Mammon - Dick Francis - E-Book

Mammon E-Book

Dick Francis

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Beschreibung

Fünfmal hat der Multimillionär Malcolm Pembroke geheiratet, zuletzt die geldgierige Moira. Die Folge: eine Horde verbitterter Exfrauen und ein Rattenschwanz mißgünstiger Kinder. Auch Ian, Hindernisreiter und ein Sohn aus einer früheren Ehe, bricht mit dem Vater. Doch dann wird Moira brutal ermordet und ein Anschlag auf Malcolms Leben verübt. Malcolm bittet Ian um Hilfe, und der Sohn weist ihn nicht ab. Ian will seinen Vater schützen und Moiras Mörder zur Strecke bringen. Prompt geraten er und sein Vater zwischen die Fronten einer erbarmungslos geführten Familienfehde. Den Mörder zu finden stellt sich als ein schwieriges Unterfangen heraus, denn Malcolms Reichtum liefert jedem von Ians zahlreichen Verwandten durchaus ein Motiv für einen Mord ... Noch bevor die Wahrheit ans Licht kommt, weiß Ian mehr, als ihm lieb ist, von Haß, der sich über die Jahre langsam, aber sicher aufbaut, von dem entsetzlichen Preis, den die Nachkommen mitunter für die Versäumnisse ihrer Väter entrichten müssen, und von der unberechenbaren Dynamik, die Liebe in Rachsucht verwandeln kann. "

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Seitenzahl: 508

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Dick Francis

Mammon

Roman

Aus dem Englischen vonMalte Krutzsch

Titel der 1987 bei Michael Joseph Ltd., London, erschienenen

Originalausgabe: ›Hot Money‹

Copyright ©1987 Dick Francis

Die deutsche Übersetzung erschien erstmals 1989

unter dem Titel ›Totes Rennen‹ im Ullstein Verlag,

Frankfurt/M., Berlin; sie wurde vom Übersetzer

für die vorliegende Ausgabe durchgesehen

Umschlagillustration von

Tomi Ungerer

Mit Liebe und Dank wie immer

für Merrick und Felix

Alle deutschen Rechte vorbehalten

Copyright ©2014

Diogenes Verlag AG Zürich

www.diogenes.ch

ISBN Buchausgabe 978 3 257 23160 1 (4. Auflage)

ISBN E-Book 978 3 257 60619 5

Die grauen Zahlen im Text entsprechen den Seitenzahlen der im Impressum genannten Buchausgabe.

[5]DIE PEMBROKES

Malcolm Pembroke

SEINE FRAUEN

1   

Vivien

2   

Joyce

3   

Alicia

4   

Coochie

5   

Moira

VIVIENS KINDER

1   

Donald,

verheiratet mit

Helen

2   

Lucy,

verheiratet mit

Edwin

3   

Thomas,

verheiratet mit

Berenice

JOYCES KIND

1   

Ian,

unverheiratet

ALICIAS KINDER

1   

Gervase,

verheiratet mit

Ursula

2   

Ferdinand,

verheiratet mit

Debs

3   

Serena,

unverheiratet

COOCHIES KINDER

[7]1

Die fünfte Frau meines Vaters war mir zutiefst unsympathisch, aber für einen Mord hätte es nicht gereicht.

Ich, das Resultat seines zweiten unbesonnenen Galopps vor den Traualtar, war pflichtbewußt zu seinen beiden nächsten Hochzeiten gegangen, als mir mit sechs und mit vierzehn eine neue »Mutter« beschert wurde.

Mit dreißig hatte ich allerdings rebelliert: Keine zehn Pferde hätten mich dazu gebracht, die Vermählung mit der kaltäugigen, glattzüngigen Moira, seiner fünften Auserwählten, mitzufeiern. Moira war der Gegenstand des erbittertsten Streits gewesen, den mein Vater und ich jemals hatten, und die unmittelbare Ursache einer Dürreperiode des Nichtmiteinandersprechens, die drei Jahre anhielt.

Nachdem Moira ermordet worden war, stattete mir die Polizei einen höchst argwöhnischen Besuch ab, und nur rein zufällig konnte ich beweisen, daß ich an einem anderen Ort gewesen war, als ihre habgierige kleine Seele ihren sorgsam gepflegten Körper verlassen hatte. Ich ging nicht zu ihrer Beerdigung, doch da war ich nicht der einzige. Mein Vater ging auch nicht hin.

Einen Monat nach ihrem Tod rief er mich an, und ich [8]hatte seine Stimme so lange nicht mehr gehört, daß sie mir wie die eines Fremden vorkam.

»Ian?«

»Ja«, sagte ich.

»Malcolm.«

»Hallo«, sagte ich.

»Bist du beschäftigt?«

»Ich lese die Goldnotierungen.«

»Nein, verdammt«, sagte er gereizt. »Allgemein – bist du sehr beschäftigt?«

»Allgemein«, sagte ich, »ziemlich.«

Die Zeitung lag auf meinem Schoß, ein leeres Weinglas stand vor mir. Es war später Abend, nach elf, zunehmend kühl. Ich hatte an diesem Tag meinen Job aufgegeben und den Müßiggang übergestreift wie einen behaglichen Mantel.

Er seufzte durch die Leitung. »Ich nehme an, du weißt von Moira?«

»Titelseitennachricht«, bejahte ich. »Der Goldpreis steht auf… ehm, Seite 32.«

»Falls du möchtest, daß ich mich entschuldige«, sagte er, »das werde ich nicht tun.«

Ich sah sein Bild klar und deutlich vor mir: ein stämmiger grauhaariger Mann mit leuchtend blauen Augen und einer knisternden Vitalität, die er wie Funken statischer Elektrizität versprühte. Er war meiner Ansicht nach starrsinnig, selbstherrlich, unvorsichtig und oft dumm. Er war außerdem in finanziellen Dingen intuitiv schlau, gewieft und couragiert und hatte nicht umsonst den Spitznamen Midas bekommen.

[9]»Bist du noch da?« wollte er wissen.

»Ja.«

»Also… ich brauche deine Hilfe.«

Er sagte das, als wäre es ein alltägliches Bedürfnis, aber ich konnte mich nicht entsinnen, daß er schon jemals irgendwen um Hilfe gebeten hätte; mich ganz bestimmt nicht.

»Ehm…«, sagte ich unsicher. »Welche Art von Hilfe?«

»Erzähle ich dir, wenn du herkommst.«

»Wohin denn?«

»Nach Newmarket«, sagte er. »Komm morgen nachmittag zur Auktion.«

Man konnte seinen Tonfall zwar nicht flehend nennen, aber es war alles andere als ein direkter Befehl, und ich war nur Befehle gewohnt.

»In Ordnung«, sagte ich langsam.

»Gut.«

Er legte sofort auf, ließ mich keine Fragen stellen, und ich dachte an meine letzte Begegnung mit ihm – wie ich versucht hatte, ihn von der Heirat mit Moira abzubringen, indem ich sie angesichts seiner felsenfesten Absicht allmählich steigernd zunächst als bösen Fehlgriff seinerseits bezeichnete, dann als eine geschickte, unehrliche Manipulatorin und schließlich als ein raffgieriges, blutsaugerisches Biest. Er hatte mich mit einem einzigen, raschen, furchtbaren Schlag zu Boden gestreckt, wozu er vor drei Jahren – mit fünfundsechzig – durchaus noch in der Lage war. Wütend war er hinausmarschiert, während ich benommen auf meinem Teppich lag, und danach hatte er sich verhalten, als gäbe es mich nicht mehr; alles, was noch von [10]mir in meinem alten Zimmer in seinem Haus war, hatte er in Kisten gepackt und von einem Spediteur in meine Wohnung bringen lassen.

Die Zeit hatte mir recht gegeben mit Moira, doch die unverzeihlichen Worte waren mir bis zu ihrem Tod nicht verziehen worden und allem Anschein nach auch danach nicht. An diesem Oktoberabend jedoch waren sie vielleicht vorübergehend auf Eis gelegt.

Ich, Ian Pembroke, das fünfte der neun Kinder meines Vaters, hatte ihn von den Nebeln des Säuglingsalters an blind geliebt, durch sturmgezauste Jahre häuslicher Nahkämpfe hindurch, die mich für immer unempfindlich gegen Stimmengewalt und zuschlagende Türen machten. Die völlig konfusen, chaotischen Umstände, unter denen ich aufwuchs, hatten es mit sich gebracht, daß ich hin und wieder zwar eine unbehagliche Zeit bei meiner verbitterten Mutter abbüßte, gewöhnlich aber im Haus meines Vaters von einer Frau zur nächsten weitergereicht wurde wie zum Inventar gehörig, während er mir durchweg die gleiche beiläufige, aber ehrliche Zuneigung erwies, die er auch seinen Hunden schenkte.

Erst mit der Ankunft von Coochie, seiner vierten Frau, war einmal Frieden eingekehrt, aber als sie die Zügel in die Hand nahm, war ich bereits vierzehn, hatte die Nase voll und erwartete zynisch, daß noch im Jahr der Flitterwochen die Feindseligkeiten wiederaufleben würden.

Mit Coochie jedoch war es anders gekommen. Coochie war mir von allen die einzige richtige Mutter gewesen, die einzige, die mir ein Gefühl von Wert und Identität vermittelt, die zugehört, ermutigt und gute Ratschläge gegeben [11]hatte. Coochie brachte Zwillinge zur Welt, meine Halbbrüder Robin und Peter, und es hatte ausgesehen, als wäre Malcolm Pembroke endlich zu einer heilen, intakten Familie gelangt, wenn man sie auch mit einer sonnigen Lichtung inmitten eines Uwalddickichts aus Exfrauen und unzufriedenen Sprößlingen vergleichen konnte.

