1,99 €
Meter für Meter kämpft sich der Rettungswagen durch den dichten Verkehr in Richtung Elisabeth-Krankenhaus. Nie zuvor ist Notärztin Andrea Bergen die Fahrt so quälend langsam vorgekommen. Sie weiß, für den Herzinfarkt-Patienten zählt jede Minute, denn sein Zustand verschlechtert sich rapide! Schnellstmöglich muss er notoperiert werden ...
Als ihr Blick von dem Überwachungsmonitor auf den Patientenbogen fällt, den ihr Sanitäter Ewald Miehlke in aller Eile ausgefüllt hat, fährt Andrea Bergen ein eisiger Schrecken durch alle Glieder: Der Patient ist kein anderer als der Kriegsreporter Olaf Aspersen, der vor Jahren für tot erklärt wurde - der Mann ihrer Kollegin Arianna!
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 133
Veröffentlichungsjahr: 2021
Cover
Sieben Minuten bis zum Elisabeth-Krankenhaus
Vorschau
Impressum
Sieben Minuten bis zum Elisabeth-Krankenhaus
Noch immer kann ich nicht glauben, dass Olaf Aspersen hier leibhaftig vor mir auf der Trage liegt, schwer krank, aber immerhin noch am Leben. Es ist ein Wunder – denn Olaf, der an den Brennpunkten dieser Welt als Kriegsreporter arbeitete, gilt seit Jahren als tot, gestorben durch eine Autobombe! Ich weiß, dass seine Frau Arianna nie aufgehört hat, auf ihn zu warten, denn er ist die Liebe ihres Lebens. Doch nun sieht es so aus, als würde das Schicksal Arianna den geliebten Mann ein zweites Mal nehmen ...
Es ist schier zum Verzweifeln: Nur quälend langsam bewegt sich der Krankenwagen durch die verstopften Straßen der Stadt. Laut Navi sind es noch sieben Minuten bis zum rettenden Krankenhaus – sieben Minuten, die über Leben und Tod unseres Patienten entscheiden! Olaf hat einen schweren Herzinfarkt erlitten und benötigt so schnell wie möglich operative Hilfe ...
»Kloster Wiesenthal«, meldete Jupp Diederichs, der Fahrer des Rettungswagens. »Ein Anstreicher ist vom Gerüst gefallen.«
»Oje!« Notärztin Andrea Bergen machte ein besorgtes Gesicht. »Da werden wir es möglicherweise mit Wirbelsäulenverletzungen zu tun haben.«
»Kommt darauf an, aus welcher Höhe der Mann gestürzt ist«, meinte Ewald Miehlke Er war Rettungssanitäter im Team.
»Wir werden es gleich sehen.« Dr. Andrea Bergen überlegte bereits, welche Mittel und Geräte in diesem Fall zum Einsatz kommen würden. Das Spineboard zum Beispiel. Hatte der Mann keinen Schutzhelm getragen, was leider immer wieder vorkam, mussten sie auch mit Kopfverletzungen rechnen. Außerdem konnte er sich Rippen gebrochen haben, deren Bruchstücke sich möglicherweise in Organe wie Herz und Lunge gespießt hatten.
In diesem Fall würde eine Thoraxdrainage erforderlich sein. Heutzutage führte man solche Drainagen jedoch aus hygienischen Gründen nur noch im äußersten Notfall an Ort und Stelle durch. Mit Blaulicht und Martinshorn fuhren sie zur Stadt hinaus und befanden sich bald auf der Hunsrück-Höhenstraße.
»Es wird Herbst«, stellte der Rettungsassistent Ewald Miehlke mit einem Blick über die abgemähten Felder zu beiden Seiten der Straße fest, die von Birken eingerahmt waren. »Die Blätter werden schon gelb.«
»Wir haben ja auch schon September«, warf die Notärztin ein. Obwohl sie auf dem Weg zu einem möglicherweise schwer verletzten Patienten waren, genoss sie die Fahrt durch diese schöne Landschaft.
Vor ihnen tauchte das idyllisch gelegene Kloster Wiesenthal auf. Als sie in die Zufahrt einbogen, sahen sie, dass ein großes Gerüst die Fassade zierte. An einer Stelle standen mehrere Personen zusammen. Dort also lag das Opfer. Ein Mann winkte ihnen zu.
Jupp brachte den Rettungswagen zum Stehen. Das Notarztteam stieg aus. Während die beiden Sanitäter die Spezialtrage aus dem Wagen holten, eilte Andrea mit ihrem Notfallkoffer zu dem Patienten.
