nur wegen eines Mannes.«

Claire und Audrey tauschten einen Blick, aber Naomi hörte nicht auf.

»Ladys, ich weiß, dass wir uns gerade erst kennengelernt haben, aber blicken wir den Tatsachen ins Auge: Wir tragen die gleichen Schuhe, und wir sind vom gleichen Typen gelinkt worden. Was mich angeht, haben wir dadurch ein paar Schritte im weiblichen Bonding-Prozess übersprungen.«

»Perfekt. Ich werde Sie zu einer Übernachtungsparty einladen«, meinte Claire und stand auf.

»Warten Sie!« Naomi legte ihr die Hand auf den Arm. »Ich schlage damit ja nicht gleich vor, dass wir uns auf der Stelle die gleichen Tattoos stechen lassen, sondern nur, dass wir einander helfen.«

Claire starrte sie an, setzte sich aber wieder hin. »Sie wollen, dass ich den Geliebten meines Mannes helfe – wobei genau?«

»Wir alle haben einen blinden Fleck, wenn es um Männer geht. Nach dem halten wir gegenseitig Ausschau. Allein sind wir offensichtlich nicht in der Lage, einen Kerl als denjenigen – oder das – zu erkennen, was er ist. Aber was, wenn wir unsere Kräfte bündeln? Uns dabei helfen, weitere Braydens zu entlarven und vom Hals zu halten.«

Naomi war klar, dass diese Aktion spontan, ein wenig herrisch, sehr verrückt war, aber es fühlte sich richtig an. Und Naomis Erfolg beruhte darauf, dass sie stets ihrem Instinkt vertraut hatte.

»Bei allem Respekt, ich kenne Sie überhaupt nicht«, wandte Audrey ein und fuhr sich mit der Hand über ihren dunklen Pferdeschwanz. »Ich kapiere, worauf Sie hinauswollen, aber warum sollte ich zulassen, dass zwei fremde Frauen einen Typ abschätzen, den ich mag, und nicht meine Freundinnen?«

»Aus einem ganz einfachen Grund: Wer hat ein besseres Gefühl dafür, wenn eine andere Frau übers Ohr gehauen wird, als drei Frauen, die gerade das erlebt haben, was wir mit Brayden durchmachen mussten?«, erklärte Naomi.

Audrey biss sich auf die Lippe und sah Claire an. »Wissen Sie, eigentlich finde ich diesen Plan gar nicht so übel?«

Claire machte sich an ihrer Armbanduhr zu schaffen, und Naomi folgte der Bewegung mit den Augen. »Cartier.«

Claire blickte auf. »Ja. Woher wissen Sie?«

»Ich kenne mich mit Designern aus. Und ich weiß auch, dass ich genau die gleiche Uhr zu Hause habe.«

Claires Augen weiteten sich. »Brayden …?«

Naomi nickte.

»Ich auch«, fügte Audrey beinahe unhörbar hinzu.

Claire starrte auf die Uhr an ihrem linken Handgelenk hinab, und Naomi wusste, dass dies das Zünglein an der Waage gewesen war.

Also streckte sie ihre rechte Hand aus. »Schlagt ein, Mädels, wir schließen einen Pakt wie damals auf der Highschool. Möge keine von euch jemals wieder auf so einen betrügerischen Mistkerl reinfallen. Nicht, solange ich aufpasse.«

»Und darauf, dass wir einander helfen, den Richtigen zu finden. Darauf passe ich auf«, fügte Audrey hinzu und legte die Hand auf Naomis.

Nach kurzem Zögern folgte auch Claire ihrem Beispiel. »Oh, was zum Teufel. Darauf, dass wir keine Arschlöcher mehr in unser Leben lassen.«

Naomi hatte normalerweise nichts für Frauenfreundschaften übrig und glaubte auch nicht an Schicksal. Doch obwohl sie diese ganze Paktgeschichte nur halb im Scherz meinte, geschah etwas Seltsames, als ihre Hände sich berührten. Als ob sie nun durch ein unsichtbares Band miteinander verwoben wären, bei dem es sich nicht um Brayden handelte, sondern um etwas Größeres. Wichtigeres.

Plötzlich war Naomi davon überzeugt, dass dieser Augenblick mit Claire Hayes und Audrey Tate irgendwie alles verändern würde.

Dann ließen sie die Hände wieder sinken, und Audrey stieß einen tiefen Seufzer aus und blickte ostwärts auf die Kirche. »Ich glaube, wir sollten zumindest mal kurz auftauchen, hm?«

Naomi stand auf und schob sich die Sonnenbrille mit einem Finger wieder auf die Nase zurück. »Scheiß drauf. Gehen wir lieber shoppen.«

2

Zwei Monate später – Montag, 24. September

Als Naomi Powells Manolo Blahniks den Aufzug in der Maxcessory-Zentrale verließen, tauchten ein paar preiswerte Nordstrom Rack Pumps an ihrer Seite auf. Das synchrone Klicken ihres Gleichschritts war Naomi ebenso vertraut – und lieb geworden – wie die Frau, die diese Schuhe trug.

