Mit der Zeitkugel im Magnetsturm: Timetravel, Reisen mit der Zeitkugel 37-40: Science Fiction Fantasy Spezial Sammelband 4 Romane - Horst Weymar Hübner - E-Book
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Mit der Zeitkugel im Magnetsturm: Timetravel, Reisen mit der Zeitkugel 37-40: Science Fiction Fantasy Spezial Sammelband 4 Romane E-Book

Horst Weymar Hübner

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Ein Volk soll aufs Schafott (Horst Weymar Hübner) Der Weise aus dem Morgenland (Horst Weymar Hübner) Tödlicher Magnetsturm (Horst Weymar Hübner) Der Tod aus dem ewigen Eis (Horst Weymar Hübner) Ein Sperrgürtel interstellarer Beobachtungsstationen liegt zwischen dem irdischen Sonnensystem und Epsilon Eridani. Seit drei fremde Raumschiffe, die Jahrtausende in einer geheimen Basis auf der Venus überdauerten, nach Epsilon Eridani flüchteten, rechnet die Menschheit mit der Rückkehr dieser Schiffe und den Nachkommen der Erbauer. Wird es eine kriegerische Rasse sein? Der Sperrgürtel ist eine Vorsichtsmaßnahme. Statt fremder Raumschiffe wird eine Dunkelwolke beobachtet, deren Fluchtrichtung aufs irdische Sonnensystem zeigt. Ein verheerender Magnetsturm eilt der Dunkelwolke voraus und zermalmt alles, was in seiner Bahn liegt. Völlig ungeschützt steht 2000 km über dem Erdäquator das größte Raumfahrzeug, das die Menschheit je gebaut hat - zu gewaltig, um auf einer Basis Platz zu finden, zu langsam, um dem Magnetsturm zu entrinnen. Es ist die fliegende Stadt. Und an Bord sind die Zeitspringer.

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Inhaltsverzeichnis

Mit der Zeitkugel im Magnetsturm: Timetravel, Reisen mit der Zeitkugel 37-40: Science Fiction Fantasy Spezial Sammelband 4 Romane

Copyright

Ein Volk soll aufs Schafott

DER WEISE AUS DEM MORGENLAND

TÖDLICHER MAGNETSTURM

Der Tod aus dem ewigen Eis

Mit der Zeitkugel im Magnetsturm: Timetravel, Reisen mit der Zeitkugel 37-40: Science Fiction Fantasy Spezial Sammelband 4 Romane

Horst Weymar Hübner

Dieser Band enthält folgende Romane:

Ein Volk soll aufs Schafott (Horst Weymar Hübner)

Der Weise aus dem Morgenland (Horst Weymar Hübner)

Tödlicher Magnetsturm (Horst Weymar Hübner)

Der Tod aus dem ewigen Eis (Horst Weymar Hübner)

Ein Sperrgürtel interstellarer Beobachtungsstationen liegt zwischen dem irdischen Sonnensystem und Epsilon Eridani. Seit drei fremde Raumschiffe, die Jahrtausende in einer geheimen Basis auf der Venus überdauerten, nach Epsilon Eridani flüchteten, rechnet die Menschheit mit der Rückkehr dieser Schiffe und den Nachkommen der Erbauer. Wird es eine kriegerische Rasse sein? Der Sperrgürtel ist eine Vorsichtsmaßnahme.

Statt fremder Raumschiffe wird eine Dunkelwolke beobachtet, deren Fluchtrichtung aufs irdische Sonnensystem zeigt. Ein verheerender Magnetsturm eilt der Dunkelwolke voraus und zermalmt alles, was in seiner Bahn liegt. Völlig ungeschützt steht 2000 km über dem Erdäquator das größte Raumfahrzeug, das die Menschheit je gebaut hat - zu gewaltig, um auf einer Basis Platz zu finden, zu langsam, um dem Magnetsturm zu entrinnen.

Es ist die fliegende Stadt. Und an Bord sind die Zeitspringer.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER STEVE MAYER NACH MOTIVEN

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Ein Volk soll aufs Schafott

TIMETRAVEL - Reisen mit der Zeitkugel

Band 37

von HORST WEYMAR HÜBNER

Der Umfang dieses Buchs entspricht 131 Taschenbuchseiten.

Der Auftrag: König Philipp II. von Spanien ließ am 16.2.1568 durch seinen Statthalter in den Niederlanden, Herzog Alba, alle Niederländer zum Tode verurteilen. Dieses Urteil ist einmalig in der Weltgeschichte. Der Herzog richtete ein Blutbad an. Reisen Sie in das Brüssel des Februar 1568 und erleben Sie, wie sich Menschen, die so sind wie Sie und wir, einer derartigen Ungeheuerlichkeit gegenüber verhalten.

Konsortium der Sieben

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author/ Cover nach einem Motiv von Lois Gallait mit Steve Mayer, 2017

© dieser Ausgabe 2017 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Prolog

Am 5. Juli 1984 glückte Professor Hallstrom das fantastische Experiment, winzige Substanzteile zu ent- und zu rematerialisieren. Er errechnete, dass diese Substanzteile im Zustand der Körperlosigkeit mit ungeheurer Geschwindigkeit in der 4. Dimension zu reisen vermochten – also nicht nur durch den Raum, sondern auch in die Vergangenheit und in die Zukunft. Mit seinem Assistenten Frank Jaeger und dem Ingenieur Ben Crocker begann er, diese Entdeckung für die Praxis auszuwerten. Er wollte ein Fahrzeug bauen, das sich und seinen Inhalt entmaterialisieren, dann in ferne Räume und Zeiten reisen, sich dort materialisieren und nach dem gleichen Verfahren wieder an den Ursprungsort und in die Ursprungszelt zurückversetzen konnte. Nach vier Jahren musste der Professor seine Versuche aus Geldmangel einstellen.

Die superreichen Mitglieder vom „Konsortium der Sieben“ In London boten ihm aber die fehlenden Millionen unter der Bedingung an, dass sie über den Einsatz der Erfindung bestimmen könnten. Der Professor erklärte sich einverstanden, konnte weiterarbeiten und vollendete am 3. Mai 1992 sein Werk: die Zeitkugel. Seit diesem Tag reisen der Professor, sein Assistent und der Ingenieur im Auftrag des „Konsortiums der Sieben“ durch die 4. Dimension.

Dieser Roman erzählt die Geschichte der Ausführung eines derartigen Auftrags.

1

Die Felder waren zerstampft, die Zäune aus gesteckten Ästen umgebrochen und das Dach über dem gemauerten Brunnen im Hof niedergelassen. Ein totes Schwein mit aufgedunsenem Bauch lag an der Erde. Ein paar Raben hüpften auf dem Kadaver herum. Sie hatten handtellergroße Löcher in die Schwarte gepickt und schauten aufsässig und missgünstig die drei Männer an, die vorsichtig in den Hof der Schenke kamen und jetzt wie erstarrt stehen blieben.

Als die Raben merkten, dass ihnen von diesen drei Menschen keine Gefahr drohte, wandten sie sich ihrer Beschäftigung zu und hackten Speck und Fleisch aus dem stinkenden Schweinekadaver.

Professor Robert Hallstrom schenkte den Aas fressenden Raben kaum Beachtung. Seine Aufmerksamkeit galt der Zerstörung und dem heillosen Durcheinander ringsum.

Hier hatte der Teufel selber Kirchweih gehalten!

Dauben von zerschlagenen Fässern und Weidenreifen lagen herum. Hausrat war aus der Tür und dem Fenster daneben in den Hof geworfen. Zerfetzte und zerschlitzte Kleidung hing über den kläglichen Resten von Tischen und Truhen und bauschte sich im Wind. Ein Holzladen an mürben Lederangeln wurde vom Luftzug bewegt.

Sofort richteten sich die Blicke von Hallstrom, Frank Jaeger und Ben Crocker auf den Holzladen. Doch im Fensterloch zeigte sich niemand.

Nirgendwo gab es Anzeichen für menschliches Leben in dieser Schenke am Weg nach Brüssel.

„Lieber Himmel, was mag hier nur geschehen sein?“, murmelte der Professor. Zögernd trat er zwei Schritte tiefer in den Hof hinein.

Die Raben hüpften entrüstet vom Kadaver herunter und stolzierten an die Seitenwand der Schenke. Vor der Mauer aus Feldsteinen lagen zerfetzte Hühner und ein Hahn. Sie machten sich über das Federvieh her.

Ratten flüchteten in Mauerlöcher und lugten nach der Beute, die ihnen von den Raben streitig gemacht wurde.

„Heda, ist hier jemand?“, rief Hallstrom. Die unwirkliche Stille begann auf sein Gemüt zu wirken. Alles war so gespenstisch. Er machte noch zwei Schritte.

Aus dem Haus kam keine Antwort.

Nur der Holzladen knarrte entsetzlich, und aus den Mauerlöchern drang das schrille Fiepen der Ratten.

Frank Jaeger gefiel die Sache überhaupt nicht. Er starrte auf das Türloch der Schenke und die Fensterhöhlen. Er lauerte förmlich auf eine Bewegung.

Ein Windstoß fuhr in den Hof, bauschte die Kleiderfetzen, lüftete die Federn der Hennen und zerzauste das Gefieder der Raben. Aus dem kahlen Geäst der Eiche hinten im Hof erklang ein unwirkliches Winseln.

Ben Crocker merkte, dass sich seine Nackenhaare auf richteten.

„Mann, das zieht einem ja die Schuhe aus!“, sagte er polternd. „Die Leute müssen Hals über Kopf geflüchtet sein.“

„Sie hätten aber die Haustiere mitgenommen“, erwiderte Hallstrom. „Oder sie wären später zurückgekommen, um sie fortzuholen. Ein Schwein und ein paar Hühner stellen in diesem leer gefressenen Land ein sehr beträchtliches Vermögen dar.“

Während er das sagte, machte er wieder zwei Schritte.

Aber dann sagte er nichts mehr. Und er tat auch keinen weiteren Schritt.

Er sah die Muskete, die auf ihn gerichtet war.

Frank und Ben merkten, wie Hallstrom sich versteifte, wie er die Schultern etwas zusammenzog und den vorgesetzten Fuß langsam zurücknahm.

Blitzschnell musterten sie den hinteren Hof. Und da sahen auch sie den Musketenlauf, der genau auf den Kopf des Professors gerichtet war.

Für Hallstroms Wohlergehen hätte nur noch ein Lebensmüder die Hand ins Feuer gelegt.

2

Frank und Ben griffen gleichzeitig zur Lähmstrahlwaffe. Sie wussten, dass sie schneller waren als je zuvor.