Ich wuchs heran und ging weg von zu Hause, kehrte aber oft zurück und fühlte mich nie ausgeschlossen. Coochie hätte Malcolm bis ins hohe Alter glücklich gemacht, doch als sie vierzig war und die Zwillinge elf, drängte ein anderer Fahrer, der anschließend das Weite suchte, ihren Wagen von der Straße ab, so daß er an einem Felsenabhang zerschellte. Coochie und Peter waren sofort tot. Robin, der erstgeborene Zwilling, erlitt einen Gehirnschaden. Ich war damals nicht zu Hause. Malcolm war in seinem Büro: Ein Polizist brachte ihm die Nachricht, und kurz darauf verständigte er mich. An jenem feuchtkalten Nachmittag lernte ich, was Kummer hieß, und ich trauere immer noch um sie; ihr Verlust ist unwiederbringlich.

An dem Oktoberabend des Telefongesprächs mit Malcolm warf ich wie gewohnt beim Schlafengehen einen Blick auf ihre drei lebhaften Gesichter, die mich aus einem Silberrahmen auf meiner Kommode angrinsten. Robin lebte – gerade so – in unbeschwertem Dämmerzustand in einem Pflegeheim. Ich besuchte ihn dann und wann. Er sah nicht mehr wie der Junge auf dem Foto aus, sondern war fünf Jahre älter, sehr viel größer, und sein Blick war leer.

Ich fragte mich, was für ein Anliegen Malcolm haben könnte. Er war reich genug, um sich alles Nötige zu [12]kaufen, vielleicht – aber nur vielleicht – mit Ausnahme von Fort Knox. Mir fiel nichts ein, was ich für ihn tun könnte, das er nicht von jemand anders hätte bekommen können.

Newmarket, dachte ich. Die Auktionen.

Für mich war Newmarket ein Begriff, da ich als Assistent eines Trainers gearbeitet hatte. Aber Newmarket und Malcolm? Malcolm setzte nie auf Pferde, nur auf Gold. Malcolm hatte ein ständig wachsendes, ungeheures Vermögen durch den Kauf und Verkauf des gelben Metalls erworben, und meinen Berufswunsch hatte er vor Jahren lediglich mit den Worten kommentiert: »Pferde? Rennsport? Guter Gott! Tja, wenn du das machen willst, Junge, dann nichts wie ran. Aber denk nicht, daß ich davon auch nur den Schimmer einer Ahnung habe.« Und soviel ich wußte, war er auf dem Gebiet noch so unbeschlagen wie eh und je.

Malcolm und die Vollblutauktionen von Newmarket, das paßte einfach nicht zusammen. Jedenfalls nicht mit dem Malcolm, den ich kannte.

Ich fuhr am nächsten Tag in die abgelegene Stadt in Suffolk, deren Hauptgeschäft der Sport der Könige ist, und in der bunten, zielstrebigen Menschenmenge sah ich meinen Vater barhäuptig vor der Auktionshalle stehen, in einen Katalog vertieft.

Er sah unverändert aus. Grauer Bürstenschnitt, glatter brauner Vikunjamantel, knielang, anthrazitfarbener Straßenanzug, Seidenkrawatte, blanke schwarze Schuhe; selbstbewußt reihte er sich in seiner städtischen Eleganz in die zwanglosere Eleganz des ländlichen Rahmens ein.

[13]Es war ein sonniger Tag, frisch und klar, der Himmel ein kaltes, wolkenloses Blau. Ich ging in meiner selbstgewählten Arbeitskleidung zu ihm hinüber: lange Reithose, kariertes Wollhemd, olivgrüne Steppjacke, Tweedmütze. Ein äußerlicher Gegensatz, der bis in die Persönlichkeit hineinreichte.

»Guten Tag«, sagte ich neutral.

Er hob die Augen, und sein Blick war so blau wie der Himmel.

»Du bist also gekommen.«

»Ja… schon.«

Er nickte unbestimmt, während er mich musterte. »Du siehst älter aus«, sagte er.

»Drei Jahre.«

»Drei Jahre, und eine krumme Nase«, bemerkte er nüchtern. »Ich nehme an, die hast du dir beim Sturz von einem Pferd gebrochen?«

»Nein… Du hast sie mir gebrochen.«

»So?« Er schien nur leicht überrascht zu sein. »Du hattest es verdient.«

Ich gab keine Antwort. Er zuckte die Achseln. »Möchtest du Kaffee?«

»Okay.«

Wir hatten uns nicht angefaßt, dachte ich. Keine Umarmung, kein Händedruck, kein flüchtiger Klaps auf den Arm. Drei Jahre Schweigen waren nicht ohne weiteres zu überbrücken.

Er brach nicht in Richtung des allgemeinen Erfrischungsraums auf, sondern steuerte einen der nichtöffentlichen Räume an, die Vorzugsgästen vorbehalten waren. [14]Ich ging hinter ihm her und erinnerte mich amüsiert, daß er, wo immer er hinkam, rund zwei Minuten brauchte, um sich Einlaß in die vornehmsten Schlupfwinkel zu verschaffen.

Die Auktionshalle von Newmarket hatte die Form eines Amphitheaters; getreppte Sitzreihen erhoben sich rund um den ebenerdigen Ring, in dem jedes Pferd während der Versteigerung herumgeführt wurde. Unter den Sitzreihen und in einem großen angrenzenden Gebäude befanden sich Räume, die von Versteigerern und Turfagenten als Büros genutzt wurden oder in denen Handelsunternehmen wie etwa Ebury Jewellers, die derzeitigen willigen Gastgeber Malcolms, Kunden betreuten.

Ich war nur die schlichten Betonkästen der Turfbüros gewöhnt. Eburys Niederlassung war im Gegensatz dazu als teurer Ausstellungsraum gestaltet; gut beleuchtete Vitrinen mit strahlendem Silber und glitzernden Nippessachen zogen sich an drei Wänden entlang, alles fest unter Verschluß, doch verführerisch sichtbar. In der Mitte des Raumes stand auf braunem Teppichboden ein langer polierter Tisch mit lederbezogenen Lehnstühlen drum herum. An jedem Platz lag säuberlich eine in Leder gefaßte Löschunterlage neben einem vergoldeten Becher mit Schreibstiften, so daß der Eindruck entstand, die Kunden brauchten hier nichts weiter mitzubringen als ihr Scheckbuch.

Ein gewandter junger Mann begrüßte Malcolm eilfertig, aber diskret und bot Getränke und Leckereien von einem gut ausgestatteten Buffettisch an, der den größten Teil der vierten Wand einnahm. Malcolm und ich nahmen je eine [15]Tasse Kaffee und setzten uns an den Tisch, ich zumindest nicht ohne Verlegenheit. Malcolm spielte mit seinem Kaffeelöffel. Eine korpulente, laute Dame kam herein und begann sich mit dem gewandten jungen Mann darüber zu unterhalten, daß sie einen ihrer Hunde in Silber gegossen haben wollte. Malcolm hob kurz den Blick zu ihnen und sah dann wieder auf seine Tasse.

»Welche Art von Hilfe?« sagte ich.

Wegen des Treffpunkts, den er ausgewählt hatte, erwartete ich, er würde antworten, daß er im Zusammenhang mit Pferden Hilfe brauchte, aber etwas so Unkompliziertes war es offenbar nicht.

»Ich will dich bei mir haben«, sagte er.

Ich runzelte verwirrt die Stirn. »Wie meinst du das?«

»Bei mir«, sagte er. »Die ganze Zeit.«

»Ich verstehe nicht.«

»Ist auch nicht anzunehmen«, sagte er. Er sah mir ins Gesicht. »Ich werde ein bißchen verreisen. Ich möchte, daß du mitkommst.«

Ich antwortete nicht gleich, und er sagte jäh aufbrausend: »Zum Donnerwetter, Ian, ich verlange doch nicht die Welt. Ein wenig Zeit sollst du erübrigen, ein wenig Aufmerksamkeit, das ist alles.«

»Warum jetzt, und warum ich?«

»Du bist mein Sohn.« Er hörte auf, mit dem Löffel zu spielen, und ließ ihn auf die Löschunterlage fallen, wo ein runder Fleck entstand. Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. »Ich vertraue dir.« Er schwieg. »Ich brauche jemand, dem ich trauen kann.«

»Warum?«

[16]Er erklärte es mir nicht. Er sagte: »Kannst du dir einige Zeit freinehmen? Urlaub machen?«

Ich dachte an den Trainer, dem ich gerade gekündigt hatte, nachdem seine Tochter mir meinen Job zur Hölle gemacht hatte, um ihren Verlobten hineinzuboxen. Das hatte ihn für mich unhaltbar gemacht. Es war nicht nötig, daß ich sofort woanders unterkam; nur die Miete mußte ich aufbringen. Mit dreiunddreißig hatte ich bei drei verschiedenen Trainern gearbeitet und fand, ich wurde allmählich zu alt, um weiter als Assistent tätig zu sein. Der nächste Schritt wäre natürlich gewesen, selbst Trainer zu werden, ein heikles Unterfangen ohne Geld.

»Woran denkst du?« fragte Malcolm.

»Mehr oder weniger, ob du mir eine halbe Million Pfund leihst.«

»Nein«, sagte er.

Ich lächelte. »Hab ich mir gedacht.«

»Ich bezahle deine Reise- und Hotelkosten.«

Auf der anderen Zimmerseite gab die laute Dame dem gewandten jungen Mann ihre Adresse. Eine Kellnerin war erschienen und lud frische Sandwiches und Alkoholnachschub auf den weiß gedeckten Tisch. Müßig sah ich ihr ein paar Sekunden zu und blickte dann wieder in Malcolms Gesicht, wo ich einen Ausdruck gewahrte, der sich nur als Besorgnis deuten ließ.

