Mittlerin zwischen den Welten: Verbotene Gabe - Calin Noell - E-Book

Mittlerin zwischen den Welten: Verbotene Gabe E-Book

Calin Noell

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Beschreibung

Ihr Leben bedeutet Hoffnung, stirbt sie, herrscht auf ewig Dunkelheit.   Salyann wurde geboren, um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu wahren. Doch als ihr der Zigeuner Avon begegnet und ihr die Welt mit seinen Augen zeigt, wird ihr bewusst, dass es dafür längst zu spät sein könnte. Der finstere König Jandrar, dessen einziges Ziel es ist, sie alle zu unterwerfen, beeinflusst längst mehr, als nur die Schergen seiner todbringenden Armee ...   Erster Band des magischen Fantasy-Zweiteilers um Liebe, Verrat und Freundschaft, in dem die Hoffnung eines ganzen Volkes alles verändern kann ...

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Calin Noell

Mittlerin zwischen den Welten

Verbotene Gabe

Band 1 von 2

Impressum:

Erstauflage 2017

2. Auflage 2019

Calin Noell

c/o Papyrus Autoren-Club

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

www.calin-noell.com

Texte © 2019 Copyright by Calin Noell

Bilder © 2019 Copyright by Calin Noell

Coverdesign: Saskia Lackner

www.saskia-illustration.de/

Lektorat: Roland Blümel

www.rolandbluemel.de/lektorat/

Alle Rechte vorbehalten

Danksagung

Für all meine begeisterten Leser:

Danke, dass es euch gibt.

Buchbeschreibung

Ihr Leben bedeutet Hoffnung, stirbt sie, herrscht auf ewig Dunkelheit.

Salyann wurde geboren, um das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse zu wahren. Doch als ihr der Zigeuner Avon begegnet und ihr die Welt mit seinen Augen zeigt, wird ihr bewusst, dass es dafür längst zu spät sein könnte. Der finstere König Jandrar, dessen einziges Ziel es ist, sie alle zu unterwerfen, beeinflusst längst mehr, als nur die Schergen seiner todbringenden Armee ...

Erster Band des magischen Fantasy-Zweiteilers um Liebe, Verrat und Freundschaft, in dem die Hoffnung eines ganzen Volkes alles verändern kann ...

Mittlerin zwischen den Welten

Verbotene Gabe

von

Inhaltsverzeichnis

 

Prolog

1

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Prolog

Mein Name ist Salyann. Ich bin die Mittlerin zwischen den Welten, die Einzige, so sagt man. Ich bin unantastbar, stehe für den Frieden und richte bei Streitigkeiten. Das Wichtigste jedoch ist, dass ich als Sinnbild für die Hoffnung auf ganz Myria gelte. Solange einer der Unseren lebt, erstrahlt das Land. Wenn ich sterbe, erlischt der Glaube, und unsere gesamte Welt ist für immer verloren.

Alles könnte so viel einfacher sein, wäre ich ein Mann und nicht die erste Frau, die je als Mittlerin geboren wurde ...

1

Salyann

Seitdem ich Erinnerungen in mir trage, schulten die Ordensbrüder und Meister vom Kloster der Maiores auf grausamste Weise meinen Körper und meinen Geist, einzig damit ich dieser Aufgabe gerecht werde, behaupteten sie. Bereits in jungen Jahren aber spürte ich ihre Abneigung, den Zorn, ihre Verachtung. Wäre ich ein Mann, wahrscheinlich hätte ich vieles von dem nicht erleiden müssen.

Zwanzigmal zählte ich meinen Jahrestag und nun entließen sie mich hinaus in die Welt – in die Freiheit. Ich war vorbereitet, beherrschte den Kampf, konnte mich wehren, wenngleich das vollkommen unnötig sein würde. Angeblich griff man noch niemals einen der Unseren an, begegnete uns stets mit Respekt und Gehorsam.

Meine Aufgabe als Mittlerin zwischen den Welten schien einfach und mühelos. Ich musste lediglich durch das Land reisen, mich dem Volk von Myria zeigen und bei Bedarf Streitigkeiten schlichten, das war alles. Mag ich auch naiv gewesen sein, dumm war ich ganz sicher nicht. Weshalb sollte ich die letzte, die einzige Mittlerin sein, obwohl uns niemals zuvor ein Leid geschah? Dies hinterfragte ich, immer wieder, doch statt einer Antwort erhielt ich jedes Mal einen Schlag mit dem Stock, und zwar so lange, bis ich aufgab und endlich nicht mehr danach fragte.

Über die Jahre bekam ich reichlich Stockschläge, oftmals, weil mir die vielen Fragen einfach keine Ruhe ließen. Selbst Meister Natal beantwortete sie mir nie. Stattdessen sorgte er jedoch dafür, dass ich ausgebildet wurde. Er geriet in unzählige Auseinandersetzungen deswegen. Eine Frau in meinem Alter gehörte an die Seite ihres Gemahls, an seinen Herd. Hausarbeit, ein wenig Pflanzenkunde, um den Garten ausreichend zu pflegen, Gemüse anzubauen und Kräuter zu setzen, das waren die einzigen Fähigkeiten, die sie einem Weib wie mir zustanden.

Niemals zuvor erlernte eine Frau in diesen Mauern das Kämpfen. Angeblich tat das gar keine Frau, das betonten sie oft. Auch das wollte ich ihnen nicht recht glauben, behielt meine Meinung in diesem Fall aber lieber für mich.

Ich bin stark, ich schaffe das!

Niemand sah mir mein Unbehagen an, innerlich erzitterte ich jedoch, fühlte mich längst nicht so gut vorbereitet, wie ich es sein sollte. Ich hatte Angst! Es war durchaus nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich Furcht verspürte, doch nun saß dieses Gefühl derart tief, dass es mir nicht mehr gelang, es wieder abzuschütteln. Nach Außen aber wahrte ich den Anschein. Selbstsicher bestieg ich meinen schneeweißen Hengst Zarax. Immerhin dieses eine Mal war es mir gelungen, mich durchzusetzen. Daher erhielt ich nicht die langweilige und äußerst träge Stute, die sie mir zugewiesen hatten, sondern meinen treuen und lieb gewonnenen Freund. Zarax gab mir ein wenig meines Selbstvertrauens zurück, jedoch längst nicht genug, um die Beklemmung vollständig zu vertreiben.

So stand ich nun im Innenhof des Klosters, in dem ich all die Jahre gelebt hatte, und sah die Mauern empor, suchte das Fenster von Meister Natal. Wie erhofft entdeckte ich ihn dort. Scheinbar traurig blickte er auf mich hinab, wirkte irgendwie niedergeschlagen und der Kloß in meinem Hals vergrößerte sich.

Im Gegensatz zu den anderen verhielt er sich mir gegenüber niemals grausam, zeigte sich wenigstens hin und wieder sogar freundlich, beinahe wie ein Freund.

»Seid Ihr so weit?«, durchbrach Kjartans harte Stimme meine Gedanken. Ich zuckte zusammen, unterdrückte den Impuls nicht schnell genug, und er bemerkte es natürlich. Innerlich verfluchte ich mich selbst.

Kjartan, meine einzige Begleitung, der einzige Schutz und die einzige Verbindung zu meiner Vergangenheit. Ich durfte niemals zurückkehren, das war mir untersagt, für alle Ewigkeit.

Er galt als der stärkste Krieger – unerbittlich und gefährlich. Ich fürchtete mich vor seiner abweisenden, kalten Art, dennoch hatte ich ihn erwählt.

Warum nur?

Das fragte auch Meister Natal, der mich dazu angehalten hatte, Oisín zu ernennen. Diese Frage konnte ich ihm jedoch nicht beantworten, da ich selbst nicht so genau wusste, weshalb meine Wahl im alles entscheidenden Augenblick ausgerechnet auf Kjartan gefallen war.

Eigentlich hatte ich geglaubt, mich längst für Oisín entschieden zu haben. Doch sein Verhalten, ebenso wie seine letzten Worte gaben letztendlich den Ausschlag dafür, dass ich ihn nicht mehr in Betracht zog. Oisín handelte vollkommen gegensätzlich zu Kjartan, so viel stand jedenfalls unumstößlich fest. Im Kampf hingegen erschien er kaum weniger gefährlich.

Aber warum gerade Kjartan?

»Ja, natürlich«, antwortete ich endlich, obwohl ich am liebsten von Zarax gesprungen und in das Kloster zurückgelaufen wäre. Ich besaß noch so unendlich viele Fragen ...

Unbehaglich rückte ich meinen Bogen zurecht, verstand immer weniger, was hier vor sich ging. Während ich durch die Halle getreten war, ahnte ich nicht einmal, dass ich ebenfalls bewaffnet aufbrechen würde. Niemand hatte mich darauf vorbereitet. Erst im allerletzten Moment, kurz bevor ich die Tür erreicht hatte, drückte mir Meister Natal unvermittelt und ohne Erklärung meinen geliebten Bogen und mein Schwert in die Hand, ebenso einen Köcher mit reichlich Pfeilen.

Bei dieser Erinnerung seufzte ich stumm. Ihr seltsames Verhalten sorgte für weitere unbeantwortete Fragen. Ein Blick in die Gesichter der gefühllosen, umstehenden Ordensbrüder, Meister und Krieger genügte mir jedoch. Sie würden mir nichts beantworten. Mein Schicksal war besiegelt und es gab längst kein Zurück mehr.

