Notärztin Andrea Bergen 1319 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1319 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Als die schöne Jasmin Sanders an diesem Nachmittag nach Dienstschluss das Elisabeth-Krankenhaus verlässt, macht sie sich beschwingt auf den Weg in den Weltladen in der Innenstadt, der einem gewissen Jens Herbiger gehört - einem Mann mit wunderschönen braunen Augen und dem sympathischsten Lächeln der Welt. Seitdem Jasmin ihm begegnet ist, ist wieder Hoffnung in ihr Herz gezogen - Hoffnung, einen Neuanfang zu wagen und dem verhassten Leben an der Seite ihres egozentrischen Ehemannes zu entkommen. Doch als sie nun die Straße überquert und auf Jens' Ladentür zusteuert, erfasst sie plötzlich ein Gefühl drohender Gefahr. Vergessen ist die gerade noch empfundene Vorfreude auf das Wiedersehen mit Jens. Obwohl eine innere Stimme sie eindringlich warnt, es zu lassen, betritt Jasmin das Geschäft - und wenig später nimmt ein Drama seinen Lauf, das Jasmin in die größte Krise ihres Lebens stürzen soll ...

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Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Dr. Bergen und die Hoffnungslose

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2016 by Bastei Lübbe AG, Köln

Verlagsleiter Romanhefte: Dr. Florian Marzin

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: shutterstock / Litkouskaya Veranika

Datenkonvertierung E-Book: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-4353-3

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Welch rabenschwarzer Tag für Jasmin Sanders! Die junge Frau, die bei uns im Elisabeth-Krankenhaus als Schreibkraft arbeitet, ist im dichten Nachmittagsverkehr von einem Bus erfasst und schwer verletzt worden! Neben unzähligen Schnittverletzungen hat sie sich einen komplizierten Brustbeinbruch sowie mehrere Kieferbrüche zugezogen und wird noch lange bei uns bleiben und viele Therapien über sich ergehen lassen müssen. Doch am meisten schockiert mich ihr seelischer Zustand. Jasmin, die gestern noch voller Lebensfreude war und vor Glück nur so sprühte, scheint plötzlich alle Hoffnung verloren zu haben. Ich kann mir ihren Sinneswandel nicht erklären. Irgendetwas Schwerwiegendes muss vorgefallen sein – aber Jasmin will sich mir nicht anvertrauen! Ich habe den Kollegen auf der Station Bescheid gegeben, sie besonders im Auge zu behalten. Denn ein Satz, den sie mir sagte, lässt mich nicht mehr los und gibt mir große Rätsel auf: »Hätten Sie mich doch nur sterben lassen, Doktor Bergen! Ich werde es ja doch immer wieder tun – ich kann nicht anders …«

»Deinen Besuch hättest du dir sparen können!«, grollte Professor Helmut Eickhoff. »Wann kapierst du endlich, dass wir geschiedene Leute sind?«

»Papa!«, weinte Jasmin Sanders auf. »Ich bin immer noch deine Tochter.«

»Ich habe keine Tochter mehr, schon seit Jahren nicht«, erwiderte der Professor hart. Ebenso hart fiel hinter Jasmin die Haustür ins Schloss.

Weinend ging sie durch den Vorgarten zum Gartentor. Ihr Vater hatte recht. Sie hätte sich diesen Besuch sparen können, wie schon so viele Besuche zuvor.

Ihr tränenverschleierter Blick steifte das Nachbarhaus, wo sie hinter einem Fenster eine Bewegung wahrgenommen hatte. Es war ein idyllisches, efeubewachsenes Fachwerkhaus, das Bettina Eilers gehörte, die als Oberschwester am ebenfalls an der Rheinpromenade gelegenen Elisabeth-Krankenhaus arbeitete.

Jasmin war dort als medizinische Transkriptionistin beschäftigt, arbeitete jedoch vorwiegend von zu Hause aus. Mit der Oberschwester hatte sie deshalb weiter nichts zu tun, doch man kannte sich. Bettina Eilers wusste auch, dass ihr Nachbar Jasmins Vater war und die beiden seit Jahren keinen Kontakt zueinander hatten, bis auf die wenigen Male, die Jasmin gekommen war in der Hoffnung, sich doch noch mit ihrem Vater auszusöhnen.

