Mittlerin zwischen den Welten: Drohende Finsternis - Calin Noell - E-Book

Mittlerin zwischen den Welten: Drohende Finsternis E-Book

Calin Noell

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Beschreibung

Solange sie lebt, gibt es Hoffnung – auch für das Böse.   Salyanns Krieger sind verunsichert, gefährliche Zweifel breiten sich aus. Trotzdem folgt sie eisern ihrem Weg, im Vertrauen darauf, das einzig Richtige zu tun. Doch auch die dunkle Seite begehrt die erste Frau, die als Mittlerin geboren wurde, um durch sie sämtliches Leben auf ewig zu verdammen. Wird Salyann den Verlockungen der Dunkelheit widerstehen können oder ist sie längst unwiderruflich verloren?   Zweiter Band des magischen Fantasy-Zweiteilers um Liebe, Verrat und Freundschaft, in dem die Hoffnung eines ganzen Volkes alles verändern kann ...

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Calin Noell

Mittlerin zwischen den Welten

Drohende Finsternis

Band 2 von 2

Impressum:

Erstauflage 2017

2. Auflage 2019

Calin Noell

c/o Papyrus Autoren-Club

R.O.M. Logicware GmbH

Pettenkoferstr. 16-18

10247 Berlin

www.calin-noell.com

Texte © 2017 Copyright by Calin Noell

Bilder © 2019 Copyright by Calin Noell

Coverdesign: Saskia Lackner

www.saskia-illustration.de/

Lektorat: Roland Blümel

www.rolandbluemel.de/lektorat/

Alle Rechte vorbehalten

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Buchbeschreibung

Solange sie lebt, gibt es Hoffnung – auch für das Böse.

Salyanns Krieger sind verunsichert, gefährliche Zweifel breiten sich aus. Trotzdem folgt sie eisern ihrem Weg, im Vertrauen darauf, das einzig Richtige zu tun. Doch auch die dunkle Seite begehrt die erste Frau, die als Mittlerin geboren wurde, um durch sie sämtliches Leben auf ewig zu verdammen.

Wird Salyann den Verlockungen der Dunkelheit widerstehen können oder ist sie längst unwiderruflich verloren?

Zweiter Band des magischen Fantasy-Zweiteilers um Liebe, Verrat und Freundschaft, in dem die Hoffnung eines ganzen Volkes alles verändern kann ...

Mittlerin zwischen den Welten

Drohende Finsternis

von

Für Kattl

Inhaltsverzeichnis

 

Prolog

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

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39

Epilog

 

Prolog

Als Mittlerin zwischen den Welten bestand meine Aufgabe darin, eine ganze Welt zu retten. So lächerlich sich das auch anhören mochte, verstand ich inzwischen, dass ich eine außergewöhnliche Macht in mir trug. Meine Begleiter jedoch zweifelten noch immer, ebenso wie Avon. Ich hatte es gesehen, in seinem Blick. In dem Moment, in dem ich seinen Tod wählte, schnitten mir seine Zweifel tief in mein Herz, dennoch musste ich tun, wozu ich geboren worden war und zögerte nicht.

1

Salyann

Ich wusste, er würde es nicht verstehen, nicht begreifen, dennoch blieb mir keine Wahl. Ich sprach das Wort, das ihm das Leben aushauchte, und verstärkte damit meine Macht um ein Vielfaches.

»Bàre!«, dröhnte meine Stimme über die Lichtung. Augenblicklich brach eine riesige Feuerwalze aus mir heraus, verschlang all die schönen Farben und Pflanzen, die nur dazu erschaffen worden waren, um Avon und mich zu töten.

Durch unsere Macht geschützt tobte die Feuersbrunst um uns herum, jedoch nur innerhalb des magischen Feldes, bis es nichts mehr gab, was ihr zum Opfer fallen konnte. Selbst die Erde würde viele Schritte tief verbrannt sein, ohne Leben, das wusste ich.

Sachte sanken Avon und ich auf die Asche hinab, sein ausgestreckter, lebloser Körper direkt vor meine Füße.

»Was hast du getan?«, schrie Ryker, traute sich jedoch noch immer nicht in den Kreis hinein. »Was hast du nur getan?«

»Niall, bring mir einen Wasserschlauch. Sloan, halte die anderen unter allen Umständen zurück!«, wies ich konzentriert an und kniete mich neben Avon. Sofort folgten beide meinen Anweisungen. Niall zerrte einen Schlauch von seiner Satteltasche, während Sloan Ryker unbeeindruckt packte und festhielt. Tahdag sicherte ihn.

Ohne zu zögern lief Niall los, überquerte die Grenze und reichte mir den Wasserschlauch. Durstig nahm ich einen kräftigen Schluck, blendete Rykers wütende Flüche aus, so gut es ging, und sammelte mich. »Sobald meine Hand auf seinem Herzen liegt, lässt du Wasser auf sie tropfen.« Ich erkannte seine Zweifel, die immer größer wurden, während er auf Avons leblosen Körper hinabsah. »Niall!«, schrie ich unbeherrscht. Endlich wandte er sich mir zu. Unnachgiebig und hart erwiderte ich seinen Blick, bis er nickte.

Ich holte tief Atem, konzentrierte mich einzig und allein auf Avon und unsere Magie, die mich weiterhin durchströmte. Als ich das Leuchten meiner Handfläche spürte, legte ich sie auf Avons Herz, schloss meine Augen und atmete ein weiteres Mal durch.

Der erste Tropfen fiel auf meinen Handrücken, perlte dort ab und rann langsam daran hinab in Avons Hemd. Der zweite folgte. Ich begann, sammelte bedächtig meine Gabe und fasste seine andere Hand.

»Der Fluss des Lebens, miteinander verbunden, halte ich dich. Solange mein Herz schlägt, schlägt auch deines, gleichgültig was geschieht. Avon de Vegard, 1. Krieger der Mittlerin zwischen den Welten, ich erwählte dich, gesegnet durch die Macht unserer Stammväter mit dem Zeichen ihrer Akzeptanz. Nimm zurück, was du mir gabst, um zu zerstören, was niemals hätte bestehen dürfen.«

Ich spürte die Kraft, die mich durchströmte, gab den Impuls frei, damit sie von mir zu ihm floss, bis sie ihn vollständig ausfüllte, und nahm meine Hände fort. Langsam erhob ich mich, streckte die Arme zum Himmel empor und hielt meine Handflächen aneinander.

»Àir aìs, Avon de Vegard. Àir á mi aìs.«

Erneut fuhr ein Blitz durch Avon hindurch und sein Körper zuckte. Hastig kniete ich mich wieder hin und betrachtete sein Gesicht. Sanft strich ich über seine Wangen, zeichnete mit den Daumen seine Konturen nach. »Du musst aufwachen, Avon«, flüsterte ich und hauchte ihm mit geschlossenen Augen einen Kuss auf die Lippen. Als ich ihn wieder anblickte, erstarrte ich. »Sei nicht böse auf mich, ich flehe dich an«, flüsterte ich gequält, während mich sein undurchdringlicher Blick gefangen hielt.

»Ich bin dein 1. Krieger und meine oberste Pflicht ist es, dich zu schützen. Hier gelang es nur durch meinen Tod, also starb ich«, erklärte er tonlos.

Innerlich schüttelte es mich. »Ich wusste, dass dir nichts geschieht«, beteuerte ich bestürzt, doch er entgegnete kein einziges Wort mehr. Schwer bedrückt erhob ich mich und nahm von Niall den Wasserschlauch entgegen. Nach einem großen Schluck wandte ich mich zu Zarax um und pfiff. Sofort wieherte er, warf seinen Kopf zur Seite, bis Dane die Zügel losließ und trabte schließlich auf mich zu.

»Was hast du vor?«, fragte Sloan leise.

Mit einem gekonnten Satz zog ich mich in den Sattel und stellte meine Füße in die Steigbügel. »Ich brauche ein wenig Abstand. Außerdem können wir hier nicht rasten. Wir benötigen einen neuen Platz.«

»Wir sollten auf den Pfad zurückkehren«, warf Kerr ein und betrachtete mich besorgt.

»Nein, er ist nicht mehr sicher. Wir schlagen uns ein Stück durch den Wald.«

»Salyann ...«, versuchten es nun Kaska und Elouan zeitgleich. Ich ertrug ihre bestürzten Mienen nicht länger, trieb Zarax eilig voran, ehe ich mich selbst vergessen und etwas wirklich Unverzeihliches tun oder sagen würde. Nur drei Atemzüge später aber ritt ausgerechnet Sloan neben mir, ohne ein Wort oder einen Blick starrte er stur geradeaus. Kurz danach folgten Miron und Kerr. Ich seufzte, dennoch schwiegen sie und ich hatte ganz sicher nicht vor, an diesen Zustand irgendetwas zu ändern.

Avon

Ich setzte mich auf, überrascht, keinerlei Schmerz zu verspüren, und nahm dankbar den Wasserschlauch von Niall entgegen. Schließlich ergriff ich Rykers Hand und ließ mich hochziehen.

»Geht es dir wirklich gut?« Seine hörbare Sorge trieb nun auch die anderen zu uns heran.

Gequält fuhr ich mir über mein Gesicht, blickte Salyann hinterher. »Ja, Ryker. Außer meinem falschen Stolz hat nichts gelitten«, gestand ich leise und wusste bereits jetzt, dass ich diesmal nicht so einfach davonkommen würde.