Der schwarzhaarige, dunkelhäutige Mann war bei Bewusstsein, schien jedoch nahe daran zu sein, dieses zu verlieren. Unter schweren Lidern verdrehte er mehrmals die Augen.
»Einer meiner tüchtigsten Arbeiter«, klagte ein rundlicher älterer Mann im farbverklecksten Arbeitsoverall, vermutlich der Malermeister persönlich. »Kamal war immer sehr vorsichtig auf dem Gerüst. Bei ihm musste ich nie Angst haben. Und dann fällt er plötzlich runter. Einfach so!« Der Mann wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn.
Dr. Andrea Bergen hatte inzwischen mit einer gründlichen Erstuntersuchung begonnen und stellte dem Patienten verschiedene Fragen. Doch er war kaum in der Lage, sie zu beantworten.
»Er ist mit den Füßen aufgekommen, das war gut«, bemerkte eine Frau, offenbar eine Angestellte des Klosters.
Dr. Bergen fand es wiederum nicht so gut, denn dabei kam es oft zu Stauchungsfrakturen der Wirbelsäule. Erst Röntgenuntersuchungen würden das ganze Ausmaß der Verletzungen zeigen.
Sie injizierte dem Patienten ein Analgetikum für seine Schmerzen und bat dann Jupp Diederichs und Ewald Miehlke, ihn auf das Spineboard zu legen und den Kopf mit Klettbändern zu fixieren.
»Wie soll es jetzt weitergehen?«, wandte sich die Angestellte an den Malermeister. »In zwei Wochen haben wir hier eine Hochzeit, da muss das Gerüst verschwunden sein.«
»Ja, ich weiß«, gab der Mann leicht gestresst zurück. »Ich werde Ersatz für Kamal beschaffen. Bis zur Hochzeit ist die Fassade gestrichen und das Gerüst weg, das verspreche ich Ihnen.«
»Na, dann ist es ja gut.« Die Frau nickte ihm zu und verschwand im Eingangsportal. Die anderen Personen bis auf den Malermeister folgten ihr.
»Wohin bringen Sie Kamal?«, erkundigte sich dieser, als der Patient in den Rettungswagen geladen wurde.
»Ins Elisabeth-Krankenhaus an der Rheinpromenade«, erwiderte Dr. Bergen. »Wollen Sie es übernehmen, seine Angehörigen zu benachrichtigen?«
Der Mann nickte. »Ist vor zwei Jahren mit Frau und drei kleinen Kindern aus Syrien geflohen. Nette Leute. Ich werde heute Abend nach Kamal sehen.« Er seufzte schwer. »Ich wollte, diese Hochzeit wurde nicht stattfinden. Die setzt mich jetzt ganz schön unter Druck.«
Die Notärztin wusste, wessen Hochzeit in zwei Wochen im Kloster Wiesenthal gefeiert wurde. Auch sie wünschte, sie würde nicht stattfinden – wenn auch aus einem anderen Grund.
***
Dr. Arianna Aspersen, Chirurgin am Elisabeth-Krankenhaus, schrubbte sich gründlich die Hände und zog dann eine Garnitur steriler OP-Kleidung über. Das Notarztteam hatte einen Mann mit einem Wirbelbruch eingeliefert, und Arianna war zu dessen Operation mit eingeteilt worden.
»Er ist vom Dach gefallen«, teilte Rudolf Benrath ihr mit, der ebenfalls an dem Eingriff teilnahm.
»Gerüst«, korrigierte Kurt Meurer, der Chef der orthopädischen Abteilung, der die Operation leitete. »Hat verdammtes Glück gehabt, dass der Wirbelkörper noch zu retten ist. Der Mann hätte nach seinem Sturz auch querschnittsgelähmt sein können. Packen wir es an, Leute.«
Arianna nahm ihre Position ein. Der Patient war bereits narkotisiert, und Jenny Krottenbaum, die Anästhesistin, gab den Operateuren ein Zeichen, dass sie mit dem Eingriff beginnen konnten.
Ziel der operativen Therapie waren die Frakturreposition und die Stabilisierung des Wirbelkörpers mittels eines Fixateurs interne, eines Knochenspanners, der vom Rücken her eingebracht wurde.
Wie gewohnt arbeitete Arianna mit äußerster Konzentration. Hin und wieder tauschte sie kurze Blicke mit der Anästhesistin und den anderen Kollegen. Alles schien im grünen Bereich zu sein.