»Hoffentlich ist das nicht das, wofür ich es halte«, sagte Deena Ferrari und musterte mit zusammengekniffenen Augen die pinkfarbene Kuchenschachtel in Naomis Händen.

»Double chocolate Geburtstagskuchen für meine Lieblingsassistentin«, sagte Naomi und gab ein knutschendes Geräusch in Deenas Richtung von sich.

»Wird ignoriert«, sagte Deena.

»Deinen Geburtstag kannst du nicht ignorieren«, widersprach Naomi, während Deena die Glastür zu Naomis Eckbüro öffnete und ihr hineinfolgte.

»Na ja, in Anbetracht der Tatsache, dass ich das jetzt schon seit fünf Jahren hintereinander tue«, sagte Deena und verschränkte die Arme vor der Brust, sodass ein beeindruckendes Dekolleté aus ihrem Leopardendruck-Wickelkleid herausquoll, »scheine ich das hervorragend zu können.«

»Aber warte, den besten Teil hast du doch noch gar nicht gesehen«, erklärte Naomi, stellte den Kuchen auf den Schreibtisch, warf ihre Hermès-Tasche auf den Stuhl und öffnete schwungvoll die Schachtel.

Deena blieb wie angewurzelt stehen, die Arme störrisch über der Brust gekreuzt. Trotzdem reckte sie den Hals, um zu sehen, was das stand.

Herzlichen Glückwunsch

zum 35.!

Deena, die, wie Naomi sehr wohl wusste, keinen Tag jünger als siebenundvierzig war, grinste. »Na gut, Geburtstag akzeptiert.«

»Dachte ich mir«, meinte Naomi und schloss den Deckel wieder, damit er in den Pausenraum gebracht werden konnte und sich später die Angestellten gemeinsam darüber hermachen konnten.

»Aber kein Lied«, forderte Deena und hob einen rot lackierten und mit Goldglitter verzierten Fingernagel in die Höhe. »Und keine Kerzen.«

»Geschenke?«, fragte Naomi.

»Geschenke nehme ich an. Aber vorher habe ich erst einmal Geschenke für dich …«

Naomi stöhnte, als Deena einen Stapel Klebezettel in die Höhe hielt und mit ihnen hin und her wedelte.

»Du drückst dich«, sagte Deena, als Naomi ihre Tasche wieder hochnahm und sich auf den Stuhl plumpsen ließ.

»Nicht mit Absicht«, widersprach Naomi und rieb sich die Schläfen. »Wenn ich das nächste Mal beschließe, in ein und demselben Monat nicht nur aus meiner Wohnung auszuziehen, sondern auch aus meinen Büroräumlichkeiten, darfst du mich schlagen. Und zwar mitten ins Gesicht. Wie in Desperate Housewives.«

»Mit Vergnügen«, antwortete ihre Assistentin und blätterte ihre Notizen durch.

Wahrscheinlich meinte Deena es ernst. Sie betonte gern, dass sie in einem anderen Leben im Reality-TV mitgemacht hätte, zum Beispiel bei Jersey Shore. Aber obwohl Deena das Drama liebte und man es auf den ersten Blick nie von ihr gedacht hätte, war sie absolut effizient. Vor vier Jahren, nachdem Naomis erste Assistentin sich aus dem Berufsleben verabschiedet hatte, um in Brooklyn ihre beiden Kinder aufzuziehen, war Deena in die Maxcessory-Zentrale marschiert, ohne Termin, ohne Lebenslauf und mit viel zu viel Parfüm.

Deena hatte niemals im Büro gearbeitet und hatte definitiv keine Ahnung vom Tippen – und selbst wenn sie die gehabt hätte, hätten ihre meilenlangen Fingernägel ihr das erschwert. Aber sie, das waschechte Jersey-Girl, hatte etwas, das Naomi mehr respektierte als Erfahrung. Sie hatte Stil.

Deena Ferrari war in ihr Büro stolziert, mit erhobenem Kinn und glitzerndem Lipgloss. Ihr schwarzes Kleid war eng anliegend und atemberaubend gewesen, die Absätze ihrer knöchelhohen Boots himmelhoch. Und obwohl die Frau in jeder Hinsicht speziell war, sah Naomis Adlerauge, das sich stets auf die Accessoire-Auswahl ihres Gegenübers konzentrierte, dass an Deenas Handgelenk genau die richtige Anzahl von Armreifen klimperte. Zudem hatte sie auf eine Halskette verzichtet, um jene Aufmerksamkeit auf ihre Chandelier-Ohrhänger zu lenken, die sie verdient hatten.

