Pieces of Love - Die Tage mit dir - Lauren Layne - E-Book

Pieces of Love - Die Tage mit dir E-Book

Lauren Layne

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Beschreibung

Als Michael St. Claire nach Texas fährt, um endlich seinen leiblichen Vater kennenzulernen, gehört seine Aufmerksamkeit weniger seiner neuen Großfamilie als der Freundin seines Stiefbruders Devon. Kristin ist die Frau, von der Michael schon immer geträumt hat, und auch Kristins Schwester Chloe ist deren Beziehung mit Devon ein Dorn im Auge. Insgeheim hatte sie immer gehofft, Devon für sich gewinnen zu können. Gemeinsam mit Michael heckt Chloe einen perfiden Plan aus, um Kristin und Devon auseinanderzubringen, doch je näher sie ihrem Ziel kommt, desto deutlicher spürt Chloe, dass ihr Herz längst nicht mehr dem Mann gehört, den sie immer wollte ... (ca. 450 Seiten)

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Seitenzahl: 422

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

Widmung

Prolog

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Epilog

Danksagung

Die Autorin

Weitere Romane von Lauren Layne bei LYX

Impressum

LAUREN LAYNE

Pieces of Love

Die Tage mit dir

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Barbara Müller

Zu diesem Buch

Als Michael St. Claire nach Texas fährt, um endlich seinen leiblichen Vater kennenzulernen, gehört seine Aufmerksamkeit weniger seiner neuen Großfamilie als der Freundin seines Stiefbruders Devon. Kristin ist die Frau, von der Michael schon immer geträumt hat, und auch Kristins Schwester Chloe ist deren Beziehung mit Devon ein Dorn im Auge. Insgeheim hatte sie immer gehofft, Devon für sich gewinnen zu können. Gemeinsam mit Michael heckt Chloe einen perfiden Plan aus, um Kristin und Devon auseinanderzubringen, doch je näher sie ihrem Ziel kommt, desto deutlicher spürt Chloe, dass ihr Herz längst nicht mehr dem Mann gehört, den sie immer wollte …

Für Nicole Resciniti und Sue Grimshaw.

Meine Champions für immer.

Prolog

Michael

Es ist sechs Monate her, seit ich aus Manhattan nach Cedar Grove, Texas, geflohen bin.

Sechs Monate, seit ich Anzüge von Armani gegen Levi’s eingetauscht habe, Halbschuhe von Gucci gegen Cowboystiefel und ein Penthouse in der Fifth Avenue gegen eine schäbige Souterrainwohnung.

Sechs Monate, seit ich der Wall Street Adieu gesagt habe, um als Country-Club-Lakai und gelegentlicher Barkeeper zu leben.

Sechs Monate, seit ich erfahren habe, dass meine Existenz als Michael St. Claire eine Lüge ist. Nicht ein bisschen St.-Claire-Blut fließt durch meine Adern. Michael, das bin immer noch ich. Doch St. Claire ist, wie sich herausgestellt hat, eine Fassade. Eine Fassade, die ich der sorglosen Affäre einer Frau und dem Stolz eines Mannes verdanke.

Eines Mannes, der nicht mein Vater ist.

Es ist sechs Monate her, seit ich meinen besten Freund hintergangen habe.

Sechs Monate, seit ich sie verlassen habe. Nein. Seit sie mich verlassen hat.

Aber wichtiger als das … wichtiger als all das …

Es ist sechs Monate her, dass es mir etwas ausgemacht hat.

Dass mich überhaupt etwas gekümmert hat.

1

Michael

»Dein Shirt hängt hinten aus der Hose raus!«

Ich drehe mich um und schenke der Blondine ein kleines dankbares Lächeln, die mir gerade aus der Unisex-Toilette des Tennisplatzes des Cambridge Country Clubs folgt.

Sie kichert, während sie mit den Händen über ihren Tennisrock fährt und ihn über gebräunten, gut geformten Schenkeln glatt streicht. »Ich kann es nicht fassen, dass ich mich von dir habe überreden lassen, es in einer öffentlichen Toilette zu tun.«

Ja. Genau. Ich hatte Mindy McLaughlin zu überhaupt nichts überredet. Alles, vom Ort bis zur Stellung, war allein ihre Idee gewesen.

Aber daran erinnere ich sie nicht.

Wenn ich irgendetwas in meinem ersten Monat als Tennislehrer für die Reichen und noch Reicheren gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass Cougars nicht daran erinnert werden wollen, dass sie es sind, die auf die Jagd gehen.

Ich zwinkere ihr zu, während ich mir das Shirt in die Hose stopfe, ehe ich meinen Blick über die Tennisplätze schweifen lasse, um mich zu vergewissern, dass wir keine Zeugen dafür haben, dass wir die ersten zwanzig Minuten von Mindys sechzigminütigem Tennisunterricht damit zugebracht haben, es gegen die Wand einer Toilettenkabine gedrückt miteinander zu treiben.

Glücklicherweise ist es mitten am Tag und höllisch heiß. Die meisten Leute gehen entweder früh am Morgen auf den Platz oder gar nicht.

Mindy folgt mir zu den Bänken, wo wir unsere Schläger holen. »Sollen wir’s zu Ende bringen?«, frage ich.

Sie stößt ein tiefes Lachen aus und lässt ihre pinkfarben lackierten Fingernägel an der Front meines weißen Poloshirts hinabwandern. »Ich glaube, das haben wir bereits getan.«

Ich ignoriere ihren Einwand und halte fragend einen Tennisball hoch.

»Es ist heiß«, jammert sie.

Das ist es. Verdammt viel zu heiß, um Tennis zu spielen. Sie hat noch vierzig Minuten Zeit übrig, aber ich bin nicht allzu überrascht, dass sie schwänzen will. Wir wissen beide, dass sie nicht wegen des Tennis hierhergekommen ist.

Aber das ist okay so. Ich hasse den verdammten Sport. Ich arbeite bloß drei Tage die Woche auf dem Platz, und mein Stundenplan ist voller Frauen, die wahrscheinlich besser Tennis spielen als ich.

Mein Tennis ist ganz passabel, denn früher einmal gehörte ich zu den verzogenen Gören, die selbst Stunden nahmen und nicht gaben. Ich mache mir nichts aus Sport. Ich bin nicht wie die anderen Trottel, die hier auf dem Platz arbeiten und eine Riesenshow abziehen, weil sie angeblich Profi hätten werden können, wenn sie es nur gewollt hätten.

Ich verdanke meine Anstellung nicht meinen Fähigkeiten als Tennisspieler, das weiß ich nur zu genau. Meine Kindheit an der Upper East Side von New York hat mich früh gelehrt, dass die Frauen der reichen, untätigen Klasse sich rasch langweilen. Eine Langeweile, die sie sich oft zu vertreiben versuchen, indem sie sich mit Männern einlassen, mit denen sie nicht verheiratet sind.

Ich hatte das Glück, den größten Teil meines Lebens über nicht zu wissen, dass meine Mutter ebenfalls in diese Kategorie der streunenden Hausfrauen fiel.

Nichtwissen ist tatsächlich eine Gnade.

Und wenn es damit vorbei ist?

Dann bricht die Hölle los.

»Nächste Woche zur selben Zeit?«, fragt sie, tritt näher an mich heran und streckt mir ihr Gesicht entgegen.

Ich weiß, was sie will. Einen Kuss, den ich ihr keineswegs geben werde.

Ich mache einen Schritt zur Seite und lege meinen Schläger und den Ball auf die Bank.

»Kann ich dir einen Drink spendieren?«, fragt sie. Sie macht eine unnötige Dehnübung, die ihr weißes Top über ihre vollen – und ganz sicher falschen – Brüste dehnt.

Für einen kurzen Moment fühle ich mich, als würde ich vor Langeweile ersticken, doch ich zwinge mich dazu, die Langeweile anzunehmen.

