Seelenschwingen: Rache - Calin Noell - E-Book

Seelenschwingen: Rache E-Book

Calin Noell

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Beschreibung

Sie ist das Opfer grausamster Gewalt und erlitt unendliche Qualen. Von Menschen gefangen gehalten, gefoltert und geschändet, gelang ihr nach 14 Jahren endlich die Flucht. Seit 2 Jahren ist sie ihnen nun auf der Spur, jagt sie, einen nach dem anderen, bis nur noch einer fehlt: Die Nr. 12 auf ihrer Liste, der Letzte, vollendet ihre Rache. In dem Wissen, dass er ein Dunkelelb vom Clan der Idun ist, demselben Clan, dem auch sie einst angehörte, begibt sie sich auf die Suche nach ihrem Geburtsort. Doch sie will nicht heimkehren, sie will ihn töten, um jeden Preis. Innerlich ist sie zerrissen, ein gebrochenes Geschöpf, dessen einziger Lebenssinn die Vollendung ihrer Rache ist. Danach folgt die Erlösung durch den Tod, das glaubt sie aufrichtig, und doch könnte es sein, dass es Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt ...

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Calin Noell

Seelenschwingen - Rache

Band I

Impressum:

Erstauflage 2016

2. Auflage 2018

Calin Noell

c/o Papyrus Autoren-Club

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

www.calin-noell.com

Coverdesign: Saskia Lackner

www.saskia-illustration.de/

Lektorat: Roland Blümel

www.rolandbluemel.de/lektorat/

Texte © 2016 Copyright by Calin Noell

Bilder © 2016 Copyright by Calin Noell

Alle Rechte vorbehalten

Über die Autorin

»Um Wunder zu erleben, musst Du an sie glauben.«

Nach diesem Motto lebt die 1977 in Hamburg geborene Schriftstellerin Calin Noell, trägt jedoch ihren Teil dazu bei, damit sie auch wahr werden. Sie glaubt nämlich ebenso daran, dass auch immer sehr viel Eigenarbeit dazugehört, weil Wunder selten von ganz allein geschehen.

Schon immer spielten sich etliche Geschichten in ihrem Kopf ab, die sie früher jedoch einfach als „Spinnerei“ abtat. Erst 2015 kam ihr der Gedanke, dass man dieses Wirrwarr in ihrem Kopf auch aufs Papier bringen könnte und wagte schließlich den Versuch. Was als diffuse Möglichkeit begann, endete etwa 375.000 Wörter und sechs Monate später mit der Janaii-Trilogie. Heute kann sie sich eine Welt ohne ihre Geschichten gar nicht mehr vorstellen.

Auf den folgenden Seiten gibt es weitere Infos, zu ihren Büchern, aber auch zu ihrer Person:

www.calin-noell.com

www.facebook.com/calin.noell.Autorin

www.instagram.com/calinnoell_autorin

Viele liebe Grüße

Eure Calin

Danksagung

Mama

Danke für alles.

Ich danke allen, die auch diesmal wieder ihre Zeit für mich geopfert haben, um mein Werk kritisch zu beurteilten. Ich hoffe, ich habe alle Fehler und Unstimmigkeiten beseitigt.

Ihr seid mir wirklich eine große Hilfe und ich bin euch unendlich dankbar dafür.

Ein ganz besonderer Dank muss auch diesmal sein:

Manu u. Gerd. Danke für einfach alles ...

Saskia, vielen Dank für deine Geduld – es ist der Hammer und ich freue mich auf mehr.

Gianna, verzeih mir, wenn ich Dein „Meckern auf hohem Niveau“ ab und zu einfach ignoriert habe. Manchmal ist es (mir) wichtiger gewesen, den Text stimmig einzufügen ;o) Danke für die Mühe.

Buchbeschreibung

Sie ist das Opfer grausamster Gewalt und erlitt unendliche Qualen. Von Menschen gefangen gehalten, gefoltert und geschändet, gelang ihr nach 14 Jahren endlich die Flucht. Seit 2 Jahren ist sie ihnen nun auf der Spur, jagt sie, einen nach dem anderen, bis nur noch einer fehlt:

Die Nr. 12 auf ihrer Liste, der Letzte, vollendet ihre Rache.

In dem Wissen, dass er ein Dunkelelb vom Clan der Idun ist, demselben Clan, dem auch sie einst angehörte, begibt sie sich auf die Suche nach ihrem Geburtsort.

Doch sie will nicht heimkehren, sie will ihn töten, um jeden Preis.

Innerlich ist sie zerrissen, ein gebrochenes Geschöpf, dessen einziger Lebenssinn die Vollendung ihrer Rache ist.

Danach folgt die Erlösung durch den Tod, das glaubt sie aufrichtig, und doch könnte es sein, dass es Dinge gibt, für die es sich zu leben lohnt ...

Seelenschwingen

Rache

Band 1

von

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Die Suche

Unerwartet

Heimkehr

Misstrauen

Wendungen

Vom Leben gezeichnet

Nr. 12

Versprechungen

Verbundenheit

Berührungen

Zerrissen

Erinnerungen

Erkenntnis

Im Angesicht der Vergangenheit

Gleichgültigkeit

Einmischung

Erlösender Schmerz

Hoffnung

Wenn Liebe schmerzt

Entscheidungen

Schutz

Seelensplitter

Verrat

Bruch

 

Prolog

Das Volk der Dunkelelben existierte Jahrtausende lang als das letzte unsterbliche Volk, ohne äußere Einflüsse. In elf großen Clanen lebten wir abgeschieden voneinander, jedoch friedlich, fern der Menschen und deren Welt.

Vor etwa achthundert Jahren aber änderte sich das, schleichend breitete es sich aus, wie das Gift einer Natter. Je öfter wir die Zugänge in die Menschenwelt nutzten, umso mehr zerbrach das Gleichgewicht. Mit Betreten dieser uns fremden Welt trugen wir ein bis dahin unbekanntes Begehren von unabsehbarer Tragweite in unseren Lebensraum:

Habgier, Neid und der Wunsch nach uneingeschränkter Macht.

Es begann mit kleineren Gemetzeln, doch schon bald breiteten sie sich aus wie ein tosendes Feuer, unkontrollierbar und zerstörerisch. Erst vor etwa fünfhundert Jahren endeten sie in einem allgemeinen Massaker von verheerendem Ausmaß.

Mit diesem vernichtenden Höhepunkt gingen sie als die – Verhängnisvollen Kriege – in unsere Geschichte ein, für alle Ewigkeit in unser Gedächtnis gebrannt. Sechs Clane wurden beinahe vollständig ausgelöscht und unsere Ahnen bestraften uns. Je länger wir uns gegenseitig bekämpften, umso kürzer wurde unsere Lebensbahn.

Von der einstigen Unsterblichkeit ist nicht mehr viel übriggeblieben, nur noch wenige leben einhundertfünfzig Jahre und unsere Lebensdauer schrumpft weiterhin.

Werden wir uns selbst zerstören?

Ich bin so müde, das mit ansehen zu müssen, und doch verspüre ich eine vorsichtige Hoffnung. Es hat begonnen, und wir können nur hoffen, dass sie uns nicht verfluchen und für alle Ewigkeit auslöschen wird. Ich bete für sie und für unser Volk, denn sie ist die Letzte, die die Macht in sich trägt. Sie ist die Hoffnung, die uns alle retten – aber auch endgültig zerstören kann.

Wilton

Die Suche

Ich irrte in der Stadt umher und fluchte still in mich hinein. Ich wusste, war mir absolut sicher, richtig zu sein, und dennoch fand ich einfach keine Spur.

Sechzehn Jahre war meine Entführung jetzt her, und ich erinnerte mich kaum noch an die Umgebung. Trotzdem verspürte ich beim Überqueren der Stadtgrenze nicht den geringsten Zweifel, nahm das Ortsschild in Augenschein und betrachtete es. Freiburg – hier muss es sein.

Ich war mir eigentlich sicher, doch es gab viel zu viele Orte und Waldwege. Mit meinen gerade mal sechs Jahren war ich damals zu jung und besaß keinerlei Erinnerungen mehr daran, wo genau sich ein Zugang befand. Also entschied ich mich, die Stadt zu durchkämmen, suchte unauffällig nach Mitgliedern aus meinem Clan und hoffte, selbst jedoch von ihnen unbemerkt zu bleiben.

