Oculus - Im Auge des Sturms - Wolfgang Hohlbein - E-Book

Oculus - Im Auge des Sturms E-Book

Wolfgang Hohlbein

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Beschreibung

John Sinclair, der berühmte Geisterjäger von Scotland Yard, erwacht nahe einer zerstörten Kleinstadt. Er kann sich nicht daran erinnern, wer er ist oder wie er dorthin kam. Als er die Stadt erkundet, findet er sich plötzlich von alptraumhaften Monstern umringt. In letzter Sekunde wird er von einem fremden Einsatztrupp gerettet. Sie gehören einer geheimen Organisation an, die John Sinclair aus seiner Zeit in die Zukunft geholt hat, damit er ihnen im fast verlorenen Krieg gegen die Monster hilft ...


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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Weymouth, Britannien. Irgendwann

Providence, Rhode Island. 1937

London, England. Morgen

An Bord der Lovecraft. Irgendwann

Botwood, Neufundland. 1937

Nahe London. Morgen

K2, Himalaja. Irgendwann

Holyhead, England. 1937

Nahe London. Morgen

K2, Himalaja. Irgendwann

Front Street, London. 1937

Croyden, nahe London. Morgen

K2, Himalaja. Irgendwann

Ashton Place, London. 1937

Croyden, nahe London. Morgen

K2, Himalaja. Irgendwann

Ashton Place, London. 1937

Croyden Street, auf halbem Wege nach London. Morgen

Über das Buch

John Sinclair, der berühmte Geisterjäger von Scotland Yard, erwacht nahe einer zerstörten Kleinstadt. Er kann sich nicht daran erinnern, wer er ist oder wie er dorthin kam. Als er die Stadt erkundet, findet er sich plötzlich von alptraumhaften Monstern umringt. In letzter Sekunde wird er von einem fremden Einsatztrupp gerettet. Sie gehören einer geheimen Organisation an, die John Sinclair aus seiner Zeit in die Zukunft geholt hat, damit er ihnen im fast verlorenen Krieg gegen die Monster hilft …

Über den Autor

Wolfgang Hohlbein, am 15. August 1953 in Weimar geboren, lebt mit seiner Frau Heike und seinen sechs Kindern, umgeben von einer Schar Katzen, Hunde und anderer Haustiere, in der Nähe von Neuss. Mitte der fünfziger Jahre kam Hohlbeins Familie in den Westen und schlug ihr Domizil in Krefeld auf. In Krefeld absolvierte Wolfgang Hohlbein seine Schule und später eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Zeitweise hielt er sich durch Nebenjobs, wie etwa als Nachtwächter, über Wasser.Wolfgang Hohlbein ist ein Erzähler, es reizt ihn nicht nur die Lust am Fabulieren, sondern auch das freie Spiel mit ungewöhnlichen Ideen und fantastischen Einfällen.

Er ist ein Workaholic, der in der Zeit von Mitternacht bis in die frühen Morgenstunden arbeitet. Sieben Tage in der Woche legt er selbst in seinen seltenen Urlauben kaum den Stift aus der Hand. »So ist das eben, wenn man das große Glück hat, aus seinem Hobby einen Beruf machen zu können«, bemerkt er selbst dazu.

Laut einer Aufstellung in Focus (Nr. 40, November 2006) liegt die Gesamtauflage von Wolfgang Hohlbein bei 35 Millionen Exemplaren. Er ist damit »einer der erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart«. Der Wegbereiter neuer deutscher Phantastik und Fantasy wurde bislang in 34 Sprachen übersetzt. Er hat bereits 160 Romane verfasst, den überwiegenden Teil alleine, etliche Kinder- und Jugendbücher gemeinsam mit seiner Frau Heike und einige wenige Erwachsenenromane mit Co-Autoren.

Zahlreiche Preise und Auszeichnungen hat Wolfgang Hohlbein erhalten. Vom »Preis der Leseratten« 1983 bis zum »Bester Autor National« Deutscher Phantastik-Preis 2004, dem »Sondermann-Preis« auf der Buchmesse 2005 und dem »Nyctalus« im November 2005.

Inzwischen fördert Hohlbein auf verschiedene Weise selbst Nachwuchstalente. Die Nachwuchsförderung liegt ihm besonders am Herzen. »Wer in seiner schreiberischen Karriere am Anfang steht, tut sich oft sehr schwer, einen Verlag zu finden«, weiß Hohlbein aus eigener Erfahrung.

Wolfgang Hohlbein

OCULUS

Im Auge des Sturms

Ein John Sinclair Roman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

»Geisterjäger«, »John Sinclair« und »Geisterjäger John Sinclair« sind eingetragene Marken der Bastei Lübbe AG. Die dazugehörigen Logos unterliegen urheberrechtlichem Schutz. Die Figur John Sinclair ist eine Schöpfung von Jason Dark.