Nach unzähligen frischgebackenen College-Absolventinnen mit Kostümchen, die sie eigens fürs Vorstellungsgespräch angezogen hatten, mittelhohen Pumps und langweiligen Standardantworten, war Deena genau jener schwer parfümierte Lufthauch gewesen, den Naomi brauchte. Sie hatte Deena vom Fleck weg engagiert und es nie bereut.

»Was denkt das Team über unseren Umzug?«, fragte Naomi und drehte sich langsam in ihrem Stuhl herum.

Deena zuckte mit den Schultern. »Sie sind aufgeregt. Sosehr sie dich lieben und an Maxcessory glauben, dass sie sich ihre Schreibtische teilen und ständig um die beiden Konferenzräume streiten mussten, war schon ziemlich nervig.«

»Aber ich habe ein schlechtes Gewissen, weil wir zwischen den Pachtverträgen diese monatelange Pause haben«, meinte Naomi.

Deena warf ihr einen ungläubigen Blick zu. »Ernsthaft? Davon, dass dein Boss dir sagt, du musst von zu Hause aus arbeiten, träumt doch eigentlich jeder!«

»Wirklich?«, hakte Naomi erstaunt nach.

»Aber absolut. Konferenzschaltungen im Pyjama und keine elend überfüllte Linie F um sechs Uhr abends an einem Montag? Sie sind begeistert!«

»Ja, na ja, die Begeisterung lässt sicher bald nach, glaub mir«, murmelte Naomi. »Zwei Jahre in meiner winzigen Einzimmerwohnung zu arbeiten, um dieses Unternehmen aus dem Boden zu stampfen, hat mich beinahe umgebracht.«

»Klar, aber du musst zugeben, dass du dir manchmal immer noch wünschst, in Yogapants und ohne BH zu arbeiten.«

Naomi warf Deena einen Blick zu. »Wann hast du denn zum letzten Mal keinen BH getragen?«

Deena ließ ihre pushed-up Doppel-Ds in Naomis Richtung wogen, trotzdem kannte sie Naomis Verzögerungstaktik.

»Halt den Mund und hör dir an, was los ist«, stürzte sich Deena mitten hinein. »Die Umzugshelfer wollen unseren Umzug um drei Tage verschieben, konnten mir aber keinen plausiblen Grund nennen. Ich nehme an, ich kann ihnen sagen, dass sie sich gefälligst an den Vertrag halten oder sich zum Teufel scheren können?«

»Wenn du es anders formulierst, ja.«

»Die Reinigung hat angerufen. Sie konnten den Wasabi-Fleck nicht aus deiner weißen Bluse mit der Schleife rauskriegen.«

»Verdammt«, murmelte Naomi. »Dabei liebe ich diese Bluse.«

»Kommenden Freitag hast du deine jährliche Kontrolluntersuchung beim Gynäkologen, am Dienstag eine Massage, und deine Friseurin musste deinen Termin von Mittwoch auf Freitag verschieben … steht alles in deinem Kalender …«

Deena legte die Klebezettel vor Naomi hin, denn sie hatte mittlerweile die Erfahrung gemacht, dass Naomi ihre Aufgaben eher im Kopf behielt, wenn sie sie buchstäblich vor Augen hatte.

»Claire hat angerufen«, fuhr Deena fort. »Wollte dich erinnern, dass ihr euch heute Abend um sechs bei Audrey trefft, vor dem Film …?«

Deenas Ton klang fragend, und Naomi wusste, dass ihre Assistentin sagenhaft neugierig auf die beiden Frauen war. Sie waren im Sommer scheinbar aus dem Nichts in Naomis Leben aufgetaucht und innerhalb von zwei Monaten zu guten Freundinnen avanciert.

Naomi gab keine Antwort auf die Frage, die Deena nicht stellte. Intuitiv vertraute sie Deena, hielt Deena für eine treue Freundin. Aber es gab einfach ein paar Dinge, die man anderen nicht erklären konnte. Die Tatsache, dass man sich mit der Ehefrau und der Freundin des verstorbenen Geliebten angefreundet hatte, gehörte dazu.

Naomi, Claire und Audrey hatten von ihrer gegenseitigen Existenz zwar bis zu Braydens Beerdigung nichts geahnt, aber sie hatten die verlorene Zeit nachgeholt, indem sie häufig zusammen brunchen gegangen waren oder Weinabende miteinander verlebt hatten. Naomi gefiel die Vorstellung, dass die Tatsache, dass die drei Frauen, die Brayden Hayes betrogen hatte, sich miteinander verbündet hatten, ihn auf seinem Platz in der ersten Reihe der Hölle quälte.

Deena kam auf ihren nächsten Notizzettel zu sprechen. »Dylan Day hat wieder angerufen. Bescheuerter Name, aber …«

Naomi ließ ihren Kopf vor Ärger mehrfach gegen die Stuhllehne knallen. »Dieser Kerl lässt mich einfach nicht in Ruhe!«

»Meiner bescheidenen Meinung nach solltest du dich drauf einlassen«, meinte Deena.

