Notärztin Andrea Bergen 1341 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1341 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

"Kling, Glöckchen, klingelingeling ..." Mit hellem, klarem Stimmchen gibt die kleine Lilly in der Spielwarenhandlung ihrer Eltern wieder einmal ihre Weihnachtslieder zum Besten, und den Kunden, die gerührt stehen bleiben, geht das Herz bei ihrem Anblick auf. Mit den weichen Locken unter der roten Weihnachtsmann-Mütze sieht Lilly auch allerliebst aus! Doch heute ist die Kleine nicht so recht bei der "Sache", denn schon den ganzen Tag hält sie Ausschau nach der netten Tante Bergen, die neulich so schön mit ihr gespielt hat. Und die Tante hat versprochen wiederzukommen. Aber wo bleibt sie nur?

Als draußen vor dem Schaufenster eine dunkelblonde Frau mit einer blauen Jacke vorübergeht, ist Lilly sicher: Da, das ist sie! Im Weihnachtstrubel im Geschäft bemerkt niemand, wie das Mädchen, nur mit Pulli und Jeans bekleidet, durch die Tür nach draußen schlüpft - immer der Frau mit der blauen Jacke hinterher.

Als Lilly Stunden später im dichten Schneetreiben völlig unterkühlt gefunden wird, können ihre verzweifelten Eltern nur noch um ein Wunder beten ...

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EPUB

Seitenzahl: 128

Veröffentlichungsjahr: 2017

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Inhalt

Cover

Impressum

Ein Weihnachtslied für Dr. Bergen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Economica20 / shutterstock

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5790-5

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

»…kling, Glöckchen, kling …« Noch immer kommt es mir wie ein Wunder vor, dass ich Lillys mattes Stimmchen im dichten Schneetreiben am Rhein gehört habe. Doch meine erste Erleichterung, das Kind gefunden zu haben, hat sich in Schrecken verwandelt, denn inzwischen steht fest, dass sich Lilly in den Stunden in eisiger Kälte nicht nur eine Lungenentzündung zugezogen hat. Sie leidet an einer gefährlichen Autoimmunerkrankung, deren Kennzeichen ein dramatischer Rückgang der weißen Blutkörperchen ist! Und die gängigen Therapien schlagen bei Lilly nicht an! Dem Kind kann nur noch eine Stammzelltransplantation helfen, aber die Suche nach einem geeigneten Spender scheint aussichtslos zu sein.

»Ich sing dir zu Weihnachten dein allerliebstes Weihnachtslied, Tante Bergen«, hat Lilly mir versprochen. Doch damit sie dieses Versprechen einlösen kann, müsste schon ein zweites großes Wunder geschehen – ein echtes Weihnachtswunder …

Marissa Phillips lächelte erwartungsvoll, als sie ihren Mann die Treppe heraufkommen hörte. Endlich hatte sich Carsten vom Computer losreißen können. Es war schon spät, doch sie freute sich auf ein paar zärtliche Minuten in seinen Armen.

Leise wurde die Tür geöffnet und wieder geschlossen. Ebenso leise waren die Schritte, die zum Bett kamen. Dann wurde neben ihr die Bettdecke aufgeschlagen. Die Matratze gab ein leises Geräusch von sich, als sie von Carstens kraftvollem Körper niedergedrückt wurde.

Marissa merkte, wie er sich zur Seite rollte und sich ihr zuwandte. Ihr Lächeln vertiefte sich. Carsten wollte sehen, ob sie schon schlief.

Nun, sie wollte ihn nicht zappeln lassen. Mit einem wohligen Laut rückte sie näher.

»Schön, dass du da bist«, murmelte sie und küsste ihn dorthin, wo sie seinen Mund vermutete.

Er küsste sie zurück. »Schön, dass du noch nicht schläfst«, raunte er dunkel.

Marissa kuschelte sich an ihn. »Jetzt können wir endlich zum gemütlichen Teil übergehen.«

»Jetzt noch?«, tat er erstaunt. »Weißt du, wie spät es ist?«

»Nein. Und ich will es auch gar nicht wissen.« Marissa lachte leise. »Es war doch noch nie zu spät, oder?«

»Hm, da hast du recht.« Carsten ließ seine Hand über ihren nackten Arm gleiten. Langsam schob er den Träger ihres Nachthemds über ihre Schulter.