www.john-sinclair.de

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Jan F. Wielpütz, Bergisch GladbachSinclair-Expertise: Florian Hilleberg, GöttingenTitelillustration: © shutterstock/bluecrayolaUmschlaggestaltung: Thomas KrämerE-Book-Produktion: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4026-6

www.bastei-entertainment.dewww.lesejury.de

Weymouth, Britannien. Irgendwann

Einstmals musste es eine wunderschöne Stadt gewesen sein, gelegen in einer malerischen Bucht, deren Topografie ihr selbst vor dem schlimmsten Wüten des Meeres Schutz bot, und auf der anderen Seite von einer ebenso sanften wie dicht bewaldeten Hügelkette vor den Unwettern des Landes geschützt. Man hätte nur die Augen schließen müssen, um das fröhliche Lachen von Kindern zu hören, die in den von Bäumen und schmucken Häusern gesäumten Straßen spielten, die Rufe der Erwachsenen, die über sie wachten, und das Knarren der Schiffsrümpfe, die sich in der Dünung wiegten. Fast meinte man, den Duft von frisch gebackenem Brot und Sommerblumen und Kuchen wahrzunehmen und das Streicheln der warmen Meeresbrise auf dem Gesicht zu spüren. Eine Stadt, in der sich die Menschen beschützt und sicher fühlten und ein glückliches Leben lebten.

Aber das war vorbei. Diese glückliche Stadt gab es nicht mehr.

Die schmucken Häuschen mit den liebevoll gepflegten Vorgärten waren verbrannt und ihre Ruinen niedergewalzt. Die ehedem so sauberen Straßen waren mit schwarzem Schlamm bedeckt, zu dem der letzte Regen die Asche der Gebäude und möglicherweise auch ihrer Bewohner gemacht hatte. Aus dem ölig schimmernden Wasser des Hafens ragten die verkohlten Überreste eines Schiffes wie das Skelett eines gestrandeten Tiefseeungetüms. Das Kinderlachen war verstummt und würde nie wieder die Straßen erfüllen, und die eisige Brise, die das Meer gegen das Land spie, stank nach faulendem Tang und verwesenden Tierkadavern – und nach noch etwas Anderem, für das die menschliche Sprache kein Wort hatte. Die einzigen Spuren einst menschlichen Lebens, die von der Höhe des Hügels aus noch zu sehen waren, bestanden aus einer Anzahl verkohlter und in Stücke gerissener Skelette, die halb im schwarzen Morast versunken waren.

Unter meinen Schuhsohlen knirschte zerbrochenes Glas, als ich den Hügel hinabging; Trümmer, die wie von einer gewaltigen Kraft bis hier heraufgeschleudert worden waren. Obwohl ich sicherlich noch eine halbe Meile von den ersten Häusern entfernt war und über eine Wiese voller saftigem Gras und bunten Wildblumen ging, dünstete der Boden einen Gestank aus, als liefe ich am Rande einer überlaufenden Jauchegrube.

Mein Herz klopfte, und tief in meiner Kehle war der bittere Geschmack der Furcht, der mit jedem Schritt, zu dem ich meine zitternden Knie zwang, noch schlimmer wurde. Instink­tiv hatte ich die Hände längst zu Fäusten geballt.

Ich hatte Schlimmeres gesehen, Verheerung, der ganze Kontinente zum Opfer gefallen waren, Monster, die Welten verschlingen konnten, und Mächte, die sich am Leid der Menschen und den Qualen Unschuldiger labten. Und Dinge, die nicht nur zu schlimm waren, um davon zu berichten, sondern sogar zu schlimm, um sie auch nur zu denken.

Und doch hatte mich selten etwas so erschüttert wie der Anblick dieser verbrannten Stadt.

Allerdings erinnerte ich mich weder daran, wie diese Stadt hieß noch wie ich hierhergekommen war.

Ich erinnerte mich nicht einmal an meinen Namen.

Oder wer ich war.

Diese Erkenntnis hätte mich erschrecken sollen, aber sie hatte allenfalls etwas vage Irritierendes. Vielleicht war der Anblick der verbrannten Stadt einfach zu entsetzlich, um irgendeinen anderen Gedanken zuzulassen; wofür ich in diesem Augenblick allerdings fast dankbar war.

Außerdem – auch wenn es nicht den geringsten Grund für diese Hoffnung gab, aber nichts anderes war es – spürte ich, dass meine Erinnerungen zurückkehren würden. Sie waren da, nicht vergessen, sondern nur verschüttet, vielleicht nur blockiert durch den Schock dessen, was mich hierher gebracht hatte.

Ich war nur nicht sicher, ob ich mich tatsächlich erinnern wollte.

Ein seltsames Geräusch drang an mein Ohr, nicht besonders laut, aber so fremd und unheimlich, dass mir der Gedanke entglitt und ich mich wieder umso mehr auf meine Umgebung konzentrierte, obwohl sie mich zugleich so sehr erschreckte, dass es mich immer mehr Kraft kostete, nicht einfach auf dem Absatz herumzufahren und schreiend davonzulaufen.

Der Laut kam irgendwo aus der Richtung des Durcheinanders aus brandgeschwärzten Trümmern und schwarzem Schlamm, das einmal der Hafen dieser geschändeten Stadt gewesen war. Aber es war seltsam: Je mehr ich mich auf seinen Ursprung zu konzentrieren versuchte, desto weniger wollte es mir gelingen, ihn wirklich zu lokalisieren. Mal schien er vom Hafen zu kommen, mal über das ölige Meer heranzuwehen, dann wieder aus dem verkohlten Herz der Stadt mit den Windböen heranzuschleichen, um mich zu umkreisen und zu verspotten.