Der Eingriff verlief ohne größere Komplikationen. Der Zustand des Patienten war zufriedenstellend. Zwar war es auch zu einer Erschütterung des Rückenmarks gekommen, was kurzfristige neurologische Funktionsstörungen zur Folge haben konnte, doch diese würden sich wieder vollständig zurückbilden.
»Hervorragende Arbeit, Frau Kollegin, Herr Kollege«, lobte Dr. Meurer seine beiden Assistenten. »Ich denke, um unseren Patienten hier brauchen wir uns keine großen Sorgen mehr zu machen.«
Jenny Krottenbaum begleitete den frisch Operierten in den Aufwachraum, wo sie bei ihm bleiben würde, bis er vorschriftsmäßig aus der Narkose erwacht war.
Nach und nach verließen die Chirurgen den Operationssaal. Draußen im Korridor rückte schon das Reinigungsteam an, um den OP für die nächste Operation zu säubern und zu sterilisieren.
Arianna streifte ihre OP-Kleidung ab und steckte sie in den dafür vorgesehenen Behälter. Nachdem sie sich gewaschen und ihre normale Dienstkleidung wieder angezogen hatte, ging sie hinüber in die Notaufnahme. Vielleicht hatte Andrea Zeit für eine Tasse Kaffee.
Arianna war noch nicht lange am Elisabeth-Krankenhaus. Zuvor hatte sie jahrelang an verschiedenen Kliniken im Ausland gearbeitet, hauptsächlich in Afrika und in Asien. Erst vor einigen Jahren war sie nach Deutschland zurückgekehrt und hatte eine Anstellung am Universitätsklinikum in Köln bekommen, wo sie damals auch studiert hatte. Professor Dr. Bernhard Runge, ihr väterlicher Freund, war dort Leiter der Augenklinik.
Gerade sah sie Andrea Bergen auf sich zukommen.
»Hallo, Arianna! Lust auf einen Kaffee?«, fragte die Notärztin in ihrer lebhaften Art.
»Das wollte ich dich auch gerade fragen«, erwiderte Arianna. Sie freute sich, dass Andrea offenbar Zeit hatte.
»Dann lass uns in die Cafeteria rübergehen.« Dr. Bergen nahm sie am Arm. Plaudernd verließen sie die Notaufnahme und saßen wenig später bei Kaffee und Gebäck in der Cafeteria.
»Wie ist die Operation bei Kamal Hakimi verlaufen?«, erkundigte sich Andrea.
»Alles bestens. Dr. Meurer hat wirklich was drauf. Von ihm kann ich im orthopädischen Bereich noch einiges lernen.« Arianna berichtete kurz von den Einzelheiten des Eingriffs.
»Schön, dass der Mann keine bleibenden Schäden zurückbehalten wird«, freute sich Andrea. »Es hätte mir sehr leidgetan, wenn er wegen eines kurzen, unachtsamen Augenblicks sein restliches Leben im Rollstuhl hätte verbringen müssen. Er ist erst vor zwei Jahren mit Frau und drei kleinen Kindern aus Syrien gekommen.«
»Syrien«, sagte Arianna nachdenklich. »Da habe ich auch schon gearbeitet. Aber nicht lange. Es waren schlimme Erfahrungen.«
»Das kann ich mir vorstellen«, meinte Andrea mitfühlend. Sie trank von ihrem Kaffee. »Der Mann scheint sehr tüchtig zu sein. Sein Chef, ein Malermeister, hat sich sehr lobend über ihn ausgesprochen.«
»Dann arbeitet er also in einem Malerbetrieb?«
»Ja. Und weißt du, wo es passiert ist? Im Kloster Wiesenthal.«
»Oh, nein!« Arianna verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Seltsam – warum gerade Kloster Wiesenthal? »Sind sie denn immer noch nicht fertig mit den Fassadenarbeiten?«
»Bei Weitem nicht. Aber ich habe gehört, dass der Malermeister versprochen hat, dass alles pünktlich zur Hochzeit fertig sein wird.«
Arianna atmete auf. »Na, das wollen wir mal hoffen.«
Sie gingen zu anderen Themen über und beendeten darüber ihre Kaffeepause. Anschließend kehrte Andrea wieder zurück in die Notaufnahme, und Arianna ging hinauf in den zweiten Stock zur Chirurgie. Dort erfuhr sie, dass Kamal Hakimi bereits auf die Station gebracht worden war und es ihm gut ging. Da er gerade schlief, wollte sie später nach ihm sehen. Beziehungsweise morgen, denn ihr Dienst war in Kürze zu Ende.