Ohne ein Wort des Grußes wandte ich mich ab und steuerte Zarax auf das geöffnete Tor zu. Sie hätten es mir als Schwäche ausgelegt – und diese Genugtuung gönnte ich ihnen nicht. Also ritt ich an den Wachen vorbei. Stolz aufgerichtet und erhobenen Hauptes warf ich keinen Blick zurück. Niemals würde ich sie sehen lassen, wie unendlich klein und verloren ich mich in Wahrheit fühlte.

Während der letzten Monate hatte ich die Landkarten aufmerksam studiert und hielt nun auf die Hauptstadt Caras zu. In Richtung Norden, am äußeren Rand von Vanya, lag sie etwa einen Zehntagesritt von hier entfernt.

Nach einer ganzen Weile erreichten wir den Wald und mich überkamen plötzlich Zweifel, ob mir die Karten in meinem Kopf überhaupt behilflich sein würden. Während ich mich umsah, erkannte ich, dass es sich erheblich unterschied, ob man auf eine Zeichnung starrte und sich Flüsse, Städte und Wälder einprägte oder tatsächlich durch das Gelände hindurch ritt. Es wirkte vollkommen andersartig und die Gefahr, sich zu verirren, schien größer, als ich bisher geglaubt hatte.

Gedankenverloren strich ich mir eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und lächelte, als sich eine Erinnerung in den Vordergrund drängte. Ich tastete nach meinem Zopf, der dafür sorgte, dass meine Haare mir nicht ständig ins Gesicht fielen.

Schneeweißes Haar, das offensichtlichste Zeichen meiner Berufung zur Mittlerin zwischen den Welten und immer wieder Anlass zu Streitigkeiten. Ich durfte es nicht bedecken, nicht schneiden, nicht hochbinden, so lauteten die Regeln der Ordensbrüder. Woher sie dies zu wissen glaubten, wo doch niemals zuvor ein Mädchen diese Bürde trug, erklärten sie mir hingegen nicht. Deshalb brach ich heute mit der Tradition, sehr zu ihrem Missfallen – was meine Freude darüber jedoch nur steigerte.

Ich hatte mir die vorderen Haare nach hinten geflochten, sodass meine Sicht frei blieb. Nur ein kleiner Verstoß, da ich ja nicht einmal mein gesamtes Haar verwendet hatte, doch das reichte ihnen schon. Aber was wollten sie dagegen tun? Ich war im Aufbruch und sie konnten mich nicht mehr daran hindern oder mich mit Stöcken schlagen, um mich zu züchtigen. Nie würde ich dies jemandem noch ein einziges Mal gestatten, niemals!

Schweigend ritt Kjartan neben mir, blickte mich bei meinem Lächeln jedoch kurz an, wandte seinen Blick aber ebenso rasch wieder ab. Ich seufzte, nicht in der Lage, es noch länger zu unterdrücken.

Weshalb nur habe ich ihn erwählt?

Er war sieben Jahre älter als ich und sprach in all den Jahren, die wir einander kannten, nur wenige Sätze mit mir. Nur während des gemeinsamen Unterrichts sahen wir uns, streng bewacht von den Ordensbrüdern. Niemand von den Kriegern durfte mit mir sprechen, daher verbrachten wir auch nicht viel Zeit miteinander. Dennoch empfand ich ihn schweigsamer, als es sicherlich Oisín gewesen wäre und obwohl ich mir dessen bereits vorher bewusst war, spürte ich erst jetzt deutlich, wie einsam man sich auch zu zweit fühlen kann. Dabei hatte ich gehofft, hier würde sich endlich alles ändern.

»Weshalb habt Ihr nicht abgelehnt, wenn es Euch doch offenkundig zuwider ist, mich zu begleiten?«, versuchte ich, eine Unterhaltung zu beginnen. Selbst ein Streit erschien besser als dieses nervenaufreibende Schweigen.

»Es ist die Erfüllung unseres Lebens dem Mittler zwischen den Welten beizustehen und die größte Ehre, die uns zuteilwerden kann«, entgegnete er emotionslos.

»Wäre ich ein Mann, Ihr würdet das wahrhaftig so empfinden. Ich hingegen bin die Mittlerin und ich sah die Erleichterung auf den Gesichtern der anderen Krieger, die ich nicht erwählte. Ihr könnt also aufhören mit diesem Getue, wir sind allein und niemand hört Euch.«

Sein Blick schien überrascht, doch nur einen Wimpernschlag später glaubte ich bereits, dass ich es mir vielleicht auch nur eingebildet hatte.

»Unsere Stammväter vernehmen alles.«

Das nächste laute Seufzen entwich mir und inzwischen erschien es mir gleichgültig.

»Sie blicken außerdem in jede Seele. Denkt Ihr tatsächlich, dass sie derart töricht sind und Euch nicht schon längst durchschaut hätten? Ich nicht und ich bin ebenso wenig dumm wie sie. Daher haltet mich nicht zum Narren. Auch ich lebte in diesem Kloster und weiß, dass niemand erfreut darüber ist, dass ausgerechnet eine Frau auserwählt wurde. Glaubt mir, ich spürte es jeden verdammten einzelnen Tag in den letzten verfluchten zwanzig Jahren.«

Plötzlich tobte eine unbändige Wut in mir und ich drückte Zarax meine Fersen in die Flanken. Ein harter Ritt war jetzt genau das, was ich brauchte. Keine Mauern, die mich begrenzten, keine Meister oder Ordensbrüder, die mich ermahnten.

Ich preschte voran und beugte mich weit über Zaraxs Hals. Schon nach wenigen Augenblicken breitete sich ein unglaubliches Gefühl in mir aus, das sogar meine Wut verdrängte. Das Gefühl von unbändiger grenzenloser Freiheit.

Ich wusste nicht, wo ich geboren wurde oder wie ich in das Kloster gelangt bin, weil mir niemand davon erzählte, sooft ich auch darum bat und bettelte. Ich verstand sehr wohl, dass zu einer Zeugung Mann und Frau gehörten und gedanklich sogar, wie das vonstattenging. Ich trug keinerlei Erinnerungen an meine Eltern in mir, besaß kein Bild von ihnen, geschweige denn, dass ich ihre Namen erfahren hätte. Mein Leben innerhalb der Klostermauern bestand aus Unterricht und nur äußerst begrenzten freien Momenten. Nur selten durfte ich das Kloster verlassen, noch seltener allein, dann aber stets in Sichtweite, um Kräuter zu sammeln, irgendetwas von den Feldern zu holen oder bei der Aussaat zu helfen.

Gelang es mir doch einmal, mich für einen kurzen Augenblick unbemerkt davonzustehlen, lief ich in den kleinen Hain innerhalb der Klostermauern und verbarg mich unter den ausladenden Ästen. Die Arme weit von mir gestreckt wartete ich nicht lange, schon flatterten die Vögel herbei. Leise sangen sie ihr Lied, als spürten sie, wie verhasst selbst sie hier an diesem tristen Ort waren. Ich jedoch erfreute mich an ihrem Gesang, erstrahlte durch meine Magie und zehrte lange Zeit von diesen Begegnungen.

Ich wusste nicht, wie man einen Ball warf, Fangen spielte, oder mit einer Freundin lachte. Wie ich mich verteidigte hingegen, wie ich jemanden tötete, diese Eigenschaften förderten und verlangten sie. Freiheit bedeutete nichts, viel mehr Bedeutung maßen sie meiner Kraft und Ausdauer bei, dem Schwertkampf und ebenso meinem Talent im Bogenschießen. Außerdem besaß ich das nötige Wissen, um im Zweifel allein überleben zu können.

Das Dorf, das sich ganz in der Nähe des Klosters befand, durfte ich nie betreten, niemals in all den Jahren mit den Kindern dort herumtollen.

Gleichgültig was vor mir lag, ich empfand pure Freude und Erleichterung darüber, dieser Enge endlich entkommen zu sein.

Einzig Meister Natal sorgte dafür, dass ich nicht den Verstand verlor. Er schulte mich geistig, stellte mir knifflige Aufgaben, die ich bewältigen sollte und die niemals einfach gelöst werden konnten. Doch sie hielten mich davon ab, über all die quälenden Fragen zu grübeln, auf die ich hier keine Antworten erhielt. Außerdem entstand eine beinahe seltsame Freundschaft, die wir nur offenbarten, wenn wir allein waren. Dann verhielt er sich nicht mehr so steif und unnahbar, sondern offener und fast ein wenig herzlich, obwohl seine Strenge niemals von ihm abzufallen schien.

Dennoch wäre ich ohne ihn wohl schon längst aus dem Turm gesprungen, um diesem Elend endlich zu entkommen.

Es gab nur eine einzige andere Frau in dem Kloster. Tia, die Köchin, leider nicht eine warmherzige Verbündete, sondern verstockt und hartherzig, mir also auch keinerlei Unterstützung.

Inzwischen hatte ich den Wald durchquert und galoppierte über Felder, als ich spürte, dass Zaraxs Kräfte nachließen. Sofort verringerte ich den Druck und kurz darauf setzten wir unseren Weg gemächlich im Schritt fort. Nur einen Atemzug später ritt Kjartan mit seinem Schimmel wieder neben uns.