Ich hockte jetzt schon eine kleine Ewigkeit an einem Tisch vor diesem Lokal, aber auch hier tat sich nichts. Ich musste mir eingestehen, dass ich zu naiv an die Sache heranging. Die Stadt war einfach zu groß und ich vermutete lediglich, dass mein Volk sich inzwischen ganz und gar selbstverständlich unter die Menschen mischte.

Vollkommen frustriert legte ich ein paar Geldstücke auf den Tisch und ließ das Café hinter mir. An meinem Motorrad blieb ich stehen und überlegte, wie ich weiter vorgehen sollte. Hatte es Sinn, noch einmal eine Runde über die kleineren Straßen zu drehen?

Ich startete den Motor meiner Harley und fädelte mich in den Verkehr ein. Erleichtert, die Menschenmassen der Stadt endlich wieder hinter mir zu lassen, fuhr ich einfach meinem Gefühl folgend. Je näher ich dem Wald kam, desto ruhiger wurde ich, noch immer, trotz der langen Zeit.

Ich schüttelte über mich selbst den Kopf und versuchte, mich auf mein Ziel zu konzentrieren, alles andere war unwichtig. Ich fuhr nicht so schnell, damit ich mich umsehen konnte, suchte nach Zugängen zum Wald, die irgendetwas in mir hervorriefen. In einer langgezogenen Kurve fand ich mich plötzlich hinter einem nervtötend langsamen Trecker wieder, bremste und warf einen Blick nach vorn. Ich wollte schon überholen, als ich eine kleine Zufahrtsstraße entdeckte. Kurzentschlossen bog ich ab, duckte mich unter den herunterhängenden Ästen und rollte gedrosselt den sandigen Waldweg entlang. Unbewusst atmete ich tief ein und seufzte. Ich mochte das Stadtleben nicht, die vielen Menschen, die Hektik und den Lärm. Obwohl ich mich die letzten zwei Jahre in den verschiedensten Städten aufgehalten hatte, konnte ich mir nicht vorstellen, dauerhaft an einem solchen Ort zu leben.

Der breite Weg endete an einem Schlagbaum. Ich überlegte, was ich jetzt tun sollte. Der Vorteil eines Motorrads lag darin, dass eine solche Sperre für mich kein Hindernis darstellte. Doch ich wollte meine Umgebung unbemerkt erkunden und hier war es ganz klar ein Nachteil, schon allein wegen seiner Lautstärke. Ein Anruf eines empörten Menschen würde genügen, und ich hätte mehr Verfolger, als mir lieb sein konnte. So sah ich mich gewissenhaft um. Niemand befand sich in der Nähe, also fuhr ich ein Stück vom Weg in den Wald hinein und fand eine Stelle, an der sich mein Motorrad gut verbergen ließ. Langsam stieg ich ab, schob es zu dem Baum, dessen tiefhängende Äste einen guten Sichtschutz boten, und ging zu dem Schlagbaum zurück. Erneut blickte ich mich aufmerksam um und prägte mir den genauen Standort ein, damit ich es später problemlos wiederfinden konnte. Außerdem achtete ich auf jedes Geräusch, jede Bewegung und bemerkte Wanderer oder Hunde schon sehr viel früher, als sie mich. Niemals würde ich begreifen, wie Menschen mit Kopfhörern auf den Ohren durch die Stadt oder den Wald laufen konnten, die Musik bis zum Anschlag aufgedreht und dadurch vollkommen taub und blind für alles, was um sie herum geschah. Für mich wäre das einfach absolut unvorstellbar.

Ich entschied mich, dem Weg ein Stück zu folgen, bevor ich tiefer in den Wald hineinging, und kontrollierte noch einmal meinen Rucksack. Ich hatte alles dabei, um einige Tage hier draußen zu überleben. Also marschierte ich los und genoss diese ergreifende Stille, die nur ein Wald zu erschaffen in der Lage ist. Denn obwohl tausendfaches Leben in ihm wohnte, es überall raschelte, summte und surrte, ging diese Ruhe tiefer, erfüllte mich vollkommen, wie es nirgendwo sonst möglich war.

Nur selten begegnete ich Menschen, die wanderten oder Hunde mit sich führten. Ich wusste, dass ich eine längere Strecke laufen musste, um überhaupt den Hauch einer Chance zu haben, die zu finden, die ich suchte. Doch das störte mich nicht, im Gegenteil. Ich genoss es und je weiter ich voranschritt, desto einsamer, ursprünglicher wurde es. Deswegen war diese Gegend so ideal, dieser Wald so groß und natürlich, teilweise fast undurchdringlich.

Je tiefer ich vordrang, umso sicherer wurde ich, auf der richtigen Spur zu sein. Hier war der perfekte Ort, um unsere Welt vor den Menschen zu verbergen, so lange Zeit.

Ich kramte meine Landkarte hervor und nahm einen Schluck Wasser, versuchte abzuschätzen, wo genau ich mich befand. Ich entschied mich, den Weg zu verlassen und tiefer in den naturbelassenen Wald hineinzugehen. Hier würde es keinen weiteren, von Menschen erschaffenen, Pfad mehr geben und das war die Grundvoraussetzung. Ich musste in den Teil des Waldes vordringen, der von den Menschen vollkommen unberührt und für sie kaum zugänglich war.

Erneut atmete ich tief ein und eine leichte Gänsehaut überzog meine Arme. Konnte es tatsächlich sein, dass ich mein Ziel schon bald erreichen würde? Der Gedanke, endlich den letzten Teil meiner Rache zu vollziehen, war unglaublich berauschend. So lange Zeit schon wartete ich darauf, auch seine Nummer von meiner Liste zu streichen, der Letzte der Zwölf. Ich lächelte.

Danach ist es endlich vorbei.

Mein Lächeln blieb, bis sich eine Erinnerung in den Vordergrund schob und es schlagartig erstarb.

Je einen Dolch durch die Handfläche und in einen Pfahl getrieben, meine Füße baumeln in der Luft, unendliche Qualen ...

Ich schüttelte den Kopf, verdrängte die Bilder und atmete bewusst ein, um mich wieder zu beruhigen.

Bald werde ich endlich frei sein.

Dieser Gedanke trieb mich unermüdlich vorwärts, und gab mir die Kraft, die ich brauchte.

Als die Sonne langsam unterging, suchte ich mir einen Baum mit tiefhängenden Ästen, der in einer dichten Baumgruppe stand. Ich entdeckte schließlich einen, hangelte mich hinauf und sah mich um. Nachdem ich die Entfernung abgeschätzt hatte, sprang ich auf einen nebenstehenden und landete sicher auf dem dicken Ast. Erneut ließ ich meinen Blick gewissenhaft umherschweifen und entschied mich schließlich für einen weiteren Sprung. Dieser gelang mir nicht ganz so sicher, doch immerhin fiel ich nicht, hing jedoch mit den Füßen in der Luft. Mühsam kämpfte ich mich nach oben. In einer großen und stabilen Astgabel setzte ich mich, zufrieden mit meiner Wahl.

Sollte jemand oder etwas meiner Spur folgen, so hoffte ich, dass er oder es den ersten Baum hinaufkletterte und ich so rechtzeitig gewarnt wäre. Ich musste schlafen, um bei Kräften zu bleiben. Wahrscheinlich war meine Vorsicht vollkommen überflüssig, und obwohl ich mir dessen durchaus bewusst war, gelang es mir nicht, diese Eigenschaft abzulegen. Ich konnte mich schon längst nicht mehr dagegen wehren. Eine Kampfmaschine, dazu ausgebildet zu töten und doch ganz anders, als mein Peiniger es sich einst ersehnt hatte.

Aufmerksam ließ ich meinen Blick durch den Wald schweifen, erkannte jedoch aufgrund des dämmrigen Zwielichts nicht mehr allzu viel. Nachdem ich einen Apfel gegessen hatte, schloss ich die Augen und atmete einmal tief durch. Ich würde auch diese Nacht nicht ohne Alpträume schlafen. Fast dankbar für meinen jahrelangen Drill, weil ich seinetwegen sicher wusste, dass trotz alledem kein einziger Laut über meine Lippen kommen würde, was auch immer ich in meinen Träumen sah, versuchte ich mich zu entspannen.

