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Fahles Morgenlicht fällt ins Zimmer, und die junge Mathilda braucht einen Moment, bis die Erinnerung an den gestrigen Abend und alles, was in den letzten beiden Wochen geschehen ist, sich wieder einstellt. Und mit der Erinnerung kommen die Verzweiflung und die Tränen!
Schnell rafft Mathilda ihre Sachen zusammen und huscht aus der Wohnung, bevor der nette junge Mann aufwacht, den sie gestern in einem Pub kennengelernt hat und der sie in ihrem betrunkenen, hoffnungslosen Zustand nicht allein hat lassen wollen. Schnell weg, denkt Mathilda beschämt, denn ich könnte Joachim nicht in die Augen sehen ...
Draußen auf der Straße fällt ihr Blick auf den Rohbau gegenüber, dessen leere Fensterhöhlen und Balkone ihr mit einem Mal wie der Ausweg erscheinen, nach dem sie verzweifelt gesucht hat. Wenig später weht ihr in luftiger Höhe ein kalter Wind ins Gesicht. Mama, ich komme zu dir auf die andere Seite!, ist das Letzte, was Mathilda noch bewusst durch den Kopf geht, bevor ihr Fuß über die Brüstung ins Leere tritt und gnädiges Vergessen sie umfängt ...
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Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Impressum
Das Leben geht weiter, Mathilda!
Vorschau
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller
Verantwortlich für den Inhalt
Titelbild: Monkey Business Images / shutterstock
Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam
ISBN 978-3-7325-5481-2
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Wie viel Leid kann ein Mensch verkraften?, frage ich mich angesichts des erschütternden Schicksals der hübschen Mathilda Ohlsen, die innerhalb weniger Wochen alles verloren hat, was ihr wichtig war: Ihre geliebte Mutter ist gestorben, ihr Verlobter hat sie verlassen – und nun haben die Kollegen auf der Inneren Station bei Mathilda auch noch die tückische Krankheit Multiple Sklerose diagnostiziert!
Nachdem Mathilda einige Tage bei uns im Elisabeth-Krankenhaus behandelt und medikamentös eingestellt wurde, ist sie heute Mittag entlassen worden – doch zu Hause ist sie bisher nicht angekommen! Und auch auf dem Handy kann ich sie nicht erreichen! Als sich Mathilda von mir verabschiedet hat, wirkte sie resigniert, ja, regelrecht hoffnungslos! Nun mache ich mir die allergrößten Vorwürfe, sie nicht hierbehalten zu haben – denn ich fürchte, Mathilda könnte Vergessen in einer Verzweiflungstat suchen …
»Bleibst du heute zum Abendessen, Mathilda?« Bittend sah Hanne Ohlsen ihre Tochter an.
Mathilda unterdrückte einen Seufzer. Vor über einem Jahr war sie aus ihrem Elternhaus ausgezogen, weil das Verhältnis zu ihrem Vater immer schlechter geworden war und sie es auch nicht mehr ertragen konnte, wie er ihre Mutter behandelte. Doch seitdem war sie so oft zum Essen zu Hause, dass sie eigentlich auch gleich hätte wohnen bleiben können.
»Ja, aber nicht lange«, stimmte sie zu, denn sie wollte ihre Mutter nicht enttäuschen. »Jens will nach seinem Handballtraining noch vorbeikommen.«
»Schon in Ordnung, Mathilda«, erwiderte ihre Mutter mit einem schwachen Lächeln. »Bleib einfach so lange, wie es in deine Pläne passt. Ich freue mich über jede Minute, die du zu Hause bist.«
Mathilda nickte. Oft hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie sich eine Wohnung genommen und ihre Mutter mit ihrem Vater allein gelassen hatte. Sie wusste doch, dass es um die Ehe ihrer Eltern schon lange nicht mehr zum Besten bestellt war. Aber sie hatte auch anfangen müssen, ihr eigenes Leben zu leben. Schließlich war sie mit Jens verlobt und würde ihn bald heiraten.
Bevor Mathilda und ihre Mutter das Büro des familieneigenen Bestattungsinstitutes verließen, gingen sie noch die wichtigsten Dinge durch. Zwei Beerdigungen standen am nächsten Tag an, wobei mehrere Sonderwünsche zu berücksichtigen waren. Außerdem musste aus dem Elisabeth-Krankenhaus ein verstorbener Patient abgeholt und in die Friedhofshalle gebracht werden.