»Ihr habt mir nicht solche Fragen zu stellen!«, rief er hörbar wütend. »Das widerspricht Eurer Erziehung.«

Ich sah ihn an und lachte bitter. »Es widerspricht meiner Erziehung? Ist das Euer Ernst? Wer will mich daran hindern? Ihr? Ich kann Euch nicht zwingen mir zu antworten, doch ebenso werdet Ihr mich nicht dazu bringen zu schweigen. Ich spreche alles aus, was mir auf der Seele liegt und mir ist vollkommen gleichgültig, ob es Euch gefällt oder nicht. Wir befinden uns nicht mehr im Kloster und unseren Stammvätern sei Dank, bin ich endlich frei und werde tun und lassen, wonach mir der Sinn steht.«

Fassungslos betrachtete er mich, ballte eine Hand zur Faust, was ich irritiert beobachtete. Plötzlich packte er zu und zog mich halb aus dem Sattel, ganz nah zu sich heran. »Ihr werdet Euch an Eure Erziehung erinnern und entsprechend handeln, oder ich sorge dafür, dass Ihr mit Wehmut an die harmlosen Stockschläge im Kloster zurückdenkt.«

Unvermittelt ließ er mich los und ich fiel unsanft in den Sattel zurück. Schockiert sah ich ihn an, kämpfte verbissen gegen die aufkommenden Tränen und versuchte, meinen rasenden Herzschlag zu beruhigen. Kjartan jedoch blickte stur geradeaus.

»Wenn ich Euch derart zuwider bin, dann handelt ebenfalls entsprechend: Haltet Abstand, reitet hinter mir und wahrt ihn!«, zischte ich und trieb Zarax voran. Ich spürte, wie ich vor Furcht den Kampf gegen meine Tränen verlor, doch bei allem, was mir heilig war, ich würde sie ihn nicht sehen lassen.

Er hatte mich zu Tode erschreckt und plötzlich wünschte ich mir verzweifelt, ich hätte eine andere Wahl getroffen. Dafür aber war es längst zu spät.

Alles Zureden von Meister Natal zum Trotz folgte ich meinem Gefühl und erwählte Kjartan. Welch absurdes Gespür hatte mich da bloß geleitet? Immerhin hielt er nun einen meiner Erziehung angemessenen Abstand.

Im Alter von etwa fünf Jahren begann meine Ausbildung. Die Jahre, die ich bis dahin im Kloster verbrachte, durften die Krieger sich mir niemals nähern, weder mit mir sprechen, speisen, oder gar spielen. Krieger, die teilweise ebenfalls noch das Kindesalter besaßen, manche kaum älter als ich. Die enorme Verinnerlichung dieser Regel erwies sich besonders zu Beginn meines Unterrichts als sehr hinderlich, denn sie trauten sich nicht an mich heran, traten mir nur halbherzig entgegen und schienen vollkommen verunsichert. Das aber sorgte fortwährend für schwere Prügelstrafen, sowohl bei ihnen als auch bei mir.

Trotz allem wehrten sie sich zu Beginn nicht. Wozu auch? Jeder von ihnen war sich seiner körperlichen Überlegenheit bewusst, die sie sogar jetzt noch besaßen.

Obwohl ich doppelt so hart trainierte, selbst nach meinem Unterricht, und ohne dass es jemand verlangte, zeichneten sich auf meinem Körper zwar Muskeln ab, dennoch überwogen die weiblichen Anteile weiterhin deutlich, gleichgültig was ich versuchte.

Kjartan hingegen wuchs zu einer Erscheinung heran, die ich bald fürchtete. Ich war nicht klein geraten, trotzdem überragte er mich mit einer großzügigen Kopflänge. Er trug sein pechschwarzes Haar ganz kurz rasiert, wie in dem Kloster üblich. Seine leuchtend grünen Augen, mit grauen Sprenkeln, ein markantes Gesicht, das schön hätte aussehen können, wären die Züge um Augen und Mund nicht wie erstarrt, taten ihr Übriges.

Sein Blick wirkte stets kalt und abweisend, doch in dem Moment, als er mir drohte, offenbarte sein Ausdruck eine mir bisher unbekannte todbringende Verachtung.

Meister Natal nahm jede Schwäche wahr, ebenso meine körperliche Unterlegenheit und schulte meine magischen Fähigkeiten daher regelmäßiger, als es eigentlich üblich zu sein schien. Magie, das lehrten sie mich, besaß eine unkontrollierbare Kraft, dessen Anteil immer auf einen selbst zurückfiel.

Alles, was man gegen andere richtet, bekommt man zugleich zurück. Heilen oder ein Feuer entzünden, galt als nicht gefährlich. Die Heilung stärkte meinen Körper und meinen Geist ebenfalls, das Feuer wärmte mich innerlich, weil der Gebrauch von Magie hier nur kurz erfolgte, verbrannte sie mich nicht. Jemanden zu töten hingegen, würde meinen eigenen Tod bedeuten, unwiderruflich, das erklärten sie mir immer wieder.

Trotz ihrer Worte bezweifelte ich dies jedoch inzwischen. Niemand wusste, dass ich meine Magie heimlich geschult hatte. Was sonst sollte ich tun, sobald ich allein in meinem Gemach hockte? Zum Schlafen war es oft noch viel zu früh und Langeweile machte erfinderisch.

Es gelang mir, Dinge verschwinden zu lassen, nur brachte ich es meist nicht zustande, dass sie auch zurückkehrten. Ich bewegte Gegenstände, mittlerweile schon äußerst präzise, und schaffte es mit Hilfe eines einzigen kleinen magischen Impulses sogar irgendwann, die Setzlöcher für die neue Saat zu formen. Anfangs ermüdete ich rasch und befürchtete, dass dies den Anteil bildete, der auf mich zurückfiel, doch inzwischen schien meine Kraft gewachsen zu sein. Niemand wusste davon, nicht einmal Meister Natal verriet ich es, zu sehr fürchtete ich mich vor den Auswirkungen. Schließlich untersagten sie es mir, unter Androhung von unglaublich schweren Strafen – und was ein Verstoß dagegen bedeutete, das wusste ich sehr genau.

Magie ist schlecht und böse und unseren Stammvätern verhasst.

Da mir bei diesen Übungen aber niemals selbst etwas geschah, übte ich weiter und es gelang mir immer müheloser. Nur die Dinge, die ich verschwinden ließ, tauchten meist nie wieder auf und bei denen die es dennoch taten, erkannte ich einfach nicht, wieso sie zurückkehrten. Außerdem erschöpfte mich diese Art von Magie vollkommen, weshalb ich sie irgendwann außer Acht ließ und mich auf andere Möglichkeiten konzentrierte.

Etwas, das ich dabei zufällig entdeckte, nannte ich schließlich das Doppeln. Kehrte der eigentliche Gegenstand nicht mehr zurück, gelang es mir irgendwie, ein exaktes Duplikat zu erschaffen. Erst nur manchmal oder ungewollt, später aber immer dann, wenn ich es mir vorstellte. Es hielt nie lange an, dennoch konnte ich einen gedoppelten Ball immerhin ein oder zwei Mal werfen, bevor er wieder verschwand.

Wobei mir das jedoch behilflich sein würde, erschloss sich mir nicht, daher ließ ich auch das irgendwann bleiben.

Und doch schadete mir all das niemals. Hatten sie mich also absichtlich belogen, oder wussten sie es einfach nur nicht besser?

Während all dieser Gedanken liefen mir unaufhörlich Tränen die Wangen hinab, ohne dass ich in der Lage war, sie daran zu hindern. Es schien, als besäße ich einen unerschöpflichen Vorrat, dennoch wusste ich, dass Kjartan hinter mir nichts davon erkannte, denn in all den Jahren hatte ich es meisterlich gelernt, Haltung zu bewahren.

2

Kjartan

Ich verfluchte unsere Stammväter, ich verfluchte Oisín, weil er nicht auf uns hörte und viel zu forsch an Salyann herantrat, wann immer sich eine Möglichkeit bot. Besonders aber verfluchte ich Salyann selbst. Keinesfalls hätte ich vermutet, dass sie ausgerechnet mich erwählt. Weshalb auch? Uns verband rein gar nichts miteinander.

Ich verbrachte keinerlei Zeit mit ihr und nur das Kampftraining erhielten wir mit ihr gemeinsam. Bei diesen Gelegenheiten sorgten wir jedoch stets dafür, dass es für sie niemals eine angenehme Zusammenkunft wurde, ich im Besonderen.

In den Kämpfen handelte ich erbarmungslos und ohne Rücksicht, blendete vollkommen aus, dass vor mir ein Mädchen, und später eine Frau stand. Jedes Mal, wenn ich sie besiegte, empfand ich eine unglaubliche Genugtuung, schließlich sollte sie gar nicht hier sein, ein verdammtes Weib.

Das alles musste ein großer Fehler sein. Doch sooft ich auch nachfragte, mich vergewisserte, sie besaß die Merkmale, eindeutig und unwiderlegbar. Nicht nur eines oder zwei, nein sie trug vier von fünf Zeichen und dies war schon seit Jahrhunderten nicht mehr vorgekommen.

Sie. Warum nur?

Das erste Merkmal galt als das offensichtlichste, ihre Haarfarbe. Schneeweißes Haar, unverkennbar. Als Zweites galt die Narbe, die ihre linke Handfläche zierte. Ein Baum, dessen Wurzeln einen Kreislauf mit den Ästen bildete und das Leben symbolisierte. Das dritte Zeichen besaß sie nicht, denn sie empfing keinerlei Visionen. Das vierte jedoch, die magische Gabe, trug sie unleugbar in sich. Das fünfte und am schwierigsten zu erkennendes Merkmal war die Gedankenkraft.