»Wie meinst du das?«, fragte Gawyn irritiert.

»Salyann tat das, wofür sie geboren wurde, weswegen sie hier ist. Immer wieder verlangten wir von ihr den Beweis, dass sie diese Macht wahrhaftig in sich trägt. Nun ist es das zweite Mal geschehen, dass sie genau das getan hat und ich es ihr hinterher dennoch vorwarf.«

»Sie ließ dich sterben, Avon. Bei allen Stammvätern, sie ließ dich einfach sterben!«, schrie Ryker aufgebracht.

»Ebenso wie sie wusste, dass ich niemals sterbe, solange ihr eigenes Herz schlägt, besaß ich die Gewissheit, dass es genauso ist. Und trotzdem empfand ich es in dem Moment, in dem sie diese Worte sprach, als große Kränkung. Unsere Stammväter hielten mich, und obwohl selbst sie ihr Handeln mit tiefer Befriedigung verfolgten, fasste ich es als unsagbare Demütigung auf.« Erneut fuhr ich mir durch mein Haar. Ich wusste, dass sie es mir diesmal nicht so leicht verzeihen würde. »Ihr müsst begreifen, dass wir alle gestorben wären, hätte sie es nicht getan.«

»Als mich dieses Etwas berührte, zerriss es mich innerlich!«, flüsterte Gawyn leise. »Ich besaß plötzlich die absolute Gewissheit, dass es mein letzter Atemzug ist, dann aber stieß Salyann mich zurück.« Sein Blick suchte Rykers und fixierte ihn schließlich. »Ich sah und spürte den Tod, Ryker. Ihr müsst mich nicht ernst nehmen, könnt mich auslachen, dennoch weiß ich, was ich wahrnahm.« Mit diesen Worten wandte er sich ab und schritt zu seinem Pferd. Nach einem gekonnten Sprung saß er im Sattel und folgte Salyann.

»Was hat sie gesagt?«, durchbrach Elouan plötzlich unser Schweigen. »Ich meine, diese seltsamen Worte, was bedeuteten sie?«

»Ich selbst verstehe es erst, seitdem ich bei unseren Stammvätern verweilte. Es begann mit: Heile, bei Gawyn, weiter mit: Ihr Stammväter haltet mich fest. Danach folgte: Offenbare, was nicht sein darf. Als ich zu ihr lief und sprang, sagte sie: Haltet ihn. Darauf: Stirb, gefolgt von: Brenne. Schließlich hörte ich sie, obwohl ich mich schon nicht mehr dort befand: Ich danke euch. Und zuletzt: Kehre zurück, Avon de Vegard. Kehr zu mir zurück.«

Verzweifelt rieb ich mir über mein Gesicht. »Ich war überrascht, weil sie plötzlich zu wissen schien, was sie tun musste, dann schockiert, als ich das Ausmaß erkannte, das gebe ich zu. Wir müssen uns dringend daran gewöhnen, dass sie die Mittlerin ist und auch als solche handelt.« Ich erhob mich und klopfte mir die Asche ab, so gut es ging.

»Ihr habt euch inmitten dieser gewaltigen Feuersbrunst befunden und dennoch seid ihr nicht verbrannt«, flüsterte Tahdag erschüttert und griff in die Asche, verrieb sie in seiner Hand.

»Ja. Ich dachte im ersten Moment wirklich, sie ist jetzt vollkommen verrückt«, ergänzte Dane.

»Wie sie da so schwebte, wirkte einfach unglaublich«, warf Kaska beeindruckt dazwischen.

»Ich habe es verbockt, schon wieder, richtig?«, klagte Ryker und blickte sich noch einmal um. Ich tat es ihm nach.

»Wir beide, mein Freund, doch ich werde wesentlich mehr leiden müssen als du, glaub mir.«

Gequält grinste er. »Ich fühle mich bereits furchtbar bei dem Gedanken daran, ihr gegenübertreten zu müssen. In deiner Haut aber will ich wahrlich nicht stecken.« Gutmütig klopfte er mir auf die Schulter und deutete dann zu unseren Pferden. »Wir sollten ihr folgen. Nicht dass wir sie nicht wiederfinden.«

Salyann

»Ich danke dir, Mittlerin«, durchbrach Gawyn schließlich das Schweigen. »Ich wäre zu unseren Stammvätern zurückgekehrt, hättest du mich nicht geschützt.«

Nachdenklich betrachtete ich erst ihn, dann die anderen. »Habt ihr denn gar nichts gespürt, als ihr nähergekommen seid? Ich meine, ihr wirktet vollkommen ergriffen, mich aber durchfuhr ein eisiger Schauder.« Gedankenversunken starrte Gawyn nach vorn, antwortete jedoch nicht.

»Ich war gefangen in dem Anblick und alles um uns herum schien bedeutungslos«, entgegnete Sloan aufgebracht und presste die Lippen aufeinander.

»Weshalb bist ausgerechnet du so wütend?« Interessiert musterte ich ihn. Er war nicht unansehnlich, wirkte aber durch seine scharf geschnittenen und verhärteten Gesichtszüge kälter und abweisender als alle anderen. Außerdem verhielt er sich mir gegenüber noch immer äußerst verschlossen.

»Ich habe mich blenden lassen und bin meiner Aufgabe nicht nachgekommen«, presste er mühsam hervor.

»Deiner Aufgabe?« Irritiert starrte ich ihn an, bis er meinen Blick endlich erwiderte. Nun jedoch wünschte ich, er täte es nicht, denn innerlich gefror ich zu Eis.

»Was glaubst du, weshalb wir dich begleiten, Mittlerin?«, entgegnete er scharf. »Wir sind hier, um dich zu beschützen und doch haben wir versagt. Alle gemeinsam, und zwar jämmerlich.« Ich hörte die Verachtung in seiner Stimme und starrte ihn nur noch schockierter an als zuvor, denn endlich begriff ich, dass er gar nicht mir irgendetwas vorwarf, sondern den anderen, besonders und vor allem aber sich selbst.

»Sloan, auch du musst etwas begreifen: Ich bin die Mittlerin zwischen den Welten. Niemand kann gegen diese Mächte bestehen, außer meinen Kriegern und mir. In diesem Fall jedoch konnte nur ich allein sie bezwingen, mithilfe von Avons Macht. Ich weiß nicht, weshalb das geschah, doch ich glaube inzwischen, dass irgendjemand hoffte, wir würden auf diese Hinterlist hereinfallen. Es war geplant, verstehst du das? Ihr seid hier, um mich vor den Meuchelmördern und dem Volk zu beschützen, sollten sie aus Furcht einen Übergriff anstreben, denn das zu vermeiden, gelingt mir niemals allein.« Undurchdringlich blieb sein Blick, seine Lippen noch immer fest aufeinandergepresst.

»Ihr besitzt keinerlei Merkmale, vergiss das nicht. Mir ist durchaus bewusst, dass du ein ausgezeichneter Krieger bist – und in meinen Augen bist du das wahrhaftig. Dich jedoch für Dinge selbst zu verurteilen, die zu verhindern niemals in deiner Macht lagen, ergibt überhaupt keinen Sinn.«

»Das nächste Mal erstarre ich nicht!«, entgegnete er stur und trieb sein Pferd an, bis er etwa drei Längen vor uns ritt. Frustriert schüttelte ich den Kopf.

»Hab ein Nachsehen mit ihm, Salyann. Er nimmt deinen Schutz sehr ernst«, versuchte Miron zu schlichten.

»So ernst, dass er bisher zuließ, dass seine Sippenmitglieder sich gegenseitig umbrachten, ja?«, fragte ich herausfordernd und zog eine Augenbraue in die Höhe. »Sein Sturkopf wird uns alle nur in Gefahr bringen.«

»Sei nicht ungerecht. Du selbst hast zugegeben, dass du es dir gar nicht vorstellen kannst, mit so vielen Menschen zu leben. Auch bei uns kommen Handgreiflichkeiten durchaus vor. Sie arten nur nicht dermaßen aus, weil wir wesentlich weniger sind.«

»Es scheint sehr ungewöhnlich, dass es ihn überhaupt beschäftigt. Verzeih mir, Miron, ich weiß, er ist dein Freund, aber bisher machte er mir nicht den Eindruck, dass ihm irgendetwas wichtig ist. Weshalb also setzt er sich plötzlich so ein?«, hakte Kerr leise nach. »Er ist doch nur wütend, weil er sich in seiner Ehre gekränkt fühlt. Er, der große Krieger, als der er sich selbst immer gerne sieht, war wie wir Unwürdigen zum Zusehen verdammt«, ätzte Kerr boshaft.

»Könntet ihr aufhören, euch schon jetzt derartig zu zerfleischen?«, rief ich genervt und trieb Zarax an. Ich wollte nur noch meine Ruhe haben. »Seht zu, dass die anderen uns folgen. Sobald wir wieder auf den Pfad gelangen, reiten wir zügig voran. Ich werde auf niemanden warten.«

»Was ist mit der Rast?«, rief Miron mir nach.

»Rahl ist groß genug. Dort gibt es sicherlich eine Schänke.«

»Wir nennen es Wirtshaus«, schob Kerr belustigt hinterher.