Während ich mich mit solcherlei Überlegungen beschäftigte, hatte ich den ehemaligen Stadtrand erreicht, eine nicht ganz klar definierte Linie aus nasser Asche, hinter der aus lebendigem Grün und atmender Erde etwas … Anderes wurde, ein klebriger schwarzer Morast aus verbrannter Erde und verderbtem Leben, das nicht einfach nur ausgelöscht, sondern zu etwas Anderem gemacht worden war, dessen bloßes Dasein etwas tief in mir aufschreien und sich wie einen getretenen Wurm krümmen ließ.

Der Laut wiederholte sich, um eine Nuance erweitert, die mir noch mehr Angst gemacht hätte, hätte ich mir gestattet, ihn wirklich zu hören, aber nun glaubte ich immerhin die Richtung zu erkennen, aus der er kam: Vom Meer und dem, was einmal ein kleiner Hafen gewesen war. Um dorthin zu kommen, würde ich die Stadt durchqueren müssen. Aber sie war nicht sehr groß, und ich hatte ohnehin vorgehabt, sie zu erkunden. Und etwas sagte mir, dass es wichtig war, den Ursprung dieses unheimlichen Geräuschs herauszufinden.

Mein Herz klopfte immer stärker, während ich zwischen den zerstörten Häusern entlangmarschierte. Der grässliche Gestank, den ich schon aus der Entfernung wahrgenommen hatte, hüllte mich mittlerweile zur Gänze ein, tränkte meine Kleider und mein Haar, legte sich als unsichtbarer schmieriger Film auf mein Gesicht und drang in meine Nase, meinen Rachen und die Lungen, wo er mir das Atmen schwer machte. Er war unbeschreiblich ekelhaft. Anfangs hatte ich gedacht, er wäre mit der launischen Brise über das Meer herangeweht, und das stimmte auch, doch je tiefer ich in die verheerte Stadt eindrang, desto klarer wurde mir, dass es auch die Ruinen selbst waren, die diesen fauligen Odem verströmten: jeder zerbrochene Stein, jeder verkohlte Balken und jede geborstene Dachschindel; als hätte sich das – was immer diese Stadt auch heimgesucht hatte – nicht damit zufriedengegeben, sie einfach nur zu zerstören, sondern sie auch mit diesem höllischen Miasma geschändet, um sie für alle Zeiten als nicht mehr zu dieser Welt gehörig zu brandmarken.

Ich zwang mich, meine gesamte Konzentration auf meine Umgebung zu richten. Es konnte nicht schaden, meine momentane Lage mit den Augen eines solchen zu betrachten.

Womit ich auch unverzüglich begann.

Von der Höhe des Hügels aus betrachtet, hatte es ausgesehen, als wäre die Stadt Opfer einer verheerenden Brandkatastrophe geworden, und im Großen und Ganzen stimmte das wohl auch. Aber das war nicht alles. Obwohl mich der Anblick mit einem immer stärker werdenden Unbehagen erfüllte, zwang ich mich, eine der Ruinen genauer in Augenschein zu nehmen, wobei ich es allerdings nicht wagte, die imaginäre Grenze dessen zu überschreiten, was einmal ein liebevoll gepflegter Vorgarten gewesen sein musste, jetzt aber zu einem eitrigen schwarzen Sumpf geworden war, aus dem verbrannte spitze Trümmerstücke ragten wie archaische Kavalleriesperren. Einige von ihnen hatten unangenehme Ähnlichkeit mit zersplitterten menschlichen Knochen. Es war, als warne mich eine lautlose innere Stimme, diese unsichtbare Grenze nicht zu überschreiten, um nicht etwas unsagbar Böses und Gewalttätiges zu wecken, das dahinter lauerte.

Es war nicht meine eigene Fantasie, die Amok lief und alles in ihrer Macht Stehende tat, um mich fertigzumachen. Etwas war hier, das spürte ich ganz deutlich. Etwas, das nicht hier sein sollte, nicht in dieser Stadt, und nicht einmal in dieser Welt.

Nur mit Mühe gelang es mir, mich auf die Ruine zu konzen­trieren.

Es war nicht einmal mehr zu erahnen, wie das Gebäude früher einmal ausgesehen hatte – allerdings sah es nicht so aus, als wäre das Feuer allein für diese Verwüstung verantwortlich. Das Wenige, was von den Mauern noch stand, war wie das Dachgebälk nach außen gedrückt worden und zerborsten, als wäre es von den Faustschlägen eines Riesen getroffen worden, der in dem Haus eingesperrt gewesen war und sich in einem Anfall von Raserei befreit hatte. Das Feuer konnte erst danach ausgebrochen sein – und es war alles gewesen, nur kein normales Feuer. Selbst manche der Steine, die ich sah, waren geschmolzen, und hier und da schien selbst die Asche noch einmal zusätzlich verbrannt zu sein.

Erneut konnte ich mich eines eisigen Fröstelns nicht er­wehren. Diese Ruine war nicht die einzige ihrer Art. Einmal darauf aufmerksam geworden, entdeckte ich dieselbe unheimliche Zerstörung auch an zahlreichen weiteren Gebäuden, eine Verheerung unbeschreiblicher Dimension. Hätte es einen entsprechenden Krater gegeben und wäre ich nicht vor wenigen Minuten noch über saftiges Gras geschritten, ich hätte geschworen, mich am Ground Zero einer Nuklearexplosion zu befinden.