Im Alter von etwa dreizehn Jahren prüften die Meister sie hinter verschlossenen Türen. Doch ich lebte bereits so lange im Kloster, kannte jeden Geheimgang, jedes Versteck und schlich mich unbemerkt hinein. Trotz ihres jungen Alters hofften die Meister, dass sie die Drogen bereits vertrug. Niemand wollte noch länger warten.

Sie versetzten sie in einen Dämmerzustand, halb wach, halb schlafend und versuchten, sie dazu zu bringen, irgendetwas zu bewegen oder verschwinden zu lassen. Doch gleichgültig was sie taten, es gelang ihnen nicht.

Ich blieb unentdeckt und erhielt einen guten Überblick auf das Geschehen, sah und spürte die Verzweiflung der Meister deutlich. Niemand wollte akzeptieren, dass unsere Stammväter ausgerechnet ein Mädchen zur Mittlerin zwischen den Welten bestimmt hatten.

Als Meister Rien vortrat, grinste ich. Er verabscheute Salyann und machte keinen Hehl daraus, dass er so empfand. Ich hingegen mochte ihn, denn er handelte meisterlich im Kampf und brachte mir viele Dinge bei. Unerbittlich und hart verhielt er sich im Training, verlangte uns alles ab, denn nur so formten sich aus weinenden kleinen Jungen große und mächtige Krieger. Außerdem war er mein Vater, doch niemand ahnte, dass ich es wusste.

Er vergewisserte sich, dass die ihr eingeflößten Drogen noch immer ausreichend wirkten, und griff nach einem Messer. Meister Natal wollte einschreiten, wurde jedoch mit einem Wink zurückgehalten. Sichtlich verärgert kniff er die Lippen aufeinander.

»Wenn sie diese Fähigkeit gar nicht in sich trägt, quält Ihr sie vollkommen unnötig«, stieß er aufgebracht hervor.

»Weshalb so besorgt, Meister Natal? Sie wird sich nicht erinnern und wir sind verpflichtet sicherzugehen. Immerhin besitzt sie bereits drei Merkmale. Sollte sie tatsächlich ein weiteres in sich verbergen, müssen wir uns ernsthaft darüber beraten, wie wir ihre Ausbildung fortführen. Schließlich ist sie bloß ein Weib.«

Sein Blick wanderte einmal über jeden Anwesenden und blieb plötzlich einen Wimpernschlag lang an mir hängen. Lautlos zuckte ich zusammen und fluchte stumm. Hatte er mich bemerkt?

»Oisín und Kjartan tragen beide drei Merkmale. Mir wäre es wesentlich lieber, wenn einer von ihnen diese Pflicht übernimmt. Kjartan verfügt bereits über die notwendigen Attribute eines ausgezeichneten Kriegers und wäre für diese Aufgabe besser geeignet. Hoffen wir also, dass unsere Stammväter ein Einsehen haben und eine Ausgewogenheit herrscht. Ihre Haarfarbe mag auch eine Laune der Natur sein. Doch bevor wir eine Entscheidung treffen, müssen wir sicher sein, schließlich ist sie für diese Übung eigentlich noch viel zu jung.«

Sichtbar wiederstrebend nickte Meister Natal und Meister Rien hob das Messer so an, dass ihr Blick es sofort bemerken würde. Sie hofften, dass der Schreck ausreichte, damit sie es mit Hilfe ihrer Gedankenkraft verschwinden ließ, sofern sie die Gabe denn überhaupt besaß. Auch ich betete zu unseren Stammvätern, dass sie diese Macht nicht in sich trug und hielt gespannt die Luft an.

Brutal und laut klatschend traf der Schlag in ihr Gesicht. Augenblicklich riss sie die Augen weit auf. Einen Wimpernschlag lang starrte sie ihn und das Messer an, stumm. In dem Moment jedoch, in dem der erste Ton ihres angsterfüllten, ohrenbetäubenden Schreies erklang, verschwand mein Vater spurlos. Ihr Körper aber schüttelte sich, von schweren Krämpfen gepackt. Schaum bildete sich vor ihrem Mund, sie erbrach sich und würgte verzweifelt, dann schlug sie um sich, wild und vollkommen unbeherrscht, bis ihre Augen meinen Blick fanden. Schlagartig lag sie still. Nur ihr verkrampfter, hastiger Atem war zu hören, meinen Blick aber gab sie nicht wieder frei, bis sie bewusstlos zusammenbrach.

In den folgenden Wochen kämpfte sie mit den Auswirkungen dieses viel zu gewaltigen Magieverbrauchs. Die Meister versuchten alles, um meinen Vater zurückzuholen, jedoch vergeblich, da niemand wusste, wohin sie ihn geschickt haben könnte.

Salyann hingegen benötigte lange Zeit, um zu genesen, und zwischenzeitlich schien es, dass sie diesen Vorfall nicht überlebt. Doch das tat sie, durch die Drogen ohne jegliche Erinnerung daran. Sie lebte weiter, während mein Vater niemals zurückkehrte. Und nun war ich hier, ausgerechnet ich, mit ihr ...

Salyann

Nachdem ich anscheinend keine Tränen mehr übrig hatte, trieb ich Zarax voran, ließ ihn traben und schließlich in einem gemächlichen Tempo galoppieren.

So ritten wir die Straße entlang, ohne ein einziges Wort miteinander zu sprechen, bis es zu dämmern begann.

»Hier sollten wir rasten«, wies Kjartan an und ich nahm es schweigend hin, besaß keinerlei Kraft mehr für eine weitere Auseinandersetzung.

Mir gefiel der Platz gar nicht, direkt am Weg, vollkommen ungeschützt, dennoch widersprach ich nicht.

Wir errichteten das Lager und aßen aus unseren Satteltaschen, dann legte ich mich hin. »Weckt mich, sobald ich mit der Wache an der Reihe bin.«

»Wache?«, fragte Kjartan hörbar verwirrt und ich wandte mich zu ihm um, richtete mich ein wenig auf.

»Wofür bräuchten wir Waffen, wenn niemals etwas geschehen könnte? Wir sind mit Schwert und Bogen ausgestattet, und nur weil sie uns sagten, dass wir nichts zu befürchten haben, muss es noch lange nicht stimmen.« Herausfordernd zog ich eine Augenbraue in die Höhe und betrachtete ihn.

»Wenn Ihr wirklich glaubt, dass das nötig ist.«

»Spielt nicht den Helden und weckt mich, sobald meine Zeit gekommen ist. Nicht dass Ihr mich einfach schlafen lasst, als wärt Ihr plötzlich zuvorkommend. Ihr werdet das kaum dauerhaft durchhalten können.«

Natürlich weckte er mich, legte sich nieder und regte sich nicht mehr. Vollkommen müde trat ich zu einem Baum, bedeckte mein Haar und hangelte mich leise an den Ästen hinauf. Nichts geschah, die Nacht blieb friedlich und beim ersten Dämmern erwachte Kjartan von ganz allein.

Nach einem kargen Frühmahl brachen wir wieder auf, schweigend, und ritten den Pfad entlang, immer weiter. So schleppten sich die Tage dahin, monoton und nervenzehrend, doch ich war mir sicher, dass auch Oisín keine bessere Wahl dargestellt hätte.

Inzwischen lagen bereits sechs anstrengende Tage hinter uns. Dennoch konnte ich weiterhin sehr genau einschätzen, wo wir uns momentan auf der Landkarte befanden und bekam keinerlei Schwierigkeiten, dem eingezeichneten Pfad in meinem Gedächtnis zu folgen.

Immer wieder legten mir Meister Catar und Meister Loras Karten vor, und zwar so lange, bis ich in der Lage war, diesen einen Pfad fehlerfrei nachzuzeichnen. Anfangs versuchte ich, alles so schnell wie möglich wiederzugeben. Dann aber machte ich einen Fehler und Meister Catar gab mir seufzend eine andere Karte, ähnlich, jedoch mit einem größeren Ausschnitt. Diese erschien nicht so detailliert und sollte wohl dafür sorgen, dass ich den Weg fehlerlos einzeichnen konnte. Dadurch entdeckte ich meine Leidenschaft für diese Landkarten und das Wissen darum. Immer wieder baute ich kleine Abweichungen ein und stets war es Meister Catar, der mir andersartige Karten vorlegte, meine Schulter drückte, als wollte er, dass ich mir diese ganz besonders einprägte. Irgendwann wurde mir bewusst, dass er das nur tat, sobald wir allein waren, und zwar so lange, bis ich scheinbar unsere gesamte Welt als Karte verinnerlicht hatte. Wozu? Für mich war es ein Spiel, eine Abwechslung zu meinen sonst so eintönigen Tagen.

Weshalb auch immer verwandten meine Meister Unmengen an Zeit darauf, dass ich einem ganz genau festgelegten Weg folgte. Als ich ihn fragte, ob es ebenfalls eine Zeitvorgabe gäbe, wann ich wo zu sein hätte, betrachtete Meister Loras mich äußerst irritiert. Als er dann jedoch mein Lächeln bemerkte, ging er wortlos hinaus. Nur einen Moment später betrat Meister Rien den Raum, mit einem dicken Stock in der Hand. Mein Lächeln war längst verschwunden, und bereits während Meister Loras hinausging, wurde mir bewusst, dass ich wieder eine meiner ungebetenen, dummen Fragen gestellt hatte.

Seltsam. Was geschah danach mit Meister Rien?

Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn je wiedergesehen zu haben. Nur Bilderfetzen, ein Schrei, grüne Augen und dann nichts mehr.