Ich war unerwartet gerührt. Ich hatte mich ja nie mit ihm zanken wollen; ich hatte gewollt, daß er Moira so sah wie ich, als eine berechnende, honigsüße Schmeichlerin, die auf sein Geld aus war und seine Erschütterung nach Coochies Tod dazu benutzt hatte, sich bei ihm beliebt zu machen, [17]indem sie immer wieder zu ihm kam, ihr Mitgefühl bekundete und sich erbot, für ihn zu kochen. Malcolm, in tiefer Trauer, war hilflos gewesen und dankbar und hatte anscheinend kaum bemerkt, wie sie anfing, sich in Gesellschaft bei ihm einzuhaken und »wir« zu sagen. Ich hatte die ganzen drei stummen Jahre hindurch mit meinem Vater Frieden schließen wollen, aber ich ertrug den Gedanken nicht, zu ihm zu gehen und die affektiert lächelnde Moira an Coochies Stelle zu sehen, selbst wenn er mich zur Tür hereingelassen hätte.

Jetzt, wo Moira tot war, war Frieden vielleicht möglich, und es kam mir vor, als ob er ihn auch wollte. Flüchtig überlegte ich, daß Versöhnung nicht sein Hauptziel war, sondern nur ein Mittel zu einem anderen Zweck, aber es genügte trotzdem.

»Ja«, sagte ich, »in Ordnung. Ich kann mir Urlaub nehmen.«

Die Erleichterung war ihm anzusehen. »Gut! Gut! Dann komm mit, ich will vielleicht ein Pferd kaufen.« Er stand auf, plötzlich voller Energie, und wedelte mit seinem Katalog. »Was für eins empfiehlst du?«

»Wozu in aller Welt brauchst du ein Pferd?«

»Na, damit es Rennen läuft.«

»Aber das hat dich noch nie interessiert…«

»Jeder sollte ein Hobby haben«, sagte er munter, obwohl er sein Lebtag noch keins gehabt hatte. »Mein Hobby sind Galopprennen.« Und nachträglich setzte er hinzu: »Ab jetzt«, während er die Tür anpeilte.

Der gewandte junge Mann löste sich von der Hundedame und bat Malcolm, ihn bald wieder zu beehren. [18]Malcolm versicherte ihm, das werde er tun, ließ ihn stehen und marschierte zu einer der Vitrinen hinüber.

»Bevor du gekommen bist, habe ich einen Pokal gekauft«, sagte er mit dem Rücken zu mir. »Willst du mal sehen? Ähnlich wie der da.« Er zeigte mit dem Finger. »Sie gravieren ihn gerade.«

Der fragliche Pokal war ein reich verzierter, graziös langgezogener Kelch, fünfundvierzig Zentimeter hoch und zweifellos aus reinem Silber.

»Wofür ist er denn?« fragte ich.

»Weiß ich noch nicht. Muß ich mir erst überlegen.«

»Aber… die Gravur?«

»Mhm. Der Coochie-Pembroke-Memorial-Challenge-Pokal. Ziemlich gut, meinst du nicht?«

»Doch«, sagte ich.

Er warf mir einen Seitenblick zu. »Wußte ich, daß dir das gefällt.« Er strebte wieder zur Tür hin. »Also los, ein Pferd.«

Ganz wie in alten Zeiten, dachte ich mit beinahe vergessenem Vergnügen. Die plötzlichen Impulse, die sich vielleicht als durchaus vernünftig erwiesen, vielleicht auch nicht, die ungezügelte Begeisterung, die sofort befriedigt werden wollte… und nachher mitunter die Abkehr von einem Debakel, als wäre es nicht geschehen. Der Coochie-Pembroke-Memorial-Challenge-Pokal konnte zu einem international begehrten Ehrenpreis werden, er konnte aber auch auf einem Dachboden verstauben, ohne jemals präsentiert worden zu sein – bei Malcolm war das immer völlig offen.

Ich nannte ihn wie alle seine Kinder Malcolm, weil er uns dazu aufgefordert hatte, und es war für mich von jeher [19]selbstverständlich. Andere Jungs mochten ihren Dad haben, ich hatte meinen Vater, Malcolm.

Kaum hatten wir das Geschäft verlassen, fragte er: »Wie läuft denn die Sache? Wie fängt man das an?«

»Ehm…«, sagte ich. »Heute ist der erste Tag der Highflyer-Auktion.«

»Na und?« fragte er, als ich einhielt. »Weiter.«

»Du mußt dir darüber im klaren sein… daß die mit einem Eröffnungsgebot nicht unter 20000 Guineen anfangen.«

Es schockte ihn nur minimal. »Eröffnungsgebot? Für wieviel verkaufen sie denn?«

»Von hunderttausend aufwärts. Heute hast du Glück, wenn du einen Jährling der Spitzenklasse für unter einer Viertelmillion bekommst. Es ist der teuerste Tag des Jahres.«

Er geriet nicht weiter ins Wanken. »Dann komm«, sagte er. »Gehen wir rein und bieten.«

»Du mußt dir zuerst die Abstammung ansehen«, sagte ich. »Dann mußt du sehen, ob dir die Tiere gefallen, und dann brauchst du die Hilfe und den Rat eines Agenten…«

»Ian«, sagte er mit gespieltem Kummer, »ich habe keine Ahnung von Stammbäumen, ich kann grad feststellen, ob so ein Roß vier Beine hat, und Agenten traue ich nicht. Also komm, laß uns bieten.«

Für mich hörte sich das verrückt an, aber es war sein Geld. Wir traten in die Auktionshalle, wo die Versteigerung bereits in Gang war, und Malcolm fragte mich, wo die reichsten Bieter zu finden seien, diejenigen, die es wirklich ernst meinten.

[20]»In den Sitzbänken links von den Versteigerern, oder hier am Eingang, oder auch da drüben links…«

Er schaute und hörte zu, dann ging er mir voran zu einer Sitzreihe, von wo er die Plätze, auf die ich hingewiesen hatte, beobachten konnte. Das Amphitheater war schon zu mehr als drei Vierteln besetzt, und später würden sich die Leute hier auf die Füße treten, zumal wenn ein besonders begehrtes Objekt an die Reihe kam.

»Die allerhöchsten Preise werden wahrscheinlich heute abend geboten«, sagte ich halb neckend zu ihm, doch er meinte nur: »Dann sollten wir vielleicht warten.«

»Wenn du zehn Jährlinge kaufst«, sagte ich, »kommen unter Umständen sechs davon auf eine Rennbahn, drei gewinnen eventuell ein Rennen, und einer ist unter Umständen ziemlich gut. Wenn du Glück hast.«

»Der vorsichtige Ian.«

»Du«, sagte ich, »bist vorsichtig mit Gold.«

Er sah mich aus halbgeschlossenen Augen an. »Das sagen nicht viele Leute.«

»Du bist schnell und hitzig«, sagte ich, »aber du wartest und paßt den richtigen Moment ab.«

Er grunzte nur und wandte seine Aufmerksamkeit voll dem gegenwärtigen Geschehen zu, wobei er sich nicht auf die Verkaufsobjekte konzentrierte, sondern auf die Bieter auf der anderen Seite des Ringes. Die Auktionatoren in der Loge zu unserer Linken waren entspannt und elegant; derjenige, der gerade am Mikrophon war, gab sich unbeeindruckt von den in Umlauf gesetzten Vermögen. »Fünfzigtausend, danke, Sir; sechzigtausend, siebzig… achtzig? Soll ich achtzig sagen? Achtzig, danke, Sir. Gegen Sie, Sir. [21]Neunzig? Neunzig. Einhunderttausend. Es wird verkauft. Ich verkaufe jetzt. Gegen Sie, Sir? Nein? War es das? War es das?« Eine Pause für einen Rundblick, um sicherzugehen, daß nicht ein neuer Bieter irgendwo wild winkte. »Zuschlag also. Verkauft an Mr.Siddons. Einhunderttausend Guineen. Der nächste Posten…«

»Es wird verkauft«, sagte Malcolm. »Das heißt wohl, da lag der Mindestpreis?«

Ich nickte.

»Bis der Bursche sagt: ›Es wird verkauft‹, kann man also ruhig mitbieten, weil man weiß, daß man nicht kaufen muß?«

»Dein Gebot könnte gerade das sein, das den Mindestpreis erreicht.«

Er nickte. »Russisches Roulett.«

Wir beobachteten die Verkäufe noch den ganzen Nachmittag, doch er setzte sich keine Pistole an den Kopf. Er fragte nach den Leuten. »Wer ist dieser Mr.Siddons? Das ist schon das vierte Pferd, das er gekauft hat.«

»Er arbeitet für eine Vollblutagentur. Er kauft für andere.«

»Und der Mann in Dunkelblau, mit dem finsteren Blick. Wer ist das?«

»Max Jones. Er besitzt sehr viele Pferde.«

»Jedesmal, wenn die alte Frau da bietet, bietet er gegen sie.«

»Das ist eine bekannte Fehde.«

Er rümpfte die Nase. »Muß beide ein Vermögen kosten.« Er blickte über die Tribüne in das ständig wechselnde Publikum aus Züchtern, Trainern, Besitzern und [22]lediglich Interessierten. »Auf wessen Urteil würdest du am meisten geben?«

Ich nannte mehrere Trainer und die Agenten, die eventuell in ihrem Auftrag handelten, und er bat mich, ihm Bescheid zu sagen, wenn jemand mit guter Sachkenntnis bot, und ihm die Leute zu zeigen. Ich tat das viele Male, und er hörte schweigend zu.

Nach einiger Zeit gingen wir hinaus, um zu verschnaufen, und genehmigten uns einen Ebury-Scotch, ein Sandwich und frische Luft.

»Du weißt wahrscheinlich«, sagte Malcolm beiläufig, während er zusah, wie etliche Jährlinge an der Hand ihrer Betreuer vorbeitänzelten, »daß Moira und ich uns scheiden lassen wollten?«

»Ja, davon habe ich gehört.«

»Und daß sie das Haus und die Hälfte meines Eigentums verlangt hat?«

»M-hm.«

»Und die Hälfte meiner künftigen Einnahmen?«

»Konnte sie das denn?«

»Sie wollte darum kämpfen.«

Ich sprach nicht aus, daß Moiras Mörder Malcolm einen großen Gefallen getan hatte, aber gedacht hatte ich es mehr als einmal.

