Manhattan Love Story - Lauren Layne - E-Book
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Manhattan Love Story E-Book

Lauren Layne

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Beschreibung

Gracie Cooper ist hoffnungslos romantisch. Als ihr Vater ihr den kleinen Champagner-Laden der Familie in Manhattan vermacht, setzt sie alles daran, seinen Traum am Leben zu halten. Auch wenn das von der Nachbarschaft geliebte Geschäft vor dem Ruin steht und ein riesiger Konzern Gracie zum Verkauf drängt. Entschlossen wehrt sie die Angebote des unsagbar attraktiven CEOs Sebastian Andrews ab. Kraft und Trost in dieser schweren Zeit schenken ihr die Unterhaltungen mit „Sir“, einem charmanten Unbekannten, den sie auf einer Online-Plattform kennengelernt hat und der ihr Seelenverwandter zu sein scheint. Sie kann nicht ahnen, dass sie „Sir“ bereits begegnet ist – und dass sie ihn nicht ausstehen kann.

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Seitenzahl: 382

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Buch

Gracie Cooper ist eine hoffnungslos romantische Optimistin, die versucht immer, aus allem das Beste zu machen. Als ihr Vater überraschend stirbt und ihr den kleinen Champagner-Laden Bubbles in Midtown Manhattan vermacht, verzichtet sie kurzerhand auf ihr Kunststudium, um seinen Traum am Leben zu halten. Doch das ist leichter gesagt als getan. Das kleine Geschäft wird zwar von der Nachbarschaft geliebt, steht aber kurz vor dem Ruin. Zu allem Überfluss will auch noch ein riesiger Konzern das Gebäude übernehmen und Gracie zum Verkauf zwingen. Gracie denkt gar nicht daran und wehrt jeden Gesprächsversuch des CEOs Sebastian Andrews ab – auch wenn er unfassbar attraktiv ist und die schönsten blauen Augen hat, die sie je gesehen hat. Das Einzige, was Gracie Trost schenkt, sind ihre Unterhaltungen mit »Sir«. So nennt sich der charmante Unbekannte, mit dem sie auf einer Online-Dating-Plattform chattet und der ihr Seelenverwandter zu sein scheint. Sie kann nicht ahnen, dass sie »Sir« nur allzu gut kennt – und dass sie ihn nicht ausstehen kann.

Weitere Informationen zu Lauren Layne sowie zu lieferbaren Titeln der Autorin finden Sie am Ende des Buches.

LAUREN LAYNE

Manhattan Love Story

Roman

Übersetzt von Stefanie Retterbush

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel »To Sir, with Love« bei Gallery Books, New York.

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Copyright © 2021 by Lauren Layne

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2023 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

Umschlagmotive: FinePic®, München

Redaktion: Lisa Caroline Wolf

MR · Herstellung: ik

Satz: Mediengestaltung Vornehm GmbH, München

ISBN: 978-3-641-29704-6V001

www.goldmann-verlag.de

Werte Lady,keine Ahnung, wie ich es Ihnen schonend beibringen soll, also sage ich es einfach geradeheraus. Sie liegen so was von falsch. So falsch, wie man nur falschliegen kann. Wer an einem heißen Sommertag in der Großstadt noch nie ein Zitronensorbet gegessen hat, der hat nicht gelebt. Eiscreme ist nichts dagegen. Und ich dachte, ich kenne Sie.Der Ihre in milder Verachtung,Sir

An Sir, ebenfalls mit Verachtung, wenn auch weniger milde.Ich stehe weiterhin fest zu meiner Überzeugung: Sorbets sind ein Affront gegen gefrorene Süßspeisen aller Art. Mein Pistaziengelato schlägt Ihr Zitronensorbet um Längen.Lady

Eins

»Was ist denn das? Lächelst du etwa?«

Schnell lasse ich das Handy in der Tasche verschwinden, widme mich wieder dem Baby, das auf meinem Schoß sitzt, eine Hand schützend auf das warme Bäuchlein gelegt, und wische ihm ein bisschen Spucke vom pummeligen Kinn. »Das, meine Liebe, ist ein Grinsen, weil ich diesen Hosenscheißer nämlich gleich entführen werde. Und seinen heißen Daddy gleich mit.«

Meine beste Freundin scheint die Drohung, ihr Kind und Mann abspenstig machen zu wollen, nicht so ganz ernst zu nehmen. »Das kannst du dir abschminken. Felix steht auf jüdische Frauen. Ach ja, und auf große Brüste.«

»Ich könnte ja konvertieren.« Hingerissen schäkere ich mit dem Baby. »Und mir die Brüste machen lassen.«

»Na, hoffentlich funktionieren die dann auch. Matteo hängt nämlich noch an der Milchbar.«

»So jung und schon ein Faible für Möpse?«, frage ich den kleinen Knirps, der die winzigen Fingerchen um meine krallt, fest schüttelt und mich dabei ungeniert angrinst.

»Aber nicht mehr lange«, entgegnet Rachel. »Ich bin gerade dabei, den kleinen Stinker abzustillen. Vom Fläschchen bekommt er allerdings Blähungen.«

»Pupser vom Fläschchen?« Ich schaue sie an. »So was gibt es?«

»Und wie«, versichert Rachel düster. »Du würdest dich wundern. Dumm nur, dass man kein Rückgaberecht hat.«

»Brauchst du gar nicht.« Ich mache Kussgeräusche in Richtung Baby. »Ich sagte doch, ich nehme ihn.«

»Das habe ich mitbekommen. Aber zurück zum Disney-Prinzessinnen-Lächeln beim Blick auf dein Handy. Wir sind seit über zwanzig Jahren befreundet, und dieses Lächeln kenne ich nur zu gut. Du bist voll im Cinderella-Modus.«

»Was? Ich habe keinen Cinderella-Modus!«

»Natürlich«, widerspricht Rachel. »Gerade hast du dein halbes Sandwich an die Tauben verfüttert. Die du mit Namen angesprochen hast.«

»Ist man überhaupt ein waschechter New Yorker, wenn man mit den Tauben im Central Park nicht auf Du und Du ist?«

»Und dann hast du ihnen was vorgesungen«, fährt Rachel unbeirrt fort.

»Gesummt. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.«

»Hm, hm. Und welches Liedchen hat du gesummt?«

Ich beiße mir auf die Lippen und spare mir die Antwort. Es war »It Had To Be You«, Frank-Sinatra-Style. Für die Tauben. Dabei weiß ich doch, wenn ich nicht gerade in meinem sogenannten Cinderella-Modus bin, nur zu gut, dass Tauben eigentlich Flugratten sind.

Es sieht nicht gut aus für mich, und das wissen wir beide.

Rachel schüttelt bedächtig den Kopf. »Gracie Madeleine Cooper, du bist verliebt und hast mir nichts erzählt.«

Ich schnaube nur. »Das wäre ein echtes Kunststück! Ich habe seit beinahe einem halben Jahr kein zweites Date mehr gehabt habe, dafür aber viiiiiel zu viele erste.«

Sie streckt die Hand nach mir aus. »Handy.«

»Was?«

»Immer, wenn du aufs Handy schaust, kommt dieses verträumte Lächeln.« Ganz selbstverständlich greift sie nach meiner Handtasche, mit der Übergriffigkeit einer besten Freundin, die einen seit über zwanzig Jahren kennt. »Lass sehen.«

»Was? Nein! Hier«, stottere ich und versuche, ihr Matteo in den Arm zu drücken. »Komm, wir tauschen. Baby gegen Privatsphäre.«

Ihr klappt die Kinnlade herunter. »So bist du doch sonst nicht! Du verheimlichst mir was!«

»Gar nicht wahr.«

Wohl wahr. Und wie ich ihr was verheimliche. Doch das Ganze ist mir ein kleines bisschen peinlich, selbst vor einer Frau, die mir mal auf einem Klo in Coney Island nach Unmengen blauer Zuckerwatte die Haare aus dem Gesicht halten musste.

