Seelenschwingen: Verrat - Calin Noell - E-Book

Seelenschwingen: Verrat E-Book

Calin Noell

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Beschreibung

Wahren Frieden erlangt nur, wer bereit ist, wirklich alles dafür zu opfern ...   Mithilfe ihrer Seelenschwingen gelingt es Talil, den Bann endgültig zu brechen, dennoch bleibt das Misstrauen der anderen Clane bestehen. Sie beginnt zu zweifeln. Als sie sich gemeinsam mit ihren Gefährten zum Splitterclan aufmacht, um über einen dauerhaften Frieden zu verhandeln, scheinen sich ihre schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten.

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Calin Noell

Seelenschwingen – Verrat

Band IV

Impressum:

Erstauflage 2018

Calin Noell

c/o Papyrus Autoren-Club

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

www.calin-noell.com

Texte © 2018 Copyright by Calin Noell

Bilder © 2018 Copyright by Calin Noell

Coverdesign: Saskia Lackner

www.saskia-illustration.de/

Lektorat: Kerstin Barth

www.kerstin-barth.de/lektorat/

Alle Rechte vorbehalten

Über die Autorin

»Um Wunder zu erleben, musst Du an sie glauben.«

Schon immer spielten sich etliche Geschichten in meinem Kopf ab. »Zu viel Fantasie«, dachte ich damals noch und tat es einfach als Spinnerei ab. Erst viele Jahre später kam mir überhaupt in den Sinn, dass man dieses Wirrwarr in meinem Kopf auch aufs Papier bringen könnte und wagte den Versuch. Was als diffuse Möglichkeit begann, endete etwa 450.000 Wörter später mit der Janaii-Trilogie als mein Erstlingswerk. Heute kann ich mir eine Welt ohne meine Geschichten gar nicht mehr vorstellen.

Viele liebe Grüße

Eure Calin

Schaut auch gerne auf meine anderen Seiten, dort gibt es weitere Infos, zu meinen Büchern, aber auch zu meiner Person:

www.calin-noell.com

www.facebook.com/calin.noell.Autorin

www.instagram.com/calinnoell_autorin/

Danksagung

Ein großer Dank geht wie immer an meine Familie. Eure Unterstützung ist großartig und unvergleichlich!

Außerdem danke ich meiner Grafikdesignerin Saskia, vielen Dank für diese wundervolle Zusammenarbeit.

Meiner Lektorin Kerstin. Für mich begann es als Versuch – der in einem harmonischen Zusammenspiel endete. Es hat sich wirklich mehr als gelohnt. Vielen Dank für die tolle Unterstützung.

Meinen Stammlesern. Danke für eure Treue und eure unendliche Geduld. Ich verspreche, dass Band V noch dieses Jahr erscheint.

Buchbeschreibung

Wahren Frieden erlangt nur, wer bereit ist, wirklich alles dafür zu opfern ...

Mithilfe ihrer Seelenschwingen gelingt es Talil, den Bann endgültig zu brechen, dennoch bleibt das Misstrauen der anderen Clane bestehen. Sie beginnt zu zweifeln. Als sie sich gemeinsam mit ihren Gefährten zum Splitterclan aufmacht, um über einen dauerhaften Frieden zu verhandeln, scheinen sich ihre schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten.

Seelenschwingen

Verrat

Band IV

von

Magie ist es, wenn die Worte wie von allein fließen, Dich abtauchen lassen, in fremde Welten, Abenteuer, durch die wir alles um uns herum vergessen. Doch das Magischste daran ist, dass wir sie gemeinsam erschaffen. Ich mit meinen geschriebenen Worten, während Du selbst sie mit Bildern in Deinem Kopf ausfüllst. Wir erschaffen es, für uns selbst, aber auch für alle Menschen dieser und anderer Welten.

Inhaltsverzeichnis

 

Opfer

Trauer

Pflichten

Abschied

Hindernisse

Wege

Gegner

Geschehnisse

Gequälte Seelen

Misstrauen

Entscheidungen

Gemeinsam

Umzug

Wandel

Bekenntnis

Schuld

Alleingang

Urteil

Verbannung

Konsequenzen

Vollstreckung

Besuch

Training

Möglichkeiten

Zugeständnis

Distanz

Vergeltung

Geständnisse

Offenbarungen

Aufbruch

Misstrauen

Zeichen

Auserwählt

Schicksalsweg

Verrat

 

Opfer

Unerbittlich fuhr ein alles verzehrender Schmerz durch ihren Körper. Markerschütternd schrie sie auf, während ihre Seelenschwingen aus ihr herausbrachen und sich entfalteten. Leuchtend grell schimmerten sie einen Moment durchscheinend auf, schwangen einmal wie ein Flügelschlag und waren ebenso schnell wieder verschwunden.

Sie spürte den Ruck, der durch die Reihen ging und den Bann aller endgültig brach, während sie sich bereits mit zitternden Gliedern wandelte. Ohne die Möglichkeit, sich in irgendeiner Weise dagegen zu wehren, heulte sie durchdringend auf, gab dem tosenden Leid in sich ein Ventil und Kiljan stimmte augenblicklich mit ein. Die miteinander verschmolzenen Klänge erschollen immer dröhnender, bis sich alle dreißig Wölfe um sie herum versammelten, ihren Ruf erwiderten. Der Gesang hallte erhaben durch den Wald, weiter hinaus, als begehrten sie, den Himmel anzusingen. Sie endeten, wie sie begonnen hatten, in völliger Eintracht. Ehrfürchtig musterte Talil die fünfzehn Wölfe. Sie kamen ihr so vertraut vor und waren ihr doch vollkommen fremd. Dann aber durchzuckte sie die Erkenntnis, dass es sich bei ihnen um die Wölfe aus ihren Visionen handelte. Sie gehörten gar nicht zu ihrem engen Kreis, wie sie anfangs dachte. Sie entstammten den Zeitenwandlern ihrer Ahnen, die Kiljan und sie schützen würden, solange sie beide lebten. All das erfasste sie ohne Worte, spürte, dass sie ihre Bestimmung erfüllt hatte, zumindest für diesen Augenblick.

Neben ihr wartete Kiljan, auch als Wolf atemberaubend schön. Sein graues Fell schimmerte und hob seine schwarze Zeichnung deutlich hervor. Seine moosgrünen Augen strahlten, als er sie auffordernd anstupste. Um sie herum stand ihr vollständiges Rudel. Reed, Alasdair, Bruce, Quinn, Leo, Konrad, Cadan, Karl, Mael, Dougal, Gin, Raoul, Ben, Arendt und Shar, alle in Wolfsgestalt. Beinahe zeitgleich wandelten Kiljan und sie sich zurück, sahen tief bewegt zu ihren Gefährten. Sie alle strahlten den Stolz aus, den sie empfanden und den Kiljan und Talil deutlich spürten, dieses Gefühl mit ihnen teilten. Als sie sich der bohrenden und teilweise verstörten Blicke der Umstehenden bewusst wurden, wandten sie sich angespannt den Oberhäuptern zu, während sich die Wölfe äußerst wachsam zwischen ihnen verteilten.

»Geht es dir gut?«, flüsterte Kiljan besorgt, spürte ihren Schmerz in einer Deutlichkeit, die ihn zutiefst ängstigte, und ergriff ihre Hand. Stockend nickte sie. Noch immer tosten die Nachwirkungen durch ihren Körper, ihre Beine trugen sie kaum, doch diese Schwäche wollte sie hier niemandem offenbaren.

»Was hast du getan?«, fragte Yele hörbar misstrauisch, und betrachtete die Dunkelelben um sich herum. Sie wirkte angespannt.

Talil folgte ihrem Blick. Sie alle schienen ungemein erstaunt, und mindestens ebenso verunsichert, weil sie sehr wohl spürten, dass sich etwas verändert hatte. Doch das gesamte Ausmaß zu erfassen, das gelang ihnen noch nicht. Es würde seine Zeit dauern, bis sie verstanden, was wirklich geschehen war, das wusste Talil. »Ich brach den Einfluss von Nell, selbst bei jenen, die bereits unzählige volle Monde ihrer Macht unterstanden.«

»Wo sind unsere Kleinen?« Argwöhnisch blickte Samuel sich um.

»Ich habe euer Wort, dass niemandem etwas geschieht!«, entgegnete sie nachdrücklich und fixierte nacheinander die Oberhäupter.

Yele und Holm nickten widerstrebend. Samuel und Koje hingegen erwiderten ihren Blick voller Zorn. Sie erachteten es als Ehrverletzung, dass sie an ihrer Übereinkunft zu zweifeln schien.