»Papa ist noch im Sarglager, um Bestandsaufnahme zu machen«, bemerkte Hanne. »Gehen wir schon mal hinüber ins Haus.«
Das Bestattungsinstitut Ohlsen war in einem flachen Gebäude an der Karolinenstraße untergebracht, dahinter erstreckte sich ein großes, parkähnliches Grundstück, auf dem das Wohnhaus stand. Es war schon älter und seit mehreren Generationen im Familienbesitz. Mathildas Mutter hatte es mit in die Ehe gebracht, während das Bestattungsinstitut von der Familie ihres Vaters gegründet worden war.
Gemeinsam gingen die beiden Frauen den Kiesweg hinüber zum Haus. Mathilda hatte sich nie recht wohlgefühlt in diesem düsteren Haus, und sie hatte darin auch keine sehr glückliche Kindheit verbracht. Ihre Mutter hatte ihr alle Liebe der Welt geschenkt, doch ihr Vater hatte niemals einen Hehl daraus gemacht, dass sie die größte Enttäuschung seines Lebens war, weil sie ein Mädchen geworden war und kein Junge.
Nie hatte sie ihm etwas recht machen können, nie hatte sie von ihm ein liebes Wort oder ein Lob bekommen.
»Zeit, um abzuschalten, Liebes«, erinnerte Hanne Ohlsen ihre Tochter. »Ich habe dich gerade gefragt, ob du zum Gulasch Reis oder Nudeln möchtest, aber du hast mir keine Antwort gegeben, weil du mit deinen Gedanken immer noch im Geschäft bist.«
»Entschuldige, Mama.« Mathilda lächelte flüchtig. Sie wollte ihrer Mutter nicht sagen, dass sie mit ihren Gedanken nicht im Geschäft, sondern bei ihrem lieblosen Familienleben gewesen war. »Mir ist beides recht, Reis oder Nudeln. Mach einfach das, was Papa am liebsten isst.«
Hanne winkte resigniert ab. »Ihm kann man es sowieso nicht recht machen. Er hat an allem etwas auszusetzen, egal, was ich koche.«
»Dann mach einen Reis dazu«, erwiderte Mathilda, und somit war die Sache entschieden.
Das Gulasch war bereits fertig, denn Hanne hatte es schon in aller Frühe gekocht. Mathilda ging mit ihrer Mutter in die Küche, um ihr bei den restlichen Vorbereitungen zu helfen.
Gemeinsam schnitten sie die Zutaten für den Salat. Als Hanne mit gequälter Miene innehielt, warf Mathilda ihr einen prüfenden Blick zu.
»Du siehst schlecht aus, Mama. Fühlst du dich nicht wohl?«
»Nicht besonders«, gab Hanne zu und nahm ihre Arbeit wieder auf.
Ein ängstliches Gefühl schlich sich in Mathildas Herz. Vor sechs Jahren hatte ihre Mutter Darmkrebs mit Metastasen in den Lymphknoten gehabt, galt jedoch als vorläufig geheilt. War es so weit, dass der Krebs wieder zurückkam?
Mathilda holte tief Luft. »Dann solltest du so bald wie möglich zum Arzt gehen. Wann warst du zur letzten Kontrolluntersuchung?«
»Das ist noch gar nicht so lange her. Da war auch noch alles in Ordnung. Nein, es hat nichts mit Krebs zu tun.« Hanne presste die Hand auf die Brust. »Es sind diese Herzrhythmusstörungen, die ich seit einiger Zeit habe.«
»Herzrhythmusstörungen?«, wiederholte Mathilda besorgt. »Das ist aber genauso ein Grund, zum Arzt zu gehen.«
»Ich weiß. Das werde ich auch tun, sobald ein wenig Zeit ist.«
»Nein, Mama, gleich morgen machst du einen Termin aus«, sagte Mathilda streng. »Denn Zeit hast du nie. Das kenne ich nur zu gut.«
»Du hast ja recht.« Seufzend begann Hanne, die Salatgurke zu schälen. »Ich werde morgen bei Dr. Hermannsdörfer anrufen.«
Mathilda war wieder einigermaßen beruhigt. Zu ihrem Hausarzt hatte sie Vertrauen, auch wenn er kein Herzspezialist war. Doch er würde ihre Mutter umgehend zu einem Spezialisten überweisen, falls mit ihrem Herzen etwas nicht in Ordnung war.