»Dann eben das«, murmelte ich.

Was würde ich noch alles sehen und erleben, von dem ich zuvor niemals etwas gehört hatte, oder bisher dachte, dass es das gar nicht gab?

Avon

In diesem Gelände war es gar nicht so einfach, mein Pferd zügig voranzutreiben, ohne zu riskieren, dass es sich vertrat und eine Verletzung zuzog. Dennoch wollte ich unbedingt mit Salyann sprechen, bevor wir Rahl erreichten. Ich musste verhindern, dass die Bewohner irgendwelche Spannungen zwischen uns wahrnahmen.

Ich seufzte tief. Das war Blödsinn und ich wusste es. Einerseits stimmte es zwar, viel schlimmer jedoch empfand ich die Erinnerung an ihren Blick, den ich noch immer im Geiste vor mir sah, und der mich unaufhörlich niederdrückte. Ich hatte es wirklich gehörig verbockt.

Ich entdeckte Miron und Kerr, wobei Miron auf mich zuritt, während Kerr ein Stück weiter vorn wartete. »Salyann ist vorausgeritten, ebenso wie Sloan. Wir sollen euch holen, sie wird nicht warten.«

Überrascht warf ich ihm einen Blick zu. »Sie müssten mir inzwischen ebenfalls folgen. Ich versuche, Salyann einzuholen, treib du Ryker und die anderen ein wenig zur Eile an.«

Miron nickte und ritt an mir vorbei. Als ich Kerr passierte, grinste dieser. »Viel Glück, mein Freund.«

»Das kann ich gebrauchen.«

Endlich sah ich sie. Sloan ritt direkt neben ihr, doch sie redeten kein einziges Wort miteinander und wirkten beide angespannt. Als ich fast zu ihnen aufgeschlossen hatte, erreichten sie tatsächlich einen anderen Pfad.

»Du wusstest, dass hier ein Weg ist«, stellte Sloan beeindruckt fest.

»Ja«, entgegnete sie schlicht. »Und jetzt erhöhen wir noch mal den Abstand zwischen uns und diesem seltsamen Platz.«

»Was waren das für Wesen?«, fragte Sloan. Ich wartete nicht weniger gespannt auf ihre Entgegnung.

»Amundi«, stieß sie verächtlich hervor.

»Was bedeutet das? Ich verstehe es nicht.« Irritiert betrachtete er sie.

»Brautgeschenk, das ist die Bedeutung ihres Namens. Deshalb befürchte ich, dass König Jandrar selbst die Verantwortung dafür trägt. Entweder wollte er meine Fähigkeiten erproben und mir zeitgleich damit eine Botschaft zukommen lassen, oder aber er hoffte tatsächlich, mich zu töten. Wer sonst würde ausgerechnet diese Art von Wesen auf unserem Weg derart verschwenden?«

»Was meinst du mit Wesen und wieso verschwenden?«, fragte ich, während ich nun endgültig zu ihnen aufschloss.

Nach einem kurzen undurchdringlichen Blick in meine Richtung sah sie stur geradeaus. »Als mich unsere Stammväter in der Luft hielten, erlangte ich Wissen über die Amundi. Ich verstehe nicht, weshalb sie so heißen, weil sie abgrundtief böse sind und jeden töten, der ihnen nicht widersteht. Warum also die Bedeutung Brautgeschenk? Sie existieren nur sehr selten, daher erscheint es mir ungewöhnlich, dass er sie derart verschwendet. Sie können sich nur innerhalb eines magischen Feldes bewegen. Es muss unglaublich mühsam gewesen sein, sie hier zu platzieren. Woher wusste er, dass wir ausgerechnet diesen Weg einschlagen? Und warten noch mehr auf uns, irgendwo oder überall?«

Ich starrte sie an, nicht in der Lage, meinen Blick von ihr abzuwenden. »O Avon, ich kann deine Gedanken quasi hören.« Genervt verdrehte sie ihre Augen. »Nein, wenn wir beim nächsten Mal besser vorbereitet sind, musst du nicht jedes Mal hinübergehen.«

»Was?«

»Ich muss dich nicht sterben lassen, damit wir sie besiegen. Du kannst lernen, mit mir deine Macht zu teilen. Ich weiß nur noch nicht genau wie.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern.

»Verzeih mir, Salyann«, bat ich niedergeschlagen.

»Dann sag mir, Avon: Wird es jetzt immer derart vonstattengehen? Wird es von nun an stets so sein, dass ich handle, etwas bewirke und ihr es mir hinterher zum Vorwurf macht?« Suchend sah sie sich um. »Wir warten hier auf die anderen, vorher will ich nichts hören, auch von dir nicht.«

Sie gab Sloan ein Zeichen, das ich erst verstand, als er sie vorbeiließ und sich dann quer auf den Pfad stellte. Dadurch war es mir unmöglich, zu ihr aufzuschließen. Ich fluchte innerlich. Die Gewissheit, dass sie wütend sein würde, hatte ich bereits zuvor in mir getragen. Ihr Verhalten nun jedoch zu erleben, erzeugte eine viel tiefere Furcht in mir.

Salyann

Ich wusste einfach nicht wohin mit meiner Wut. Nur noch mühsam gelang es mir, sie niederzudrücken, sie in den hintersten Winkeln meines Seins zu verbergen. Ich durfte sie nicht zulassen, nicht jetzt, nicht hier. Sollten die Amundi tatsächlich von König Jandrar geschickt worden sein, mussten wir Stärke beweisen, zusammenhalten.

Vielleicht ist genau das sein Ziel? Uns auseinanderzutreiben, damit wir umherirren wie verlorene Schafe ...

Wenn er unsere Schwächen kannte, all das geplant hatte und selbst die Ordensbrüder und Meister aus dem Kloster bereits unter seinem Einfluss standen, was käme ihm da gelegener, als dass wir uns schon jetzt anfeindeten? Aber wofür das alles? Wollte er mich wirklich lebend oder war es ihm vollkommen gleichgültig, jedwedes Geschehen nur ein Spiel, weil er auch meinen Tod akzeptieren würde?

Ich warf einen Blick zu Sloan, verweilte einen Moment und betrachtete ihn. Er nahm mich als Mittlerin wahr, handelte, ohne zu zögern. Ich sah weiter zu Niall. Sie beide hatten getan, wozu ich sie aufforderte, und ich konnte nur hoffen, dass die anderen sich bald ein Beispiel an ihnen nehmen würden. Jetzt wäre die Anwesenheit von Askaril hilfreich, denn er wüsste sicherlich einen Rat.

»Sie kommen«, rief Sloan leise und unterbrach meine Gedanken. Während ich mich ihnen zuwandte, fällte ich schließlich eine Entscheidung und verbannte meine Wut vollständig. Hier und jetzt gab es dafür keinen Platz.

Da der Weg noch immer zu schmal verlief, drehte ich mich wieder um. »Wir reiten weiter, bis der Pfad sich verbreitert«, rief ich über meine Schulter und trieb Zarax an, bis er galoppierte. Tief atmete ich die Luft ein, nahm die Eindrücke, die an uns vorbeirauschten in mich auf, bis sie mich erfüllten. Die Farben, die Lebendigkeit und den scheinbaren Frieden.

Wenn die Karten sehr genau gezeichnet worden waren, dann würde sich dieser Pfad erst kurz vor Rahl wieder verbreitern. Nachdenklich blickte ich zum Himmel empor. Der Tag war bereits weit fortgeschritten. Irritiert runzelte ich die Stirn. Hatten wir uns tatsächlich so lange in dem magischen Kreis aufgehalten, dass es inzwischen schon deutlich nach Mittag war?

Erneut grübelte ich über unseren weiteren Weg nach und seufzte. Ich hatte die Warnung unserer Stammväter nicht vergessen. Doch galt das nun für die gesamte Reise oder für diesen einen Augenblick? Wollte König Jandrar genau das erreichen, dass wir uns zurück auf den Hauptweg begaben, oder hoffte er vielleicht, dass wir uns weiterhin verkriechen würden, ängstlicher und dadurch unbedachter handelten?

All diese Fragen zerrten an meinen Nerven, und obwohl ich verzweifelt versuchte, mich von guten Gefühlen umhüllen zu lassen, scheiterte ich.

Nach einer gefühlten Ewigkeit verbreiterte sich endlich der Weg, doch Klarheit besaß ich noch immer nicht.

War es ein Fehler, mich mit Avon einzulassen? Wäre es leichter, wenn wir den Bund nicht geschlossen hätten, er nicht mein Herz besitzen würde?

