Michaela kommt ins Großstadtinternat - Marie Louise Fischer - E-Book

Michaela kommt ins Großstadtinternat E-Book

Marie Louise Fischer

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Beschreibung

Michaelas Vater ist als praktischer Arzt sehr eingespannt, ihre Mutter muss sich um die Zwillinge kümmern. Da passt es nicht gut rein, dass Michaela zum Beispiel immer wieder morgens ihren Bus zur Schule verpasst. Irgendwann wird es ihrem Vater zu bunt und er verkündet, dass sie nach den Sommerferien in ein Internat kommen wird. Das ist ein Schreck in der Morgenstunde! Und der Plan wird tatsächlich umgesetzt. Michaela kommt ins Internat – nach München. Selbst diese schöne Stadt stimmt sie nicht versöhnlicher. Fliehen müsste man, denkt sie – einfach abhauen. Aber dann entdeckt sie ein wunderbares Trostpflaster. Sie möchte ihren Hund Purzel mitnehmen. Aber wie soll das im Internat gehen?-

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Marie Louise Fischer

Michaela kommt ins Großstadtinternat

SAGA Egmont

Michaela kommt ins Großstadtinternat

Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

Originally published 1973 by F. Schneider, Germany

All rights reserved

ISBN: 9788711719589

1. Ebook-Auflage, 2017

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

Schreck in der Morgenstunde

Es war das gleiche wie jeden Morgen. Michaela Körner saß in der Küche und schlang hastig ihr Frühstück hinunter, während ihre Mutter nebenan im Kinderzimmer die Zwillinge fütterte und trockenlegte. Michaela warfeinen Blick auf ihre Armbanduhr und spülte den letzten Bissen mit einem Schluck Milch hinunter.

„Michaela, beeil dich!“ rief die Mutter. „Du kommst wieder zu spät!“

„Ach was! Ich schaffs schon!“ Michaela sprang auf und stieß den Stuhl zurück.

„Es ist zwanzig vor sieben!“

„Weiß ich!“ Michaela schlüpfte in ihren dunkelblauen Blazer mit den Silberknöpfen und stürzte aus der Küche. „Tschüß, Mutti!“

Frau Körner trat gleichzeitig mit ihr von der anderen Seite her in die kleine Diele. „Hast du auch nichts vergessen?“

„I wo! Alles da!“ Im gleichen Moment überfiel es sie siedend heiß. „Meine Schultasche!“ Sie rannte in ihr eigenes Zimmer mit den schönen Schleiflackmöbeln und dem roten Teppichboden, das im Augenblick jedoch wenig wohnlich aussah. Das Bett war zerwühlt, und es herrschte auch sonst eine wilde Unordnung; Michaela mußte sich dreimal um ihre eigene Achse drehen, bis sie die Mappe fand. „Ich hab sie schon!“ schrie sie triumphierend.

„Sei leise!“ mahnte die Mutter. „Vati ist heute nacht zweimal aus dem Bett geholt worden!“

Dr. Körner war praktischer Arzt, und es kam häufig vor, daß er mitten in der Nacht zu einem Patienten gerufen wurde.

Einer der Zwillinge begann zu brüllen; die Mutter drehte sich um und lief ins Kinderzimmer zurück.

„Sieh lieber zu, daß die Babys still sind!“ rief Michaela ihr nach.

Aber das hörte Frau Körner, die sich bemühte, den kleinen Tom zu beruhigen, gar nicht mehr.

Michaela verließ, die Schultasche unter dem Arm, das Haus. Sie war elf Jahre alt, groß für ihr Alter, trug das kastanienbraune, lange, gelockte Haar kinnlang geschnitten und blickte aus großen dunklen Augen in die Welt. Durch ihre Angewohnheit, die Stirn zu krausen, hatte ihr Gesicht einen trotzig-düsteren Ausdruck bekommen, der ihr aber selber gar nicht bewußt war; sie hielt sich vielmehr für die Liebenswürdigkeit in Person.