»Nein, danke. Ich habe hiernach noch eine Stunde.«

»Wie wäre es mit morgen? Ich habe mir überlegt, dass ich vielleicht eine zweite Stunde pro Woche einlegen sollte. Damit ich locker bleibe.« Sie zwinkert mir zu.

Herrje! Wirklich?

»Ich kann nicht«, sage ich. »Morgen arbeite ich im Studio. Ich wechsle ab zwischen Tennislehrer und Personal Trainer.«

Mir gefällt Letzteres viel besser. Es beinhaltet Aircondition.

Ihre Augen leuchten vor Interesse und wetteiferndem Glühen auf. »Kenne ich eine deiner Klientinnen als Personal Trainer?«

Wahrscheinlich die Hälfte deines Lesezirkels und der Bibelstunde.

Ich habe einen großen Teil davon ebenfalls gevögelt, und es ist offensichtlich, dass Mindy McLaughlin scharf darauf ist, ihre Konkurrenz kennenzulernen.

»Nun«, sagt sie und beugt sich vor, als ich nicht reagiere, »wenn du dich je für eine kurze Pause entscheiden solltest, weißt du ja, wen du anrufen kannst.«

»Sicher doch«, sage ich und schenke ihr einen verschlafenen Blick, der auf Frauen immer besonderen Eindruck macht.

Na ja, auf alle Frauen bis auf eine. Die eine, auf die es ankam.

Normalerweise wäre ich mehr als glücklich, zu meiner nächsten Stunde zu spät zu kommen, um Mindys zweites Jucken des Tages zu vertreiben und ihr vergessen zu helfen, dass sie mit einem einflussreichen Richter mit einem Kugelbauch verheiratet ist.

Doch Mrs McLaughlin hat einen großen Nachteil, der gegen sie arbeitet.

Heute ist Mittwoch.

Und mittwochs habe ich eine Schülerin, die ich mehr begehre als Mindy McLaughlin.

Nach einigen weiteren fehlgeschlagenen Aufreißversuchen gibt Mrs McLaughlin schließlich auf, und ich weiß, dass sie nächste Woche wieder zu Höchstform auflaufen wird. Mit einem noch kürzeren Rock, noch glänzenderen Lippen und noch offenkundigeren Angeboten.

Aus Gewohnheit betrachte ich ihr Hinterteil, als sie weggeht, fahre mir mit dem Handtuch über das Gesicht und trinke dann eine Wasserflasche in drei Zügen leer.

Noch eine Stunde, ehe ich ins Pig and Scout fliehen kann, die Kneipe, in der ich manchmal abends arbeite. Normalerweise zähle ich die Stunden bis zum P&S; es ist eine willkommene Unterbrechung dieses ganzen Theaters.

Obwohl …

Heute ist Mittwoch. Und mittwochs habe ich es nicht so eilig.

Trotz allem, was die anderen so über ihre sportlichen Fähigkeiten denken, weiß ich doch, dass wir Tennislehrer nichts weiter sind als die Poolboys des Country Clubs. Es wird von uns erwartet, dass wir einen Waschbrettbauch haben, ein bisschen verrucht sind und nicht allzu fest an unseren Moralvorstellungen hängen.

Nichts davon stellt für mich ein Problem dar, schon gar nicht Letzteres, auch wenn es nach einer Weile langweilig wird.

Aber diese eine Stunde pro Woche mit Kristin Bellamy macht alles wett.

Ich sehe aus den Augenwinkeln, dass Kristin sich dem Platz nähert, doch ich drehe mich absichtlich nicht um, um sie anzusehen. Nicht einmal verstohlen.

Wisst ihr, zweiundvierzigjährige Frauen wie Mindy McLaughlin haben ständig Angst, dass sie ihre Attraktivität verlieren. Sie brauchen die Bestätigung, dass sie es immer noch wert sind, angeschaut zu werden.

Doch zweiundzwanzigjährige Frauen wie Kristin Bellamy wissen genau, dass sie attraktiv sind.

Die bekommst du rum, wenn du sie dazu bringst, sich zu fragen, ob du es bemerkt hast.

»Hey, Michael.«

Ich drehe mich zu ihr um und bewahre eine gleichgültige Miene. »Ah, Kristin.«

Ja, ich bemerke sie in der Tat.

Sie trägt bloß einen weißen Sport-BH und einen winzigen Tennisrock. Ich bin mir sicher, dass der Club irgendeine Regel hat, die seine Mitglieder dazu verpflichtet, ein bisschen mehr Kleidung zu tragen, aber wenn man bedenkt, dass dieser hier von einem Haufen tattriger alter Greise geleitet wird, bezweifle ich, dass sie Kristin auftragen werden, ihren gebräunten, muskulösen Bauch und ihre kecken Brüste zu bedecken.

Mein Blick verweilt nicht auf ihren Brüsten, sondern wandert rasch wieder zu ihrem Gesicht zurück. Kristin scheint es nichts auszumachen, dass ich sie nicht abchecke.

Dieses Spiel spielen wir bereits seit Wochen.

Und ich kann beim besten Willen nicht sagen, wer gewinnen wird.

Ich weiß nur, wie es enden wird. Sie. Und ich. Im Bett. Oder sonst wo.

Kristin ist das erste Mädchen, das mich interessiert – das mich wirklich interessiert –, seit Olivia Middleton. Die Einzige, die ich je wirklich gewollt habe. Und definitiv die Einzige, die ich je wirklich geliebt habe.

Nicht, dass ich auch nur im Entferntesten vorhabe, Kristin zu lieben. Diesen Weg werde ich niemals mehr einschlagen. Nie mehr.

Aber ich will sie. Und zwar nicht nur, weil sie einen heißen Körper hat. Kristin ist ein möglicher Schlüssel dafür, weshalb ich überhaupt in Texas bin.

»Ich hab Mindy auf dem Weg hierher gesehen«, sagt Kristin und lässt ihren Schläger kreisen, während sie näher kommt. »War mit ihrer Stunde alles okay? Sie sah irgendwie verärgert aus.«

Ich werfe achselzuckend mein Handtuch beiseite. »Es ist heiß. Da sind alle ein bisschen komisch drauf.«

»Es ist wirklich heiß, nicht wahr?«, stimmt sie mir zu und legt ihren Schläger auf die Bank, um ihre langen, dunklen Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammenzubinden. »Ich konnte es heute früh kaum über mich bringen, etwas anzuziehen.«

Sieht aber nicht danach aus, als hättest du es über dich gebracht, will ich fast sagen. Aber ich sage es nicht. Ich tue einfach so, als würde ich nicht bemerken, wie sehr ihre derzeitige Haltung ihre schmale Taille zur Geltung bringt.

Kristin sieht Olivia kein bisschen ähnlich. Olivia war blond mit warmen grünen Augen, wohingegen Kristin dunkelhaarig ist und berechnende braune Augen hat. Aber sie verfügen beide über diese Kombination aus Süße und Stolz, denselben fitten Körper reicher Mädchen, dasselbe schüchterne und gleichzeitig selbstbewusste Lächeln.

Kristin lässt gedankenverloren die Fingerspitzen über ihren nackten Bauch gleiten, und ich grinse fast wegen der Offensichtlichkeit ihrer Geste.

Noch während ich sie an mich reißen und ihr den Kuss geben will, nach dem es sie so eindeutig verlangt, will ich ihr eine Lektion erteilen. Ich will ihr sagen, dass sie nichts weiter für mich ist als eine Gelegenheit, von meiner Vergangenheit erlöst zu werden, und der Schlüssel dafür, einen Fuß in die Tür zu meiner Zukunft zu bekommen.

Kristin Bellamy ist nichts als eine Erinnerung an das Gefühl, jemanden wirklich zu begehren.

»Sollen wir anfangen?«, frage ich.

»Unbedingt«, sagt sie und wirft ihren Pferdeschwanz über die Schulter zurück. »Ich brauche so viel Training, wie ich bekommen kann, da ich nächstes Jahr Teamkapitän sein werde.«

»Das letzte Jahr am College?«, frage ich, obwohl es mir scheißegal ist.

»Yep«, antwortet sie.