Glücklich spürte Marissa seine zärtlichen Finger auf ihrem Körper. Fast fünf Jahre waren sie jetzt verheiratet, und sie waren immer noch so glücklich wie am ersten Tag. Es knisterte auch noch ganz ordentlich zwischen ihnen. Natürlich hatten auch sie ihre Probleme. Doch daran wollte Marissa jetzt nicht denken.

Auch ihre Hände blieben nicht untätig. Forsch ließ sie ihre Finger über Carstens behaarte Brust nach unten wandern, begleitet von seinem genussvollen Brummen.

Ein Geräusch an der Tür ließ sie beide hochfahren. Im schwachen Schein des Nachtlichtes im Flur sahen sie ihr Töchterchen in der Tür stehen.

»Da ist ein Krokodil auf dem Baum vor meinem Fenster«, behauptete Lilly.

Marissa stieß die Luft aus. Oh nein, nicht schon wieder! Was Lilly schon alles auf dieser großen alten Kastanie gesehen hatte! So ziemlich alle Kreaturen, von Engeln und Monstern bis zu Giftschlangen, Dinosauriern und Marsmännchen.

»Das ist bestimmt schon wieder weg, nachdem es gemerkt hat, dass es auf dem Baum kein Wasser gibt«, meinte Carsten amüsiert. »Krokodile brauchen nämlich Wasser.«

Lilly kam näher getapst. Sie hatte die Arme voller Spielsachen, die sie jetzt auf das Bett ihrer Eltern fallen ließ.

»Ich will nicht, dass es weggeht«, erklärte die Kleine, während sie Anstalten machte, zwischen Mama und Papa ins Bett zu klettern. »Das Krokodil darf bleiben. Morgen früh bringe ich ihm Wasser.«

Lilly wollte unter die Decke kriechen, doch Carsten hatte bereits die Nachttischlampe angeknipst und schnappte sich sein Töchterchen.

»Nein, meine süße Prinzessin, so geht das nicht. Du wirst schön in deinem eigenen Bettchen schlafen«, sagte er liebevoll, wenn auch bestimmt. Er nahm das Kind auf den Arm und trug es hinüber in sein Zimmer.

Marissa seufzte leise. Wie oft waren sie von der Kleinen schon gestört worden, auch mitten im tiefsten Schlaf!

Sie hörte, wie Lilly ihrem Papa aufgeregt etwas erzählte. Dazwischen lachte Carsten belustigt auf. Marissa liebte dieses warme dunkle Lachen an ihm.

Auch sie musste lächeln, als jetzt das Wort »Kartoffelkönig« fiel. Lilly hatte die Geschichte also noch nicht vergessen. Es war letzte Woche gewesen, als sie ihren Kartoffelbrei nicht hatte essen wollen. Sonst liebte sie ihn, doch nachdem herausgekommen war, dass ihre Mutter den schönen großen Kartoffelkönig dazu verwendet hatte, war sie so aufgebracht gewesen, dass sie sich geweigert hatte, überhaupt etwas zu essen.

Marissas Blick fiel auf die Bettdecke, wo Lilly ihre Schätze deponiert hatte. Stofftiere, Puppen, Plastikspielsachen – es war einfach zu viel. Mindestens einmal die Woche bekam sie von ihren Großeltern etwas Neues geschenkt. Sie besaßen in der Innenstadt ein großes Spielwarengeschäft, in dem auch Carsten arbeitete. Wenn Not am Mann war, half Marissa ebenfalls aus. Lilly war selig, wenn sie mit ins Geschäft kommen und dort spielen durfte. Und natürlich bekam sie jedes Mal immer etwas mit nach Hause. In ihrem Zimmer war schon fast kein Platz mehr.

Marissa fand es nicht gut, das Kind derart mit Spielsachen zu überhäufen. Überhaupt verwöhnten die Großeltern es viel zu sehr. Sie liebten Lilly abgöttisch und konnten einfach nicht Nein sagen, wenn sie etwas haben wollte. Es gab deswegen auch immer wieder Missstimmungen, weil Marissa ihren Schwiegereltern offen ihre Meinung sagte und auch schon öfter Spielsachen wieder zurückgebracht hatte.