Talils Griff um Kiljans Hand verstärkte sich. »Dougal, Reed, Raoul und Ben, holt bitte die Kleinen«, wies sie an. Kaum verschwanden die vier Hüter aus ihrem Blickfeld, legte sich eine seltsame Stille über diesen Teil des Waldes. Dort, wo eben noch unzählige Rufe erschollen, warteten sie nun angespannt auf ihre Rückkehr. Talil und Kiljan nahmen die beinahe ängstlichen Mienen wahr. Sie wirkten, als könnten sie noch immer nicht glauben, dass sie die Kleinen wirklich ausnahmslos und unabhängig ihrer Clanzugehörigkeit beschützt hatten. Über diese Erkenntnis frustriert seufzend, wandte Talil sich ab und schritt zu Paddy zurück, dessen Lebensfaden offenkundig immer mehr verblasste.

»Starker Auftritt.« Seine Stimme klang matt, dennoch fasste er lächelnd ihre Hand. »Zeigst du dich mir noch einmal als Wölfin?«

Sachte strich Talil durch sein Haar, musterte ihn voller Sorge. Von unendlicher Trauer erfüllt, kam sie seinem Wunsch nach und wandelte sich. Staunend griff er in ihr weiches Fell und strich ehrfürchtig hindurch, bevor er seine Arme um ihren Körper schlang und sie einfach an sich zog. Mühsam Atem holend vergrub er sein Gesicht an ihrem Hals. Sie spürte die Kraft, die ihn all das gekostet hatte und heulte erneut auf, herzzerreißend tönte der Klang.

Offenkundig angelockt von diesem Trauergesang, näherte sich ihnen ein schneeweißer Wolf, dessen ungewöhnlich mattblaue Augen die Unendlichkeit widerzuspiegeln schienen. Winselnd drängte er seinen Körper an ihren, doch statt diese Geste zu erwidern, fletschte sie plötzlich ihre Zähne, ihr bedrohliches Knurren erscholl derart dröhnend, dass es in Kiljans Brustkorb widerhallte. Unterwürfig sank der Wolf flach auf den Boden, winselte bittend und bot ihr schließlich seinen Nacken dar. Vor Schreck wichen bis auf Kiljan alle einige Schritte von ihr fort. Talil aber wandelte sich zurück, richtete sich jedoch nicht auf. Knieend lehnte sie ihre Stirn gegen die des Wolfes, sackte sichtbar noch ein wenig mehr in sich zusammen und gab ihn langsam wieder frei. Winselnd fuhr er ihr mit seiner Zunge über den Mund, trat dann zu Paddy und ließ sich vor ihm nieder. Schnuppernd wandte er sich dessen Wunde zu und leckte darüber, bis die Blutung stoppte. Knurrend ließ er seinen Kopf auf Paddys Brust sinken, als wollte er damit noch einmal bekräftigen, dass er sich von niemandem aufhalten lassen würde, und verharrte dann vollkommen reglos.

»Was tut er?«, fragte Yele und diesmal versuchte sie nicht einmal mehr, ihr Misstrauen zu verbergen.

»Er heilt ihn.«

»Du hast die Zähne gefletscht und wirklich furchterregend geknurrt«, hakte sie verständnislos nach.

Entschuldigend zuckte Talil mit den Schultern. »Meine Wölfin hat ihn angeknurrt. Sie musste sichergehen, dass er das wahrhaftig aus freien Stücken auf sich nimmt.«

Als sie das fröhliche und ausgelassene Geplapper der Kleinen vernahm, breitete sich ein Lächeln auf Talils Gesicht aus. Sie blickte in die Richtung, aus der das Stimmengewirr ertönte. Anscheinend hatten sie tatsächlich überhaupt nichts von den Auseinandersetzungen mitbekommen. »Wer war bei ihnen, während Dougal und die anderen uns hier halfen?«, fragte sie Kiljan leise.

»Ean, Hoyer, Larrs und Wulff.«

»Wie das? Bis auf Ean kann niemand von ihnen die Grenze überschreiten.«

»Mit Eans Hilfe gelang es, mehr offenbarte er nicht.«

Stirnrunzelnd hob sie die Schultern, während ihr Blick über die Kleinen schweifte. »Stopp!«, rief sie plötzlich.

Im ersten Moment schienen die Oberhäupter überrascht, dann jedoch äußerst wachsam. Nachdem Talil für alle deutlich erkennbar die Augen verdreht hatte, wandte sie sich an die Kleinen.

»Ihr müsst mir jetzt einen Gefallen tun, danach könnt ihr weiter herumtollen«, rief sie, weil einige schon wieder sorglos umherliefen. »Wir müssen überprüfen, ob wirklich niemand fehlt, also stellt euch nach Clanzugehörigkeit auf.« Liebevoll blickte sie auf die ausgelassene Schar. »Alle vom Splitterclan stellen sich zu Wulff und Tage.« Sie nickte in deren Richtung. »Die vom Clan der Idun und Clan der Bragr gesellen sich zu Issy und Rian und die vom Clan der Vidar zu Koje.« Bevor Talil weitersprach, überzeugte sie sich davon, dass sie ihr auch aufmerksam zuhörten. »Ihr vom Clan der Dag geht zu Samuel und alle vom Clan der Lodur zu Holm.« Sie deutete in seine Richtung und fuhr schließlich fort: »Wenn ihr euch alle aufgestellt habt, bleibt ihr so lange dort stehen, bis ich etwas anderes sage.« Obwohl sie nicht besonders laut sprach, lag in dem Klang ihrer Worte etwas Bestimmendes, das selbst die Kleinsten sofort gehorchen ließ.

»Hilfst du mir bitte herauszufinden, ob wirklich alle da sind?«, bat sie Yele, die nun auch endlich zu begreifen schien.

»Natürlich.« Sie nickte verstehend und begab sich zu den Kleinen des Splitterclans, während Umi und Ean zu Issy und Rian gingen, um ihnen ebenfalls zu helfen.

»Meine Tochter fehlt. Meine Tochter. Feh. Feh, wo bist du?«, rief eine Dunkelelbin vom Clan der Dag. Die folgende Stille wirkte niederdrückend.

»Im Versteck war sie noch bei uns«, flüsterte eine kleine Dunkelelbin von vielleicht fünf vollen Monden.

»Ich habe dort ihren Meister Isegrim gefunden, hier«, sagte ein junger Dunkelelb ganz aufgeregt und hielt ein kleines Stofftier in die Höhe. »Ich dachte, sie hätte ihn verloren, als wir alle gemeinsam aufgebrochen sind.«

Talil

Schmunzelnd, weil sie ausgerechnet einen Wolf als Kuscheltier besaß, nahm ich ihn an mich und atmete seinen Geruch tief ein. »Ich laufe hin. Kiljan, sucht ihr hier«, rief ich und wandelte mich bereits, als Yele plötzlich in mein Fell griff. Leise knurrend fuhr ich zu ihr herum.

Erschrocken ließ sie mich augenblicklich los. »Findet sie, bitte!«, flehte sie verzweifelt.

Es fiel mir schwer, ihre durch die Vielzahl an Dunkelelben stark verwischte Fährte zu halten, dennoch nahm ich sie weiterhin schwach wahr. Ich folgte ihr bis zu unserem Zufluchtsort, an dem sie sich endlich verstärkte. Während ich um den Felsen herum lief, atmete ich tief ein. Hier witterte ich sie ganz deutlich, ließ mich von ihr führen. Nachdem ich die Baumgruppe hinter mir gelassen hatte, hörte ich das leise Plätschern des Flusses. Sofort erinnerte ich mich an das Gefühl, das ich beim Betreten des Ufers verspürt hatte. Die Spur führte mich direkt dorthin.

Ich entdeckte sie friedlich schlafend, zusammengerollt in ihrer kleinen Wolfsgestalt. Lächelnd wandelte ich mich und hob sie vorsichtig auf meinen Arm. Sanft strich ich ihr über den Kopf und sog die herrliche Ruhe in mich hinein, die dieser Ort ausstrahlte.

So möchte ich leben, diese Ruhe und diesen Frieden möchte ich verspüren., dachte ich und zwang mich regelrecht den Weg zurück in die Wirklichkeit.

»Ich habe sie gefunden«, sandte ich Kiljan und war mir plötzlich sicher, dass er es wahrnahm, obwohl ich mich nicht gewandelt hatte. Vielleicht verstand er die einzelnen Worte nicht, die Gefühle aber, die ich in mir trug, spürte er. »Es geht ihr gut!«, ergänzte ich vorsichtshalber und beschleunigte meine Schritte. Ihre Mutter sorgte sich bestimmt furchtbar.

Kurz vor dem Übergang verharrte ich. »Ich danke euch von Herzen und im Namen aller, dass es uns gestattet war, diesen friedvollen Ort als sichere Zuflucht zu nutzen«, sagte ich leise und wandte mich ab. In Dunkelelbengestalt übertrat ich die Grenze, schritt an den Felsen vorbei, zurück in den Wald. Nach dem Übertritt spürte ich deutlich, wie er einfach wieder verschwand.