Ich blickte zurück und hielt schließlich an. Sloan beobachtete mich aufmerksam. Während ich ihm in die Augen sah, seinen unbedingten Willen erkannte, seine Pflicht unter allen Umständen zu erfüllen, wendete ich Zarax und ritt an ihm vorbei, damit jeder von ihnen hören konnte, was ich zu sagen hatte. »Wir kehren in das Wirtshaus in Rahl ein. Von dort aus nehmen wir den Hauptweg nach Alora. Wir werden uns nicht weiter verstecken wie flüchtige Wegelagerer. Für mich gibt es keine andere Erklärung, als dass König Jandrar hinter den Amundi steckt. Er weiß also, wo wir uns aufhalten. Ob er nun eben dies damit bezwecken wollte oder nicht, ist von nun an bedeutungslos. Ich habe meine Entscheidung getroffen. Bis wir Caras erreichen, sind wir nirgendwo wirklich sicher. Wir sollten dafür sorgen, dass wir gesehen werden und genau das tun wir jetzt. Auf diese Weise erregen wir sehr viel mehr Aufmerksamkeit und unsere Reise wird sich herumsprechen wie ein Lauffeuer. Ihr kümmert euch darum, dass ich am Leben bleibe, dann seid ihr hoffentlich auch genügend beschäftigt und überlasst zukünftig alles andere mir. Als Letztes habe ich noch etwas zu verkünden. Sloan, ich ernenne dich zu meinem 2. Krieger. Ich brauche jemanden an meiner Seite, der alles tut, gleichgültig was ich verlange, selbst wenn um uns herum das völlige Durcheinander ausbricht. Ich erwarte von dir, dass du ausschließlich mich im Auge behältst.«

Seine Augen weiteten sich überrascht, dann wirkte er schockiert, schließlich aber nickte er. »Es ist mir eine Ehre.« Leicht neigte er sein Haupt.

»Bevor ihr Beleidigungen auf mich niederlasst: Ich will damit niemanden bestrafen. Dennoch brauche ich in der jetzigen Situation jemanden, auf den ich mich uneingeschränkt verlassen kann. Es scheint, als wäre die Auswahl ein Fehler, weil ihr alle viel zu nah miteinander verbunden seid. Ich habe verstanden, dass Vertrauen Zeit benötigt, doch diese Dauer bekommen wir vielleicht nicht. Ryker, ich trage dir dein Verhalten nicht nach, aber besonders in einer solchen Lage benötige ich die Gewissheit, dass dich im Zweifel jemand ohne Skrupel niederschlägt, jeden Einzelnen von euch, sollte es nötig sein. Sloan besitzt aufgrund seiner Reise zu unseren Stammvätern den Glauben, der euch noch fehlt.«

Sehr deutlich sah ich ihr Missfallen, dennoch schwiegen sie. »Avon, begleite mich«, befahl ich, hielt inne und atmete durch. »Bitte«, schob ich leiser hinterher. Er nickte, betrachtete mich forschend, unsicher. Ich wendete Zarax, und er folgte mir. Wie zuvor war es Sloan, der dafür sorgte, dass die anderen einen gewissen Abstand wahrten.

Ich stieg aus dem Sattel und zog einen Wasserschlauch hervor. Nachdenklich nahm ich einen großen Schluck und sah zu Avon, der es mir schließlich nachtat und ebenfalls abstieg.

Als er zögernd an mich herantrat, sprang ich über meinen Schatten, ergriff seine Hand und schmiegte mich an ihn. Erleichtert schloss er mich in seine Arme und atmete tief ein, während er sein Gesicht in meinem Haar vergrub. »Es tut mir aufrichtig leid, Salyann, das musst du mir einfach glauben. Ich verfluche mich selbst dafür, dass ich die Gefahr nicht erkannte und schon wieder zweifelte.«

»Das ist mir durchaus bewusst. Deswegen versuche ich ja, meine Wut zu zügeln. Es tut nur jedes Mal so verdammt weh, euer Misstrauen zu spüren. Ich weiß, dass es diese Schwierigkeiten nur gibt, weil wir beide nicht unterwiesen wurden. Dennoch bitte ich dich inständig, bemühe dich mehr darum, mir zu vertrauen, gleichgültig, wie sehr du zweifelst. Zeig es mir nicht derart deutlich. Es frisst mich auf und zerstört so vieles.«

»Ich verspreche es dir aufrichtig.«

Wir hielten einander im Arm, und ich spürte die Gewissheit, dass mein Handeln richtig war. Jegliche Vorwürfe würden lediglich dafür sorgen, dass der Schmerz weiter anstieg, ohne Möglichkeit, eine Lösung zu erlangen. Ein sich immerzu im Kreis drehen wäre die Folge, denn verantwortlich war ganz allein unsere Unwissenheit.

»Du musst aufhören, mich in diesen Momenten als die Frau deines Herzens anzusehen. Es bedarf der Handlung als 1. Krieger der Mittlerin, damit sich auch deine wahre Macht entfaltet.«

»Ich weiß.« Seufzend betrachtete er mich mit einer großen Traurigkeit. Langsam, fast zögernd neigte er seinen Kopf, als wollte er mir die Möglichkeit lassen, mich abzuwenden.

Lächelnd verdrehte ich die Augen, griff in sein Haar und zog ihn fordernd zu mir. Als sich unsere Lippen berührten, wir uns einander öffneten, schien die Zeit stillzustehen und meine Zweifel verflüchtigten sich.

»Das habe ich gebraucht«, stieß ich schließlich atemlos hervor.

Avon lachte. »Ich ebenfalls, mein Herz. Jetzt fühle ich mich wieder sicher, auch wenn ich weiß, dass wir dringend lernen müssen, unsere Rollen einzunehmen.«

Arm in Arm gingen wir weiterhin zu Fuß, unsere Pferde folgten uns gemächlich und wir genossen die Nähe zueinander. Als ich in weiter Ferne das erste Haus erblickte, blieb ich stehen und wandte mich um. »Wir sollten wieder aufsitzen«, begann ich und tat es auch sogleich. »Ich reite vorweg, Avon und Sloan an meiner Seite. Wenn sich der Weg verengt, geht Sloan voran. Seid wachsam.«

Avon

Verstohlen betrachtete ich Salyann. Es hatte bereits begonnen. Diese Reise veränderte uns, besonders jedoch sie. Nichts war mehr zu sehen von dem verschüchterten Mädchen, das sie gewesen war, als sie in unserem Lager ankam. Selbstsicher saß sie im Sattel, kerzengerade aufgerichtet.

»Sollte etwas geschehen, nimm meine Hand«, unterbrach sie meine Gedanken. Ich nickte ernst.

Die ersten Menschen gelangten in unser Blickfeld. Ich verweilte bereits einige Male in diesem Dorf. Die Bewohner wirkten Fremden gegenüber stets zurückhaltend, aber niemals unfreundlich. Rahl galt als gehobener Landstrich. Viele der Häuser wurden aus Stein gefertigt, selbst der Altar für unsere Stammväter, was eine Besonderheit darstellte. Die meisten Ansiedlungen waren aus der Not heraus aus Holz errichtet mit wesentlich kleineren Hütten. Hier zeigte sich der Unterschied zu anderen Dörfern deutlich. Rahl hatte es geschafft, einen Knotenpunkt der verschiedenen Verbindungsstraßen zu bilden, und zog seinen Nutzen daraus. Deswegen auch das Wirtshaus. Nur sehr wenige derartige Dörfer besaßen eines.

Kaum hatten wir den großen Weg erreicht, blieben die Menschen stehen und starrten zu Salyann hinauf. Sie hingegen lächelte freundlich, ritt jedoch weiter. »Sloan, kennst du den Weg zum Wirtshaus?« Er schüttelte den Kopf, doch ehe ich etwas sagen konnte, beugte Salyann sich hinab. »He, Junge. Kannst du uns zum Wirtshaus führen?«, rief sie einem Knaben zu. Dieser hielt in seinem Tun inne und erstarrte, als er sie erblickte. Salyann aber lachte fröhlich. »Ich stehe wahrhaftig vor dir. Also, was ist, bringst du uns hin?«

Langsam erhob er sich und nickte. »Natürlich, Mittlerin«, entgegnete er aufgeregt und trat sichtbar fasziniert auf Zarax zu. »Seid Ihr es wirklich?«, fragte er ehrfürchtig.

Lachend stieg Salyann aus dem Sattel. »Ja, die bin ich. Du kannst ihn gerne streicheln. Solange ich bei ihm bin, ist er ganz brav.«

Strahlenden Blickes ging er einen weiteren Schritt auf das Pferd zu und streckte vorsichtig seine Hand aus. Zarax senkte seinen Kopf und schnupperte. Der Junge lachte, es klang so glockenhell, dass sich Salyanns Lächeln vertiefte. »Möchtest du ihn reiten?«

»Ihr seid Euch sicher?«, flüsterte er. Noch bevor Salyann ihm helfen konnte, stand Sloan bereits an dessen Seite, packte zu und half ihm in den Sattel. Überrascht blickte der Junge auf ihn hinab, grinste dann jedoch. »Danke. Auch wenn ich es durchaus allein geschafft hätte.« Mit einem Nicken trat Sloan wieder zurück, ging nun aber ebenfalls zu Fuß weiter.

»Wie heißt du?«, fragte sie und sah zu ihm hinauf.

»Terje.«

»Wo lang müssen wir, Terje?«

»Immer diesem Weg folgen. Ihr bräuchtet mich gar nicht, um das Wirtshaus zu finden. Es liegt genau an dieser Straße und ist nicht zu verfehlen.«

»Möchtest du also lieber wieder herunter?«

»O nein, Mittlerin, ich führe Euch dennoch gern.«

Immer mehr Menschen blieben stehen, starrten uns entgegen. Ich rang mit mir, ob ich ebenfalls absteigen oder lieber im Sattel sitzen bleiben und dem besseren Überblick den Vorzug geben sollte.