Hinter mir ertönt ein Schnauben, und überrascht stelle ich fest, dass wir nicht mehr allein sind.

»Ihr fünftes«, sagt die Neue und setzt sich auf die Bank, als gehöre sie dorthin.

»Wie bitte?«, frage ich, während ich immer noch versuche festzustellen, wo das Mädchen so plötzlich hergekommen ist.

Es nickt in Kristins Richtung. »Sie hat ihr letztes Jahr bereits hinter sich. Nächstes Jahr macht sie es noch einmal.«

Ich schaue zu Kristin hinüber und sehe, dass sie die andere giftig anblickt.

Sie kennen sich offenbar.

Ich sehe mir das neue Mädchen noch einmal an. Es ist ungefähr so alt wie Kristin, sieht aber vollkommen anders aus. Neben ihm auf der Bank liegt ein Buch, doch im Augenblick sind seine beiden Hände mit einer M&M’s-Tüte beschäftigt. Es angelt sich eine der Süßigkeiten heraus und wirft sie sich in den Mund, während seine Blicke zwischen Kristin und mir hin- und herwandern, als trieben wir den faszinierendsten Zuschauersport auf der Welt.

»Süß«, sagt das Mädchen und deutet auf Kristin und mich. »Wenn ihr zwei euch paart, rufe ich bei Pampers an und gebe denen schon mal Bescheid, wo sie ihr nächstes Baby-Model herbekommen.«

»Eine Freundin?«, frage ich Kristin.

Kristin seufzt. »Schwester.«

Schwester?

Ungläubig sehe ich mir das Schokolade mampfende Wesen genauer an.

Statt Kristins glattem dunklem Pferdeschwanz besteht ihr Haar aus einer Unmenge wilder Locken, irgendwie golden und braun und vielleicht ein bisschen rot.

Sie hat dieselben großen Augen wie ihre Schwester, außer dass sie an ihr irgendwie zu groß wirken und blau sind statt braun. Sie hat auch die vollen Lippen ihrer Schwester, aber irgendwie sind sie zu voll. Und während Kristin schlank, ja fast dünn ist, ist diese hier … hm … üppig.

»Ich weiß, ich weiß«, sagt das andere Mädchen mit müder Stimme, setzt die Tüte an die Lippen und kaut dann die restlichen Drops. »Ich bin die Hübsche. Aber sag es nicht Kristin; sie ist es leid, es immer wieder zu hören.«

Ich höre ein weiteres leises Seufzen von Kristin. »Michael St. Claire, das ist Chloe Bellamy. Meine Mom hat darauf bestanden, dass sie mitkommt und zusieht, in der Hoffnung, dass sie in diesem Sommer tatsächlich einmal an den aktiveren Angeboten des Clubs teilnimmt.«

»Äh, hast du nicht gesehen, wie ich diesem Automaten eins übergebraten habe?«, fragt Chloe und wirft ihrer Schwester dabei einen ungläubigen Blick zu. »Und wenn Mom mich je gesehen hätte, wenn ich um Mitternacht zum Kühlschrank unterwegs bin, dann wüsste sie, wie aktiv ich sein kann.«

Ich unterdrücke den ungewohnten Drang zu lächeln, obwohl ich sie genau durchschaue.

Ihre weibliche Figur ist nicht in Mode … jedenfalls nicht an Orten wie diesem, wo Selleriesticks als Mittagessen gelten. Aber sie ist klug; sie reißt Witze über ihr Gewicht, ehe die anderen es können.

Verärgerung tritt in Kristins Gesicht, aber ehe sie den Mund öffnen kann, räuspere ich mich in der Hoffnung, einen Schwesternstreit zu verhindern. »Bereit?«, frage ich Kristin.

Nach einem letzten warnenden Blick auf ihre Schwester lächelt mich Kristin strahlend an. »Ganz und gar. Aber hab Erbarmen mit mir … ich habe seit unserer Stunde letzte Woche nicht mehr gespielt.«

»Du hast schon eine ganze Woche lang nicht mehr versucht, einen fusseligen grünen Ball zu schlagen?« Chloe gibt hinter uns einen dramatischen, verzweifelten Laut von sich. »Warum? O Gott, warum? Warum ist das Leben so hart?«

Kristin holt tief und langsam Luft. Das Geräusch hört sich an, als wäre es einstudiert – als habe sie es schon oft von sich gegeben, um mit ihrer nervenden kleinen Schwester zurechtzukommen.

Ich selbst habe keine Geschwister, doch nachdem ich mit Ethan und Olivia aus meiner Nachbarschaft groß geworden bin, weiß ich, dass es manchmal am besten ist, so zu tun, als sei die andere Person gar nicht da, um keinen Streit aufkommen zu lassen.

Kristin streicht sich das Haar von der Schläfe zurück, und ich bemerke, dass es sich in der Nachmittagshitze ein wenig lockt. Das ist süß. Anders als die Locken ihrer Schwester, die einfach nur … verrückt sind.

Kristin begibt sich auf die eine Seite des Netzes und ich mich auf die andere, und ich ignoriere den sexistischen Pfiff von Chloe, als ich an ihr vorbeikomme.

Ich ziehe einen Ball aus meiner Tasche und schlage ihn leicht über das Netz. Kristin geht in Stellung und schickt ihn mit nahezu perfekter Haltung zu mir zurück.

Das geht so für ein paar Minuten, bis ich ein lautes Schnarchen von der Zuschauerin an der Außenlinie höre.

Kristin schaut ihre Schwester kurz an. Der Ball springt an ihr vorbei, und ich sehe, wie sie die Stirn runzelt.

Nicht gerade das flirtende Vorspiel, das ich mir für heute erhofft hatte.

Doch da ich die nervige Schwester nicht verschwinden lassen kann, denke ich mir, dass ich sie wenigstens in ein Gespräch verwickeln kann, damit sie aufhört, Kristin weiterhin zu ärgern.

»Spielst du Tennis, Chloe?«, rufe ich ihr zu, während ich einen weiteren Ball aus der Tasche ziehe und Kristin zuspiele. Dieses Mal ein wenig fester.

»Sehe ich aus, als würde ich mir was aus Sport machen?«, ruft sie fröhlich zurück.

»Und als du jünger warst? Hast du da keinen Unterricht gehabt?«

»Hm … negativ«, sagt Chloe, den Mund voller Schokolade. Sie hat sich inzwischen einen Schokoriegel vorgenommen. »Ein paar von uns haben Harry Potter gelesen. Wie normale Kids.«

»Ignoriere sie einfach«, sagt Kristin streng und schlägt eine starke Vorhand in die Richtung ihrer Schwester.

Der Ball verfehlt sie um einen Meter, aber das Ziel war nicht zufällig gewählt, nehme ich an.

Chloe versteht offenbar den Wink, denn für die nächsten paar Minuten scheint sie sich auf ihr Buch zu konzentrieren. Ich fange an zu vergessen, dass sie da ist, außer wenn sie mir hin und wieder zuruft, ich solle mich bücken oder mich sehr, sehr langsam drehen, damit sie mein »bestes Stück« sehen könne.

Ich gebe mir große Mühe, sie zu ignorieren.

Es ist nicht einfach.

Kristins Aufschlag ist heute schlampig, was meiner Meinung nach etwas mit der Ablenkung durch die Anwesenheit ihrer Schwester zu tun hat, aber ich beschwere mich nicht. Es gibt mir die Gelegenheit, sie zu berühren, während ich ihre Haltung korrigiere.

»Du kommst zu sehr aus dem Handgelenk«, sage ich und fange den Ball auf, den sie gerade zu mir herübergespielt hat. »Lass uns daran arbeiten.«

Ich mache mich auf den Weg auf die andere Seite des Netzes, und unsere Blicke treffen sich, als ich auf sie zugehe, doch dann wandert ihr Blick über meine Schulter, und ihre Augen werden vor Überraschung und noch etwas anderem ganz groß, ehe sich ein tiefes Lächeln auf ihr Gesicht malt.