Als ich zurückkehrte, registrierte ich sofort die noch immer vorherrschende Anspannung. Doch sobald die Mutter der Kleinen mich bemerkt hatte und mit einem Aufschrei auf uns zu stürzte, schien ihre Erleichterung wie eine Flutwelle alles andere aufzulösen. Leises, aufgeregtes Gemurmel erscholl um uns herum. »Sie hat alles verschlafen«, flüsterte ich, küsste behutsam die Stirn der Kleinen und reichte sie ihr.

»Danke!«, stieß sie mit Tränen erstickter Stimme hervor. Ebenso erleichtert wie die Mutter lächelte ich.

»Talil, du solltest mit mir kommen«, drängte Kiljan leise und führte mich an den Rand, an dem inzwischen ein provisorisches Lager errichtet worden war.

Paddy saß aufrecht an einen Felsen gelehnt und blickte mir mit panisch geweiteten Augen entgegen. »Das wollte ich nicht, wirklich nicht. Das musst du mir glauben, Talil. Ich kann nichts dafür, habe nichts gemacht. Ehrlich!«, flüsterte er ängstlich, immer leiser.

Behutsam fasste ich den Kopf des Wolfes, der auf Paddys Schoß lag und schluckte. Nach einem Kuss auf seine Schnauze, den er mit einem entsetzlich klingenden Winseln quittierte, ließ ich ihn vorsichtig los. Ich wusste, dass er nicht mehr lange in dieser Welt verweilen würde. »Es ist in Ordnung, Paddy«, brachte ich erstickt hervor und erhob mich langsam. »Nevan, wie sieht es aus, braucht ihr unsere Hilfe?« Ich sah von ihm zu dem Wolf und wieder zurück.

Er schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir haben hier genügend Helfer, um alle Verwundeten und Toten fortzuschaffen. Wir warten dort auf euch«, entgegnete er leise. Unendlich dankbar für sein Feingefühl, drückte ich seine Schulter.

»Was werdet ihr tun?«, fragte Paddy unter Tränen, während Yele auf ihn zutrat und versuchte, ihn zu beruhigen.

»Wir nehmen Abschied«, entgegnete ich leise und hob den Wolfskörper hoch. Angestrengt wandte ich mich um und schritt auf die Wölfe unserer Ahnen zu.

»Warte, Talil, lass mich ihn tragen, du kannst ja kaum noch stehen«, flüsterte Kiljan, doch ich schüttelte bereits den Kopf.

Bestimmend ergriff Quinn meinen Arm. »Er hat recht, Talil.«

»Ich tue es«, zischte ich aufgebracht und blickte auffordernd auf seine Hand. Nur zögernd ließ er mich los. Ich musste ihm nicht einmal in die Augen sehen, um seine und die Qualen meiner Gefährten zu erahnen. Ich spürte sie mit jeder Faser meines Körpers und meiner Seele, deutlich und allumfassend.

»Ich möchte euch begleiten«, rief Paddy mühsam beherrscht. Talil blieb abrupt stehen. »Bitte, Talil. Er gab seine Lebensbahn für meine – einfach so.«

Langsam wandte sie sich um. Unübersehbar wütend traf ihn ihr Blick, während sie mit bebendem Körper wieder einen Schritt auf ihn zuging. Nun gelang es ihr jedoch nicht länger, das Gewicht zu halten. Hart stürzte sie auf die Knie. »Nein, nicht einfach so, Paddy. Er tat es für mich, weil es mir das Herz gebrochen hätte, wärst du zu unseren Ahnen zurückgekehrt. Viel zu viele verloren für die Machtgier Einzelner, nicht nur heute, sondern bereits seit Jahrhunderten, ihre Lebensbahn. Er tat es für uns alle, für die Hoffnung auf Frieden, damit nicht noch mehr unschuldiges Blut vergossen wird, weil der Hass eure Herzen zerfrisst.« Aufgebracht schüttelte sie den Kopf und atmete tief durch. »Mit der Gabe der Seelenschwingen nahm ich euren Schmerz auf mich, als ich Nells Bann brach. Er zerrt an mir, unaufhörlich, doch ich erwarte nichts, von niemandem hier, als Gegenleistung, außer, dass ihr euer Wort haltet«, sagte sie tonlos an die Oberhäupter gewandt. »Dieses Opfer hingegen geht weit darüber hinaus. Er ist ein Teil von mir, ein Teil meines Seelensplitters und spürte meine Qualen. Deswegen opferte er seine Lebensbahn für dich, um mein Herz nicht noch schwerer werden zu lassen. Du darfst Abschied von ihm nehmen, aber glaube niemals, dass er es einfach nur so tat. Von jenen, die selbst solch eine Geste nicht dazu veranlasst, einzusehen, wie falsch ihre Einstellung ist, verlange ich, dass sie diesen Ort nun verlassen.«

Unaufhörlich liefen ihr die Tränen, offenbarten ihr großes Leid. Nach einem letzten Blick, der so verzweifelt, so unendlich qualvoll wirkte, dass er Paddy beinahe schmerzhaft traf, half Kiljan ihr auf die Füße und in den Kreis der Wölfe hinein. Trotz ihrer Trauer wirkte sie stolz und entschlossen, während sie sich in der Kreismitte niederließ. Schweigend trat Kiljan an ihre Seite und hockte sich neben sie, mit blutendem Herzen. Er wusste, dass niemand ihr den Schmerz abnehmen konnte, denn mit diesem Opfer billigte sie den Tod ihres eigenen Seelensplitters, obwohl sein Lebensfaden nicht weniger Bedeutung für sie besaß als Paddys. Die Geschehnisse zwangen sie zu einer unmöglichen Wahl, die ihn ungemein verärgerte. Wie nur konnten die Ahnen Derartiges zulassen? In der Hoffnung, es könnte sie stärken, irgendetwas ändern, legte Kiljan seine Hand auf ihre Schulter, drückte sie tröstend. Von tiefer Liebe erfüllt, die sie ungefiltert aussandte, zog sie den Kopf des sterbenden Wolfes auf ihren Schoß. Leise winselnd nahm er ihre Gefühle tief in sich auf, als könnte er ohne sie niemals sein. Talils Körperhaltung zeugte von purer Qual, während sie ihn unablässig streichelte, seine Schnauze küsste.

Schwerfällig schleppte Paddy sich mit Yeles und Samuels Hilfe zu dem Kreis und ging ächzend in die Knie. Nur zögernd ließ Yele ihn los, noch immer besorgt, dass er zusammenbrechen könnte, trat dann aber einige Schritte zurück. Tief berührt von den Begebenheiten und auch ein wenig beschämt, blickte Yele wiederholend zu Samuel, der nicht minder ratlos das Geschehen verfolgte.

Still traten Holm und Koje vor, reihten sich in den Kreis der Wölfe ein und hockten sich hin. Viele der Anwesenden folgten ihrem Beispiel und setzten sich in die Lücken zwischen den vollkommen reglos daliegenden Wölfen. Alle anderen wandten sich respektvoll schweigend ab und halfen den Heilern, die sich für die Versorgung der Dunkelelben zusammengeschlossen hatten, oder brachten die Verletzten und Gefallenen zur Lichtung.

»Sorg dafür, dass alle Clanmitglieder vom Splitterclan dein Wort einhalten. Gleichgültig, was in der Ferne geschieht, diese Zusammenkunft wird friedlich auseinandergehen«, forderte Samuel von Yele. Seine Drohung klang unverkennbar heraus. Sie wussten beide, dass ihr Clan das größte Rachepotenzial besaß.

Seltsam angerührt kehrte Yele zu ihren Generälen zurück, bedeutete ihnen mit einem Nicken, ihr zu folgen. Wortlos gingen sie ein Stück den Weg hinab, bis die Kleinen in ihr Blickfeld gelangten. Vollkommen unbefangen spielte die gesamte Schar miteinander, hörbar vergnügt. Die Halbstarken, unabhängig ihrer Clanabstammung, sorgten dafür, dass alles friedfertig verlief und sich niemand zu weit entfernte. Dieses Bild wirkte beinahe unwirklich, so als hätte es niemals zuvor eine Spanne gegeben, in der jeder jedem misstraut hatte.

»Ich gab mein Wort, dass wir das hier friedlich beenden«, begann Yele und sah dann nacheinander ihre fünf Generäle an.

Loth schnaubte verärgert. »Was zählt das Wort hier schon?«, entgegnete er aufgebracht, verstummte aber schnell, nach einem Blick in die Gesichter der anderen.

»Es ist mein Ehrenwort und in diesem Fall zählt es eine Menge. Wir entscheiden nicht diesen Mondgang, ob der Krieg beendet ist, doch jetzt herrscht Waffenstillstand und ich erwarte von euch, dass sich alle daran halten. Also sorgt dafür und verkündet es.«

»Das hast du nicht allein zu bestimmen«, fuhr Loth auf. Herausfordernd hielt er ihren Blick, Yele erwiderte ihn kalt und nicht minder angriffslustig.