Nur wussten sie nicht, ob das ausreichte und ob sie dem verborgenen Musketenschützen zuvorkamen. Der Kerl musste hinter dem Holzstapel sitzen, auf dem er die unhandliche Muskete in Stellung gebracht hatte. Zu sehen war er nicht. Aber zu treffen war er. Der Lähmstrahl durchdrang Holz mühelos und ohne Verzögerung.

Noch schneller als Frank und Ben reagierte diesmal Hallstrom. Sonst war er immer dafür, erst einmal abzuwarten und zu sehen, wie sich eine verfahrene Situation entwickelte.

Jetzt aber war er der schnellste Mann von allen. Er war nicht erpicht darauf, mit dem Musketenknall eine Bleikugel in den Kopf zu bekommen.

Hallstrom schnellte sich aus dem Stand nach vorne, kugelte sich in der Luft zusammen, überschlug sich am Boden zweimal und war vorerst aus der Schussrichtung.

Allerdings behinderte er jetzt Frank und Ben, denn er befand sich genau zwischen ihnen und dem Holzstapel.

Und nun richtete er sich auch noch keuchend auf und machte die Behinderung vollständig.

Frank atmete sehr flach, Ben fluchte unterdrückt.

Eine knotige Hand tauchte über dem Holz auf, packte die Muskete und hob sie mühsam herum. Es war eine sehr ungeübte Bewegung. Dann tauchte auch ein Haarbusch über dem klobigen Donnerrohr auf.

Es war wirres und ungepflegtes Haar. Stroh hing darin.

Ben wunderte sich, wie so viel Stroh in so wenig Haar hängen bleiben konnte. Denn der Haarbusch bedeckte offensichtlich nicht den ganzen Schädel des Burschen, der sich hinter dem Holz verborgen hielt. Er wirkte wie ein übrig gebliebenes Büschel, um das herum alles abgeschnitten war.

Jetzt wurde auch die Stirn sichtbar. Und ein Auge, das versuchte, über den Musketenlauf hinweg eine Peilung vorzunehmen.

Frank, der seinen Paralyzer schussbereit in der Hüfte hielt, zögerte absichtlich, den Kontakt auszulösen, als er die mühsamen Versuche des Unbekannten bemerkte, die Muskete neu auszurichten.

Ben machte rasch einen Schritt zur Seite, um den Mann besser sehen zu können und Hallstrom nicht zu gefährden, falls dieser eine hastige Bewegung machen sollte.

Der Kopf des Mannes hinter dem Holz kam höher, das Gesicht wurde sichtbar.

Verblüfft senkten Ben und Frank die Waffen, als sie die gewaltigen Anstrengungen des Mannes erkannten. Es war ein Mann, daran bestand kein Zweifel. Er war ein Greis mit mindestens tausend Runzeln im Gesicht und einer feuerroten Narbe, die sich von der linken Stirnecke über den Nasenrücken zum rechten Kinnwinkel hinzog. Und er hatte nur ein Auge.

Zur Verwunderung der Zeitreisenden versuchte er, ausgerechnet mit dem nicht vorhandenen Auge über den Musketenlauf hinwegzuschauen.

Die drei Männer aus einer anderen Zeit begriffen, dass dieser Greis des Schießens unkundig war und mit der Muskete überhaupt nicht umgehen konnte.

Mochte der Teufel wissen, wie er an die Waffe gekommen war und wie er sie hierher zu dieser Schenke gebracht hatte. Überall streiften die Horden der Spanier herum, die Tercios, die Söldner des spanischen Königs Philipp II., die mächtig aufpassten, dass die Bewohner der spanischen Niederlande sich nicht mit Kriegsgerät versorgten und es auch benützten.

„He, Bursche, schieß uns nur nicht aus Versehen den Kopf herunter!“, rief Ben und trat schnell nach vorn. Er stellte sich neben Hallstrom und hob die Hände bis in Schulterhöhe, um seine friedliche Absicht zu unterstreichen.

Der Greis scherte sich nicht darum. Entweder war er schwerhörig oder er traute den Friedensbekundungen nicht. Er brachte auch seine rechte Hand ins Blickfeld der Zeitreisenden, die ebenso knotig und ungelenk war wie die linke.

Ben begann zu grinsen, was Hallstrom sehr verdrießlich stimmte, weil er genau in diesem Augenblick hersah und es bemerkte. Ein Treffer aus einer Muskete war keine Kleinigkeit. Eine Kugel aus so einem Rohr hatte ein unverschämtes Kaliber und war in der Lage, einem Ochsen den Schädel platzen zu lassen. Und Ben grinste.

„Sie haben Nerven!“, knurrte Hallstrom ergrimmt.

Ben zeigte sich nicht beeindruckt. Er machte mit seinen noch immer erhobenen Händen eine knappe Bewegung zu dem Greis hinter dem Holzstapel hin.

„Es ist eine Luntenmuskete“, sagte er aufgeräumt. „Aber der alte Mann hat keine brennende Lunte zur Hand. Vielleicht ist er nicht ganz richtig im Kopf!“

„Und wenn’s eine Feuersteinwaffe ist und ein Schuss losdonnert, sind wir die Angeschmierten“, erwiderte Hallstrom. Die Anspannung ließ seine Stimme heiser klingen.

Ben wandte nicht eine Sekunde lang den Blick von dem Greis. Überraschen lassen wollte er sich nicht. Vielleicht war der alte Mann besser, als es den Anschein hatte.

Der Greis hatte erhebliche Mühe, überhaupt die knotigen Finger zu krümmen und die gewichtige Waffe richtig zu packen. Ben deutete die Verdickungen an den Fingergelenken als Gichtknoten.

Der Alte grinste jetzt. Die Narbe quer über seinem Gesicht verschob sich, die blutarmen Lippen inmitten des Stoppelbartes klafften auseinander und ließen Ben, Hallstrom und Frank erkennen, dass er nicht einen Zahn mehr im Munde hatte.

Das runzlige Gesicht verzerrte sich zu einer furchterregenden Grimasse.

Dann brabbelte der Mann los. Doch die auf Betrieb geschalteten Sprachtransformer der Zeitreisenden produzierten nur eine Folge von Tönen. Einen Sinn ergaben sie nicht und ein verständliches Wort auch nicht.

„Wir sind friedliche Reisende auf dem Weg nach Brüssel“, sagte Ben langsam und deutlich, einen neuen Verständigungsversuch unternehmend.

Unwillig brummte der Alte. Er schüttelte den Kopf, dass Strohhalme aus seinem Haarbüschel flogen, und er zerrte unverdrossen an der Muskete herum.

Aus den Augenwinkeln gewahrte Ben eine Bewegung, die anders war als das Wedeln der zerfetzten Kleidungsstücke und das Flattern der Hühnerfedern und Rabengefieder. An der hinteren Ecke der Schenke war etwas, dicht bei den zertrampelten Bienenstöcken, die man aus Stroh geflochten hatte.

Ruckartig wandte Ben den Kopf.

Der Wind blies gegen die derbe Kleidung einer drallen jungen Frau und presste ihr den Rock, die Bluse und ein dick wollenes Schultertuch derart gegen den Körper, dass sich die ordentlichen Rundungen deutlich hervorhoben.

Ben schmunzelte. Hier war alles richtig und ordentlich an seinem Platz.

Der Rock reichte fast bis auf die Knöchel. Unterhalb des Saumes waren wollene Socken auszumachen; die Füße steckten in grob gehauenen Holzschuhen mit leicht hochgezogener Spitze.

Eine junge Frau oder ein Mädchen um die zwanzig, taxierte Ben vorsichtig. Er hatte noch nie besonders gut geschätzt, wenn es darum ging, das Lebensalter einer Frau nur annähernd zu bestimmen.

Der kalte Wind aus Westen presste wieder die Kleidung an den Körper der Frau.

Doch sie fröstelte nicht. Sie hatte ein Stück Tuch muffartig zusammengerollt und die Hände rechts und links hineingesteckt. Nur ihr pausbäckiges Gesicht war gerötet und verriet die Kälte, die der Wind mitbrachte.

Alles an dieser jungen Frau war derb - die Kleidung, die dralle Figur, das Gesicht, sogar die Frisur, die unter einer beschmutzten Tuchhaube hervorlugte.

Vielleicht die Wirtsfrau aus dieser Schenke, dachte Ben. Oder die Tochter der Wirtsleute. Sie kann aber auch von einem Hof hier herum stammen. Bloß haben wir seit unserer Ankunft noch keinen Hof zu Gesicht bekommen. Nur diese verwüstete Schenke hier, die wie eine Insel in einem winterlichen Land auf uns gewirkt hat.

Die Augen der jungen Frau passten nicht recht in das Gesicht, sie passten nicht einmal zu der ganzen Erscheinung. Sie hatten einen bäuerlich listigen Ausdruck.

Ben probierte es mit einem freundlichen Lächeln. Er behielt die Hände oben in Schulterhöhe, machte mit dem Kopf eine bezeichnende Bewegung zu dem Alten hinter dem Holzstoß und der Muskete hin und sagte: „Wir sind ganz zufällig hier in den Hof geraten, aber er hat wohl etwas gegen uns und hantiert mit dem Feuerrohr herum. Vielleicht versteht er uns nicht. Kannst du ihm sagen oder klarmachen, dass wir nichts von ihm wollen?“

Er wartete gespannt auf die Wirkung seiner Worte, bis er begriff, dass das Zuwarten Zeitverschwendung war. Sein Sprachtransformer hatte keine Anhaltspunkte für die Sprache dieser Leute und konnte demzufolge auch nicht übersetzen.

Wenn die junge Frau auch die Worte nicht verstand, immerhin begriff sie aber, dass die Stimme freundlich und gut klang. Zutrauen aber fasste sie darum noch lange nicht.

Sie stieß geradezu aufsässig die Hände tiefer in die Stoffrolle hinein, schürzte die Lippen und sagte, und jetzt sprachen alle drei Sprachtransformer sofort an: „Wir sahen euch auf dem Weg kommen und hofften, ihr würdet die Schritte vorbeilenken.“

„Nun, das ist eine Schenke. Wir hofften auf eine Erfrischung“, sagte Ben und nahm langsam die Arme herunter. Die Haltung begann ungemütlich zu werden.

Die junge Frau studierte die Kleidung der drei Fremden, die weit besser war als das, was sie selber auf dem Leib trug. Hallstrom hatte vor dem Zeitsprung eingehend zeitgenössische Bilder studiert und danach Kleidung anfertigen lassen.