Jetzt, noch unausgeschlafen wie meistens um diese Zeit, wirkte sie besonders schlecht gelaunt. Sie schauderte zusammen, denn es war noch kühl. Aber nachdem sie ein paar Schritte gelaufen war, wurde ihr wärmer. Sie gähnte herzhaft und blinzelte zu den Bergen hoch, den Vorläufern der Alpen, die sich am südlichen Horizont erstreckten. Heute hoben sie sich klar und sehr plastisch vom hellen Himmel ab. Michaela schien es, als ob sie jede Kante, jeden Zacken, jeden Graben und jede Schrunde erkennen könnte.

Das Dorf Törwang, in dem Michaela lebte, liegt siebenhundert Meter über der Ebene, durch die der Inn fließt, und als sie nach Norden – ins Tal – blickte, sah sie, daß es von einem weißen Dunstschleier verhüllt war.

Michaela kannte sich aus; sie wußte, daß es ein schöner heißer Tag werden würde. Unwillkürlich seufzte sie und bedauerte sich selber, weil sie in die Stadt – nach Rosenheim – fahren mußte, wo sie seit dem vorigen Herbst das Realgymnasium besuchte.

Aber – zu ihrer Ehre sei es gesagt – es kam ihr nicht eine Sekunde in den Sinn, die Schule zu schwänzen. Dazu bestand auch wirklich kein Anlaß. Sie hatte ihre Hausaufgaben gemacht, und alle Schularbeiten waren bereits geschrieben, denn in zwei Wochen gab es Zeugnisse und die Sommerferien begannen.

Zwar war es Michaela schon ein paarmal passiert – genauer gesagt: jede Woche mindestens einmal –, daß sie den Omnibus verpaßte, aber niemals absichtlich. Das hatten ihre Eltern ihr jedoch nicht glauben wollen; sie regten sich jedesmal schrecklich auf. Michaela hatte ihnen versprochen, daß es nie mehr vorkommen sollte, und sie nahm es sich auch selber ganz fest vor.

In der Stadt braucht man, wenn man den einen Bus versäumt hat, nur auf den nächsten zu warten. Auf dem Land aber ist das meist ganz anders. Von Törwang aus fährt morgens nur ein einziger Bus nach Rosenheim, und zwar um Punkt sieben Uhr. Der nächste geht mittags um eins.

Deshalb mußte Michaela jeden Morgen noch vor sechs Uhr aufstehen. Das machte ihr nicht viel aus, wenn sie erst einmal aus den Federn war. Auf ihrem Weg ins Dorf hinunter – Michaela benutzte nicht die Hauptstraße, die einen großen Bogen schlug, sondern eine Abkürzung – gab es allerhand zu sehen. Die Bauersleute arbeiteten schon auf den Feldern und Wiesen, Heu und Getreide wurden eingebracht, Kühe standen auf den Weiden, Vögel zwitscherten in den Bäumen der Obstgärten, und auf den Türschwellen der Höfe räkelten sich die Katzen. Michaela mußte häufig grüßen und viele Zurufe beantworten. Aber sie hielt sich nicht auf, und als sie den letzten Hof oberhalb des Dorfes erreichte, war es erst zehn vor sieben; sie hatte also noch reichlich Zeit.

Nannei, die Tochter des Stuffer-Bauern, stellte gerade die Liegestühle für die Fremden auf. Sie war in die gleiche Klasse wie Michaela gegangen, und die beiden hatten sogar nebeneinandergesessen, solange sie die Hauptschule im Dorf besuchten. Seit Michaela täglich nach Rosenheim fuhr, kamen sie nicht mehr so oft zusammen, und ihre Freundschaft hatte sich allmählich abgekühlt, obwohl sie es beide nicht wollten.

Deshalb war Michaela besonders froh, Nannei zu begegnen. „Grüß dich!“ rief sie. „Wieso bist du schon auf? Du brauchst doch noch lange nicht zur Schule!“

„Das nicht“, gab Nannei zurück, „aber es gibt eine Menge zu tun, besonders jetzt im Sommer.“

„Kann ich mir vorstellen! Aber glaub nur nicht, daß ich mich auf die faule Haut legen darf.“

„Ja, du! Du fährst ja täglich hin und her. Ich weiß schon, daß das anstrengend sein muß!“

„Und wie! Manchmal komme ich erst mit dem Fünfuhrbus nach Hause.“

„Dafür darfst du aber auch was lernen.“

Nannei, die selber gerne auf die höhere Schule gegangen wäre, machte keinen Hehl daraus, daß sie Michaela beneidete.