Auf dem Kiesweg waren Schritte zu hören, dann ging auch schon die Haustür.
»Papa kommt«, sagte Hanne beinahe ängstlich und schälte schneller.
Einen Moment später erschien Herbert Ohlsen in der offenen Küchentür. Er war ein untersetzter Fünfziger mit schütterem Haar und randloser Brille. Missmutig blickte er auf Frau und Tochter. »Ist das Essen etwa noch nicht fertig?«, grantelte er. »Kein Wunder, wenn ihr nur herumsitzt und labert.«
»Möchtest du Reis oder Nudeln zum Gulasch, Herbert?«, fragte Hanne ihn freundlich.
»Pah, Reis, Nudeln!«, tat er abfällig. »Anständige Kartoffeln will ich zu meinem Gulasch haben. Und sorgt dafür, dass das Essen bald auf dem Tisch steht.«
Damit ging er zu seinem Arbeitszimmer.
Als Mathilda sah, dass ihre Mutter die Tränen nur mit Mühe zurückhalten konnte, hätte sie ihm am liebsten etwas nachgeworfen.
Dieses alte Ekel! Und wieder wünschte sie, ihre Mutter würde sich endlich von ihm trennen. Doch das lehnte Hanne ab. Sie hatte ein Ehegelübde geleistet, und das würde sie niemals brechen.
***
Eiligen Schrittes betrat Mathilda die Eingangshalle des Elisabeth-Krankenhauses. Sie wollte gerade zur Verwaltung gehen, da sah sie Dr. Bergen auf sich zukommen. Mathilda kannte sie schon länger, denn sie musste hier immer wieder mal einen Sterbefall aufnehmen.
»Hallo, Frau Dr. Bergen.« Mathilda begrüßte die Notärztin und plauderte kurz mit ihr, wobei sie auch erwähnte, weshalb sie gekommen war.
»Es ist mein Einsatz gewesen«, sagte Andrea Bergen mit einem traurigen Lächeln. »Die kleine Lena hat die Folgen des Unfalls nicht überlebt, während die Mutter nur leichte Blessuren erlitten hat.«
»Wirklich tragisch, dieser Fall.« Mathilda seufzte. »Ich arbeite schon seit Jahren im Bestattungsinstitut meiner Eltern und habe eigentlich keine Probleme damit, Sterbefälle aufzunehmen, solange es sich um ältere Menschen handelt, die eines natürlichen Todes gestorben sind. Aber bei Kindern und Selbstmördern habe ich meine Schwierigkeiten.«
Die Notärztin nickte. »Das kann ich gut verstehen, Frau Ohlsen. Auch ich habe bei solchen Fällen sehr zu kämpfen. Bei dem jungen Mann, der sich vorgestern vor die U-Bahn geworfen hat, konnte ich nur noch den Totenschein ausstellen.«
»Totenschein, richtig, deshalb bin ich hier. Mein Vater wird den Leichnam des Kindes noch heute abholen und zum Friedhof bringen.«
Mathilda verabschiedete sich von Dr. Bergen und ging zur Verwaltung. Nachdem sie die Papiere abgeholt hatte, trat sie den Heimweg an.
Im Bestattungsinstitut ging sie als Erstes ins Büro. Ihr Vater war da, der Schreibtisch ihrer Mutter war jedoch verwaist.
»Ist Mama schon nach Hause gegangen?«, fragte sie ihren Vater.
»Hat wieder mal Herzbeschwerden«, war die mürrische Antwort. Herbert Ohlsen nahm einen gelben Brief mit ausländischen Marken vom Schreibtisch und warf ihn seiner Tochter zu. »Musst du private Post an das Bestattungsinstitut schicken lassen? Du hast deine eigene Wohnung, also lass deine Post gefälligst dorthin schicken.«
Meine Güte, ein Brief! Was war schon dabei? Mathilda wollte ihn auffangen, griff jedoch daneben, und der Brief landete auf dem Boden. Seufzend bückte sie sich danach.
»Frida!«, rief sie dann freudig aus, als sie den Absender las. »Der Brief ist von Frida, falls du dich noch an meine beste Schulfreundin erinnerst.«
»Mit der du dauernd zusammengesteckt hast, statt deine Hausaufgaben zu machen?« Herbert Ohlsens Stimme klang nicht wirklich interessiert. Er stand vom Schreibtisch auf und ging zum Aktenschrank, um etwas zu suchen.