Sie musste eine Spur zu gut und zu vornehm ausgefallen sein. Jedenfalls ließen die Blicke der jungen Frau diesen Schluss zu.

Um das vorhandene Misstrauen zu zerstreuen, zeigte Ben auf den gesprungenen Henkelkrug aus Ton, der auf einen derben Stock gesteckt war und oben neben den Taubenkästen am Giebel aus einem kleinen Fensterloch ragte.

Die Frau nickte, aber dann sagte sie: „Das war eine Schenke. Man nannte sie das 'Silberne Hufeisen'. Das war, bevor die dreimal verfluchten Spanier vor einer Woche herkamen und den calvinistischen Prediger fanden, der sich in einem leeren Bienenkorb versteckt hatte. Sie haben alle umgebracht.“

„Wen alles?“, fragte Ben, der nun zu verstehen begann.

„Die Wirtsleute, das Gesinde, den Prediger. Sogar das Vieh haben sie abgestochen. Sie lassen uns nichts. Wir leben schlimmer als die Tiere im Feld.“ Wieder schürzte sie die Lippen.

Aus Franks Richtung hörte Ben einen schnappenden Atemzug. Sofort schaute er zum Holzstapel hin.

Dem Alten war es endlich gelungen, die Muskete in die neue Richtung zu dirigieren. Wenn er jetzt allerdings losballerte, traf er niemand. Der Lauf zeigte zwischen Hallstrom und Frank durch hinaus ins Land.

Vielleicht versprach sich der Greis von dieser Demonstration seines Mutes eine mehr moralische Wirkung denn eine effektive.

Die junge Frau war Bens Blickrichtung gefolgt. Sie lächelte fast mitleidig und machte plötzlich ein paar Schritte von der Hausecke weg.

Sofort sah der Greis zu ihr hin. Sie zog die linke Hand aus ihrem Stoffmuff und winkte besänftigend.

Ben hoffte, dass es ihr gelang, den streitbaren Großvater zu beschwichtigen.

Die Wirkung der Handbewegung war überwältigend.

Das Bartgestrüpp des Alten klaffte auseinander, ein meckerndes Lachen drang aus dem zahnlosen Mund, und dann war in den Augen des Mannes nur noch Ergebenheit, ja geradezu hündische Unterwürfigkeit zu lesen. Vor dieser jungen Frau hatte er offensichtlich einen gewaltigen Respekt. Oder er verehrte sie über die Maßen.

Jedenfalls begann er nach seinem merkwürdigen Gelächter an der Muskete zu zerren, bis er die klobige Waffe vom Stapel herunter hatte. An seinen Bewegungen war zu erkennen, dass er sie dort gegen das Holz lehnte. Schließlich kam er hinter seiner Deckung hervor.

Er humpelte, als ginge er auf Kieselsteinen oder rohen Eiern. Dazu kam noch ein watschelnder Entengang.

In unterwürfiger Haltung näherte der Greis sich der jungen Frau, zeigte dann auf die drei Zeitreisenden und machte eine Bewegung um den Hals, die überall auf der Welt als das Zeichen für Hängen verstanden wird.

Etwas entrüstet betrachteten die Zeitreisenden den Kerl, der völlig zerlumpt war und dessen Kleidung überwiegend aus Löchern bestand, die von ein paar kläglichen Fetzen Stoff zusammengehalten wurden. Schuhe besaß er überhaupt keine. Er hatte schmutzige Lappen um die Füße gewickelt. Darum wohl ging er so seltsam.

Zum Teufel, sie hatten diesem seltsamen Menschen doch nichts getan! Wie kam er dann dazu, das Zeichen fürs Aufhängen zu machen und zu ihnen herüberzuzeigen?

Die junge Frau schüttelte den Kopf, dass die Tuchhaube verrutschte. Sie sah den Unwillen und das Befremden im Gesicht der drei Männer und sagte an sie gewandt: „Das ist Henk, mein Bruder. Er hat früher einem Hugenottenprediger den Hof umgetrieben und das Haus und die Kirche in Ordnung gehalten,“

„Dein Bruder?“, fragte Ben. Er hatte es gehört, aber er wollte es nicht glauben. Dieses dralle junge Weib und der steinalte runzlige Greis sollten Geschwister sein?

Er konnte sich das nicht vorstellen. Da lagen ja fast zwei Generationen dazwischen.

„Mein Bruder“, sagte die junge Frau nachdrücklich. Und dann fügte sie mit sehr viel Trotz in der Stimme hinzu:

„Eines Tages kamen die spanischen Blutsauger und suchten einen Kirchenschatz, den es nicht gab. Der Vogt unseres Dorfes machte gemeinsame Sache mit ihnen, weil er auf gute Belohnung hoffte.“

„Aber den Schatz gab es gar nicht?“, fragte Ben begierig, als die Frau schwieg.

Sie nickte fast geistesabwesend und schaute, als könnte sie durch ihn hindurchblicken.

„Der Vogt hatte es beschworen, also suchten sie unermüdlich. Zwei Tage lang. Sie brannten fast alle Häuser ab und verbannten die Leute aus der Grafschaft bei Strafe für Leib und Leben auf zehn Jahre. Den Prediger hängten sie an den Daumen an seiner Glocke auf, und als es nicht half und ihm das Versteck des Kirchenschatzes nicht einfallen wollte, banden sie ihn mit den Füßen nach oben an der Glocke fest und läuterten sie, bis ihm der Kopf platzte vom Blut. Henk aber nahmen sie nach Brüssel mit, damit er bei der scharfen Folter gestehen sollte, dem falschen Glauben anzuhängen, einem Hugenottenketzer gedient und diesem geholfen zu haben, den Schatz an einem geheimen Ort zu versenken. Sie behielten ihn ein paar Wochen im Kerker in Brüssel und konnten nichts aus ihm herauspressen, und darum schickten sie ihn bald auf einem Sünderkarren nach Malines, wo er beim langsamen Feuer auf dem Platz verbrannt werden sollte. Wir hörten von dieser Reise und ließen den Karren eine schlechte Fahrt machen.“

„Ich verstehe, ihr habt ihn befreit“, sagte Ben.

„Um den Preis von vier guten Männern“, erklärte sie heftig. „Dafür erschlugen wir einen spanischen Hauptmann und einen kastilischen Reiter und gewannen zwei Pferde, Waffen und eine Muskete, einen Ochsenkarren samt einem armen Narren, der ihn fuhr, und meinen Bruder samt zwei anderen Sündern, die mit ihm verbrannt werden sollten. Einer starb uns unter den Händen, der andere wurde vom Pferd des Hauptmanns zu Tode getreten. Nur Henk blieb uns. Er war in den wenigen Wochen ein alter Krüppel geworden. Da, seht!“

Sie riss auch die andere Hand aus dem Stoffmuff, trat hart an ihren Bruder heran und öffnete ihm gewaltsam den Mund.

„Sie haben ihm alle Zähne ausgebrochen. Und hier - die Finger haben sie ihm zerquetscht und zerschlagen, dass sie kaum noch zusammenwuchsen und ewig steif bleiben werden. Und die Füße haben sie ihm verkrüppelt! Ja - sie haben allerlei Mittel, um einem Menschen seine Geheimnisse zu entlocken, wenn er welche hat. Sie bringen sogar das Kunststück fertig, dass die Leute Ketzereien gestehen, die sie nicht begangen haben.“

Sie ließ von ihrem bedauernswerten Bruder ab und fauchte: „Henk haben sie die spanischen Schuhe angezogen. Die kennt ihr nicht? Nun, dann lasst euch nicht einfallen, begierig darauf zu sein, sie auszuprobieren. Es sind eiserne Stiefel, in die sie die Füße eines Ketzers stecken und dann an ein Feuer rücken. Fast jeder verliert darüber den Verstand - wie Henk. Er vertraut nur denen, an die er sich erinnern kann und die noch leben. Jeden Fremden aber hält er für einen Spanier. Ihr seid keine, darum lasse ich euch mit dem Leben davonkommen.“

Hallstrom, Frank und Ben horchten auf.

Das Schicksal Henks war schrecklich und grausam, aber nicht rückgängig zu machen. Die junge Frau trat sehr selbstbewusst und sicher auf. Aus ihren Worten hatten die Zeitreisenden schon geschlossen, dass sie wohl zu einer größeren Gruppe von Leuten gehörte, die aus dem Dorf vertrieben worden waren. Nun aber klang es gerade so, als befehlige die Frau diesen Haufen.

Mit einer streitbaren Amazone in den spanischen Niederlanden hatten die Zeitreisenden am allerwenigsten gerechnet. Schon gar nicht mit einer, die wie ein dralles Bauernmädchen aussah und es wohl auch war, die aber mit der Selbstüberheblichkeit eines Grafen über Wohl und Wehe anderer Leute entschied und großzügig das Leben schenken konnte.

„Sehr großzügig“, sagte Ben mit beißendem Spott und deutete eine Verbeugung vor der jungen Frau an. „Im Allgemeinen bestimmen wir aber selber über unser Leben. Ich bewundere den Scharfblick deiner Augen, denn wir sind in der Tat keine Spanier.“

Sie warf die Lippen auf und stieß die Hände in den Muff zurück.

„Vielleicht Engländer?“, fragte Sie, und mehr zu sich selbst sagte sie: „Das mag schon eher stimmen. Vielleicht habe ich dich darum nicht gleich verstanden.“

Hallstrom sah, dass sich die Lage zu ihren Gunsten zu entwickeln begann. Diese Frau schien von vielen Dingen, die in diesem Lande vorgingen, mehr als nur eine schwache Ahnung zu haben. Eine einmalige Chance, fand er, die so bald nicht wiederkommen würde.

„Wir sind in der Tat Engländer“, sagte er darum eifrig und bemühte sich, seinem Gesicht auch einen freundlichen Ausdruck zu verleihen.

„Bringt ihr Geld oder Nachricht?“, fragte die Frau keck und mit einem lauernden Ausdruck in den Augen.

„Leider weder das eine noch das andere“, sagte Hallstrom und machte eine bedauernde Geste. „Wir gerieten mit unserem Segler in widrige Winde und einem spanischen Kriegsschiff genau unter die Kanonen. Mit Mühe setzten wir unser sinkendes Schiff auf den Strand und retteten gerade das Leben und das, was wir auf dem Leib tragen und du zu sehen vermagst.“

Das dralle Weib schaute ihn durchbohrend an.