Kopfschüttelnd konzentrierte ich mich wieder auf den Weg und verlangsamte unser Tempo. Schließlich bog ich von dem Pfad ab und steuerte auf einen Fluss zu. Ich konnte ihn weder sehen noch hören, dennoch wusste ich, dass er dort entlang floss.

»Was tut Ihr?«, herrschte es von hinten und ich zuckte augenblicklich zusammen.

Ich hatte seine Anwesenheit tatsächlich vollkommen vergessen und schalt mich selbst.

»Ich möchte rasten, und zwar an dem Fluss«, entgegnete ich ohne ihn anzusehen und trieb Zarax unbeirrt voran.

»Und woher wollt Ihr wissen, dass sich ausgerechnet dort ein Fluss befindet?«, fragte er voll Argwohn.

»Kartenkunde.«

»Die wurde mir ebenfalls zuteil. Hier gibt es nichts. Kehrt augenblicklich auf den Weg zurück!«, befahl er, anders konnte man es wirklich nicht nennen.

Aus Furcht, er könnte mich noch aufhalten, trieb ich Zarax eilig an. Kjartan allerdings handelte schneller als gedacht und versuchte meine Zügel zu packen. Diese hektische Bewegung gefiel Zarax jedoch gar nicht. Er stieg auf die Hinterbeine. Hätte ich mich mehr auf ihn anstatt auf Kjartan konzentriert, wäre mir nichts geschehen, so aber fiel ich mit einem Aufschrei herunter und landete schmerzhaft im Dreck. Zarax nutzte die Gelegenheit und riss aus, Richtung Fluss, wie ich grinsend bemerkte.

Lächelnd sah ich auf, blickte direkt in die leuchtend grünen Augen von Kjartan und wandte mich hastig wieder ab. Schwerfällig erhob ich mich und fluchte. Mein Knöchel schmerzte und die Schwellung war bereits deutlich sichtbar.

Seufzend stieg Kjartan aus dem Sattel und trat auf mich zu.

»Wagt es ja nicht, Euch zu nähern. Ihr würdet nur meine ganze Erziehung zerstören«, fauchte ich und er hielt wahrhaftig inne. Eilig wandte ich mich um, griff einen stabilen Ast und humpelte voran.

»Wohin wollt Ihr?«, rief er hinter mir her.

»Zu dem Fluss, in dem mein Pferd sich inzwischen sicherlich genüsslich abkühlt. Bleibt Ihr ruhig hier, bis wir von dieser absonderlichen Einbildung zurückkehren.«

Schwer gestützt auf den Stock humpelte ich vorwärts und fluchte erneut. Weshalb verlief es nie wie in diesen Büchern, die Meister Natal mir heimlich zum Lesen gab. In den Geschichten fand sich immer ein Held, der sich um die Frau sorgte und sie gewiss niemals verletzt sich selbst überlassen würde. Doch außer diesem herrschsüchtigen Krieger befand sich niemand hier und ihn würde ich niemals um Hilfe bitten.

Als ich den Fluss erreichte, konnte ich ein Stöhnen kaum noch unterdrücken. Mein Knöchel schmerzte inzwischen so sehr, dass mir jede Bewegung wie ein giftiger Stachel durch den Körper fuhr.

Mühsam ließ ich mich an dem sandigen Ufer nieder, grinste dann jedoch, als ich Zarax bis zu den Knien im Wasser stehen sah, genüsslich saufend.

»Na, mein Freund. Wenigstens einer hier hat seinen Spaß.« Wiehernd hob er den Kopf und ich lächelte. Schließlich atmete ich tief durch und zog behutsam meinen Stiefel aus, versuchte, mich zu konzentrieren.

»Lasst mich Euch helfen«, erscholl es plötzlich hinter mir und ich zuckte mal wieder zusammen.

»Ausgerechnet Ihr wollt mich berühren, ohne mich dabei zu verletzen?«, zischte ich wütend und legte eine Hand direkt auf den Knöchel. Ich würde eher mit gebrochenem Fuß weiterlaufen, als mich von ihm anfassen zu lassen.

Bei jedem Kampf gegen mich zeigte er sein Vergnügen deutlich. Niemals schonte er mich, selbst als ich noch ein kleines Kind war, kämpfte er unnachgiebig und hart. Anfangs weinte ich, irgendwann jedoch nahm ich die Schläge hin und versuchte alles, mich angemessen zu wehren. Doch ich verfügte weder über die entsprechende Körpergröße noch über die nötige Körpermasse, daher ging er stets als Sieger vom Platz. Weshalb es ihm aber solch eine Genugtuung verschaffte, das verstand ich noch immer nicht.

Würde man mir ein kleines Mädchen als Gegnerin zuweisen, dass nur die Hälfte meiner Kraft besaß, und mich dann dazu zwingen, sie niederzustrecken, würde mir diese Tat wohl kaum Befriedigung verschaffen.

»Verdammt, lasst Euch helfen, das sieht wahrlich arg aus«, wies er mich zurecht und riss mich erneut aus meiner Konzentration.

»Ihr habt mich stets schlimmer zugerichtet als das hier und wolltet mich hinterher auch nicht heilen. Niemanden interessierte es je, ob ich überlebe«, zischte ich ungehalten.

Nun musste ich schneller handeln, als eigentlich gut für mich war. Dennoch gab ich tief luftholend den Impuls frei und leitete ihn von meiner Hand hinab zu meinen Fingern, von denen er in meinen Knöchel eindrang.

Es wäre einfacher und weniger kräftezehrend gewesen, hätte ich den Impuls durch meinen Körper geschickt, bis hinunter zu meinem Fuß, aber ich wollte nicht riskieren, dass Kjartan sich doch noch einmischte. Aufgrund seiner ganzen Art war mir die Vorstellung zuwider, seine Magie in mir zu spüren.

Meister Natal musste mich einige Male heilen, daher kannte ich die Empfindungen, die einen durchströmten, sobald eine fremde Person dies wirkte. Es entstand eine seltsame Nähe, ein inniges Gefühl, das ich gewiss nicht mit ihm teilen wollte.

»Wenn Ihr wegen Eurer Dummheit jetzt den ganzen Tag ruhen müsst, lasse ich Euch zurück«, wetterte er auch sogleich und drehte sich kopfschüttelnd um.

»Wäre mir dieses Glück doch nur vergönnt«, murmelte ich leise, jedoch natürlich nicht leise genug, wie sollte es auch anders sein.

Ruckartig wandte er sich um, sein Blick funkelte unübersehbar wütend. »Übertreibt es nicht«, presste er bebend hervor, trotzdem ignorierte ich ihn, zumindest scheinbar, und blickte über das Wasser. Aus den Augenwinkeln verfolgte ich, wie er fluchend an das Ufer stapfte und sich seine Stiefel auszog. Ehe ich ihn fragen konnte, was er vorhatte, stand er bereits im Fluss und schlich vorsichtig auf mein Pferd zu. Lächelnd betrachtete ich die Szene und verkniff mir nur mit Mühe ein schadenfrohes Grinsen, denn je näher Kjartan gelangte, je weiter wich Zarax vor ihm zurück. Zwar hob er seine Hände langsam, dennoch schüttelte Zarax nervös den Kopf.

Bevor einer von ihnen sich noch verletzte, stieß ich einen Pfiff aus. Mit einem mächtigen Satz sprang der Hengst aus dem Wasser und lief auf mich zu. Durch diese abrupte Bewegung geriet Kjartan allerdings ins Straucheln und fiel schließlich rücklings in den Fluss. Es gelang mir nicht, etwas gegen mein Lachen auszurichten, hastig verbarg ich es jedoch an Zaraxs Hals und spähte nur verstohlen zu Kjartan. Tropfnass stand er dort und strich sich das Wasser aus seinen Haarstoppeln. Immer wieder traf mich sein böser Blick, während er an das Ufer zurückkehrte.

Unvermittelt zog er sich sein Hemd über den Kopf und ich sog scharf die Luft ein. Nicht nur, dass er einen atemberaubenden Anblick bot, jeder einzelne Muskel zeigte sich deutlich, sondern viel unglaublicher erschien das Mal, das er direkt über seinem Herzen trug. Wie in Trance ging ich auf ihn zu, den Blick starr auf die Narbe gerichtet, doch bevor ich sie berührte, packte Kjartan mein Handgelenk und bewirkte damit, dass ich mir meines Handelns bewusst wurde.

»Wieso tragt Ihr das Mal?«, flüsterte ich und entzog ihm meinen Arm.

»Was? Trifft Euch das jetzt etwa hart, dass Ihr nicht die Einzige seid? Ihr seid längst nicht so besonders, wie Ihr glauben mögt.«

»Die Einzige, die noch übrig ist«, wiederholte ich leise die Worte der Meister. Immer wieder sagten sie es mir, als könnte ich es sonst vergessen. »Wie viele tragen es?«, formulierte ich die Frage um.

Zu meiner Überraschung antwortete Kjartan, ohne zu zögern. »Außer mir besitzen noch weitere zehn Krieger Merkmale, doch niemand von uns solch eine Vielzahl wie Ihr.«

»Und Ihr?«, fragte ich, während ich mir meine Stiefel anzog, stolz darauf, dass mein Knöcheln vollkommen geheilt war, ohne dass ich das Gefühl verspürte, sofort ausruhen zu müssen.

