1,99 €
Entsetztes Schweigen liegt über dem OP - denn es ist geschehen, was nie geschehen durfte: Ein kleines Kind ist auf der Tabula gestorben - alle ärztliche Hilfe kam zu spät!
Fassungslos reißt sich der junge Kinderkardiologe Dr. Henning Danz den Mundschutz vom Gesicht, schleudert ihn zu Boden und stürmt davon. Nie wird er sich verzeihen können, gerade bei diesem Eingriff so kläglich versagt zu haben ...
Für die schöne Luisa Richter, die bangen Herzens auf den Ausgang der Operation gewartet hat, bricht eine Welt zusammen, als sie hört, dass ihr Liebster Henning ihre kleine Nichte nicht retten konnte. Und als sie sich Trost suchend in Hennings Arme werfen will, ist er fort - weit fort! Selbst Wochen später kann Luisa immer noch nicht glauben, dass er sie wirklich verlassen hat. Für die einsame Frau beginnt eine Zeit des Wartens, des Sehnens und des Hoffens ...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 131
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Ich werde geduldig warten
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: iStockphoto / kupicoo
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-4731-9
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Noch immer kann ich nicht glauben, was heute Morgen geschehen ist: Die kleine herzkranke Sophie ist unter unseren Händen auf der Tabula verstorben! Mein Kollege Dr. Henning Danz ist völlig verzweifelt! Denn der junge Kinderkardiologe hat Sophies Tante, der schönen Luisa Richter, versprochen, dass das Mädchen leben wird. Und dann hat gerade er in der alles entscheidenden Operation versagt …
Inzwischen hat Henning Hals über Kopf das Land verlassen, auch wenn er Luisa mehr liebt als sein Leben. Für die junge Frau ist eine ganze Welt zusammengebrochen. Doch obwohl Luisa seinen Abschiedsbrief in Händen hält, kann und will sie nicht glauben, dass Henning nicht mehr zu ihr zurückkehrt. Wider alle Vernunft und jedes bessere Wissen will sie auf ihn warten. »Notfalls für immer«, hat sie mir gesagt …
»Und bitte noch zwei von diesen hübschen Geschenkpackungen«, bat die ältere Kundin.
»Gerne.« Luisa Richter, Inhaberin von »Luisas Teelädchen«, nahm zwei Packungen exotischer Bio-Teemischungen aus dem Weidenkorb neben dem Ladentisch und tippte sie den Betrag in die Kasse. Dann legte sie alles in eine Tüte. Die Kundin hatte außerdem noch Kaffee, Servietten und Bio-Schokolade gekauft.
Luisa begleitete sie zur Tür. Dabei fiel ihr Blick hinaus auf die Straße. Fußgänger überquerten sie gerade, darunter ein Mann, dessen Anblick ihr Herzklopfen verursachte. Würde er in den Laden kommen?
»Auf Wiedersehen! Und vielen Dank noch mal«, verabschiedete die Kundin sich.
Luisa hörte kaum hin. Ihr Blick war auf den gut aussehenden Mann gerichtet, der jetzt näher kam. Sie sah ihn nicht zum ersten Mal, denn er war seit Kurzem Kunde bei ihr. Heute sah er noch besser aus als die Male zuvor, fand sie. Richtig sportlich wirkte er in der grauen Freizeithose und der blauen Sportjacke. Bisher kannte sie ihn nur im modischen Kurzmantel.
»Auf Wiedersehen«, erwiderte sie etwas hastig, während sie der Kundin die Tür aufhielt. Dann lief sie rasch in ihr kleines Büro, das durch einen Vorhang vom Ladenraum abgetrennt war.
Luisa fuhr sich mit der Bürste gerade durch die dichten kastanienbraunen Haare, die ihr bis auf die Schultern fielen, als sie das Glöckchen über der Ladentür klingeln hörte. Das ist er bestimmt, dachte sie, und ihr Puls ging noch ein wenig schneller.
Sie trat wieder in den Verkaufsraum. Tatsächlich, er war es! Er stand vor der Tafel mit den Tee- und Kaffeesorten, die sie in ihrer gemütlichen Tee-Lounge anzubieten hatte, und studierte sie.