»Sag mir, Terje, kennst du die Bewohner von Rahl gut?«

»Ja, Mittlerin. Meinem Vater gehört der Dorfladen, daher kehren sie oft bei uns ein.«

»Wie stehen sie zu dem Mittler zwischen den Welten, kannst du mir das sagen? Werden sie uns friedlich aufnehmen, oder gibt es viele, denen es nicht gefallen wird, dass wir hier sind?«

Mit einem Mal lachte Terje aus vollem Herzen, überrascht hielten wir inne. »O Mittlerin. Wir warten schon so lange auf Euch und hoffen, so sehr. Würdet Ihr einige Tage hier verweilen, könntet Ihr sie kaum davon abhalten, ein Fest zu geben, nur weil Ihr endlich da seid. Allen voran mein Vater. Er sagte immer wieder, dass Ihr zu uns kommt. Ihr seid die Hoffnung für uns, die einzige die übrig ist.«

»Es gibt noch unzählige Dörfer, Ortschaften und Städte, die Jandrar die Stirn bieten«, hörten wir plötzlich eine tiefe Stimme.

Suchend sah Salyann sich um. Ein beeindruckend wirkender Mann trat auf uns zu, blieb jedoch einige Schritte vor uns stehen. Überrascht betrachtete ich ihn genauer. Seine Art schien sehr ungewöhnlich für einen einfachen kleinen Kaufmann, denn er hielt bewusst einen gewissen Abstand zu Salyann ein, der eher zu unserer Beruhigung diente, als zu seiner.

Für einen Mann war er nicht besonders groß, in etwa nur so wie Salyann, dennoch wirkte er größer, als könnte seine Ausstrahlung irgendwie darüber hinwegtäuschen. Sein Körper besaß nicht die für einen Kaufmann typischen schmalen Attribute, sondern vielmehr die eines echten Kriegers. Trotz seiner weiten, einfach wirkenden Kleidung zeichneten sich seine Muskeln deutlich ab. Sein Haar gelockt und lang, dazu der passende Bart, nicht ungepflegt, doch auch nicht penibel gestutzt. Seine braunen Augen strahlten Güte aus, und er wirkte in keiner Weise bedrohlich.

»Mögt Ihr uns zum Wirtshaus begleiten?«, riss Salyann mich aus meinen Gedanken. »Euer Sohn war so freundlich, uns den Weg zu weisen.«

Erheitert lachte er. »Ist es derart offensichtlich?«

»Er ist Euch wie aus dem Gesicht geschnitten.«

»Ich begleite Euch sehr gerne, aber für uns reicht die einfache Anrede, Mittlerin.«

2

Salyann

Innerlich gab ich mir einen Tritt. Auch wenn die Bewohner in diesem Dorf uns willkommen hießen, sollte ich fortan achtgeben, nicht ständig so ungebildet zu wirken, wie ich war. Nur deshalb ließ ich seine Ansprache ohne Gegenrede stehen. Von nun an würde ich alle anderen formlos ansprechen. Dennoch nahm ich mir vor, Avon danach zu fragen, für wen hingegen das nicht galt.

Im Wirtshaus angekommen, verfolgten uns inzwischen scheinbar alle Dorfbewohner. Auch im Innern herrschte bereits reges Treiben. Nun jedoch verstummten die Menschen, als sie mich erblickten. Lächelnd sah ich in die Runde und folgte dem Kaufmann zu einem Tisch.

»Wie heißt du?«, fragte ich schließlich, als ich mich setzte.

»Verzeiht mir meine Unhöflichkeit«, begann er und erhob sich wieder. »Trond«, antwortete er mit einer leichten Verbeugung in meine Richtung.

Nachdem er für uns alle etwas bestellt hatte, sah ich mich verstohlen in dem großen Raum um. Er platzte inzwischen beinahe auseinander. Die Dorfbewohner drängten noch immer von draußen herein, als wollten sie nichts verpassen.

»Werdet Ihr Zeit zum Schlichten finden?«, durchbrach Trond meine Gedanken. Überrascht sah ich auf. Also stimmte immerhin dieser Teil der Geschichte, die mir die Ordensbrüder und Meister erzählt hatten.

Ich schluckte hart, nickte dann jedoch und hoffte, dass es sich nur um Kleinigkeiten handelte. Was sollte ausgerechnet ich mit meiner Unerfahrenheit Menschen raten, die ernsthafte Probleme hatten? »Sehr gern.« Ich lächelte, so aufrichtig, wie es mir möglich war. »Wie schlichtet ihr hier sonst Streitigkeiten?« Neugierig hielt ich inne.

»Das kommt ganz auf die Umstände an. Meist berufen wir den Rat der Dorfältesten ein, doch einiges ist derart verfahren, dass kaum eine Schlichtung zu erzielen ist.«

Na, das hörte sich aber nicht danach an, dass ich es besonders leicht haben würde.

»Nun lasst mich schon durch, ihr dummes Pack!«, keifte unvermittelt eine weibliche Stimme aus dem Gedränge.

»Wäre es Euch nach dem Mahl recht?«, fragte Trond. Widerstrebend nickte ich. Er ignorierte dies, erhob sich augenblicklich und pfiff einmal ganz laut durch seine Finger. Sofort herrschte Stille. »Die Mittlerin wird sich nach dem Mahl eurer Probleme annehmen. Richtet den Ratssaal her, und tragt euch in die Liste ein. Wir kommen dorthin. Nun jedoch gewährt ihr ein wenig Ruhe.«

Es war eine Aufforderung, keine Bitte, eher ein Befehl. Erstaunt beobachtete ich, wie sich der Raum innerhalb kürzester Zeit leerte.

»Ich danke dir«, japste dieselbe weibliche Stimme, die eben noch vergeblich versucht hatte, zu unserem Tisch zu gelangen.

»Oh, bedanke dich nicht bei mir, Linea, dein Dank sollte der Mittlerin gelten. Immerhin stimmte sie meinem Ersuchen zu, obwohl sie sicherlich nicht beabsichtigte, hier länger zu verweilen.« Neugierig musterte mich die Frau, nachdem sie das Tablett auf dem Tisch abgestellt hatte.

»Darf ich mich ebenfalls in die Liste eintragen?«, vernahm ich plötzlich Terjes zaghafte Stimme.

»Gewiss«, entgegnete ich lächelnd.

»Nein!«, rief sein Vater zeitgleich. Überrascht betrachtete ich ihn. Natürlich hatte auch er meine Antwort vernommen und kniff nun unzufrieden die Lippen aufeinander. Terje hingegen blickte unsicher zwischen uns hin und her.

»Wirst du noch unterrichtet Terje?«, fragte ich langsam.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, nicht mehr«

»Was tust du stattdessen?«, hakte ich nach.

»Ich arbeitet für meinen Vater in seinem Geschäft.«

»Dann darfst du dich in die Liste eintragen, sollte das wirklich dein Wunsch sein. Iss aber vorher noch auf.« Ich zwinkerte ihm zu, ignorierte Tronds unglücklichen Blick. Endlich mal ein Feld, in dem ich mich kundig fühlte. Ich kannte die Regeln und Gesetze, und das verschaffte mir eine Sicherheit, die ich während der gesamten Reise bisher kaum verspürt hatte. »Er besitzt ebenso das Recht darauf, wie alle anderen«, wies ich Trond leise zurecht.

»Er ist erst sechzehn, ein Kind.«

»Erwachsen genug, um für dich zu arbeiten.«

»Seit knapp zwölf vollen Monden erst«, brauste er auf.

»Er muss ja furchtbare Dinge vorzutragen haben, wenn du dich dermaßen aufregst, noch ehe er überhaupt ein einziges Wort gesagt hat«, begann ich leise. »Für die freundliche Aufnahme in diesem Dorf bin ich ungemein dankbar, dennoch solltest auch du nicht vergessen, wer ich bin und wofür ich stehe. Ich erteilte ihm meine Erlaubnis, damit ist es bindend. Akzeptiere es.«

Scheinbar gelassen aß ich meine Schale leer und trank einen Schluck Met, innerlich jedoch fühlte ich mich äußerst unwohl. Ich wollte weder ihm noch dem Jungen etwas Böses, doch ich musste Stärke beweisen und durfte meine Unsicherheit unter keinen Umständen nach außen dringen lassen. Das wäre mein Untergang hier in diesem Dorf, aber auch sonst überall.

Ich blickte in die Runde, vergewisserte mich, dass alle ihr Mahl beendet hatten, und erhob mich auffordernd. Sofort folgten sie meinem Beispiel. Nur Trond zögerte, weiterhin schweigsam.

»Ich würde mich vorher gerne waschen und umkleiden.« Überrascht hielten Avon und die anderen inne.

»Selbstverständlich, verzeiht meine Achtlosigkeit. Linea wird Euch ein Zimmer herrichten und ein Bad einlassen.«

»Könntest du sie fragen, ob sie genügend Zimmer für uns alle hat? Der Tag ist bereits weit fortgeschritten und es macht keinerlei Sinn mehr, nach der Schlichtung noch aufzubrechen.«

»Linea?«, rief Trond die Wirtin herbei.