Der sonderbare Laut war inzwischen verstummt, doch ich setzte meine Erkundung fort und ging weiter in Richtung Hafen.

Unter dem klebrigen Schlamm, durch den ich waten musste, knirschten und zerbrachen Dinge, die sich jetzt nicht mehr nach zerborstenem Glas anhörten und von denen ich gar nicht so genau wissen wollte, was sie einmal gewesen waren. Manchmal glaubte ich schattengleiche wabernde Bewegung inmitten des Chaos ringsum zu erkennen, aber sie war auch immer wieder verschwunden, wenn ich genauer hinzusehen versuchte. Schließlich kam ich zu der Überzeugung, dass es sich wohl nur um eine Ausgeburt meines überstrapazierten Nervenkostüms handelte.

Ich verzieh es ihm. Ganz gleich, was immer ich auch in dem Leben gesehen haben mochte, das ich vergessen hatte: Niemand wandert durch die Apokalypse und bleibt davon völlig unberührt. Es war nicht einmal das Ausmaß der Zerstörung. Es war die Absicht, die ich dahinter spürte, die vollkommene Negierung jeglichen Lebens, die darin zum Ausdruck kam. Was ich sah, erschreckte mich nicht nur, es erschütterte meine Menschlichkeit.

Den Hafen zu erreichen dauerte nicht lange, denn die Stadt war nicht besonders groß gewesen, und auch der Hafen im Grunde wenig mehr als ein Anleger, der allerhöchstens einer Handvoll Yachten oder zwei oder drei Fischerbooten Platz geboten hatte. Der mit faulig schillernden Muscheln besetzte Kiel eines solchen Bootes ragte gekentert aus den öligen Fluten, und das einzig andere Schiff war jenes auf der Seite liegende Wrack, das ich schon aus der Entfernung gesehen hatte.

Es musste ein beeindruckender Schoner gewesen sein. Trotz der schrecklichen Wunden, die er davongetragen hatte, war die Eleganz und Kühnheit seiner Linienführung noch immer deutlich zu erkennen. Das Schiff war viel zu groß für den Hafen, nicht nur für den einzelnen Landesteg, der wie eine verbrannte Zunge schräg ins Meer hinabreichte, sondern auch für die Wassertiefe, das bewies allein der Umstand, dass es gekentert auf der Seite lag und nicht gesunken war. Die gesplitterten Stümpfe der beiden Masten wiesen wie die Speere riesiger Pikeniere auf das offene Meer hinaus, bereit, einen ebenso unsichtbaren wie monströsen Angreifer abzuwehren.

Eine einzelne, träge Welle schwappte über die Ufermauer und brach sich mit einem fleischigen Klatschen daran, und ich wich instinktiv ein paar Schritte zurück, um nicht von den ölschillernden Spritzern getroffen zu werden. Eine halbe Sekunde später erwies sich das als gute Idee, denn wo die Tropfen den Boden berührten, zischte es, und grauer, ätzend riechender Dampf stieg auf.

Was immer die Lagune füllte, es war kein Wasser.

Jedenfalls keines, wie ich es kannte.

Ich hielt inne. War da eben eine Bewegung gewesen, irgend­­wo dicht unter der Oberfläche der schwarzen Fluten, wie von etwas Riesigem, sich schlängelnd Windendem, das mich aus unsichtbaren Augen anstarrte und näher kam?

Die Antwort auf diese Frage hätte mir noch sehr viel weniger gefallen, also verzichtete ich vorsichtshalber darauf, mir weiter den Kopf darüber zu zerbrechen, und drehte mich mit einem Ruck weg, und diesmal sah ich die Bewegung ganz deutlich; zwar auch jetzt wieder nur aus den Augenwinkeln, aber zu klar, um sie als bloße Einbildung abzutun. Als hätte sich etwas an mich heranzupirschen versucht und im letzten Moment wieder weggeduckt, um nicht entdeckt zu werden. Aber eben nicht schnell genug.

Das Problem war, dass es in der entsprechenden Richtung absolut nichts gab, was als Versteck hätte herhalten können. Der Hafen war von Ruinen gesäumt, aber zwischen ihnen und dem Wasser lag ein sicherlich zwanzig Schritte messender freier Streifen, der früher einmal als Uferpromenade zum Flanieren eingeladen hatte. Jetzt war er wie von einem Ozean aus Teer von dem allgegenwärtigen schwarzen Morast bedeckt.

Es dauerte noch einen Moment, bis ich es wirklich sah, dann aber dafür umso deutlicher, und begleitet von einer Woge schieren Entsetzens: Der schwarze Morast bewegte sich. Wellen und winzige, schmatzende Eruptionen kräuselten seine Oberfläche und spien Klumpen aus schwarzem Rotz in die Luft, die mit widerlichen Geräuschen auseinanderplatzten, wenn sie zurückfielen. Der Gestank wurde so schlimm, dass mir ernsthaft übel zu werden drohte und sich saurer Speichel unter meiner Zunge sammelte, wodurch alles nur noch schlimmer wurde.