Wenn ich abergläubisch wäre, würde ich sagen, sie hat Hexenaugen, dachte Ben. Vielleicht ist das der böse Blick, von dem immer gefaselt wird. Jedenfalls ist es ein ganz besonderer Blick. Verfluchtes Kanonenrohr, warum hat sie eigentlich keine Angst vor uns? Wir sind zu dritt, und sie ist allein, denn auf ihren Bruder kann sie doch niemals zählen! Was gibt ihr bloß diese Sicherheit, dass sie mit uns umspringt, als seien wir Bauern und müssten für unseren Leibherrn die Rüben auf dem Feld zählen, damit später auch richtig abgeliefert wird?

Die junge Frau schien durch die eingehende Musterung Hallstroms nicht schlauer geworden zu sein, denn jetzt sprach sie: „Du sprichst unsere Sprache so, wie ich sie nie zuvor aus dem Munde eines Engländers hörte. Erkläre mir das!“

„Nichts leichter als das“, sagte Hallstrom. Im Stillen aber dachte er: Verflixtes Luder, du bist mit allen Wassern gewaschen und mit allen Mixturen gesalbt, dass du sogar die Flöhe husten hörst! Laut fuhr er fort: „Im Handelshaus meines Oheims ist ein Mann aus diesem Land tätig, er nennt sich Willem Bloemendaal, und vielleicht kennst du ihn. Von ihm erlernten wir deine Sprache.“

„Ich kenne ihn nicht, und wenn er fortgegangen und nach England gesegelt ist, so soll er meinetwegen dort bleiben“, erwiderte sie heftig. „Macht euch jetzt davon! Folgt immer dem Weg, und ihr werdet bald einen Marktflecken sehen. Das ist Malines. Macht besser einen Bogen darum herum und bittet auf einem Hof um Quartier und Speise. Denn man sagt, der Boden im Dorf ist sehr heiß von den vielen Scheiterhaufen, auf denen man die armen Sünder verbrennt. Leicht könntet ihr als Ketzer entdeckt und zum langsamen Feuer verurteilt werden.“

„Wir sind keine Ketzer!“, entrüstete sich Hallstrom. „Wer das behauptet, der ist ein Lügner.“

„Oder ein Schelm, der sich eine Belohnung verdient“, sagte die Frau. „England hat sich, glaube ich, lange vom katholischen Glauben losgesagt, also seid ihr Ketzer. Es ist ja auch nicht wichtig, ob ihr welche seid oder nicht. Es reicht, wenn sich jemand findet und sagt, er hätte euch anders beten hören. Haltet euch vom Dorf fern, und wenn ihr an ein Haus kommt und um Einlass bittet, sagt einfach, die dulle Griet schickt euch.“

„Dulle Griet?“, fragte Hallstrom. Das hieß ungefähr so viel wie tolle oder verrückte Grete. „Wer ist das?“

„Das bin ich“, sagte die dralle junge Frau. „Nennt den Namen aber nicht, wenn Spanier zuhören. Es möchte euch schlecht bekommen. Und jetzt geht!“ Sie war unruhig geworden.

Ihr ungeduldiges Drängen erregte Bens Verdacht. Er wäre gerne geblieben, um zu sehen, was die Frau dann anstellen mochte, um sie vom Hof der Schenke zu vertreiben.

Hallstrom aber war nicht geneigt, die Sache auf die Spitze zu treiben. Vielleicht rechnete er mit der Möglichkeit, dass noch irgendwo ein Mann mit einer Muskete hockte und nicht ganz vom Verstand gekommen war wie der unglückliche Henk, der ohne Lunte ein Feuerrohr losdonnern lassen wollte.

3

Als die drei Zeitreisenden eine Steinwurf weit entfernt waren und Ben immer drohender knurrte, drehte Hallstrom sich um.

„So ähnlich habe ich mir das auch vorgestellt“, sagte er. Ben und Frank blieben stehen und blickten zurück.

Um die Schenke herum wimmelten Leute, die abenteuerlich bewaffnet waren. Sie suchten in aller Hast durch das Türloch zu kommen. Einige trugen Wolfsspieße, andere Hellebarden, die verteufelt nach spanischer Arbeit aussahen. Einer hatte sogar eine spanische Sturmhaube auf und einen Brustharnisch angelegt.

Die dulle Griet stand mitten im Hof und dirigierte kaltblütig und wohlüberlegt die Männer. Etliche verbargen sich bei den zertretenen Bienenkörben, und zwei tauchten hinter dem Holzstapel unter, an dem sich Henk so sehr mit der schweren Muskete abgemüht hatte.

Ben nickte trübsinnig und sagte: „Darum also war sie so selbstsicher. Mit dieser Bande im Hintergrund konnte sie sich freilich aufführen, als gehörte halb Flandern ihr. Die Burschen hätten uns zu Putzlappen verarbeitet, bevor wir richtig begriffen hätten, was eigentlich los ist.“

„Ausdrücke haben Sie!“, muffelte Hallstrom. „Und was heißt da Bande? Das ist nichts als ein hässlicher Verdacht!“

„So?“, machte Ben. „Dann schauen Sie mal den Weg entlang nach Westen. Wenn mir meine Augen keinen argen Streich spielen und das Nachmittagslicht keine Halluzinationen erzeugt, dann möchte ich sagen, dass dort hinten eine Kutsche unter starker Bedeckung heranschaukelt. O Mann, auf die hat es dieses Frauenzimmer mit ihrer Räuberbande abgesehen! Darum wurde sie sichtlich nervös und setzte alles dran, um uns fortzuschicken.“

Hallstrom und Frank beobachteten die von Ben entdeckte Kutsche und die Eskorte.

„Spanier!“, bemerkte Hallstrom. „Ich kann die typischen Sturmhauben und die Hellebarden erkennen. Was machen wir jetzt? Bleiben wir auf dem Weg, und der Überfall der Frau schlägt fehl, dann haben wir die Spanier auf dem Hals, und ihre Wut dürfte recht groß sein. Sie könnten auf den Gedanken kommen, ihr Mütchen an uns zu kühlen. Und wenn wir bleiben und zusehen, könnte die dulle Griet in uns unerwünschte Zeugen sehen. Sehr zimperlich scheint man hier nicht mit Menschenleben umzuspringen. Ich bin dafür, dass wir uns rasch absetzen und irgendwo Unterschlupf suchen.“

Ben wandte den Kopf und betrachtete den Weg, der vor ihnen lag. Irgendwo hinter dem Horizont musste dieses unselige Malines liegen. Das flache Land sah nicht so aus, als biete es ein Versteck. Es gab nicht einmal einen Wassergraben oder ein paar Schilfbüschel. Und auf den Feldern wuchs um diese Jahreszeit auch nichts, in dem man sich hätte verbergen können.

„In solchen Augenblicken wünscht man sich, eine Maus zu sein“, sinnierte Ben. „Die Tierchen brauchen bloß in ein Loch zu sausen und sind von der Bildfläche verschwunden. Im Übrigen nützt es verdammt wenig, ob wir Fersengeld geben oder bleiben. Die Kutsche macht eine Affenfahrt. Sie ist schneller als wir.“

„Ich bin ebenfalls dafür, dass wir bleiben“, sagte Frank.

Hallstrom verdrehte erst die Augen und schickte dann einen anklagenden Blick zum Himmel. Von oben wurde ihm jedoch keine Hilfe zuteil, und die große Erleuchtung kam auch nicht über seine beiden Gefährten.

„Dann steht wenigstens nicht herum wie die Ölgötzen!“, schimpfte er. „Verkrümelt euch vom Weg und macht euch so klein, als hänge unser Leben davon ab. Vielleicht hängt es nämlich wirklich davon ab. Da hinten bei der Schenke braucht nur eine Winzigkeit schiefzulaufen, und schon stecken wir bis zu den Ohren mit drin.“

„Richtig“, pflichtete Ben ihm bei. „Mitgefangen - mitgehangen.“

Hallstrom versuchte, ihn mit Blicken zu erdolchen. Doch die glitten an Bens dickem Fell ab. Wenn vom Hängen die Rede war, begann der Professor empfindlich zu reagieren. Er wurde jedes Mal an eine Zeitreise erinnert, bei der er um ein Haar in einem Landsknechtslager an einem Galgen geendet hätte.

Er konnte sich nicht verkneifen, voller Grimm zu Ben zu sagen: „Wenn es so weit ist, überlasse ich Ihnen gerne den Vortritt. Ich bin ein höflicher Mensch.“

In diesem Augenblick bezweifelte Ben dies nachdrücklich. Er schwieg jedoch und suchte sich eine Vertiefung im Gelände, in die er mit seiner imponierenden Figur hineinpassen mochte.

Frank war schon in einer vergrasten Ackerfurche untergekommen. Das Wintergras verhinderte, dass er im feuchten Erdreich einsank.

Hallstrom hatte es weniger gut getroffen. Er stakste mit raumgreifenden Schritten in den Acker hinein, weil er einen kniehohen verrotteten Strohhaufen entdeckt hatte und diesen Platz für günstig hielt.

Er kam gar nicht zu seinem Ziel. Das feuchte Ackerland klumpte immer mehr an Seinen Stiefeln. Das Gewicht war kaum noch zu schaffen. Hallstrom schleppte beinahe einen halben Ar Land mit sich herum.

Fluchend gab er seine Bemühungen auf und blieb resignierend stehen. Der Rückweg auf sicheren Untergrund erschien ihm wie eine tagesfüllende Beschäftigung.

„Wenn Sie jetzt noch die Arme nach der Seite strecken, nehmen alle Vögel Reißaus!“, stichelte Ben. Er kauerte in seiner feuchten Kuhle und grinste anzüglich.

Hallstrom zwang sich gewaltsam zur Ruhe. „Es kann nicht nur solche rohen Menschen wie Sie geben“, meinte er ergeben. „Manche sind vom Schicksal dazu ausersehen, vorübergehend als Vogelscheuche zu wirken.“

In krassem Gegensatz zu seinen sehr milden Worten standen seine zornigen Bewegungen, als er abwechselnd die Beine nach vorne schleuderte und faustgroße Erdklumpen von den Stiefeln flogen.

Nur sauste der Dreck nicht bis zu Ben hinüber. Hallstrom bedauerte das außerordentlich.

Im nächsten Augenblick stand er steif und starr. Der Wind brachte Pferdegetrappel und das Rollen von Kutschenrädern mit. Eisen klirrte.

Die Spanier kamen!

Hastig schaute der Professor zur Schenke hinüber, während er sich aus Leibeskräften abstrampelte, um dem Ackergrund zu entrinnen.

Die dulle Griet musste den Teufel im Leib haben. Und die Männer, die sie dort in der Schenke und im Hof versteckt hatte, standen ihr darin nicht nach.