Ich schreckte hoch und erstarrte, lauschte angestrengt, denn sehen konnte ich nichts. Es herrschte stockdunkle Nacht, und ich erschauderte. Dennoch empfand ich unendliche Erleichterung darüber, aus dem Schlaf gerissen worden zu sein. Zu furchtbar quälten mich die Erinnerungen, nicht nur in meinen Träumen.

Plötzlich hörte ich ein Grunzen und entspannte mich.

Bloß ein Wildschwein.

Beruhigt sank ich zurück und schloss die Augen, hoffte, dass meine Alpträume nun hinter mir lagen und ich noch ein wenig Ruhe fand.

Als ich das nächste Mal erwachte, dämmerte der Morgen bereits und ich atmete tief durch. Ich hatte tatsächlich den zweiten Teil der Nacht ohne Alpträume überstanden und blickte mich zufrieden um. Lautlos setzte ich mich auf und rieb mir über die Arme. Der Morgentau hatte längst den Weg durch meine Kleider gefunden und alles fühlte sich klamm und unangenehm feucht an. Vorsichtig griff ich nach meinem Rucksack und zog einen Energieriegel und einen Apfel heraus. Ich aß in aller Ruhe und kletterte dann langsam hinunter. Nachdem ich mich notdürftig frischgemacht hatte, warf ich erneut einen Blick auf die Karte.

Spätestens morgen muss ich einen Fluss erreichen.

Ich reiste mit leichtem Gepäck, so reichte das Wasser, das ich bei mir trug, maximal drei Tage und das auch nur, wenn ich sparsam damit umging.

Während ich zügig weitermarschierte, hing ich meinen Gedanken nach und überlegte fieberhaft, wie ich mein Erscheinen erklären sollte, ohne Misstrauen zu erregen.

Natürlich könnte ich behaupten, dass ich mich schlicht und einfach verlaufen habe, doch somit bestünde die Gefahr, dass sie mir nur den richtigen Weg weisen würden. Ich muss es unbedingt so geschickt einfädeln, dass sie mich nicht gleich wieder fortschicken.

Gleichgültig wie lange ich darüber nachdachte, es fiel mir kein logischer Grund ein, der plausibel genug klingen würde, um eine Weile bleiben zu können.

Je weiter ich marschierte, umso mehr kämpfte ich gegen meine Erinnerungen an.

Zigaretten, die sich glühend in meine Haut fressen, der Gestank nach verbranntem Fleisch, der in meine Nase steigt. Der Schlag, der folgt, weil ich weine ...

Seufzend schüttelte ich mich und versuchte, mich auf meine Umgebung zu konzentrieren. Pilze., schoss es mir durch den Kopf und sofort formte sich eine Idee.

Sollte ich krank sein, wenn ich auf die anderen treffe, nehmen sie mich auf, dessen bin ich mir sicher. Vielleicht nicht gerade freudestrahlend und ziemlich misstrauisch, doch sie werden mich nicht wegschicken.

Lächelnd achtete ich nun sehr genau auf meinen Weg, denn ich brauchte die richtige Art.

Gift-Häublinge.

Da kann ich hinterher behaupten, dass ich dachte, es sei ein gemeines Stockschwämmchen. Ich grinste in mich hinein, fand die Idee wirklich gut. Jetzt musste ich nur noch welche finden, allerdings sollte das hier nicht allzu schwer sein, überall lagen Äste und abgestorbene Bäume herum.

Unermüdlich ging ich weiter, während mein Blick aufmerksam umherschweifte und kam zügig voran. Inzwischen schien die Sonne angenehm warm vom Himmel herab, hatte meine Kleidung vollständig getrocknet. Mein jahrelanges Training machte sich bezahlt, denn ich hielt ein gleichmäßiges Tempo, ohne zu ermüden. Letztendlich musste ich ihm wohl dankbar dafür sein, wer weiß, wie mein Körper sonst geformt wäre. So aber war ich durchtrainiert, jedoch noch immer weiblich. Ich wusste durchaus, dass die menschlichen Männer auf mich aufmerksam wurden, doch das interessierte mich nicht. Wichtig war nur, dass ich genügend Ausdauer und Kraft besaß, um mein Ziel endlich zu erreichen. Dass ich mehr Schmerzen ertrug als sonst jemand, war ebenfalls sehr hilfreich, denn ohne diese Eigenschaft hätte ich es niemals so weit geschafft. Nun aber sollte mein Rachedurst schon bald gestillt sein.

Wie erhofft, begegnete ich niemandem mehr und machte zwischendurch nur kleine, kurze Pausen. Ich ging zügig voran, bis es dämmerte. Erneut suchte ich nach einem passenden Baum, den ich erklimmen konnte, diesmal jedoch vergeblich.

Das kann doch nicht wahr sein., dachte ich frustriert. Na gut, dann eben die altmodische Lagerfeuer-Variante.

Ich seufzte.

Obwohl ein Schlafplatz auf dem Boden wahrscheinlich viel schlauer ist, wenn ich auf ganz normale Wanderin machen will.

Ich sammelte Feuerholz und Steine, die groß genug waren, um ein Umgreifen der Flammen zu verhindern. Sorgfältig legte ich einen Kreis und schichtete Moos und Gräser in die Mitte. Ich entzündete es mit dem Feuerzeug und pustete vorsichtig hinein. Es qualmte unheimlich, da das Moos nicht vollkommen trocken war, doch es genügte, und ich warf die ersten kleinen Äste dazu.

Nachdem das Feuer vernünftig brannte, machte ich es mir gemütlich und versuchte, mich zu entspannen. Es gelang mir nur mäßig, also kramte ich in meinem Rucksack, bis ich mein Buch fand und zog es heraus. Es war der einzige Gegenstand, den ich besaß, und bereits ziemlich abgegriffen. Die Hütte. Ich hatte es schon mehrfach gelesen, dennoch beschäftigte mich diese Geschichte jedes Mal aufs Neue. Ich konnte die Handlung des Vaters einfach nicht nachvollziehen.

Wie kann er verzeihen? Ich werde es niemals können.

Ich dachte an den Pfarrer, der es mir vor fast zwei Jahren schenkte. Ich war nicht gläubig, gar nicht, woher sollte ich auch irgendeinen Glauben besitzen? Wurde er mir doch bereits als Sechsjährige aus dem Leib geprügelt.

Manchmal wünschte ich, dass ich die Dinge so sehen könnte wie in dem Buch, doch das war mir einfach nicht möglich. Dennoch dankte ich jedes Mal, wenn ich es in die Hände nahm, im Stillen dem Pfarrer für den Versuch. Er war der erste Mensch in meinem Leben, seit meiner Verschleppung, der mir etwas gab, ohne dafür eine Gegenleistung zu verlangen, und das würde ich niemals vergessen.

Doch ich war nicht in der Stimmung dafür, klappte es wieder zu und verstaute es sicher. Genervt rollte ich meine Schlafmatte aus und benutzte meine Tasche als Kopfkissen, legte noch etwas Holz nach und schloss die Augen. Sofort überschwemmten mich Bilder. Hastig erhob ich mich.

Verdammt. Das darf doch nicht wahr sein. Was ist nur mit mir los? Je weiter ich gehe, umso schlimmer wird es.

Ich kramte in meinem Rucksack nach der Haarbürste und löste den geflochtenen Zopf. Nachdem ich ihn entwirrt hatte, setzte ich mich hin und begann, meine Haare zu bürsten, das beruhigte mich, sorgte dafür, dass sich meine Gedanken sortierten. Meine Haare, schimmernd schwarz, reichten mir bis zur Taille.

Sie sind das Einzige, das sie immer verschont haben ...

»Arrgh«, stieß ich fluchend hervor und schleuderte die Bürste zurück in den Rucksack. Rastlos legte ich noch einige Äste in die Glut und begab mich auf die Suche nach den Pilzen. Ich brauchte dringend eine Beschäftigung, die mich ablenkte.

Wahrscheinlich werde ich langsam verrückt.