»Ich trage drei Zeichen. Das Mal, die magische Gabe und Visionen.«

»Visionen? Über die Zukunft?«

Kjartan schüttelte den Kopf, inzwischen sichtbar ungeduldig. »Nein, nicht so deutlich. Sie sind bei mir nur schwach ausgeprägt und erscheinen ohne Zusammenhang.«

»Weshalb sagten sie mir immer wieder, ich wäre die Einzige, die übrig ist, wenn es so viele gibt? Und wieso besitzt niemand so viele wie ich? Ich besitze ebenfalls nur drei.«

Innerlich stockte ich, doch zum Glück kam mir der Satz flüssig über die Lippen.

»Wir sollten weiter«, entgegnete er harsch und erneut zuckte ich bei seinem Tonfall zusammen.

»Was ist das letzte Merkmal?«, hakte ich nach, leise, bittend.

»Wie kann man nur so unwissend sein?« Seine Stimme klang fragend, während er einen Schritt näher trat und nach einer Haarsträhne von mir griff. Ich zwang mich ruhig stehen zu bleiben und blickte zu ihm hinauf. Er jedoch starrte meine Haare an, als nähme er nichts anderes mehr wahr.

»Es gibt genau fünf Merkmale. Schneeweißes Haar, dieses Mal, Visionen, Besitz der magischen Gabe und die Gedankenkraft.«

»Gedankenkraft und Visionen? Niemand hat das mir gegenüber je erwähnt.« Wussten sie etwa, dass ich Dinge verschwinden lassen konnte? »Also welches ist mein viertes Merkmal und weshalb weiß ich nichts davon?«

Abrupt ließ er meine Haarsträhne los. »Das ist vollkommen gleichgültig«, rief er und nahm sich trockene Kleidung aus seinen Satteltaschen.

»Gleichgültig? Wie bitte? Es geht hier um mein Leben und wieso wisst Ihr mehr darüber als ich selbst? Mir ist das wohl kaum gleichgültig.«

»Achtet auf Euren Ton!«

»Wie bitte? Ihr seid weder mein Meister noch mein Vormund, also wagt Ihr es nicht, mir andauernd zu drohen!«

Mit einem Satz saß ich im Sattel und trieb Zarax voran, zurück auf den Weg. Ich hatte es so satt, mich ständig von ihm einschüchtern zu lassen. Was wollte er tun? Mich verprügeln? Der würde sich wundern. Die Zeit der Beschränkungen lag hinter mir. Ich würde mich wehren, mit allem, was mir zur Verfügung stand und das wäre mehr, als er bislang ahnte.

Als ich den Pfad erreichte, sah ich mich nicht um, denn gleichgültig was ich auch tat, Kjartan würde mir folgen, das wusste ich. Also zog ich ein Brot aus meiner Satteltasche hervor und aß, während ich mir vorzustellen versuchte, wie es in Caras wohl sein mochte.

3

Kjartan

Stumm fluchte ich vor mich hin, während ich hastig die Kleider wechselte. Ich konnte kaum glauben, wie unwissend Salyann erschien. Die Frage jedoch, warum niemand es ihr in all den Jahren erklärte, ließ mir keine Ruhe mehr. Dass man ihr nicht offenbart hatte, dass sie die Gedankenkraft besaß, ergab ja vielleicht noch Sinn, doch weshalb erzählten sie ihr nicht, dass es noch andere gab, die ebenfalls gewisse Merkmale trugen?

Die Einzige, die noch übrig ist., erinnerte ich mich an ihre leisen Worte, die nicht mir gegolten hatten.

Entsprach es wirklich dem, was sie Salyann all die Jahre glauben ließen? Und weshalb schien sie längst nicht so gut vorbereitet, wie man es annehmen sollte? Wenn die Ordensbrüder und Meister tatsächlich so sehr danach strebten, die Gebote unserer Stammväter zu erfüllen, warum musste sie dann all das über sich ergehen lassen und besaß dennoch so wenig Wissen?

Ihr wollt mich berühren, ohne mich dabei zu verletzen? Ihr habt mich stets schlimmer zugerichtet als das hier und wolltet mich hinterher auch nicht heilen. Niemanden interessierte es je, ob ich überlebe., hallten ihre Worte in meinem Geist wider.

War es möglich, dass die Ordensbrüder und Meister insgeheim hofften, einer der Unseren würde zu weit gehen, weil sie selbst es nicht vermochten, nicht durften?

Verwirrt von meiner eigenen Betrachtungsweise schüttelte ich den Kopf. Weshalb machte ich mir plötzlich so viele Gedanken um sie? Ich bereute meine Taten nicht. Na ja, als sie noch um einiges jünger war, unfähig sich zu wehren, musste ich mich überwinden, auf sie einzuschlagen. Sie wirkte so klein und zierlich, als sie mit gerade mal fünf Jahren vor mir auf dem Platz stand. Ich selbst war immerhin dreizehn, bereits ein halber Mann. Meister Rien aber hatte sich vorher lange mit mir unterhalten und mir erklärt, wie wichtig es sei, erbarmungslos zu handeln, weil andere ebenfalls kein Erbarmen kannten, käme es zu einem Kampf. Schon damals wusste ich, dass er mein Vater war, und wollte ihm so gerne gefallen. Auch seine Worte ergaben Sinn, also schlug ich zu und traf ihre Nase, die sofort zu bluten begann. Tränen schossen ihr in die Augen und sie weinte, doch sobald sie sich abwandte, stand ein Meister parat und drohte ihr mit dem Stock. Furchtsam sah sie sich um, und als sie erkannte, dass es kein Entkommen gab, trat sie auf mich zu. Mit hängenden Schultern, hoffnungslos ihr Blick, sah sie mich an und ließ die Schläge regelrecht über sich ergehen. Ich aber schlug unerbittlich weiter, bis Meister Rien den Kampf für beendet erklärte.

Sie tat mir leid damals, doch ich wollte die Stockschläge ebenfalls nicht erdulden müssen, erhielt sie auch so bereits oft genug.

Ich sehnte mich nach der Anerkennung von Meister Rien, nichts erschien mir wichtiger, bis sie ihn verschwinden ließ. Von da an schlug ich nur umso härter zu, weil die Meister es mir untersagten, sie nach ihm zu fragen.

Mit den Jahren wurde sie besser, kräftiger, trainierte zusätzlich außerhalb des Unterrichts, dennoch gelang es ihr kaum, unserer Kraft auf Dauer etwas entgegenzusetzen, da es ihr verboten war, Magie anzuwenden oder auszuweichen. Der Kampf galt erst als beendet, wenn ein Meister dies erklärte.

Jedes einzelne Mal ging sie als Verlierer vom Platz, doch irgendwann weinte sie nicht mehr, nahm jeden Schlag vollkommen stumm hin, so schmerzhaft er auch gewesen sein mochte.

Ihr wollt mich berühren, ohne mich dabei zu verletzen? Ihr habt mich stets schlimmer zugerichtet als das hier und wolltet mich hinterher auch nicht heilen. Niemanden interessierte es je, ob ich überlebe.

Erneut geisterten ihre Worte durch meinen Verstand, während ich zu ihr aufschloss und ihr in gemessenem Abstand folgte.

Hätte ich den Mut und die Kraft besessen, immer wieder auf den Platz zurückzukehren, erhobenen Hauptes trotz des Wissens, dass es keinerlei Aussicht auf einen Sieg gab? Und weshalb ließen unsere Meister dies überhaupt zu? Die Art wie sie uns und sie dazu antrieben, konnte wohl kaum als lehrreich oder gar nützlich erachtet werden.

Was ich plötzlich als Stärke erahnte, wähnte ich zu jener Zeit nur als Schwäche. Stolz stand sie dort vor mir und trug doch die Schuld daran, dass ich meinen Vater verlor. Ich hasste sie aus tiefster Seele und tat all das nur zu gern.

Hatte sie recht und unsere Stammväter wussten davon? Blickten sie wirklich jedem in die Seele und sahen, wie es um mich stand?

Dieser Gedanke ängstigte mich, denn alles was die Meister und Ordensbrüder uns lehrten, galt dem Willen und Wohlwollen unserer Stammväter, immer und ausschließlich. Weshalb also ließ man sie derart unwissend diese Reise antreten? Wollten sie tatsächlich, dass sie den Tod fand, damit einer der Unseren nachrückte, ein Mann? Wenn sie aber mehr Zeichen besaß als jeder andere von uns, Merkmale, die nur unsere Stammväter vergaben, entsprang es dann nicht ihrem Willen, dass sie, und niemand sonst, diesen Titel trug?

Nun noch verwirrter von meinen eigenen Gedanken nahm ich mir ebenfalls ein Brot aus meinen Satteltaschen und grübelte darüber nach. Weshalb kamen mir all diese Fragen vorher nie in den Sinn?

Weil du sie nicht hören wolltest., flüsterte eine innere Stimme in mir und ich seufzte.

Erneut schob sich das Bild von Meister Rien in mein Bewusstsein. Ich war etwa zwölf Jahre alt, stand am Fenster und beobachtete Salyann heimlich. Sie war das einzige Mädchen im Kloster und ich wäre so gerne zu ihr gegangen, doch es war uns verboten.

Meister Rien trat so plötzlich an mich heran und folgte meinem Blick, dass ich erschrocken und ertappt zusammenzuckte.

»Ah, das Mädchen«, sagte er scheinbar belustigt, legte mir dann eine Hand auf die Schulter und blickte auf mich hinab. »Merke dir eines, Junge: Mädchen sind nichts wert und bringen dir nur ärger, besonders sie. Höre auf deine Meister und lerne fleißig. Du bist besser als Salyann und wirst es irgendwann beweisen müssen. Enttäusch mich nicht, sondern lass mich stolz auf dich sein.«

Mit diesen Worten wandte er sich um und verließ den Raum. Mit einem letzten Blick auf Salyann folgte ich ihm leise und erreichte die Tür, als ich ihn sprechen hörte. Unbemerkt blieb ich stehen und lauschte.