Marissa wartete darauf, dass Carsten zurückkam und sie dort weitermachen konnten, wo sie unterbrochen worden waren, doch er ließ sich Zeit. Stirnrunzelnd lauschte sie nach nebenan. Es hörte sich an, als läse er Lilly noch etwas vor.

Sie seufzte enttäuscht. Müdigkeit kroch in ihr hoch, ihre Lider wurden schwer. Das Letzte, was sie noch wahrnahm, war, dass Lilly fröhlich ein Weihnachtslied schmetterte.

»Kling, Glöckchen, klingelingeling, kling, Glöckchen kling …«

Marissa merkte nicht mehr, wie Carsten zurück ins Schlafzimmer kam und zu seiner Enttäuschung sah, dass sie eingeschlafen war.

***

»Wer das um diese Zeit wohl noch sein mag?«, wunderte sich Carsten ein paar Tage später, als das Telefon klingelte.

Marissa blickte auf die Uhr. Es war kurz vor zehn.

»Wahrscheinlich dein Vater oder deine Mutter«, meinte sie. Es kam öfter vor, dass Carstens Eltern am Abend noch wegen geschäftlicher Dinge anriefen, wenn auch selten so spät.

Carsten stand auf und ging an den Apparat. Marissa stellte den Fernseher leiser. Sie hatten sich noch eine Dokumentarsendung über Wale in Neufundland angesehen, die gleich zu Ende war.

Es war Carstens Mutter.

»Augenblick, Mama«, sagte er gerade und winkte Marissa mit dem Telefon zu. »Für dich.«

Marissa ging und nahm das Telefon entgegen. Sie konnte sich schon denken, was ihre Schwiegermutter auf dem Herzen hatte. Natürlich sollte sie wieder im Laden aushelfen, denn um privat mit ihr zu plaudern, rief sie bestimmt nicht um diese Zeit an.

»Hallo, Ellen«, sagte sie in den Hörer.

»Bitte entschuldige, dass ich so spät noch störe, aber mir ist gerade erst eingefallen, dass wir heute die neue Lieferung von Eschwald bekommen haben. Du weißt schon, diese wunderschönen Steckenpferde aus Holz und Leder und die geschnitzten Indianerpuppen. Da wollte ich dich bitten, morgen ins Geschäft zu kommen, um die Ware auszupacken und entsprechend zu dekorieren. Den ganzen Tag, wenn es geht.«

Marissa unterdrückte einen Seufzer. Eigentlich hatte sie morgen schon etwas vorgehabt. Nicht, dass es besonders wichtig gewesen wäre oder sie es nicht hätte verschieben können. Aber sie mochte es nicht, wenn sie so kurzfristig ins Geschäft kommen sollte.

»Den ganzen Tag ist vielleicht zu viel, vor allem auch für Lilly«, wandte sie ein. Doch ihre Schwiegermutter lachte nur.

»Lilly ist selig, wenn sie in unser Spielzeugparadies kommen darf. Zu viel wird es höchstens uns werden, auf den kleinen Wirbelwind aufzupassen. Aber unser Verkaufspersonal hilft gern mit. Du weißt doch, alle lieben Lilly.«

Marissa lächelte vor sich hin. Ja, alle liebten Lilly. Und auch Lilly liebte sie alle.

»Gut, ich komme«, versprach sie und wünschte ihrer Schwiegermutter eine gute Nacht.

Carsten hatte inzwischen den Fernseher ausgeschaltet, denn die Sendung war zu Ende.

»Du wirst morgen wieder im Geschäft sein?«, fragte er, als Marissa herüberkam, um die leeren Gläser vom Couchtisch zu räumen.

»Ja, den ganzen Tag. Wegen der Lieferung von Eschwald.« Sie ging zur Tür, die Carsten ihr aufhielt. »Dann könnten wir zum Mittagessen mal wieder in die Ratsstuben gehen.«

»Das können wir gern tun«, sagte Carsten sofort. Auch er ging gern in das renommierte Speiselokal in der Altstadt, wo sie auch ihre Hochzeit gefeiert hatten.

»Allein«, betonte Marissa. Denn mit der lebhaften Lilly, die keinen Augenblick stillsitzen konnte, war es immer etwas stressig, in einem Restaurant zu essen.

»Nur wir beide«, stimmte Carsten zu und drückte ihr ein Küsschen in den Nacken.