Entschieden drücke ich ihr das Baby in den Arm, und der kleine Matteo scheint auf meiner Seite zu sein und fängt prompt an zu quengeln. Was mir eine kleine Verschnaufpause vom Kreuzverhör seiner Mutter verschafft. Als könnte sie meine Gedanken lesen, legt Rachel sich Matteo an die Schulter und reicht mir ein Haargummi. »Pferdeschwanz«, kommandiert sie und wendet mir den Rücken zu.

Folgsam fasse ich ihre dicken Haare hinten zusammen und mühe mich, das Gummiband um die unbändige Lockenmähne zu winden. Ich muss lächeln, weil plötzlich Kindheitserinnerungen hochkommen, von meinem ersten Tag im dritten Schuljahr an der neuen Schule, auf dem Kopf ein Pferdeschwanz wie ein knubbeliges Vogelnest, weil mein frisch verwitweter Vater keine Ahnung hatte, wie man einen Zopf bindet.

Ein Blick in mein unglückliches Gesicht hatte gereicht, dass Rachel, die unangefochtene Wortführerin der dritten Klasse der Jefferson Elementary School, zu mir herübermarschierte und unüberhörbar verkündete, sie müsse unbedingt französische Zöpfe flechten üben und ich sei ihre Muse.

Seitdem sind wir befreundet.

»Deine Haare sind der Hammer«, seufze ich, stopfe eine widerspenstige Strähne unter das Band und begutachte mein Werk.

»Netter Ablenkungsversuch«, entgegnet sie und dreht sich wieder zu mir um.

»Du machst mich fertig.« Seufzend füge ich mich in mein Schicksal. »Okay, aber wenn ich dir sage, was los ist, musst du versprechen, mir keine Standpauke zu halten.«

Mit gespielter Entrüstung sieht sie mich an. »Eine echte Freundin würde niemals von mir verlangen, meine wahre Natur zu leugnen.«

»Also schön«, seufze ich. »Aber während du mir eine Standpauke hältst, könntest du berücksichtigen, dass ich eine große Schwester habe, die bis heute nicht geschnallt hat, dass ich dreiunddreißig bin, und keine zehn mehr.«

»Ist notiert. Weiter im Text.«

Ich lasse mir Zeit, lehne mich auf der grünen Parkbank zurück und lasse die spätsommerliche Atmosphäre des Central Park auf mich wirken.

Schließlich atme ich aus. »Also, es gibt da so eine Dating-App.«

»Tinder?«

»Nein.«

»Hinge?«

»Nein.«

»eHarmony?«

»Okay, für eine Frau, die seit sieben Jahren verheiratet ist, weißt du überraschend gut Bescheid«, sage ich. »Und sie heißt MysteryMate.«

Rachel verzieht das Gesicht. »O Gott, das ist ja furchtbar. ›Mate‹, das klingt nach Vogeldoku auf Discovery.«

»Ja, der Name ist Mist«, muss ich zugeben.

Und der dazugehörige Slogan ist sogar noch viel schlimmer. Liebe auf den ersten Klick. Aber das ist nicht mal das Peinlichste an meinem kleinen Geheimnis.

»Und was ist daran so besonders?«, will sie wissen.

Ich greife nach ihrem angebissenen Sandwich und reiße meinen beiden Taubenfreunden Spencer und Katharine, benannt nach Tracy und Hepburn, ein Stückchen davon ab.

»Also, wie du weißt, geht es bei Tinder nur um Äußerlichkeiten, man wischt sich durch Unmengen von Fotos, mehr nicht«, erkläre ich. »Na ja, und diese App ist quasi das genaue Gegenteil davon. Fotos gibt es nicht. Nicht einmal Namen. Man sucht sich einfach so einen Cartoon-Avatar und einen Nicknamen aus, und die App durchsucht die Datenbank nach geeigneten Partnern.«

Ich betone das Wort absichtlich und grinse blöd, und sie verdreht die Augen. »Okay, verstehe. Es geht also um ›innere Werte‹. Und was passiert, wenn man gematched wird?«

»Dann schreibt man sich. Und wenn es passt, trifft man sich.«

»Und was, wenn der oder die andere einfach abgrundtief hässlich ist?«

Ich bedenke sie mit einem strafenden Blick, aber sie zuckt bloß die Achseln und streicht dem Baby über den Rücken. »Man wird doch wohl noch fragen dürfen. Seelenverwandtschaft schön und gut, aber was ist mit der körperlichen Anziehung?«

»Tja, bisher war jedenfalls keiner der Männer, mit denen ich mich im echten Leben getroffen habe, abgrundtief hässlich.«

»Aber lass mich raten, wirklich heiß war bloß einer, hm? Oder nein, warte. Du sagtest, es gab kein zweites Date.«

»Gab es auch nicht«, gestehe ich etwas geknickt. »Die Männer waren echt nett und alles und sahen auch ganz passabel aus. Aber gefunkt hat es nicht. So gar nicht.«

Rachel legt den Kopf schief. »Und warum dann der Cinderella-Modus? In den verfällst du doch sonst nur, wenn du rettungslos verknallt bist.«

Ich hole tief Luft. »Okay. Jetzt kommt der Teil, für den du deinen strengsten Oberlehrerinnenton auspacken kannst.«

Rachel räuspert sich und summt wie eine Sängerin beim Einsingen vor ihrem großen Auftritt. »Okay, ich bin so weit. Leg los.«

»Also, es gibt da jemanden auf dieser App, mit dem ich wirklich gerne schreibe. Aber … im wahren Leben sind wir uns noch nicht begegnet.«

»Hmm.« Sie schürzt die Lippen. »Das reicht noch nicht für eine Standpauke. Wieso trefft ihr euch nicht einfach?«

Ich beiße mir auf die Lippen. »Weil er eigentlich nicht zu haben ist.«

»Und was macht er dann auf einer Dating-App?«

»Er hat sich nicht selbst angemeldet. Er war auf dem Junggesellenabschied eines Freundes, und einer seiner Kumpels ist sturzbetrunken auf die irre witzige Idee gekommen, ein Profil für ihn anzulegen.«

»Okay, aber wenn da zwischen euch beiden was ist …«

»Er hat eine Freundin«, falle ich ihr ins Wort.