»Das sähest du anders, wenn es dein Leben wäre, das zu einer TV-Serie verwurstet werden soll«, murmelte Naomi.

»Au contraire«, widersprach Deena und wackelte mit ihren Augenbrauen. »Ich zähle darauf, dass du deine italienische Diva von einer Assistentin zu einem integrativen Bestandteil deines Erfolgs machst.«

»Du weißt, dass sie dich nicht dich selbst spielen lassen werden, oder? Sie zielen auf eine dieser ›basierend auf einer wahren Geschichte‹ Storys ab, nicht auf einen Dokumentarfilm.«

»Warte, bis er mich kennenlernt«, sagte Deena zuversichtlich. Dann runzelte sie die Stirn. »Warte, er ist doch nicht schwul, oder? Das würde meine Chancen mindern.«

»Keine Ahnung.«

»Na ja, was sagt dir dein Gaydar? Ist nicht so gut wie meins, aber wenn er offensichtlich schwul ist …«

»Keine Ahnung, ich hab ihn doch noch gar nicht kennengelernt.«

Deena blieb der Mund offen stehen. »Aber der Sender ist doch schon seit Wochen deshalb hinter dir her.«

Naomi zuckte mit den Schultern. »Ich bin ihnen ausgewichen.«

»Aber warum? So entstehen nun mal Legenden, Baby. Du könntest gut und gern als Netflix-Serie durchgehen.«

Vielleicht. Aber die Naomi-Powell-Story war wohl kaum das Märchen, das sie sich erhofften. Oder vielleicht doch? Nur die ersten Jahre waren erheblich düsterer als Cinderellas Geschichte. Und in den späteren Stadien war keinerlei Prince Charming in Sicht.

»Ich rufe ihn zurück«, sagte Naomi entschieden, suchte nach dem entsprechenden Klebezettel und signalisierte Deena damit, dass die Unterhaltung beendet war. Vorläufig.

»Letzte Nachricht«, verkündete Deena und überflog das letzte pinkfarbene Post-it in ihrer Hand. »Die ist komisch. Irgendeine Frau hat angerufen und gesagt, dass dir ein Gespräch mit dem Ausschuss der Eigentümerversammlung gewährt würde. Ich dachte, du hättest deine neue Wohnung bereits gefunden?«

Naomi runzelte die Stirn. »Stimmt. Ich habe letzte Woche den Vertrag für diese Eigentumswohnung in Tribeca unterzeichnet. Hat Ann denn angedeutet, dass es irgendein Problem gibt?«

»Es war nicht Ann. Die Frau heißt Victoria, und das Apartment, von dem sie sprach, lag auf der Upper East Side, nicht in Tribeca.«

Naomi zog die Nase kraus. »Upper East Side?«

Nach ihrer Erfahrung mit Brayden wollte sie mit diesem eingebildeten, alteingesessenen, reichen Teil Manhattans nicht zu tun haben.

Deenas braune Augen überflogen den Zettel. »Yep. Die Adresse lautet 517 Park Avenue?«

Naomi hatte ihren Drehsessel langsam hin und her schwingen lassen, aber jetzt erstarrte sie. Das war die Adresse. »Was hast du gesagt?«

Naomi hörte selbst, wie scharf ihre Stimme klang, und auch Deena entging es nicht, denn sie warf Naomi einen erschrockenen Blick zu. »Du kennst es?«

Ja, sie kannte die Adresse, ganz sicher sogar.

Und genau so ein schlüpfriges Detail ihrer Vergangenheit wollte Dylan Day schließlich ausschlachten.

Dabei hatte Naomi über ein Jahrzehnt lang versucht, diesen Teil zu vergessen und hinter sich zu lassen.

3

Mittwoch, 26. September

Naomi hätte es auch telefonisch regeln können, aber dann siegte doch ihre Neugier.

Was dumm war. Eigentlich hätte sie im Büro und in ihrer Wohnung sein sollen und packen und sich auf den doppelten Umzug vorbereiten. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass sie sich endlich mit dem Produktionsunternehmen herumschlagen musste, das ihr Leben in ein Primetime-Special verwandeln wollte. Von den ganzen anderen Aufgaben, die mit der Leitung des eigenen Milliarden-Dollar-Unternehmens einhergingen, einmal ganz abgesehen.

Und stattdessen?

Stattdessen schlüpfte Naomi am Mittwochnachmittag leise aus dem Büro, und statt sich, wie sonst, zum Mittagessen Sushi oder ihren Lieblingssalat Niçoise in ihrem Stammbistro in der Lower East Side zu gönnen, begab sie sich in den oberen Teil der Stadt.

Hin zu einem Wohnblock, an den sie schon seit Jahren nicht mehr gedacht hatte.