Mathilda steckte den Brief ein. Aus Argentinien kam er, wie sie an den Briefmarken gesehen hatte. Dort war Frida also gelandet. Wie schön, dass sie sich endlich wieder meldete. Seit Jahren hatte Mathilda nichts mehr von ihr gehört. Jetzt war sie gespannt, was Frida zu erzählen hatte. Am liebsten hätte sie den Brief sofort geöffnet, doch sie wollte es lieber in der Privatsphäre ihrer Wohnung tun.
Sie setzte sich an den Computer und fügte die Kosten für den zweifach ausgefertigten Totenschein der Rechnung für die Eltern des verstorbenen Mädchens hinzu.
»Brauchst du mich noch?«, fragte sie ihren Vater, nachdem sie die Dokumente für die Behörden postfertig gemacht hatte. »Wenn nicht, schaue ich noch kurz zu Mama hinüber, bevor ich nach Hause fahre. Ich mache mir Sorgen um sie.«
»Nein, ich brauche euch nicht mehr«, brummte Herbert. »Aber denk dran, dass wir nächste Woche Bereitschaftsdienst haben.«
»Ich werde es nicht vergessen.« Mathilda nahm ihre Tasche an sich und wünschte ihrem Vater einen angenehmen Abend.
***
Kurz darauf betrat sie ihr Elternhaus. Ihre Mutter war nicht in der Küche, und es wehten auch keine Essensdüfte durchs Haus, ein Umstand, der Mathilda beunruhigte.
»Mama?«
Sie bekam keine Antwort. Eiligen Schrittes ging sie zum Wohnzimmer und öffnete die Tür. »Mama?«
»Ich bin hier«, tönte die kraftlos klingende Stimme ihrer Mutter vom Sofa her.
Mathilda ging näher. »Papa sagte mir, dass du wieder Probleme mit dem Herzen hast?« Besorgt setzte sie sich zu ihrer Mutter auf die Sofakante.
Hanne schob die Decke von sich.
»Ach, es geht schon wieder. Ich hatte nur diese Herzrhythmusstörungen, da dachte ich, es wäre besser, wenn ich mich ein wenig hinlege.«
»Sehr vernünftig. Aber noch vernünftiger wäre es, wenn du endlich zum Arzt gehen würdest. Oder willst du warten, bis du umkippst und nichts mehr zu retten ist?« Eindringlich blickte Mathilda ihre Mutter an.
»Du musst nicht gleich so dramatisch sein.« Hanne setzte sich auf. »Bleibst du zum Abendessen?«
»Nein, heute nicht. Jens kommt nach dem Handball noch vorbei. Wir wollten den Hochzeitstermin endgültig festlegen und dann anfangen, eine Liste zu machen. Du weißt ja, wie umfangreich solche Vorbereitungen sind.«
Ein Schatten fiel über Hannes Gesicht. Seufzend schlüpfte sie in ihre Hausschuhe und stand auf.
»Du willst ihn also wirklich heiraten.«
Es war keine Frage, sondern eine Feststellung, und es klang sehr resigniert.
Auch Mathildas Miene verdüsterte sich. Es bedrückte sie sehr, dass ihre Mutter Jens nicht mochte. Immerhin würde er bald ihr Schwiegersohn und somit ein Mitglied der Familie werden. Ihr Vater dagegen hielt große Stücke auf ihn. Jens arbeitete bei der Bank, bei der sie ihre Konten hatten, und Jens hatte ihn in Sachen Vermögensanlagen gut beraten.
Mathilda stand ebenfalls auf.
»Ich weiß, du magst ihn nicht. Das bedrückt mich.«
»Ich habe eben immer noch das Gefühl, dass er dich nicht liebt, dass er es nicht ehrlich mit dir meint.«
»Dazu hast du keinen Grund, Mama«, erwiderte Mathilda entschieden. »Jens liebt mich ebenso, wie ich ihn liebe.«
»Dann hoffe ich, dass du recht behältst, Kind. Ich wünsche dir von Herzen, dass du glücklich wirst. Denn das hast du verdient.«
Hanne wandte sich ab, um in die Küche zu gehen. Mathilda zögerte kurz, dann folgte sie ihr. Es war ihr nicht entgangen, dass die Augen ihrer Mutter feucht vor Tränen geworden waren.