»Dieses Mädchen wird nichts als Ärger bringen und kann nur ein Versehen, eine Prüfung unserer Stammväter sein, die es gilt zu bestehen. Wir können nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, sie auszubilden. Mein Sohn Kjartan hingegen vereint alle Eigenschaften eines wahren Kriegers in sich. Sorgt dafür, dass er gut vorbereitet wird.«

Mit diesen Worten verließ er den Raum und ich spähte leise um die Ecke. Meister Catar stand an einem Fenster und sah ebenfalls hinaus, den Blick unverkennbar auf Salyann gerichtet. Schließlich seufzte er. »Armes Mädchen«, glaubte ich sein Gemurmel zu verstehen, dann ging auch er.

Ich hatte seine Worte vergessen, zu sehr beansprucht von der Offenbarung, dass Meister Rien mein Vater sein sollte.

Nachdenklich blickte ich zu Salyann, die gerade den Pfad verließ und ihr Pferd in den Wald lenkte. Ihre Haare wehten leicht im Wind, nur der geflochtene Zopf lag fast ein wenig steif auf ihrer schmalen Kehrseite. Sie reichten ihr beinahe bis zum Ende des Rückens und besaßen seit Ewigkeiten eben diese Länge. Ich fragte mich, ob sie sie trotz des Verbotes heimlich schnitt und schüttelte verärgert über diese seltsamen Gedanken den Kopf.

»Was tut Ihr?«, rief ich gereizt, doch sie blieb stumm, ritt einfach weiter. »Antwortet mir, sofort.«

»Sonst was? Schon wieder eine Drohung? Das Training muss Euch ja wahrlich fehlen, wenn Ihr nichts anderes könnt, als mir Schläge anzudrohen. Verschafft Euch das irgendeine übermäßige Befriedigung? Ich sage es Euch noch einmal: Ich lasse mich nicht mehr einschüchtern. Ihr habt hier keinen Meister oder Ordensbruder, der Euch beisteht, und seid versichert, ich werde mich wehren.«

In ihrer Stimme klang eine solche Gewissheit mit, dass ich mich ernsthaft fragte, was genau sie damit meinte. Hatte sie sich vorher etwa nicht gewehrt?

»Um Eure Frage zu beantworten: Ich suche ein Nachtlager. Es wird langsam dunkel und ich bin müde.«

»Wir rasten am Pfad, wie es uns zugeraten wurde.«

»Befohlen meint Ihr wohl.«

»Sprecht nicht derart respektlos. Sie wollen nur das Beste für uns und Myria.«

Sie lachte und es tönte unendlich verbittert. »Ja, natürlich, das Beste für uns.«

»Folgt mir augenblicklich auf den Pfad zurück. Ich suche uns einen Platz, an dem wir unser Nachtlager aufschlagen können«, wies ich an, sicher, dass sie mir folgen würde. Ich hörte ihr Seufzen und grinste, als ich wahrnahm, wie sie ihr Pferd wendete.

Wieder auf dem Weg entdeckte ich schon bald eine geeignete Senke und hielt an. Ebenfalls froh, eine Weile dem Sattel zu entkommen, stieg ich rasch ab und führte meinen Schimmel einige Schritte von dem Weg fort. Nachdem ich die Zügel an einem Baum festgebunden hatte, erlöste ich ihn von den Satteltaschen. Salyanns skeptischen Blick ignorierend begann ich, das Lager vorzubereiten. Schließlich saß auch sie ab und befreite ihren Hengst von sämtlichem Gepäck. Es folgte das Zaumzeug und der Sattel, bis er frei herumlief. Verärgert betrachtete ich sie.

»Ich glaube kaum, dass Ihr eine weitere Darbietung benötigt. Er wird nicht fortlaufen und jederzeit kommen, sollte ich ihn rufen«, sprach sie plötzlich, ohne mich anzusehen, und sammelte währenddessen kleine Hölzer für das Lagerfeuer. »Dennoch wirkt das hier für mich nicht wirklich geschützt«, fuhr sie fort und sah sich erneut um. »Jeder, der diesen Weg nutzt, sieht das Feuer bereits aus der Ferne.«

»Wovor fürchtet Ihr Euch? Niemand trachtet Euch nach dem Leben, schließlich seid Ihr die Mittlerin.«

Sie schnaubte nur verächtlich, entgegnete jedoch nichts. Wütend ging ich ein Stück in den Wald hinein und sammelte größere Äste, damit das Feuer eine Weile brannte. Was dachte sie nur? Wie konnte man nur so töricht sein.

Zurück am Lagerplatz hielt ich überrascht inne. Das Feuer loderte bereits, säuberlich aufgeschichtet und von Steinen umrandet. Daneben lagen verschiedene Pilze und Kräuter, während in einem kleinen Topf Speck brutzelte und einen verführerischen Duft verbreitete. Augenblicklich lief mir das Wasser im Mund zusammen.

»Ihr schaut, als hättet Ihr noch nie eine Frau beim Kochen gesehen.«

»Eine Frau natürlich, nur nicht Euch. Ich hätte nicht gedacht, dass Ihr dieses Können besitzt.«

Sie lachte, hörbar freudlos, und erst als ich ihre Worte vernahm, verstand ich es. »Eine Frau natürlich, nur nicht Euch? Na, danke. Aber seid versichert, ich beherrsche, was ich tue. Tia verteilte mit besonderer Leidenschaft Stockschläge und ich lernte sehr rasch, alles genauso zu tun, wie sie mich anwies.«

Überrascht von der tiefen Bitterkeit in ihrer Stimme sah ich sie an. »Zollt ihr Dankbarkeit dafür und Respekt, schließlich sollte jede Frau die Fertigkeit zum Kochen besitzen.«

Der Blick, der mich traf, nachdem sie die Pilze und anschließend die Kräuter in den Topf geworfen hatte, war von tiefem Hass erfüllt, dennoch sagte sie nichts. Stumm sah sie mich an, vielleicht drei Atemzüge lang, dann wandte sie sich dem Topf zu und ich empfand plötzlich tiefe Erleichterung. Dieser Blick, so unendlich kalt traf mich tief und unvorbereitet und ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Unbewusst hatte ich wohl einen besonders wunden Punkt getroffen.

Salyann holte sich ein Brot aus ihrer Tasche und öffnete es geschickt. Mit einem Löffel füllte sie die Hälfte aus dem Topf hinein. »Der Rest ist für Euch, erwartet jedoch nicht, dass ich Euch auffülle«, sagte sie unfreundlich und setzte sich auf ihre Decke. Während sie aß, starrte sie gedankenverloren in die Flammen. Ich nahm mir ebenfalls ein kleines Brot und tat es ihr nach.

Schließlich lehnte ich mich satt und zufrieden zurück und betrachtete sie. »Soll ich nachsehen, ob ein Fluss in der Nähe ist? Dann könntet Ihr Euch waschen.«

»Es gibt hier keinen. Ihr werdet Euch mit dem Wasserschlauch begnügen müssen«, entgegnete sie, ohne aufzusehen.

»Woher wollt Ihr das wissen? So weit sind wir nicht gekommen. Der Fluss von heute Mittag müsste noch ganz in der Nähe sein.«

»Ist er nicht. Er folgt nur kurz dem Weg, an dem wir auf ihn trafen, danach macht er eine scharfe Kurve gen Westen. Er ist bereits zu weit entfernt.«

»Ich werde nachsehen.«

»Tut, was Ihr nicht lassen könnt.«

Noch immer sah sie mich nicht an, nicht ein einziges Mal wandte sie ihren Blick von den Flammen ab, was mich nur wütender machte. Abrupt erhob ich mich und stapfte davon, gen Westen, wie ich verärgert feststellte.

Weshalb sollte sie andere Karten zum Lernen bekommen haben, als wir?

 

 

 

Salyann

 

Ich fragte mich, warum es so wichtig war, dass wir stets direkt am Pfad unser Lager aufschlugen, immer genau diesem Weg folgten und erneut schoben sich Erinnerungen in den Vordergrund.

 

Schläge mit dem Stock erhielt ich oft, sehr oft. Sie waren jedes Mal wirklich schmerzhaft, doch in all den Jahren schlugen sie mich niemals so brutal wie nach meiner eigentlich scherzhaft gemeinten Frage, ob es auch einen festgelegten Zeitpunkt gäbe, an dem wir irgendwo erscheinen sollten.

Dies wurde mir jedoch erst hier und jetzt bewusst und mein unbehagliches Gefühl verstärkte sich.

Damit sie euch jederzeit finden können., flüsterte meine innere Stimme und sorgte dafür, dass ich mich noch unwohler fühlte.

 

Nachdem ich mich notdürftig erfrischt hatte, gedanklich immer wieder die Landkarten durchgehend, überlegte ich, wie lange unsere Wasservorräte halten mussten und legte mich hin. Nur kurze Zeit später schlug ich die Decke jedoch beiseite und griff in meine Satteltaschen. Langsam zog ich zwei Messer hervor und runzelte bei den Erinnerungen, wie ich sie erlangte, die Stirn.