Das Wogen und Zittern nahm weiter zu, und die Wellen wurden größer – sie türmten sich aufeinander und wuchsen immer weiter. Bald bildete sich ein formloser schwarzer Klumpen, der zitternd in die Höhe zu wachsen begann und Schleim triefende Fäden in alle Richtungen abschoss, um noch mehr der unheimlichen Masse aufzusaugen und der seinen hinzuzufügen. Es vergingen wenige Augenblicke, bis das Gebilde eine Höhe von fast zwei Metern erreicht hatte und sich abermals zu verändern begann. Über den lichtschluckenden schwarzen Leib liefen zuckende Wellen, als kämpfe er nach wie vor darum, seine grässliche Ungestalt aufrecht zu halten. Zugleich bildete sich ein Kranz aus peitschenden, mit Saugnäpfen übersäten Tentakeln an seinem oberen Ende – acht an der Zahl, soweit ich das in meiner Aufregung richtig mitbekam –, und sein unteres Drittel teilte sich, wie um zwei plumpe Beine ohne Knie oder Gelenke zu formen. Einen Kopf sah ich nicht, aber dort, wo bei einem Menschen die Brust gewesen wäre, öffnete sich ein schwarzes, faustgroßes Auge über gleich mehreren, von spitzen Zähnen starrenden Mäulern.

Der Anblick war so grotesk und grauenerregend zugleich, dass ich einfach nur wie gelähmt dastand und das Ding anstarrte, während es seine grotesken Beine mit einem wider­lichen Schmatzen aus dem Morast zog.

Vielleicht war es einzig das Gefühl einer neuen Gefahr hinter mir, das mich rettete, denn ich sah alarmiert über die Schulter.

Und schrie gellend auf.

Kaum zwei Schritte hinter mir war ein weiteres dieser kopflosen Ungetüme aufgetaucht. Es war etwas kleiner als das erste (aber immer noch größer als ich), dafür aber deutlich massiger, und es hatte sich bereits aus dem stinkenden Schlamm befreit und waberte und glitt mit erstaunlicher Schnelligkeit auf mich zu.

Wahrscheinlich war es reines Glück, dass ich doch noch im richtigen Moment zurückwich. Zwei der taudicken Tentakel verfehlten ihr Ziel vollkommen, der dritte streifte meinen Hals und hätte sich wie eine Peitschenschnur darum gewickelt, hätte mich nicht ein weiterer Fangarm wie ein Hammerschlag an der Schulter getroffen und herumwirbeln lassen. Die Berührung an meinem Hals war kaum mehr als ein Hauch gewesen, und dennoch explodierte sofort ein so grässlicher Schmerz an der Stelle, der sich einen Sekundenbruchteil später auf meine gesamte linke Gesichtshälfte ausweitete. Es fühlte sich an, als wäre ich mit kochender Säure überschüttet worden. Mit wild rudernden Armen und vor Schmerz keuchend, taumelte ich zurück – geradewegs in die ausgebreiteten Tentakel des zweiten Ungeheuers.

Beinahe jedenfalls.

Ich verschwendete keinen Gedanken daran, wie es dem Ding gelungen sein mochte, sich so schnell loszureißen und hinter mich zu gelangen, sondern warf mich instinktiv zur Seite und tauchte mit einer Rolle buchstäblich um Haaresbreite unter den peitschenden Tentakeln hindurch. Als ich wieder auf die Füße kam, offenbarte sich mir die Lösung des Rätsels, wie das Monster so rasch hinter mich hatte gelangen können: Es gab ein drittes Tentakelmonster. Und ich war nicht einmal mehr wirklich überrascht zu sehen, dass es auch noch ein viertes und fünftes Schlammungeheuer gab und sich weitere genau in diesem Moment triefend aus dem Morast erhoben.

Die gesamte Uferpromenade war zu blubbernder, wabernder schwarzer Bewegung erwacht. Vier, fünf, sechs der Albtraumkreaturen bewegten sich in meine Richtung. Das groteske Äußere und ihre scheinbare Mühe, ihre eigenen Bewegungen zu koordinieren, ließen sie langsamer und schwerfälliger erscheinen, als sie waren.

Doch ich war längst eingekreist. Und in den wenigen Lücken, die es in diesem rasch kleiner werdenden Kreis noch gab, wuchsen bereits weitere Ungeheuer aus dem schwarzen Morast.

Instinktiv griff ich mit der rechten Hand nach meiner Brust, als suchte ich dort nach einem Hilfsmittel, einem Rettungs­anker, einer – Waffe. Doch da war nichts.

Mein Hals und mein Gesicht schmerzten nicht mehr ganz so unerträglich, aber sie brannten immer noch wie Feuer, und dabei hatte mich der Tentakel kaum gestreift. In die Umarmung eine dieser Bestien zu geraten, war zweifellos auf der Stelle tödlich. Wenn ich Glück hatte.