»Ohhhhhhhh«, sagt Rachel, und ihre Augen werden groß und rund. »Verzwickt. Warte. Du hast eine Cyber-Affäre! Mit einem Fremdgänger!«

»Habe ich nicht. Wirklich nicht«, protestiere ich. »Und er ist kein Fremdgänger. Als ich ihm nach unserem Match geschrieben habe, hat er mir sofort erklärt, was passiert ist und dass er gar nicht auf der Suche ist. Wenn es ihm um eine Affäre gehen würde, hätte er das sicher nicht getan.«

»Stimmt«, muss sie gestehen. »Aber wieso schreibt ihr euch dann noch?«

»Alles rein platonisch«, versichere ich. »Nachdem er mir geantwortet hat, habe ich zurückgeschrieben und gesagt, kein Ding, und daraufhin hat er mir zurückgeschrieben, und dann habe ich wieder zurückgeschrieben. Bis wir irgendwann festgestellt haben, dass wir beide mal furchtbar in Schauspieler aus Empire Road verschossen waren, weißt du noch, diese komische britische Siebziger-Jahre-Serie …?«

»O Gott, ja, das hatte ich schon ganz verdrängt. Du hast immer für A. J. geschwärmt.«

»Bis heute«, muss ich nickend gestehen. »Er stand auf Corey. Wir wohnen beide in Manhattan, wir haben beide was gegen Porridge, sein Vater ist genau wie meiner an Lungenkrebs gestorben, wir essen beide unser Rührei mit Senf …«

»Widerlich.«

»Nur wenn es um Eis geht, sind wir vollkommen anderer Meinung.«

»Da, schon wieder dieses Lächeln!«, ruft Rachel. »Sorry, aber ich kaufe dir diese ganze platonische Freundschaftskiste nicht ab. Du bist bis über beide Ohren verknallt in diesen Kerl.«

»Ich bin ihm doch noch nie begegnet!«

Rachel schürzt die Lippen und legt Matteo an die andere Schulter. »Weiß Lily davon?«

»Dass ich ab und zu mit einem Freund schreibe? Warum sollte ich ihr das sagen?«

Wobei ich das tatsächlich fast getan hätte, wenn Lily bei unserem letzten Treffen nicht endlos von einer Doku über Triebtäter im Netz erzählt hätte, die sie kürzlich gesehen hatte.

»Caleb?«

»Klar«, entgegne ich sarkastisch. »Mein kleiner Bruder interessiert sich brennend für das Liebesleben seiner Schwester.«

»Ah-ha! Dann hast du also doch ein Liebesleben.«

Upps. Erwischt.

»Sagte ich schon, dass Caleb nach New Hampshire gezogen ist?«, frage ich, um sie abzulenken.

»Ja, und ich verstehe immer noch nicht, wieso man aus einem mietpreisgebundenen Loft in SoHo in eine Scheune in New Hampshire zieht, aber versuch nicht, mich abzulenken. Weiß irgendjemand davon? Ich brauche Verstärkung, jemanden, der dir sagt, wie vollkommen absurd das ist.«

»Keva weiß es«, sage ich. Keva ist meine Freundin und wohnt in der Wohnung über mir.

Rachel verzieht kaum merklich das Gesicht, und ich will mir am liebsten auf die Lippen beißen. Sie und Keva sind sich schon ein paarmal begegnet und verstehen sich ganz gut, aber manchmal kommt es mir so vor, als ob Rachel ein bisschen eifersüchtig auf sie ist.

»Hey«, sage ich sanft und stupse sie mit dem Zeigefinger gegen den Unterarm. »Du bist immer noch meine allerbeste Freundin.«

»Ich weiß«, meint Rachel seufzend. »Das stößt mich bloß mal wieder mit der Nase darauf, dass ich dich, seit wir in Scheiß-Queens wohnen, nicht halb so oft zu sehen bekomme wie früher und einfach nicht mehr mitkriege, was bei dir gerade los ist.«

»Aber dafür hast du einen Garten«, gebe ich zu Bedenken.

»Eher einen Matschspielplatz, aber …« Rachel grinst. »Ja, wir haben einen Garten. Meine Mutter ist schockiert. Ich schwöre dir, ich sollte die Kids heute nur deshalb unbedingt mit nach Manhattan bringen, weil sie ernsthaft befürchtet, ihre Enkelkinder könnten ohne ausreichenden Betonkontakt aufwachsen.«

Amy und Sammy, die anderen beiden Kinder von Rachel, sind heute bei ihrer Oma in Morningside Heights. Und das ist auch der einzige Grund, den ich gelten lasse, dass Rachel sie nicht mitgebracht hat. Oma schlägt beste Freundin um Längen. Ich würde ihr das nie so sagen, aber Rachels Befürchtungen, dass Astoria einfach zu weit weg ist von ihrem alten Leben, sind nicht ganz unbegründet. Mit dem Zug braucht man mindestens eine Stunde bis zu ihnen raus, sodass ich sie und ihre Familie nicht annähernd so oft sehe, wie ich es gerne möchte.

Rachel mustert mich von der Seite. »Was meinst du, wie er wohl aussieht?«

Mittelgroß. Drahtig. Schulterlanges braunes Haar, warme braune Augen. Breites Lächeln.

»Hab ich noch gar nicht drüber nachgedacht«, antworte ich betont lässig.

»Hm, schon klar. Du Lügnerin. Ist er in deinen Träumen rein zufällig Musiker und Sternzeichen Schütze?«

»Okay, ich bin beeindruckt«, muss ich gestehen.

»Ich weiß«, sagt sie und scheint hochzufrieden, ihre beste Freundin doch noch in- und auswendig zu kennen. »Schon vergessen, dass wir uns in der Schule die Zeit damit vertrieben haben, uns unsere zukünftigen Ehemänner haarklein auszumalen.« Sie unterbricht sich. »Verdammt, da lag ich ja mal so was von daneben.«

»Du meinst, dein heißer puertoricanischer Ehemann ist leider kein blonder Surfer-Dude namens Dustin? Jetzt hör schon auf.«

»Ach, Dustin. Es hat nicht sollen sein«, seufzt sie verträumt, dann schaut sie wieder mich an. »Hast du keine Angst, dein geheimnisvoller Brieffreund könnte, ich weiß nicht, mindestens hundert sein? Geplagt von Gicht und Vergreisung? Was, wenn seine Freundin die Pflegerin im Altersheim ist, und Zärtlichkeiten sich darin erschöpfen, dass er sich von ihr mit dem Schwamm einseifen lässt?«

»Und wenn schon«, entgegne ich steif. »Man kann auch mit Menschen älterer Generationen befreundet sein.«

Und schicke dabei ein stummes Stoßgebet gen Himmel und SirNYC. Bitte, keine Seifenschwämme.

Rachel isst den letzten Bissen von ihrem Sandwich und knüllt dann seufzend die Papiertüte zusammen. »Eigentlich sollte ich dich an dieser Stelle eindringlich vor Fake-Profilen warnen, aber ehrlich gesagt finde ich die ganze Geschichte viel zu süß, immer vorausgesetzt natürlich, du lässt dich nicht zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen. Wie beispielsweise, dich mit ihm in einer dunklen Sackgasse zu verabreden.«

Ich reiße die Augen auf und schaue sie verdattert an. »Augenblick, willst du damit sagen, ich hätte ihm nicht meine gesamten Ersparnisse auf ein Konto in Übersee überweisen sollen? Oder ihm meine Adresse geben, als er meinte, er würde gerne mal einen Blick in meine Unterwäscheschublade werfen?«

»Haha, sehr witzig. Hier, willst du meinen Armen nicht noch mal eine Pause gönnen?«

»Unbedingt«, sage ich, nehme ihr Matteo ab und drücke ihm einen Kuss auf den Kopf.