Sie will, dass ich mit Jens glücklicher werde, als sie es mit Papa geworden ist, ging es Mathilda durch den Kopf. Schon als Kind hatte sie mitbekommen, wie unglücklich und traurig ihre Mutter oft gewesen war. Doch das würde ihr mit Jens sicher nicht passieren. Er war ein moderner, aufgeschlossener und sportlicher junger Mann, kein unzufriedener Nörgler wie ihr Vater.
»Mach dir nicht so viele Sorgen um mich, Mama«, sagte Mathilda und umarmte ihre Mutter kurz. »Kann ich dir noch was helfen?«
Hanne strich sich das kurze graue Haar aus der Stirn.
»Nein, geh nur. Ich komme schon zurecht. Und mein Herz hat sich auch wieder beruhigt. Sind alles nur die Nerven.«
»Du brauchst Erholung, Mama. Eine Kur würde dir wieder mal guttun.«
Hanne lachte freudlos auf.
»Was glaubst du, was dein Vater dazu sagen würde, wenn ich schon wieder für mehrere Wochen ausfalle?«
»Schon wieder!« Mathilda verdrehte die Augen. »Wann warst du das letzte Mal zur Kur? Vor drei Jahren. Außerdem sollte es dir egal sein, was Papa dazu sagt. Denke einfach nur mal an dich und deine Gesundheit. Wir kommen schon für eine Weile ohne dich klar. Das mussten wir während deiner Krankheit schließlich auch.«
Hanne seufzte. »Du hast ja recht, Kind. Aber ich tue lieber meine Arbeit, dann ist Papa zufrieden und redet wenigstens mit mir.«
»Ja, doch in welchem Ton!« Mathilda seufzte. Die Art und Weise, wie ihr Vater ihre Mutter behandelte, belastete sie schwer. Insbesondere, da Hanne nicht gesund war, auch wenn es bei ihrer Krebserkrankung zu einer Remission gekommen war, die jahrelang oder sogar für den Rest ihres Lebens andauern konnte.
Hanne strich ihr flüchtig über den Arm.
»Lass es gut sein, Kind. Fahr nach Hause und mach dir einen schönen Abend.«
»Also gut. Dann bis morgen, Mama.« Mathilda verabschiedete sich und verließ das Haus.
***
Eine Viertelstunde später war Mathilda zu Hause. Das Chili con Carne, das sie Jens vorsetzen wollte, hatte sie schon am Vorabend gekocht. Er liebte diesen Bohneneintopf besonders und hatte nach seinem Handballtraining auch immer einen Riesenhunger.
Mathilda deckte den Tisch in der Essecke. Ihre Wohnung war nur klein, doch sie hatte einen überdachten Balkon, auf den man vom Esstisch aus blickte. Die benachbarten Hochhäuser konnte man nur durch die Bäume schimmern sehen.
Mathilda blickte auf die Uhr. Eigentlich müsste Jens längst da sein. Sie hatte schon befürchtet, sich wegen des ungeplanten Besuchs bei ihrer Mutter zu verspäten, und nun musste sie auf Jens warten.
Sie ging in die Küche, um das Chili umzurühren, das sie auf der Herdplatte warmhielt. Ich könnte das Baguette eigentlich schon mal aufschneiden, überlegte sie und griff zum Brotmesser.
Mathilda hatte den Korb mit den Brotscheiben gerade auf den Tisch gestellt, als ihr Handy klingelte. Es war Jens. Mit einem unguten Gefühl meldete sie sich. Er würde doch nicht absagen?
Genau das tat er.
»Sorry, Baby, aber wir haben länger gespielt als geplant und wollten noch zusammen was trinken gehen«, erklärte er. »Da wird es mir heute zu spät, da wir morgen vor der Öffnungszeit eine Besprechung mit den Bankdirektoren haben.«
Mathilda war maßlos enttäuscht. Im Hintergrund hörte sie Musik und ausgelassene Stimmen. Es hörte sich eher nach einer Party an.
»Wenn du gleich kommst, wird es nicht zu spät«, sagte sie. »Das Chili, das du immer so gern isst, ist fertig, und der Wein steht auch auf dem Tisch. Du brauchst dich nur ins Auto zu setzen …«
»Ich bin hier mit den anderen im Klublokal, da kann ich jetzt nicht einfach verschwinden«, unterbrach Jens sie leicht ungeduldig. »Ich melde mich morgen Abend, ja?«