Notärztin Andrea Bergen 1343 - Marina Anders - E-Book

Notärztin Andrea Bergen 1343 E-Book

Marina Anders

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Beschreibung

Immer wieder kneift Judith die Augen zusammen, doch die Doppelbilder, die sie wieder einmal sieht, lassen sich nicht vertreiben. Um den schrecklichen Kopfschmerzen und dem Gefühl der Rastlosigkeit zu entgehen, ist die junge Frau in ihr Auto gesprungen und fährt nun schon seit Stunden ziellos durch die verschneite Stadt. Doch auch hier halten die Schmerzattacken sie im Griff. Als ein grelles Licht sie blendet, lenkt Judith reflexartig nach rechts. Entsetzen packt sie, als ihr Auto geradewegs auf einen Baum zuschlittert. Wie ein drohendes Ungeheuer ist er vor ihr aufgetaucht und streckt nun seine kahlen Äste nach ihr aus. Die Reifen finden auf der rutschigen Straßendecke keinen Halt, und mit Grauen wird Judith klar, dass es kein Ausweichen mehr gibt ...

Im nächsten Moment kracht es schon. Judith spürt einen Schlag gegen den Kopf - dann wird alles dunkel um sie. Ihr letzter klarer Gedanke gilt Liam, ihrem Liebsten, und ihren gemeinsamen Zukunftsträumen, die sich nun wohl nie erfüllen werden ...

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EPUB

Seitenzahl: 129

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Des Lebens bittere Süße

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: SrdjanPav / iStockphoto

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-5981-7

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Ich weiß nicht, wie ich es Judith Kehrings sagen soll, doch ich darf ihr die Wahrheit nicht länger vorenthalten: Bei der Kernspintomografie kurz nach ihrer Not-OP haben die Kollegen von der Inneren Station ein Meningeom von beträchtlicher Größe in Judiths Kopf gefunden, das umgehend behandelt werden muss! Nun ist auch klar, woher ihre ständigen Kopfschmerzen und die Doppelbilder rühren: von diesem schnell wachsenden, gefährlichen Tumor!

Hätte sie sich doch nur früher einmal untersuchen lassen, wie ihr Freund Liam und ich es ihr so oft geraten haben! Nun scheint es zu spät zu sein …

»Sagen Sie mal, Frau Kehrings, haben Sie getrunken, oder warum torkeln Sie so?«

Bei der vorwurfsvollen Stimme ihrer Vorgesetzten verhielt Judith den Schritt.

Getrunken! Hatte sie schon jemals während der Arbeitszeit getrunken? Nicht einmal, als sie im Rahmen ihrer Ausbildung zur Hotelfachangestellten hin und wieder an der Hotelbar gearbeitet hatte.

Judith holte tief Luft. Dass sie leicht geschwankt hatte, als sie von ihrem Bürostuhl aufgestanden und in die Rezeption hinausgegangen war, hatte sie allerdings selbst bemerkt. Natürlich hatte das nichts mit Alkohol zu tun, denn sie trank nur ganz selten etwas. Hin und wieder ein Glas Wein, das war auch schon alles.

»Nein«, erwiderte sie leicht gereizt. »Ich habe nur wieder mal einen Migräneanfall. Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich meine Mittagspause vorziehen und mich ein wenig hinlegen.«

Die Miene der Hotelmanagerin wurde etwas freundlicher.

»Wechseln Sie doch mal den Arzt«, schlug sie vor und ging weiter.

Judith seufzte. Den Arzt wechseln – was sollte das schon bringen? Für Migränekranke gab es kaum Hilfe, das sah sie ja bei ihrer Mutter. Sie litt schon seit Jahren an grausamen Kopfschmerzen, und kein Arzt und kein Medikament der Welt hatten ihr bisher helfen können, jedenfalls nicht auf Dauer.

Judith lenkte ihre Schritte zu den Fahrstühlen. Der Aufenthaltsraum für das Personal lag im dritten Stock des renommierten Atrium-Hotels. Dort gab es auch einen Nebenraum mit einer Liege, wo man sich hinlegen konnte, wenn man sich nicht wohlfühlte.