Jasmin stieg in ihr Auto und schlug den Nachhauseweg ein. Doch dann bog sie an einer Kreuzung spontan in Richtung Fußgängerzone ab und fuhr wenig später in ein Parkhaus. Nach dieser neuerlichen Niederlage brauchte sie unbedingt ein Erfolgserlebnis.

Jasmin mischte sich unter den Passantenstrom. Zielstrebig ging sie auf eine Herrenboutique zu. Als sie gerade die Eingangstür aufdrücken wollte, bemerkte sie, wie einer der Verkäufer ihr auffallend scharf entgegenblickte.

Jasmin erschrak. Hastig wandte sie sich um und ging die Stufen wieder hinunter. Mit eiligen Schritten verschwand sie in der Menge der Passanten.

Hatte sie vergessen, dass sie diese Herrenboutique nicht mehr betreten wollte, zumindest nicht für eine Weile? Nachdem man sich nun offenbar noch an sie erinnern konnte, sollte sie lieber überhaupt nicht mehr dorthin gehen.

Zum Glück gab es in der Innenstadt auch noch andere Geschäfte für Herrenmode. Wenig später betrat Jasmin eines, das nicht ganz so exklusiv war. Aber es war gut besucht, was ihr sehr gelegen kam.

Ein Verkäufer trat auf sie zu und erkundigte sich beflissen nach ihren Wünschen. Als Jasmin ihm erklärte, dass sie sich nur umsehen wollte, zog er sich wieder zurück und wandte sich anderer Kundschaft zu. Er würde in den nächsten Minuten sicher nicht auf sie achten.

Jasmin ging zu den Krawattenständern. Nick liebte modische Krawatten und freute sich jedes Mal, wenn sie ihm ein besonders schickes Exemplar mitbrachte.

Lass es blieben!, mahnte eine innere Stimme sie. Oder bezahle sie ordnungsgemäß. Hat Nick nicht auch schon genug Krawatten im Schrank hängen?

Jasmin presste die Lippen aufeinander. Ihre Handflächen wurden feucht, eine ungeheure Anspannung bemächtigte sich ihrer. Sie wünschte, der Stimme der Vernunft folgen zu können, doch es war ihr unmöglich, dem intensiven Drang zum Stehlen zu widerstehen.

Sie stellte ihre geöffnete Tasche auf dem Boden ab. Ihr langer Mantel verdeckte sie vor den Blicken anderer. Mit erzwungener Ruhe, doch unter heftigem Herzklopfen sah sie die Krawatten durch. Nachdem ihre Wahl auf eine gefallen war, deren eigenwilliges Design bestimmt Anklang bei ihrem Mann finden würde, ließ sie die Krawatte geschickt in ihre Tasche gleiten.

Es kostete Jasmin alle Mühe, nicht hastig aus dem Laden zu laufen. Für ein paar Augenblicke sah sie die Krawatten weiter durch, dann nahm sie betont gleichmütig die Tasche wieder auf und schloss sie unauffällig. Es gelang ihr sogar, dem Verkäufer zum Abschied zuzunicken, bevor sie das Geschäft verließ.

Draußen atmete sie tief durch. Wunderbare Glücksgefühle durchströmten sie. Ihre Anspannung verflüchtigte sich, der niederschmetternde Besuch bei ihrem Vater war vergessen, ihre depressive Stimmung verflogen. Das war das Erfolgserlebnis gewesen, das sie gebraucht hatte.

Leider hielt ihre Hochstimmung nicht lange an. Noch während der Heimfahrt wurde Jasmin von zunehmenden Gewissensbissen geplagt. Scham und Selbstverachtung überkamen sie und die Verzweiflung über ihre Unfähigkeit, ihrem Zwang zu stehlen ein Ende zu bereiten.

Jasmin bog in ihre Straße ein. Als sie in die Einfahrt zu ihrem Bungalow fuhr, sah sie, dass ihr Mann schon zu Hause war. Damit hatte sie nicht gerechnet. Hoffentlich wollte er sein Abendessen nicht früher als gewohnt haben, sonst würde sie Probleme bekommen. Jasmin fuhr ihren Wagen in die Garage und betrat kurz darauf das Haus.