»Devon!«

Ich erstarre für den Bruchteil einer Sekunde, während der Name durch mein Bewusstsein rieselt. Es ist natürlich möglich, dass es noch andere Devons gibt, aber nicht sehr wahrscheinlich.

Und der Devon, den ich kenne, datet Kristin Bellamy.

Er ist der Grund, warum ich hinter ihr her bin. Na ja. Und ihr Körper.

Ich drehe mich langsam um und warte damit, einen ersten Blick auf einen der Gründe zu werfen, weshalb ich überhaupt in Cedar Grove, Texas, bin. Doch obwohl ich glaubte, darauf vorbereitet zu sein, ist es dennoch ein Schock für mich, ihn zu sehen.

Dieser Typ ist ein Doppelgänger von Tim Patterson.

Ich merke, dass ich innerlich nicht tot bin, wie ich während der vergangenen Monate geglaubt hatte.

Ich sehe zu, wie Kristins Arme sich um Devons Hals legen, und meine Finger umklammern den Griff meines Tennisschlägers.

Ich warte auf einen Stich von Eifersucht.

Ich spüre nichts.

Das war von Anfang an mein Plan gewesen: Kristin zu benutzen, um an Devon heranzukommen.

Und dann Devon zu benutzen, um an Tim heranzukommen.

Ich lasse ihnen ihren Augenblick. Das Spiel, das ich spiele, ist lang. Kein Grund zur Eile.

Als ich mir eine Flasche Wasser hole, fällt mein Blick unweigerlich auf die großmäulige, chaotische Chloe Bellamy.

Ich halte inne.

Verschwunden ist die bissige Mir-doch-alles-egal-Chloe, die noch vor ein paar Minuten ihre Kommentare über den Platz geplärrt hat.

Ihr Blick ruht auf dem Freund ihrer Schwester, und ihr Gesichtsausdruck ist mir schmerzlich vertraut.

Ich kenne diesen Blick.

Chloe Bellamy ist in den Freund ihrer Schwester verliebt. Ich habe eine verdammt gute Vorstellung davon, wie mies das alles für sie ausgehen wird.

Chloe reißt den Blick von den beiden los und starrt blind in ihr Buch. Dann presst sie die Augen zusammen.

Ich schaue wieder zurück auf das Paar, das jetzt ernsthaft knutscht, und Wut steigt in mir auf, vermischt sich mit Eifersucht und bringt den heißen Speer der Verbitterung dazu, sich in meine Brust zu bohren.

Objektiv weiß ich, dass ich Kristin und Devon beobachte, nicht Ethan und Olivia.

Aber es ist dasselbe, oder nicht?

Das perfekte Paar, völlig blind gegenüber den Leuten um sie herum.

Bloß ist es dieses Mal nicht der Kerl, der wie ein Bruder für mich ist, der das Mädchen hat.

Es ist mein Bruder.

Mein Blick wandert zurück zu Chloe.

Vielleicht ist Kristin doch nicht der einzige Weg, um an Devon heranzukommen.

2

Chloe

Ich bin seit meinem achten Lebensjahr in Devon Patterson verliebt.

Und ich weiß, was ihr denkt.

Dass ich noch keine Hormone hatte, als ich acht war, und es deshalb auch keine echte Liebe war, nicht einmal echte Anziehung.

Ihr täuscht euch.

Ich liebe ihn.

Und ich weiß, dass er meine Liebe erwidern könnte, wenn er mich nur ansehen würde.

Aber wisst ihr was? Ich kann es Devon nicht einmal verdenken, dass er mich nicht sieht.

Es ist wahrscheinlich schwer für ihn, seine Umgebung wahrzunehmen, wenn meine Disneyprinzessinnenschwester ihre Zunge in seinem Hals hat.

Ich meine, warum sollte jemand die komische Nebenrolle nehmen wollen, wenn er die Heldin haben kann?

Und das ist die Art von Person, die Kristin nun einmal ist. Oder glaubt zu sein. Sie ist die Heldin in jeder Geschichte.

Selbst in der von anderen Leuten.

Als könnte er meine Gedanken lesen, löst Devon sich langsam aus seinem Wiedersehenskuss, um in das Land der Lebenden zurückzukehren, wo normale Leute nicht Wimpern von der Größe kleiner Fledermäuse haben und eine Taille wie ein Kleinkind.

Aber eigentlich ist es nicht gerecht, nur auf Kristin wegen ihres blendenden Aussehens rumzuhacken.

Von den vier Personen auf diesem beschissenen Tennisplatz bin ich die einzige, die nicht absolut schön ist.

Nehmen wir zum Beispiel Devon. Blond. Blaue Augen. Ein Kinn wie gemeißelt. Groß, aber nicht zu groß, muskulös, aber kein Muskelprotz. Zum Anbeißen.

Und der neue Tennislehrer … Ich weiß nicht einmal, was ich von ihm halten soll.

Mein erster Gedanke? Pin-up-Boy. Es ist offensichtlich, warum er eingestellt wurde, und zwar ganz bestimmt nicht, weil er zehnmal hintereinander einen Tennisball trifft, der ihm zugespielt wird.

Nein. Es ist eindeutig wegen der Art und Weise, wie sein Bizeps den Ärmel des exquisiten Cambridge-Country-Club-Poloshirts dehnt und wie seine gebräunte Haut einen perfekten Kontrast zu dem strahlend weißen Stoff abgibt.

Das und der mürrische Bad-Boy-Blick, von dem ich mir ziemlich sicher bin, dass er sich dessen bewusst ist. Ihn vielleicht sogar eingeübt hat.

Der Neue ist göttlich. Und Kristin hat es bemerkt.

Ich lenke den Blick dorthin, wo Devon gerade eine Locke von Kristins immer seidigem Haar hinter ihr Ohr steckt. Wir haben beide eine Naturkrause, doch Kristins ist so beschaffen, dass sie in jegliche Form von seidigem Glanz geföhnt werden kann. Anders als meine Korkenzieher, deren jede einzelne Locke sich wie ein rebellischer Teenager aufführt.

Es ist klar, welche Version Devon bevorzugt.

Und der Pin-up-Boy auch, wenn man bedenkt, wie er Kristin praktisch mit Blicken ausgezogen hat, als er glaubte, ich würde es nicht bemerken.

Das gefiel mir an ihm. Dass er sie nicht wissen lassen wollte, dass er sie ansieht. Er spielte Spielchen, aber nach seinen eigenen Regeln.

Aber egal. Wer schert sich schon um den Tennisboy?

Groß, dunkel und finster ist nicht mein Typ.

Ich mag sie blond, lächelnd und freundlich.

Ich mag sie wie Devon Patterson.

Habe ich schon erwähnt, dass ich ihn liebe?

Devon hat sich von Kristins pinkfarbenem Mund lange genug gelöst, um Michael zu begrüßen. Jeder andere Kerl würde sich die Konkurrenz näher ansehen – ich meine, noch vor drei Minuten hat Kristin dem Tennislehrer alle möglichen Avancen gemacht. Doch Devon hat ein freundliches Lächeln für den Typen, der den Hintern seiner Freundin beglotzt hat.

Ich frage mich, ob es Devon überhaupt in den Sinn kommt, dass seine Freundin nicht immun gegen Michael St. Claires finstere Anziehung ist.

Nö. Devon weiß, wie perfekt er ist. Er wird sich wegen irgendeines Tennisspielers mit einem Bad-Boy-Image und zu großem Bizeps keine Sorgen machen.

Ich gebe vor, in meinem Buch zu lesen, während Devon Michael darüber informiert, dass Kristin trotz ihrer Bescheidenheit tatsächlich für das Tennisteam ihres Colleges spielt, und Kristin wird hübsch rot und tut so, als wäre das keine große Sache, als hätte sie Michael nicht bereits in ermüdenden Details von ihren außerordentlichen Tennisqualitäten berichtet.