»Wenn du nicht willst, dass sich der Splitterclan erneut aufteilt, dann tust du, was ich sage. Wir haben uns darauf geeinigt, dass meine Entscheidung bindend ist. Ich erwarte, dass du dich dem fügst.«

»Yele hat recht, Loth. Wir wahren den Waffenstillstand, wie sie es zusagte, und nach unserer Rückkehr beraten wir, wie es weitergehen soll. Auch wir nehmen deine Alleingänge nicht länger hin, also überlege dir gut, ob du jetzt wirklich Blut vergießen willst. Sollte das der Fall sein, erhältst du keinerlei Unterstützung«, erklärte Bendik ernst.

Auf Thores Gesicht breitete sich ein belustigtes Grinsen aus. »Loth, entspann dich mal. Wir stimmen darüber ab, wenn wir wieder zu Hause sind. Wir führen kein Blutvergießen fort, bevor wir nicht wissen, was hier eigentlich gespielt wurde. Und ich will überprüfen, ob Talil wirklich eine Nott ist.« Thore schlug ihm auf die Schulter und blickte zu Xanye und Hava, die zustimmend nickten.

»Ja, ist ja gut, verstanden. Ich prüfe inzwischen, wie wir unsere Verletzten abtransportiert bekommen. Immerhin hat es nicht viele von uns erwischt«, erwiderte er ungerührt und stapfte davon.

»Er ist zu verbohrt, um zu sehen, was um ihn herum geschieht. Ich stimme mit euch überein, dass wir jetzt keine endgültige Entscheidung treffen können, dennoch habe ich Augen im Kopf und ein Herz in der Brust. Vieles, wenn nicht gar alles, was Talil sagte, trifft zu und stimmt mich mehr als nachdenklich«, flüsterte Hava ernst.

»Wir müssen ganz genau prüfen, welchen Anteil die Beeinflussung an den Geschehnissen trägt und was wir selbst eigentlich fühlen. Und besonders, was wir für die Zukunft wollen«, entgegnete Xanye.

Erleichtert über den Verlauf des Gesprächs, drückte sie nacheinander die Unterarme und begab sich zum Kreis der Wölfe zurück. Leise hockte sie sich hinter Paddy und fasste seine Schulter. Dankbar nahm er ihre Hand und hielt sie fest, während die stille Trauer sie vollkommen durchdrang.

Trauer

Qualvoll winselnd tat er seine letzten Atemzüge. Talil beugte sich hinab und lehnte ihre Stirn an seine, berührte ihn unablässig und flüsterte leise tröstende Worte. Gemeinsam mit Kiljan wandelte sie sich, leckte über das Maul des sterbenden Wolfes und unterwarf sich damit schweren Herzens seinem Willen, seiner Entscheidung, respektierte und ehrte sie. Obwohl seine Qualen unerbittlich anschwollen, erhob er sich. All dies nicht nur zu sehen, sondern auch zu fühlen, als durchlebte sie es selbst, ließ ein weiteres durchdringendes Heulen aus ihr herausbrechen, in das Kiljan und der Wolf mit einstimmten. Gemeinsam sangen sie die Ahnen an, ließen ihrer Trauer freien Lauf.

Neunundzwanzig Wölfe folgten ihnen, antworteten, ebenso markerschütternd, derweil sie den Kreis enger um Talil herum schlossen. Erneut gab sie dem Drang nach, stupste ihn ein letztes Mal an, während der Trauergesang erscholl, dann waren er und die vierzehn Wölfe plötzlich fort, als wäre all dies niemals geschehen.

Sobald der erste Ton erscholl, klammerte Paddy sich an Yeles Hand. Die Wölfe erhoben sich. Ehrfürchtig verfolgten sie dieses Schauspiel vollkommener Einigkeit und Harmonie, das doch so unendlich bitter tönte.

»Ich werde jeden umbringen, der diesen Frieden gefährdet«, flüsterte Paddy seiner großen Cousine Yele zu.

»Ich weiß«, antwortete sie fast schon resigniert, weil sie wusste, dass jeglicher Einwand vergebens wäre. Sie hatte es sehr wohl wahrgenommen, dass ihr Cousin Talil regelrecht verehrte, und das, obwohl ausgerechnet er als verschlossen und schwierig galt. Nicht das erste Mal fragte sie sich, was für einen Sinn dieser Krieg eigentlich noch besaß. Während sich mit jedem Laut, den die Wölfe ausstießen, ihre Gänsehaut verstärkte, wurde ihre Gewissheit stärker, dass die Zeit für Frieden gekommen war.

Nachdem jeder einzelne Wolf Talil einmal in irgendeiner Weise berührt hatte, wandelte sie sich zurück und wandte sich erneut Paddy zu. Eindringlich redete Kiljan auf sie ein, jedoch zu leise, als dass die Umstehenden ihn verstehen könnten. Er wirkte ungemein besorgt. Mit einem entschuldigenden Lächeln strich sie ihm über die Wange. »Gleich, ich verspreche es.« Inzwischen stützte sie sich schwer auf seinen Arm. Selbst jene, die nicht ihrem eigenen Clan angehörten, betrachteten sie sorgenvoll, denn ihre schlechte Verfassung war für niemanden mehr zu übersehen. Vor Paddy ging sie schwerfällig in die Knie und zog ihn in ihre Arme. »Ich bin unsagbar froh, dass du am Leben bist. Zweifle niemals daran, hörst du?«, flüsterte sie erstickt. Er nickte stockend, während ihm noch immer Tränen über die Wangen liefen. Behutsam küsste sie seine Stirn, doch bevor sie sich aufrichten konnte, fasste Kiljan sie und hob sie hoch.

»Schluss jetzt. Dougal, Reed, Hoyer und Bruce, schnappt euch genügend Hüter und sorgt dafür, dass die Kleinen sicher zur Lichtung kommen. Ean, Alasdair, Leo, Larrs und Arndt, ihr lauft vor und überprüft, wie schlimm die Schäden sind. Notiert, was wir brauchen und kümmert euch darum, dass die gefährdeten Bereiche für alle sichtbar markiert werden. Bohl, Issy, nehmt einige der übrigen Hüter mit und bereitet die Feuer vor«, wies Kiljan an.

»Wir würden euch gerne unterstützen, wir und die Halbstarken, das ist das Mindeste, was wir tun können«, fuhr Tage dazwischen.

»Ja«, bestätigte Wulff ernst.

Talil lächelte. »Das wäre toll.«

»Teilt uns ebenfalls ein. Einige können bei den Kleinen helfen, wir anderen dort, wo wir gebraucht werden«, boten sowohl die Oberhäupter als auch Yeles Generäle an. Überrascht blickte Kiljan auf.

Talil

»Das ist dein Part, mein Gefährte«, neckte ich Kiljan liebevoll, weil ich seine Sorgen so deutlich spürte. »Lass mich bei Quinn und kümmere dich darum. Obwohl wir noch nicht offiziell berufen sind, weißt du, dass das nun unsere Aufgabe ist. Mir geht es gut genug, mach dir nicht so viele Gedanken.« Behutsam fasste ich sein Gesicht und küsste ihn. »Wir alle müssen sicher schlafen können, und sollten die Ruheräume derart schlimm beschädigt sein, wie ich befürchte, sind vielleicht viele andere Teile ebenfalls einsturzgefährdet. Sorg dafür, dass niemand unvernünftig wird, nur um sein Hab und Gut zu retten. Weitere Tragödien verkraften wir nicht und sie hören auf dich«, flüsterte ich an seinem Ohr.

Nur widerwillig nickte er. »Dein Glück, dass Quinn dich mir sowieso gleich entrissen hätte«, antwortete er gequält. »Versprich mir, dass du mir sofort Bescheid gibst, sollte es dir schlechter gehen.«

Ich hauchte einen Kuss auf seine Lippen. »Ich verspreche es.«

Schon stand Quinn auffordernd neben Kiljan, der mich noch immer in seinem Arm trug. Ich spürte seinen inneren Kampf gegen sich selbst, weil er mich nicht allein lassen wollte. Quinn hingegen flutete uns mit der Gewissheit, dass er gut auf mich achten würde. Trotz allem musste ich bei dem Austausch ihrer Blicke und Gefühle lächeln. Schließlich gab Kiljan nach, küsste mich behutsam, bevor er mich an Quinn übergab. Seine vor Sorgen gefurchte Stirn blieb, obwohl er vollkommene Akzeptanz ausstrahlte, während er Quinn kurz die Schulter drückte.