»Hallo, Nick«, rief sie, während sie in der Diele ihren Mantel ablegte. »Ich bin zu Hause.«

Sie war sicher, dass er sie gehört hatte, doch von ihm kam keine Reaktion. Da auch die gewohnten Fernsehgeräusche nicht zu hören waren, nahm sie an, dass er im Computerzimmer war, das er auch als Arbeitszimmer nutzte. Ihr eigenes Reich lag im rückwärtigen Teil des Bungalows. Dort hatte sie ihren Arbeitsplatz und ihre private Ecke. Zur Not konnte es auch als Gästezimmer dienen, denn ein Sofabett stand darin. Aber wann hatten sie schon Gäste?

Ich muss Nicks Geschenk noch rasch einwickeln, ging es ihr durch den Sinn. Sie konnte ihm die Krawatte schlecht ohne Verpackung präsentieren. Jasmin eilte in ihr Zimmer, entfernte das Etikett und schlug die Krawatte in Seidenpapier ein.

Wie erwartet fand sie ihren Mann im Computerzimmer, wo er wieder mal in ein Computerspiel vertieft war.

Jasmin trat hinter seinen Stuhl, legte ihre Arme um Nicks Schultern und küsste ihn auf die Wange.

»Hallo, Nick«, sagte sie noch einmal.

Er reagierte nicht gleich. Sein Blick klebte am Bildschirm, seine Hand umkrampfte den Joystick. »Du kommst spät«, stellte er fest, ohne sie anzusehen. »Wie willst du da das Essen noch pünktlich auf den Tisch bringen?«

»Das schaffe ich schon noch«, erwiderte Jasmin rasch.

Widerwillig unterbrach Nick sein Computerspiel und drehte sich halb zu ihr um. »Du weißt, dass ich es hasse, wenn ich auf mein Essen warten muss! Wo bist du gewesen?«

Bei meinem Vater, hätte sie beinahe geantwortet, schluckte die Worte jedoch noch rechtzeitig hinunter. Nick hätte sich sonst nur wieder aufgeregt und gemeint, sie solle es endlich aufgeben, sich mit dem »sturen alten Bock«, wie er ihn nannte, versöhnen zu wollen.

»Ich hatte noch im Krankenhaus zu tun«, erwiderte sie. »Dr. Kranz hat mir Berichte diktiert.« Sie legte das Päckchen vor ihn hin. »Hier, ich hab dir was Hübsches mitgebracht. Hoffentlich gefällt es dir und versöhnt dich, wenn du vielleicht doch ein paar Minuten länger auf dein Essen warten musst.«

Zum Glück hatte Jasmin das Abendessen so weit vorbereitet, dass es innerhalb kurzer Zeit auf dem Tisch stehen konnte. Sie würde sich nur etwas beeilen müssen.

Nick wandte sich wieder dem Bildschirm zu, doch Jasmin bat ihn, erst das Päckchen zu öffnen, was er dann auch mit einem ergebenen Seufzer tat. Auch diesmal hatte sie seinen Geschmack getroffen, wie sie befriedigt feststellte. Sein anerkennender Blick sagte es ihr.

»Sieht teuer aus«, meinte er.

»Das war sie auch.« Jasmin lachte. »Aber du weißt ja, für dich ist mir nichts zu teuer.«

Nick legte die Krawatte zur Seite und grinste leicht. »Solange du all diese Geschenke nicht von meinem Geld kaufst, habe ich nichts dagegen.«

»Ich verdiene genug, um dir hin und wieder eine Freude zu machen«, erwiderte Jasmin bescheiden. Gleichzeitig fragte sie sich, wie sie zu solchen Worten kam. Wann hatte Nick ihr zuletzt eine Freude gemacht?

»Im Übrigen ist das Badezimmer nicht sauber«, bemerkte er unvermittelt. »Und im Schlafzimmer hast du einen Socken verloren. Er liegt noch vor meinem Bett.«

Ärger stieg in Jasmin auf. »Und warum hast du ihn dann nicht aufgehoben?«, entfuhr es ihr. Nick hätte ihn weiß Gott selbst in den Wäschekorb werfen können.

Er zuckte die Schultern. »Du bist die Hausfrau«, erwiderte er lakonisch und widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Computerspiel.