Arianna sah noch nach verschiedenen anderen Patienten, dann verabschiedete sie sich von den Kollegen und ging durch den Park hinüber zum Ärztewohnhaus, wo sie ein Apartment bewohnte.
***
Arianna klappte ihren Laptop auf. Dienstfrei hieß nicht, dass es nichts Dienstliches mehr für sie zu tun gab und sie sich einen angenehmen Abend machen konnte. Oft saß sie noch bis in die Nacht hinein am Schreibtisch, um Berichte aufzuarbeiten oder sich auf die Operationen vorzubereiten, die am nächsten Tag anstanden. Ein Gallengangskarzinom morgen um neun Uhr zum Beispiel oder die gynäkologische diagnostische Bauchspiegelung am Nachmittag.
Ariannas Blick fiel auf das Regal an der Wand. Neben Büchern und verschiedenen Erinnerungsstücken standen dort auch einige Fotografien, die ihr lieb und wert waren, von Menschen, die sie geliebt hatte und die sie nie vergessen würde.
Schmerzliche Erinnerungen brachen über sie herein. Arianna schloss die Augen und holte tief Luft. Warum hatte sie sich ablenken lassen, statt erst ihre Arbeit zu beenden?
Sie stand auf und trat ans Regal. Ihr wurde wieder der Hals eng, als sie den Rahmen mit dem Foto zur Hand nahm, von dem ihr ein strahlendes Brautpaar entgegenlächelte.
»Olaf«, flüsterte sie, und ein schmerzliches Lächeln zog über ihr apartes Gesicht.
Wie glücklich waren sie gewesen, als Olaf und sie geheiratet hatten! Sie hatten sich geliebt, hatten sich ewige Treue geschworen, auch wenn sie zeitweise in verschiedenen Erdteilen gearbeitet hatten. Und wie geschockt war sie gewesen, als ihr Glück ein jähes Ende gefunden hatte.
Ach, Olaf ...
Arianna wischte sich eine Träne weg, die sich aus ihrem Augenwinkel gestohlen hatte. Nie würde sie den furchtbaren Augenblick vergessen, als sie die Nachricht erhalten hatte, dass Olaf, der zu diesem Zeitpunkt als Reporter in Afghanistan gewesen war, ums Leben gekommen war, als in seinem Auto eine Bombe explodiert war. Auch sein britischer Kollege war dabei getötet worden.
Ach, Olaf! Warum nur, warum?
Sie drückte einen Kuss auf das kühle Glas des Fotorahmens und stellte ihn wieder zurück ins Regal. Bald würde hier ein anderes Hochzeitsfoto stehen.
Nein, nicht hier. Nach der Hochzeit würde sie aus dem Ärztewohnhaus ausziehen und in die Wohnung ziehen, die Dennis gemietet hatte. Es war eine schicke Penthousewohnung über den Dächern der Stadt, mit einem schönen Ausblick auf das Rheintal und die gegenüberliegenden Weinberge.
Arianna hatte sich wieder gesetzt, doch ihr Blick ruhte immer noch auf dem Hochzeitsfoto von Olaf und ihr. Sein Tod war ein schwerer Schlag für sie gewesen. Sie hatte immer Angst um ihn gehabt, wenn er an Kriegsschauplätzen in aller Welt unterwegs gewesen war. Dabei hatte sie früher selbst in diesen Ländern als Ärztin gearbeitet. So hatten sie sich auch kennengelernt. Doch das Leben ging weiter. Arianna hatte sich auf ihre Arbeit konzentriert, liebevoll unterstützt von ihrem väterlichen Freund Bernhard Runge.
Ihr Blick wanderte zu dem anderen Foto, das in einem dunklen Holzrahmen neben ihrem Hochzeitsfoto stand. Es zeigte zwei Männer vor einer einmotorigen Cessna, die sich gegenseitig den Arm um die Schultern gelegt hatten. Der Größere mit den dunkelblonden Haaren und dem roten Anorak war ihr Vater, der Untersetzte mit der Brille Bernhard.
Bernhard war der beste Freund ihres Vaters gewesen. Er hatte den Absturz ihrer gemeinsamen Cessna überlebt, bei dem ihr Vater, der am Steuerknüppel gesessen hatte, den Tod gefunden hatte. Warum die Maschine abgestürzt war, konnte nie geklärt werden.