Ich umschlang seinen Nacken mit meinen Armen und spürte sein tiefes Seufzen. »Wenn ich zu schwer werde, sagst du mir das, ja?« Außer einem Schnauben folgte nichts und ich boxte ihm leicht in die Seite. »Es liegen lange und anstrengende Tage hinter uns und dieser ist nicht weniger kräftezehrend. Also sag mir gefälligst Bescheid«, stieß ich genervt hervor, wusste jedoch schon jetzt, dass meine Worte vergebens waren. Berührt von den tiefen Gefühlen, die ich von ihm empfing, vergrub ich mein Gesicht an seinem Hals und sandte sie ihm ebenso ungefiltert zurück. Sogleich spürte ich sein Zittern und drückte mich enger an ihn. Ich wusste, dass er noch immer nicht verstand, weshalb ich ihn ebenso brauchte, ihn ebenso sehr liebte wie er mich.

Zufrieden sah ich mich um, bis ich Karl und Shar entdeckte, die einander an den Händen hielten. Nachdenklich runzelte ich die Stirn. Was hatte das zu bedeuten? Als Shar uns bemerkte, löste sie sich hastig, Karl aber fasste sofort wieder zu. Er folgte ihrem Blick, realisierte, dass sie es meinetwegen getan hatte, und ergriff ihre Hand fester. Eindringlich sah er mich an, doch ich schloss meine Augen, fühlte mich in diesem Moment nicht in der Lage, mir darüber Gedanken zu machen. Ich wusste, dass beide inzwischen unser Zeichen trugen, ebenso wie Mael. Ich behielt also recht. Unser Rudel bestand nun aus fünfzehn Wölfen, und Shar entpuppte sich als das Fragezeichen. Weshalb auch die fünfzehn Wölfe aus meinen Visionen auftauchten, verstand ich noch immer nicht wirklich. Aber selbst das schien vollkommen gleichgültig, wichtig war erst einmal nur, dass sie uns zu Hilfe kamen, und zwar im richtigen Augenblick. Ich empfand die absolute Gewissheit, dass die Situation ohne ihr Einschreiten eskaliert wäre, da diejenigen, die bereits zu lange unter Nells Einfluss gestanden hatten, uns um jeden Preis niedergemetzelt sehen wollten.

Plötzlich trat Konrad an unsere Seite und stieß Quinn an, der diesen Wink jedoch lediglich mit einem echten Knurren kommentierte. Lachend küsste ich seine Wange und zwinkerte Konrad zu. »Hey, mein starker Wolf, reich mich mal rüber, und besorg uns etwas zu trinken. Komm schon, hör auf zu grollen.« Erneut spürte ich das Brummen tief in seiner Brust, dennoch reichte er mich nach einem Kuss auf meine Stirn weiter.

»Wehe du lässt sie fallen«, stieß er hervor, wandte sich dann aber sofort ab und verschwand. Ich sah ihm nach, verdrängte jedoch meine Ängste vor dem, was noch vor uns lag und konzentrierte mich auf die Gefühle, die Konrad verzweifelt zu unterdrücken versuchte.

»Na, mein stiller Begleiter, wie geht es dir?«

»Wesentlich besser als dir auf jeden Fall.« Seine Stimme klang aufgebracht.

Beschwichtigend schmiegte ich mich enger an ihn. »Weshalb bist du so wütend?«, fragte ich leise, spürte seine Verärgerung so deutlich, dass eine Gänsehaut meinen Körper überzog.

»Bis Ean und Alasdair nicht mehr über die Seelenschwingen herausgefunden haben, wirst du das nie wieder tun.« Er blieb stehen, sein Blick funkelte unübersehbar zornig. Überrascht blickte ich ihm ins Gesicht und betrachtete ihn. Tief atmete er durch. »Quinn und ich spüren dich deutlicher als die anderen, mit Ausnahme von Kiljan natürlich. Ich weiß nicht, weshalb das so ist, doch selbst ich glaubte schon, dass es mich von innen heraus zerreißt. Wenn du das noch einmal tust, lege ich dich eigenhändig übers Knie.« Einen Moment schloss er seine Augen, ganz offensichtlich, um sich ein wenig zu beruhigen. »Das ist kein Scherz, Talil, hör auf zu grinsen. Ich meine das absolut ernst. Ich dachte wirklich, dass du stirbst, verdammt. Und viel hätte dazu auch nicht mehr gefehlt.«

Samuel, Yele und Holm hielten neben uns inne. Ich brauchte sie nicht einmal anschauen, um sicher zu sein, dass sie jedes Wort gehört hatten. Eindringlich sah ich Konrad in die Augen, bis er schließlich mit zusammengekniffenen Lippen nickte. Ich würde das im Beisein anderer nicht mit ihm ausdiskutieren und Konrad musste es in diesem Moment hinnehmen.

Quinn kehrte zu uns zurück und drückte mir eine Flasche in die Hand. »Spezialmischung von Nevan, mit extra vielen Kräutern zur Stärkung«, erklärte er stockend. Unruhig sah er von uns zu den Oberhäuptern, spürte den stummen Kampf zwischen mir und Konrad, verstand es jedoch nicht.

»Was ist mir dir geschehen, als sich die Seelenschwingen entfalteten?«, fragte Samuel zögernd und betrachtete mich nachdenklich.

»Ich brach den Bann«, wich ich einer Antwort aus, doch er ließ meinen Blick nicht los.

»Du hast furchtbar aufgeschrien, warum?«, fuhr er herausfordernd fort.

Ich seufzte. Er würde sich nicht mit irgendwelchen fragwürdigen Erklärungen abspeisen lassen. »Ich nahm das Leid, das dieser Bann bei jedem von euch verursachte, auf mich«, erwiderte ich langsam.

»Was genau bedeutet das?«, hakte Yele nach.

»Alles Negative, das ihr durch die Beeinflussung in euch getragen habt, wurde euch genommen und auf mich übertragen. Ich unterschätzte jedoch das Ausmaß, war darauf einfach nicht vorbereitet«, antwortete ich zurückhaltend, sah allerdings noch immer Samuel an.

»Wir sind auf jeden Fall dankbar«, entgegnete er aufrichtig, nickte zur Bekräftigung seiner Aussage und ging dann weiter. Zögernd folgten ihm die restlichen Oberhäupter und auch Konrad und Quinn setzten sich wieder in Bewegung, als Reed ihnen in den Weg trat.

»Lass mich bitte kurz runter, Konrad«, bat ich leise. Behutsam stellte er mich auf meine Füße. Ich hielt mich an Reed fest und kämpfte im selben Augenblick mit meinen Emotionen. Die Schmerzen waren noch immer furchtbar, doch ich hatte das Bedürfnis, mir ein wenig die Beine zu vertreten. »Meinst du, Nevan hat noch so eine Spezialmischung für mich?«, fragte ich lächelnd. Sowohl Reed und Quinn als auch Konrad zogen eine Augenbraue in die Höhe. Ich wusste natürlich, dass ich keinen von ihnen täuschen konnte, dennoch wollte ich wenigstens nach außen hin den Anschein wahren.

Konrad nickte und begab sich auf die Suche nach Nevan, während Reed mich fest in seine Arme schloss.

Ich schmiegte mich an ihn und genoss seinen Duft nach Mandarine und Wald. »Du bist der Stärkste in unserer Gruppe und ich vergesse andauernd, dass du diese Nähe ebenso brauchst wie jeder von uns. Erst wenn ich dich dann im Arm halte, schwappt mein Herz über und ich spüre plötzlich sehr genau, was die ganze Zeit fehlte. Deine Zusicherung durchflutet mich jedes Mal unvergleichlich.«

»Ich bin mir inzwischen sicher, dass sie befürchtete, wenn nicht sogar damit rechnete, dass es sie umbringen könnte«, durchbrach Koje leise das Schweigen.

Yele und Holm sahen ihn überrascht an, Samuel aber stimmte ihm ernsthaft zu. »Das war auch mein Gedanke. Sie hat sich von Kiljan verabschiedet, bevor dieser Quinn ihn packte und festhielt. Sie hätte sich für die Aussicht auf Frieden geopfert, für uns alle, als eine der Unseren. Selbst wenn sie in den Clan der Idun hineingeboren wurde, war ihre Mutter eine Nott.«

Nachdenklich schritten sie weiter, als Yele plötzlich an den Rand lief und eine Trage packte, die sich gefährlich neigte. Nur durch ihr Eingreifen verhinderte sie, dass der Verletzte herunterfiel.

»Dankeschön«, entgegnete Nevan und wischte sich die Stirn.

»Mach eine Pause, Nevan. Samuel, Holm, helft mir hier mal«, forderte Yele die beiden auf. Sofort ergriffen sie jeweils eine Seite der eilig gezimmerten Trage.

Loth trat an die verbliebene Ecke und blickte missmutig auf die Dunkelelbin hinab, die versuchte, das Gewicht zu halten. »Ich löse dich ab.« Ruppig griff er zu und drängte sie unfreundlich beiseite.