»Was kann ich für Euch tun? War das Essen nicht zu Eurer Zufriedenheit?«

»Aber nein«, fuhr ich dazwischen, ehe Trond antworten konnte, weil ich ihre Furcht spürte. »Es war sogar äußerst schmackhaft. Wir wollten uns nur bei dir erkundigen, ob du ausreichend Zimmer hast, damit wir eine Nacht hier einkehren können.«

Erst überrascht, dann ernstlich besorgt, blickte sie in unsere Runde, bis sie bei Trond hängenblieb, nun überaus bekümmert. »Ich habe nicht genügend Zimmer frei«, flüsterte sie unbehaglich, ihr Blick huschte wild hin und her. »Es sind nur fünf noch nicht belegt. Verzeiht mir.«

Lachend betrachtete ich sie. Von der forschen Frau, die lautstark versucht hatte sich Platz zu verschaffen, war nicht mehr viel übriggeblieben.

»Linea, wofür bei allen Stammvätern entschuldigst du dich andauernd? Wir sind gewöhnliche Reisende und dankbar für das, was du uns anbietest. Die Zimmeranzahl ist ausreichend. Wir werden sie nehmen, wenn es dir recht ist.« Ich wartete ihr ungläubiges Nicken ab.

»Lass mir bitte ein Bad richten«, erklärte ich in ihre Richtung, blickte dann in die Runde. »Mein Zimmer teile ich mit Avon, ihr werdet euch selbst aufteilen.«

»Das kann unmöglich Euer Ernst sein!«, rief Linea plötzlich aufgebracht.

»Und weshalb nicht?«, fragte ich irritiert.

»Ihr seid die Mittlerin und könnt das Zimmer unter keinen Umständen mit einem Mann teilen. Ihr müsst als Jungfer auf Jandrar den Dunklen treffen«, wisperte sie, in einer seltsam scheinenden Stimmung.

Lächelnd blickte ich sie an, um sie zu beruhigen. »Linea, da Avon mein 1. Krieger ist, wird nichts und niemand ihn davon abbringen, dort zu schlafen, wo ich es tue. Ich habe mich daran gewöhnt und er wahrt jeglichen Anstand, wie es sich geziemt. Sei versichert, dass mein Herz und meine Seele rein sind.«

Als sie erneut protestieren wollte, fuhr ich dazwischen, ärgerlicher diesmal: »Lass mir rasch das Bad richten, die Bewohner warten gewiss schon darauf, dass die Schlichtung beginnt.«

Mühsam beherrscht blickten mich meine Gefährten an. Immerhin hatte ich ja nicht gelogen, denn ich glaubte fest daran, dass trotz des Bundes, den ich mit Avon teilte, sowohl mein Herz als auch meine Seele vollkommen rein waren. Und ich hatte hier mit keinem Wort behauptet, die Jungfer zu sein, die sie unbedingt in mir sehen wollte. Ärgerlich war nur, dass wir unsere Gefühle füreinander nun doch verstecken mussten. Das gefiel mir gar nicht, Avon hingegen noch viel weniger, das spürte ich.

»Natürlich«, stieß sie hervor und wandte sich ab.

Als Linea zurückkehrte, zeigte sie uns unsere Räume. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass sie dennoch auf die Schnelle die Zimmer umgeordnet hatte, denn wir besetzten nun einen Flur ganz für uns allein.

Sichtbar nervös rang sie ihre Hände, während ich die Zimmer begutachtete. Sie waren einfach, aber geräumig und sauber, sogar freundlich eingerichtet. Ein breites Bett stand in der Mitte, der Waschbereich durch einen Vorhang ein wenig abgetrennt. Jeder Raum besaß ein Fenster.

»Sie sind wunderbar, Linea, ich danke dir.«

Lächelnd nickte sie, spürbar erleichtert. »Die Wanne wird sofort gebracht. Eure Gefährten wollen sich nur waschen, aber die Eimer kommen ebenfalls gleich. Welches Zimmer begehrt Ihr?«, fragte sie und trat wieder hinaus.

»Ich nehme dieses hier«, erklärte ich ruhig, ahnte bereits, welch Empörung sie sogleich ereilen würde.

»Aber das am Ende des Ganges ist um einiges größer«, begann sie auch ohne Umschweife sich aufzuregen.

»Ich weiß. Da jedoch zwei Zimmer mit drei Personen belegt werden müssen, sollen sie die größeren bekommen. Dieses hier ist für uns vollkommen ausreichend.«

Ein Blick von mir genügte, und sie verbiss sich jeglichen weiteren Einwand. »Wir kümmern uns um Eure Pferde«, schloss sie mühsam freundlich.

»Ich begleite dich und hole unsere Satteltaschen. Außerdem gebe ich acht, dass Zarax sich ruhig verhält«, erklärte Avon und nickte Sloan zu.

Zufrieden bemerkte ich das Einverständnis zwischen den beiden, was meine Entscheidung anbelangte. Wie selbstverständlich übergab Avon die Verantwortung für mich an Sloan, und auch wenn ich nicht glaubte, dass hier Gefahr lauerte, nahm ich es hin. Nach dem Aufeinandertreffen mit den Amundi schien nichts mehr unmöglich.

Linea schloss die Tür hinter sich, und ich sah aus dem Fenster. Das Dorf wirkte von hier aus riesig und ungemein lebhaft.

»Ich danke Euch sehr für diese Ehre, Mittlerin.«

Lächelnd wandte ich mich um. »Du hast sie dir aufrichtig verdient, daher danke mir nicht, Sloan. Du befolgtest vorbehaltlos meine Befehle, ohne zu zögern, und ich werde das Gefühl nicht los, dass mir genau diese Eigenschaft einmal das Leben retten wird oder uns allen.«

»Aber ich trage nicht ein einziges Merkmal«, warf er leise ein, niedergeschlagen.

Langsam trat ich auf ihn zu. »Doch, Sloan, denn ich sehe es ganz deutlich in dir, selbst wenn niemand sonst es erkennt.«

Lächelnd legte ich ihm meine rechte Hand auf sein Herz. »Hier drinnen trägst du es bereits, zweifle niemals daran.«

»Ihr könnt den 2. Krieger nicht ernennen, denn er wird Euch geschenkt«, wies er mich stur zurecht.

»Und wer sagt das?«

»Lichtgestalten«, erklärte er voller Überzeugung.

Ich lachte. »Ich habe es nie gelesen«, entgegnete ich achselzuckend. Ungläubig erstarrte er. »Ich erwählte dich, weil es in meiner Macht steht. Unsere Stammväter schenkten dich mir als Begleitung. Niemand von den anderen zweifelt daran, dass du es von nun an bist, also nimm es einfach an.«

»Aber wenn wir auf Jandrar treffen, wie soll ich Euch schützen ohne Merkmal?« Seine Stimme klang aufrichtig verzweifelt. Ich lächelte dankbar. Es bewies mir, wie sehr er sich davor fürchtete, mir nicht helfen zu können.

»Wichtig ist vorerst nur unsere Reise nach Dante, alles andere wird sich fügen. Vertrau mir, Sloan, so wie ich dir vertraue. Ich erwählte dich, weil mein Herz mir dazu riet und niemals täte ich es leichtfertig.«

Er nickte, und ich sah, wie sein Stolz seine Angst besiegte. »Seid Ihr aufrichtig davon überzeugt, dass es klug ist, Lichtgestalten nicht zu lesen?«

»Ja, ganz und gar.«

Überrascht betrachtete er mich, doch ich hielt seinem Blick stand. Zwar hegte ich immer mal wieder leichte Zweifel, jetzt gerade in Bezug auf die Ernennung von Sloan als meinen 2. Krieger hingegen, empfand ich eine noch niemals zuvor vergleichbare Gewissheit, dass mein Handeln richtig war.

»Gut«, entgegnete er nur und öffnete die Tür.

Dankbar blickten die zwei Burschen auf und nach meinem Nicken schleppten sie die schwere Holzwanne herein. Sie machten kehrt und kamen nach wenigen Augenblicken mit Wassereimern wieder zurück, bis die Wanne schließlich vollständig gefüllt war.

»Ich danke euch«, entließ ich die beiden in dem Moment, in dem Avon eintrat.

Mit einem Wink bedeutete er Sloan, uns allein zu lassen. »Du bewohnst das Zimmer direkt nebenan.« Nachdem er die Tür hinter sich verschloss, legte Avon den Riegel vor.

»Es tut mir leid«, begann ich, doch er trat eilig an mich heran und küsste mich bereits.

»Entschuldige dich nicht, mein Herz. Um Jandrar in dem Glauben zu lassen, akzeptiere ich es. Es muss sein, gleichgültig, wie schwer es mir fällt, denn auch das Volk würde es nicht verstehen. Obwohl Lichtgestalten davon nicht wirklich etwas erzählt, so hat sich dennoch seit Bekanntwerden, dass diesmal eine Frau als Mittlerin geboren wurde, der Glaube festgesetzt, du müsstest eine reine Jungfer sein, um zu siegen.« Er löste sich von mir und lächelte wehmütig. »Und nun bade dich. Ich warte vor der Tür, wie es sich geziemt und sorge dafür, dass mindestens Linea dies auch mitbekommt«, verabschiedete er sich zwinkernd.

»Ich möchte, dass wir unser 6. Zeichen vor ihnen offenbaren, Avon.«

»Gut, ich kleide mich entsprechend.«

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass das Fenster sicher verschlossen und von den Vorhängen bedeckt war, verließ er nach einem letzten Kuss das Zimmer. Ich seufzte traurig. Auch mir fiel diese Zurückhaltung unglaublich schwer.