Na ja, das stimmte nicht ganz. Sie hatte versucht, in den letzten Jahren nicht daran zu denken. Und meist war sie dabei erfolgreich gewesen – außer dann, wenn die lebenslange Verbitterung ihrer Mutter ihr mal wieder unter die Haut gegangen war und sie gezwungen hatte, sich zu erinnern.

Vor dem Gebäude blieb Naomi stehen und musterte die Fassade von 517 Park Avenue. Sie sah aus … wie immer. Und das war wahrscheinlich der Punkt. Hier, an der Upper East Side, hielt man Vorkriegsarchitektur nicht für alt, sondern für altehrwürdig. Und das galt als höchstes Lob.

Mir nichts dir nichts hatte sich eine Wolke über sie gelegt, und sie spürte, wie sie sich veränderte. Als seien das Stella-McCartney-Kleid, die Schuhe und die Tasche, die alle für sich genommen mehr kosteten als die Miete für ihre erste Wohnung, einfach verschwunden.

Als sei sie nicht länger Naomi Powell, die erstklassige »junge Chefin«, die die Geschäftswelt Amerikas im Sturm erobert hatte.

Stattdessen war sie Naomi Fields. Das magere, neunjährige Mädchen in geschenkten Klamotten, das nicht in diesen Stadtteil gehörte und jeden verdammten Tag wieder aufs Neue daran erinnert wurde.

Naomi biss die Zähne zusammen, um die Erinnerung zurückzudrängen, straffte die Schultern, reckte das Kinn und erklomm die Treppenstufen.

Ein vertrauter Duft erfüllte das Foyer, aber sie ignorierte das bekannte Gefühl, als sie sich dem Türsteher vorstellte und in das kleine Büro zur Rechten dirigiert wurde, an dem sie als Mädchen immer blitzschnell vorbeigerannt war. Die grauhaarige Frau hinter dem altmodischen Schreibtisch einer Sekretärin war irgendetwas zwischen mittelalt und Seniorin und arbeitete wahrscheinlich schon sehr lange hier.

Sie warf Naomi über ihre Brille hinweg einen Blick zu. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Ich bin Naomi Campbell. Ich habe einen Termin.«

»Ja, natürlich«, murmelte die Frau und wandte sich einem Stapel Aktenmappen rechts von ihr zu, von dem sie die oberste an Naomi weiterreichte.

»Ihr Gespräch ist für zwölf Uhr dreißig angesetzt. Nehmen Sie doch bitte im Büro zu Ihrer Linken Platz und werfen Sie einen Blick in Ihre Akte. Wir haben Sie per Post erhalten, deshalb ist sie ein wenig verknittert.«

Die Stimme der Frau klang tadelnd, aber Naomi ignorierte ihren Ton. Allerdings hätte sie durchaus fragen sollen, warum sie überhaupt eine Akte hatte – egal ob diese per Post verschickt wurde oder auf anderem Wege zu ihr gelangt war.

Aber sie nickte nur, nahm die Akte an sich und ging in das betreffende Büro – einen muffigen, kleinen Warteraum mit sogar noch muffigerem Mobiliar. Dann setzte sie sich auf einen Chintz-Sessel vor einem großen hölzernen Schreibtisch. Sie öffnete die Akte.

Und atmete scharf aus. Nicht wegen der Bewerbung selbst – die war nullachtfünfzehn – sondern wegen der Schrift, in der sie verfasst worden war. Die Handschrift ihrer verstorbenen Mutter war immer das würdevollste an ihr gewesen. Elegante, schwungvolle Buchstaben, die Danica Fields Tattoos, ihren Kettenraucher-Husten und den vulgären Akzent Lügen straften.

»Oh, Mom«, flüsterte Naomi leise und fuhr mit dem Finger über ihren Namen. »Was hast du getan?«

Nach einer schnellen Durchsicht der Papiere fand Naomi ihre Befürchtungen bestätigt: Danica hatte im Namen ihrer Tochter einen Antrag auf eine Wohnung hier gestellt, in ebenjenem Gebäude, das ihre Mutter seinerzeit gern als Höllenschlund bezeichnet hatte.

Naomis Blick fiel auf die Unterschrift am Fuße der Seite. Wie erwartet handelte es sich um ihren eigenen Namen, allerdings in der präzisen Schreibschrift ihrer Mutter. Sie besah sich das Datum daneben: der 21. März.

Vor sechs Monaten. Und nur zwei Wochen vor dem Tod ihrer Mutter.

Naomi schluckte den Kloß im Hals herunter und schloss die Akte, verschränkte die Hände im Schoß und wartete.

Und wartete.

Nach fünf Minuten begann sie, die altmodische Uhr an der Wand zu beobachten, die spöttisch vor sich hin tickte. Nach zehn Minuten fing sie an, die Uhr wütendanzufunkeln.

Wer immer dieses »Interview« führen wollte, verspätete sich.