Menschliches Versagen, hatte schließlich der offizielle Bericht gelautet. Dabei war Ariannas Vater ein erfahrener Pilot gewesen. Auch für Bernhard war die Ursache des Absturzes ein Rätsel geblieben. Er hielt es jedoch für möglich, dass ihr Vater Sehprobleme gehabt hatte.
Bernhard war mit dem medizinischen Direktor des Elisabeth-Krankenhauses, Professor Hebestreit, befreundet. Einmal die Woche führte er dort Augenlaser-Behandlungen durch. Da man auf der Chirurgie noch eine tüchtige Fachkraft suchte, hatte Arianna sich von Bernhard überreden lassen, sich zu bewerben. Professor Hebestreit war von ihr sehr angetan gewesen und hatte sie sofort eingestellt.
Bisher hatte es Arianna noch nicht bereut. Sie arbeitete sehr gern am Elisabeth-Krankenhaus und fühlte sich wohl dort. Mit Andrea Bergen, der Notärztin, hatte sie sich spontan angefreundet, und auch mit den anderen Kollegen kam sie gut aus.
Arianna ging in die winzige Küchennische und bereitete sich eine Tasse Tee zu. Sie wollte sich damit gerade wieder an den Schreibtisch setzen, da klingelte das Telefon.
***
Es war Dennis, wie sie auf dem Display sah. Seltsam – warum konnte sie keine Freude darüber empfinden, dass der Mann, den sie in zwei Wochen heiraten würde, anrief? Mit ihren Gedanken war sie noch ganz bei Olaf und ihrem Vater und nicht auf ein längeres Gespräch mit Dennis eingestellt. Denn lang würde es mit Sicherheit wieder werden.
Im Gegensatz zu ihr liebte Dennis ellenlange Telefongespräche. Dann redete er über Gott und die Welt und konnte oft kein Ende finden. Hauptsächlich redete er jedoch über sich selbst und seinen Arbeitsalltag als Pharmareferent bei einem großen Pharmakonzern.
»Hallo, Dennis«, meldete sie sich. Zum Glück schien ihm nicht aufzufallen, dass ihre Stimme nicht gerade Begeisterung verriet.
»Hallo, Arianna! Meine Präsentation unserer neuen Pharmaprodukte ist wieder mal super gut angekommen«, begann er. »Es war ein wenig stressig, aber ungemein befriedigend.«
Auf Ariannas Gesicht erschien ein kleines Lächeln. »Dann freue ich mich für dich, Dennis. Ich denke, das hast du auch verdient, so hart, wie du immer arbeitest.«
»Danke, danke, mein Schatz. Schade, dass du meine stolzgeschwellte Brust nicht sehen kannst.«
Arianna musste lachen. »Ich kann sie mir bildlich vorstellen.«
»In den nächsten Tagen werde ich leider viel unterwegs sein«, plauderte er weiter. »Beratungen und Schulungen über die Anwendung und Zusammensetzung unserer Medikamente abhalten, Fälle von Nebenwirkungen dokumentieren ... Du kennst die ganze Palette.«
Oh ja, Arianna kannte seine Arbeitsabläufe zur Genüge. »Hast du dann überhaupt noch Zeit, mich zu heiraten?«, fragte sie scherzhaft.
Er lachte. »Die nehme ich mir einfach. Du weißt doch, für dich tue ich alles.«
Ariannas Lächeln verflüchtigte sich etwas. Diesen Eindruck hatte sie nicht immer. Dennis war eher ein Mann, der in erster Linie an seinen eigenen Vorteil dachte. Er war ungeheuer ehrgeizig und verfolgte hartnäckig seine Ziele. Und eins seiner Ziele war, sie zu heiraten.
Dennis erging sich weiter in Berichten über seine Arbeit, seine Pläne und Ziele. »Morgen Vormittag habe ich übrigens wieder im Elisabeth-Krankenhaus zu tun«, erwähnte er unter anderem. »Dann können wir zusammen zu Mittag essen, falls du nicht gerade am Operationstisch stehst.«
»Das kommt darauf an, um welche Zeit. Ich habe um neun Uhr eine Gallengangskarzinom-OP. Kann sein, dass es länger dauert als gedacht.«
»Wir werden sehen. Wenn nicht, schaue ich morgen Abend bei dir im Ärztehaus vorbei, bevor ich auf Tour gehe.«
»In Ordnung«, erwiderte Arianna.
»Du bist so schweigsam heute«, stellte er fest. »Bedrückt dich was?«
Arianna wunderte es, dass er es überhaupt bemerkte.