Gemeinsam gingen sie in die Küche. Carsten räumte die Gläser in die Spülmaschine, für die gerade noch Platz war, und schaltete sie ein. Marissa stellte die Schale mit dem restlichen Knabbergebäck in den Schrank. Anschließend stiegen sie Hand in Hand die Treppe in den ersten Stock hinauf.

Wie immer schauten sie zuerst ins Kinderzimmer, um sich zu überzeugen, dass Lilly fest schlief. Als sie das Bett der Kleinen leer vorfanden, war es für sie kein seltener Anblick. Das war schon öfter vorgekommen. Und natürlich wussten sie auch, wo ihr Töchterchen steckte.

Sie gingen hinüber ins Schlafzimmer.

»Oh, nein!« Marissa kicherte unterdrückt, als Carsten das Licht einschaltete und sie die Bescherung sahen. In der Mitte des Bettes lag Lilly, umgeben von unzähligen Puppen und Stofftieren, und schlief selig. Sogar Oskar hatte sie mitgebracht, ihren Grizzlybären, der doppelt so groß war wie sie.

»Meine Güte, wann hat sie das alles herübergeschleppt?« Amüsiert schüttelte Carsten den Kopf.

»Als wir vor dem Fernseher saßen und nichts merkten. Was machen wir jetzt? In Lillys Bett schlafen?«

»Du vergisst den Monsterbaum vor dem Fenster«, erinnerte Carsten sie grinsend. »Wer weiß, was wir da in der Nacht alles erleben würden. Tragen wir unser Prinzesschen lieber hinüber und schlafen in unserem eigenen Bett.«

Lilly wachte nicht auf, als ihr Papa sie sanft aus dem Berg von Spielsachen hob und ins Kinderzimmer trug. Marissa brachte den Riesenbären nach. Die anderen Spielsachen schüttelte sie von der Bettdecke auf den Teppich. Die konnte Lilly morgen selbst in ihr Zimmer zurückbringen.

»Können wir jetzt endlich zum gemütlichen Teil übergehen?«, fragte Marissa kokett, als Carsten wieder ins Schlafzimmer kam.

»Gern, wenn du mir zeigst, was du damit meinst«, versetzte er mit einem unschuldigen Grinsen.

***

Am nächsten Morgen half Carsten mit, das Frühstück auf den Tisch zu bringen und Lilly fertig zu machen. Dafür verzichtete er darauf, die Morgenzeitung zu lesen, was sonst ein wichtiges Ritual für ihn war. Nichts ging darüber, bei einer guten Tasse Kaffee von den Ereignissen des Vortages zu lesen. Doch wenn Marissa ins mit Geschäft kam, half er bei allem mit.

Zu dritt fuhren sie dann in die Innenstadt, wo sie den Wagen in der Tiefgarage unter dem Gebäude, in dem sich auch das Spielzeugparadies Phillips befand, parkten. Mit dem Fahrstuhl fuhren sie hoch zu den Verkaufsräumen.

Der Laden war noch geschlossen, doch Carstens Eltern und zwei der Verkäuferinnen waren bereits da.

»Oma, Opa!« Lilly rannte los und direkt in die Arme ihrer Großmutter, die sie herumschwenkte. Dann wurde auch der Opa überschwänglich begrüßt.

Kurz darauf wurde der Laden geöffnet. Auch das restliche Verkaufspersonal war inzwischen erschienen. Und schon kamen die ersten Kunden in das Geschäft.

Während Lilly bei ihrer Oma im Büro spielen durfte, machte Marissa sich daran, die neue Ware auszupacken und auszuzeichnen. Später würde sie diese in den Schaufenstern dekorieren. Doch vorerst musste sie eine Weile mit bedienen, denn der Laden war voller Kunden.

Um die Mittagszeit ließ der Ansturm wie gewohnt etwas nach.

»Geht zu Tisch, Kinder«, meinte Ellen. »Lilly kann später mit uns essen. Ich habe uns was von zu Hause mitgebracht. Gulasch und Nudeln, das mag sie doch so gern.«

»In Ordnung, Ellen«, erwiderte Marissa. »In einer Stunde sind wir wieder zurück. Ich sehe noch kurz nach Lilly.«

Sie gab Carsten Bescheid, dass sie in ein paar Minuten zum Mittagessen gehen konnten, und eilte ins Büro ihrer Schwiegermutter. Dort gab es auch eine Sitzecke mit einer Kaffeemaschine und einem Mikrowellenherd.