Statt dessen sagte ich: »Immer noch keine Anhaltspunkte?«

»Nein, nichts Neues.«

Er sprach ohne Bedauern. Wenn man seiner bissigen zweiten Frau – meiner Mutter Joyce – glauben durfte, hatte seine Enttäuschung mit Moira angefangen, sobald er [23]aufgehört hatte, Coochie zu vermissen; und da Joyce ebenso kritisch aufmerksam wie gehässig war, glaubte ich ihr.

»Die Polizei hat sich alle Mühe gegeben, nachzuweisen, daß ich es war«, sagte Malcolm.

»Hab ich gehört.«

»Von wem? Wer steckt dir so was?«

»Alle miteinander«, sagte ich.

»Die drei Hexen?«

Ich mußte lächeln. Er meinte seine drei lebenden Exgattinnen Vivien, Joyce und Alicia.

»Ja. Und die ganze Familie.«

Er zuckte die Achseln.

»Sie waren alle besorgt, du könntest es getan haben«, sagte ich.

»Warst du auch besorgt?« fragte er.

»Ich war froh, daß man dich nicht verhaftet hat.«

Er brummte vor sich hin. »Wahrscheinlich weißt du auch, daß die meisten deiner Geschwister, ganz zu schweigen von den Hexen, der Polizei gesagt haben, daß du Moira nicht ausstehen konntest?«

»Das haben sie mir selbst erzählt«, bestätigte ich. »Aber es stimmt ja.«

»Einen Haufen Stinktiere habe ich gezeugt«, sagte er düster.

Malcolms persönliches Alibi für Moiras Tod war so unangreifbar wie mein eigenes, denn er war in Paris gewesen an dem Tag, als jemand Moiras kleine Stupsnase in einen Sack mit Blumenerde gedrückt und sie dort belassen hatte, bis sicher war, daß sie keine Geranienstecklinge mehr pflanzen würde. Ich hätte ihr vielleicht einen schöneren [24]Tod gewünscht, aber wie es hieß, war es schnell gegangen. Die Polizei hielt noch immer an der Überzeugung fest, daß Malcolm einen Profikiller beauftragt hatte, doch sogar Joyce wußte, daß das Unfug war. Malcolm war ein launischer und unbeherrschter Mensch, aber frei von jeder brutalen Berechnung.

Bei der Verkaufsveranstaltung schien ihn alles andere mehr zu interessieren als die Pferde: In der Auktionshalle hatte er besonders auf die flimmernde elektronische Anzeigetafel geachtet, wo der jeweils gebotene Betrag aufleuchtete, und das nicht nur in britischer Währung, sondern auch umgerechnet in Dollar, Yen, Lire und irisches Pfund. Er war schon immer vom Wirken und Funktionieren des Geldes fasziniert gewesen, und einmal hatte er eine Million Pfund glatt verdoppelt, indem er sie einfach zu zwei Dollar vierzig das Pfund in den USA deponierte, fünf Jahre wartete und sie zurückholte, als der Wechselkurs einen Dollar zwanzig betrug. So erhielt er zweihundert Prozent seines Startkapitals und obendrein die Zinsen. Er betrachtete den Geldmarkt neben dem Gold als ein Füllhorn, aus dem man sich nur zu bedienen brauchte.

Keines seiner Kinder hatte das Gespür für Trends und Timing von ihm geerbt, ein Mangel, den er nicht begreifen konnte. Ein- oder zweimal hatte er mir ausdrücklich nahegelegt, dies zu kaufen oder jenes zu verkaufen, und er hatte recht gehabt, aber ohne seinen Rat konnte ich auf die Art, wie er es machte, kein Geld verdienen.

Er betrachtete seine besten Jahre als verschwendet: all die Jahre, in denen aus politischen Gründen der freie [25]Kapitalfluß eingeschränkt war und britische Privatleute keine Goldbarren erstehen durften. Sobald die Beschränkungen aufgehoben wurden, stieg Malcolms immer schon stattliches Einkommen wie ein Heißluftballon. Als er zu Beginn jenes Zeitabschnitts die vielversprechenden neuen Möglichkeiten erkannte und für sechzig Pfund die Unze seinen ersten Goldschatz erwarb, um ihn bald für über hundert wieder zu verkaufen, fing er sich den Beinamen Midas ein.

Seitdem war er mehrmals mit der gelben Berg-und-Tal-Bahn gefahren, hatte unfehlbar gekauft, wenn der Preis tiefer und tiefer sank, und verkauft, wenn er in die Höhe schoß, aber noch ehe die Seifenblase platzte; der kritische Moment, in dem der Markt sich einem Höchststand oder Tiefpunkt näherte, schien ihm niemals zu entgehen.

Coochie war mit immer größeren Diamanten am Hals herumgelaufen. Die drei Hexen, Vivien, Joyce und Alicia, deren ansehnlicher Unterhalt in weniger herrlichen Zeiten festgelegt worden war, hatten vergeblich ihre Anwälte konsultiert.

Vor dem Auktionsgebäude zeigte eine zweite elektronische Tafel den Stand der Verkäufe an. Malcolm konzentrierte sich auf die blinkenden Zahlen, bis sie im nachlassenden Tageslicht um so heller erstrahlten, doch der Ware selbst schenkte er immer noch keine besondere Aufmerksamkeit.

»Sie sehen alle so klein aus«, meinte er mißbilligend, als ein schmächtiger Hengst auf dem Weg vom Stall zur Auktionshalle an uns vorbeikam.

[26]»Nun, es sind Jährlinge.«

»Buchstäblich ein Jahr alt?«

»Achtzehn, zwanzig Monate so ungefähr. Sie starten nächstes Jahr, wenn sie zwei sind.«

Er nickte, beschloß, an den Schauplatz des Geschehens zurückzukehren, und suchte uns wieder Plätze gegenüber der Clique mit dem großen Geld. Das Amphitheater hatte sich, während wir draußen waren, randvoll gefüllt, und bald darauf drängten sich die Leute, die keine Sitzgelegenheit mehr fanden, dicht an dicht im Eingang und auf den Stehplätzen: Das königliche Blut – Northern Dancer und Nijinsky, Secretariat und Lyphard – war auf dem Weg zum Ring.

Als das erste der von einer Legende umrankten Jungtiere eintraf, senkte sich Stille über die Anwesenden – die atemlos gespannte Stille der Eingeweihten, die einem Kampf zwischen finanziellen Giganten entgegensahen. Mit einem dicken Scheck konnte man sich an diesem Abend einen Derbysieger sichern und eine Dynastie begründen, und das war schon so oft geschehen, daß man jedesmal zu der Annahme neigte, dieses Pferd… dieses… sei das richtige.

Der Auktionator räusperte sich und brachte die Vorstellung ohne ein Zittern über die Lippen. »Meine Damen und Herren, wir kommen zu Katalognummer 76, einem braunen Hengst von Nijinsky…« Er trug die magische Abstammung vor, als wenn es ihn langweilte, und bat um ein Eröffnungsgebot.

Malcolm saß still und sah zu, wie die Zahlen auf der Anzeige in die Höhe schnellten, je fünfzigtausend Pfund auf einmal; er sah zu, wie der Auktionator in den Gesichtern [27]der Bietenden nach einem Zeichen suchte, dem Klappen eines Augenlids, dem Ansatz eines Nickens, der winzigsten Absichtserklärung.

»…gegen Sie, Sir. Keine Gebote mehr? War es das?« Die Augenbrauen des Auktionators hoben sich zugleich mit dem Hammer, blieben in der Schwebe, senkten sich sanft, aber entschieden. »Verkauft für eine Million siebenhunderttausend Guineen an Mr.Siddons…«

Die Menge seufzte, stieß kollektiv den Atem aus wie ein einziger Organismus. Es folgte das Rascheln von Katalogen, Bewegung, Gemurmel, wieder aufgedrehte Erwartung.

Malcolm sagte: »Das ist ein Publikumssport.«

»Macht süchtig«, bestätigte ich.

Er warf mir einen Seitenblick zu. »Ob eine Million… ob fünf Millionen… es gibt keine Gewähr, daß der Hengst jemals ein Rennen läuft, sagst du? Man wirft den Zaster womöglich zum Fenster raus?«

»Genau.«

»Das ist eine astreine Methode, auf die Schnelle viel Geld loszuwerden, meinst du nicht?«

»Tja…«, sagte ich langsam. »Geht es dir darum?«

»Hast du etwas dagegen?«

»Es ist dein Geld. Du hast es verdient. Du gibst es aus.«

Er lächelte fast verstohlen in seinen Katalog und sagte: »Ich höre das Aber in deinem Tonfall.«

»M-hm. Wenn du dich amüsieren willst, kauf zehn nicht ganz so tolle Pferde statt eines Superhengstes, und widme ihnen dein Interesse.«

[28]»Wofür ich dann zehn Trainingsgebühren bezahlen müßte statt einer?«

Ich nickte. »Bei zehn gäbe es ein schönes Loch in der Kasse.«

Er lachte leise und sah zu, wie der Preis für den nächsten halbwüchsigen Blaublüter auf drei Millionen Guineen klomm, bevor Mr.Siddons den Kopf schüttelte.

»…verkauft für drei Millionen fünfzigtausend Guineen an Mrs.Terazzini…«

»Wer ist das?« fragte Malcolm.

»Sie besitzt ein weltweites Vollblutimperium.«

Er überlegte. »Wie Robert Sangster?«

»Stimmt. So ähnlich.«

Er gab einen Laut des Verstehens von sich. »Ein Wirtschaftszweig.«

»Ja.«

Der darauffolgende Posten, eine Stute, erzielte einen bescheideneren Preis, doch vor dem nächsten Angebot kehrte die gespannte Stille zurück. Malcolm, der jetzt ganz auf die Atmosphäre eingestimmt war, beobachtete wie üblich die Bieter, nicht den nervösen Fuchshengst.