Schon bald entdeckte ich die gesuchte Art und sammelte lächelnd sechs Stück ein. Zurück an meinem Nachtlager, ließ ich mich auf meiner Decke nieder und drehte einen von ihnen nachdenklich zwischen den Fingern hin und her. Ich kannte ihre Wirkung, wusste, sie würden auch bei uns Dunkelelben unangenehmes Erbrechen hervorrufen, doch sie waren die absolut perfekte Wahl. Anders als bei den Menschen, riefen sie bei uns keine weiteren Symptome hervor, da unsere Anatomie sich von ihrer in einigen Dingen klar unterschied.

Vorsichtig packte ich die Pilze zusammen und legte mich hin, grübelte noch eine Weile, wie lange ich wohl ohne Unterbrechung suchen konnte. Irgendwann wäre ich gezwungen, zurückzukehren, sollte ich sie hier nicht finden. Dann schlief ich ein.

»Na, meine Süße. Du wirst immer weiblicher, immer schöner.« Fast ehrfürchtig streicht er mir über die Wange, doch ich sehe sein Gesicht nicht. Es ist, als steht ein kopfloser Körper vor mir und gleichgültig, was ich auch versuche, es gelingt mir einfach nicht, die Erinnerung an sein Aussehen heraufzubeschwören. Nur dass er ein Dunkelelb aus meinem eigenen Clan ist, dessen bin ich mir sicher.

Seine Finger wandern unermüdlich hinab, weiter nach unten und ich kenne den folgenden Ablauf genau. Er tut es anfangs stets nach demselben Muster, als bräuchte er diese Sicherheit. Der Schmerz durch die Dolche in meinen Händen ist inzwischen unerträglich, doch ich weine nicht mehr, keine einzige Träne. Denn ich weiß mittlerweile, dass diese Schmerzen nichts sind im Vergleich zu dem, was dann folgen würde. Es wäre noch so viel grausamer, qualvoller.

Langsam wandert er weiter hinab, umkreist meinen Nabel ...

Ich schreckte hoch und riss die Augen auf, sah mich hektisch um. Nur ein Traum. Zitternd atmete ich durch, nahm einige Äste und schürte die Glut wieder an.

Die Träume werden tatsächlich schlimmer, je länger ich hier bin. Die Erinnerungen kommen mit aller Macht zurück. Ich kann es kaum noch verhindern.

Mein Hass wuchs, mein Zorn steigerte sich und damit mein Wille, ihn endlich zu finden. Ich musste es zu Ende bringen, egal wie und vollkommen gleichgültig zu welchem Preis.

Da es inzwischen dämmerte, packte ich meine Sachen, sammelte ein paar Beeren und aß eine Banane. Danach nahm ich noch einen Riegel und zwang mich, ihn langsam zu essen.

Morgen muss ich wohl auf die Jagd gehen. Ich kann es mir nicht leisten, dass mein Körper schwach wird.

Sorgsam verstaute ich die Pilze und machte mich erneut auf den Weg. Zwischendurch warf ich immer wieder einen Blick auf die Karte, konnte nur schätzen, wo in etwa ich mich befand. Zwar besaß ich ein GPS-Gerät, ebenso mein Handy, doch beides hatte ich schon seit Tagen ausgeschaltet. Ich wusste nicht, welche technischen Mittel sie inzwischen nutzten, war mir jedoch sicher, dass sie längst nicht mehr hinter dem Mond lebten. Sie besuchten die Städte und angeblich arbeiteten und wohnten einige von ihnen sogar unter den Menschen- Also standen dem gesamten Volk ebenfalls alle modernen Möglichkeiten offen. Doch ihren Clan würden sie mit allen Mitteln schützen, dessen war ich mir bewusst. Ich hoffte, dass sie mich nicht wiedererkannten, war mir dessen aber ziemlich sicher, viel zu lange war es her, zu viel Zeit war vergangen.

Eventuell konnten sie spüren, dass ich eine der ihren bin, das wäre vielleicht sogar zu meinem Vorteil, doch darauf wollte ich mich lieber nicht verlassen. Zu lange hatte ich mich nicht mehr in meine wahre Gestalt gewandelt, zu viele Medikamente und Drogen bekommen, um irgendetwas an mir zu testen. So saß ich also seit etwa dreizehn Jahren in der menschlichen Form fest und konnte es mir selbst inzwischen gar nicht mehr anders vorstellen.

Unerwartet

Ich lief den ganzen Tag und je weiter ich vordrang, desto schwerer fiel es mir, meine Erinnerungen zu verdrängen. Erneut blickte ich auf die Karte und verlagerte meinen Weg schließlich ein wenig nach Norden, in der Hoffnung, in nicht allzu großer Entfernung auf den Fluss zu treffen, der in der Karte eingezeichnet war.

Plötzlich hörte ich einen lauten und überaus verzweifelten Schrei. Vorsichtig lief ich los. Darauf bedacht, nicht in eine Falle zu laufen, sah ich mich immer wieder misstrauisch um. Als ich das Ufer endlich erreichte, suchte ich systematisch das Wasser ab. Außer dem einen Schrei hatte ich nichts weiter vernommen, doch ich wusste mit Sicherheit, dass es der panische Schrei eines Kleinen vom Volk der Dunkelelben gewesen war.

Dann sah ich ihn, einen Arm, der sich aus den Fluten streckte. Ich lief am Flussufer entlang und schätzte die Strömung ab. Ohne noch länger darüber nachzudenken, ließ ich den Rucksack und meine Jacke fallen, hastete ein Stück stromabwärts und sprang. Beim Auftauchen versuchte ich mich zu orientieren und schwamm. Ich sah den Körper nicht mehr und hoffte auf ein weiteres Lebenszeichen, denn ohne einen erneuten Hinweis würde ich ihn niemals finden.

Die Strömung war stark, und obwohl ich unermüdlich gegen sie ankämpfte, riss sie mich schließlich einfach mit. Bevor ich die Kontrolle zurückerlangte, prallte ich plötzlich hart an einen Felsen und spürte sogleich einen unsäglichen Schmerz in der Schulter. Doch ich ignorierte ihn, blendete ihn vollkommen aus, wie ich es in den ersten Monaten meiner Gefangenschaft gelernt hatte, und kämpfte mich weiter vorwärts.

Endlich sah ich erneut eine Bewegung und korrigierte meine Richtung. Ich schwamm schneller, bis ich ihn erreicht hatte, packte ihn und zog ihn zu mir heran. Während ich meine Schwimmbewegungen aufgab, blickte ich mich hektisch um, suchte nach einer Möglichkeit, irgendwie das Ufer zu erreichen. Verzweifelt bemühte ich mich darum, den Kopf des Kleinen über Wasser zu halten, doch lange würde mir das nicht mehr gelingen. Schließlich entdeckte ich einige Meter vor uns einen dicken Ast, der über den Fluss ragte und betete, dass er unser Gewicht tragen würde. Hastig streckte ich meinen verletzten Arm aus und biss die Zähne aufeinander, versuchte, hoch genug zu gelangen, um ihn ergreifen zu können. Trotz des kalten Wassers traten mir die Schweißperlen auf die Stirn. Der Schmerz in meiner Schulter wurde unerträglich, dennoch packte ich zu und ließ nicht wieder los. Der Ast hielt und ich zwang mich, den Schmerz zu ignorieren, während ich den Dunkelelb vorsichtig in meinem Griff schüttelte. Niemals könnte ich uns so aus dem Wasser ziehen, denn dazu benötigte ich beide Hände.

Ich lasse ihn nicht los, dachte ich verzweifelt und rüttelte erneut an dem kleinen Körper. »He, du musst aufwachen, sonst schaffen wir es hier nicht raus.«

Nachdem ich ihn ein weiteres Mal geschüttelt hatte, öffnete er endlich seine Augen, hustete jedoch sogleich würgend und erbrach sich. Sein Atem folgte röchelnd, und er brauchte einen Moment, um sich wieder zu beruhigen. Mein Schmerz aber erschien mit jeder Minute, die wir länger an diesem Ast hingen, heftiger. Ich benötigte meine gesamte Kraft, um die Qualen auszublenden, so, wie ich es all die Jahre getan hatte, um überleben zu können.