In einer anderen Ecke saß Lilly und hatte einen Schuhkarton mit Krimskrams vor sich stehen. Sie hielt etwas in der Hand, das sie neugierig betrachtete.

»Mami, wer ist das?«, fragte sie und hielt ein kleines Foto in einem Rahmen hoch. »Papa?«

Marissa ging näher. Das Foto zeigte einen jungen Mann von etwa neunzehn, zwanzig Jahren, den man auf den ersten Blick für Carsten hätte halten können. Als sie das Bild umdrehte, las sie den Namen Theo.

Carstens jüngerer Bruder also, das schwarze Schaf der Familie!

»Ich weiß nicht, wer das ist«, flunkerte Marissa. »Wo hast du das her? Was sind das überhaupt für Sachen?«

»Hab ich gefunden«, erklärte Lilly.

»Wo?«

»In Omas Schreibtisch. Ganz hinten in dem großen Fach.« Lilly erhob sich und lief auf ihren strammen Beinchen zum Schreibtisch. »Da«, sagte sie und deutete mit dem Finger darauf.

»Dann wollen wir den Karton wieder zurückstellen. Das sind Omas private Sachen, die darf man nicht einfach herausnehmen. Das ist nichts zum Spielen.«

»Okay«, sagte Lilly kleinlaut.

Marissa stellte den Schuhkarton zurück und schloss das Fach. Dann erklärte sie ihrer Tochter, dass Papa und sie jetzt für eine Stunde weggehen würden.

»Tschüß«, sagte Lilly nur und hüpfte wieder zurück zu ihren Spielsachen.

Lächelnd verließ Marissa das Büro. Sie freute sich auf die Mittagspause mit Carsten und eine ruhige Stunde in den stilvollen Restaurationsräumen der Ratsstuben.

***

Zu Fuß und Hand in Hand gingen Marissa und Carsten dorthin. Es wehte ein kalter Wind, doch es regnete nicht mehr wie in den letzten Tagen.

Angenehme Wärme schlug ihnen entgegen, als sie die Ratsstuben betraten. Der Kellner führte sie zu dem bestellten Tisch und legte ihnen die Speisekarten vor.

»Wie ist dein Tag bisher so gelaufen?«, fragte Carsten, nachdem sie die Getränke bestellt hatten.

»Äußerst arbeitsreich, das kannst du dir ja denken«, erwiderte Marissa. »Aber es macht Spaß. Nur müsste nicht ganz so viel los sein.«

Carsten nickte. »Das ist in der Vorweihnachtszeit nun mal so, auch wenn wir erst November haben. In den nächsten Wochen wird es bei uns ganz schön turbulent zugehen.«

Marissa fiel das Foto wieder ein, das Lilly im Schreibtisch ihrer Großmutter gefunden hatte. Nach kurzem Zögern erzählte sie Carsten davon.

»Auf der Rückseite stand Theo«. Deine Mutter bewahrt also noch ein Foto von ihm auf, auch wenn die Familie sich von ihm losgesagt hat.«

»Was mich sehr erstaunt«, meinte Carsten nachdenklich.

Ein kurzes Schweigen entstand. Marissa spürte, dass Carsten sich in Gedanken mit seinem Bruder beschäftigte.

»Was genau ist damals eigentlich vorgefallen?«, fragte sie. Niemand in der Familie hatte sich näher darüber ausgelassen, und Marissa hatte nicht weiter fragen wollen.

Carsten antwortete nicht gleich, denn gerade kam der Kellner mit den Getränken. Sie bestellten ihr Essen und wandten sich dann wieder ihrem Gespräch zu.

»Theo ist immer der Außenseiter gewesen«, erzählte Carsten. »Schon als Jugendlicher passte er mit seiner unkonventionellen Art nicht so recht in unsere eher konservative Familie. Als er mit einem Mädchen zusammenzog, das Drogenprobleme hatte, distanzierten sich meine Eltern von ihm. Natürlich dachten sie, dass er ebenfalls Drogen nähme, wenn er schon in der Drogenszene verkehrte.