Die Klettertour endete bei knapp über zwei Millionen, und der Auktionator hob die Augenbrauen und den Hammer. »War es das?«

Malcolm hielt seinen Katalog hoch.

Die Bewegung fiel dem Auktionator auf, der mit erhobenem Hammer innehielt, seine Brauen als Frage einsetzte und Malcolm erstaunt ansah. Malcolm saß sozusagen im Publikum, nicht bei den gewohnten Akteuren.

»Sie möchten bieten, Sir?« fragte der Auktionator.

[29]»Fünfzig dazu«, sagte Malcolm deutlich, nickend.

Aufregung entstand im Taubenschlag der Versteigerer, als sie beratend die Köpfe zusammensteckten. Überall in der Halle reckte man die Hälse, um zu sehen, von wem das kam, und am Eingang zuckte der Mann, der vor Malcolm zuletzt geboten hatte, mit den Schultern, schüttelte den Kopf und kehrte dem Auktionator den Rücken. Er hatte nur noch einmal zwanzigtausend zugelegt – eine letzte kleine Draufgabe auf die zwei Millionen, die offenbar sein vorgesehenes Limit waren.

Der Auktionator selbst schien überhaupt nicht glücklich. »War es das?« fragte er nochmals, und als keine Erwiderung kam: »Das war's. Verkauft für zwei Millionen und siebzigtausend Guineen an, ehm… den Bieter gegenüber.«

Der Auktionator beriet sich erneut mit seinen Kollegen, und einer von ihnen verließ die Loge, ein Klemmbrett in der Hand. Er eilte zum Ring hinunter und um ihn herum zu einem Gehilfen auf unserer Seite, und beide hefteten ihren Blick auf Malcolm.

»Die zwei Versteigerer dort werden dich nicht aus den Augen lassen«, bemerkte ich. »Sie mußten vor einiger Zeit durch einen Bieter, der das Weite suchte, einen schweren Verlust hinnehmen.«

»Es sieht aus, als ob sie mich verhaften wollten«, meinte Malcolm vergnügt; und in der Tat arbeiteten sich die beiden zu ihm vor, reichten ihm das Klemmbrett und ersuchten ihn höflich, ihre Verkaufsurkunde unverzüglich in dreifacher Ausfertigung zu unterschreiben. Dann zogen sie sich in Ringnähe zurück, warteten aber immer noch [30]eisern auf uns, als wir nach drei weiteren, erwartungsgemäß ausgegangenen Versteigerungen hinunterkamen.

Sie baten Malcolm, ihnen in den ruhigeren Teil ihres geräumigen Büros zu folgen, und wir gingen hin. Sie rechneten aus, was er zu bezahlen hatte, und präsentierten ihm ehrerbietig die Endsumme. Malcolm stellte ihnen einen Scheck aus.

Höflich verlangten sie einen Identitätsnachweis und Referenzen. Malcolm gab ihnen eine American-Express-Karte und die Telefonnummer des Direktors seiner Bank. Sie nahmen behutsam den Scheck an sich und sagten, Mr.ehm… Pembroke könne zwar, wenn er es wünschte, sofort eine Versicherung für seinen Kauf abschließen, doch abholbereit wäre der Hengst, ehm… erst ab morgen.

Malcolm nahm keinen Anstoß. Er hätte auch nicht zugelassen, daß jemand, den er nicht kannte, mit einem Pferdeanhänger voller Gold davonfuhr. Er sagte, morgen sei früh genug, und erklärte in bester Laune, ich könne ihn jetzt zurück zu seinem Hotel in Cambridge fahren, von wo er am Morgen mit dem Taxi gekommen war, dann würden wir zusammen zu Abend essen.

Nachdem wir bei einem Versicherungsagenten vorbeigeschaut und er noch einige Formulare und einen Scheck unterschrieben hatte, gingen wir also zum Parkplatz, der sich allmählich leerte. Es war dunkel geworden, doch die Beleuchtung reichte aus, um sich zwischen den Autos zurechtzufinden, und unterwegs deutete ich auf eine Reihe weiter vorn, in der mein fahrbarer Untersatz stand.

[31]»Wo willst du deinen Hengst hingeben?« fragte ich im Gehen.

»Was schlägst du vor?«

»Ich könnte mir denken«, begann ich… aber ich brachte die Antwort nicht mehr zu Ende, jedenfalls nicht in diesem Augenblick.

Ein Wagen, der zwischen zwei Parkreihen auf uns zukam, blendete uns plötzlich, indem er auf Fernlicht schaltete, und im selben Moment schien er jäh zu beschleunigen und hielt direkt auf Malcolm zu.

Ich sprang… stürzte mich auf meinen Vater, brachte ihn durch den Aufprall aus dem Gleichgewicht, riß ihn von den Füßen, warf ihn um. Ich fiel auf ihn, spürte zwar, daß die helle, rasende Masse des Fahrzeugs mich erwischt hatte, wußte aber nicht, wie schwer. Es gab nur einen Knall und eine Menge Haken schlagendes Licht, einen Wirbel von gleißendem Metall und dann das rasche Untertauchen in der Dunkelheit.

Wir lagen zwischen zwei parkenden Autos, unsere Körper waren starr vor Schreck und Verwirrung.

Einen Augenblick später begann Malcolm sich unter meinem Gewicht hervorzukämpfen, und ich wälzte mich ungelenk auf die Knie und dachte dankbar, daß ich wohl nur ein paar Schrammen abbekommen hatte. Unterdessen stemmte Malcolm sich hoch, bis er den Rücken gegen einen Autoreifen lehnen konnte, und bemühte sich um Fassung, sah aber aus, als wäre er ebenso mitgenommen wie ich.

»In dem Auto…«, sagte er schließlich zwischen zwei tiefen Atemzügen. »Die wollten mich… umbringen.«

[32]Ich nickte sprachlos. Meine Hose war zerrissen, mein Oberschenkel blutig.

[33]2

Es war das zweite Mal, daß jemand versucht hatte, ihn umzubringen, sagte er.

Ich fuhr ein wenig langsamer als sonst in Richtung Cambridge und hielt im Rückspiegel besorgt nach übelgesinnten Verfolgern Ausschau, bisher aber glücklicherweise ohne Ergebnis. Mein rechtes Bein wurde von dem Schlag vor zwanzig Minuten deprimierend steif, doch an Knüffe dieses Kalibers war ich eigentlich gewöhnt, da ich im Lauf der Jahre drei- bis vierhundert Hindernisrennen bestritten hatte und dabei oft unsanft mit dem Boden in Berührung gekommen war.

Malcolm saß nicht gern am Steuer, aus Gründen, die Coochie treffend als Ungeduld diagnostiziert hatte. Coochie hatte ihn auch gar nicht gern am Steuer gesehen – aus nackter Angst, wie sie sagte – und sich deshalb selbst als Familienchauffeur betätigt. Für mich war es seit dem Tag meiner Führerscheinprüfung ebenso selbstverständlich gewesen, Malcolm zu fahren; allenfalls im Fiebertraum hätte ich ihn gebeten, wegen ein paar Hautabschürfungen das Lenkrad zu übernehmen.

Das zweite Mal, daß jemand versucht hatte, ihn umzubringen…

»Wann war das erste Mal?« fragte ich.

[34]»Vorigen Freitag.«

Jetzt war es Dienstag abend. »Was ist passiert?«

Es dauerte eine Weile, bis er antwortete. Als er es tat, lag mehr Traurigkeit als Zorn in seiner Stimme, und ich hörte auf den Tonfall hinter den Worten und begriff nach und nach seine geheimen Ängste.

»Irgendwann war ich mit den Hunden spazieren… also, ich glaube es zumindest, aber das ist es eben, ich kann mich nicht genau erinnern.« Er schwieg. »Ich bekam wohl einen Schlag auf den Kopf… Das letzte, an was ich mich entsinne, ist jedenfalls, daß ich die Hunde gerufen und die Küchentür geöffnet habe. Ich wollte mit ihnen durch den Garten auf die Wiese gehen, wo der Bach und die Weiden sind. Ich weiß nicht, wie weit ich gekommen bin. Anscheinend nicht mehr weit. Jedenfalls bin ich in der Garage aufgewacht, in Moiras Wagen… der steht da noch… und es war ein Riesenglück, daß ich überhaupt aufgewacht bin… denn der Motor lief…« Er schwieg ein paar Augenblicke. »Es ist komisch, wie der Verstand arbeitet. Ich wußte auf der Stelle, daß ich den Motor ausschalten muß. Erstaunlich. Kristallklar. Ich lag hinten… zusammengeklappt auf der Rückbank. Ich bin hoch und habe mich praktisch zwischen die Vordersitze fallen lassen, um an den Zündschlüssel zu kommen, und als der Motor aus war, bin ich einfach liegengeblieben, verstehst du – ich dachte nur noch, mir geht's verdammt schlecht, aber ich hatte nicht mehr die Energie, mich zu rühren.«

»Kam jemand?« sagte ich, als er schwieg.