Einer der Fahrstühle hielt im Erdgeschoss. Ein elegant gekleidetes Paar trat heraus. Judith unterdrückte ein Stöhnen. Diese Leute gehörten zu jenen unbeliebten Gästen, die alles mit der Lupe untersuchten, um sich dann über jede geringste Kleinigkeit zu beschweren.

»Die Dusche tropft schon wieder«, beklagte sich die schwarzhaarige Dame auch prompt. »Würden Sie sich bitte darum kümmern? Das Geräusch ist nervtötend.«

»Und die Kaffeemaschine zischt und dampft, da getraut man sich kaum, Kaffee zu kochen. Tauschen Sie die mal aus«, fügte der Mann hinzu, bevor er seine Partnerin am Arm nahm und mit ihr zum Ausgang ging.

Judith betrat den Fahrstuhl. Als er sich in Bewegung setzte, wurde ihr plötzlich so übel, dass sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Wie sehr sie ihr Handikap hasste! Dieses unselige Erbe ihrer Mutter machte ihr mehr und mehr zu schaffen. Sollte das ein Leben lang so weitergehen? Dann würde sie mit dreißig Frührentnerin sein, weil kein Betrieb sie mehr einstellen wollte!

Der Aufenthaltsraum war leer bis auf eine Kollegin, die am Tisch saß und lustlos einen Joghurt löffelte, während sie auf ihrem Handy tippte und wischte. Sie blickte auch nicht auf, als Judith beim Eintreten mit der Schulter gegen den Türrahmen prallte und einen kleinen Schmerzenslaut von sich gab.

Himmel, sie hatte ja richtig Schlagseite! Kein Wunder, dass die Hotelmanagerin den Eindruck hatte, sie sei betrunken.

Judith wankte in den Nebenraum und ließ sich auf der Couch nieder. Ganz vorsichtig, denn in ihrem Kopf hämmerte es wie verrückt.

Sie streckte sich aus und schloss die Augen. Stumm litt sie vor sich hin, wobei sie inbrünstig hoffte, dass sich ihre Kopfschmerzen in der einen Stunde, die ihr als Mittagspause zur Verfügung stand, wieder einigermaßen legen würden. Denn so konnte sie auf keinen Fall weiterarbeiten.

Judith versuchte, die Kopfschmerzen zu ignorieren. Ganz fest dachte sie an Liam, ihren Freund. Zärtliche Gefühle regten sich in ihrem Herzen. Judith liebte den dunkelblonden Deutschamerikaner, mit dem sie sich auf so wunderbare Weise ergänzte, von ganzem Herzen. Sie hatte ihn kennengelernt, als sie ihr Auto beim Kundendienst gehabt hatte.

Liam kam aus den USA, aus dem Staat Minnesota. Da sein Vater Deutscher war, hatte Liam auch einen deutschen Pass. Von Beruf war er Kfz-Mechatroniker. Sein Wunsch war es gewesen, für eine Weile im Heimatland seines Vaters zu arbeiten, wo er schon öfter zu Besuch gewesen war, und so hatte er über eine entsprechende Organisation Stellen in verschiedenen Städten Deutschlands vermittelt bekommen.

Hier am Rhein, in der Kfz-Werkstatt des Autohauses, in dem Judith ihr Fahrzeug gekauft hatte, war sein erster Arbeitsplatz gewesen, und dort hatten sie sich auch kennengelernt. Spontan hatten sie sich ineinander verliebt und waren seitdem unzertrennlich.

So war Liam in Deutschland geblieben. Er war froh gewesen, dass das Autohaus Riedinger ihn auch weiterhin beschäftigte.

Judith seufzte sehnsüchtig. Sie waren ja sooo verliebt ineinander! Nein, nicht nur das – sie liebten sich, tief und innig und für immer.

Sie hatten auch bereits beschlossen zusammenzubleiben. Liam wollte nur noch für einige Wochen in die Staaten zurückfliegen, um seine Sachen zu packen und sich von seiner Familie und seinem Leben dort zu verabschieden. Wenn er wieder zurück war, wollten sie gemeinsam ihre Zukunft planen.

Eigentlich standen ihre Zukunftspläne schon fest. Liam und Judith hatten große Träume, die sie irgendwann zu verwirklichen hofften. Sie waren beide ambitionierte Mountainbiker, die in jeder freien Minute und fast bei jedem Wetter mit den Rädern unterwegs waren.