Blitzartig visierte ich eine der wenigen Lücken in der Front der Ungeheuer an, stürmte darauf zu und warf mich dann im letzten Moment zur Seite, als ich wohl eher instinktiv als wirklich bewusst registrierte, wie die Gesamtheit der Monster auf meinen Fluchtversuch reagierte und die Lücke zu schließen begann. Irgendwie gelang es mir, die lebendige Schlinge auf anderem Wege zu durchbrechen und weder verbrannt noch in Stücke gerissen zu werden. Lediglich ein einzelner Tentakel streifte meinen gekrümmten Rücken. Ich spürte keinen Schmerz, aber die schiere Wucht brachte mich aus dem Gleichgewicht und warf mich auf ein Knie, und der Geruch nach verbranntem Stoff mischte sich in den allgemeinen Gestank. Hinter mir wuselte die ganze Meute herum und setzte Tentakel schwingend und blubbernd zur Verfolgung an, und wirklich unangenehm nahe vor mir wuchs gerade ein weiteres schwarzes Ungetüm aus dem Boden. Noch war es nicht so weit, sich losreißen zu können, aber in einer oder zwei Sekunden schon.

So lange wartete ich nicht, sondern sprang auf und raste im Zickzack zwischen den brodelnden Ungetümen hindurch. Schon nach den ersten Schritten wurde mir klar, dass die Albtraumkreaturen tatsächlich kaum schneller waren als ein zügig ausschreitender Mensch. Kein Problem, ihnen davonzulaufen – wenn es nur nicht so viele gewesen wären. Ich wich zwei, drei weiteren Kreaturen aus und wäre um ein Haar in eine vierte hineingerannt, die sich deutlich schneller als die anderen und so unmittelbar vor mir aus dem Morast formte, als hätte sie gewusst, wohin ich laufen würde.

Ich wich auch diesem halbgeborenen Monster aus, regis­trierte eine weitere Bewegung aus den Augenwinkeln und begriff vielleicht zu spät, dass ich mich selbst in eine Falle hineinmanövriert hatte. Aus zwei Richtungen näherten sich mindestens ein Dutzend Tentakel schwingender Monster, hinter mir erhoben sich die verbrannten Ruinen, und in der einzigen noch verbliebenen Richtung lag das ölig schimmernde Wasser der Lagune, in dem etwas womöglich noch viel Schlimmeres lauerte.

Ich fuhr auf dem Absatz herum und stürmte auf eines der niedergebrannten Häuser zu. Natürlich war es ein Fehler. Ich wusste es, noch bevor ich auch nur den ersten Schritt getan hatte, aber ich hatte lediglich die Wahl zwischen dem sicheren Tod und einer aberwitzig kleinen Chance. Hinter mir erhob sich der unheimliche Laut, der mich letztendlich erst hergelockt hatte, zu einem kreischenden, quiekenden und pfeifenden Chor, und als ich im Laufen über die Schulter zurücksah, erkannte ich, dass die vermeintlich imaginäre Grenze zwischen den Trümmern des Hauses und der Straße möglicherweise gar nicht so imaginär war, denn nicht eines der Monster wagte es, sie zu überschreiten. Ihre Tentakel peitschten ebenso wütend wie gierig in meine Richtung, aber nicht ein einziges näherte sich mir auf mehr als fünf Schritte.

Vielleicht hinderte sie die Angst vor dem zerstörten Haus daran, mir zu folgen.

Ich hatte den Gedanken noch nicht ganz gedacht, da begannen sich die verkohlten Trümmer zu bewegen. Schutt und verbrannte Balken rutschten zur Seite, und etwas ungemein Großes und Pechschwarzes begann sich in die Höhe zu arbeiten.

Im ersten Moment dachte ich, einem weiteren Schlammmonster gegenüberzustehen. Es gab eine gewisse Ähnlichkeit in Form und Größe, doch das Wesen vor mir war weitaus perfekter ausgebildet, irgendwie … realer, soweit man das bei einem Geschöpf sagen konnte, das eigentlich gar nicht existieren durfte. Waren die Ungeheuer hinter mir nur die bloße Idee einer Kreatur aus der Hölle, so erhob sich nun vor mir das, wozu sie vielleicht irgendwann einmal werden würden.

Diese Kreatur war größer, um ein Vielfaches kräftiger und agiler und auch schneller, das konnte ich ihr ansehen, obwohl sie sich kaum bewegte, und ihre Haut kämpfte auch nicht ununterbrochen gegen die Auflösung, sondern sah eher aus wie uraltes schwarzes Leder. Ihre Tentakel waren länger und so dick wie mein Handgelenk, und aus jedem der zahllosen runden Saugnäpfe, mit denen sie nur so übersät waren, wuchs ein winziger gebogener Papageienschnabel, der aussah, als könnte er Eisen schneiden.

Das Allerschlimmste aber war das Auge. Es war ebenso schwarz und riesig wie das der anderen Monster und starrte mich mit derselben Mischung aus Gier und reiner Bosheit an. Doch darunter war noch etwas viel Schlimmeres, eine heim­tückische, verschlagene Schläue und eine Intelligenz, die der eines Menschen in nichts nachstanden. Ich war Geschöpfen begegnet, die wortwörtlich in der Hölle zu Hause waren, und doch war ich sicher, dass selbst sie vor dem zurückgeschreckt wären, was ich in diesem einzelnen, starrenden Auge las.