»Nein… nach einer Weile ging es mir besser. Ich bin aus dem Wagen getorkelt und habe mich übergeben.«

[35]»Hast du die Polizei verständigt?«

»Klar habe ich sie verständigt.« Seine Stimme klang müde bei dem Gedanken daran. »Es muß gegen fünf gewesen sein, als ich mit den Hunden losging. Um sieben ungefähr rief ich die Polizei. Bis dahin hatte ich zwei steife Drinks intus und aufgehört zu zittern. Sie fragten mich, wieso ich sie nicht früher gerufen hätte. So was Blödes. Und es waren dieselben wie nach Moiras Tod. Für die bin ich der Täter, verstehst du. Der Auftraggeber.«

»Ich weiß.«

»Haben die Hexen dir das auch erzählt?«

»Joyce. Sie sagte, das sei ausgeschlossen. Sie sagte, es wäre denkbar, ehm…« Ich scheute mich, die genauen Worte meiner Mutter zu wiederholen, nämlich »daß er das kleine Biest in einem Wutanfall erwürgt hätte«, und drückte es milder aus: »Du wärst vielleicht imstande gewesen, sie eigenhändig umzubringen, aber nicht, jemand dafür zu bezahlen, daß er es tut.«

Er gab ein befriedigtes Grunzen von sich, sagte aber nichts, und ich fügte hinzu: »Das scheint die einhellige Meinung der Familie zu sein.«

Er seufzte. »Die einhellige Meinung der Polizei ist es nicht. Weit entfernt davon. Ich glaube, die haben mir nicht abgenommen, daß mich jemand töten wollte. Sie haben sich eine Menge Notizen gemacht, haben Proben von meinem Erbrochenen entnommen – also wirklich! – und haben Moiras Wagen eingestäubt, um Fingerabdrücke zu sichern, aber sie konnten vor Skepsis kaum aus den Augen sehen. Ich glaube, sie dachten, ich hätte Selbstmord begehen wollen und es mir anders überlegt… Oder sie denken, ich habe [36]das Ganze aufgezogen in der Hoffnung, daß man mich nicht für Moiras Mörder hält, wenn jemand mir nach dem Leben trachtet…« Er schüttelte den Kopf. »Ich bedaure, daß ich es ihnen überhaupt erzählt habe, und den Anschlag von heute abend zeigen wir deshalb auch nicht an.«

Er hatte schon auf dem Auktionsparkplatz darauf bestanden, daß wir das seinließen.

»Was war mit dem Schlag auf deinen Kopf?« fragte ich.

»Ich hatte eine Beule über dem Ohr. Sehr empfindlich, aber nicht sehr groß. Die Polizei gebrauchte dafür das schöne Wort ›nicht schlüssig‹.«

»Und wenn du gestorben wärst…«, sagte ich nachdenklich.

Er nickte. »Wenn ich gestorben wäre, hätte sich der Fall für sie bestens erledigt. Selbstmord. Reue. Stillschweigendes Schuldbekenntnis.«

Ich fuhr vorsichtig weiter nach Cambridge, entsetzt, aber auch aufgebracht. Moiras Tod hatte mich nicht im mindesten berührt, doch die Anschläge auf meinen Vater führten mir vor Augen, daß das verkehrt war. Moira hatte ein Recht auf ihr Leben gehabt. Auch ihretwegen hätte ich empört sein sollen.

»Was war mit den Hunden?« sagte ich.

»Bitte? Ach, die Hunde. Die waren wieder da, bevor die Polizei kam. Sie haben vor der Küchentür gejault, damit ich sie reinlasse. Sie waren schmutzig… weiß der Himmel, wo sie sich rumgetrieben hatten. Jedenfalls waren sie müde. Ich habe sie gefüttert, und sie sind gleich in ihre Körbe, um zu schlafen.«

»Schade, daß sie nicht reden konnten.«

[37]»Bitte? Ja, wahrscheinlich. Ja.« Er verstummte und seufzte nur ab und an, während ich darüber nachdachte, was er mir erzählt hatte.

»Wer«, sagte ich schließlich, »hat gewußt, daß du nach Newmarket zur Versteigerung wolltest?«

»Wer?« Er schien sich erst über die Frage zu wundern, dann begriff er sie. »Ich weiß es nicht.« Er war verwirrt. »Ich habe keine Ahnung. Bis gestern wußte ich das selbst noch nicht.«

»Was hast du denn getrieben, seit die Polizei am Freitag abend von dir weg ist?«

»Nachgedacht.« Und die Gedanken waren offensichtlich düster gewesen – dieselben Gedanken, die jetzt seine Stimme trübten.

»M-hm«, sagte ich, »so in der Richtung, weshalb Moira umgebracht wurde?«

»So in der Richtung.«

Ich sprach den Gedanken offen aus: »Damit sie nicht die Hälfte deines Eigentums an sich reißt?«

Widerstrebend antwortete er: »Ja.«

»Und die Leute, die größtes Interesse daran haben mußten, sie davon abzuhalten, sind deine voraussichtlichen Erben. Deine Kinder.«

Er schwieg.

Ich sagte: »Außerdem vielleicht noch ihre Frauen und Männer und vielleicht sogar die Hexen.«

»Ich will das nicht glauben«, sagte er. »Wie könnte ich einen Mörder in die Welt gesetzt haben?«

»Das kommt vor«, sagte ich.

»Ian!«

[38]Tatsache war, daß ich, abgesehen von dem armen Robin, meine Halbbrüder und Halbschwestern nicht gut genug kannte, um mir über irgendeinen von ihnen sicher zu sein. Gewöhnlich redete ich zwar mit allen, aber ich besuchte sie nicht. Es hatte zuviel Streit, zu viele Kräche gegeben: Viviens Kinder konnten Alicias Kinder nicht leiden, Alicias Kinder konnten sie und mich nicht leiden, Vivien haßte Joyce, und Joyce haßte Alicia aus tiefster Seele. Unter Coochies Regiment hatte der ganze Verein wenn nicht Hausverbot, dann zumindest Übernachtungsverbot im Haus bekommen, und die Folge war, daß mir ein Sturm kollektiver Entrüstung um die Ohren fegte, denn mich hatte sie dabehalten und in ihr Herz geschlossen.

»Vom Nachdenken abgesehen«, sagte ich, »was hast du gemacht seit Freitag abend?«

»Als die Polizei fort war, fing ich… fing ich…« Er brach ab.

»Fing das Zittern wieder an?« fragte ich.

»Ja. Das verstehst du?«

»Ich hätte eine Heidenangst gehabt«, sagte ich. »Alles andere wäre dumm. Ich hätte das Gefühl gehabt, derjenige, der mir ans Leben wollte, schleicht in der Dunkelheit herum und wartet, bis ich allein bin, damit er es noch mal probieren kann.«

Malcolm schluckte hörbar. »Ich habe die Autovermietung angerufen, bei der ich jetzt bin, und einen Wagen bestellt. Bist du schon mal in Panik geraten?«

»So wahrscheinlich nicht.«

»Ich habe geschwitzt, und mir war kalt. Ich konnte meinen Herzschlag spüren… ein rasendes Klopfen. Furchtbar. [39]Ich habe ein paar Sachen zusammengepackt… konnte mich aber nicht darauf konzentrieren.«

Er setzte sich um, als die Außenbezirke von Cambridge im Scheinwerferlicht auftauchten, und erklärte mir den Weg zu dem Hotel, in dem er die letzten vier Nächte geschlafen hatte.

»Weiß irgend jemand, wo du dich aufhältst?« fragte ich und bog um die nächste Ecke. »Hast du jemand von deinen alten Kumpels besucht?«

Malcolm kannte Cambridge gut; er war dort zur Universität gegangen und hatte immer noch Freunde in einflußreichen Positionen. Bestimmt hatte er die Stadt als sichere Zuflucht angesehen, aber ich wäre relativ schnell auf die Idee gekommen, dort nach ihm zu suchen.

»Natürlich«, antwortete er auf meine Frage. »Den Sonntag habe ich bei den Rackersons verbracht, gestern abend habe ich mit dem alten Digger in Trinity gegessen… Es ist Quatsch anzunehmen, daß sie darin verwickelt sein könnten.«

»Ja«, gab ich zu und hielt vor seinem Hotel an. »Trotzdem, pack deine Sachen, und melde dich hier ab, wir fahren woandershin.«

»Das ist doch nicht nötig«, widersprach er.

»Du hast mich zum Aufpasser erkoren, also passe ich auf«, sagte ich.

Er warf mir im Halbdunkel des Wagens einen langen Blick zu. Der Hotelportier kam und öffnete die Tür auf meiner Seite; eine Einladung zum Aussteigen.

»Komm mit mir«, sagte mein Vater.

Ich war verblüfft über seine Furcht, hielt sie aber für [40]gerechtfertigt. Ich fragte den Portier, wo ich parken könne, und lenkte auf seine Empfehlung hin durch eine Toreinfahrt auf den Innenhof des Hotels. Von dort ging es durch eine Hintertür und komfortable altmodische Hallen, und über eine mit rotem Teppich belegte Treppe gelangten Malcolm und ich zu einem ziemlich langen, gewundenen Korridor im ersten Stock. Mehrere Leute, an denen wir vorbeikamen, blickten auf mein zerrissenes Hosenbein mit der verkrusteten Blutlandschaft darunter, aber niemand sagte etwas; war das nun immer noch britische Höflichkeit oder das neue Credo, sich bloß in nichts hineinziehen zu lassen? Malcolm hatte anscheinend vergessen, daß das Problem überhaupt bestand.

Er holte seinen Zimmerschlüssel aus der Tasche und sagte plötzlich, während er ihn hochhielt: »Du hast wohl niemand erzählt, daß ich auf der Auktion bin?«

»Nein.«

»Aber du wußtest es.« Er hielt inne. »Nur du wußtest es.« Er starrte mich aus seinen blauen Augen an, und mit einemmal sah ich die von Angst erzeugten Fragezeichen durch seinen Kopf schwirren.

»Geh rein«, sagte ich. »Der Gang ist kaum der richtige Ort für so was.«

Er sah auf den Schlüssel, blickte irre den jetzt verlassenen Korridor entlang; es sah fast aus, als wollte er die Flucht ergreifen.

Ich kehrte ihm den Rücken und ging zielstrebig in Richtung Treppe davon.

»Ian«, rief er.

Ich blieb stehen und drehte mich um.

[41]»Komm zurück«, sagte er.

Langsam ging ich wieder zu ihm. »Du hast gesagt, du traust mir«, sagte ich.