„Du weißt gar nicht, wie gut du es hast!“ behauptete Michaela. „Ich würde jederzeit mit dir tauschen.“

Nannei spielte an ihren langen blonden Zöpfen; sie war noch nicht für die Schule angezogen, ging barfuß und trug einen verschossenen blauen Kittel. „Das glaube ich dir nicht “.

„Weil du keine Ahnung hast, was wir alles lernen müssen … Latein! Kannst du dir vorstellen, was das für eine schwere Sprache ist? Und dazu ist sie noch tot!“

„Wie ist denn das passiert?“ fragte Nannei verblüfft. „Kann denn eine Sprache sterben?“

„Na klar. Wenn niemand sie mehr spricht.“

„Ach so.“ Nannei wurde rot, weil sie das Gefühl hatte, sich blamiert zu haben. „Warum lernt man sie dann überhaupt noch? Ich meine, wenn kein Mensch sie mehr spricht?“

„In der Medizin ist alles lateinisch. Du weißt doch, ich will Tierärztin werden.“ Michaela machte ein wichtiges Gesicht. „Aber jetzt muß ich sausen.“

„Kommst du mal wieder vorbei?“ fragte Nannei. „Zum Spielen?“

Michaela hatte sich schon zum Gehen gewandt; jetzt drehte sie sich wieder um. „In den Ferien.“

„Fahrt ihr denn nicht ans Meer?“

„Diesmal nicht. Wegen der Zwillinge.“ Michaela rümpfte ihre kurze Nase, die mit winzigen Sommersprossen betupft war. „Sei froh, daß du nur große Geschwister hast. Du ahnst nicht, was für eine Last die Kleinen sind.“

„Zuerst fandest du sie doch süß.“

„Da hatte ich auch noch keine Ahnung. Sie sind eine Plage, sage ich dir – grauenhaft! Ich könnte dir Sachen über die erzählen … Du würdest umfallen.“

„Ja, tu’s doch!“ bat Nannei, die den kleinen Schwatz gerne ausdehnen wollte.

„Keine Zeit mehr. Ein andermal.“ Wieder machte Michaela Anstalten zu gehen.

„Du, ich muß dir auch etwas erzählen … “ Nannei tat geheimnisvoll.

Michaela wollte laufen, aber ihre Neugier war geweckt; sie konnte nicht widerstehen. „Was denn? Sag’s schnell!“

„Unsere Asta hat geworfen!“

Einen Augenblick war Michaela ganz still; dann platzte sie heraus: „Das ist nicht wahr!“

„Ich lüge nicht!“

„Das hast du dir bloß ausgedacht, gib’s zu!“

„Du kannst sie dir ja ansehen!“

„Das werde ich auch tun!“ Michaela warf einen Blick auf ihre Armbanduhr; es war fünf Minuten vor sieben, und ganz pünktlich war der Bus ja nie. „Wo sind sie?“

„Im Stall!“

Michaela flankte über den Zaun und rannte, gefolgt von Nannei, in das Bauernhaus hinein, lief den langen, düsteren Gang entlang und riß die Stalltüre auf. „Wenn Asta wirklich geworfen hat, hättest du es mir gleich gesagt!“

„Ich dachte, es würde dich nicht mehr interessieren.“

„Da kennst du mich schlecht.“

Michaela stürzte in den Stall und sah sich suchend um, und da lag wirklich auf frischem Stroh und einer Decke, in einem Verschlag Asta, die Schäferhündin, mit fünf kleinen Hündchen.

„O Nannei, Nannei!“ schrie Michaela. „Die sind Spitze!“

„Magst du eins?“

„Würdest du mir denn eins geben?“

„Wir können sie doch nicht alle aufziehen. Höchstens zwei. Eines kannst du haben.“

„Aber ob meine Eltern es erlauben werden?“

„Du mußt sie halt fragen“, meinte Nannei.