Aus großen, ängstlichen Augen betrachtete mich der kleine Dunkelelb. »Hör zu. Schling deine Arme um meinen Nacken und deine Beine um meinen Bauch, klammer dich fest wie ein Äffchen, schaffst du das?« Obwohl er nur sehr zögernd nickte, zog ich ihn ganz nah an mich heran. Endlich kletterte er an mir hinauf. Erleichtert griff ich mit der nun freien Hand nach dem dicken Ast, als mir plötzlich irgendetwas in den Rücken schlug. Vor Schock und Schmerz zuckte ich zusammen und wir rutschten ein Stück ab. Hastig packte ich ihn und erneut lastete das ganze Gewicht einzig und allein auf meinem verletzten Arm. Doch ich hatte Angst, dass ich mit der anderen, aufgrund der Schmerzen zu langsam gewesen wäre. Also biss ich die Zähne aufeinander und zog ihn wieder hoch. Diesmal schaffte er es und umschlang mich. »Halt dich gut fest, aber drück nicht so an meinem Hals.« Sofort gab sein Griff ein wenig nach und ich grinste gequält.

Mühsam hangelte ich mich an dem Ast entlang und schlang schließlich meine Beine darum. Mein Rücken war nun dem Fluss zugewandt und der Kleine lag auf meiner Brust. Ich kletterte, so weit es möglich war, und fluchte. Wir hingen noch immer weit über dem Fluss, doch so kamen wir nicht näher an das Ufer heran.

»Du musst auf die andere Seite klettern. Hörst du?!« Er reagierte nicht. »Hör zu. Du musst deine Angst überwinden und auf meinen Rücken klettern, sonst fallen wir wieder ins Wasser. Ich kann uns nicht mehr lange halten«, schrie ich gegen die Strömung an. Endlich löste er sich aus seiner Erstarrung.

Ich spürte seine Furcht und ließ langsam meine Beine von dem Stamm gleiten, damit es ihm leichter fiel. Nun lastete jedoch das ganze Gewicht erneut auf meinen Schultern. Diesmal trieb mir der Schmerz Tränen in die Augen. Der Kleine aber erstarrte bei meiner Bewegung und so ließ mein gesunder Arm den Ast los. Es war meine einzige Chance, es noch an die rettende Böschung zu schaffen. Grob packte ich ihn. »Lass los verdammt. Sofort«, schrie ich wütend.

Endlich tat er es, und ich schob ihn nach hinten, dankbar, dass er nicht besonders viel wog. Augenblicklich umschlang er mich und ich griff hastig mit der freien Hand wieder nach dem Ast. »Halt dich jetzt richtig gut fest, verstanden?« Ich glaubte, ein Nicken zu spüren, und zog meine Beine hoch, schlang sie darum und atmete erleichtert aus. Zwar waren wir noch längst nicht aus der Gefahrenzone, doch es verschaffte meiner geschundenen Schulter eine kleine Ruhepause.

Da ich nun meinen Bauch frei hatte, zog ich mich hoch und lag schließlich keuchend und erschöpft bäuchlings auf dem Ast. Nach einem kurzen Moment robbte ich langsam und vorsichtig vorwärts. Ich zog uns weiter, so zügig es mir noch möglich war, immer darauf bedacht, den Ast nicht in zu starke Schwingungen zu versetzen. Als ich die Böschung fast erreicht hatte, wurde ich plötzlich gepackt und hochgezerrt. Einer Panik nahe, riss ich mich augenblicklich los, sobald ich festen Boden unter den Füßen spürte, traf dabei jedoch versehentlich den jüngeren von zwei Dunkelelben mit der Faust im Gesicht. Hastig brachte ich einige Schritte Abstand zwischen uns. Ich beobachtete jede ihrer Bewegungen, während ich nach dem Kleinen griff, doch er hielt sich noch immer krampfhaft an mir fest.

»Du kannst jetzt loslassen.« Ganz bewusst verlieh ich meiner Stimme einen ruhigen Klang, wandte jedoch meinen Blick nicht von den beiden ab, die mich mindestens ebenso misstrauisch musterten. »Kennst du die? Bist du vor ihnen geflohen?«, fragte ich und drehte mich ein wenig seitlich, damit er sie ansehen konnte. Erneut versuchte ich, ihn von mir zu ziehen.

»Vater«, rief er überrascht und sprang ihm entgegen. Der plötzliche Druck und der Schwung ließen mich taumeln, und während er seinen Sohn auffing, fasste der andere meinen Arm, um zu verhindern, dass ich umfiel. Trotz meiner Schwäche befreite ich mich hastig aus seinem Griff und tastete meinen Rücken ab. Als ich unauffällig hinuntersah, entdeckte ich Blut.

Verdammt. Das fehlt mir gerade noch, ärgerte ich mich.

»Hey, bist du vor einem von ihnen weggelaufen?«, wiederholte ich ruhig und deutete in ihre Richtung, nur um sicherzugehen. Irritiert schüttelte er den Kopf. Sein Vater betrachtete mich verwundert, der andere schnaubte missbilligend.

»Vor wem bist du davongelaufen, Jul?«, hakte sein Vater nach, ließ mich aber ebenfalls nicht aus den Augen.

»Vor Mati und Kial«, flüsterte er beschämt.

»Sie haben dich in einen Fluss gehetzt und sind dann einfach abgehauen?«, fragte ich fassungslos, rief mich im nächsten Moment jedoch selbst zur Ordnung.

Das geht mich überhaupt nichts an.

»Sie haben uns geholt«, keifte der andere aufgebracht.

Wütend funkelte ich ihn an. »Und dafür sind zwei nötig?« Ich schüttelte den Kopf. »Sei das nächste Mal vorsichtiger«, sagte ich zu dem Kleinen und wandte mich ab.

»Warte, wo willst du denn hin?«, rief er mir hinterher.

»Ich muss meine Sachen holen«, antwortete ich, ohne ihn anzusehen, und ging los.

Plötzlich stand er vor mir, lächelte und sprang mir in den Arm. »Danke«, lachte er fröhlich.

Mir hingegen entwich ein Stöhnen. Ich sank auf die Knie, nicht mehr in der Lage, den Schmerz noch länger zu ignorieren. Nicht nur, dass er meine Schulter fest umklammerte, auch meinen Rücken schien es schlimmer erwischt zu haben als ich dachte. Behutsam löste ich seine Arme und sah ihn an, lächelte zögernd. »Gern geschehen. Doch das nächste Mal läufst du nicht weg. Stell dich ihnen in den Weg, und auch wenn du Angst hast, zeig sie ihnen nicht. Zwing dich selbst dazu, ihnen in die Augen zu blicken, gleichgültig, wie ängstlich du bist. Du wirst sehen, dann macht es ihnen gar keinen Spaß mehr, dich zu ärgern und zu jagen.« Ernst nickte er.

»Es scheint dir nicht besonders gut zu gehen. Hast du dich verletzt?«, fragte der Vater hinter mir und trat in mein Blickfeld.

»Es wird schon gehen, ich muss nur zu meiner Tasche. Ich habe alles dabei, was ich benötige«, wich ich aus, griff die Schulter des Jungen und sah ihn an, als würde ich noch etwas sagen wollen. Dabei nutzte ich ihn lediglich als Stütze, um überhaupt wieder auf die Füße zu kommen. »Mach‘s gut, Jul«, sagte ich, während ich mich schwerfällig erhob. Ich wusste inzwischen, dass sie zwar zu meinem Volk gehörten, doch sie waren nicht die, die ich suchte. Jul und die beiden stammten von einem anderen Clan ab.

Ich nahm meine Hand von seiner Schulter und versuchte, das Zittern zu unterdrücken, ballte sie zur Faust.

»Wie heißt du?«, fragte Jul und betrachtete mich neugierig.

»Sam«, antwortete ich lächelnd, nickte den beiden zu und setzte meinen Weg fort.

Seit wann bin ich so verweichlicht? Warum kann ich meine Schmerzen immer weniger kontrollieren, meine Erinnerungen? Alles scheint mir zu entgleiten.