Eilig badete ich mich. Ich wollte die Bewohner nicht länger als nötig warten lassen. Dennoch wurde ich das Gefühl nicht los, dass besonders viel von meinem Auftreten abhing, daher gab ich mir große Mühe mit der Kleiderwahl. In diesem Fall musste es unbedingt ein Ärmelloses sein, damit sie die Zeichnung unserer Stammväter bemerken würden.

Ich nahm vorsichtig ein mit Goldfäden besticktes Wickelkleid aus meiner Satteltasche, das Adal mir mitgegeben hatte. Nun unendlich dankbar bereute ich meinen wütenden Ausbruch ihr gegenüber. Für diesen Anlass war es vollkommen.

Die ganz kurzen Ärmel bedeckten lediglich meine Schultern, das helle, schlichte Blau mit Goldfäden durchsetzt wirkte in einer seltsamen Mischung bescheiden und dennoch irgendwie fast königlich. Es fiel lang und weit zu Boden, jedoch ohne Schleppe, worüber ich sehr froh war, denn das hätte viel zu edel für diese Gelegenheit ausgesehen.

Über der Brust mehrfach gekreuzt schien auch dies, als bestünde es aus verschiedenen Lagen, was sich unten am Rock wiederholte.

Vorsichtig schlüpfte ich hinein und trocknete meine Haare noch ein wenig mehr. Sorgsam bürstete ich sie, bis sie glänzten, fasste dann aber das oberste Deckhaar zu einem Zopf zusammen und band es fest. Ich wollte nicht ständig damit beschäftigt sein, mir das Haar aus dem Gesicht zu wischen, gleichgültig, wer dazu etwas zu sagen hatte.

Zufrieden mit mir verließ ich das Zimmer und lächelte, als Avon mitten in der Bewegung innehielt. »Du bist atemberaubend schön«, flüsterte er und trat näher an mich heran.

»Ah, Ihr seid fertig, wunderbar. Soll ich das Wasser für Euren Krieger erneuern?«, fragte Linea, während sie die letzten Stufen hinaufstieg.

»Das ist nicht nötig«, entgegnete Avon und zwinkerte mir zu. »Ich beeile mich, Mittlerin«, förmlich verneigte er sich und schloss die Tür.

»Sind die anderen schon fertig?«, erkundigte ich mich hastig, bevor sie erneut mit einer Triade über Avon beginnen konnte.

»Sie warten unten auf Euch, Mittlerin.«

Vorsichtig hob ich den Saum meines Kleides an und stieg die Stufen hinab. Am Ende der Treppe wartete Sloan. Als er mich nun erblickte, weiteten sich seine Augen überrascht.

Ich lächelte. »Hast du Angst, ich finde den Weg in den Saal nicht allein?«, spottete ich.

»Nein, Mittlerin. Doch dieser Gang verfügt über zwei Ausgänge, und ich wollte sichergehen, dass niemand Euch hier auflauert.« Anerkennend nickte ich ihm zu und ergriff seinen dargebotenen Arm. »Wenn mir diese Äußerung zusteht, Mittlerin, Ihr seht wunderschön aus.«

Ich lachte, hielt ihn jedoch zurück. »Es wirkt aber nicht zu stolz, oder?«, hakte ich unsicher nach. »Also, ich meine ...«

Nun war es an Sloan zu lachen. »Sorgt Euch nicht, Salyann. Ihr habt es sehr geschickt gewählt.« Ein weiteres Mal hielt er inne. »Auch Euer 6. Merkmal zu offenbaren, ist ein ungemein schlaues Vorgehen.«

Ich lächelte, während er mich in den Saal hineinführte, in dem sich außer meinen Gefährten, nur wenige Menschen aufhielten. Dennoch verstummten die Gespräche und aller Augen wandten sich mir zu.

»Linea«, rief ich, um die Stille zu durchbrechen. »Könnte ich bitte noch einen Met bekommen, ehe wir aufbrechen?«

»Aber natürlich«, entgegnete sie hastig und brachte ihn mir sogleich.

Dankbar nahm ich den Becher entgegen und trank den Met langsam. Ich brauchte dringend etwas, um meine Nerven zu beruhigen.

Als Avon den Raum betrat, lächelte ich. Er trug ein farblich exakt passendes, ärmelloses Hemd und ich wusste, dass Adal hier ihre Hände im Spiel haben musste, denn es war mit denselben Ornamenten bestickt wie mein Kleid. Nur seine Fäden waren silbern und nicht golden wie meine.

»Können wir aufbrechen?« Ich sah in die Runde meiner Gefährten, die sich sofort erhoben. Avon übernahm meine Hand und legte sie auf seinen Arm. Gemeinsam traten wir hinaus, die anderen direkt hinter uns.

Draußen wartete Trond, der jedoch nur sehr zögernd an uns herantrat. »Was hast du?«, fragte ich rundheraus und betrachtete ihn. Er wirkte noch immer verärgert.

»Das 6. Merkmal«, erklang es mehrfach aufgeregt.

»Ihr besitzt keinerlei Kenntnis, was Ihr von mir verlangt, wenn ich Euch gestatte, meinen Sohn anzuhören«, raunte er leise, von dem Getuschel um uns herum vollkommen unbeeindruckt.

»Statt mich anzufeinden, solltest du darauf vertrauen, dass ich weiß, was ich tue.« Auf den Hinweis, dass er in diesem Fall gar nichts zu gestatten hatte, verzichtete ich lieber.

»Ich weise Euch den Weg«, erklärte er verkrampft. Wortlos folgten wir ihm.

»Hast du eine Ahnung, weshalb er derart aufgebracht reagiert?«, durchbrach Avon schließlich flüsternd unser Schweigen.

»Nein und ehrlich gesagt bin ich jetzt ein wenig nervös.«

An einem freistehenden Gebäude angekommen, vor dem sich bereits eine große Ansammlung der Dorfbewohner eingefunden hatte, erfasste mich nun doch eine immense Aufregung. Was erwartete mich hinter diesen Türen und war ich dem wirklich gewachsen? Zwar hatten die Ordensbrüder und Meister dies in einer endlos scheinenden Eintönigkeit immer wieder mit mir geprobt, nun jedoch besaß ich das Wissen, dass es kein Schauspiel mehr war. Sie würden auf das hören müssen, was ich urteilte, und diese Verantwortung lastete schwer auf meinen Schultern.

Als wir durch die Tore traten, hielt ich erstaunt inne. Vor mir lag ein riesiger Saal, dessen Boden aus Stein bestand und verschiedene Ornamente trug. Auch die Wände und Decken zierten die verschiedensten Bilder und Zeichen. Zahlreiche Kerzen brannten in eisernen Halterungen und verströmten eine behagliche Atmosphäre. Diese Halle glich in keiner Weise meinen Vorstellungen, sondern schien fast schon gemütlich. Auf jeden Fall sorgte sie für eine entspannte Stimmung und wirkte nicht, wie befürchtet, kalt und abweisend. Ich hoffte, dass dies einen positiven Einfluss auf die Laune der Streithähne nehmen würde.

Wir übertraten die Schwelle, als sich unvermittelt alle Anwesenden von ihren Bänken erhoben. Überrascht sah ich mich um. Sie blieben stehen. Die Gesichter, in die ich blickte, sahen mir erwartungsvoll entgegen. Einige lächelten schüchtern, aber niemand schien feindselig gestimmt. Doch je weiter wir vorangingen, desto lauter wurde das Gemurmel, weil sie nun die Zeichnung unserer Stammväter bemerkten.

Avon und ich folgten dem Mittelgang, noch immer geführt von Trond, der uns wenige Stufen hinauf zu einem gigantischen Stuhl führte. Mich erinnerte er sofort an einen Thron aus den vielen Geschichten, die ich gelesen hatte. Als meine Befürchtung sich bestätigte und Trond mich aufforderte, mich darauf niederzulassen, schüttelte es mich innerlich. Selbst als Mittlerin gestand ich mir dieses Recht nicht zu. Ein Blick in die erwartungsvollen Gesichter der Dorfbewohner hielt mich jedoch davon ab, zu protestieren. So selbstsicher wie möglich, ohne überheblich zu wirken, setzte ich mich. Avon und Sloan stellten sich neben mich, die anderen dahinter.

»Ist es Euch recht, wenn ich dafür Sorge trage, dass die Reihenfolge eingehalten wird?«, fragte Trond leise und deutete auf seinen Zettel in der Hand.

»Darf ich?«, bat ich und streckte meinen Arm aus. Zögernd trat er auf mich zu. Hastig überflog ich die Zeilen, überwältigt von der Anzahl der Anfragen. Doch meine Bitte galt etwas ganz anderem, was ich während meines Unterrichts gelernt hatte und diese Liste schien durchaus hilfreich.

»Ich bitte dich, mir die Namen zu nennen, aber auch die Begründung für ihr Ersuchen vorzulesen, die sie als Stichwort eingetragen haben.« Aus den Rollenspielen wusste ich, dass der eigentliche Grund manchmal schwierig zu ermitteln war, wenn die Gegner erst einmal begannen, sich gegenseitig irgendwelcher Taten zu beschuldigen.