Koje lachte leise und fing sich sofort einen bitterbösen Blick ein. »Du wirst nicht gleich tot umfallen, wenn du ein bisschen freundlicher bist.«

»Pah«, erwiderte Loth nur und schwieg grimmig.

Kiljan traute dem Frieden noch nicht. Zwar arbeiteten sie nun Hand in Hand, um die beschädigten Räume zu leeren und zu sichern, doch er spürte den Argwohn vieler Mitglieder der verschiedenen Clane sehr deutlich. Anders schien es bei Larrs, Tage und Wulff, die ihn dank Talil wie selbstverständlich respektierten. Unter ihnen fühlte er sich wohl.

»Wir brauchen hier mehr Balken«, rief Koen.

Elis reagierte sofort. »Ihr vier, mitkommen, Beeilung«, befahl er bestimmend den Hütern, die gerade nichts zu tun hatten. Ohne zu murren erhoben sie sich und folgten ihm eilig. Nur wenige Momente später kehrten sie mit einigen Stützbalken zurück und halfen, die Wand zu sichern.

Gemeinsam mit Leo und Ean trat Alasdair aus dem Inneren des Schlosses heraus und auf Kiljan zu. »Ich vermute, Arel wollte nach seiner Machtübernahme hier sein Quartier einrichten, anders kann ich es mir nicht erklären, dass nur die fünf Ruheräume beschädigt wurden, und das in einem geringen Ausmaß. Ich nehme an, dass die eine Sprengladung mehr mittig detonieren sollte, statt an der Seite. Es ist die einzige Wand, die wirklich großen Schaden davongetragen hat. Was die Wucht allerdings bei den Kleinen angerichtet hätte, mag ich mir gar nicht ausmalen«, sagte Alasdair verärgert.

»Hast du schon mit Shar gesprochen?«, fragte Kiljan leise und betrachtete Ean eingehend. Er sah abgekämpft und vollkommen erschöpft aus.

»Nein, nicht seit sie sich dem Arrest nach der Offenbarung ihres Zustandes entzogen hat. Sie ist mir aus dem Weg gegangen und ehrlich gestanden bin ich über den Verlauf der Dinge äußerst überrascht.« Er seufzte tief und blickte sich um. »Ihr habt Großartiges geleistet, Talil und du. Wahrscheinlich ist es noch zu früh, doch wenn ich die gemeinschaftliche Arbeit sehe, verspüre ich das erste Mal wieder, wie Hoffnung in mir aufkeimt. Und ich glaube, mit dieser Empfindung bin ich längst nicht mehr allein.«

»Ich habe gar nichts getan, Talil war es. Ich kann nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, ob ich ohne sie überhaupt auf den Gedanken gekommen wäre, ebenfalls für die Sicherheit aller Kleinen einzutreten. Besonders bei den Halbstarken bezweifle ich, dass ich denselben Mut besessen hätte, den ihre Entscheidung abverlangte.« Kiljan blickte in den Wald hinein, doch es schien, als nähme er seine Umgebung nicht länger wahr. »Ich stand nur daneben und sah zu, wie sie die Schmerzen vollkommen selbstlos auf sich nahm, ohne Möglichkeit, ihr irgendwie zu helfen«, flüsterte er erstickt. Ean hörte seine unermessliche Wut heraus. »Ich spüre ihre Schmerzen, Ean. Du besitzt keine Vorstellung davon, wie unendlich grausam sie waren und noch immer sind. Ich verstehe einfach nicht, weshalb unsere Ahnen ihr ein solches Schicksal aufbürden und sie immer noch mehr leiden lassen. Es ist nicht richtig, und ich beginne, sie ehrlich zu hassen. Wie kann man nur so abscheulich sein?«

Entsetzt blickte Ean in das von Grauen gezeichnete Gesicht, doch bevor er etwas entgegnen konnte, wandte sich Kiljan plötzlich ab und lief Talil entgegen, als hätte er ihr Erscheinen gespürt.

Cadan trug Talil das letzte Stück, als Kiljan ihnen bereits entgegenkam. Sie schimpfte noch immer, dass er sie gefälligst runterlassen sollte – als wäre er nicht kräftig genug. Dabei wollte er nur seinen Teil beitragen und seinen Drang befriedigen, in ihrer Nähe zu sein, um ihr beizustehen. Als nun Kiljan vor ihm stehen blieb, wagte er es jedoch nicht, ein weiteres Mal zu widersprechen, und ließ sie behutsam hinunter. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Talil in der Lage war, allein zu stehen, schloss Kiljan ihn in seine Arme und klopfte ihm anerkennend auf den Rücken, als spürte er ebenfalls seinen Zwiespalt. Zufrieden blickten sie auf die Schar der Kleinen, die gerade mit den restlichen Hütern auf die Lichtung strömten.

Talil

Kaum am Schloss angekommen, umringten uns unsere Gefährten, einschließlich Ean. Noch bevor ich reagieren konnte, hob Bruce mich hoch.

»Nur auf die Bank dort drüben, mein Sonnenschein.« Er lachte leise, weil er meine aufkommende Wut bereits spürte.

Liebevoll erwiderte ich sein Lächeln, doch nachdem er mich abgesetzt hatte, musterte ich ihn besorgt. Behutsam strich ich ihm über die Wange. »Geht es dir gut?« Plötzlich überkam mich eine niederdrückende Schwere.

»Nicht doch. Sobald sich alle davon überzeugt haben, dass du das Schlimmste überstanden hast, werden sie sich wieder beruhigen.« Er küsste meine Stirn und ich tat es ihm nach. Überrascht sah er mich an, doch ich zuckte bloß mit den Schultern.

Nacheinander schlossen sie mich in eine Umarmung. Dougal, Mael, Gin, Raoul, Ben und Arendt präsentierten mir grinsend ihr Zeichen über dem Puls. Zum Schluss folgten Karl und Shar, wobei Letztere nur sehr zögernd an mich herantrat. Karl zog mich fest in seine Arme und ich atmete tief ein, ließ mich von seiner Ruhe und seiner Gelassenheit vollkommen erfüllen. Nach einer Weile löste er sich behutsam, besorgt zwischen Shar und mir hin- und herblickend. Ich erhob mich und zog Kraft aus meiner Wölfin, die sich plötzlich weit in mein Bewusstsein drängte und mich daran hinderte, Shar gegenüber irgendeine Art von Schwäche zu zeigen.

»Du bist also mein fehlendes Puzzleteil.« Entschlossen starrte ich ihr in die Augen, bis sie den Blick schließlich senkte. Ohne um Erlaubnis zu bitten, ergriff ich ihren Arm, und schob den Ärmel ein Stück zurück. Sie versuchte, sich zu befreien, doch ich hielt sie eisern fest. Als ich langsam über ihre Zeichnung strich, zuckte sie zusammen. »Dir fehlt der Blutmond, ungeachtet dessen, gehörst du nun zu uns.« Es gelang mir nicht, das unbestimmte Gefühl abzuschütteln, das mir ein wenig Unbehagen bereitete. »Du hast Arel erstochen und dafür bin ich dankbar, trotzdem werde ich nicht vergessen, dass du mich töten wolltest.« Ich wandte meinen Blick Karl zu. »Du weißt bereits, dass ich deine Wahl akzeptiere, dennoch solltest du von mir keine Wunder erwarten.« Ernst betrachteten wir einander, bis er schließlich widerstrebend nickte.

Shar stand weiterhin reglos vor mir und wurde inzwischen von allen misstrauisch beäugt, bis Karl sie auffordernd anstieß. Obwohl sie behutsam mein Gesicht fasste und meine Stirn küsste, spürte ich ihren Widerwillen und ihr Unbehagen mehr als deutlich. Noch immer verfolgten sämtliche Blicke jede ihrer Bewegungen und ich hoffte, dass Shars Verhalten nur die Folge ihrer Unsicherheit war. Der Kuss auf die Stirn, durchaus ein Ritual, galt dessen ungeachtet als feste Zusicherung ihres Respekts und ihrer Achtung mir gegenüber. Und als Alphawölfin, die ich in diesem Rudel darstellte, würde ich von ihr keine Verweigerung dulden. Ich erwartete nicht, dass wir innerhalb kürzester Zeit ein ebenso inniges Verhältnis aufbauten, wie ich es mit jedem anderen teilte. Trotzdem musste sie sich allen gegenüber verträglich verhalten und sich mir unterordnen.

Mein Misstrauen blieb und ich fragte mich, wofür der Blutmond in unserem Bildnis wohl stand, als Ean auf mich zutrat und mich fest in seine Arme schloss. »Na, Opa«, sagte ich leise und lächelte, weil er sofort darauf ansprang und empört schnaubte.

»Du solltest dich ausruhen«, entgegnete er langsam, schluckte offensichtlich die nächsten Worte hinunter und ich wusste, dass er dieselben Zweifel empfand wie ich. Er wollte vor Shar meine Schwachpunkte nicht ansprechen, was ich anerkennend und dankbar annahm.