»Warte. Du bist verletzt und kannst unmöglich allein weiter durch den Wald spazieren. Du kommst mit uns und wir versorgen deine Wunden«, beschied der Vater und fasste meinen Arm. Ich versteifte augenblicklich.

»Nicht anfassen, bitte«, flüsterte ich und entwand mich hastig, zuckte jedoch sogleich vor Schmerzen zusammen.

»O ja. Bitte, Sam. Umi macht jeden wieder gesund. Und wo willst du denn hin, du kannst ja kaum gehen«, rief Jul begeistert.

Ich fluchte innerlich. Sie hatten ja recht, dennoch behagte es mir nicht. Andererseits würden sie mich zu einem Übergang bringen und somit besäße ich schon mal ein Problem weniger. »Ist es weit?«, fragte ich zögernd, noch immer nicht sicher, ob das so eine gute Idee war. Lachend fasste Jul meine Hand. Ich unterdrückte krampfhaft das erneute Zusammenzucken, als er an meinem verletzten Arm zog. »Ich brauche aber meine Sachen«, beharrte ich und setzte mich wieder in Bewegung. Aufgeregt hopste der Kleine neben mir her, wodurch meine Schulter die ganze Zeit bewegt wurde. Inzwischen bildeten sich auf meiner Stirn kleine Schweißtropfen.

Kaum jemand wird verstehen, weshalb ich nicht einfach zugab, am Ende zu sein. Doch es saß zu tief in mir verwurzelt, niemals eine Schwäche zuzugeben oder zu zeigen, selbst jetzt noch. Ich wusste natürlich, dass mich niemand mehr dafür bestrafen würde, doch die jahrelange Folter ließ sich nicht einfach so wieder umkehren. Außerdem waren sie Fremde und allein schon deswegen konnte ich ihnen gegenüber niemals eine Schwäche eingestehen. Also schleppte ich mich vorwärts und ließ mir so wenig wie möglich anmerken.

Bei meinen Sachen angekommen, nutzte ich die Gelegenheit und entwand mich aus Juls Griff. »Dreht euch um und am besten geht ihr ein paar Schritte weg, damit ich mir wenigstens trockene Kleidung anziehen kann.« Sichtbar widerwillig folgten sie meiner Aufforderung, während ich hinter einer Baumreihe Schutz suchte. So schnell wie es meine Schmerzen zuließen, zog ich mich um. Bevor ich als letztes mein langärmliges Shirt überstreifte, legte ich eine Wundauflage auf die Rückenverletzung und umwickelte sie eilig mit einem Verband. All das brachte mich an den Rand meiner Belastbarkeit, weil ich ständig meine ausgekugelte Schulter bewegte. Als ich mich ihnen vollständig angekleidet zuwandte, schwitzte ich vor lauter Qualen.

»In Ordnung«, rief ich und packte meine Jacke ein. Vorsichtig hängte ich mir den Rucksack über die lädierte Seite und Jul schnappte sich sofort meine andere Hand. Erleichtert, dass er nun nur noch an meinem gesunden Arm zog, ließen sich die Schmerzen aushalten.

Wir schwiegen eine ganze Weile, während wir immer tiefer in den Wald vordrangen, bis Jul plötzlich stoppte. Ich spürte den Übergang bereits und atmete tief durch. »Wir müssen dir die Augen verbinden«, erklärte Juls Vater zögernd. »Nur zur Sicherheit.«

Misstrauisch runzelte ich die Stirn und sah zwischen ihnen hin und her. Der Stumme erwiderte meinen Blick undurchdringlich, sprach jedoch noch immer nicht. Jul hingegen strahlte über sein ganzes Gesicht. Schließlich nickte ich seufzend. »Ihr werdet mir wohl kaum ein Messer in den Rücken rammen wollen«, entgegnete ich und hoffte, dass dem auch tatsächlich so war. Jul kicherte, doch der Schweigsame schnaubte erneut. »Wie heißt ihr?«, fragte ich und musterte sie diesmal ausgiebiger.

»Ich heiße Dave«, antwortete der Vater. »Und das ist Cadan«, sagte er und deutete auf den jüngeren Dunkelelb, der ungefähr in meinem Alter sein musste. Ich nickte und schloss die Augen, zwang mich zur Ruhe. Nur einen Atemzug später trug ich eine schwarze Binde und spürte zwei Hände auf meinen Schultern. Fluchend zuckte ich zusammen, sowohl vor Schreck, als auch vor Schmerz.

»Du willst wohl kaum hinfallen, also musst du schon zulassen, dass ich dich führe«, zischte dieser Cadan an meinem Ohr und packte noch gröber zu.

Verkrampft schloss ich die Augen, der Schweiß lief mir den Nacken hinab. Jul zog nach wie vor an meiner Hand und ich versuchte, mich einzig und allein auf seinen Griff zu konzentrieren. Beim dritten Stolperstein jedoch gaben meine Beine nach und ich wäre gestürzt, hätte Cadan mich nicht noch fester gepackt. Der Druck aber verschlimmerte die Schmerzen in meinem Rücken, ebenso die in meiner Schulter auf ein unerträgliches Maß und ich verlor den Kampf mit meinem Bewusstsein.

 

Heimkehr

 

 

Als ich aufwachte, blinzelte ich mehrfach, um den verschwommenen Schleier zu vertreiben. Ich lag in einem Zimmer, die Fenster, vier Stück an der Zahl, zu hoch oben, um von hier aus hinaussehen zu können. Nur eine kleine Lampe direkt neben dem Bett verströmte gedämpftes Licht.

»Du bist wach«, rief Jul begeistert. Überrascht wandte ich mich zu ihm um. »Ich darf gar nicht hier sein, aber ich habe mich reingeschlichen«, fuhr er grinsend fort.

Mühsam setzte ich mich auf. »Wo bin ich?«, fragte ich verwirrt und ließ meinen Blick erneut durch den Raum schweifen.

»In einem der Gästezimmer vom Clan der Idun. Umi hat deine Verletzung auf dem Rücken versorgt, weil der Heiler Nevan beschäftigt war. Sie hat gesagt, du würdest frühestens morgen erwachen. Ich wollte ihr nicht glauben, weil du bereits seit zwei Tagen schläfst.« Jul plapperte wie ein Wasserfall und ich schmunzelte darüber, als sich die Tür öffnete und eine Dunkelelbin das Zimmer betrat. In meinem Kopf arbeitete es und meine Gedanken überschlugen sich.

Warum bin ich hier? Sie gehören nicht zu meinem Clan und doch bin ich jetzt genau dort, wo ich die ganze Zeit hinwollte.

»Du bist ja bereits munter«, rief sie erstaunt, lächelte jedoch. Jul aber verwandelte sich vor Schreck in ein Wolfsjunges, sprang auf meinen Schoß und rollte sich zusammen. Ich streichelte ihn und genoss sein weiches Fell unter meiner Haut. Sichtlich überrascht zog Umi eine Augenbraue in die Höhe und beobachtete uns oder vielmehr mich.

»Was ist geschehen?«, entgegnete ich, bevor sie etwas dazu sagen konnte.

»Du wurdest ohnmächtig und hast dir eine schlimme Verletzung des unteren Rückens zugezogen. Es hat sich ein großer Erguss gebildet, der geplatzt ist. Wie ist das passiert?«, fragte sie und betrachtete mich scheinbar ernsthaft besorgt, wie ich fand, als sich die Tür ein weiteres Mal öffnete. Cadan trat ein und schnappte geräuschvoll nach Luft, als er Jul in Wolfsgestalt auf meinem Schoß entdeckte. Misstrauisch blickte er zwischen Umi und mir hin und her. Noch immer auf Antwort wartend, ignorierte sie ihn jedoch und sah mich auffordernd an.

»Als ich mit Jul an dem Ast hing, traf mich irgendetwas im Rücken. Ich konnte uns gerade noch mit letzter Kraft halten.« Ungläubig fixierte mich ihr Blick.

»Du hast kein Wort gesagt«, empörte sich Cadan.

»Warum sollte ich? Ihr seid mir vollkommen fremd, und ich trage alles bei mir, was ich benötige. Ich habe mich selbst verbunden und geheilt wäre es auch von allein«, entgegnete ich verärgert über seinen Ton und seine ganze Art, während er herablassend eine Braue in die Höhe zog. Ungerührt erwiderte ich seinen Blick.