Der Verzweiflung nahe, wich ich so weit vor dem Ungetüm zurück, wie ich es gerade noch konnte, ohne wirklich in Reichweite des Waldes aus peitschenden Tentakeln hinter mir zu geraten, während sich das Ungetüm langsam zu seiner vollen Größe von weit über zwei Metern aufrichtete. Es bewegte sich immer noch fast behäbig, aber ich hatte das unbehagliche Gefühl, dass das nicht daran lag, dass es nicht schneller konnte, sondern vielmehr daran, dass es sich seiner Beute vollkommen sicher war.

Und das vermutlich zu Recht, denn ich saß in der Falle.

Rechts und links von mir befanden sich weitere, ausgebrannte Ruinen, aber mir war plötzlich klar, dass es sich in Wahrheit wohl eher um Nester handelte, schwarze Abgründe in der Wirklichkeit, in denen das Grauen lauerte. Wozu sollte die Bestie sich beeilen? Ich konnte ihr nicht entkommen.

Aber ich würde auch ganz bestimmt nicht aufgeben.

Rasch bückte ich mich nach einer verkohlten Dachlatte, brach sie über dem Knie entzwei und gelangte so in den Besitz zweier formidabler Knüppel. Mit dem einen schlug ich nach dem oberen Ende des Monsters, während ich mit dem gesplitterten Ende des anderen nach seinem Auge stieß.

Es war fast zu leicht. Ich hatte nicht wirklich mit einem Erfolg gerechnet, sondern diesen ersten Angriff eher als Test betrachtet, um die Schnelligkeit und Stärke des Ungeheuers zu prüfen, aber das Ding versuchte nicht einmal, meiner doppelten Attacke auszuweichen. Der Knüppel schlug mit einem sonderbar weichen Geräusch auf die leere Stelle zwischen seinen Schultern und ließ die schwarze Lederhaut aufplatzen, wobei er mir gleichzeitig aus der Hand geprellt wurde. Das gesplitterte Ende meiner zweiten Waffe bohrte sich fast ohne fühlbaren Widerstand tief in das glotzende Auge und löschte es aus. Schwarzes Blut und Schleim spritzten, und das Ungeheuer stieß einen schrillen, trällernden Pfiff aus und fiel mit wild peitschenden Tentakeln auf die Seite. Zugleich legte sich ein großer Schatten über mich und einen Großteil der Straße, als glitte etwas von immenser Größe über den Himmel, aber ich wagte es nicht, auch nur einen einzigen Blick nach oben zu werfen, sondern behielt meinen vermeintlich geschlagenen Gegner aufmerksam weiter im Auge.

Wie sich zeigte, zu Recht. Das Ungeheuer schrie und tobte noch einen weiteren Moment mit wild peitschenden Fangarmen am Boden umher, hörte aber auch schon wieder damit auf und wälzte sich schwerfällig auf die Seite. Der schwarze Blutstrom aus dem ausgestochenen Auge versiegte, und das Fleisch brodelte und kochte wie geschmolzenes schwarzes Wachs … und formte sich neu!

Noch war das Auge trüb und starrte nur in blindem Hass in die ungefähre Richtung, in der es mich vermutete, aber die tiefe Wunde zwischen seinen Schultern hatte sich bereits wieder geschlossen und war so spurlos verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Und auch das gepeinigte Zucken der hin und her peitschenden Tentakel beruhigte sich zusehends. Nur noch wenige Momente, und die Bestie würde wieder vollkommen unversehrt vor mir stehen.

Zudem registrierte ich nun auch in den Nestern rechts und links von mir unruhig-tastende Bewegung, als hätten ihre Bewohner auf den Schmerz ihres Bruders reagiert und machten sich nun bereit, ihn zu rächen.

Zeit, von hier zu verschwinden.

Ich ergriff meinen verbliebenen Knüppel fester, setzte mit einem beherzten Sprung über die gestürzte Monstrosität hinweg und ließ mir die Gelegenheit natürlich auch nicht entgehen, ihr noch einen weiteren, kräftigen Hieb zu versetzen, der sie erneut zu Boden schleuderte. Dann war ich vorbei und konzentrierte mich allein darauf, auf dem unebenen Grund nicht das Gleichgewicht zu verlieren oder mich an einem spitzen Trümmerstück selbst aufzuspießen. Der logische Teil meines Denkens, der sich bisher vornehm zurückgehalten hatte, meldete sich mit der Frage, woher ich eigentlich die Überzeugung nahm, dass nur ein einziges dieser Ungeheuer zwischen den Trümmern hauste, und ich stürmte nur noch schneller und wäre prompt um ein Haar in ein jäh aufklaffendes Loch im Boden gestürzt, unter dem sich wohl das ehemalige Keller­geschoss befand.

Etwas bewegte sich dort unten, etwas Großes und Schlängelndes, aber ich verschwendete keinen Sekundenbruchteil damit nachzusehen, sondern sprang über den kaum hüfthohen Rest der rückwärtigen Mauer und gestattete mir ein Gefühl vorsichtiger Erleichterung, als eine weitere, mit schwarzem Schlamm bedeckte Straße vor mir auftauchte. Hinter mir schwoll der Chor aus wütenden und enttäuschten Pfiffen und Trällern noch weiter an, und nun hörte ich auch noch einen anderen Laut, ein an- und abschwellendes, vibrierendes Brummen, das tief genug war, um in den Zähnen zu schmerzen.