Kristin gefällt es, so zu tun, als wäre ihre Tenniskarriere der Grund dafür, dass sie nicht nach vier Jahren ihren Abschluss gemacht hat, und die guten alten Eltern scheinen sich nie die Frage zu stellen, ob es nicht doch eher etwas mit der Tatsache zu tun hat, dass sie ihr Hauptfach sieben, ja, sieben Mal gewechselt hat, ehe sie sich für Französisch entschied.

Kristin kann gut französisch küssen, obwohl es mit der Sprache ein wenig hapert, aber sie ist so verdammt hübsch, dass es niemand zu bemerken scheint. Oder sich darum schert.

In der Zwischenzeit werde ich vorzeitig graduieren. In zwei Hauptfächern, nämlich Biologie und Wirtschaft. Keine offensichtliche Kombination, aber, hey … ein Mädchen muss sich alle Optionen offenhalten, vor allem wenn ein MRS-Diplom nicht gerade an der nächsten Ecke zu haben ist.

Mein Dad ist stolz auf mich.

Meine Mom … na ja, sie ist auch stolz. Ich glaube, sie wünschte sich bloß, ich wäre dünn und hätte trotzdem zwei Hauptfächer.

Das wünschen wir uns beide, Mom.

Wie auch immer. Nichts von alldem zählt wirklich.

Was zählt, ist allein die Tatsache, dass ich damit gerechnet hatte, das kommende letzte Jahr für mich allein zu haben. Davis University ist ein kleines College, und die schöne, zauberhafte Kristin in der Schule mir um ein Jahr und in Sachen Beliebtheit um Lichtjahre vorauszuhaben, ist nichts Neues.

Doch dann ließ das liebste Schwesterchen die Bombe platzen, dass ihr ungefähr zwei Dutzend Punkte zum Abschluss fehlten.

Meine Eltern haben nicht einmal mit der Wimper gezuckt.

Und ich? Ich habe eine Riesenpackung Häagen-Dazs verdrückt, dabei bin ich eher der Ben&Jerry’s-Typ.

So schlimm war es.

»Chlo?«

Ich reiße den Kopf von dem Buch hoch, in dem ich gar nicht gelesen habe, und sehe Devon auf mich zukommen.

Mein Herz schlägt einen Purzelbaum.

Ich weiß.

Es ist schlimm.

Ich schäme mich.

Nein, tue ich nicht.

Devon zieht mich von der Bank hoch in seine Arme und drückt mich, und ich schnüffele an seinem Nacken. Nur ein bisschen, während ich Kristin einen Blick zuwerfe, um sicherzugehen, dass sie nichts mitbekommt. Doch sie lächelt einfach nur ihr übliches hübsches Lächeln und ist sich absolut sicher, dass die dicke Chloe niemals eine Gefahr darstellen könnte.

Sie hat recht.

Mein Blick wandert hinüber zu Pin-up-Boy, und interessanterweise scheint er zu bemerken, dass der Duft von Devons Rasierwasser mich rot werden lässt und dass ich mich ein bisschen enger an Dev klammere, als angemessen ist.

Dieser Michael St. Claire zieht wissend eine Augenbraue hoch, und ich reiße meinen Blick von ihm los, ehe ich mich aus Devons Großer-Bruder-Umarmung löse.

»Herzlichen Glückwunsch zum Abschluss«, sage ich und schlage ihm freundlich, aber irgendwie deppert auf die Schulter.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Pin-up-Boy die Augen verdreht.

Ich ignoriere ihn.

Vor ein paar Wochen hat Devon seinen Abschluss an der UCLA gemacht. Ich bin natürlich nicht zur Feier hingeflogen. Das war ein Recht, das nur für seine Familie und seine Freundin reserviert war, aber ich war aus der Ferne stolz auf ihn. Devon ist so alt wie Kristin – ein Jahr älter als ich –, doch im Gegensatz zu ihr hat er es geschafft, seinen Abschluss in der vorgegebenen Zeit zu machen.

Hauptsächlich bin ich einfach froh, ihn wieder hier in Texas zu haben. Und nach dem, was Kristin sagt, ist er hier, um zu bleiben, da er vorhat, in der Firma seines Vaters zu arbeiten.

Ich frage mich insgeheim, was aus seinen uralten Träumen von einem Jurastudium an der Ostküste geworden ist, aber ich nehme an, dass er das Recht hat, seine Meinung zu ändern. Gott weiß, dass er klug und charmant genug ist, um aus seinem Leben zu machen, was immer er will. Devon mag an der Highschool der geborene Texas Quarterback gewesen sein, aber er war auch Jahrgangsbester.

Ihr versteht jetzt, warum es unmöglich ist, ihn nicht zu lieben, stimmt’s?

Die Sache ist die: Ich habe ihn vor allen anderen geliebt.

Ich habe ihn geliebt, als er ein schwächlicher Viertklässler und ich eine pummelige Drittklässlerin war und wir auf dem Pausenhof Bücher getauscht haben, ehe wir in unsere jeweiligen Klassen zurückrannten.

Ich habe Devon Patterson schon geliebt, ehe er cool war.

Ehe er diesen Wachstumsschub in der achten Klasse bekam, ehe ein teurer Dermatologe herausfand, wie er seine Akne loswerden konnte, ehe die Zahnspange sein schiefes Grinsen in eine Zahnpastawerbung verwandelte.

»Danke, Chloe«, sagt er grinsend. »Du siehst toll aus.«

»Ich sehe nicht toll aus«, sage ich als Antwort auf sein zu höfliches Kompliment. Ich habe vier Pfund während der Prüfungen verloren, aber ich weiß, dass ich auf dem besten Weg bin, sie wieder zuzulegen. Und noch ein paar obendrauf zu packen.

An einem guten Tag habe ich Kurven.

An einem schlechten bin ich dick.

Die meisten Tage sind schlecht.

Doch Devon scheint das nie aufgefallen zu sein. Natürlich hat er mich auch nie wirklich begehrt.

»Doch. Tust du«, beharrt er.

Noch bevor ich mich in dem Kompliment suhlen und vielleicht um ein zweites buhlen kann, fährt er fort: »Hey, Kristin und ich wollen noch zum Clubhaus auf ein Bier. Willst du mitkommen?«

Äh. Nein.

Ich hasse Bier. Ich habe das im ganz großen Stil vor ein paar Monaten an meinem einundzwanzigsten Geburtstag erfahren.

Doch noch mehr hasse ich den Gedanken, dass Devon diese Mitleidseinladung ausspricht. Und selbst wenn ich mitgehen wollte, um zuzusehen, wie Kristin und er auf dem Patio Händchen halten (was ich nicht will), sieht mich meine Schwester böse an.

Ihr Blick sagt alles. Nämlich dass sie jetzt für kurze Zeit mit ihrem Freund allein sein will.

Und obwohl Kristin mich manchmal wahnsinnig macht und obwohl ich heimlich in ihren Freund verliebt bin … ist sie doch immer noch meine Schwester.

Ich kenne meinen Platz.

»Nein, danke. Ich mag nicht«, sage ich und lächle Devon von unten an. »Ich stoße dann später wieder zu euch.«

»Tut mir leid, dass ich die Stunde ein wenig abkürze.« Kristin lächelt Michael entschuldigend an.

»Mach dir deshalb keine Gedanken«, entgegnet er barsch. »Wir sehen uns am Mittwoch.«

Ich sehe zu, wie Kristin und Devon Hand in Hand Richtung Clubhaus gehen, bevor ich meinen Blick losreiße und zurückgehe, um mein Buch zu holen. Wenigstens kann ich jetzt, da ich nicht mehr so tun muss, als würde ich Kristins Sportlichkeit durch Osmose aufsaugen, mein Buch irgendwo lesen, wo eine Klimaanlage läuft.

Ich spüre, dass mich jemand ansieht, und widerstehe dem Drang, herumzuzappeln, als ich sehe, dass Michael mich mit einem finsteren, undurchdringlichen Blick betrachtet, während er sein Zeug in seine Sporttasche packt.