Naomi stand auf in der Absicht, der Dame an der Rezeption zu erklären, dass sie für so etwas keine Zeit hatte. Zum Teufel, sie wollte es eigentlich überhaupt nicht. Naomi brauchte keine Wohnung. Schon gar nicht eine, für die man, wie das Datum auf der Bewerbung ihrer Mutter nahelegte, sechs Monate lang auf einer Warteliste stand.

Und selbst wenn sie wohnungssuchend gewesen wäre, wäre sie niemals auf einen trübseligen Ort wie diesen verfallen, wobei bei der Entscheidung, wen man hier akzeptierte und wen nicht, zu allem Überfluss vermutlich so ein Wort wie Stammbaum fiel.

Doch wenn Naomi ehrlich zu sich selbst war, dann war das, was sie an diesen Menschen verachtete, auch gleichzeitig der Grund, warum sie überhaupt hergekommen war. Sie plagte eine beinahe morbide Neugier, zu sehen, ob sie ihre Bewerbung annehmen würden oder nicht.

Laut Stammbaum war sie zwar eher eine Promenadenmischung als ein reinrassiges Tier, aber dafür eine Promenadenmischung mit Diamanthalsband. In den acht Jahren seit dem Launch hatte sich Maxcessory von einer winzigen Ein-Frauen-Klitsche, die sie von ihrer Einzimmerwohnung im East Village aus betrieben hatte, zu einem blühenden Unternehmen gemausert mit siebenstelligem Kapital, Hunderten von Angestellten und Büros in New York und San Francisco und einem, das demnächst in Los Angeles eröffnet wurde.

Wenn die Eigentümerversammlung ihre Bewerbung ablehnte, sollten sie es ihr ins Gesicht sagen, sollten laut und deutlich aussprechen, dass ihr Blut nicht blau genug war. Denn bei Gott, ihr Geld war ganz gewiss grün genug.

Aber bevor sie der Empfangsdame Dampf machen konnte, hörte sie Stimmen. Die erste gehörte der Rezeptionistin, Victoria, aber bei der zweiten handelte es sich um das tiefe Rumpeln einer männlichen Stimme. Vielleicht war das die Person, die das Bewerbungsgespräch führen würde?

Wer immer es war, er hatte offenbar keine Ahnung – oder es war ihm egal –, dass die Tür einen Spalt weit aufstand und sie jedes Wort ihrer Unterhaltung verstehen konnte.

»Suchen Sie sich dafür jemand anderen«, forderte der Mann. »Dieses ganze Auswahlverfahren ist total veraltet.«

Naomi zog die Augenbrauen hoch. Dem konnte sie wohl kaum widersprechen. Allerdings hatte sie so eine Einstellung nicht erwartet.

»Seien Sie nicht kindisch«, antwortete die Frau in herrischem Ton. »Gehen Sie jetzt da rein und führen Sie das Bewerbungsgespräch mit dem Mädchen.«

»Drücken Sie das doch Doreen aufs Auge. Sie macht so was gern.«

»Sie ist mit ihrem neuesten Toyboy in Miami. Mit dem Italiener.«

Naomi riss die Augen auf. Gut gemacht, Doreen.

Man hörte ihn leise fluchen. »Was ist mit Janet? Oder Ned? Die fahren doch total darauf ab, andere zu fragen, wer ihre ›Leute‹ sind.«

»Die beiden haben bereits mehr als ihren Anteil an Interviews geführt. Wir hatten Hunderte von Bewerbern, und mehr als fünfzig haben die Vorauswahlrunde überstanden. Jeder ist mal mit Interviews dran, und man hat mich beauftragt, Ihnen dieses hier aufs Auge zu drücken.«

»Warum?«, knurrte der Mann.

»Ich habe keinen blassen Schimmer, aber das arme Ding sitzt jetzt schon beinahe zwanzig Minuten da drin. Hier sind die Papiere. Tun Sie wenigstens so, als würden Sie sie in Betracht ziehen, dann können wir uns alle wieder unserem Tagesgeschäft zuwenden.«

Naomi verengte die Augen. Er sollte so tun, als ob er sie in Betracht zöge? Wie konnte sie jetzt schon aus dem Rennen sein?

Weil du Abschaum bist. Und das riechen sie.

Naomi schloss die Augen, um die Stimme aus ihrem Hirn zu verbannen. Sie hatte geglaubt, diesen kleinen Teil ihres Unterbewusstseins schon vor Jahren erstickt zu haben, aber etwas an diesem verdammten Gebäude …

Naomi blieb nur noch der Bruchteil einer Sekunde, um den Kopf herumwirbeln zu lassen und die Unwissende zu spielen, bis die Tür geöffnet wurde. Sie wartete mit im Schoß verschränkten Händen, als der Mann eintrat und die Tür mit genug Wucht zuknallte, um ihr zu zeigen, dass er wenig Lust hatte, hier zu sein.