»Opa?«, fragte Shar nun hörbar irritiert, während wir uns angrinsten.

Alasdair trat an mich heran und drückte mich an sich, sah dann jedoch auf Shar hinab. »Es tut mir aufrichtig leid, dass du es auf diese Weise erfährst. Ich bin dein Bruder, also eher dein Halbbruder, denn Ean ist auch mein Vater. Ean selbst wusste viele volle Monde nichts von meiner Existenz und somit auch nicht, dass Talil seine Enkeltochter ist.«

»Und meine Mutter?«, flüsterte sie erstickt.

»Ist nicht meine«, entgegnete er.

»Seit wann weißt du es?«, stieß sie aufgebracht hervor und warf Ean einen bitterbösen Blick zu.

Nicht weniger wütend fixierte Ean sie. »Das werden wir nicht hier und nicht jetzt miteinander besprechen. Du besitzt kein Recht dazu, irgendetwas zu fordern, bevor du nicht selbst bereit bist, mir zu erklären, was sich zwischen Arel und dir zugetragen hat«, zischte er. Sie nickte verkniffen. Ich hoffte, dass sich Ean nicht sofort wieder von ihr um den Finger wickeln ließ, sobald sie allein waren.

Umi, Nevan und Aleen traten zu uns und sahen sich um. Es wurde langsam voll auf der Lichtung. Die Kleinen tobten, dennoch lag über allem eine gedrückte Stimmung. Dunkelelben standen in kleinen Gruppen beisammen und blickten sich fortwährend verstohlen um, als könnten sie nicht glauben, was hier geschah. Andere ließen sich einfach am Rand auf dem Gras nieder und starrten verloren vor sich hin. »Die Verwundeten werden versorgt. Wie wollen wir nun vorgehen?«, fragte Nevan und drückte mir erneut eine Flasche in die Hand.

»Wir sollten mit den Oberhäuptern sprechen, ob sie mit ihren Gefallenen noch diesen Mondgang zurückkehren möchten. Danach sehen wir weiter«, entgegnete Kiljan und reichte mir auffordernd seine Hand.

»Dennoch wäre es gut, wenn wir etwas zu essen bekommen«, ergänzte ich, an niemand Bestimmten gewandt. »Selbst wenn sie aufbrechen wollen, haben mindestens die Kleinen Hunger.«

»Wir kümmern uns darum«, entgegnete Aleen. »Es ist sowieso alles vorbereitet, schließlich sollte es doch eigentlich ein Fest geben.«

Gemeinsam schritten Kiljan und ich durch die Reihen und entdeckten die Oberhäupter ein wenig abseits in eine Diskussion vertieft. »Wer sind die sechs Dunkelelben an der Seite von Yele?«, fragte ich flüsternd.

Er warf einen kurzen Blick auf die Gruppe. »Das sind die sogenannten Generäle, die gewählten Vertreter der einzelnen Clane. Yele scheint jedoch im Zweifel über allen zu stehen«, beantwortete er meine Frage ebenso leise und ließ meine Hand los, als wir zu ihnen traten. Ich aber fasste sofort wieder zu, was er mit einem überraschten Lächeln quittierte. Er räusperte sich geräuschvoll, da sie uns noch immer nicht zu bemerken schienen, und lenkte damit ihre Aufmerksamkeit auf uns.

»Womit können wir euch helfen?«, fragte Yele und betrachtete uns abwartend.

»Wir wollten wissen, wie ihr weiter vorgehen werdet«, entgegnete Kiljan mitfühlend. Auch sie hatten einige aus ihren Reihen verloren, die es zu bestatten galt.

»Ihr seid uns willkommen, doch wir verstehen es, solltet ihr aufbrechen wollen«, ergänzte ich.

»Wir sprachen gerade darüber und möchten erst am folgenden Mondgang fortgehen. So können sich die Kleinen und Alten erholen und wir haben ein wenig Zeit, unsere Verstorbenen vorzubereiten. Wir würden gerne hier das Ritual der Einbalsamierung abhalten, das ihnen zusteht, um sie dann bei unseren Ahnen zu bestatten.«

»Ihr werdet von uns alles bekommen, was ihr benötigt«, antwortete Kiljan.

»Scheut euch nicht zu fragen, sollte etwas fehlen«, fügte ich hinzu.

»Das ist wirklich großzügig, vielen Dank.« Überrascht begegnete sie meinem Blick.

»Wie geht es Paddy?«, erkundigte sich Talil leise.

»Er fühlt sich schon um einiges wohler. Er müsste eigentlich dort drüben bei den Heilern sein. Nevan ist ziemlich stur und besteht darauf, dass er diesen Mond noch in seiner Obhut verbringt«, erklärte Samuel. Talil sah sich stirnrunzelnd nach ihm um, schließlich nickte sie, wandte sich ab und ging davon.

Es schien, als wollte Kiljan nach ihr greifen, unterließ es jedoch seufzend. »Wir bereiten gerade eine Mahlzeit vor, zumindest die Kleinen sollten gleich etwas essen.«

Die zwei Dunkelelbinnen, die Kiljan nicht mit Namen kannte, lächelten. »Wie wäre es, wenn wir uns an der Zubereitung beteiligen?«

»Natürlich, sehr gerne. Wendet euch am besten an Umi und Aleen, die organisieren alles und freuen sich über jede Hilfe.«

»Na dann, komm, Hava, benachrichtigen wir die anderen.« Lächelnd ergriff Xanye Havas Arm und zog sie mit sich.

»Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich ebenfalls bedanken. Ich bin Thore, und das sind Bendik und Ville. Und dort drüben, das ist Loth. Wir gehören dem Splitterclan an.« Abwartend hielt er Kiljan seinen Arm hin. Zu seiner Überraschung erwiderte er diese Geste ohne zu zögern und nickte.

»Ihr seid die Generäle, die für jeden der zersplitterten Clane stehen«, stellte er fest.

Thore grinste. »Geht es Talil gut?«, fragte er, statt zu antworten.

»Natürlich.« Nun lächelte Kiljan ebenfalls, weil offensichtlich war, dass niemand von ihnen dem anderen gegenüber irgendetwas preisgeben wollte und sie sich dessen sehr wohl bewusst waren.

Schließlich aber überraschte Kiljan ihn, den Blick auf Talil gerichtet. »Sie wird es überstehen, doch der Verlust so vieler wiegt schwer. Wäre auch Paddy zu unseren Ahnen zurückgekehrt, hätte es sie zerrissen. Nur deswegen ließ sie es zu, dass sich ihr Wolf opferte.« Er sah von ihr in die Runde der Dunkelelben, die allesamt irritiert wirkten.

»Wie meinst du das – sie ließ es zu?«, fragte Bendik und wechselte einen verstohlenen Blick mit Thore.

»Er kann sich nicht hingeben, solange sie es ihm nicht gestattet, und das sorgt dafür, dass sie noch schwerer an den Geschehnissen trägt. Sie tauschte seine Lebensbahn gegen die von Paddy und sie wird mir äußerst wehtun, wenn sie erfährt, dass ich es euch offenbarte«, fuhr er leise fort und rieb sich sichtbar unbehaglich über sein Gesicht. »Doch ich erzähle es euch nicht, damit ihr sie respektiert oder sie eine bessere Position einnimmt. Sie spürt mehr Dinge als jeder andere von uns. Ich hingegen spüre sehr deutlich, was sie beschäftigt, und momentan macht sie sich ungewöhnlich große Sorgen um ihn. Er fühlt sich so unglaublich schuldig. Ihr seid seine Familie und müsst ihn unbedingt davon überzeugen, dieses Opfer anzunehmen, einfach weil er es verdient hat.« Er sah die Mitglieder des Splitterclans eindringlich an, wandte sich dann abrupt um und ging.

»Er hätte es nicht erzählt, wenn es nicht ernst wäre«, stellte Thore fest.

»Ich werde nach ihm sehen«, sagte Yele.

»Wir begleiten dich«, entgegnete Ville nachdenklich und auch die anderen folgten.

Nachdem sie herausgefunden hatten, wohin Paddy gebracht worden war, hielten sie überrascht inne, als sie ihn erblickten. Talil lag zusammen mit ihm auf einer Liege, er hielt sie fest in seinem Arm, während Kiljan leise mit ihm sprach. Schließlich drückte er Paddys Schulter und verließ die Lichtung. Natürlich bemerkten sie die Hüter vom Clan der Idun, die in gemäßigtem Abstand am Rand wachten, dennoch schien niemand beunruhigt zu sein.

Yele trat auf ihn zu und blickte auf die schlafende Talil hinab. »Alles in Ordnung?«, fragte sie im Flüsterton.