»Es wird nie so laufen, wie du es gerne hättest. Mit dir und dem Typen von deiner Schwester.« Seine Stimme klingt fast gelangweilt, als redete er über das Wetter und nicht über das Liebesleben eines Mädchens, das er nicht einmal kennt.

»Was weißt du schon davon?«, murmele ich, raffe die Haare im Nacken zusammen und stecke sie zu einem unordentlichen Dutt oben auf dem Kopf zusammen.

»Mehr als du denkst.« Er schiebt sich die Träger der Tasche über die Schulter und betrachtet mich weiterhin.

»Ja. Ich bin mir sicher, dass du alle möglichen Probleme mit den Ladys hast. Ich meine, dein Körper ist einfach widerlich«, sage ich und deute auf seine gemeißelte Perfektion. »Und ich wette, die Frauen hassen einfach diese Ausstrahlung von Pass auf, ich bin gefährlich, die von dir ausgeht.«

»Du wirst überrascht sein. Es dreht sich nicht immer um Aussehen.«

Ich schenke ihm einen Ach-komm-schon-Blick über die Schulter, ehe ich in Richtung Clubhaus gehe.

Es dreht sich immer um Aussehen. Bloß gut aussehende Leute sagen, dass das nicht der Fall sei.

Es gibt einen Ohrensessel am Kamin, der für mich mehr oder weniger reserviert ist. Niemand nimmt im Sommer Notiz von dieser Ecke des Clubhauses, wenn es immer nur um den Pool und die Veranda geht. Es ist der perfekte Ort, um sich vor der Welt zu verstecken.

Und mit »Welt« meine ich meine Schwester, meine Mutter und meinen Vater, die mich zu Dingen wie Familiengolfen überreden wollen, wenn Kristin und ich in den Sommerferien nach Hause kommen.

»Du willst es nicht einmal versuchen?« Die Stimme von Pin-up-Boy hält mich auf, ehe ich mich in meine Lesehöhle zurückziehen kann.

Ich unterdrücke einen Anflug von Ärger und drehe mich zu ihm um. »Was versuchen?«

»Dir den Kerl zu schnappen.«

»Hör zu, Pin-up-Boy«, sage ich und seufze theatralisch. »Ich weiß es zu schätzen, dass du dem kleinen, fetten Mädchen helfen willst, aber hör auf, mir blöd zu kommen, ja? Du hast die Situation ungefähr sechzehn Sekunden lang analysiert. Ich analysiere sie seit sechzehn Jahren. Und Typen wie er verlieben sich nicht in Mädchen wie mich.« Ich deute auf meine Figur.

»Es geht nicht um Aussehen«, wiederholt er.

»Okay, fang nicht wieder mit dem Quatsch an.«

»Es geht um Selbstbewusstsein.« Er nähert sich und bleibt vor mir stehen. »Du tust mit deiner Überheblichkeitsmasche so, als hättest du tonnenweise davon, aber in deinem Innersten hast du jede Menge Angst.«

Ich spüre, wie mir ein winziger Schauer der Nervosität den Rücken hinunterrieselt.

»Ich fühl mich wohl, so wie ich bin«, schnauze ich ihn an.

»Da bin ich mir sicher. Aber wie alt bist du? Zwanzig?«

»Einundzwanzig.«

Er nimmt die Tasche auf die andere Schulter. »Versteh mich nicht falsch, aber du bist zu jung, um nicht fit zu sein.«

Ich fühle mich verletzt. Ich weiß, dass ich nicht dünn bin, aber das tut richtig weh, und ich fange an, ihm meine Meinung zu sagen.

Doch ehe ich richtig auf ihn losgehen kann, legt sich eine große Hand auf meinen Mund. Unsere Blicke treffen sich, als er meine Erwiderung physisch unterdrückt. »Du hast mir nicht zugehört, ich sagte nicht ›schlank‹ oder ›dünn‹. Ich sagte ›fit‹. Gesund. Es geht nicht darum, was die Waage anzeigt; es geht darum, was hier oben los ist. Es geht darum, dein Leben in den Griff zu bekommen.«

Er legt den Zeigefinger kurz an meine Schläfe, ehe er den Arm herunternimmt, und ich bin seltsam atemlos, obwohl ich nicht weiß, ob es daran liegt, dass ich wütend auf ihn bin, weil er die Grenzen des Anstandes überschritten hat, oder daran, dass es schon sehr, sehr lange her ist, dass mich jemand überhaupt berührt hat.

Es ärgert mich, dass ich seiner einstudierten Callboy-Nummer gegenüber nicht immun bin.

Doch noch viel mehr stört mich, dass er es weiß. Er weiß, was ich nie jemandem erzählt habe.

Dass ich nicht das Gefühl habe, mein Leben im Griff zu haben.

»Hau ab, Yoda«, sage ich.

Er zuckt die Achseln und wendet sich ab. Und verdammt wollen ich und mein immerzu plapperndes Mundwerk sein, denn die Worte kommen mir über die Lippen, ehe ich sie aufhalten kann: »Rein hypothetisch, wenn ich deinen Rat wollte …«

Er dreht sich wieder zu mir um. Er lächelt nicht, aber ich übersehe nicht den Anflug von Siegesgewissheit in seinen Augen.

Egal.

Ich will ihm seinen Triumph gerne gönnen, wenn er mir helfen kann, dieses Selbstbewusstsein zu erlangen, von dem er spricht.

Meistens mag ich mich so, wie ich bin.

Ich bin stolz darauf, dass ich klug und witzig bin und dass ich für das, woran ich glaube, einstehe. Aber es würde mir nichts ausmachen, wenn ich einen anderen Weg als Schokolade finden würde, um mit Stress und Herzschmerz umgehen zu können. Bloß für diese Notsituationen, wisst ihr? Für diese Momente, in denen einem klar wird, dass der Rest der Welt deine guten Eigenschaften nicht so zu schätzen weiß, wie dein Herz dir sagt, dass er es tun sollte.

»Was machst du werktags um sieben?«, fragt er.

»Äh, normalerweise Abendessen mit der Familie.«

Pin-up-Boys Augen drehen sich himmelwärts. »Sieben Uhr morgens.«

»Ohhh. Nun, in diesem Fall bin ich normalerweise beim Spinning, es sei denn, mein Pilates-Kurs hat überzogen«, sage ich trocken.

Er starrt mich schweigend an, bis ich nachgebe. »Okay. Ich schlafe.«

»Ab sofort nicht mehr. Morgen treffen wir uns hier im Fitness-Center.«

Ich starre ihn an, und er starrt mich an, und dann – verdammt! –, dann fängt er an zu lächeln, echt zu lächeln. Und schließlich lacht er.

»Gott, du solltest diesen angeekelten Ausdruck in deinem Gesicht jetzt sehen«, sagt er.

»Glaub mir, er kommt aus vollem Herzen«, murmele ich.

»Gib mir eine Woche, Chloe. Es ist ein erstklassiger Termin im Kalender eines Personal Trainers, aber ich halte ihn für dich frei.«

»Warum?«

Sein Lächeln verblasst, bis es ganz verschwunden ist.

Er bleibt mir eine Antwort schuldig, doch als ich es mir schließlich zehn Minuten später mit meinem Buch gemütlich mache, ist mir eins sehr klar: Michael St. Claire mag mir vielleicht helfen wollen, doch das hat nichts mit mir zu tun.

Er tut es für sich selbst.

Ich weiß bloß nicht, warum.

3

Michael

Zu Hause in New York gibt es Leute, die mich abgrundtief hassen.

Ich habe keinerlei Zweifel, dass sie hinter meinem Rücken über mich herziehen.

Aber das stört mich nicht.

Denn ich habe Chloe Bellamy, die mir mitten ins Gesicht sagt, dass ich nichts wert sei.