»Hallo«, begrüßte Luisa ihn, bemüht, ihr Lächeln nicht allzu strahlend ausfallen zu lassen. »Kann ich Ihnen helfen?«
»Bei Ihnen fällt mir die Wahl immer so schwer«, meinte er und seufzte.
»Wie wäre es denn mit einem schönen … halt, nein, Sie mögen ja keinen Tee, nur Kaffee.«
Er blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Das haben Sie sich gemerkt?«, staunte er.
Luisa spürte, wie ihr unter seinem Blick eine leichte Röte in die Wangen stieg.
»Aber ja, ich bin eine aufmerksame Ladenbesitzerin, für die jeder Kunde wichtig ist. Ich bemühe mich, für jeden das Richtige zu finden.«
»Und was empfehlen Sie einem Kaffeetrinker?«
Luisa blickte auf die Tafel mit den Angeboten.
»Wie wäre es mit diesem dunkel geröstetem Kaffee aus Guatemala? Bio natürlich.«
»Es muss kein Biokaffee sein. Ich trinke alles. Nur schmecken muss er. Eine Sorte mit viel Aroma.«
»Dann wäre dieser hier genau das Richtige.« Luisa zeigte ihm die Packung, deren Beschreibung er kurz las.
»Klingt wunderbar. Davon nehme ich einen großen Becher.«
Luisa füllte einen der größeren Keramikbecher und reichte ihn ihm. »Zucker und Sahne sind dort drüben. Aber das wissen Sie ja schon.«
»Oh ja.« Sein Lächeln vertiefte sich. »Ich war zwar erst wenige Male bei Ihnen, aber ich kenne mich schon ganz gut aus.«
Luisa wollte etwas in der Richtung erwidern, dass sie sich über sein Interesse an ihrem Teeladen freute, doch irgendwie brachte sie den Satz nicht zustande. Die Nähe des Mannes verwirrte sie.
»Etwas Gebäck dazu?«, fragte sie stattdessen und deutete auf die Gebäckstücke, die sie jeden Morgen von einer Bäckerei geliefert bekam.
»Für Süßes bin ich immer zu haben«, erwiderte er und bat um eine Aprikosenschnitte.
Luisa legte sie ihm auf einen Teller und stellte alles auf ein Tablett.
»Schönen Dank.« Er schenkte ihr ein warmes Lächeln und ging dann zu der Theke, wo verschiedene Zuckersorten, Honig und Sahne bereitstanden.
Luisa sah ihm nach, wie er in die angrenzende Tee-Lounge ging. Dort stellte er sein Tablett auf einem der kleinen Tischchen ab, nahm sich eins der Bücher aus dem Regal, die sie als Lesematerial für ihre Kunden bereithielt, und ließ sich in einem der Sessel nieder.
Einige Besucher saßen dort, die lasen oder strickten und dabei den Klängen der gedämpften Musik lauschten, die sich mit dem Plätschern eines kleinen Brunnens vermischte. Sie alle genossen diese stille Oase inmitten des hektischen Getriebes der Stadt.
Luisa liebte ihr Teelädchen, ebenso den Kundenkreis, den sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Darunter waren auch viele Stammkunden, hauptsächlich von den umliegenden Geschäften, Banken und Büros, die sich zwischendurch bei einer Tasse Kaffee oder Tee entspannen wollten.
Neue Kundschaft kam in den Laden, der Luisa sich für eine Weile widmen musste. Zwischendurch warf sie immer wieder Blicke in die Tee-Lounge, natürlich hauptsächlich auf ihn.
Es gefiel ihr, wie sein dunkles Haar, das im Nacken nicht allzu kurz geschnitten war, ihm wellig in die Stirn fiel. Zu gern hätte sie gewusst, welches Buch er sich aus dem Regal geholt hatte, welchen Geschmack er in dieser Beziehung besaß.
Aber auch über ihn selbst hätte sie gern mehr erfahren. Was er wohl von Beruf war? Sicher kein Handwerker. Anwalt vielleicht? Computerfachmann? Auch Lehrer oder Arzt würde zu ihm passen.
Sie sah, wie er nach einem Blick auf seine Armbanduhr aufstand und das Buch rasch wieder ins Regal zurückstellte. Offenbar war es für ihn an der Zeit zu gehen.