Paddy grinste verschmitzt. »Sie kam, um sich mit mir zu unterhalten, als Nevan sie ermahnte, sie solle sich endlich ausruhen. Sie legte sich einfach zu mir und wir redeten, bis sie irgendwann plötzlich einschlief. Als ich dann Kiljan bemerkte, bekam ich wirklich Angst, doch er bat mich nur darum, sie eine Weile in meiner Obhut lassen zu dürfen. Yele, ich dachte ehrlich, er wäre furchtbar wütend deswegen.« Noch immer fassungslos, warf er Kiljan einen kurzen Blick zu, als er erneut die Lichtung betrat.

»Er ist sich ihrer sehr sicher, und solange du diese Grenze nicht überschreitest, wird er alles akzeptieren, was ihr guttut. Und doch ist es ein ausgesprochen großes Zugeständnis seines Vertrauens in dich«, sagte Samuel leise.

»Das Essen für die Kleinen ist bereit. Wir müssen uns noch ein wenig gedulden, aber wir benötigen Unterstützung, um die Horde zu bändigen«, rief Kiljan lächelnd. Sofort traten mehrere Hüter auf ihn zu, um ihre Hilfe anzubieten.

»Können wir dich allein lassen?«, fragte Yele unsicher.

Paddy warf einen vorsichtigen Blick auf die schlafende Dunkelelbin in seinem Arm. »Ja klar. Mir geht es bereits viel besser, wirklich«, flüsterte er grinsend. Seltsam berührt machten sie sich auf, um den anderen zu helfen.

 

Pflichten

 

 

»Es ist unglaublich, was hier bisher geschah und noch immer geschieht. Niemals hätte ich mit diesem Verlauf gerechnet«, sagte Bendik leise, selbst Yele nickte.

»Das hat wohl niemand von uns, doch es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass ich so etwas wie Hoffnung verspüre«, entgegnete Samuel, während er die Schar der Kleinen betrachtete, die unbefangen miteinander spielten. Sogar die Halbstarken hatten ihre Bedenken anscheinend vollkommen abgelegt und standen in mehreren bunt gemischten Gruppen friedlich beieinander.

»Wir sollten eine Bedenkzeit fordern und eine erneute Zusammenkunft bei uns anbieten. Es wird zeigen, wie viel Vertrauen sie dem Splitterclan tatsächlich entgegenbringen.« Abwartend blickte er sie nacheinander an.

»Und sie werden es ebenfalls als Vertrauensbeweis deuten. Schließlich durfte noch nie jemand von außen unsere Grenze überqueren. Deshalb können wir das nur zulassen, wenn wirklich alle Mitglieder damit einverstanden sind. Sollte sich einer aus unseren Reihen dazu hinreißen lassen, diese Chance für einen Angriff zu nutzen, wird das schlimmere Auswirkungen nach sich ziehen, als alles, was wir bisher erlebt haben«, entgegnete Thore.

»Wie steht ihr dazu?«, fragte Yele und blickte die anderen Oberhäupter an.

»Ich denke ebenfalls, dass wir über den Frieden verhandeln sollten. Es wird Zeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen«, antwortete Koje und sowohl Holm als auch Samuel nickten.

»Loth muss sich unbedingt zusammenreißen«, ergänzte Bendik. »Ich weiß, er ist ein großer Schwätzer, dennoch hat er genügend auf seiner Seite, um genau solch einen Moment auszunutzen. Wir müssen uns sicher sein, dass er unter Kontrolle ist, Yele, und zwar, bevor wir den anderen Clanen dieses Angebot unterbreiten.« Überrascht von so viel Ehrlichkeit, tauschten Koje, Samuel und Holm einen Blick miteinander.

»Da drüben ist Umi. Wir wollten doch helfen, also los«, rief Ville und lief voran.

 

Nachdem die Kleinen versorgt waren, wurden die Feuer erneut geschürt und gemeinschaftlich das Essen für die Erwachsenen zubereitet. Endlich fand Kiljan die Zeit, nach Talil zu sehen. Als er den Platz erreichte, erhob sie sich gerade, küsste dem schlafenden Pad die Stirn und wandte sich dann lächelnd zu ihm um. »Es geht dir besser«, flüsterte er erleichtert.

Eng schmiegte sie sich in seine Umarmung. »Ja, der Schlaf und die Nähe zu Paddy haben geholfen. Dennoch tut nichts so gut wie deine Arme, die mich fest umschließen, und wenn deine Wärme und dein Geruch mich einhüllen, bin ich vollkommen erfüllt. Doch die Gewissheit, dass du mir vorbehaltlos vertraust und absolut selbstlos akzeptierst, dass ich trotz allem das Bedürfnis verspüre, anderen nah zu sein, lässt mein Herz fast zerspringen.«

»Ich gestehe, dass es mir wahrscheinlich nur deshalb so leicht fällt, weil ich deine Gefühle so deutlich wahrnehme«, flüsterte er lächelnd und küsste sie.

Paddy seufzte tief, und als sie zu ihm hinabsahen, verschränkte er grinsend die Hände hinter seinem Kopf. »Ich hoffe, dass ich dieses Glück auch einmal finde. Ihr zwei solltet verboten werden.«

»Das wirst du, denn du bist ein wundervoller Dunkelelb.« Sanft strich Talil über seine Wange. »Nimm deine Lebensbahn an, Paddy. Sei dankbar, doch zweifle niemals daran, dass du es wert bist.«

Hava und Xanye kamen auf sie zu, zögerten dann jedoch und blickten unsicher zwischen ihnen hin und her. Paddy hob den Blick und betrachtete sie fragend.

»Ihr könnt ruhig näherkommen, wir beißen nicht«, rief Kiljan.

Talil lachte. »Jedenfalls nicht in dieser Gestalt.«

Langsam traten sie zu der Liege, sagten aber nichts.

»Ihr zwei gehört dem Splitterclan an, richtig?«, fragte Talil und sie nickten.

»Entschuldigt, ja, ich bin Hava und das ist Xanye. Wir wollten euch nur nicht stören oder unterbrechen.«

Talil wusste, dass sie nicht wirklich die Wahrheit sagte und runzelte die Stirn, streckte dann allerdings ihren Arm aus. »Es freut uns, euch kennenzulernen.«

Die beiden erwiderten die Geste herzlich und sichtbar erleichtert.

»Was ist der eigentliche Grund eures Zögerns gewesen?«, fragte sie langsam und betrachtete sie.

Hava maß ein klein bisschen weniger als sie selbst, besaß kastanienbraunes Haar und schokoladenbraune Augen. Xanye hingegen hatte das für Dunkelelben typische schwarze Haar, das sie jedoch nicht lang, sondern nur bis zu den Ohren trug. Sie sah ihnen aus ungewöhnlich hell strahlenden, bernsteinfarbenen Augen entgegen und war etwa so groß wie Talil.

»Ist Paddy jetzt auch ein Wolfswandler? Also einer von euch?«, fragte Hava stockend und blickte fast schon besorgt von einem zum anderen.

Talil lachte bitter. »Und wenn es so wäre? Würdet ihr ihn dann verstoßen?«

Erschrocken schüttelten beide den Kopf. »Bei allen Ahnen, nein, natürlich nicht«, flüsterte Hava und warf Xanye einen hilfesuchenden Blick zu.

»Du missverstehst uns, Talil, verzeih. Yele hat niemanden mehr aus ihrer Familie außer Paddy. Wir haben gesehen, wie sehr ihr die Nähe zueinander sucht, doch ihr würde es das Herz brechen, wenn sie ihn hier zurücklassen müsste«, erklärte Xanye hastig.

Talil rieb sich müde über ihr Gesicht. »Es tut mir leid, dass ich euch so angefahren habe.« Sie sah zu Paddy hinab und strich ihm zärtlich eine Strähne aus der Stirn.

»Von nun an ist er auf ewig ein Teil von mir, dennoch gehört er meinem Rudel nicht an. Er ist noch immer er selbst und kann mit euch zurückkehren.« Traurig lächelnd ergriff sie Kiljans Hand und ging mit ihm davon.

»Ich werde alles für diesen Frieden tun.« Nachdrücklich sah Paddy von Hava zu Xanye. Überrascht von seinem Ton nickten sie, während sie sich erneut umsahen. Alles, was sie erblickten, wirkte derart friedlich, dass es sie innerlich tief berührte. Nicht das erste Mal fragten sie sich, wie sie all das den Daheimgebliebenen erklären könnten, damit sie das auch wirklich verstanden.

 

»Nachdem du etwas gegessen hast, legst du dich mindestens noch den Rest der Nacht hin«, schimpfte Nevan, der sich mühsam zwischen ihren Rudelmitgliedern hindurchgedrängt hatte.

Sie schloss ihn in die Arme und hielt ihn fest. »Ich verspreche es«, flüsterte sie und ließ ihn los.

Kiljan hielt ihr eine Schale hin und grinste über das ganze Gesicht. »Gemüsesuppe, mein Engel.«