Die bedeckte Kutsche befand sich gerade auf der Höhe des Hauses, als sich aus dem Hof ein gellender Pfiff in das Räderrollen und Pferdegetrappel, in das Eisenklirren und Lederknarren mischte.

Hallstrom vergaß, sich auf solideren Untergrund zu retten. Fasziniert und bestürzt zugleich beobachtete er, wie aus den Fensterhöhlen und dem Türloch die Männer quollen, die sich dort eben erst verborgen hatten.

Blitzschnell blockierten sie den Weg.

Allerdings stellten sie sich, wie es aussah, sehr ungeschickt an. Denn sie gaben der Eskorte und der Kutsche Gelegenheit, sich in den Hof der Schenke zu retten.

Das war reine Absicht. Nur merkten das die Spanier zu spät.

Dass sie in der Falle saßen, sahen sie erst, als hinter den Bienenkörben und dem Holzstapel ebenfalls Leute auftauchten und sie mit Wolfsspießen, dreizinkigen Gabeln und hochgestellten Sensen angriffen.

Zwar versuchte die Eskorte, hinten zum Hof hinaus durchzubrechen. Doch rannten die ersten Pferde und Reiter mitten in die Sensen und Spieße hinein.

Der Ausbruch misslang.

Und der Rückweg war jetzt durch die Männer versperrt, die den Weg blockiert hatten.

Dröhnend knallte ein Musketenschuss. Eine gewaltige weiße Pulverdampfwolke stand im Hof und versperrte Freund und Feind die Sicht, ehe ein kräftiger Windstoß das Gewölk zerteilte.

Die Kugel hatte ein Pferd aus dem Kutschenvorspann umgestoßen. Die drei übrig gebliebenen Gäule scheuten, stiegen und keilten und rissen die Deichsel ab.

Die Kutsche drohte umzustürzen, während das flüchtende Gespann mitten in die schon demolierten Bienenkörbe hineinraste und dort ein paar Männer unter die Hufe nahm. Das tote Pferd wurde mitgeschleift und blieb endlich mit gerissenem Geschirr liegen.

Aus der Kutsche, die zwar auf den Rädern blieb, aber immer noch gefährlich schaukelte, patschten drei Pistolenschüsse. Der Rauch hüllte fast gänzlich den Reisewagen ein.

Die Falle der niederländischen Räuber oder Wegelagerer oder was immer sie darstellten, war zwar zugeschlagen, sie erwies sich indes als nicht stabil genug.

Die Eskorte sammelte sich um die Kutsche, ehe die Männer der dullen Griet einen Einschließungsring bilden konnten.

Hallstrom, Ben und Frank konnten erkennen, wie ein Teil der Spanier mit Degen, Schwertern, Spießen und Hellebarden die anrennenden Niederländer abwehrte und die übrigen die Insassen der Kutsche bargen und zu sich aufs Pferd nahmen. Einer der Reiter bemühte sich sogar, eine kleine Truhe hinten an der Kutsche loszubinden.

Ein Niederländer schlug wütend mit seiner Sense zu und trennte dem Reiter die rechte Hand vom Arm.

Aufbrüllend sank der Spanier auf den Pferdehals.

Sofort waren zwei andere neben ihm und bemühten sich, diese Truhe zu retten.

Die Niederländer versuchten ihrerseits auch, die Truhe zu erbeuten.

Stirnrunzelnd beobachtete Hallstrom, wie um diese kleine Reisekiste ein erbitterter Kampf entbrannte. Die dulle Griet musste über vorzügliche Informationsquellen verfügen, denn wahrscheinlich enthielt die Truhe Geld. Was wäre auch wertvoller gewesen als ein Kasten voller Gold und Silbermünzen, das einen solchen Einsatz rechtfertigte?

Vielleicht war es Geld für die Kriegskasse des Herzogs Alba, der in Brüssel als Statthalter der spanischen Niederlande residierte und das Volk drangsalierte.

Die geknechteten Niederländer konnten dieses Geld viel nötiger gebrauchen. Erstens schadeten sie damit den Spaniern, wenn sie es ihnen wegnahmen, und zweitens nützte es ihnen und half, die drückenden Steuerlasten besser zu ertragen, die vom Statthalter auferlegt worden waren.

Die Spanier bei der Kutsche gerieten unversehens ins Hintertreffen, als es drei Männern der dullen Griet gelang, auf das Dach der Kutsche zu steigen und von dort aus zwei Spanier von den Pferden zu stechen.

Aus der Kutsche war ein schwarzgekleideter Mann gerettet worden, der durch seinen gefalteten zylinderartigen Hut mit ganz kleiner Krempe besonders auffiel. Der Mann sah wohl sein letztes Stündlein kommen und brüllte aus Leibeskräften. Dabei klammerte er sich an der Mähne des Pferdes fest, auf das ihn ein Reiter der Eskorte gezogen hatte. Sehr mutig wirkte er nicht, und überdies hockte er auf dem Gaul wie der Affe auf dem Schleifstein.

Er brüllte unverständliche Befehle.

Sofort scharte sich die Eskorte enger um ihn. Man ließ von der Truhe ab und gab sie als Beute in die Hand der Niederländer, die sofort den Kasten an sich brachten.

Während die drei durchgehenden Gespannpferde schon hinten über die zerstampften Äcker jagten, überrannte die Eskorte eine kleine Gruppe, die die Gefahr erkannt hatte und gerade im Begriffe stand, den Hof zum Weg hin abzuriegeln.

Vier, fünf Männer wurden niedergestochen, zwei zu Boden geritten, die anderen sprangen beiseite.

Zwei Spanier stürzten, ein Pferd bekam einen Wolfsspieß in die Brust und überschlug sich. Es stürzte auf einen Mann der dullen Griet. Hallstrom bildete sich ein, das Brechen der Knochen dieses Mannes hören zu können.

Im nächsten Augenblick waren die Spanier durch.

Sie gelangten auf den Weg und jagten kaum fünf Spießlängen entfernt an den Zeitreisenden vorbei.

Der Mann mit dem gefalteten schwarzen Zylinder schaute finster herüber. Es war zu erkennen, dass er sich jede Einzelheit merkte und einprägte.

Hinter ihm jagte jener Reiter, der die rechte Hand eingebüßt hatte. Der Bursche war zäh wie Leder und hart wie das Eisen seines geschwungenen Helmes. Er band gerade einen Fetzen Tuch über den Stumpf, aus dem das Blut spritzte. Sein Gesicht war leichenfahl, aber seine Augen funkelten fanatisch.

Der Boden dröhnte, Erdklumpen flogen von den Hufen der Pferde hoch. Wie die wilde Jagd, der der Teufel im Genick sitzt, brauste die gewaltig zusammengeschrumpfte Eskorte vorbei und ritt in Richtung Malines davon.

„Mann o Mann!“, sagte Ben heiser und erhob sich. „Wir wären um ein Haar in die Sache hineingeraten.“

Frank kam aus seiner vergrasten Ackerfurche hoch und schlenkerte Erde von den Händen.

„Ich schätze eher, wir stecken mittendrin“. sagte er. „Dieser Kerl mit dem lächerlichen Hut schaute mich an, als könnte er mich schon auf dem Scheiterhaufen sehen.“

Hallstrom hatte alles gehört und stapfte schnaufend auf den Weg. Er trat die Erde von den Stiefeln und meinte: „Es war kein guter Einfall, in den Hof dieser Landschenke zu gehen. Die Spanier haben uns gesehen. Sie werden uns dieser Räuberbande zurechnen. Wir können die Sache drehen und wenden, wie wir wollen - der Schein spricht gegen uns. Am besten wird es sein, wir schließen uns diesem streitbaren Frauenzimmer an!“

4

Da kamen sie böse an.

„Nichts da, ihr traurigen Schelme!“, schimpfte die dulle Griet. „Geht nach England zurück oder meinetwegen zur Hölle! Ich kann euch nicht gebrauchen, denn ihr seid zu nichts nütze.“

Die Zeitreisenden begriffen, dass sie nur als lästige Fremde angesehen wurden. Bei den Spaniern konnten sie nach diesem Vorfall auch nicht ankommen.

Sie waren ohne eigenes Zutun zwischen zwei Stühle geraten, und das war ein denkbar ungemütlicher Platz.

Hallstrom verlegte sich zwar aufs Verhandeln und betonte, sie würden hier keinen Menschen kennen, und es wäre darum nur gerecht, wenn sie sich den Niederländern anschließen dürften.

Ein griesgrämig dreinblickender Bursche, so eine Art Unterführer der dullen Griet, hörte sich das an, zog aber plötzlich sein Messer aus dem Gürtel, prüfte mit der Daumenkuppe die Schärfe der Schneide und schaute dabei begehrlich auf Hallstroms Hals.

Ben nahm vorsorglich Maß und er rechnete, dass er einen blitzschnell geschlagenen und aus der Schulter kommenden Hieb bringen musste, um dem Kerl mit dem Messer die Lust auf Hallstroms Hals auszutreiben und ihn dazu noch über den halben Hof fliegen zu lassen.

Bevor es jedoch in dieser Art zu einem Messen der Körperkräfte kam, schleppten die Leute der jungen Frau die erbeutete Reisetruhe herbei, zerschlugen die Eisenbänder und Riegel und zertrümmerten auch noch den Deckel, als dieser klemmte und sich nicht hochheben lassen wollte.

Der griesgrämige Bursche steckte sein Messer fort, die dulle Griet beugte sich erwartungsvoll vor, und jetzt war sogar Habgier in ihrem Blick.

Die übrigen Männer, die damit beschäftigt waren, die spanische Kutsche auszuplündern und sogar die Innenverkleidung herausrissen, die die erschlagenen oder erstochenen Eskortereiter bis auf die Haut ausraubten und sich in die Kleidung der Toten zu zwängen versuchten, kamen herbei und scharten sich um Griet und die aufgebrochene Reisekiste.

Die Frau griff mit beiden Händen in die Truhe. Erwartungsvolle Stille breitete sich aus. Jeder hoffte wohl, sogleich das liebliche Klingeln von Münzen zu hören.

Die dulle Griet stieß einen sehr undamenhaften Fluch aus und brachte lediglich zwei versiegelte Briefe aus braunem Papier ans Tageslicht. Achtlos warf sie diese beiseite und griff erneut hinein.

Aber da war nichts mehr in der Truhe.

Sie gab dem nutzlos gewordenen Kasten einen Tritt, dass er umstürzte und auf der Öffnung liegen blieb.