»Wie bist du ihr bloß mit diesem Kerlchen entkommen? Dass Oma Becca sich den nicht gleich gekrallt hat.«

»Versucht hat sie es. Aber auch wenn sie ihr Leben geben würde für ihre Enkelkinder, mit Windelwechseln hat sie es nicht mehr so.« Sie rümpft ganz leicht die Nase. »Wenn man davon spricht …«

»Willst du ihn schnell im Laden wickeln?«, frage ich und sammele die Überreste unseres Mittagessens ein, während sie sich Matteo in so einem schicken Tragedings vor die Brust schnallt.

Eins der besten Dinge an meinem kleinen Champagner- und Sekt-Laden ist die exzellente Lage gleich gegenüber vom Central Park.

Rachel sieht mich an, und ich schüttele den Kopf, noch ehe sie etwas sagen kann. »Du musst los. Verstehe schon.«

»Muss ich. Mist. Bin ich jetzt auch schon so eine Übermutter? Die kaum mal zwei Stunden weg sein kann von ihrer Brut?«

»Das sind die besten Mütter«, versichere ich ihr, während wir langsam zur Westseite des Parks spazieren.

Rachel wirft unseren Müll in einen grünen Mülleimer und hakt sich dann bei mir unter, ganz vorsichtig, um Matteo nicht zu wecken. »Du musst wirklich nicht mitkommen«, sagt sie mit einem Blick auf die Uhr. »Macht der Laden nicht mittags auf?«

»Josh und May sind da. Und außerdem muss ich noch Blumen für den Tresen besorgen, und Carlos unten an der Ecke Seventy-Fourth und Broadway hat die schönsten Sträuße weit und breit.«

»Verdammt, wie ich diese kleinen Blumenwagen an jeder Straßenecke vermisse. Fast so sehr wie May. Drück sie ganz fest von mir, ich habe sie schon ewig nicht mehr gesehen. Und Moment mal, wer ist denn Josh?«

»Josh arbeitet schon eine Weile bei uns. Eigentlich ist er für Inventur und Lagerlogistik zuständig, aber es ist so schön zu beobachten, wie er nach und nach seine Menschenscheu verliert und auf die Kunden zugeht.«

»Ich wundere mich, dass du überhaupt weißt, was Schüchternheit heißt. Bist du irgendwann in deinem Leben mal einem Menschen begegnet, der nicht gleich ganz hingerissen war von dir?«

»Blake Hansel, fünfte Klasse.«

»Nein, der war total in dich verschossen, deswegen hat er dich dauernd am Pferdeschwanz gezogen«, widerspricht Rachel, als wir aus dem Park kommen und auf den überfüllten Gehweg am Central Park West treten. Wir umarmen uns, bemüht, das Baby zwischen uns nicht zu zerdrücken.

Dann lasse ich sie los und sage Matteo auf Wiedersehen, während ich ganz ungeniert seinen süßen Babyduft einatme, gemischt mit … ja, das muss wohl die volle Windel sein. »Bis bald, mein Süßer. Und du willst ganz sicher nicht mit mir durchbrennen?«

»Du, junges Fräulein, wirst mir in Zukunft gefälligst öfter schreiben«, befiehlt Rachel mit erhobenem Zeigefinger, während sie langsam rückwärts in Richtung Uptown geht.

Ich salutiere gehorsam und winke ihr hinterher.

Kaum hat meine beste Freundin mir den Rücken zugedreht, ziehe ich das Handy aus der Tasche, um nachzusehen, ob ich eine neue Nachricht von ihm habe.

Okay, also gut. Ich bin vielleicht ein klitzekleines bisschen verknallt in einen Mann, den ich noch nie gesehen habe.

Werte Lady,Pistaziengelato sagen Sie? Das Lieblingseis meiner Mutter. Wenn sie sich denn ausnahmsweise etwas mit Geschmack oder Kalorien gönnt. Wobei ich die grüne Lebensmittelfarbe ehrlich gesagt ziemlich eklig finde.Der Ihre, dem Sorbet treu ergebene,Sir

An Sir, etwas beunruhigt,haben Sie mich gerade etwa mit Ihrer Mutter verglichen? Ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll …Lady

Werte Lady,herrje, tatsächlich. Ich nehme alles zurück, behaupte das Gegenteil und versichere Ihnen, dass Sie mich in keinster Weise an meine Mutter erinnern.Der Ihre, um Entschuldigung bittend,Sir

Zwei

Okay, ein bisschen was zu mir.

Ich heiße Gracie Cooper, bin dreiunddreißig Jahre alt, ein mittleres Kind, gebürtige und Wahl-New-Yorkerin, stolze Inhaberin eines Champagner-Ladens namens Bubbles & More, und ich liebe mein Leben.

Aber nur, damit das klar ist: Ich kann nicht unbedingt behaupten, dass es das Leben ist, das ich mir als Kind erträumt habe, und ich muss dazusagen, dass ich in der Schule quasi nichts anderes gemacht habe, als mir mein zukünftiges Leben in allen Einzelheiten auszumalen. Und ja, zugegeben: Mit dreiunddreißig bin ich weit von diesen Träumen entfernt.

Ich habe weder Mann noch Kinder. Ich wohne in einem schuhschachtelkleinen Apartment ohne Aufzug statt in einem geschmackvoll restaurierten Backstein-Altbau. In meiner Fantasiewelt führten meine Eltern glücklich ihren gemeinsamen Champagner-Laden, und ich war eine weltbekannte Künstlerin. (Hey, wenn man schon in seinen eigenen Träumen nicht ganz groß rauskommt, dann kann man es doch auch gleich sein lassen!) Meine Geschwister wohnten, glücklich verheiratet, mit ihren eigenen Kindern ganz in der Nähe, und jeden Sonntag trafen sich alle zum lauten, lebhaften Familienessen. Außerdem sollte ich erwähnen, dass in meinen Tagträumen Haare und Brüste der erwachsenen Gracie wesentlich weniger platt waren, als sie es tatsächlich sind.

Doch nein. Es kam alles ganz anders.

Meine Mom ist früh gestorben – ein Unfall mit Fahrerflucht, bloß ein paar Blocks von zu Hause entfernt. Ich war gerade sieben. Vor vier Jahren dann wollte ich endlich all meinen Mut zusammennehmen und meiner Familie gestehen, dass ich für ein Kunststudium in Italien zugelassen worden war, aber die Krebsdiagnose meines Vaters durchkreuzte meine Pläne. Sein letzter Wunsch und Wille war es, Bubbles solle unbedingt in der Familie bleiben.

Da meine Schwester und mein Bruder sich nicht unbedingt darum rissen, den Laden zu übernehmen, und ich ohnehin Dads Favoritin für den Job war, gab es also doch kein Kunststudium für mich.

Stattdessen bin ich nun Ladeninhaberin und Hobbymalerin. Und weil meine Schwester und ich uns immer mehr auseinanderleben und mein Bruder einer spontanen Laune folgend nach New Hampshire gezogen ist, gibt es auch keine sonntäglichen Familienessen.

Nicht unbedingt das Leben, das ich mir ausgemalt hatte, aber doch ein gutes Leben. Und auf eins bin ich ziemlich stolz, meine persönliche Superkraft nämlich: Meine Fähigkeit, mich anzupassen und die Dinge so zu nehmen, wie sie sind, nicht wie ich sie gerne hätte.