Sie verstanden auch eine Menge von der Materie, vor allem Liam als Mechatroniker. Außerdem machte es ihnen große Freude, Touren zusammenzustellen und neue Ausflugsziele mit Einkehrmöglichkeiten zu finden.

Ihr gemeinsamer großer Traum war, einen eigenen Bike-Shop zu eröffnen. Mit angeschlossenem Bistro, wünschte sich Judith. Da sie in der Hotel- und Gastronomiebranche tätig war, lag es nahe, dass sie sich hauptsächlich um das Lokal kümmern würde, während Liam den Verkauf von Fahrrädern und deren Reparatur übernehmen wollte.

Es würde alles wunderbar werden. An den Wochenenden würden sie mit ihren Kunden geführte Mountainbike-Touren unternehmen. So hatten sie es sich bereits ausgemalt.

Es verging kaum ein Tag, an dem sie nicht ihren Traum träumten. Leider scheiterte im Moment alles noch an den nicht vorhandenen Finanzen. Liam hatte zwar einiges auf dem Konto, wie er Judith gesagt hatte, sie dagegen nichts Nennenswertes. Allerdings hatte sie eine liebe Großtante, die ihr einmal ihr Haus vermachen würde.

Nicht, dass sie auf deren Tod wartete, dafür mochte sie ihre Tante Irma viel zu sehr. Doch sie war bereits zweiundneunzig, schon sehr gebrechlich und lebte in einem Seniorenheim. Ihr Haus war vermietet.

Über all diesen Gedanken wäre Judith beinahe eingedöst, denn auch die Kopfschmerzen waren jetzt fast verschwunden. Allerdings kamen sie schlagartig zurück, als die Stimme der Hotelmanagerin unangenehm laut an ihre Ohren drang.

»Ihre Mittagspause ist längst um, Frau Kehrings. Haben Sie das nicht gemerkt?«, fragte sie ungehalten. »Es gibt einiges zu tun, auch wenn man Kopfschmerzen hat. Gehen Sie gleich mal auf Zimmer siebenundzwanzig und ziehen Sie die Betten ab. Die werten Gäste haben es nicht für nötig gehalten, sich an die Auscheckzeiten zu halten, und das Zimmer ist bereits gebucht.«

Warum ich?, lag es Judith auf der Zunge. Dafür waren die Zimmermädchen zuständig.

Schon oft hatte sie sich darüber geärgert, dass sie auch zwei Jahre nach Beendigung ihrer Ausbildung noch immer wie ein Azubi behandelt und herumgeschickt wurde. Sie hatte auch schon mit dem Gedanken gespielt, sich eine andere Stelle zu suchen. Andererseits wollte sie kein neues Arbeitsverhältnis eingehen, wenn ihr Ziel der Bike-Shop und mit angeschlossenem Bistro war.

»Ich komme schon.« Judith setzte sich auf. Diesen Tag werde ich auch noch herumkriegen, sagte sie sich, während sie den Aufenthaltsraum verließ.

Am Abend würde sie sich mit Liam treffen, darauf freute sie sich schon. Sie würden weiter Zukunftspläne schmieden, und vielleicht konnten sie am Wochenende, wenn das Wetter es zuließ, eine kleine Tour mit ihren Mountainbikes unternehmen.

***

»Es hat keinen Sinn mehr, Andrea.«

Sanft nahm Dr. Benrath seiner Kollegin den Defibrillator aus den Händen. Es war hoffnungslos, die Patientin weiterhin reanimieren zu wollen. Zu viel Zeit war seit dem Herzstillstand vergangen. Die schwangere junge Frau war tot, und nichts und niemand konnte sie wieder ins Leben zurückholen.

Resigniert zog die Notärztin sich den Mundschutz vom Gesicht. Das Chirurgenteam und sie hatten alles getan, um das Leben der werdenden Mutter zu retten, doch ihre Verletzungen waren zu schwer gewesen. Ihr Ehemann dagegen hatte bei dem Unfall nur leichte Verletzungen erlitten und wurde gerade in der Notaufnahme behandelt.

Normalerweise bestand Andrea Bergens Dienst darin, im Rettungswagen mitzufahren und in der Notaufnahme auszuhelfen, wenn sie gebraucht wurde, oder auch mal im Schockraum.