„Kein Gold?“, fragte jemand heiser. „Ist das alles?“

„Du Esel, du hast es doch selber gesehen!“, fuhr die junge Frau den Mann an. Sie bückte sich nach den Briefen und drehte und wendete sie nach allen Seiten.

Die Zeitreisenden konnten die dicken roten Siegel erkennen, mit denen die Briefe geschlossen waren.

Griet richtete sich auf. Ihre Blicke flogen über die Schar ihrer Männer hin. „Wo ist Niklaas, der Weber?“, fragte sie erbost.

Einer zeigte zu den entkleideten Toten hin.

Diese Geste verstanden die Männer. Auch die Zeitreisenden begriffen.

Denn dort lagen nur Nackte. Die Männer hatten auch Niklaas die Kleidung geraubt, denn wer tot war, brauchte nichts mehr zum Anziehen.

Griet stampfte zornig auf. „Kann einer von euch lesen?“, fragte sie.

Die Kerle schauten bedrückt. Keiner meldete sich.

Die dulle Griet fasste Hallstrom ins Auge und hielt ihm in einem plötzlichen Entschluss die beiden Briefe hin.

„Lies du vor!“, verlangte sie.

Mit spitzen Fingern nahm Hallstrom die gesiegelten Dokumente. Er zögerte, sie zu öffnen. Ein Murren kam auf, das sehr unfreundlich klang.

„Mach schon!“, drängte Griet.

Hallstrom brach das Siegel und klappte die kunstvoll gefalteten Briefe auseinander.

Sie waren in spanischer Sprache abgefasst und in recht verschnörkelter Schrift gehalten. Er konnte damit überhaupt nichts anfangen.

„Und?“, fuhr die dulle Griet ihn an.

Hallstrom gab ihr die beiden Briefe zurück. „Spanisch! Ich kann's leider nicht lesen!“, sagte er.

Sie grapschte nach den Dokumenten, knüllte sie zusammen und barg sie in ihrer Bluse. Ben, Frank und Hallstrom konnten dabei die üppige Fülle ihrer schneeweißen Brüste mit den zarten Knospen bewundern.

„Nicht einmal dafür seid ihr nütze!“, schimpfte die junge Frau. „Gehen wir eben zu Pater Diaz. Er muss uns vorlesen.“

Dieser Vorschlag fand nicht den Beifall der Männer. Aber Griet störte sich nicht am Murren. Sie schaute jeden drohend an und erstickte den Aufruhr.in seinen Anfängen.

Der griesgrämige Kerl muckte noch einmal auf. „Nach Malines sollten wir besser nicht gehen“, sagte er.

Die Zeitreisenden schlossen daraus, dass dieser Pater Diaz, dem Namen nach ein Spanier, in Malines zu finden war.

„Ich bestimme, was gemacht wird!“, be schied Griet den Mann. „Wir warten die Nacht ab.“

„Wenn die spanischen Hunde uns bis dahin nicht zu Tode gehetzt haben“, erwiderte der Mann knurrend. Weiteren Widerspruch aber wagte auch er nicht.

Griet behandelte die drei Fremden, als seien sie Luft. Sie trieb ihre Leute an, die noch schnell zusammenrafften, was ihnen von den Waffen. Harnischen und Sturmhauben der toten Spanier mitnehmenswert erschien. Von den Eisenhauben rissen sie nur die schwarzen Federbüsche ab.

Ein paar Minuten darauf war Griet mit ihren Leuten schon unterwegs. Hinter dem Hof gab es einen Fußweg durch das sumpfige Land. Weder die Frau noch einer der Männer blickte zurück.

„Das ist vielleicht ein unfreundliches Volk!“, murrte Ben. „Ich hätte nicht übel Lust, allen einen Denkzettel zu verpassen!“ Er griff nach seiner Lähmstrahlwaffe und unterstrich damit die Ernsthaftigkeit seiner Absicht.

„Die Zeiten sind schlimm, und die Leute sind misstrauisch“, sagte Hallstrom. „Machen Sie keinen Unsinn, Ben! Wir wollen nicht noch tiefer in die böse Geschichte hineingeraten.“

Auch Frank war nicht mit dem einverstanden, was Ben gar zu gerne gemacht hätte.

„Was haben wir davon, wenn du sie der Reihe nach in eine Ackerfurche legst?“, fragte Frank. „Irgendwann kommen sie doch wieder zu sich, und dann würden sie überlegen, was mit ihnen geschehen ist. Das Ende vom Lied wäre, dass sie uns verantwortlich machen und der Hexerei bezichtigen. Und das, mein lieber Mann, ist etwas, bei dem weder die Niederländer noch die Spanier Spaß verstehen. Sie würden uns auf einem Scheiterhaufen festbinden oder eine andere unfreundliche Todesart anwenden. Ich für meinen Teil stehe nicht gerne auf einem brennenden Holzstoß. So kalt ist es nun auch wieder nicht.“

Hallstrom und Ben hatten für seinen makabren Spaß nicht das rechte Verständnis. Sie schauten ihn bitterböse an.

Der Professor warf einen Blick zu den ausgeplünderten Toten hin. Die spanische Eskorte hatte neun Mann verloren und die beiden Kutscher. Aus dem Haufen der dullen Griet waren sechs Männer auf der Strecke geblieben. Es war nicht auszuschließen, dass von den Verwundeten beider Seiten noch einige die schlimmen Verletzungen nicht überstanden, die sie beim Kampf um die verdammte Truhe erlitten hatten.

Verständnislos schüttelte Hallstrom den Kopf.

Die dulle Griet und ihre Männer hatten sich eine fette Beute ausgerechnet, denn anders waren ihr Einsatz und der gesamte Aufwand nicht zu erklären.

Statt Geld hatten nur zwei gesiegelte Briefe den Besitzer gewechselt. Es war ein unrentables Geschäft gewesen.

Andererseits aber gab Hallstrom der verbissene Eifer zu denken, mit dem die Spanier zu verhindern gesucht hatten, dass die Truhe in die Hände der Bande fiel.

Waren am Ende diese beiden Briefe wertvoller als eine Kiste voller Geld?

Je länger er darüber nachdachte, desto unverständlicher wurde ihm der ganze Zwischenfall.

„Nicht einmal ihre eigenen Leute haben sie christlich begraben“, bemängelte Ben und schaute der Frau und den Männern nach, die sich schon ein ganzes Stück entfernt hatten.

„Du willst das doch hoffentlich nicht nachholen?“, fragte Frank. „Wir müssen von hier verschwinden, denn ich wette meine schönen Stiefel gegen einen von diesen wertlosen Bienenkörben, dass die Spanier in Malines Alarm schlagen und in kurzer Zeit eine größere Truppe herauskommt, um nach dem Rechten zu sehen. Ich verspüre keine Neigung, mich hier erwischen zu lassen.“

Diese Neigung verspürten auch Hallstrom und Ben nicht.

Selbst wenn in der ausgeräumten Schenke eine Schaufel oder ein anderes Grabgerät zu finden gewesen wäre, hätten sie ganz sicher eine ganze Nacht und noch einen halben Tag benötigt, um all die Toten richtig zu begraben.

Ein sonderlich gutes Gewissen hatten sie alle drei nicht, als sie den Hof verließen und wieder auf den Weg traten. Die eigene Haut aber war ihnen wichtiger als ein christlicher Brauch. Sollten doch die Spanier, die ohne Zweifel kommen würden, sich damit aufhalten.

5

Die Spanier kamen auch, noch vor Anbruch der Dunkelheit.

Die Zeitreisenden konnten von Malines noch nicht einmal eine Kirchturmspitze erkennen. Den Reitertrupp auf dem Weg konnten sie jedoch schwerlich übersehen.

Hallstrom, Frank und Ben flüchteten geduckt in ein Ginsterfeld, das sich zwischen zwei Äckern erstreckte. Es schien als Winterschafweide genutzt zu werden, denn es roch schwach nach diesen Tieren. Auf dem niedergesunkenen fahlen Wintergras lagen Schafsbohnen zuhauf, und da und dort zitterten an den Ästen der Ginsterbüsche kleine Wollbüschel, die die Tiere hier abgestreift hatten.

Die Männer aus einer anderen Zeit duckten sich hinter den immergrünen Ginster und beobachteten den Reitertrupp. Es war möglich, dass man sie von dort aus gesehen hatte und sich nun Gedanken darüber machte, wohin sie so rasch verschwunden waren.

Gegen den sehr hellen Himmel im Westen war schon ein eingerammter Holzpfahl verteufelt deutlich zu erkennen. Drei Männer konnten ganz einfach nicht übersehen werden.

„Wenn nur einer hereinreitet und neugierig um sich blickt, putze ich ihn vom Pferd!“, drohte Ben.

Sie warteten, und die Anspannung zerrte an ihren Nerven. Mit ihren Paralyzern und Lichtkanonen waren sie einerseits diesen Reitern haushoch überlegen; notfalls konnten sie es mit einer halben Armee aufnehmen. Auf der anderen Seite aber war nie auszuschließen, dass ein Gegner durchkam. Im Trubel ging ein einzelner Mann allzu leicht unter und wurde dann zu einer riesigen Gefahr.

Oder die Waffe eines solchen Kerls kam durch. Ein Speer oder ein Armbrustbolzen war, wenn er erst durch die Luft heranschwirrte, mit Paralyzern und Lichtkanone nicht mehr aufzuhalten.

Dann half nur noch eine tüchtige Portion Glück oder ein geistesgegenwärtiger Sprung.

Der Trupp kam erschreckend schnell näher. Im vergehenden Licht des Tages wirkte er düster und bedrohlich. Es lag nicht nur an der dunklen Bekleidung der Reiter.

Das Klirren von Eisen und Zaumzeug war schon zu hören und das dumpfe Trappeln der vielen Hufe.

Der Wind zauste an den schwarzen Federbüschen der eisernen Sturmhauben und bauschte die halblangen Reitmäntel, mit denen sich die Männer gegen die kalte Luft schützten.

Einer der Reiter wandte den Kopf und schaute genau ins Ginsterfeld herein. Hallstrom, Ben und Frank bildeten sich ein, den Burschen vorhin schon bei dem Überfall auf die Eskorte im Hof der Schenke gesehen zu haben.

Sie hielten alle drei den Atem an und griffen vorsorglich nach den Verteidigungswaffen.

Aber der Spanier hielt nicht an. Er sagte auch nichts zu seinen Landsleuten. Weil er nämlich gar nichts zu sagen hatte.