Weshalb es auch so verdammt nervig ist, dass ich von diesem einen Traum einfach nicht lassen kann, dass mein Herz sich in dieser einen Hinsicht mit nichts anderem zufriedengeben mag, als mit der Erfüllung meines langgehegten sehnlichsten Tagtraums:

Mein Traummann.

Ganz egal, wie oft ich auch rausgehe in die wirkliche Welt, ganz egal, wie viele Verabredungen ich habe – und ja, es waren mehr als genug – , kann ich doch nicht von der fixen Idee lassen, dass ich es, wenn ich ihn erst einmal getroffen habe, einfach wissen werde.

Rachel nennt das den Cinderella-Modus. Ich nenne es, gewisse Ansprüche haben.

Also gut, vielleicht auch sehr hohe Ansprüche.

Aber warum sollte ich mich auch mit weniger zufrieden geben als einer Schmetterlinge-im-Bauch-Hollywood-Romanze, wie man sie aus alten Filmen und Frank-Sinatra-Songs kennt?

Mein Sternzeichen-Schütze-Musiker mit dem braunen Strubbelhaar, dem schiefen Grinsen und dem kleinen Bauchansatz muss irgendwo da draußen sein. Da bin ich mir ganz sicher.

Was mich wieder zurückbringt zu SirNYC.

Es ist verrückt, das sehe ich selbst ein, aber beim Schreiben mit ihm komme ich diesem Gefühl bisher am allernächsten. Und darum kann ich unsere ungewöhnliche Freundschaft auch nicht einfach so abtun, denn bis der Märchenprinz vorbeigeritten kommt und an meine Tür klopft, ist Sir eine überaus willkommene Ablenkung.

Ich biege ab in die Amsterdam Avenue und schlendere auf Carlos’ Blumenwagen zu, ganz gemächlich und ohne Eile, während ich das Summen und Brummen der Stadt um mich herum genieße, die langsam aus dem sommerlichen Tiefschlaf erwacht. Zwei Taxis entgehen nur mit Glück einem Zusammenstoß und machen ihrem Ärger mit einem klassischen dröhnenden New Yorker Hupkonzert Luft. Zwei alte Damen meckern, bei Zabar’s sei der Räucherfisch schon wieder teurer geworden. In der Ferne heult ein Martinshorn. Ein schlaksiger Mann singt »Wait for It« aus dem Musical Hamilton so perfekt wie die Profis am Broadway.

Ich muss lächeln. Das ist der Soundtrack der Stadt. Mein Zuhause.

Ich wurde in Brooklyn geboren, lebe aber seit meinem achten Lebensjahr in Manhattan. Und ich möchte den Bewohnern schnuckeliger kleiner Stadtteile wie Prospect Heights ganz bestimmt nicht zu nahe treten, aber dieses geschäftige Großstadtgewusel mit den Wolkenkratzern und den vielen Menschen, alles dicht an dicht … das ist mein New York.

Nach dem Tod meiner Mom ist mein Dad mit uns nach Morningside Heights gezogen, einem Stadtteil von West Harlem direkt an der Grenze zur Upper West Side. Manhattan war für uns alle ein Neuanfang. Die Chance auf ein neues Leben ohne Mom, in einer Wohnung, in der uns nicht alles ständig an sie erinnerte. Ein neuer Schulbezirk für mich und meine Geschwister und ein kürzerer Arbeitsweg für meinen Dad zu unserem Laden in Midtown.

Leicht war das alles nicht. Ich weiß noch gut, wie schrecklich peinlich es mir war, meinen Dad bitten zu müssen, mir auf dem Heimweg eine Packung Binden mitzubringen, als meine große Schwester im Sommercamp war. Und natürlich fehlte Mom mir wie verrückt. Tut sie heute noch.

Aber etwas Eigenartiges passierte, damals, als mein Dad mit dem gemieteten Lieferwagen über die Brooklyn Bridge fuhr und wir urplötzlich auf allen Seiten von Wolkenkratzern umgeben waren. Irgendwas in mir machte klick – es fühlte sich so richtig an.

Einmal hatte ich ein Date mit einem Mann aus Toledo (mit dem es sich, ganz nebenbei bemerkt, so gar nicht richtig anfühlte), der meinte, Manhattan hätte man entweder im Blut oder das Blut gefriert einem hier in den Adern. Ein bisschen plakativ und fies, aber ganz unrecht hatte er nicht. Ich gehöre eindeutig zur ersten Kategorie.

Die Ampel an der Amsterdam Avenue ist rot, aber wie jeder waschechte New Yorker achte ich mehr auf den Verkehr an sich als auf die Verkehrszeichen und winke einem NYPD-Beamten freundlich und halb entschuldigend zu, der meine illegale Straßenquerung entweder nicht gesehen hat oder nicht sehen wollte.

Der Blumenstand steht, wo er immer steht, und ich grüße lächelnd den stämmigen kleinen Mann, der gerade die Sträuße in Wassereimern drapiert.

»Guten Morgen, Carlos!«

»Sie sind spät dran«, meint er mit mürrischer Miene.

»Ich weiß, ich weiß. Ich hatte eine Verabredung mit einem zuckersüßen Hosenscheißer«, antworte ich, während mein Blick bereits über die Auslage schweift, und ich bin enttäuscht, heute weniger Auswahl zu haben als sonst. Wundern tut es mich allerdings nicht. Sonst komme ich montagmorgens so früh wie möglich her, inzwischen ist es schon nach Mittag. Ich will gerade nach einem fröhlichen Strauß leuchtend gelber Rosen greifen, da schlägt Carlos meine Hand weg und kramt etwas aus einem Geheimversteck hinter dem Wagen.

Mit großen Augen bestaune ich das prächtige Blumenarrangement. »Ach, der ist ja ein Traum.«

»Pauline hat ihn gestern Abend gebunden und mir eingebläut, ihn niemand anderem zu verkaufen als Miss Gracie.«

»Den haben Sie für mich aufgehoben?« Hingerissen atme ich den betörenden Blütenduft ein. Nie im Leben wäre ich auf die Idee gekommen, Freesien, Sonnenblumen und rosafarbene Rosen zu kombinieren – und genau darum bin ich wohl auch keine Floristin.

»War gar nicht so einfach«, brummt er gutmütig.

»So was wie Sie habe ich gar nicht verdient«, sage ich und lege mir den Strauß in die linke Armbeuge, während ich mit der rechten in der Gesäßtasche nach dem Geld krame, das ich mir eigens dafür eingesteckt habe.

Ich reiche Carlos den Geldschein, und er muss mir versprechen, das Wechselgeld zu behalten und Pauline ein dickes Dankeschön auszurichten.

Gerade, als ich den verbliebenen Zwanziger wieder einstecken will, frischt der Wind auf und reißt mir den Geldschein aus der Hand.

»Ach, verdammt.« Sonst fluche ich so gut wie nie, aber so sehr ich diese Stadt auch liebe, in den verstopften New Yorker Straßen sollte man an einem böigen Tag wie diesem besser keinen Zwanzig-Dollar-Schein fallen lassen. Ungeschickt hechte ich ihm nach, bekomme ihn aber nicht zu fassen, und dann lebt der Wind wieder auf und weht ihn weiter die Straße entlang, nur um schließlich von der Spitze eines teuer wirkenden Herrenschuhs liegen zu bleiben.