Diesmal jedoch hatte sie das Unfallopfer, das sie eingeliefert hatte, auch mit operieren müssen, da keiner der anderen Chirurgen verfügbar gewesen war und das Team sonst nicht vollständig gewesen wäre. Das kam hin und wieder vor. Andrea Bergen war auch Unfallchirurgin.

Rudolf Benrath, ihr Kollege und guter Freund, drückte ihr tröstend die Schulter. »Nimm es nicht so schwer, Andrea. Es hat von Anfang nicht gut ausgesehen.«

Die Notärztin seufzte. Das war leichter gesagt als getan. Natürlich nahm sie sich den Tod dieser jungen Frau zu Herzen. Warum hatten sie und ihr ungeborenes Baby nicht leben dürfen? Sie alle hatten so hart um sie gekämpft.

Das Chirurgenteam begab sich zu den Waschräumen.

»Kommst du noch auf einen Kaffee zu mir ins Dienstzimmer, Andrea?«, fragte Rudolf.

»Gern, den kann ich jetzt gebrauchen«, stimmte sie zu. »Aber erst werden wir dem Ehemann die schreckliche Wahrheit beibringen müssen. Davor graut mir schon.«

»Das hat noch ein wenig Zeit. Er liegt in der Notaufnahme und wird erst einmal in einen Beruhigungsschlaf versetzt worden sein. Außerdem musst nicht immer du diejenige sein, die den Angehörigen die schlimmen Nachrichten überbringt, auch wenn du das am besten kannst. Überlass es Schwester Sonja oder jemand anders.«

Sonja Fischer war eine ältere, sehr erfahrene und sehr energische Pflegerin in der Notaufnahme, die mit Patienten und deren Angehörigen gleichermaßen gut umgehen konnte. Andrea würde ihr dankbar sein, wenn sie diese ungeliebte Aufgabe übernahm.

Vor den Waschräumen trennten die beiden Kollegen sich. Gefolgt von Dr. Mahler, der Assistenzärztin, die ebenfalls an der Operation des schwer verletzten Unfallopfers teilgenommen hatte, betrat Andrea den Waschraum für Damen.

Die Notärztin konnte ihr am Gesicht ablesen, dass der Tod der Patientin auch ihr naheging. Ingeborg Mahler war für ihren Beruf ohnehin etwas zu zart besaitet, wie Andrea manchmal den Eindruck hatte.

»Wie soll der arme Mann nur den Tod seiner Frau und seines ungeborenen Babys verkraften?«, fragte Ingeborg traurig, als sie nebeneinander an den Waschbecken standen. »Ich stelle mir das ganz furchtbar vor.«

»Das ist es sicher auch. Sie war noch so jung. Bestimmt hatten sie und ihr Mann jede Menge Pläne. Mir geht der Fall auch ziemlich nahe.« Während Andrea sich wusch und umzog, war sie mit ihren Gedanken noch ganz bei der misslungenen Operation. Als sie dann später den OP-Trakt verließ, kam eine ältere Frau auf sie zu.

»Verzeihung, können Sie mir bitte sagen, wie die Operation bei meiner Tochter verlaufen ist?«, fragte sie. »Renske ist der Name, Pia Renske. Mein Schwiegersohn ist noch in der Notaufnahme. Sie … sie hatten einen Unfall.«

Andrea schluckte hart, als sie den ängstlichen Blick der Frau auf sich gerichtet sah. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Frage sachlich zu beantworten.

»Es tut mir so leid«, begann sie. »Sie können versichert sein, dass wir alles getan haben, um das Leben Ihrer Tochter zu retten, doch auch wir Ärzte sind nicht allmächtig.«

»Tot?« Entsetzt wich die Frau einen Schritt zurück. »Pia tot? Und das Baby? Nein – nein, das kann nicht sein!«

»Es tut uns allen unendlich leid«, wiederholte Andrea hilflos. Wer hatte nur behauptet, dass sie Hiobsbotschaften am besten überbringen konnte?

Die ältere Frau sank auf einen Stuhl in der Warteecke und schlug die Hände vors Gesicht. Qualvoll schluchzte sie auf.