Das besorgte ein anderer mit einem schwarzen spitzen Kinnbart, der ihm das Aussehen eines streitsüchtigen Ziegenbockes gab. Der Mann trug einen besonders großen Federbusch auf seiner Eisenhaube, hatte auch einen kostbaren Brustharnisch umgeschnallt und fiel überdies durch die weiß geschlitzten Bauschärmel seines Wamses auf.

Schon diese Merkmale hoben ihn aus der Masse der anderen Reiter hervor, die Hallstrom auf vierzig schätzte. Der Mann war Offizier und gab ein paar Pferdelängen hinter dem Ginsterfeld einen Befehl, der so knapp und unverständlich ausfiel, dass die Sprachtransformer ihn nicht aufnahmen.

Die Reiter jedoch verstanden, was von ihnen verlangt wurde. Fünf sonderten sich ab, schauten auf den Boden am Wegrand und trieben ihre Gäule in den Acker hinein, als der Offizier sie unwillig anschaute.

Sehr entzückt waren weder die Pferde noch die Reiter. Sehr zögernd trabten sie ins feuchte Ackerland und suchten die Furchen und Rinnen ab.

Es gab dort einen Wasserkanal. Den suchten die fünf ab, während der Trupp auf dem Weg anhielt.

Endlich brüllte einer der suchenden Reiter zum Offizier hinüber: „Hier ist niemand, und es sind auch keine Spuren zu finden!“

„Ihr blinden Ochsen!“, tobte der ziegenbärtige Offizier. „Ich habe sie gesehen - drei Männer. Sie müssen hier verborgen sein! Es sind sicher die drei Kerle, die in der Nähe der Schenke gesichtet wurden. Schafft sie herbei! Wir brauchen die Briefe aus der Truhe! Ihr sucht hier weiter!“

Nach diesem Befehl hob er die Hand, und der Trupp folgte ihm nach Westen, wo die Schenke lag. Zu sehen war das Haus nicht.

Ben grinste vor sich hin.

Die Kerle würden eine herbe Enttäuschung erleben. Aber mit der zertrümmerten Truhe würden sie sich kaum begnügen. Die beiden gesiegelten Briefe, die jetzt zerknüllt am üppigen Busen der dullen Griet ruhten, schienen für die Spanier von großer Bedeutung zu sein. Anders war dieser Aufwand nicht zu rechtfertigen.

Der Offizier sah genau aus wie ein Mann, der es fertigbrachte, einen ganzen Landstrich auf den Kopf zu stellen, nur um die beiden Dokumente zurückzuerlangen.

Ob er in der Dunkelheit allerdings die Spur der dullen Griet und ihrer Männer fand, war eine andere Sache.

„Diese fünf Knaben schaffen wir spielend!“, sagte Ben leise und zeigte auf den kleinen Suchtrupp beim Wassergraben.

„Die Nacht ist unser Verbündeter“, meinte Hallstrom. „Bis sie uns gefunden hätten, können sie nicht mehr die Hand vor den Augen erkennen.“

Das war keine leere Versprechung, getragen von der Hoffnung, in diese undurchsichtige Sache nicht noch mehr verstrickt zu werden. Die Nacht sank wirklich sichtbar herab.

Nach knapp zehn Minuten verschwand der große Trupp mit dem Offizier am Horizont, und von den fünf Burschen beim Wassergraben war überhaupt nichts mehr zu entdecken. Die Dunkelheit war da und deckte mit ihrem weichen Mantel alles zu.

„Ich würde sagen, wir können unsere unliebsam unterbrochene Reise fortsetzen“, sagte Hallstrom.

Frank richtete sich ächzend auf. „Wird auch Zeit“, meinte er. „Ich bin schon krumm und lahm, und die aufsteigende Feuchtigkeit bekommt mir auch nicht über die Maßen.“

Sie verließen das Ginsterfeld und achteten darauf, dass die wedelartigen Zweige nicht zu sehr rauschten. Der Wind war eingeschlafen. Ein Geräusch war sicher weithin zu hören.

Hallstrom lauschte mehrmals hinter sich.

Da war alles still. Nicht einmal Hufschlag war zu vernehmen.

Erst als die drei Männer schon ein Stück auf dem Weg gegangen waren, konnten sie ganz weit zurück einen schwachen Ruf vernehmen. Die fünf Spanier verständigten sich untereinander. Sie hatten die Suche sehr lustlos und völlig unlogisch betrieben, denn wer versteckt sich schon auf fast flachem Ackerland oder an der Böschung eines nicht sehr tiefen Wassergrabens, wenn nahebei ein hüfthohes Ginsterfeld sich als idealer Unterschlupf anbietet?

Sie schenkten alle drei diesem Umstand keine Beachtung, denn sie waren viel zu froh, aus der Geschichte heraus zu sein. Zudem bedrängte sie die Sorge, wo sie diese Nacht Unterkommen sollten. Das freie Feld dünkte ihnen ungeeignet als Lagerplatz.

„Ich würde ja gerne den billigen Rat der dullen Griet befolgen und auf einem Hof um Nachtlager und einen warmen Löffelstiel fechten“, sagte Frank. „Ich bezweifle nur, dass wir überhaupt zu einem Hof hinfinden.“

„Das habe ich mir auch schon überlegt“. pflichtete Hallstrom bei. „Wir fahren wohl besser, wenn wir geradewegs nach Malines gehen. Dort können wir mehrere Fliegen mit einem Schlag erwischen.“

„Was Kost und Nachtlager betrifft - vielleicht“, ließ sich Ben vernehmen, „Ich würde diesen Pater Diaz aber nicht den Fliegen zuordnen, solange ich den Mann nicht kenne.“

Hallstrom lachte amüsiert. „Diese Griet will sich von ihm den Wortlaut der Schreiben übersetzen lassen. Sie wird mit ihren Leuten bei Nacht hingehen und dem Mann die Dokumente unter die Nase halten. Ich bin mir auch sicher, dass sich einer oder zwei Burschen finden, die dem Pater ein Messer in die Seite drücken, damit er dem Anliegen nachkommt und nicht auf Ausflüchte verfällt.“

„Mit diesem hartgesottenen Weib ist überhaupt schlecht Kirschen essen“, sagte Ben. „Wie die eine Sache anpackt und durchführt - da kann sich mancher Mann eine Scheibe von abschneiden.“

„Es hat zu allen Zeiten Frauen gegeben, die länger oder kürzer eine Bande anführten“, erklärte Hallstrom weise. „Das ist auch hier in den Niederlanden nicht auszuschließen. Im Übrigen dauert die Erhebung der Niederländer gegen die spanische Herrschaft schon einige Zeit. Jetzt ist Herzog Alba Generalstatthalter der Niederlande. Vor ihm war es Margarete von Parma, unter deren Regentschaft die Unruhen begannen. Warum sollte nicht eine Frau den Widerstand gegen die Spanier mit tragen? Eine große Rolle hat die dulle Griet in der Geschichte nicht gespielt, denn nirgends wird ihr Name vermerkt.“

„Vielleicht hat sie das Kriegshandwerk irgendwo gelernt.“ Frank war auch zu der Überzeugung gelangt, dass Griet zumindest eine örtliche Berühmtheit war.

„Kaum“, sagte Hallstrom. „Sie gehört nicht den gehobenen Ständen an. Sie stammt aus bäuerlichen Kreisen.“

„Wegen ihrer Pausbacken und ihrer drallen Figur?“, fragte Ben. „Woher wollen Sie das so genau wissen?“

„Ich habe ihre Kleidung gesehen“, meinte Hallstrom sanft und freundlich. „Die Leute mögen sich verstellen und so tun, als seien sie weiß Gott was, aber mit Kleinigkeiten verraten sie sich.“

„Und womit hat sich Ihrer Meinung nach die dulle Griet verraten?“, fragte Ben.

„Sie trägt Kleidung, die nicht bis zum Boden reicht“, sagte Hallstrom. „Nur Angehörige der niederen Stände tragen kürzere Gewänder. Wir haben die wollenen Strümpfe der Frau gesehen. Bei einer Dame von Rang wäre das unmöglich gewesen.“

„Das ist eine verzweifelt dünne Beweisführung“, bemängelte Ben. „Aber solange ich Ihnen den Irrtum nicht nachweisen kann, will ich gerne daran glauben ...“ Er verstummte, fasste nach Frank, erwischte ihn am Oberarm und hielt ihn fest.

Nur Hallstrom ging noch ein paar Schritte, bis er merkte, dass seine beiden Begleiter zurückblieben.

„Was ist denn?“, fragte er unwillig.

„Ssscht!“, machte Ben. „Jemand folgt uns!“

Hallstrom und Frank fuhren etwas zusammen. Auf Bens Ohren war im allgemeinen Verlass. Hinzu kam, dass er die Fähigkeit besaß, Gefahren förmlich zu wittern.

„Sind Sie sicher?“, vergewisserte sich der Professor.

„Hören Sie selber!“, forderte Ben auf.

Aus der Nacht drang ein schwaches dumpfes Poltern. Es kam von Westen. Jemand kam auf dem Weg daher. Und vielleicht war er in der elenden Finsternis gestrauchelt.

Ben ließ Franks Arm los und kauerte sich hin. Er beugte sich weit nach vorn und legte ein Ohr an den Boden.

Das dumpfe Poltern und Rumoren schien direkt aus der Erde zu kommen, und ein ängstliches Gemüt, das an Spuk und Geister glaubte, konnte es schon an die Nerven bekommen.

Ben aber wusste als Angehöriger einer hoch technisierten Zivilisation, dass die Erde Erschütterungswellen sehr weit trug. Von dieser Erkenntnis hatten schon Reitervölker aus den Steppen und die Indianer Nordamerikas profitiert.

Da gab es gar keinen Zweifel jemand folgte ihnen seit geraumer Zeit mit einem Pferd!

Es konnte ein Zufall sein, doch in ihrer augenblicklichen Lage wollte Ben besser nicht an dumme Zufälle glauben.

Er konnte nicht sagen, ob dieser Jemand ritt oder ob er das Pferd am Zügel führte. Das war gar nicht ausschlaggebend. Befremdend und seltsam war, dass jemand hinter ihnen herkam.

„Ein Pferd!“, sagte Ben und richtete sich auf. Er strich sich Erde und ein paar Sandkörner vom Ohr.

„Das will mir aber gar nicht gefallen“, sagte Hallstrom. „Reitet das Tier schnell?“

„Nicht die Spur. Hört sich geradeso an, als müsste sich das Tier unserem bescheidenen Tempo anpassen.“

„Dann machen wir doch die Probe!“, schlug Frank vor.

Sie brauchten sich hierzu gar nicht lange abzusprechen. Sie blieben gleich an dem Fleck stehen, an dem sie gerade waren.