Er wählte noch ein paar Kaffeesorten aus und legte sie auf den Kassentisch. Den Betrag zahlte er mit seiner Bankkarte.
»Sie sind sicher Luisa, nehme ich an«, bemerkte er mit einem warmen Lächeln, während er die Tüte entgegennahm. »Oder ist das nicht Ihr Name?«
Luisa lächelte zurück. »Doch, das bin ich.«
»Darf ich Sie so nennen?«
»Gern, das tun viele meiner Kunden. Darf ich auch Ihren Namen erfahren?«
»Ich bin Henning.« Er griff in die Innentasche seiner Sportjacke und holte ein Kärtchen hervor, das er ihr reichte. »Damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Denn ich habe vor, in Zukunft regelmäßig vorbeizuschauen. Bei Ihnen kann man so wunderbar entspannen.«
»Danke, das freut mich. Das hatte ich auch bezweckt, als ich mein Teelädchen eingerichtet habe.« Luisa warf einen kurzen Blick auf das Kärtchen und legte es zur Seite. »Wenn Sie möchten, können Sie sich hier in die E-Mail-Liste eintragen. Dann werden Sie benachrichtigt, wenn es bei mir neue Artikel oder Sonderangebote gibt.«
»Sehr gern.« Henning nahm den Stift zur Hand, den Luisa ihm reichte, und beugte sich über das Klemmbrett auf dem Ladentisch.
Gedankenvoll blickte sie ihm nach, wie er einen Augenblick später den Laden verließ. Ein Mann, der ihr gefallen könnte, gab sie ganz offen zu. Warum auch nicht? Sie war geschieden, hatte keine Kinder und war frei für eine neue Beziehung. Aber sie wusste natürlich auch nicht, ob er noch zu haben war. Zumindest trug er keinen Ehering.
Sie griff nach dem Kärtchen.
Dr. Henning Danz, Facharzt für Kinderkardiologie, stand darauf.
Also doch ein Arzt! Luisa holte tief Luft. Und ein Herzspezialist noch dazu. Das konnte unter Umständen die Rettung für Sophie bedeuten.
Hatte der Himmel ihn geschickt?
***
Beschwingten Schrittes betrat Dr. Henning Danz die Eingangshalle des Elisabeth-Krankenhauses und ging zu den Fahrstühlen. Dabei war er mit seinen Gedanken noch ganz bei Luisa und ihrem Teelädchen.
»Luisa«, murmelte er lächelnd, während er den Knopf für den Fahrstuhl drückte. Schwester Johannas verwunderter Blick entging ihm. Er merkte nicht einmal, dass jemand zu ihm getreten war, erst, als eine Stimme ihn ansprach.
»Sind Sie auf dem Weg zu uns?«, fragte die Pflegerin von der Kinderstation.
Henning brauchte einen Moment, um seine Gedanken zu ordnen.
»Fragen Sie wegen Thomas Rüdecke?«
»Ja. Dr. Gellert wollte vor seiner Operation noch einmal alles Wichtige mit Ihnen durchgehen.«
»Ist mir recht. Ich wollte noch kurz auf die Chirurgie und etwas mit Dr. Benrath besprechen, dann komme ich gleich rüber.«
Schwester Johanna nickte. »Gut, ich gebe Dr. Gellert Bescheid.«
Im zweiten Stock stieg Henning aus dem Fahrstuhl und betrat einen Moment später die Chirurgische Station.
Die Tür zu Dr. Benraths Dienstzimmer stand offen. Henning klopfte gegen den Türrahmen und freute sich, als er sah, dass Dr. Andrea Bergen bei dem Kollegen war. Mit der Notärztin hatte er sich von Anfang an bestens verstanden, mit ihr und ihrer Freundin Dr. Lore Keller von der Inneren Station. Den beiden netten Kolleginnen hatte er auch seine Probleme anvertraut.
»Hallo, störe ich?«, fragte Henning.
»Nein, kommen Sie nur rein.« Der rundliche Rudolf Benrath machte eine einladende Handbewegung, und auch Andrea Bergen winkte ihm lächelnd zu.