»Ich habe dich drei Jahre nicht gesehen… und ich habe dir das Nasenbein gebrochen…«

Ich nahm ihm den Schlüssel aus der Hand und schloß die Tür auf. Vermutlich wäre ich mir selber suspekt gewesen, wenn ich zwei Anschläge innerhalb von fünf Tagen erlebt hätte, denn immerhin fiel ich in die äußerst verdächtige Kategorie der Söhne. Ich knipste das Licht an und trat in das Zimmer, in dem zumindest jetzt keine Mörder lauerten.

Malcolm folgte mir, nur ansatzweise beruhigt, und schloß zögernd die Tür hinter sich. Ich zog die schweren gestreiften Vorhänge an beiden Fenstern zu und betrachtete kurz die geräumige, aber altmodische Unterkunft: nachgebildete antike Möbel, zwei Einzelbetten, ein Paar Sessel, Tür zum Bad.

Keine Mörder im Badezimmer.

»Ian…«, sagte Malcolm.

»Hast du Scotch hier?« fragte ich. In den alten Zeiten war er nie ohne verreist.

Er winkte mit der Hand zu einer Kommode hinüber, in der ich eine halbvolle Flasche zwischen einer großen Anzahl Socken fand. Ich holte ein Glas aus dem Bad und schenkte ihm genug ein, um einen Elefanten stillzulegen.

»Um Gottes willen…«, sagte er.

»Setz dich und trink.«

»Du bist verdammt überheblich.«

Er setzte sich aber und versuchte, das Zittern seiner [42]Hand abzustellen, damit das Glas nicht gegen seine Zähne klapperte.

Mit viel weniger Nachdruck sagte ich: »Wenn ich dich tot sehen wollte, hätte ich dich heute abend von dem Wagen überfahren lassen. Ich wäre auf die andere Seite gesprungen… raus aus dem Schlamassel.«

Erst jetzt schien ihm richtig bewußt zu werden, daß unser Entkommen nicht ohne körperliche Folgen geblieben war.

»Dein Bein«, sagte er, »ist es in Ordnung?«

»Das Bein schon. Die Hose… Kann ich mir eine von dir borgen?«

Er wies auf einen Schrank, in dem ich ein fast identisches Gegenstück zu dem Anzug fand, den er anhatte. Ich war acht Zentimeter größer als er und wesentlich dünner, doch dafür gab es Gürtel, und ganzer Stoff war besser als löchriger.

Schweigend sah er zu, wie ich mich umzog, und erhob keine Einwände, als ich in der Rezeption anrief und bat, seine Rechnung für die Abreise fertigzumachen. Er trank noch etwas von dem Scotch, war aber keineswegs entspannt.

»Soll ich für dich packen?« fragte ich.

Er nickte und sah wiederum zu, als ich seinen Koffer holte, ihn auf eins der Betten legte und anfing, seine Habseligkeiten zusammenzusuchen. Sie waren ein beredtes Zeugnis von dem Geisteszustand, in dem er sich befunden hatte, als er sie einpackte: etwa zehn Paar Socken, aber keine Unterwäsche, ein Dutzend Hemden, kein Pyjama, zwei Frotteebademäntel, keine Schuhe zum Wechseln. An [43]dem offensichtlich neuen Elektrorasierer im Bad klebte noch das Preisschild, aber er hatte seine antike Bürstengarnitur mit den Gold- und Silberrücken mitgebracht, alle acht, einschließlich zweier Kleiderbürsten. Ich räumte alles in den Koffer und klappte ihn zu.

»Ian«, sagte er.

»M-hm?«

»Man kann Berufsmörder engagieren… Du könntest beschlossen haben, heute abend nicht Ernst zu machen… im letzten Moment umdisponiert haben…«

»Hör schon auf«, wehrte ich ab. Ihn zu retten war eine reine Instinkthandlung gewesen, ohne Überlegung und ohne Rücksicht auf Verluste; ich hatte Glück gehabt, mit einer Schramme davonzukommen.

Er sagte fast beschwörend, mit Mühe: »Du warst es doch nicht, der jemand auf Moira… oder auf mich, in der Garage? Sag, daß du es nicht warst.«

Ich wußte im Grunde nicht, wie ich ihn überzeugen sollte. Er hatte mich besser gekannt und länger mit mir zusammengelebt als mit irgendeinem seiner anderen Kinder, und wenn sein Vertrauen so brüchig war, dann gab es nicht viel Zukunft für uns.

»Ich habe Moira nicht ermorden lassen«, sagte ich. »Wenn du das von mir glaubst, kannst du es auch von dir selber glauben.« Ich hielt inne. »Ich will nicht deinen Tod, ich will, daß du lebst. Ich könnte dir nie etwas antun.«

Mir kam der Gedanke, er hätte im Grunde das Bedürfnis, von mir zu hören, daß ich ihn liebte, auch wenn er über diesen Ausspruch vielleicht spotten würde. Was machte es? In extremen Situationen, schien mir, mußte man zu [44]extremen Mitteln greifen, deshalb sagte ich trotz der mir anerzogenen Zurückhaltung: »Du bist ein großartiger Vater… und, ehm… ich liebe dich.«

Er war perplex. Eine solche Erklärung ging ihm sichtlich unter die Haut. Wahrscheinlich hatte ich etwas dick aufgetragen, aber sein Mißtrauen hatte mich auch verletzt.

»Ich schwöre auf den Coochie-Pembroke-Memorial-Challenge-Pokal«, sagte ich sehr viel beiläufiger, »daß ich dir niemals ein Haar krümmen würde… und auch nicht Moira, obwohl ich sie wirklich verabscheut habe.«

Ich nahm den Koffer vom Bett.

»Soll ich bei dir bleiben oder nicht?« fragte ich. »Wenn du mir nicht traust, fahre ich nach Hause.«

Er blickte mich prüfend an, als ob ich ein Fremder wäre, und in mancher Hinsicht war ich das wohl auch. Vermutlich sah er sich zum erstenmal gezwungen, mich nicht als Sohn, sondern als Mann zu betrachten; als einen Menschen, der ein von ihm getrenntes Leben führte, mit anderen Ansichten, anderen Wünschen, anderen Werten. Aus Söhnen, die einmal kleine Jungs waren, werden eigenständige Erwachsene: Väter nehmen die Veränderung oft nicht genau wahr. Ich war sicher, daß Malcolm mich grundsätzlich noch als den halbfertigen Menschen ansah, der ich mit fünfzehn gewesen war.

»Du bist anders geworden«, sagte er.

»Ich bin derselbe. Vertrau deinem Instinkt.«

Endlich ließ die Anspannung in seinem Körper ein wenig nach. Mit dem Instinkt hatte er mir vertraut; sein Instinkt war so stark gewesen, daß er ihn nach drei Jahren Funkstille ans Telefon getrieben hatte. Er trank den Scotch [45]aus, stand auf und füllte mit einem tiefen Atemzug seine Lungen, als fasse er einen Entschluß.

»Gut, komm mit mir«, sagte er.

Ich nickte. Er ging zu der Kommode hinüber und holte aus der unteren Schublade, die ich nicht geöffnet hatte, eine Aktenmappe hervor. Ich hätte mir denken können, daß die irgendwo war: selbst in der schlimmsten Panik würde er die Listen seiner Goldzertifikate und seinen Wechselkursrechner nicht zurückgelassen haben. Er strebte mit der Aktenmappe zur Tür und überließ es mir, den Koffer zu tragen, doch aus einem Impuls heraus ging ich noch einmal zum Telefon und bestellte ein Taxi für uns.

»Dein Wagen ist doch hier«, sagte Malcolm.

»M-hm. Ich glaube, da lasse ich ihn auch erst mal.«

»Wieso denn?«

»Weil ich niemand gesagt habe, daß du zur Auktion nach Newmarket kommen wolltest, und du auch nicht, also ist dir wahrscheinlich jemand gefolgt – von hier aus gefolgt. Überleg doch mal… die, die dich überfahren wollten, haben dich auf dem Auktionsparkplatz erwartet, aber du hattest kein Auto. Du bist per Taxi hingefahren. Dein Angreifer muß dich und mich zusammen gesehen haben, muß gewußt haben, wer ich bin, und sich gedacht haben, daß du mit mir wegfährst. Ich habe zwar nicht gesehen, daß uns jemand von Newmarket aus gefolgt wäre, aber der, von dem wir reden, wußte wahrscheinlich, daß wir zu dem Hotel hier fahren, und jetzt… jetzt lungert er vielleicht auf dem Hof hinten, wo wir geparkt haben und wo es schön dunkel ist, herum und wartet, ob wir noch mal rauskommen.«

[46]»Mein Gott!«

»Es ist möglich«, sagte ich. »Deshalb sollten wir vorn rausgehen, wo der Portier aufpaßt, meinst du nicht?«

»Wenn du es sagst«, antwortete er schwach.

»Von jetzt an«, sagte ich, »treffen wir jede übertriebene Sicherheitsvorkehrung, die uns nur einfällt.«

»Und wohin fahren wir mit dem Taxi?«

»Wie wär's mit einem Laden, wo wir ein Auto mieten können?«

Nachdem wir ohne Zwischenfall die Rechnung bezahlt, das Gepäck verstaut, dem Portier ein Trinkgeld gegeben und das Hotel verlassen hatten, teilte uns der Taxifahrer jedoch zweifelnd mit, daß ein Auto zu leihen dienstagabends um neun nicht einfach wäre. Die Mietwagenfirmen hätten alle geschlossen.

»Dann eben ein Wagen mit Chauffeur«, sagte Malcolm. »Die Burschen, die auf Hochzeiten fahren und dergleichen. Zwanzig Pfund auf die Hand, wenn Sie das deichseln?«

Von diesem Angebot in Schwung gebracht, beförderte uns der Taxifahrer durch irgendwelche Seitenstraßen, hielt vor einem unscheinbaren kleinen Reihenhaus und hämmerte an die Tür. Sie öffnete sich, ließ eine Melonenscheibe Licht entweichen und verschluckte ihn.

»Man wird uns ausrauben«, sagte Malcolm.

