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Grenzen verlaufen nicht nur zwischen Ländern – sie verlaufen durch uns selbst. Als Kommissarin Hella Waansyn nach drei Jahrzehnten zurück nach Nordschweden reist, erwartet sie ein Routinefall: ein verschwundener deutscher Tourist. Doch was sie findet, ist mehr als ein Verbrechen – es ist der Schlüssel zu einem geheimen System, das tiefer reicht als jede Verschwörung. Gemeinsam mit dem schwedischen Ermittler Lasse Karlsson folgt sie Spuren durch Schnee, Schweigen und das Echo eines Programms namens Yggdrasil. Ein hochspannender, atmosphärisch dichter Thriller über Vertrauen, Technologie, politische Schatten und die Frage: Was bleibt, wenn das System dich gebaut hat? Für Fans von psychologischen Spannungsromanen, intelligenter Thrillerliteratur und realitätsnaher Systemkritik.
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Seitenzahl: 31
Veröffentlichungsjahr: 2025
NORDGRENZE - Der Anfang
Teil 1
von Franziska M. Aedelgroen
Grenzen. Sie ziehen sich durch Länder, durch Städte, durch Menschen. Trennen Territorien – und verbinden Schicksale. Hella Waansyn und Lasse Karlsson kennen diese Grenzen. Zwischen Deutschland und Schweden. Zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Zwischen Erinnerung und dem, was nie gesagt wurde.
Als Hella nach drei Jahrzehnten nordschwedischen Boden betritt, liegt November auf dem Land wie ein grauer Vorhang. Milchiger Himmel. Kalter Rauch, Fichtenharz, Erde. Sie war acht, als ihr Vater verschwand. Man sagte, er sei Wissenschaftler gewesen. Geophysiker. Klimaforscher. Vielleicht beides. Die Mutter schwieg. Und als Hella endlich Fragen stellte, war niemand mehr da, der antwortete.
Jetzt ist sie wieder hier. Norrland war für sie kein Ort. Es war ein Zustand. Der Wind schnitt durch die Jacke, als hätte er ein Ziel. Hella Waansyn stand neben dem rostigen Mietwagen, die Tür halb offen, die Finger auf der Motorhaube. Der Himmel hing wie gefrorener Beton über den Baumwipfeln. Kein Geräusch. Kein Empfang. Nur die Erinnerung an einen Ort, den sie nicht als Kindheit bezeichnete – sondern als Leerraum. Sie hatte dreißig Jahre lang keinen Fuß mehr hierher gesetzt. Nicht seit dem Winter, in dem ihr Vater verschwand. Sie hatte ihn nicht vermisst. Sie hatte ihn archiviert. Ein Aktenvermerk im eigenen Leben.
Jetzt war sie zurück. - Der Vorwand war stabil genug: ein deutscher Tourist, verschwunden im Grenzgebiet. Vermutlich Alkohol, Selbstüberschätzung, ein Abhang. Die offizielle Anfrage lief unter „Kooperation“. Inoffiziell war es ein Test. Für sie. Und für die, die sich noch erinnerten, wer Erik Waansyn war. - Ein Pickup bog aus dem Waldweg. Dunkelgrün, abgewetzt, keine Markierungen. Der Fahrer stieg aus. Groß, wettergegerbt, die Hände in den Taschen. Sein Blick: direkt. Keine Bewegung zu viel.
„Lasse Karlsson.“
„Hella Waansyn.“
Sie reichten sich nicht die Hand. Hier oben tat man das nicht. - Er deutete mit dem Kopf in Richtung Norden. „Der letzte Sichtkontakt war kurz hinter Vintermyr. Fußspur im Schnee, dann nichts.“
„Handy?“
„Tot. Kein Empfang. Nicht mal für Elche.“
Sie stiegen ins Auto. Keine Musik. Kein Gespräch. Nur das Brummen des Motors und das Knacken der Reifen auf gefrorenem Schotter.
„Du bist also die Tochter.“
Sie sah nicht zu ihm. „Bin ich das?“
Er sagte nichts mehr. Der Wald drängte sich dichter. Die Bäume schienen zu flüstern. Als wollten sie ein Protokoll vorlegen. Nach fünfzehn Minuten: eine Anhöhe. Sicht auf einen zugefrorenen See, glatt wie ein gesperrter Gedanke. Karlsson stoppte den Wagen. Zeigte auf eine Stelle nahe des Ufers.
„Da war das Zelt.“
„Jetzt?“
„Nur noch Spuren. Und eine Hülse.“
„Kaliber?“
„Neun Millimeter. Kein Rost. Kein Jagdunfall.“
Sie stiegen aus. Kälte biss ins Gesicht. Hella ging in die Knie, berührte den Abdruck im Schnee. Tief. Sauber. Kein Kampf. Kein Ausrutscher.
„War das der erste?“, fragte sie leise.
„Der erste, der gemeldet wurde.“
Sie richtete sich auf. Ihr Blick wanderte über den Horizont, der keiner war. Nur ein Weiß, das nie etwas preisgab. Sie wusste, dass hier mehr begraben lag als Schnee. Und dass der Wald nicht vergessen hatte, wer sie war. Die Sonne stand tief, aber sie wärmte nicht. Der Horizont war ein Nebelband, das sich um die Tannen legte wie eine schlecht verheilte Narbe. Hella stand neben dem verlassenen Zeltplatz und versuchte, das Rauschen in ihrem Kopf von der Stille des Ortes zu unterscheiden. Es gelang ihr nicht. Lasse hatte sich ein paar Meter entfernt in die Hocke begeben, ein Notizbuch in der Hand, wie aus der Zeit gefallen. Kein Tablet. Kein Recorder. Nur Papier und Graphit. Seine Finger waren schmal, aber nicht zittrig. Sie fuhren routiniert über die Seiten. Hella beobachtete ihn, ohne es zu wollen.
"War das dein erster Fall im Grenzgebiet?" Seine Stimme kam ohne Vorwarnung. Trocken, aber nicht schroff.