»Appetit auf einen Kaffee, Herr Kollege?«
Henning trat näher. »Aber immer. Besonders auf Ihren, Herr Benrath. Der schmeckt mir am besten.«
»Danke, das hört man gern. Bedienen Sie sich.«
Henning ging zur Kaffeemaschine und schenkte sich eine Tasse voll ein. Zwar hatte er gerade bei Luisa einen Kaffee getrunken, aber er konnte gut und gern noch eine Tasse vertragen.
Sie plauderten über verschiedene Patienten, bis Henning auf den Grund zu sprechen kam, aus dem er auf die Chirurgie gekommen war.
Der dreijährige Thomas Rüdecke war ein Patient von Dr. Werner Bergen, dem Kinderarzt, mit dem die Notärztin verheiratet war. Bei dem Jungen war vor einigen Monaten ein Loch in der Kammerscheidewand operiert worden, doch nun hatte sich eine lebensbedrohliche pulmonale Hypertonie, ein Lungenhochdruck, entwickelt, und der Junge sollte noch einmal operiert werden.
»Frau Mahlmann sagte mir, dass sie die Operation für morgen früh zehn Uhr eingeteilt hat, und hat uns den sterilen OP IV zugewiesen«, sagte Henning. »Ich kann doch mit Ihnen rechnen, Herr Benrath?«
»Selbstverständlich, Herr Danz. Sie wissen doch, wie gern ich mit Ihnen zusammenarbeite. Ich habe schon mit unserer OP-Managerin gesprochen und bin bereit. Morgen früh um zehn.«
»Kollegin Gellert wollte mit mir noch einmal alles durchgehen, wie Schwester Johanna mir gerade sagte. Kommen Sie mit, Herr Benrath?«
»Gern.« Rudolf trank seinen Kaffee aus.
Auch Andrea leerte ihre Tasse. »Gutes Gelingen bei der morgigen Operation!«, wünschte sie den beiden Chirurgen, bevor sie sich verabschiedete und aus dem Zimmer ging.
Dr. Benrath und Dr. Danz begaben sich zur Kinderstation. Oberärztin Doris Gellert bat sie in ihr Büro. Dort war auch Werner Bergen anwesend, Andreas Mann. Er war Belegarzt auf der Kinderstation und hatte in der Beethovenstraße eine eigene Praxis.
Nachdem alles geklärt war und der morgigen Operation nichts mehr im Weg stand, machte Henning sich auf den Nachhauseweg. Zu Fuß ging er zu der Wohnanlage am Rheinpark, wo er ein möbliertes Apartment bewohnte. Das war das Praktischste für ihn, solange er am Elisabeth-Krankenhaus tätig war. Sein Auto, das er nur selten benutzte, stand in der Tiefgarage.
Wenige Minuten später betrat Henning sein Apartment. Nachdem er sich etwas erfrischt und bequeme Kleidung angezogen hatte, setzte er sich an den Computer, um die Krankenakte des kleinen Thomas Rüdecke noch einmal durchzugehen.
Später stand er mit einem Glas Bier auf dem Balkon und blickte über den Rhein, auf dem sich die Abendsonne spiegelte. Es war ein schöner, milder Abend, doch vom Wasser zog kühle Luft herüber.
Es gefiel ihm hier am Rhein. Ganz prima sogar. Er hatte es noch keine Minute bereut, Professor Hebestreits Angebot, für eine Weile als Gastchirurg am Elisabeth-Krankenhaus zu arbeiten, angenommen zu haben. Hier herrschte ein wesentlich angenehmeres Betriebsklima als im Frankfurter Klinikum, wo Stress und Hektik ebenso an der Tagesordnung waren wie Doppeldienst der restlos überforderten Ärzte, zu denen auch er gehört hatte.
Kein Wunder, dass es bei ihm zu einem Burn-out gekommen war. Am Elisabeth-Krankenhaus dagegen ging es wesentlich ruhiger zu, was dazu beitrug, dass er sich allmählich wieder erholte.
Ein Lächeln erschien auf seinem markanten Gesicht, als seine Gedanken zu Luisa wanderten. Sie gefiel ihm ganz ausgezeichnet. Schon lange hatte er sich zu keiner Frau mehr so hingezogen gefühlt wie zu ihr. Auch sie schien sich für ihn zu interessieren, das merkte er an ihren Blicken, die sie ihm immer wieder zuwarf, wenn er bei ihr im Laden war.