Der Unbekannte, der ihnen mit einem Gaul folgte, schien Ohren wie ein Luchs zu haben. Nach wenigen Augenblicken verstummte das dumpfe Getrappel.

Die Zeitreisenden warteten, während ihre Nerven bis zum Zerreißen gespannt waren.

Der Hufschlag klang nicht wieder auf.

„Und nun die Gegenprobe!“, verlangte Frank und setzte sich in Bewegung. Hallstrom und Ben folgten seinem Beispiel. Sie bemühten sich alle drei nicht sonderlich darum, leise aufzutreten.

Erst nach fast fünf Minuten blieben sie stehen und lauschten hinter sich.

Da war wieder dieses dumpfe Klopfen. Es verstummte jedoch nach wenigen Augenblicken.

„Also gilt es uns“, fasste Frank das Resultat dieses Experimentes zusammen. „Die zweite Frage ist - was will man von uns?“

„Du Witzbold, du kannst einem vielleicht eine kalte Winternacht verderben!“, murrte Ben. „Er wird es uns kaum sagen, wenn wir ihn danach fragen. Es könnte einer der Kerle sein, die sich so lange am Wassergraben herumgedrückt haben. Oder einer aus der Truppe dieses schwarzbärtigen Ziegenbockes. Mir war nämlich, als hätte einer der Heiter sehr misstrauisch ins Ginsterfeld geblickt. Vielleicht konnte er seinen Offizier von seinem Verdacht überzeugen.“

„Dann können wir nur froh sein, dass nicht der ganze Trupp nachsehen kam“, meinte Hallstrom. „Es hätte peinlich werden können.“

„Nicht für uns“, beruhigte Ben ihn. „Ich hätte den Burschen ein Feuerwerk mit der Lichtkanone vorgeführt, dass sie denken mussten, der Jüngste Tag ist angebrochen!“

„Ihre gewaltsamen Lösungen sind mir hinlänglich bekannt. Ich billige sie jedoch nicht“, meinte Hallstrom. „Nehmen wir den Weg unter die Sohlen, sonst sind wir morgen früh noch unterwegs.“

Der Unbekannte mit dem Pferd blieb immer hinter ihnen. Einmal glaubten sie, dass alles doch ein Zufall sein mochte, denn der Hufschlag war nicht mehr zu hören.

Allerdings waren sie an keiner Stelle vorbeigekommen, an der sich der Weg gabelte. Und für so bewandert, dass er sich bei tiefer Finsternis im Ackerland auskannte, hielten sie ihren unbekannten Verfolger auch nicht.

Sie merkten schnell, dass der Unbekannte nur angehalten hatte, um zu hören, ob sie noch vor ihm waren. Der Hufschlag polterte los und begleitete sie eine weite Strecke.

„Ich könnte zurückbleiben, und ihr zwei zieht ohne mich los“, sagte Ben und hoffte, dass Hallstrom auf diesen Vorschlag ansprach. „Er wird darauf hereinfallen, und wenn er dann an mir vorüberkommt, gebe ich ihm was auf die Birne. Dann haben wir den nächtlichen Pilger und dazu noch ein Pferd.“

„Schlagen Sie sich das aus dem Kopf!“, erklärte der Professor. „Unser Ziel heißt Malines. Ich möchte hinkommen, bevor die dulle Griet diesem spanischen Pater ihre Aufwartung gemacht hat. Denn ich kann mir vorstellen, dass der Mann von diesem Besuch nicht sehr entzückt ist.“

„Schade“, brummte Ben.

Sie gingen weiter und legten etwas zu, damit ihnen warm wurde. Die Kälte war nicht nur in der Luft dieser Februarnacht, sie kroch jetzt auch aus dem Erdreich.

Irgendwann tauchten voraus drei Kirchtürme auf. Sie hobelt sich gegen den helleren Nachthimmel ab. Bald waren auch die Dächer auszumachen. Und schließlich konnten die Zeitreisenden sogar die Wohnhäuser erkennen.

Malines war zu dieser Zeit nicht befestigt. Oder nicht mehr. Jedenfalls gab es keine Mauer.

Für ein Dorf war der Ort zu groß. Malines war schon eher eine kleine Stadt.

Plötzlich war der Hufschlag nicht mehr zu hören.

Die Zeitreisenden lauschten lange hinter sich. Auf dem nächtlichen Weg blieb es ruhig.

„Jetzt gibt es nur zwei Möglichkeiten“, sagte Ben. „Entweder hat der Kerl mit uns überhaupt nichts im Sinn, und er benahm sich vielleicht nur so vorsichtig, weil er nicht wusste, wer oder was wir sind. Oder er hat uns in den letzten Minuten überholt und ist auf einem anderen Weg in diese Stadt hineingesaust. Dann wird es zu einem warmen Empfang kommen.“

„Was sich erst noch herausstellen muss!“, gab Hallstrom zurück.

6

Malines besaß keine Befestigungsmauern. Wenn es je welche gegeben hatte, dann waren sie sauber geschleift worden.

Aber es verfügte über Nachtwächter.

Die Zeitreisenden sahen gleich zwei dieser Burschen, die sich mit Laterne, Horn und Spieß bewaffnet in der Mitte der Einfallstraße trafen und einen Schwatz abhielten.

„Die könnten sich schon etwas beeilen!“, knurrte Frank. „Was reden die so lange?“

„Nicht so laut!“, beschwichtigte Hallstrom. „Die Stadt ist ruhig, da wollen wir sie doch nicht wecken und für einen Volksauflauf sorgen.“

„Können Sie mir dann verraten, wie wir diesen spanischen Pater finden sollen?“, erkundigte sich Frank sauer. „Durch die Wände blicken kann ich immer noch nicht!“

„Die dulle Griet wird ja nicht alleine kommen, und frei und offen wird sie mit ihren Männern auch nicht gerade auf der Straße herumspazieren. Ich denke nämlich immer daran, was sie uns über Malines erzählt hat. Das muss ein böses Pflaster sein. Also wird sie heimlich hereinkommen - wenn sie mit ihren Leuten nicht schon da ist. Wir brauchen nur auf huschende Gestalten zu achten, die noch leiser als Mäuse sind. Auf diese Weise werden wir schon an die richtige Adresse kommen.“

„Ihr Gottvertrauen ist ja schon eine Versuchung des Schicksals!“, erwiderte Frank auf Hallstroms Worte.

„Noch mehr als das“, sagte Ben und haute auch noch in die Kerbe. „Im Gegensatz zu uns kennen die sich nämlich hier aus. Ich möchte nicht erleben, dass wir vielleicht an die Tür des spanischen Befehlshabers klopfen, dem diese Stadt untersteht.“

„Keine Sorge, das merken wir schon rechtzeitig“, dämpfte Hallstrom den Ärger seiner beiden Begleiter. „Diese hohen Herren, so habe ich gelesen, fühlen sich in den Niederlanden allesamt nicht sehr sicher und haben darum stets eine ordentliche Wache vor dem Haus stehen.“

„Der Pater aber nicht“, hielt Ben dagegen. „Womöglich wohnt der Mann beim spanischen Kommandanten.“

„Zum Teufel!“, brauste Hallstrom auf, dämpfte aber sofort die Stimme, um die beiden Nachtwächter nicht aufmerksam zu machen. „Irgendwie wird Griet ja an ihn heranzukommen versuchen. Ich glaube kaum, dass sie so vermessen ist, ihn dem Kommandanten unter den Fittichen wegzuziehen. Er ist vielleicht bei einer der Kirchen zu finden.“

„Der Frau traue ich alles zu“, sagte Ben. „Sie hat den Teufel im Leib. Wir haben das mit eigenen Augen gesehen.“

„Einen unbändigen Hass auf die Spanier“, stellte Hallstrom richtig. „Der Grund ist das, was sie aus ihrem Bruder Henk gemacht haben.“

Er schwieg, denn die Nachtwächter waren mit ihrer Beratung zu Ende und setzten ihre Kunde fort. Der eine ging um die kleinen äußeren Häuser am Stadtrand herum nach rechts und tauchte wenig später in die tintenschwarzen Schlagschatten der Dächer. Der andere nahm die Einfallstraße.

Nach einer Weile hatte auch ihn der Nachtschatten verschluckt.

Nirgendwo brannte Licht, aus keinem Schornstein flogen Funken. Diese Häuser waren fast alle mit Stroh und Schindeln gedeckt. In vielen Orten war es bei Todesstrafe untersagt, in der Nacht das Herdfeuer brennen zu lassen. Gar zu leicht hätten sich Funken aus dem Schornstein aufs Dach setzen und dieses in Brand setzen können.

Bis dann erst das Feuer entdeckt war, konnte schon eine halbe Straße brennen.

Schon manche Stadt und mancher Flecken war durch eine auf diese Weise entstandene Feuersbrunst vernichtet worden.

Als den Zeitreisenden die Luft rein schien, drangen sie in die Stadt ein. Aus Griets Erzählung wussten sie, dass sie fest in spanischer Hand war. Kein Wunder bei der Nähe der Stadt Brüssel.

Auf Hilfe und Unterstützung durch einen Einwohner konnten sie nicht zählen. Entweder standen die Leute im Lager der Spanier, oder sie duckten sich, weil es gesünder für sie war, und machten die Zuträger für die südlichen Besatzer.

Hallstrom, Frank und Ben hielten sich im finsteren Schlagschatten der Häuser. Sie lauschten in jede Gasse und in jeden Hof hinein. Aber da war nichts zu erlauschen. Malines schlief.

Das Vordringen auf unbekanntes Gebiet war voller Risiken. Wie es zu dieser Zeit leider üblich war, hielten die Leute allerorten nicht sehr auf Ordnung und Reinlichkeit und warfen ihren Kehricht und anderen Dreck meist vor die Tür auf die Straße.

Hallstrom fiel um ein Haar über eine ausrangierte Sitzbank, die man einfach neben der Tür deponiert hatte. Wohl in der Hoffnung, es würde sich schon jemand finden, der für das Möbel noch Verwendung hatte.

Der Professor musste auf die Straße ausweichen. Er versank in Radfurchen, die mit Abwasser und unanständig duftender Brühe vollgelaufen waren. Küchenabfälle verbreiteten zusätzlichen Gestank.

Die Straße musste Ratten und Mäusen wie das verheißene Land vorkommen, wo sie nur auszuwählen brauchten, was sie diese Nacht haben wollten.

Merkwürdigerweise ließen sich keine Ratten blicken. Es waren auch keine Katzen unterwegs. Nur Hunde. Aber die kläfften am anderen Stadtende.