Michaela wollte einen der kleinen Hunde hochheben, aber da knurrte Asta böse, so daß sie die Hand rasch wieder zurückzog. „Wer ist der Vater?“ fragte sie.

„Weiß man nicht.“

„Na, das wird sich schon herausstellen, wenn sie erst größer sind. Vorläufig sehen sie ja noch nicht viel besser als Ratten aus.“ Plötzlich fiel es Michaela wieder ein, daß sie zum Bus mußte. „Jetzt wird es aber höchste Eisenbahn!“ rief sie. „Bis bald!“ Sie rannte durch das Haus und ins Freie.

Nannei folgte ihr. „Deine Jacke!“ rief sie ihr nach. „Laß dich erst abbürsten!“

Michaela hörte gar nicht mehr zu. Sie rannte, so schnell sie konnte, hinunter.

Als sie den halben Hang, der zum Dorf führte, hinabgerast war, sah sie den Bus. Er stand noch vor dem Gemeindehaus.

„Halt!“ schrie sie und wedelte mit dem freien Arm. „Nicht abfahren! Ich komme ja schon!“

Aber sie befand sich viel zu weit vom Bus entfernt, als daß der Fahrer sie hätte hören können. Und auch sonst wäre es immer noch fraglich gewesen, ob er auf sie gewartet hätte; denn sie war ja nicht die einzige, die frühmorgens nach Rosenheim fuhr. Die Erwachsenen mußten pünktlich an ihrem Arbeitsplatz sein, manche waren sogar darauf angewiesen, auf dem Bahnhof in Rosenheim einen bestimmten Zug zu erwischen.

Jedenfalls gab der Fahrer Gas, der Bus fuhr an, und Michaela hatte buchstäblich das Nachsehen.

Tränen stiegen ihr in die dunklen Augen, aber nicht vor Kummer, sondern vor Wut. Sie stampfte mit dem Fuß auf, schimpfte mit erstickter Stimme: „So ’ne Gemeinheit! Mist!“ Drohend fuchtelte sie mit der Faust durch die Luft.

Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich wieder gefaßt hatte. Dann drehte sie sich um und marschierte – was blieb ihr anderes übrig – wieder nach Hause. Aber diesmal benutzte sie nicht den gleichen Weg, sondern ging über die Hauptstraße. Auf keinen Fall wollte sie an den Leuten vorbei, denen sie vorhin begegnet war. Sie kam sich auch so schon lächerlich genug vor, hielt die Augen niedergeschlagen und hätte sich am liebsten unsichtbar gemacht.

Nur auf die Idee, daß sie selber schuld an ihrem Unglück hatte, kam sie nicht.

Die Tür des Doktorhauses wurde nur nachts abgeschlossen. Michaela erreichte also ungesehen ihr Zimmer. Bevor sie sich den Eltern stellte, wollte sie doch wenigstens noch ihren Blazer in Ordnung bringen, an dem Streu und Strohhalme hingen. Sie klappte das zierliche Möbelstück auf, das ihr, wenn es geschlossen war, als Schreibtisch – geöffnet mit einem großen runden Spiegel als Frisiertisch – diente, und nahm die Kleiderbürste heraus.

Sie bewegte sich so leise wie möglich, aber ihre Mutter hörte sie doch.

Frau Körner hatte, nachdem die Babys versorgt waren und Michaela aus dem Haus war, sich mit ihrem Mann zusammen gemütlich zum Frühstück gesetzt.

„Michaela, bist du es?“ rief sie jetzt.

Michaela murmelte etwas Unverständliches und putzte an sich herum.

Frau Körner kam herein. „Hast du etwa schon wieder den Bus verpaßt?“

Michaela wollte keinen Krach, aber sie konnte sich eine freche Antwort einfach nicht verbeißen: „Sieht ganz so aus.“

Die Mutter schnappte nach Luft. „Und was soll nun geschehen?“

„Höchst einfach. Entweder bringst du mich mit dem Auto zur Schule … oder ich bleibe zu Hause.“ „Michaela, du bist unmöglich!“

„Weißt du eine bessere Lösung?“