Naomi legte die Beine übereinander, sah züchtig vor sich hin, während der Mann sich auf die andere Seite des Schreibtisches begab. Sie sah, wie er eine Aktentasche neben sich auf den Boden stellte und die Kopie ihrer Akte auf den Schreibtisch knallte, bevor er sich auf dem Ledersessel ihr gegenüber niederließ.

Ungeduldig öffnete er den Folder und blätterte ihn durch, überflog ihn, bis er anscheinend auf ihren Namen gestoßen war, denn er sprach ihn laut und in unfreundlich gereiztem Ton aus: »Naomi Powell.«

Naomi atmete behutsam ein und setzte eine, wie sie hoffte, Maske gelassener Höflichkeit auf. Dann sah sie ihm in die Augen.

Und wieder atmete sie scharf aus, als sie seinem sengenden Blick begegnete.

Es war nicht die Tatsache, dass der Mann gut aussah, obwohl das durchaus der Fall war. Er sah sogar geradezu verstörend gut aus. Dichtes braunes Haar, ein Gesicht, auf dem nicht die leiseste Spur eines Bartschattens zu sehen war, sodass das maskulin kantige Kinn noch besser zur Geltung kam, breite Schultern …

Und hellblaue Augen, die sie überall wiedererkannt hätte.

Vor allem in ihren Alpträumen.

Und Erinnerungen.

Naomi hatte geglaubt, heute auf alles vorbereitet zu sein. Auf jeden.

Aber nie hätte sie es für möglich gehalten, dass sie dieses Bewerbungsgespräch mit Oliver Cunningham führen würde. Niemals hätte sie im Traum daran gedacht, dass der Junge, der sie in ihrer Kindheit erbarmungslos gepiesackt hatte, noch einmal ihr Schicksal in seinen Händen halten würde.

4

Mittwoch, 26. September

Ebenso verärgert wie verwirrt starrte Oliver den Rotschopf an, der ihn über den Schreibtisch hinweg anfunkelte, als wolle sie ihm die Luftröhre zerquetschen, sodass er allenfalls noch japsen konnte wie Darth Vader.

Naomi … wie war doch gleich ihr Nachname? Er warf einen weiteren Blick auf die Papiere. Powell. Erster Eindruck? Etwas beängstigend. Na ja, nein. Das war der zweite Eindruck. Der erste war, dass diese Frau heiß war. Sehr, sehr heiß.

Jedenfalls war Naomi Powell nicht das, was er erwartet hatte, als Vicky ihn unter Druck gesetzt hatte, damit er dieses beschissene Interview führte. Zum einen entsprach das Haar nicht dem Klischee. Er war auf silbergrau eingestellt gewesen, nicht auf feuriges Rot. Auch der Rest an ihr war feurig. Die Menschen in diesem Gebäude waren nicht wirklich bekannt für ihre Gefühlsausbrüche, doch diese Frau schien förmlich zu knistern vor Emotionen.

Die meiste Zeit über hatte Oliver Cunningham nichts dagegen, auf der 517 Park Avenue zu leben. Zugegeben, die meisten Leute hier verhielten sich, als sei ihnen ihr Silberlöffel dorthin geschoben worden, wo die Sonne nie hinkam. Und ja, er war der jüngste Bewohner, bestimmt gute dreißig Jahre jünger als der Rest.

Aber es gab auch Vorteile. Die Eigentümerversammlung hatte ihm gestattet, die Wand zwischen seiner Küche und seinem Wohnzimmer einzureißen, um ein auf der Park Avenue seltenes, offenes Wohnkonzept zu realisieren. Die Veränderung hatte Raum für seine hochwertige Küche und seinen Siebzig-Zoll-Flachbildschirm geschaffen. Und obwohl er keinen unbedingten Wert darauf legte, damit anzugeben, dass er heute im gleichen Gebäude lebte, in dem er aufgewachsen war, fand er es doch praktisch, dass er sich um seinen Vater kümmern und gleichzeitig sein eigenes, unabhängiges Leben führen konnte. Na ja, einigermaßen.

Mit anderen Worten, seine Wohnung war erträglich. Zumindest meistens.

Aber dann gab es Zeiten wie heute. In denen der seltene Fall eintrat, dass eine Wohnung frei wurde und sich sämtliche Bewohner des Hauses plötzlich lächerlicher aufführten als ein ganzes Studentinnenwohnheim im Vollrausch. Olivers Ansicht nach war der Bewerbungsprozess lediglich eine Gelegenheit für die Achtzigjährigen der Upper East Side, ihre makellose Abstammung geltend zu machen. Sie genossen es offenbar, denjenigen ein Gefühl der Minderwertigkeit zu vermitteln, die sich keiner obskuren Verbindung mit einem Vanderbilt oder einem Rockefeller brüsten konnten.