Ich greife nach dem flatternden Geldschein, doch der Schuhbesitzer ist schneller als ich, bückt sich und hebt ihn mit langen Fingern auf.

Ich lächele erleichtert und will schon danach greifen, als mein Blick nach oben geht, den ganzen marineblauen Anzug entlang, über die konservative braunrote Krawatte …

Unsere Blicke treffen sich, und ich erstarre. Wasserblaue Augen – ja, so was gibt es tatsächlich – starren in meine, und sein erstaunter Gesichtsausdruck spiegelt meinen eigenen Schreck.

Der ganze Lärm im Hintergrund, den ich erwähnt habe? Der allgegenwärtige Sound von New York City? Der verstummt, und dann sind nur noch wir da, und irgendwo singt Frank Sinatra »Summer Wind«.

Na ja, beinahe, es ist schon fast Oktober, aber so ungefähr.

»Sie«, sage ich mit leiser Stimme.

Ich kenne diesen Mann nicht. Ich habe ihn noch nie gesehen. Und doch ist es, als würde ich ihn kennen. Mein Herz kennt ihn. Das ist mein Märchenprinz, meine Liebe auf den ersten Blick.

Offenbar ist er doch kein durchschnittsgroßer, musikalischer Schütze mit langen braunen Haaren, braunen Augen und kleinem Bauchansatz. Nein, er ist groß, schlank und ernst, hat schwarze Haare, ein kantiges Gesicht und wasserblaue Augen.

Der Mann hat sein Handy in der Hand, das er nun langsam in die Hosentasche gleiten lässt, ohne den Blick von mir zu wenden. Er lässt mich nicht aus den Augen, und als er mir den Zwanzig-Dollar-Schein reicht und seine Finger meine streifen, kneift er kaum merklich die Augen zusammen. Fast, als verwirrte ihn etwas. »Wer sind …«

»Sorry, Schatz. Danke fürs Warten.« Eine große schlanke Frau mit üppigem honigblondem Haar erscheint an der Seite meines Märchenprinzen. In der Hand eine Tüte von Stuart Weitzman, die sie triumphierend in die Höhe hält. »Overknees in Taubengrau. Ich konnte einfach nicht widerstehen.«

Er blinzelt und sieht sie an, und die Frank-Sinatra-Platte in meinem Kopf knarzt und kratzt und bricht dann abrupt ab. Verflogen, der Moment.

Die Frau schaut zu mir herüber und lächelt fragend. Hübsch ist sie. Aufgeschlossen, fit. Sie hat diesen typischen Manhattaner Schick, Sommersprossen und strahlend weiße Zähne. Ihr Kleid sieht aus, als wäre es für ihre perfekte, kurvige Figur gemacht.

Aber natürlich. Natürlich hat so ein Mann so eine Frau. Mondän und vorzeigbar.

Und keine kleine Ladenhüterin, die die Stadttauben mit Namen kennt, zum Frühstück Eier mit Senf isst und vermutlich … mein Blick geht nach unten. Tatsache. Babysabber auf dem T-Shirt hat.

Verstohlen schaue ich auf ihre Ringfinger. Nichts – oder zumindest noch nichts – aber das ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Ihr Blick bleibt an dem Blumenstrauß in meinem Arm hängen, und ihr Lächeln wird noch hübscher. »Die sind ja hinreißend. Wo haben Sie die her?«

Ruckartig kehre ich zurück in die Realität und schalte auf Autopilot. Mit einem freundlichen Lächeln erkläre ich: »Carlos am Stand da drüben hat die allertollsten Blumen.« Ich drehe mich um und deute auf den Verkaufsstand, wo Carlos gerade einem älteren Herrn dabei behilflich ist, Blumen für seine Liebste auszusuchen, die, so stelle ich mir vor, schon ein ganzes Leben lang an seiner Seite ist. Ooh, oder vielleicht auch für eine ganz neue Liebe – ein heilsamer Neubeginn für beide nach dem schmerzlichen Verlust des geliebten Ehepartners.

Frank Sinatra dudelt wieder in meinem Kopf, wenn auch nur ganz leise. Puh. Ich kann es also doch noch.

»Nun schau dir doch nur mal diese Hortensien an«, schwärmt die Frau verzückt. »Die muss ich haben.«

Ohne einen weiteren Blick marschiert sie mit wippenden Haaren und schwingender Stuart-Weizman-Tüte schnurstracks an mir vorbei, um Carlos’ Blumenstand zu begutachten.

Noch ein verstohlener Blick zu ihm, wobei ich feststelle, dass er mich mustert wie ein verzwicktes Rätsel, dessen Lösung ihm partout nicht einfallen will.

Schau du nur, Freundchen. Du bist vergeben.

Ich lächele. Ein strahlendes, platonisches Lächeln, quasi ein freundlicher Klaps auf die Schulter. »Danke noch mal.« Ich wedele mit dem Zwanzig-Dollar-Schein, den ich, wäre die Geschichte anders ausgegangen, ganz bestimmt gerahmt und in unserer ersten gemeinsamen Wohnung über den Kamin gehängt hätte.

Doch nun. Er ist zwar ein Märchenprinz.

Aber nicht meiner.

Tja. Dabei war ich mir gerade eben doch so sicher, dass das der große Augenblick war.

Hach ja. Leise »New York, New York« vor mich hin summend ziehe ich das Handy aus der Tasche. Ein Blick, und ich muss lächeln, denn da wartet schon eine neue Nachricht von MysteryMate.

Immerhin habe ich noch Sir.

An Sir, aus reiner Neugier,glauben Sie an die Liebe auf den ersten Blick?Lady

Werte Lady,selbstverständlich.Der Ihre, nun auch neugierig, warum Sie mich das wohl fragen …Sir

Drei

In Midtown angekommen habe ich den Mann im schicken Anzug mit den grünblauen Augen längst in den hintersten Winkel von Herz und Hirn verbannt, und da bleibt er auch, zusammen mit all meinen anderen perfekten, unerreichbaren Männern, wie Prinz Eric aus Arielle, die Meerjungfrau, Marc Ruffalo in 30 über Nacht, und natürlich A. J. aus Empire Records.

Die Glocke, die bei Bubbles & More schon länger an der Tür hängt, als ich überhaupt auf der Welt bin, klingelt beim Hineingehen, und meine Laune hebt sich schlagartig beim Anblick von sage und schreibe drei Kunden im Laden. Viel ist das nicht. Aber immer noch besser als die null Kunden von vor drei Jahren.

Der Laden war schon immer klein und der Umsatz eher bescheiden. Und obwohl ich schon mit Anfang zwanzig hier ausgeholfen habe, hatte ich doch, genau wie meine Geschwister, bis zu Dads Tod keine Ahnung, wie schlimm es wirklich um ihn stand. Dad konnte nichts dafür. Es ist nun mal einfach so, dass die Leute heutzutage Wodka, Cabernet und Prosecco in einem Laden bekommen wollen. Online. Und dann soll die Bestellung frei Haus beim Pförtner abgegeben werden, während sie im Büro sind.

Und so sehr Dad auch immer darauf beharrte, Kundenfreundlichkeit, Fachwissen und gute Nachbarschaft würden sich am Ende schon auszahlen, sagen die Zahlen etwas ganz anderes.