***

»Gestern ist sie wieder bei ihm gewesen«, raunte Oberschwester Bettina Eilers der Notärztin zu. »Und wieder ist sie weinend aus seinem Haus gelaufen. Ich möchte wissen, was da vorgefallen ist, auch wenn ich mich sonst nicht in das Privatleben anderer einmische.«

Andrea Bergen blickte der jungen Frau, die gerade mit einem traurigen Lächeln an ihnen vorbeigegangen war, kurz nach. Schon von Anfang an, seit Jasmin Sanders als Transkriptionistin für verschiedene Stationen des Elisabeth-Krankenhauses arbeitete, war ihr aufgefallen, dass sie oft einen bedrückten Eindruck machte. Erst hatte Andrea vermutet, dass sie in ihrer Ehe nicht glücklich war, doch es schien eher mit ihrem Vater zusammenzuhängen.

»Professor Eickhoff ist Ihr unmittelbarer Nachbar, da bekommt man natürlich einiges mit und macht sich Gedanken darüber«, meinte Andrea. »Vor allem, wenn es sich bei der betreffenden Person um eine Mitarbeiterin handelt, die wir alle mögen und schätzen.«

Oberschwester Bettina, eine schlanke, etwas streng wirkende Mittfünfzigerin, nickte gedankenvoll.

»Ich bin wirklich keine Klatschtante, auch wenn man mir nachsagt, dass ich alles höre und sehe. Aber das bezieht sich nur auf das, was sich innerhalb dieser Krankenhausmauern abspielt. Doch wenn ich solche Dinge mitbekomme, mache ich mir eben Gedanken und rede dann auch darüber.

Wir hatten ja nie viel Kontakt miteinander«, redete Oberschwester Bettina weiter. »Hin und wieder ein flüchtiger Gruß, das war auch schon alles. Als ich das Haus erbte, wohnte Professor Eickhoff schon dort. Jasmin mochte damals achtzehn, neunzehn gewesen sein. Dann war das Mädchen auf einmal verschwunden. Als ich ihn einmal nach seiner Tochter fragte, wurde er ärgerlich und teilte mir auf ziemlich unhöfliche Weise mit, dass er keine Tochter mehr habe. Da habe ich mir weitere Fragen verkniffen.«

»Und dann kam Jasmin Jahre später als verheiratete Frau zu uns und bekam einen Job als medizinische Transkriptionistin«, vollendete Andrea nachdenklich. »Ob sie ihren Mann gegen den Willen ihres Vaters geheiratet hat? Könnte das der Grund sein, weshalb Professor Eickhoff den Kontakt zu seiner Tochter abgebrochen hat?«

Bettina Eilers hob die Schultern. »Könnte sein. Ich habe Jasmin auch noch nie mit ihrem Mann hier gesehen.«

»Und was ist mit der Mutter?«, fragte Andrea.

»Keine Ahnung. Ich habe bei meinem Nachbarn auch noch keine Frau gesehen, die Jasmins Mutter hätte sein können. Ich nehme an, dass die Eltern geschieden sind.«

Ein kurzes Schweigen entstand. Beide Frauen dachten über die nette, aber immer so traurige Transkriptionistin nach.

»Ob man einmal mit dem Professor reden soll?« Andrea sah die Oberschwester nachdenklich an. »Ihm bewusst machen, was er seiner Tochter antut?«

Bettina stieß ein freudloses Lachen aus. »Das habe ich bereits versucht. Glauben Sie mir, Frau Doktor, ihm ist das sehr wohl bewusst. Offenbar findet er das total in Ordnung.«

»Ein seltsamer Mensch.« Andrea schüttelte leicht den Kopf. »Ich kenne ihn zwar nicht, aber Ihrem Reden nach sieht es nicht so aus, als wäre mit ihm gut Kirschen essen.«

»Nein, das ganz sicher nicht. Davon habe ich ja bereits eine Kostprobe bekommen. Der Mann bringt kaum einen Gruß über die Lippen und ignoriert mich meistens, selbst wenn wir beide im Garten arbeiten. Aber wehe, wenn ich im Sommer meine Lautsprecher auf der Terrasse einschalte! Dann ist er sofort zur Stelle und beklagt sich, dass meine Musik zu laut ist. Dabei höre ich sie wirklich nur ganz leise.«

Andrea wusste, dass Bettina Eilers klassische Musik liebte, ebenso ihren Garten.