Oliver versuchte, sich nicht daran zu beteiligen, aber um Vickys willen war er heute eingeknickt. Es war schließlich nicht die Schuld der langjährigen Rezeptionistin, dass die Cunningham-Verpflichtungen gegenüber der Eigentümerversammlung nach dem Tod seiner Mutter und der Arbeitsunfähigkeit seines Vaters ihm zufielen. Ob es ihm nun gefiel oder nicht, er musste sich dieser Aufgabe stellen. Und um eins klarzustellen, er hatte keine Freude daran. Aber wenn er den Vorgaben nicht folgte und dieses verdammte Interview führte, würde Vicky die Suppe auslöffeln müssen, deshalb war er hier.

Und dennoch, sie hatte Oliver nun wirklich nicht erwartet.

Außer dem roten Haar und der seltsamen Feindseligkeit, die in Wellen von ihr ausging, war ihr Gesicht einfach … hinreißend. Sie war auf jene Art attraktiv, die einen zweimal hinsehen ließ. Ihre großen blauen Augen neigten sich an den Ecken leicht nach oben. Ihre Lippen waren voll und üppig und im Augenblick zu einem leichten Schmollmund verzogen. Jede Menge Sommersprossen, die sie, soweit er sehen konnte, nicht mit Make-up übertünchte. Ganz anders als die perfekt symmetrischen, künstlichen Gesichter, an die er sonst so gewöhnt war.

Doch nichts von alldem erklärte dieses tödlich kalte Funkeln, mit dem Naomi ihn musterte. Normalerweise reagierten Frauen auf Oliver nicht allzu emotional. Aber diese Frau strotzte nur so vor Gefühl.

Oliver besann sich seiner gesellschaftlichen Umgangsformen und seiner Erziehung und streckte ihr über den Schreibtisch hinweg die Hand entgegen. »Ms Powell. Ich bin Oliver Cunningham.«

Sie zögerte offensichtlich, und einen rätselhaften Augenblick lang glaubte er, dass sie sich tatsächlich weigern würde, ihm die Hand zu schütteln.

Schließlich jedoch legte sie ihre Hand in die seine, und obwohl der feste Händedruck Routine war, war seine Reaktion darauf alles andere als gewöhnlich. Sein Magen zog sich zusammen, als ihre Handfläche die seine streifte, und Oliver biss die Zähne aufeinander.

Gütiger Herrgott, war er so lange schon nicht mehr mit einer Frau zusammen gewesen, dass es ihm schon ein Händedruck besorgte?

Er zog seine Hand zurück und räusperte sich.

»Na schön, Ms Powell«, sagte er in etwas unterkühltem Ton, um die Hitze auszugleichen, die in ihm loderte. »Wenn Sie es bis hierher geschafft haben, genügen ihr Leumund und ihr Hintergrund unseren Anforderungen. Kommen wir also gleich zur Sache. Warum wollen Sie hier wohnen?«

Er hörte, wie sie einatmete, als müsse sie ihr Temperament im Zaum halten, obwohl er nicht die leiseste Ahnung hatte, was er getan hatte, um sie derart auf die Palme zu bringen.

»Das Gebäude ist sehr hübsch. Die Vorkriegsarchitektur ist exquisit«, antwortete sie.

Sein Magen zog sich sogar noch mehr zusammen. Diese Stimme. Leise, heiser und verdammt verführerisch.

Reiß dich zusammen, Cunningham.

Er zwang sich, sich auf ihre Worte zu konzentrieren, die so langweilig waren wie ihre Stimme faszinierend war. Vorkriegsarchitektur?

Er kannte eine Menge Leute, die so ein Scheiß interessierte, aber er selbst gehörte nicht dazu. Und aus irgendeinem Grund hatte er nicht angenommen, dass sie dazugehörte. Verdammt. Enttäuschend.

Oliver lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, nahm die Aktenmappe und schlug damit auf die Hand, während er darüber nachdachte, wie er sie am besten wieder loswurde. Später warteten ein trocken gereiftes Ribeye, ein eiskalter Cocktail und das Yankees-Spiel auf ihn. Ganz zu schweigen von dem zweitausendteiligen Puzzle, das er unbedingt beenden wollte. Nicht dass er Letzteres jemals im Büro erwähnt hätte oder – na ja – jemals. Wie seine frühere Verlobte immer sagte, hatte ein erwachsener Mann, der gern puzzelte, etwas Seltsames an sich.

Oliver war da anderer Ansicht. Schließlich laminierte und rahmte er fertige Puzzles ja nicht, um sie sich an die Wand zu hängen. Das wäre schräg gewesen. Er löste nur gerne Rätsel. Puzzle. Sudoku. Kreuzworträtsel … Menschen.

»Wo wohnen Sie jetzt?«, fragte Oliver, dem plötzlich aufging, dass die Stille sich zu lange zwischen ihnen ausdehnte.

»Das steht doch sicher in meiner Akte«, antwortete sie mit hölzernem Lächeln.