»Was ist los mit dir, Jul?«, fragte ich schließlich irritiert, weil er sich noch immer nicht zurückgewandelt hatte.

»Er ist noch nicht so sicher in der Rückwandlung«, hörte ich die Stimme seines Vaters und sah kurz auf. »Da du bereits wach bist, haben wir einige Fragen an dich. Würdest du uns bitte begleiten.« Ganz klar eine Aufforderung, keine Frage.

»Wozu?«, fragte ich gespielt verwundert.

Ich wusste doch, dass das eine echt blöde Idee ist.

Was sollte ich jetzt erzählen? Sie würden mich ins Kreuzverhör nehmen, und ich hatte so eine Ahnung, dass ich da nicht so einfach wieder herauskam.

»Das klären wir nicht hier«, antwortete er schlicht und stellte sich neben die Tür. Eine eindeutige Geste, die selbst der Dümmste verstanden hätte.

Langsam erhob ich mich und sah erleichtert an mir hinab.

Sie haben mir meine Kleidung angelassen.

Ich legte Jul auf das Bett und streichelte ihm über den Kopf. »Bis später Jul.«

»Moment«, rief Umi böse und baute sich vor ihnen auf. »Sam geht nirgendwohin, bevor sie nicht mindestens noch einen Tag im Bett verbracht hat.«

Cadan wich tatsächlich einen Schritt zurück und ich lächelte. »Es ist in Ordnung. Ich habe nichts zu verbergen und fühle mich ganz gut. Es wird schon gehen«, fuhr ich beschwichtigend dazwischen. Hinauszögern würde mir auch nicht helfen. »Wenn ich mich vorher noch kurz zurückziehen könnte?« Mein Ton klang freundlich. Angestrengt bemühte ich mich, meine Wut nicht zu zeigen. »Wo sind meine Sachen?«, fragte ich misstrauisch, weil ich den Rucksack nirgendwo sah.

»Natürlich.« Dave wirkte aufrichtig beschämt und nickte Cadan zu, der daraufhin sofort verschwand. Nur einen Augenblick später kehrte er mit meinem Rucksack in der Hand zurück.

»Was soll das?«, rief ich aufgebracht, nachdem ich einen Blick hineingeworfen hatte. »Wo sind meine restlichen Sachen?« Wütend funkelte ich sie an, doch niemand von ihnen reagierte darauf. Bis auf meine Kleidung und mein Waschzeug war der Rucksack nun augenscheinlich leer.

»Wir warten draußen«, entgegnete Dave, statt auf meine Frage zu antworten, und schnappte sich Jul.

»Brauchst du Hilfe?«, fragte Umi. Hastig schüttelte ich den Kopf. Als sie endlich die Tür hinter sich geschlossen hatten, besah ich mir meinen Rucksack eilig genauer. Erleichtert stellte ich fest, dass die Geheimfächer unentdeckt geblieben waren. Meine Messer befanden sich noch alle in ihm, gut verborgen.

Ich erfrischte mich, so gut es ging. Umi hatte mir mein Shirt nicht ausgezogen und so meine ausgekugelte Schulter nicht bemerkt. Ich brauchte ewig, um mich zu waschen und mir ein sauberes Oberteil anzuziehen. Bevor ich einen Versuch unternehmen konnte, mich selbst einzurenken, klopfte es bereits hörbar ungeduldig.

»Bist du endlich fertig?«, erklang Cadans gereizte Stimme durch die Tür.

Mein Rücken und meine Schulter schmerzten von den vielen Bewegungen und ich fluchte leise. »Gleich«, rief ich verärgert zurück.

Nachdem ich mir die Haare ordentlich durchgebürstet hatte und die vergebliche Suche nach einem Haarband aufgab, öffnete ich die Tür. Jul war verschwunden. Dafür standen nun Dave, Cadan sowie zwei mir unbekannte Dunkelelben vor mir, die ich jedoch meinem Clan zuordnete. Ist es tatsächlich möglich?

Cadan fasste meinen Arm und schob mich rücksichtslos vorwärts. Ich entwand mich gewaltsam, während ich das Stöhnen nur mühsam unterdrückte. »Ich bin durchaus in der Lage, allein zu gehen, also Finger weg«, zischte ich, langsam wirklich wütend. »Was soll das alles? Bin ich eine Gefangene oder nennt ihr so etwas Gastfreundschaft?« Mein Blick funkelte gefährlich, dennoch bekam ich auch diesmal keine Antwort.

Als wir den Korridor betraten, kämpfte ich gegen den Ansturm der Erinnerungen aus meiner Kindheit und wurde überwältigt von Gefühlen, die ich kaum noch beherrschen konnte.

Ich bin wirklich im Schloss, in unserem Schloss.

Bevor ich jedoch die Möglichkeit bekam, mich genauer umzusehen, hielten wir vor einer Tür und man bedeutete mir einzutreten. Es waren mehrere Dunkelelben anwesend, doch sobald sich die Tür geöffnet hatte, nahm ich nur noch einen Einzigen von ihnen wahr und benötigte all meine Kraft, um nicht voller Verzweiflung laut aufzuschreien. Ich befand mich tatsächlich an meiner Geburtsstätte und erkannte den Dunkelelb, der hinter dem großen, verschnörkelten Schreibtisch saß, sofort. Trotz der langen Zeit machte mein Herz einen riesigen Satz.

Kiljan!

Sooft hatte ich mir dieses Zusammentreffen vorgestellt, doch nun wurde mir bewusst, dass nichts mich jemals auf diesen Moment hätte vorbereiten können.

Äußerlich blieb ich vollkommen gelassen und empfand nicht das erste Mal in meinem Leben echte Dankbarkeit dafür, dass ich eine derartig antrainierte Selbstbeherrschung besaß.

 

Ich setzte mich auf den mir zugewiesenen Stuhl und sah in die Runde. Mit meinen vier Begleitern befanden sich, außer mir, nun acht Mitglieder meines Clans, dem Clan der Idun in diesem Raum. Nur Dave und Cadan gehörten definitiv einem anderen Familienverbund an.

Auf dem Tisch vor mir lagen die von mir vermissten Sachen und das ärgerte mich. Zwar trug ich augenscheinlich nur Dinge bei mir, die man wohl kaum auf mein Vorhaben beziehen konnte, doch es handelte sich um mein persönliches Eigentum und niemand besaß das Recht, darin herumzustöbern.

Mein Glück, dass die Messer so gut versteckt sind.

»Also was soll das hier alles«, fragte ich in die Runde und hielt meinen Unmut auch aus meiner Stimme nicht heraus.

Kiljan musterte mich aufmerksam. »Du gehörst unserer Art an«, sagte er schließlich nachdenklich und betrachtete mich weiterhin. Ich unterdrückte ein Schmunzeln, denn ich erinnerte mich, dass er als Oberhaupt geboren worden war, und würde niemals den Fehler begehen, ihn zu unterschätzen. Jetzt konnte ich nur hoffen, dass er nicht ebenfalls erkannte, wer genau ich eigentlich war.

Ich nickte. »Ja, und?« Scheinbar irritiert hielt ich seinem bohrenden Blick stand.

»Warum hast du das nicht bereits am Fluss gesagt?« Cadan klang eindeutig zweifelnd.

Seufzend betrachtete ich ihn. »Ja, genau, weshalb denn nicht? Lass mich überlegen. Lag es an deiner so liebenswürdigen Art oder eher daran, dass ich euch dasselbe Misstrauen entgegengebrachte, wie ihr mir? Vielleicht lag es aber einfach auch nur daran, dass mich niemand von euch gefragt hat? Ich habe Jul das Leben gerettet, ohne dass ich wusste, wer oder was er ist. Ich hörte lediglich einen Schrei, doch ein Wort des Dankes erhielt ich weder von dir noch von seinem Vater.«

Beschämt sah Dave zu Boden. »Sie hat recht. Es tut mir leid. Ich bin dir wirklich unglaublich dankbar und stehe tief in deiner Schuld«, entgegnete er entschuldigend. Genervt schüttelte ich den Kopf, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein kleiner Dunkelelb hereinlief.