»Schrecklich, wenn man einen so unangenehmen Nachbarn hat«, meinte sie. »Aber wir wissen auch nicht, was in dieser Familie vorgefallen ist, und sollten deshalb nicht so ohne Weiteres über den Mann urteilen. Vielleicht gibt es für sein Verhalten einen guten Grund?«

»Mag sein. Doch er scheint auch sonst nicht beliebt zu sein. Der Sohn einer Freundin studiert Mathematik und hat Professor Eickhoff gelegentlich als Dozenten. Er hat ihn einen ‘verknöcherten alten Kauz genannt.«

»Wie alt ist er denn?«, fragte Andrea.

»Er muss über sechzig sein.«

Die beiden Frauen plauderten noch kurz über Jasmin Sanders und ihren Vater und waren gerade dabei, auseinanderzugehen, als Bettina Eilers noch etwas einfiel.

»Jetzt komme ich mir wirklich wie eine Tratschtante vor, aber da ist etwas, das ich noch erwähnen wollte. Vielleicht haben Sie es auch schon von anderer Seite gehört.«

Andrea zog die Augenbrauen in die Höhe. »Worum geht es?«

»Es geht das Gerücht um, dass Jasmin versucht haben soll, in unserer Geschenk-Boutique etwas … mitgehen zu lassen.«

»Oh?« Andrea schaute betroffen drein. »Das kann ich mir nicht vorstellen.«

»Es scheint aber zu stimmen. Nachdem ich das Gerücht unter meiner Schwesternschar hörte, habe ich Frau Fuchs daraufhin angesprochen. Sie ist sicher, dass Jasmin ein Paar gehäkelte Bettschuhe einstecken wollte.«

»Bettschuhe? Seltsam.« Andrea schüttelte den Kopf.

»Wir sollten versuchen, dem Mädchen zu helfen«, meinte Bettina. »Sie scheint noch mehr Probleme zu haben.«

»Ja, das denke ich auch«, stimmte Andrea ihr zu. »Ich werde mich ein wenig um sie kümmern.«

Das Gespräch fand ein jähes Ende, als die Notärztin über ihren Pager zu einem Einsatz gerufen wurde. Hastig verabschiedete sie sich von der Oberschwester und lief zum Fahrstuhl.

***

Jasmin stieg in ihr Auto und schloss mit einem harten Ruck die Tür. Heute war wieder ein schrecklicher Tag gewesen. Schon am Morgen war sie mit scheußlichen Depressionen aufgewacht, die sich im Laufe des Tages nicht gelegt hatten.

Nick hatte wieder einmal schlechte Laune gehabt und diese beim Frühstück an ihr ausgelassen. Bei ihm musste immer alles picobello sauber sein. Diesmal war die Kellertreppe für seinen Geschmack nicht gründlich genug gefegt gewesen. Wenn er am Abend nach Hause kam, wollte er kontrollieren, ob sie diese Schlamperei in Ordnung gebracht hatte.

Jasmin hatte ihm gesagt, dass sie heute wieder im Krankenhaus gebraucht wurde und erst am Spätnachmittag zu Hause sein würde, was neuen Ärger gegeben hatte. Nick wollte nicht, dass sie arbeiten ging. Er war extrem eifersüchtig und wollte sie mit niemandem teilen.

Es hatte sie alle Überredungskunst gekostet, bis er endlich zugestimmt hatte, dass sie als medizinische Transkriptionistin für das Elisabeth-Krankenhaus arbeitete. Denn das konnte sie zum größten Teil von zu Hause aus tun.

Jasmin saß hinter dem Steuer, ohne den Motor anzulassen. Trostlos starrte sie durch die Windschutzscheibe in den trüben Schneeregen. Für Nick mochte es bequem sein, wenn sie zu Hause arbeitete, weil sie dann zwischendurch ihre Hausarbeit erledigen konnte und auch das Essen pünktlich auf dem Tisch stand. Doch sie selbst wäre glücklicher gewesen, wenn sie ganztags im Krankenhaus hätte arbeiten können.

Oft graute ihr richtig davor, nach Hause zu fahren. Jetzt zum Beispiel. In ihrem Bungalow fühlte sie sich gefangen, wie in ihrer Ehe. Sie wollte unter Menschen sein. Aber im Moment fühlte sie sich auch im Elisabeth-Krankenhaus nicht wohl.