Der Taxifahrer kam jedoch ganz harmlos in Begleitung eines größeren Mannes wieder, der sich das Jackett einer Chauffeursuniform zuknöpfte und eine beruhigende Schirmmütze trug.

»Die Firma, bei der mein Schwager ist, betreut [47]hauptsächlich Hochzeiten und Beerdigungen«, sagte der Taxifahrer. »Er wüßte gern, wo Sie hinwollen.«

»London«, sagte ich.

London schien überhaupt kein Problem zu sein. Der Fahrer und sein Schwager stiegen ein, das Taxi fuhr los, bog um ein, zwei Ecken und hielt vor einer verschlossenen Garage wieder an. Wir blieben wie gewünscht im Taxi sitzen, während die beiden Fahrer die Garage aufsperrten und ihren Inhalt ans Licht brachten. So kam es, daß Malcolm und ich in einem sehr großen, auf Hochglanz polierten schwarzen Rolls-Royce nach London fuhren, von dem schwarzarbeitenden Chauffeur diskret durch eine Glasscheibe getrennt.

»Warum warst du überhaupt auf der Auktion?« fragte ich Malcolm. »Ich meine, wieso Newmarket? Wieso die Versteigerungen?«

Malcolm runzelte die Stirn. »Wegen Ebury, nehme ich an.«

»Die Juweliere?«

»Ja… also, ich wußte, daß sie dort eine Ausstellung hatten. Das sagten sie mir vorige Woche, als ich bei ihnen war, um mit ihnen über Coochies Schmuck zu sprechen. Ich meine, ich kenne die Leute ziemlich gut, bei ihnen habe ich ihr das meiste gekauft. Ich bewunderte ein silbernes Pferd, das sie hatten, und sie sagten, diese Woche würden sie auf der Auktion in Newmarket ausstellen. Als ich mir dann gestern Gedanken machte, wie ich an dich herankäme… wo wir uns treffen könnten… da fiel mir ein, daß die Auktion ganz in der Nähe von Cambridge ist, und das gab den Ausschlag – kurz bevor ich dich anrief.«

[48]Ich überlegte ein wenig. »Wie würdest du es anstellen, wenn du sozusagen rausfinden wolltest, wo jemand steckt?«

Zu meiner Überraschung hatte er eine Antwort parat. »Ich würde den Burschen heranziehen, der Moira für mich beschattet hat.«

»Beschattet…?«

»Mein Anwalt riet mir dazu. Ich könnte Geld sparen, meinte er, wenn Moira was nebenbei laufen hätte, verstehst du?«

»Vollkommen«, meinte ich trocken. »Aber sie hatte wohl nicht?«

»Fehlanzeige.« Er warf mir einen Blick zu. »Woran denkst du?«

»Tja… Ich habe so eine Idee, ob er vielleicht nachprüfen könnte, wo jeder aus der Familie am vorigen Freitag und heute abend gewesen ist.«

»Jeder!« rief Malcolm aus. »Das würde Wochen dauern.«

»Du würdest aber ruhiger schlafen.«

Er schüttelte finster den Kopf. »Du vergißt die Berufsmörder.«

»Berufsmörder sind ziemlich schwer aufzutreiben, jedenfalls für Normalbürger. Wie würdest du das zum Beispiel angehen, wenn du jemand beseitigen lassen wolltest? Mit einer Anzeige in der Times?«

Er schien das zwar nicht für so problematisch zu halten wie ich, erklärte sich aber bereit, »den Burschen, der Moira beschattet hat« zu fragen, ob er die Durchleuchtung der Familie übernehmen würde.

[49]Wir besprachen, wo wir übernachten sollten – das heißt, in welchem Hotel, denn nach Hause mochten wir beide nicht. Mein Zuhause war derzeit eine ziemlich trostlose Wohnung in Epsom, nicht weit von dem Stall, für den ich gearbeitet hatte. Malcolms Zuhause war nach wie vor das Haus, in dem ich groß geworden war und aus dem Moira ihn offenbar vertrieben hatte, in das er jedoch gleich nach ihrem Tod zurückgekehrt war. Es galt als »Sitz« der Familie, dieses große Haus in Berkshire, das alle fünf Frauen hatte kommen und gehen sehen: Malcolm selbst war dort aufgewachsen, es war kaum auszudenken, wie sehr ihn die Aussicht, es zu verlieren, getroffen haben mußte.

»Was war vorgefallen zwischen dir und Moira?« fragte ich.

»Kümmre dich um deinen Kram.«

Wir fuhren zehn Meilen wortlos. Dann setzte er sich anders, seufzte und sagte: »Sie wollte Coochies Schmuck, und ich wollte ihn ihr nicht geben. Immer wieder fing sie an, davon zu gackern. Ging mir auf die Nerven, verstehst du? Und dann… tja…« Er zuckte die Achseln: »Dann hat sie mich ertappt.«

»Mit einer anderen?« fragte ich, nicht weiter überrascht.

Er nickte ohne Scham. Er war nie monogam gewesen und konnte nicht verstehen, wieso man das erwartete. Die fürchterlichen Kräche in meiner Kindheit hatten sich alle um seine Affären gedreht; während seiner Ehe mit Vivien und dann mit Joyce hatte er die ganze Zeit Alicia ausgehalten. Alicia gebar ihm zwei Kinder, während er mit Vivien und Joyce verheiratet war, und später noch eines, als er [50]sie auf ihr Drängen zu seiner einigermaßen rechtmäßigen Frau gemacht hatte.

Ich stellte mir gern vor, daß er Coochie zu guter Letzt treu gewesen war, aber alles in allem war das unwahrscheinlich, und ich würde ihn nie danach fragen.

Malcolm war dafür, im Dorchester abzusteigen, doch ich überzeugte ihn, daß er dort zu bekannt sei, und schließlich einigten wir uns auf das Savoy.

»Eine Suite«, sagte Malcolm am Empfang. »Zwei Schlafzimmer, zwei Badezimmer und ein Salon; und schicken Sie gleich einen Bollinger rauf.«

Ich hatte zwar keine Lust auf Champagner, aber Malcolm. Außerdem bestellte er beim Zimmerservice Rührei und Räucherlachs für uns beide sowie eine Flasche Hine Antique Cognac und eine Kiste Havannazigarren zur Abrundung.

Spaßeshalber rechnete ich einmal seine heutigen Ausgaben zusammen: ein massiv silberner Pokal, ein Vollblut für zwei Millionen Guineen, die Versicherung dafür, die Hotelrechnung von Cambridge, ein Trinkgeld für den Taxifahrer, ein chauffierter Rolls-Royce, eine Supersuite im Savoy mit allem Drum und Dran. Ich hätte gern gewußt, wie reich er eigentlich war und ob er vorhatte, das alles auf den Kopf zu hauen.

Wir aßen zu Abend und tranken den Brandy, standen aber noch immer nicht ganz im Einklang miteinander. Die Kluft der drei getrennten Jahre war offenbar nicht so leicht zu überwinden, wie ich dachte. Daß ich ihn liebte, hatte ich zwar ernst gemeint, doch mir schien, was ich wirklich liebte, waren die alten Erinnerungen an ihn, nicht seine [51]Anwesenheit hier und jetzt. Mir wurde klar, daß ich, wenn ich wie versprochen bei ihm blieb, ihn von neuem und von einer anderen Warte kennenlernen würde; wir beide würden einander neu kennenlernen.

»In den nächsten Tagen«, sagte Malcolm und streifte sorgfältig die Asche von seiner Zigarre, »fliegen wir nach Australien.«

Ich nahm die Neuigkeit in mich auf und sagte: »So?«

Er nickte. »Dazu brauchen wir Visa. Wo ist dein Paß?«

»In meiner Wohnung. Wo ist deiner?«

»Im Haus.«

»Dann hole ich sie morgen«, sagte ich, »und du bleibst hier.« Ich hielt inne. »Fliegen wir aus einem bestimmten Grund nach Australien?«

»Um uns Goldminen anzusehen«, sagte er. »Und Känguruhs.«

Nach einer kurzen Pause sagte ich: »Wir können nicht einfach fliehen. Wir müssen herausfinden, wer dich umzubringen versucht, damit es ihm nicht gelingt.«

»Fliehen ist reizvoller«, sagte er. »Was hältst du von einem Zwischenstopp in Singapur, für eine Woche?«

»Wie du meinst. Nur… am Freitag soll ich in Sandown ein Rennen reiten.«

»Ich habe nie verstanden, was du daran findest. Dauernd diese naßkalten Tage. Diese Stürze.«

»Dein Kitzel ist das Gold«, sagte ich.

»Und deiner die Gefahr?« Seine Augenbrauen hoben sich. »Der stille, wohlerzogene, vorsichtige Ian? Leben ohne Risiko ist langweilig, meinst du das?«

»So abwegig ist das ja nicht«, sagte ich.

[52]Ich war immer als Amateur geritten, unentgeltlich, weil mich irgend etwas schließlich doch von der totalen Hingabe abhielt, die man als Profi brauchte. Rennreiten war mein größtes Vergnügen, aber nicht mein ganzes Leben, und so hatte ich nie den nötigen Kampfgeist entwickelt, um die Profileiter zu erklimmen. Ich war zufrieden mit den Ritten, die ich bekam, mit der Kameraderie der Umkleideräume, mit dem weiten Himmel, den Pferden und, zugegeben, auch mit dem Risiko.

»Bei mir zu bleiben«, sagte Malcolm, »ist nicht absolut ungefährlich, wie du schon bemerkt hast.«

»Deshalb bleibe ich«, sagte ich.

Er riß die Augen auf. »Mein Gott«, lachte er. »Ich dachte, ich kenne dich. Scheint nicht so.« Er leerte sein Cognacglas, stubste die Zigarre aus und beschloß, ins Bett zu gehen.

Am nächsten Morgen war er dann schon vor mir auf – er saß in einem seiner Bademäntel auf dem Sofa und las die Sporting Life,