»Sehr gerne, Mittlerin.« Sein Blick wirkte überrascht. »Können wir beginnen?«

»Natürlich.«

Die ersten Fälle ließen sich leicht lösen, denn hier ging es einzig und allein um kleinere Nachbarschaftsstreitigkeiten, bei denen ich die Höhe der Entschädigung festsetzen musste, wie zum Beispiel, weil immer wieder Tiere die Zäune durchbrachen und auf Nachbars Wiesen grasten. Geschult, wie ich in diesem Bereich war, gelang es mir stets, eine Einigung zu erzielen, die eigentlich von den gegnerischen Parteien selbst festgelegt wurde, ohne dass sie sich dessen bewusst waren.

Ich nahm einen Schluck Wasser und nickte Trond zu, damit er fortfuhr.

»Der nächste Fall betrifft Nilas, der Ando beschuldigt, ihm ein Ferkel gestohlen zu haben. Ando behauptet hingegen, er hätte sich nur genommen, was ihm zustand«, erklärte er.

»Tretet bitte vor«, wies ich an. Zu meiner Überraschung erschienen die beiden nicht allein. »Nennt bitte eure Namen.«

Ein freundlich blickender, blonder Herr trat einen Schritt näher heran, nahm seinen Hut vom Kopf und verneigte sich leicht. »Mein Name ist Nilas, Mittlerin. Und dies ist mein Sohn Vinnan.«

Nachdem er wieder einen Schritt zurückgetreten war, folgte der andere Mann. »Mein Name ist Ando, Mittlerin und dies ist meine Tochter Caja.«

»Ich bitte Ando, vorzutreten und mir darzulegen, weshalb er glaubt, dass das Ferkel ihm zustand«, begann ich. »Danach bekommt Nilas natürlich ebenfalls die Gelegenheit, seine Sicht der Dinge zu erklären. Solange bitte ich dich jedoch, zu schweigen.« Mein ernster Blick traf ihn und er nickte hastig.

Erneut trat Ando einen Schritt näher und rang angespannt seinen Hut in den Händen. »Also, die Sache war so, Mittlerin: Nilas ging einen Handel mit mir ein, bei dem er mir ein Ferkel zusicherte, das ich bis zum Winter mästen wollte, damit wir ihn gut überstehen. Er besiegelte unser Abkommen mit einem Handschlag. Dieser besitzt hier noch immer Gültigkeit, aber plötzlich hielt er sich nicht mehr daran. Ich habe vier Kinder zu versorgen, Mittlerin. Was soll ich denn tun? Meine Frau verstarb, und ich muss mich ganz allein um alles kümmern. Wir könnten den Winter ohne dieses Ferkel niemals überleben.«

Ich sah Zorn in Nilas aufsteigen, dennoch schwieg er eisern. Zusätzlich nahm ich noch etwas anderes wahr. Die liebevollen, heimlich und verstohlenen Blicke der beiden Kinder. Ich vermutete, dass sie ebenfalls längst das Alter der Erwachsenen erreicht hatten.

»Gut, bis hierhin habe ich dich verstanden. Nun jedoch erkläre mir, was du im Gegenzug für Nilas tun solltest, um den Handel abzuschließen.«

Unbehaglich wand er sich. »Ich versprach ihm meine Tochter Caja für seinen Sohn. Er nutzte meine Notlage aus. Schon immer wollte er die schöne Caja für Vinnan und erpresste mich damit.«

»Das ist eine Lüge und das weißt du«, schrie Nilas zornesrot im Gesicht.

»Ich bin Witwer, mit drei kleinen Kindern«, kreischte Ando nicht weniger erregt. »Ich muss arbeiten, um uns zu ernähren. Wie kann ich das, wenn Caja geht und ihre Geschwister nicht mehr versorgt? Es ist unrecht, dass ausgerechnet du auf diesen Handel bestehst.«

 

 

 

Avon

 

»Ruhe!«, forderte Salyann unerbittlich und erhob sich. Sofort verstummten die beiden.

»Ich fasse noch einmal zusammen: Ando, du nahmst das Ferkel von Nilas, obwohl du zu diesem Zeitpunkt bereits wusstest, dass du auf die Hilfe von Caja nicht verzichten kannst und deinen Teil des Handels also nicht einhalten wirst, ist das richtig?«

Sie wandte sich ihm direkt zu, und ich barst beinahe vor Stolz. Von ihrer Furcht schien nichts mehr übrig. Sie strahlte absolute Autorität aus, wirkte machtvoll und erhaben, ohne dass es überheblich oder gar anmaßend erschien.

»Ja«, gab er schließlich kleinlaut zu. »Aber ohne Caja hätte ich meine Arbeit verloren. Ich kann doch meine Kinder nicht allein lassen, dazu sind sie viel zu jung. Und die Pflege meiner Frau brauchte all unsere Reserven auf.«

Plötzlich stand er als gebrochener Mann vor uns. »Weshalb hast du Nilas nicht um Hilfe gebeten? Er wirkt auf mich nicht, als wäre er kaltherzig.«

Den Blick stur auf den Boden gerichtet, sank er noch ein wenig mehr in sich zusammen. »Ich habe mich geschämt. Ihm ging es immer so gut, und er weiß gar nicht, was es bedeutet, zu hungern.«

Seufzend wandte sie sich ab, und lief einmal auf dem Podest hin und her. Mit undeutbarer Miene trat sie an Trond heran und redete leise auf ihn ein. Überrascht blickte er schließlich auf, nickte jedoch und gab einem Burschen Anweisungen, der daraufhin verschwand.

»Nilas, möchtest du noch etwas hinzufügen?«, erkundigte sie sich.

»Hätte ich das gewusst, wäre ich nicht hierhergekommen«, stieß er hervor. Ando zuckte zusammen.

»Machst du es dir damit nicht ein bisschen zu leicht, Nilas? Wie gut kennt ihr euch? Wie weit entfernt wohnt ihr voneinander? Ich vermute Caja und Vinnan sind miteinander befreundet, richtig? Wie schwer wäre es für dich gewesen herauszufinden, wo das Problem liegt, wenn du es wirklich hättest wissen wollen?« Überrascht öffnete er den Mund, schloss ihn jedoch wortlos wieder.

»Vinnan und Caja, tretet bitte vor. Ihr zwei geduldet euch einen Moment und wartet.«

»Was?«

»Wieso?«, regten die beiden sich zugleich auf.

»Sie sind nicht eingetragen«, beschwerte sich Nilas.

»Dennoch habt ihr euch von ihnen begleiten lassen und nicht nur das, sie mussten mit euch vor mich treten, daher nehme ich mir das Recht heraus, sie selbst zu befragen.«

»Aber ...«, warf Ando hilflos ein.

»Schweigt jetzt!«, rief Salyann aufgebracht. »Und tut, was ich gesagt habe.« Unsicher wichen sie einen Schritt zurück, während Caja und Vinnan vortraten.

»Wie alt seid ihr?«

»Ich bin fünfundzwanzig«, erklärte Vinnan.

»Ich dreiundzwanzig«

Salyann lächelte. »Ihr braucht keine Angst zu haben. Ich stelle euch nur einige Fragen.« Sie wartete, bis beide nach einem Blickwechsel nickten und sich ein wenig entspannten. »Caja, ich bitte dich, mir die Situation Zuhause aus deiner Sicht zu schildern. Zu allererst mal: Wie alt sind deine Geschwister?«

»Die Kleinste ist meine Schwester Arja, sie ist sieben. Mein Bruder Lonni ist zehn und Thorger ist zwölf. Sie leiden noch immer sehr unter dem Verlust unserer Mutter, und ich tue, was ich kann. Sie sind zu jung, um sich allein zu versorgen. Auch Thorger mit seinen zwölf Jahren schafft es nicht.«

»Es wäre von einem Zwölfjährigen außerdem ein wenig viel verlangt, finde ich. Erwachsenwerden müssen sie früh genug. Dennoch, wenn du deine Geschwister beurteilen müsstest, wie würdest du sie beschreiben? Sind sie fröhlich und aufgeschlossen oder eher in sich gekehrt und zurückhaltend oder gar schwierig?«

Caja lachte. »Ohne voreingenommen zu wirken, behaupte ich, dass sie reine Sonnenscheine sind. Natürlich verhalten sie sich Fremden gegenüber erst einmal scheu, doch schwierig sind sie gewiss nicht. Abends, wenn es Zeit zum Schlafen ist, dann ist es manchmal ein wenig beschwerlich, sie zu Bett zu bringen, weil sie unsere Mutter vermissen und weinen.«

»Ich danke dir sehr für deine Offenheit.«

»Ich verstehe noch immer nicht, was das alles soll?«, rief Ando erbost.

Salyann ging die Stufen hinab, direkt auf ihn zu. Er wich automatisch einen weiteren Schritt zurück. »Ich versuche, ein Problem zu lösen, das du selbst schon längst hättest in die Hand nehmen müssen. Dein Verlust tut mir aufrichtig leid, und ich gestehe dir ein gewisses Maß an Schuldlosigkeit aufgrund deiner Verzweiflung durchaus zu. Doch Diebstahl ist keine Kleinigkeit, das solltest du hier nicht vergessen«, zischte sie.

»Bitte nicht«, rief Caja und fiel vor Salyann auf die Knie. »Ich bitte Euch um Gnade für meinen Vater. Er tat es einzig für uns.«