»Weißt du, was das ist?«, sagt sie keuchend. »Das ist sportlicher Elitismus. Ihr von Natur aus sportlichen Typen haltet uns diese Karotte namens Gesundheit vor die Nase, und wir denken uns, wenn wir älter als zweiunddreißig werden wollen, müssen wir mitmachen, aber das ist alles ein Trick.« Keuch, keuch. »Ihr wollt eigentlich nur sehen, wie wir ins Taumeln geraten, während ihr uns zum Sprinten drängt.«

Ich senke den Blick auf das Display des Laufbandes. 6,4 km/h. Vier Minuten sind um. »Chloe, wir sind noch beim Aufwärmen.«

Sie stößt ein übertriebenes Keuchen aus und streckt die Finger nach der Steuerung aus, aber ich schubse ihre Hand weg. »Noch eine Minute. Lass uns fünf Minuten mit regelmäßigem Herzschlag schaffen.«

»Herzversagen ist eher wahrscheinlich«, sagt sie.

Ich verkneife mir ein Lächeln ob ihres melodramatischen Auftritts. Wenn ich überzeugt wäre, sie kämpfte wirklich, würde ich ihr eine Pause gönnen. Doch ehe ich den Job hier im Cambridge Club bekommen habe, habe ich sechs Monate lang einen Trainer in einem der angesagten Studios in Dallas beobachtet; lange genug, um zu erkennen, wenn jemand sich überanstrengt. Im Gegensatz zu dem, was ich gerne »unterbewegt« nenne.

Und Chloe fällt definitiv in die letzte Kategorie.

Obwohl ich wahrscheinlich erleichtert sein sollte, dass sie tatsächlich in echten Trainingsklamotten hier aufgekreuzt ist.

Brandneu, so wie sie aussehen.

Die meisten Mädchen, die ich kenne, binden sich die Haare beim Training zurück, und dabei handelt es sich um Mädchen, die nicht Chloes Wolken irrer Locken haben. Doch Chloes Haare wippen ungebändigt in ihrer ganzen wilden Pracht herum.

Ich wollte ihr schon vorschlagen, dass sie vielleicht etwas damit machen solle, aber ich habe mir dann doch nicht die Mühe gemacht, denn erstens wird sie mir nicht zuhören und zweitens sind es bloß Haare. Es ist mir völlig egal.

Doch als Chloe das Laufband nach fünf Minuten stoppt, fällt mir auf, dass es mir etwas ausmacht.

Diese verdammten Haare werden eine riesige Behinderung sein.

»Trinkpause?«, fragt sie voller Hoffnung.

Ich deute auf ihren Kopf. »Pferdeschwanz.«

Sie legt den Kopf schief. »Hä?«

»Deine Haare. Mach dir einen Pferdeschwanz.«

Chloe schnaubt und wirft mir einen ungläubigen Blick zu. »Weißt du, gestern dachte ich, du hättest dieses ganze Alpha-Zeug verinnerlicht. Das finstere Starren, die großen Bizepse, der Mangel an Small-Talk-Fähigkeiten, aber du solltest aufpassen … Sprich das Wort Pferdeschwanz in aller Öffentlichkeit aus, und deine ganzen Hausfrauen wenden sich weniger metro-mäßigen Weiden zu.«

Sie will alpha?

Kein Problem.

Ohne ein weiteres Wort wende ich ihr den Rücken zu, gehe an der langen Reihe von Laufbändern, Crosstrainern und Kraftmaschinen vorbei, bis ich am Empfangstresen ankomme.

Demi, die hübsche Rezeptionistin, springt überrascht auf, als ich hinter sie trete, ihre Schreibtischschublade aufziehe und in den Büroartikeln herumkrame, bis ich finde, wonach ich suche.

»Gern geschehen!«, ruft sie mir hinterher.

Ich kehre zu den Laufbändern zurück und erwarte eigentlich, dass Chloe nervös um sich schauend auf mich wartet, aber das tut sie natürlich nicht. Dieses Mädchen ist einfach … ich weiß nicht einmal, wie mir ein anderes Wort als anders einfallen soll.

Chloe Bellamy ist anders.

Und das meine ich auf eine Art des Ich könnte sie umbringen. Nicht des Ich bin fasziniert.

Chloe hat ihren Weg zu einer der Zugmaschinen gefunden und spricht dort mit einem blonden Typen, der kaum alt genug zum Rasieren aussieht, aber natürlich alt genug ist, um die Komplimente eines älteren Mädchens zu schätzen.

Selbst wenn das besagte ältere Mädchen vom Aufwärmen rot im Gesicht ist und verrückte Haare hat.

Sie stößt ein langes, lärmendes Lachen aus, und ich sehe zu, wie er die Muskeln anspannt, wahrscheinlich auf ihren Wunsch hin. Bis ich bei ihnen drüben bin, drückt sie doch tatsächlich den Bizeps von dem Kleinen.

»Was zum Teufel treibst du da?«, frage ich.

Sie scheint von meinem Knurren nicht im Geringsten beeindruckt zu sein, sondern dreht sich zu mir um und grinst zu mir hoch. »Das ist Caleb. Ist es zu fassen? Er geht noch ein Jahr lang auf die Highschool! Ich meine, sieh dir doch nur seine …«

Ich lege meine Finger fest um ihren Arm und ziehe sie weg.

»Was hast du für ein Problem?«, murmelt sie und dreht sich um, um Caleb zuzuwinken und übertrieben zuzuzwinkern.

»Was ich für ein Problem habe? Du solltest mir danken. Der Kerl ist sechzehn. Ich rette dich vor einer Anzeige wegen sexueller Belästigung Minderjähriger.«

»Ach, jetzt mach aber mal ’nen Punkt. Ich habe bloß seine Muskeln befühlt.«

Grunzend lege ich ihr die Hände auf die Schultern und drücke sie auf eine der Bänke, sodass sie sitzt.

»Was machst du … hey!«, jault sie auf.

Ich ignoriere sie, während ich mit ihrer Mähne kämpfe.

Das ist ein erstes Mal für mich.

Beim einzigen anderen Mal, da mir das Haar eines Mädchens überhaupt auch nur aufgefallen ist, war ich neunzehn. Es war eine heiße Sommernacht in einem Poolhaus, als ich nach einer schicken Party, die ihre Eltern veranstaltet hatten, meine Finger endlich in Melissa Gilanis Höschen bekam. Melissa hatte die Haare zu so einem lockeren, absichtlich unordentlich aussehenden Dutt hochgesteckt, und es gefiel ihr zweifellos, dass ich langsam die Haarnadeln herauszog und ihr langes blondes Haar befreite, sodass es ihr über die Schultern fiel.

Natürlich habe ich ihr dabei den Nacken geküsst. Das hat wahrscheinlich geholfen.

Aber ich küsse ganz bestimmt nicht Chloe Bellamys Nacken, und ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammenzubinden ist wahnsinnig viel komplizierter, als Melissas Haare in jener Nacht zu öffnen.

Chloe schreit wie am Spieß, als ich versuche meine großen Hände um die Masse zu schließen und sie durch das Gummiband zu ziehen, den ich vom Empfangstresen gemopst habe.

Es gelingt mir nur zweimal, ihre Haare durch das Gummiband zu ziehen, ehe sie sich von mir losmacht. Aber da ist so verdammt viel Haar, ich glaube nicht, dass ich noch eine Schlinge geschafft hätte, selbst wenn sie ruhig und brav gewesen wäre. Zwei Wörter, die wahrscheinlich niemals auf Chloe Bellamy zutreffen werden.

Sie dreht sich um und schaut mich böse an. Ich starre zurück. »Alpha genug für dich?«, frage ich.

Sie kneift die Augen zusammen. »Ich weiß, worum es hier geht.«

»Keine Zeit für Küchenpsychologie«, antworte ich. »Zeit für ein wenig Widerstandstraining.«

Sie antwortet trotzdem. »Du bist sauer, weil ich die Muskeln von dem süßen Typen gedrückt habe, aber deine nicht.«

Herrje!

»Ich hätte deine Muskeln ja auch gedrückt«, plappert sie weiter, »aber ich wollte den Riesenverband an deinem rechten Arm nicht kaputtmachen. Ich denke, entweder ein Kampf mit dem Messer oder ein Tattoo ist der Grund dafür, dass du ihn bedecken musst. Regel für die Angestellten des Clubs.«

Es ist Letzteres, aber wenn sie weiter so ein loses Mundwerk hat, könnte es glatt zu einem Messerkampf kommen.