Champagnerexpertin oder Ladenbesitzerin zu werden war nie mein Traum, ganz im Gegensatz zu Dad. Und doch war der Wunsch, den Traum und das Erbe eines geliebten Menschen zu bewahren, ein gewaltiger Antrieb für mich. Nach Dads Tod ließ ich das Kunststudium in Italien sausen und begann stattdessen ein Wirtschaftsstudium hier in der Stadt. Morgens ging ich zur Uni, um dann ab mittags im Laden zu stehen. Ich änderte den Namen von Bubbles zu Bubbles & More und erweiterte unsere Produktpalette. Nun sind wir nicht mehr bloß ein Champagnerfachgeschäft, sondern eine schicke Geschenkboutique – so ein Laden, in dem man fix auf dem Weg zur Dinnerparty, Brautparty oder zum Geburtstagsfest vorbeischaut, um noch eine Flasche Schampus und eine kleine Aufmerksamkeit für den Gastgeber oder den Ehrengast zu besorgen.

Langsam fing der Laden an, Gewinn abzuwerfen, statt Verluste zu machen, aber ich würde deutlich ruhiger schlafen, wenn wir ein bisschen mehr in den schwarzen Zahlen wären. Oder wenn da nicht doch noch ein Fünkchen Groll in mir flackern würde, weil Dad den Laden zwar uns allen vermacht hat – Lily, Caleb und mir – , aber meine Geschwister zu beschäftigt damit sind, ihren eigenen Träumen nachzujagen, statt mir bei meinem alltäglichen Kampf zu helfen, Dads Erbe zu bewahren. Das trifft mich mehr, als ich mir eingestehen mag.

Denn immerhin bin ich nicht die Einzige, die in diesem Laden aufgewachsen ist. Auch die anderen Cooper-Kinder haben an dem kleinen Tischchen hinten in der Ecke gesessen und Hausaufgaben gemacht, haben als Teenager frühmorgens die Regale aufgefüllt, konnten den Unterschied zwischen Brut und Extra-Brut herunterbeten, lange bevor sie selbst Alkohol trinken durften. Und wir alle waren in jenen letzten Tagen bei Dad im Krankenhaus, als er uns eindringlich bat, sein und Moms Erbe unbedingt fortzuführen.

Doch auch wenn manchmal so etwas wie Reue und Groll aufflackern, ist es doch nichts weiter als das – ein kurzes Aufflackern. Wie schon gesagt, das Beste aus dem zu machen, was das Leben mir vor die Füße wirft, ist meine Superkraft, und ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe. Stolz vor allem auch, weil neben den hübschen Notizbüchlein, den roségoldenen Heftern und den süßen Cocktailservietten, die beliebtesten Artikel die Bilder sind, die ich in unserer kleinen »Kunstecke« verkaufe.

Meine Bilder.

Und tatsächlich, während meine Mitarbeiterin Robyn mit einem der Kunden in der Italienabteilung steht und ihm eine kleine Lektion in Sachen Nuancenreichtum des Franciacorta erteilt, stehen die beiden anderen in der Kunstecke und bewundern mit unüberhörbarer Begeisterung eins meiner neueren Werke – ein Martini-Glas im Leopardenmuster mit keckem rotem Lippenstiftabdruck am Rand. Anfangs bin ich dem Champagner als Thema treu geblieben, aber die Bilder gingen weg wie nichts, also fing ich irgendwann an, alle möglichen Weine zu malen, nicht bloß Schaumweine. Dann Cocktails. Dann Kaffeespezialitäten, den Schaum aufgetürmt wie die Spitze des Empire State Building, denn viele unserer Kunden sind Touristen, die in unserem Laden nach einem kleinen Souvenir stöbern.

Dass sich jede meiner neuen Gemälde-Ideen besser verkauft als die letzte, frustriert und freut mich gleichermaßen, vor allem weil die Arbeit im Laden mir so wenig Zeit zum Malen lässt.

Carlos’ Blumen noch im Arm marschiere ich schnurstracks zur Kasse, wo eine Dame gewissen Alters – sechzig, um genau zu sein – sitzt und einen ihrer Historienromane liest, ohne die man sie so gut wie nie antrifft.

»Gott sei Dank«, brummt sie, ohne von ihrem Buch aufzuschauen, als ich nach dem Strauß von letzter Woche greife, der auch schon bessere Zeiten gesehen hat. »Die fingen schon an zu müffeln.«

»Wogegen du, wie ich sehe, alles in deiner Macht Stehende getan hast«, entgegne ich grinsend.

Sie sieht mich über den Rand ihrer lilafarbenen Lesebrille an, nimmt sie dann langsam ab und bringt sie, gehalten von einer knallpinken Kette, auf ihrem ausladenden Busen zum Liegen.

Ich lege den Kopf schief und weise auf ihr rechtes Ohr. »Ist das eine Hasenpfote?«

Sie schnippt mit einem korallenroten Fingernagel gegen das plüschige rote Ding. May Stuckley ist so, seit ich sie kenne. Eine farbenfrohe Erscheinung, mit einem eigenwilligen Sinn für Mode. In meinem Leben hat sie schon lange eine Mutterrolle inne, und mittlerweile gehört sie ebenso zum geerbten Inventar des Ladens wie die Erinnerung an meine echte Mutter. Für mich ist sie einer der wichtigsten Menschen auf der ganzen weiten Welt.

»Hasenpfoten bringen Glück«, erklärt sie mir.

»Und wieso dann nur eine?«, frage ich mit Blick auf ihr linkes Ohr, an dem eine glitzernde Ananas baumelt.

»Mir war heute irgendwie asymmetrisch zumute«, sagt sie und steckt ein abgewetztes Lesezeichen in ihr Buch über den Earl und seine Braut. »Wie geht es Rachel? Was macht der Kleine?«

»Gut. Und süß sein«, erwiderte ich. »Hier alles okay? Danke noch mal, dass du aufgeschlossen hast.«

May zuckt die Achseln. »Habe ich gar nicht. Sie war schon da«, sagt sie und »senkt« die Stimme zu einem Flüstern, das wundersamerweise noch lauter ist als ihre normale Lautstärke. Sie neigt den Kopf zu Robyn hin, die noch immer über Pinot Bianco-Trauben schwadroniert.

»Ich höre diesen Ton. Ich ignoriere diesen Ton«, sage ich über die Schulter und gehe nach hinten, um die verwelkten Blumen aus der Vase zu nehmen und den neuen Strauß hineinzustellen.

»Du magst sie doch genauso wenig«, brummt May.

Ich muss mir ein Seufzen verkneifen. Die Leier kenne ich nur zu gut. Es ist nicht so, dass ich Robyn nicht mag, auch wenn sie es einem wirklich nicht leicht macht. Mein Dad hat Robyn Frank – eine ausgebildete Sommelière – noch kurz bevor er krank wurde selbst eingestellt, wohl in der Hoffnung, sie könne den Laden aus den roten Zahlen holen. Zugegeben, sie kennt sich mit Schaumweinen aus. Und das weit über solche Binsenweisheiten hinaus, dass man bei spanischem Cava das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bekommt oder dass sich nur Schaumwein aus der französischen Champagne wirklich Champagner nennen darf. Nein, Robyn ist ein ganz anderes Kaliber. Sie schmeckt den Unterschied zwischen einem Chardonnay-lastigen Sekt und einem Pinot-Noir-lastigen. Sie kennt die verschiedenen Anbauböden, den Einfluss der Lage auf den Geschmack, weiß, was mit Trauben in der Sonne passiert, und unendlich vieles anderes mehr, was mich offen gestanden kein bisschen interessiert. Aber unsere Kunden scheint es zu beeindrucken.