Andrea folgte ihr. Beruhigend redete sie auf sie ein. Doch sie wusste auch, dass keins ihrer Worte ein echter Trost sein konnte.

»Ich werde zusehen, dass sich jemand um Sie kümmert«, sagte sie leise. »Sie sollten auch nicht zu Ihrem Schwiegersohn gehen, bevor Sie sich nicht etwas beruhigt haben.«

Als Schwester Assisa im Korridor auftauchte, ging Andrea auf sie zu und erklärte ihr die Situation. Die mütterliche indische Pflegerin versprach, sich um die verzweifelte Frau zu kümmern und, falls nötig, einen der Ärzte zu holen, um ihr eine Beruhigungsspritze zu geben.

Andrea fuhr mit dem Fahrstuhl hinauf zur Chirurgie. Schon am Eingang konnte sie den Kaffeeduft riechen, der aus Dr. Benraths Dienstzimmer strömte. Sie klopfte an die halb offene Tür und trat ein.

»Ah, da bist du ja«, empfing Rudolf sie mit einem breiten Lächeln auf dem runden Gesicht. Er schenkte ihr eine Tasse voll ein und stellte Sahnekännchen und Zuckerdose zurecht. »Lass uns ein wenig entspannen, bis die nächste Operation ansteht beziehungsweise der nächste Einsatz für dich kommt.«

Andrea bediente sich. »Kollege Krug hat mich während der Operation vertreten, da wird er sicher nichts dagegen haben, wenn ich noch eine kurze Kaffeepause dranhänge. Besonders nicht nach diesem tragischen Ausgang«, fügte sie hinzu und erzählte Rudolf, dass sie beim Verlassen des OP-Traktes der Mutter der toten Patientin in die Arme gelaufen war.

»Tut mir leid, dass du nun doch nicht drumherum gekommen bist, die schreckliche Nachricht zu überbringen«, sagte Rudolf und drückte ihr kurz den Arm.

»Ich hab’s hinter mich gebracht. Nun wird die Mutter es ihrem Schwiegersohn beibringen müssen.« Andrea führte ihre Tasse zum Mund, stellte sie jedoch gleich darauf wieder ab, ohne einen Schluck davon getrunken zu haben. »Oder soll ich es nicht doch lieber selbst tun? Der armen Frau ist diese Aufgabe kaum zuzumuten.«

»Trink erst mal deinen Kaffee«, meinte Rudolf. »Danach kannst du immer noch zu dem Mann der Verstorbenen gehen und es ihm sagen, wenn es bis dahin noch kein anderer getan hat.«

»Okay.« Andrea trank von ihrem Kaffee. Er war stark und voller Aroma wie immer, doch heute schmeckte sie kaum etwas davon. Sie konnte ihre Gedanken einfach nicht von der missglückten Operation lösen und haderte mit dem Schicksal, weil sie die Patientin und ihr Ungeborenes nicht mehr hatten retten können.

Schwer bedrückt verließ sie zehn Minuten später Rudolfs Dienstzimmer.

»Der Ehemann weiß Bescheid«, teilte Schwester Sonja ihr mit, als Andrea in die Notaufnahme kam. »Ich habe es ihm gesagt. Er und seine Mutter sind gerade bei der Toten, um Abschied von ihr zu nehmen, bevor sie in die Leichenhalle gebracht wird.«

»Es ist so furchtbar traurig.« Schwester Grit, eine hübsche junge Pflegerin, war voller Mitgefühl. »Wir werden Herrn Renske noch eine Nacht hierbehalten, auch wenn es von seinen geringfügigen Verletzungen her nicht erforderlich wäre. Aber er ist in einer ziemlich schlechten Verfassung.«

Andrea beschloss, später noch nach dem Mann zu sehen. Sie ließ sich von Dietmar Krug den Pager zurückgeben und befestigte ihn am Bund ihrer weißen Hose.

»Danke für die Vertretung«, sagte sie und wünschte plötzlich, nicht zur Operation des schwer verletzten Unfallopfers herangezogen worden zu sein. Dann würde sie sich jetzt nicht so entsetzlich schuldig fühlen, auch wenn niemand von ihnen den Tod der jungen Frau hätte verhindern können.

***

»Denk nicht mehr daran, Liebes.«