»Schluss mit der Verzögerungstaktik«, sage ich, gehe zu ihr und frage mich, wie unangemessen es wohl wäre, jemanden zu knebeln, während man ihm die richtige Haltung für Kniebeugen beibringt. »Lass uns vor den Spiegel gehen, damit du siehst, was du machst. Ich will, dass du die Kniebeugen von Anfang an richtig machst, damit du sie später einmal alleine durchführen kannst.«

»Ja, das wird bestimmt passieren«, sagt sie. Doch dann lässt sie sich von mir zu der Spiegelwand am Ende des Studios führen. »Kann ich dein Tattoo sehen?«

Zum Teufel, nein. Ich stehe neben ihr vor dem Spiegel. Ihr Gesicht ist rot und voller Leben, meines finster und grollend.

»Okay. Mach es mir einfach nach«, sage ich und schaue ihr im Spiegel in die blauen Augen. »Wir werden uns jetzt in eine sitzende Position begeben und darauf achten, dass unsere Knie nicht weiter nach außen ragen als unsere Zehen.«

Ich mache eine Kniebeuge, um ihr zu zeigen, was ich meine. Normalerweise mache ich Kniebeugen mit Gewichten – schweren Gewichten –, doch da die größte körperliche Anstrengung, an die Chloe gewöhnt ist, das Reden zu sein scheint, halte ich es für das Beste, am Anfang anzufangen. Ganz am Anfang.

»Okay?«, frage ich nach einer weiteren Kniebeuge, da sie meine Bewegung beim zweiten Mal nicht nachgemacht hat.

Sie beobachtet mich im Spiegel. »Noch ein Mal«, sagt sie.

Ich tue ihr den Gefallen und lasse dann einen Schauer von Flüchen auf sie niederprasseln, denn Chloe Bellamy hat mitten in einem belebten Fitnessstudio einfach die Hand ausgestreckt und meinen Hintern getätschelt.

»Sehr schön«, sagt sie und wirkt überrascht.

»Chloe!«

Sie zuckt die Achseln. »Du hast dich so aufgeregt, als ich den anderen Typen angeglotzt habe statt deiner, deshalb wollte ich, dass du dich gut fühlst.«

Eine Sekunde lang will ich lachen, und deshalb bin ich versucht ihr zu sagen, dass unser Arrangement vorbei ist. Dass sie wieder ihr Schokolade mampfendes, faules Ich sein kann, weil ich nicht lache.

Nicht mehr.

Chloe ist anders, und dieses anders mag ich nicht.

Sie ist nicht wie die Frauen, die mich beäugen wie ein Stück Fleisch, und auch nicht wie die verknallten Mädchen in der Kneipe, die sich benehmen, als würde ich zur Ruhe kommen und eine Familie gründen, sobald ich bloß die Richtige gefunden habe.

Und sie ist ganz bestimmt nicht wie ihre Schwester Kristin, die genau weiß, wie umwerfend sie ist, und auch weiß, dass sie nur darauf warten muss, dass die Kerle zu ihr kommen.

Chloe ist …

Ich weiß es nicht einmal.

Sie seufzt tief. »Tut mir leid, dass ich dich betatscht habe.«

Schnell macht sie eine halbe Kniebeuge. »Okay?«

Ich lasse den Blick ihrer großen blauen Augen im Spiegel nicht los, überrascht von der Feststellung, dass sie ohne die vielen Haare, die von ihren Gesichtszügen ablenken, eigentlich ganz … ach, ich weiß nicht, was, ist.

Interessant?

Betörend?

Ich weiß nicht, ob »hübsch« der richtige Ausdruck ist.

»Nein, nicht okay«, schnauze ich sie an, verärgert über den Weg, den meine Gedanken nehmen. »Du musst weiter nach unten gehen.«

»Das hat das Mädchen auch gesagt.« Chloe versucht sich an einer weiteren Kniebeuge, und ich lege ihr die Hand auf die Schulter und zwinge sie sanft noch ein bisschen tiefer.

»Aber das ist schwer«, protestiert sie.

Ich lache grimmig. »Ja. Darum geht es ja auch.«

Da dreht Chloe den Kopf, um mich anzusehen, mir direkt in die Augen zu schauen, statt nur über den Spiegel.

Erkenntnis leuchtet in ihren Augen auf. Ich ziehe meine Hand zurück, als hätte ich mich verbrannt, denn ich habe das merkwürdige Gefühl, dass Chloe Bellamy weiß, dass ich eben nicht über die Kniebeugen sprach, als ich sagte, es sei schwer.

Ich spreche über das Leben.

Mein Leben.

4

Chloe

Ich liebe das College.

Ich habe mein gesamtes letztes Jahr an der Highschool damit zugebracht, vor Ärger mit den Zähnen zu knirschen, weil Kristin vor mir aufs College gehen konnte.

Diese Art der Eifersucht war übrigens neu für mich. Wisst ihr, Kristin und ich sind so verschieden, dass wir trotz des geringen Altersunterschiedes von nur einem Jahr (was üblicherweise eine Garantie für Desaster bei Teenagertöchtern ist, wie man mir sagt) uns nie gestritten haben. Tja … worüber auch?

Ich wollte mir nicht ihren Lipgloss leihen. Und sie kämpfte nicht gerade um meinen Platz im Debattierklub.

An der Highschool lief also alles glatt. Ich meine, es war … ach, egal.

Aber ich war eifersüchtig, als sie aufs College ging, weil ich genau wusste, dass das College mir sehr viel bedeuten würde.

Obwohl ich wusste, dass wir wahrscheinlich an demselben Institut landen würden (ich hatte schon immer ein Auge auf Davis geworfen, genau wie Kristin – so wie alle Bellamys, seit es Bellamys gibt). Doch selbst in dem Wissen, dass meine große Schwester dort sein würde, hatte ich noch vor, Erfolg zu haben.

Und das ist mir gelungen.

Bisher ist es so toll, wie ich es mir vorgestellt habe. Vom ersten Tag als Freshman bis zu dem Wahnsinnspraktikum im letzten Jahr.

Ich habe mir die Finger wundgebetet, dass ich eine nette Mitbewohnerin bekomme, und meine Gebete wurden erhört. Tessa ist ein winziges rothaariges Bündel reinsten Wahnsinns. Das nächste Jahr ist unser viertes (und letztes, schnief!) als Zimmergenossinnen, aber es wird nicht das letzte als beste Freundinnen sein.

Der Rest hat sich dann auch ziemlich schnell gefügt.

Ich habe einen grundsoliden Freundeskreis. Ich liebe sowohl die Wirtschafts- als auch die Biologiefakultät und sämtliche Dozenten dort.

Ich habe sogar ein paar nette Jungs getroffen, denen meine Schrulligkeit zu gefallen schien, habe sie eine Weile gedatet, mit einem meine Unschuld verloren und dann letztendlich mit beiden Schluss gemacht, weil … na ja … ich irgendwie dann doch nicht von Ihr-wisst-schon-wem losgekommen bin.

Und es ist Ihr-wisst-schon-wer, der mir die Schattenseite des Collegelebens bewusst macht: diese bittersüße Periode, bekannt als Sommerferien.

Wisst ihr, Cedar Grove hat einen nicht ganz so tollen Spitznamen. Der »Silberlöffel von Dallas«.

Die Stadt liegt etwa fünfundzwanzig Minuten von der City entfernt: nah genug, dass die Bewohner sich für Großstädter halten können, wenn es ihnen passt. Aber auch weit genug weg, dass sie sich elitär geben können, wenn es ihnen passt.

Und Letzteres passt ihnen eigentlich die ganze Zeit.

Und wir … die Kids von Cedar Grove? Nicht viele von uns arbeiten während der Sommerferien, solange wir aufs College gehen, es sei denn, es handelt sich um ein ruhiges Praktikum.