Sie ist phänomenal. Kann aber auch schwierig und herablassend sein.

Ich gehe in die »Grotte« ganz hinten im Laden. Den Namen haben meine Eltern diesem fensterlosen Kabuff verpasst, in dem es der Weine wegen, die nicht erlesen genug für ein Plätzchen in der Kühlung sind, aber dennoch bei gleichbleibenden dreizehn Grad gelagert werden müssen, immer angenehm kühl ist.

Ich bin noch ganz erhitzt vom Laufen, und so ist der eiskalte Luftzug, der mir entgegenschlägt, eine willkommene Erfrischung. Ich lasse die alten Blumen in den Müll fallen – May hat recht, sie müffeln schon – und spüle die Kristallvase aus. Die hat eine ordentliche Macke, weil der damals elfjährige Caleb den genialen Geistesblitz hatte, einen Golfball gegen den Tresen zu pfeffern. Aber sie wegzuwerfen bringe ich nicht übers Herz.

Ich habe nicht viele Erinnerungen an meine Mutter, und die, die ich habe, sind ziemlich verschwommen. Was ich allerdings noch sehr genau weiß, ist, dass sie jede Woche mit viel Liebe und Sorgfalt gelbe Blumen – ihre Lieblingsfarbe – in dieser Vase arrangierte. Heute noch dieselbe Vase zu benutzen gibt mir ein Gefühl von Nähe, von Verbundenheit, auch wenn ich es gerne etwas bunter mag als sie.

An dem Strauß ist nicht viel zu arrangieren – Pauline ist ein wahres Genie, ihre Sträuße braucht man nur in eine Vase zu stecken, und voilà, sie sehen immer grandios aus. Ich bewundere die üppige Blütenpracht noch einmal gebührend, während ich die Vase wieder hinaus in den Verkaufsraum trage. Die Kunden sind alle gegangen, und May ist verschwunden, nur Robyn ist noch da und macht ein großes Gewese daraus, zuerst den dicken Weinatlas wegzuräumen, ehe sie mich auch nur eines Blickes würdigt.

Robyn ist Ende zwanzig, sieht aber älter aus – und das mit voller Absicht. Immer, und ich meine wirklich immer, trägt sie einen schwarzen Blazer zu weißer Hemdbluse und schwarzer Hose. Sogar im Hochsommer. Die glatten braunen Haare sind kinnlang, und einmal hat sie mir erzählt, sie lässt sie exakt alle zwölf Tage nachschneiden, der »Akkuratesse« wegen. Der Look wird vervollständigt durch ihr Markenzeichen, braunroten Lippenstift, der eigenartigerweise nur die Tatsache betont, dass sie nie lächelt.

Ich spüre förmlich, wie sie zu einer Beschwerde ansetzen will, und will ihr zuvorkommen: »Was vom Franciacorta an den Mann gebracht?«, frage ich, wohl wissend, dass es eines ihrer neuesten Herzensprojekte ist, unseren Kunden diesen ausgezeichneten italienischen Schaumwein ans Herz zu legen.

Robyn zuckt die Achseln. »Er meinte, er kommt nachher noch mal vorbei und nimmt dann eine Flasche mit.«

Nie kommt irgendwer nachher noch mal wieder und nimmt eine Flasche mit. Ich wünschte, ich könnte sagen, auf einen Kunden mehr oder weniger kommt es nicht an, aber obwohl der Laden besser dasteht als noch vor einem Jahr, können wir es uns nicht leisten, unsere wenigen Kunden mit leeren Händen ziehen zu lassen.

»Zwei Damen haben dein Cocktail-Bild gekauft«, erklärt sie. »Und ich musste sie abkassieren, weil May wieder unbedingt früher in die Mittagspause wollte.«

»Hey, das ist ja prima«, sage ich und überhöre den Seitenhieb auf May. »Wie schön, dass das Bild ein schönes Zuhause gefunden hat.«

»Woher willst du wissen, dass es ein schönes Zuhause ist? Die beiden könnten auch Mörderinnen sein.«

»Ja, ganz bestimmt. Das ist eins der unverkennbaren Markenzeichen von Mörderinnen. Sie gehen immer mit ihren besten Freundinnen Leopardenmuster-Aquarelle shoppen.«

»Ich verstehe das einfach nicht«, sagt sie, vollkommen taub oder unempfänglich für meinen Sarkasmus. »Aus einem farbigen Cocktailglas zu trinken ist ja beinahe genauso schlimm wie aus einem farbigen Weinglas. Man kann die Farbe des Weins nicht richtig erkennen, und wenn man die nicht sieht, weiß die Nase doch gar nicht, was sie erwarten soll.«

Ich schaue auf die Uhr. »Hast du nicht gerade Mittagspause?«

»Hatte«, sagt sie und schnappt sich ihre Handtasche. »May hat sich nicht mal die Mühe gemacht, einen Blick auf den Plan zu werfen, also musste ich mal wieder für sie einspringen.«

»Jetzt bin ich ja da«, sage ich, denn mal ehrlich, einen Laden ohne Kunden kann jeder hüten. »Lass dir ruhig Zeit, genieß die Sonne. Es ist ein herrlicher Tag.«

»In einer Stunde bin ich wieder da«, sagt Robyn.

»Wunderbar.«

Ich nehme mein Handy und setze mich auf einen der Hocker, um Sir zu antworten, als das Glöckchen bimmelt.

Betend, es möge ein Kunde sein, und nicht Robyn, die zurückgekommen ist, um mich darüber in Kenntnis zu setzen, dass es kein herrlicher Tag ist und sie die Sonne nicht genießt, stehe ich auf, um, falls nötig, behilflich zu sein.

Es ist ein Mann, und er ist vorne beim Schnäppchen-Schampus stehen geblieben. Meistens kramen die Leute da ein bisschen herum und studieren Etiketten und Preisschilder, aber er steht ganz regungslos da.

Dann dreht er sich zu mir um, und mein zuvorkommendes Lächeln gefriert, noch ehe ich es aufgesetzt habe, denn unvermittelt starre ich in ein vertrautes wasserblaues Augenpaar.

Werte Lady,was halten Sie von Vorsehung? Schicksal? Bestimmung? Oder ist alles nur Zufall?Fragt sich der Ihre,Sir

An Sir, nach reiflicher Überlegung,hm. Ich glaube nicht an Zufall …Und gerade habe ich selbst erlebt, dass es ganz bestimmt so etwas wie Schicksal gibt, auch wenn es uns nicht immer in den Kram passt …Lady

Vier

Du hast mich gefunden, denke ich.

»Sie«, sage ich.

Sein erstaunter Blick verrät mir, dass er genauso schockiert ist, mich zu sehen, wie ich es bin. Und die kleine Falte zwischen den dichten Augenbrauen deutet darauf hin, dass er nicht so recht weiß, was er jetzt machen soll. Er sieht sich um, als müsse er sich erst vergewissern, dass er hier richtig ist. »Hallo. Ich würde gerne den Geschäftsführer sprechen.«

O weh.