»Bist du Sam?«, fragte er aufgeregt und ignorierte die bösen Blicke. Verwundert nickte ich und betrachtete ihn. Er fasste meine Hand, natürlich die mit der verletzten Schulter, und zog. Nur mit Mühe gelang es mir, einen Aufschrei zu unterdrücken. »Du musst mitkommen. Es ist wegen Jul, er ist bei Nevan, unserem Heiler, sofort«, rief er drängend und zog erneut.

Während ich mich erhob, packte Cadan plötzlich meinen Oberarm. Ich entwand mich aus der Hand des Kleinen und umschloss blitzschnell Cadans Kehle. »Was verstehst du nicht an den Worten: Nicht anfassen«, zischte ich und stieß ihn ein Stück nach hinten. Ebenso schnell ließ ich ihn wieder los, noch bevor irgendjemand auf den Gedanken kam, sich auf mich zu stürzen. Sein Blick funkelte hasserfüllt.

»Ich kann wohl kaum weglaufen«, sagte ich und ergriff die Hand des Kleinen erneut, der nun ängstlich zwischen uns hin und her sah, mich dann jedoch hinauszog. Ich achtete nicht auf die anderen, wusste, dass sie mich nicht aus den Augen lassen würden. »Wie heißt du?«, fragte ich ihn, als wir vor einer Tür hielten.

»Leif«, entgegnete er lächelnd und öffnete.

»Nein«, schrie Jul. Ich blieb abrupt stehen, sodass die Hüter, die uns folgten, in mich hineinliefen. Ich stöhnte laut auf, war nicht länger in der Lage, den Schmerz zu unterdrücken, und fluchte. Wütend wandte ich mich um und blickte in Kiljans funkelnde, moosgrüne Augen. Er stand direkt hinter mir, sein Körper lehnte noch immer an meinem.

»Entschuldige«, stieß er sichtbar aufgebracht zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Doch ehe ich etwas erwidern konnte, zog mich Leif bereits in den Raum hinein.

»Was ist hier los?«, fragte ich, weil ein Dunkelelb versucht hatte, Jul zu packen.

Irritiert starrte er uns an, runzelte bei meinem Anblick missbilligend die Stirn. »Er will sich keine Injektion geben lassen. Aber da sich in seinen Atembahnen noch Wasser befindet, und wir nicht wollen, dass sein Körper es bekämpft, muss er es hinnehmen.« Seine Worte wirkten misstrauisch, ebenso sein Blick. Ich wusste, ich kannte ihn, doch ich konnte ihn einfach nirgendwo einordnen. Also zog ich mir vorsichtig einen Stuhl heran und setzte mich neben die Bahre.

»Jul, was ist das Problem?«, fragte ich leise.

»Raus hier«, rief der Heiler plötzlich unbeherrscht.

Überrascht wandte ich mich um. Diese ruckartige Bewegung trieb jedoch einen sengenden Schmerz in meine Schulter, der sich inzwischen kaum noch ignorieren ließ.

Alle zehn Dunkelelben aus dem Verhörraum standen mittlerweile am Eingang und musterten mich. Kiljan nickte ihnen zu, ehe er gemeinsam mit einem mir unbekannten Wächter eintrat. Sie schlossen die Tür und postierten sich abwartend an der Wand.

»Ich möchte kurz mit Jul sprechen, bitte«, stieß ich genervt hervor, dennoch stellte sich der Heiler nur sehr zögernd zu Kiljan. »Nun?«, fragte ich Jul flüsternd. Er wich meinem Blick aus, sodass ich seinen inneren Kampf erkannte.

»Ich habe Angst vor Injektionen«, flüsterte er, traute sich aber noch immer nicht, mich anzusehen. »Du fürchtest dich vor gar nichts«, ergänzte er noch leiser. Ich hörte deutlich seine Scham.

»Ich habe Angst vor geschlossenen Räumen«, vertraute ich ihm so leise an, dass nur er mich hören konnte. Endlich hob er den Blick und riss erstaunt die Augen auf. »Und ich fürchte mich vor Heilern«, schob ich langsam hinterher.

»Was?«, rief er lachend und schüttelte den Kopf.

»Ich habe schlechte Erfahrungen gemacht. Doch Nevan sieht eigentlich ganz nett aus. Pass auf, wenn ich ihn trotzdem meine Schulter richten lasse, lässt du dir dann von ihm die Injektion geben? Du hältst meine Hand, damit es mir leichter fällt und ich deine. Glaubst du, dass du es dann aushältst?«, fragte ich ihn ernst.

»Was ist mit deiner Schulter?« Jul musterte mich besorgt.

Ich lächelte gequält. »Ich habe sie mir im Fluss ausgekugelt«, antwortete ich und registrierte das nach Luft schnappen der wartenden Dunkelelben hinter uns. Zögernd nickte Jul. »Du musst aber richtig gut festhalten«, forderte ich. »Allein schaffe ich das nicht, in Ordnung?«

 

Ich hoffte, meine Taktik würde aufgehen. Niemals hätte ich freiwillig meine Verletzung zugegeben, doch dieser kleine Dunkelelb trug irgendetwas in sich, das mich innerlich packte. Innerlich seufzte ich über mein eigenes Verhalten.

»Du hast dir im Fluss die Schulter verletzt und nichts gesagt?«, fragte Nevan vorwurfsvoll. Ich erwiderte seinen Blick, schwieg jedoch. »Zeig mal, vielleicht ist es ja gar nicht so schlimm.« Auffordernd betrachtete er mich, während ich mir ziemlich umständlich das langärmlige Shirt auszog.

Ich saß im T-Shirt vor ihm. »Das wird genügen«, sagte ich bestimmend. »Wenn es dir nicht reicht, schneid den Ärmel auf, doch ich werde mich nicht weiter entkleiden«, ergänzte ich.

Das fehlt mir noch.

Meine Erleichterung darüber, dass Umi mich nicht entkleidet hatte, empfand ich als unbeschreiblich, und ich würde hier nicht damit anfangen. Niemals würde ich freiwillig meine Narben zeigen.

 

Seinem Gesichtsausdruck war das Missfallen deutlich anzusehen, dennoch schnitt er schweigend den Ärmel ein wenig auf. Als er meine Schulter erblickte, fluchte er.

»Ich weiß sehr wohl, wann sie ausgekugelt ist«, entgegnete ich schlicht. »Bekommst du sie wieder eingerenkt?« Misstrauisch musterte ich ihn.

Er tauschte einen Blick mit Kiljan und nickte schließlich. »Leif hat dich an dieser Hand hier hereingezogen.« Er wirkte fassungslos und sah die Szene anscheinend noch einmal im Geiste vor sich.

»Er konnte es nicht wissen«, antwortete ich nur.

»Warum hast du nichts gesagt. Das müssen unglaubliche Schmerzen sein«, erwiderte er vorwurfsvoll.

»Wann denn? Ich war kaum aufgewacht, da packte man mich und schleppte mich zum Verhör«, stieß ich verärgert hervor, auch wenn ich wusste, dass diese Aussage nicht ganz fair war. Zwar hatte mich niemand gefragt, doch wenn ich etwas gesagt hätte, wären sie hilfsbereit gewesen, das war mir klar. Aber es brachte mich in eine bessere Position und die brauchte ich dringend.

Anklagend blickte der Heiler die beiden an der Wand stehenden an. »Wie ist das geschehen?«, fragte er nun freundlicher.

»Nachdem ich ins Wasser gesprungen und losgeschwommen bin, riss mich plötzlich die Strömung ein Stück mit. Ich prallte an einen Felsen, bevor es mir gelang, mich aus dem Strom zu befreien.« Ich zuckte mit den Schultern und spürte augenblicklich den stechenden Schmerz, fluchte innerlich über meine eigene Dummheit. Erneut kämpfte ich gegen die nahende Ohnmacht.

»Mir wurde berichtet, du hättest euch über einen Ast aus dem Wasser gezogen. Da warst du die ganze Zeit schon verletzt?«, fragte Kiljan von hinten und ich wandte mich ihm ein wenig zu.

»Ja.« Kiljan runzelte die Stirn.

»Das kann ich kaum glauben«, warf der Heiler ein und betrachtete mich skeptisch.