Gedankenvoll trank Henning einen Schluck von seinem Bier. Er hätte gern noch viel mehr über sie gewusst. Zum Beispiel, ob sie in einer festen Beziehung lebte. Bisher hatte er noch keinen Mann oder ein Kind, die zu ihr gehörten, bei ihr im Laden gesehen. Aber er war auch erst ein paar Mal dort gewesen.
Ob sie sich wundern würde, wenn er in den nächsten Tagen schon wieder bei ihr auftauchte? Oder würde sie sich freuen? Würde sie sogar eine Tasse Kaffee mit ihm trinken und dabei ein wenig mehr über sich erzählen?
Donnerstag, nahm Henning sich vor, denn da hatte er frei. Dann würde er wieder zu ihrem Teelädchen gehen und viel Zeit mitbringen. Er warf noch einen letzten Blick auf die wunderschöne Abendstimmung, die über dem Rhein lag, und kehrte dann wieder zurück in den Wohnraum.
***
Auch Luisas Gedanken kreisten an diesem Abend um Henning Danz. Seine Visitenkarte hatte sie mit nach Hause genommen und betrachtete sie gerade noch einmal.
»Henning«, sagte sie versonnen vor sich hin. Wann würde sie ihn wiedersehen? Hoffentlich bald, denn sie konnte es schon jetzt nicht mehr erwarten, bis er wieder zu ihr ins Teelädchen kam.
An der Wohnungstür klingelte es. Luisa legte die Visitenkarte auf den Couchtisch und ging, um zu öffnen.
»Hallo, Carolin«, sagte sie, als sie ihre Schwester vor der Tür stehen sah.
»Hallo, Luisa.« Carolin ging an ihr vorbei, schlüpfte aus ihrem roten Popelinemantel und warf ihn auf das Schränkchen in der Diele. »Robert geht mir auf die Nerven, Sophie geht mir auf die Nerven, mein Chef geht mir auf die Nerven – alles geht mir auf die Nerven.« Sie ging ins Wohnzimmer und ließ sich in einen Sessel fallen.
Mit einem unterdrückten Seufzer folgte Luisa ihr. Sie wäre mit ihren Gedanken um Henning gern allein geblieben, doch stattdessen sah es so aus, als würde sie einmal mehr als Abladeplatz für Carolins Ärger herhalten müssen.
»Was ist denn wieder los?«, fragte sie stirnrunzelnd.
Carolin machte Anstalten, sich eine Zigarette anzuzünden, doch Luisa hinderte sie daran.
»Bitte nicht in meiner Wohnung rauchen, das weißt du doch.«
Carolin verdrehte die Augen und stöhnte. Mit einer heftigen Bewegung steckte sie die Zigarette wieder zurück in die Packung und diese zusammen mit dem Feuerzeug in ihre Tasche.
»Eine einzige Zigarette, Himmel noch mal!«, murrte sie. »Dass du aber auch so pingelig sein musst. Kann ich was dafür, dass du keine Terrasse mehr hast, wo ich rauchen kann?«
Luisa begann, sich zu ärgern. Sie hatte sich mit ihrer oberflächlichen und egoistischen Schwester noch nie verstanden.
»Es ist nicht meine Schuld, dass Martin unser Haus verspielt hat und ich in dieser kleinen Wohnung leben muss«, erwiderte sie hart.
»Robert hätte das nie gewagt«, sagte Carolin verächtlich. »Du hast Martin viel zu viel durchgehen lassen. Ich hätte da schon längst einen Riegel vorgeschoben.«
»Spielsucht gehört zu den anerkannten Suchtkrankheiten«, hielt Luisa ihrer Schwester entgegen. »Martin hätte Hilfe gebraucht, aber die wollte er nicht. Ist jetzt auch egal. Ich habe keine Lust, über dieses unerfreuliche Thema zu reden. Wir sind geschieden, das Haus ist fort, und ich habe monatliche Schulden abzuzahlen. Auf die Terrasse zum Rauchen wirst du schon verzichten können.«