 

Meister Natal rief mich zu sich und ich eilte zu seinem Raum, trat gehorsam an seinen Schreibtisch heran. Es war mir verboten mich zu setzen oder wieder zu entfernen, also blieb ich dort stehen und wartete. Meister Natal stand an dem Fenster und blickte scheinbar gedankenverloren hinaus. Verwundert betrachtete ich ihn, doch als er keinerlei Anstalten machte etwas zu sagen, sah ich mich um.

Diesen Raum durfte ich bisher nur ein einziges Mal betreten, damals, einen Tag, bevor mein Training begann. Mein Blick blieb an dem Schreibtisch hängen. Alles war ordentlich aufgeräumt und verstaut, nichts lag herum, bis auf dieses eine Messer, das sich offen auf dem Tisch befand, auf meiner Seite.

»Vieles ist nicht so, wie es scheint und längst nicht alles ist so friedlich, wie es sein sollte. Wenn man die Möglichkeit bekommt, eine Waffe an sich zu nehmen, von der niemand etwas weiß, muss man sie ergreifen, ohne zu zögern. Das kann dir vielleicht einmal das Leben retten.«

Überrascht von dieser formlosen Anrede, die er niemals zuvor benutzte, starrte ich ihn an, reglos.

»Nutze die Gelegenheit, sobald sie sich dir bietet, und trage es stets verborgen bei dir«, ergänzte er leise, als befürchtete er, jemand könnte uns belauschen.

»Ihr dürft jetzt gehen!«

Harsch und laut klangen die Worte plötzlich und ich sah unschlüssig von ihm zu dem Messer. War das ein Test? Ich spürte die Angst vor den Folgen, fürchtete mich vor den möglichen Schlägen, dennoch griff ich zu, ließ es eilig in meiner Tasche verschwinden und eilte hinaus.

Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, und als einige Ordensbrüder meinen Weg kreuzten, senkte ich hastig meinen Blick und verlangsamte meine Schritte. Schweiß bedeckte meine Stirn. Es war mir verboten, zu rennen, doch sollten sie das Messer in meiner Tasche entdecken, würde mir weitaus Schlimmeres bevorstehen.

Nach jedem Training achteten sie peinlich genau darauf, dass nichts in meinen Händen blieb, ich nichts verbarg.

Ungehindert ließen sie mich weitergehen, dennoch atmete ich erst auf, als ich die Tür meines Zimmers hinter mir schloss. Da ich in einem Turm wohnte, besaß ich einige gute Verstecke und kletterte hastig auf die Balken, hangelte mich seitlich, um den nächsthöheren zu erreichen. Niemand von den Ordensbrüdern oder Meistern würde auf die Idee kommen, dass ich diese Höhe bewältigen könnte. Keiner von ihnen ahnte, wie sehr ich das Klettern liebte und beherrschte.

Vorsichtig zog ich den Stein heraus und steckte das Messer in einen Hohlraum, bevor ich das Mauerwerk sorgsam wieder vervollständigte. Zufrieden mit dem Versteck kletterte ich wieder hinunter und beseitigte die Spuren, die von oben herabgerieselt waren.

 

Nur wenige Tage später rief mich Meister Catar zu sich, um ein letztes Mal, wie er sagte, mein Wissen zu überprüfen. Diesmal legte er mir die einfachste Karte hin, die mir sonst immer nur Meister Loras gab, als sich auch schon die Tür öffnete und dieser eintrat.

»Ah, wie ich sehe, habt Ihr bereits begonnen. Braucht Ihr mich hier?«, fragte er und trat an mich heran. »Worauf wartet Ihr, fangt an!«, wies er mich ungeduldig zurecht. Augenblicklich nahm ich den Stift in die Hand und begann die Strecke, beginnend am Kloster, einzuzeichnen.

»Nein, Loras. Solltet Ihr Wichtigeres zu tun haben, geht ruhig. Inzwischen sollte sie es fehlerfrei wiedergeben können. Ihr habt sie gut geschult.«

Loras nickte grausam lächelnd und wandte sich der Tür zu. »In der Tat, sie wird dem Pfad folgen, selbst im Schlaf.«

Mit diesen Worten schloss er die Tür hinter sich und ich versuchte, die Gänsehaut zu vertreiben, die sich auf meinem Körper ausgebreitet hatte. Es war nicht nur sein Grinsen, oder die Aussage, die er traf, sondern entscheidend wirkte der Klang, während er es sagte.

»Zeichnet den Weg fehlerfrei ein, Salyann. Enttäuscht mich nicht. Dies ist die letzte Prüfung, und nur, wenn es Euch gelingt, dürft Ihr aufbrechen, um Eurem Pfad zu folgen.«

Er sprach leise, eindringlich und betonte dennoch deutlich hörbar das einzelne Wort Eurem. Auch das er immer näher an mich herantrat, entging mir nicht, trotzdem konzentrierte ich mich weiterhin vollkommen auf die Landkarte.

Inzwischen stellte diese Aufgabe keinerlei Herausforderung mehr dar und innerhalb kürzester Zeit befand sich der Weg vollständig und präzise eingezeichnet auf der Karte. Langsam legte ich meine Hände in den Schoß, damit er sich alles genau ansehen konnte.

Meister Catar stand jetzt schräg hinter mir und beugte sich vor, scheinbar um das Ergebnis zu betrachten, doch plötzlich spürte ich einen Gegenstand in meinen Händen und hielt ihn fest. Ich wusste sofort, dass es sich um ein Klappmesser handelte, und schob es mir vorsichtig in die Tasche. So gern hätte ich ihm Fragen gestellt, mich bedankt, doch ich sagte nichts, verharrte vollkommen reglos und wartete auf sein Urteil.

»Sehr gut, so werdet Ihr den Weg gewiss nicht verfehlen. Ihr dürft jetzt gehen.«

Ich hob meine Hand, verdeckte so meinen Mund und strich mir scheinbar einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. »Danke«, flüsterte ich fast tonlos und erhob mich.

Ohne einen Blick zurück verließ ich den Raum und begab mich langsam zu meinem Gemach. Ich empfand Bestürzung und Verunsicherung. Weshalb war ich nun im Besitz von gleich zwei Messern, wenn ich doch nicht einmal auch nur ein einziges davon besitzen durfte, keines brauchte, weil ich doch so sicher war, unantastbar?!

Auch dieses verstaute ich gewissenhaft und beseitigte alle Spuren, dann lag ich grübelnd auf meinem Bett. Mein Unbehagen wuchs. Inzwischen fürchtete ich mich vor dem Aufbruch und schrie innerlich. Das, was ich bisher als meinen heimlichen Traum von Freiheit ersonnen hatte, artete immer mehr zu einem ungewissen Pfad aus, den ich nun nicht mehr beschreiten wollte.

 

Plötzlich klopfte es an der Tür und ich zuckte erschrocken zusammen. Um diese Zeit, kurz vor dem Abendmahl, kam niemand hierher, schon gar keiner, der sich die Mühe machte anzuklopfen.

Zaghaft öffnete ich und hielt mir hastig die Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu verhindern. »Oisín, was tut Ihr hier? Seid Ihr verrückt?!«

Einem Impuls folgend zog ich ihn in meine Kammer und schloss hastig die Tür. Erst dann wurde mir schlagartig bewusst, dass ich nun mit ihm, einem Mann, allein in meinem Gemach stand. Sollte jetzt jemand kommen, ich wäre verloren, denn ich könnte niemandem glaubhaft erklären, weshalb ich ihn eingelassen hatte.

»Also was sucht Ihr hier?«, stieß ich leise hervor.

Lächelnd sah er mich an, ließ dann jedoch seinen Blick einmal über meinen Körper wandern, bevor er mir wieder in die Augen blickte. »Ich hatte heute eine Unterredung mit Meister Natal und wollte Euch nur versichern, dass es keine bessere Wahl gibt. Ich werde Euch ein treuer Begleiter und wachsamer Krieger sein. Vertraut Eurem Meister und seiner Meinung.«

Erneut wanderte sein Blick hinab und gegen meinen Willen schoss mir die Röte ins Gesicht, mehr aus Scham und Unbehagen. Innerlich schauderte ich, empfand seine Worte und sein Gehabe eher abschreckend denn hilfreich.

»Ich danke für Eure Offenheit, doch nun geht«, zischte ich und riss die Tür auf. Natürlich stand auf der anderen Seite ausgerechnet Kjartan, wie sollte es auch sonst sein.

»Was, bei allen Stammvätern, treibt Ihr hier, Oisín? Verschwindet, oder wollt Ihr Prügel von den Ordensbrüdern beziehen?«

»Und was verschlägt Euch hierher, werter Kjartan?«, entgegnete er spöttisch, in keiner Weise besorgt.

»Mir wurde aufgetragen, Salyann in den großen Saal zu geleiten. Es ist Zeit für die Entscheidung.«

Ich hielt meinen Blick gesenkt, dennoch spürte ich sehr deutlich, dass Kjartan mich beobachtete, was mein schlechtes Gewissen nur verstärkte. Bei dem Gedanken daran allerdings, was er nun wohl von mir denken mochte, nahm mein Gesicht eine noch tiefere Rotfärbung an. Doch auch das schadenfrohe Grinsen von Oisín entging mir nicht und ich runzelte irritiert die Stirn. Hatte er es etwa absichtlich so abgepasst, dass Kjartan ihn hier bei mir antraf? Aber wozu?

Um dieser unangenehmen Situation zu entkommen, schritt ich wortlos an ihnen vorbei und ging voraus. Durch Meister Catars seltsames Verhalten hatte ich ganz vergessen, dass die Entscheidung bereits an diesem Abend anstand.