Ich riskierte einen Blick über die Schulter zurück und schöpfte einmal mehr vorsichtige Hoffnung. Auch das Ungeheuer, das ich niedergestochen hatte, war bereits wieder auf den Füßen und glitt und waberte hinter mir her. Es war tatsächlich schneller als die anderen Kreaturen, die noch immer eine Wand aus wütend peitschenden Fangarmen und schnappenden Mäulern hinter ihm bildeten, aber trotzdem nicht einmal annähernd so schnell wie ein rennender Mensch. Ihm zu entkommen war kein Problem.

Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall, und in diesem Moment sogar wortwörtlich. Mein Fuß verfing sich an einem Hindernis, das unter dem schwarzen Morast verborgen war, und ich schlug der Länge nach hin und landete nicht nur mit dem Gesicht in der stinkenden Pampe, sondern verspürte auch einen neuerlichen und noch eisigeren Schrecken, als ich die halb geschmolzene, gut handlange Glasscherbe sah, die keine zehn Zentimeter neben meinem Gesicht aus dem Morast ragte. Das Pfeifen hinter mir klang jetzt eindeutig triumphierend, und es war schon bedrohlich nahe.

Sogar noch näher, als ich ohnehin gefürchtet hatte, denn als ich mich hastig auf die Ellbogen stemmte und umblickte, rag­­te das Ungeheuer direkt über mir auf. Einer seiner peitschenden Tentakel zuckte in meine Richtung, und ich erkannte einen Unterschied zu den Monstern, mit denen ich es zuerst zu tun gehabt hatte: Am Ende dieses Tentakels befand sich ein rasiermesserscharfer, mit bösartigen Widerhaken besetzter Dorn.

Ich riss den Arm schützend vor das Gesicht und schaffte es irgendwie, die lebendige Peitsche zur Seite zu schlagen, aber prompt wickelte sich ein zweiter Tentakel um meinen Unterarm und zog sich blitzartig zusammen. Es tat weh – vorsichtig ausgedrückt –, und der Stoff meiner Jacke begann zischend zu qualmen. Eine Unzahl winziger scharfer Messerklingen machte sich augenblicklich daran, sich durch meine Jacke zu wühlen; und danach mit Sicherheit durch meinen Arm.

Ich versuchte mich loszureißen, erreichte damit aber nur, dass sich die lebendige Schlinge noch fester zusammenzog und schlug ein zweites Mal schwer auf den Rücken. Mein Arm knackte, als wollte er wie ein trockener Ast einfach zerbrechen, und weitere Tentakel wickelten sich blitzartig um meine Beine und versuchten, mich zu der tobenden Bestie zu zerren. Instinktiv griff ich mit meiner einzigen freien Hand um mich und keuchte vor Schmerz, als ich jene scharfkantige Glasscherbe zu fassen bekam, an der ich mich eben fast aufgespießt hätte.

Statt loszulassen, packte ich fester zu, brach sie mit einem Keuchen ab und schlug aus derselben Bewegung heraus nach dem Tentakel, der meinen anderen Arm fesselte. Schwarzes Blut spritzte, und das abgetrennte Ende des Fangarms zog sich noch einmal fester zusammen, sodass ich nun endgültig das Gefühl hatte, mit dem Arm in eine Schrottpresse geraten zu sein.

Ich ignorierte den neuerlichen Schmerz – zum Jammern war später noch Zeit genug, wenn es denn ein Später für mich gab – und durchtrennte mit meiner Glasklinge rasch auch noch die anderen Tentakel, woraufhin die riesige Kreatur ein gepeinigtes Pfeifen hören ließ und mit wild peitschenden Glied­maßen zurück prallte, während sie mich mit stinkendem schwarzen Blut besudelte und mit den verbliebenen Tentakeln nach mir hieb. Den meisten konnte ich ausweichen, aber einer traf mich wie ein Hammerschlag an der Schulter und warf mich auf die Knie. Der Dorn eines zweiten schlitzte meine Jacke auf und hinterließ eine höllisch brennende Spur auf der Haut darunter. Ich revanchierte mich, indem ich dem Wesen die Glasscherbe in das gerade erst wieder entstandene Auge rammte, woraufhin es kreischend nach hinten kippte und auf dem Boden liegend einen regelrechten Tobsuchtsanfall bekam. Aber ich registrierte auch zu meinem nicht geringen Entsetzen, dass die abgetrennten Tentakel schon wieder nachwuchsen, und auch das schwarze Zyklopenauge würde sich wohl in spätestens einer Minute wieder öffnen und nach dem frechen Winzling Ausschau halten, der die Dreistigkeit besessen hatte, ihm dermaßen wehzutun.

Aber in einer Minute kann man weit laufen, vor allem, wenn sämtliche Dämonen der Hölle hinter einem her sind.

Ohne meine mit Blut und stinkendem schwarzen Schleim besudelte Scherbe loszulassen sprang ich auf, raste los und brachte sogar das Kunststück fertig, die Straße zu erreichen, ohne noch einmal zu stürzen.

Die Frage war, ob mich das retten würde, denn die Straße war nicht mehr leer. Überall in dem schwarzen Morast brodelte und zitterte und wogte es. Noch hatte sich keines der Tentakelmonster wirklich ausgebildet, aber ich meinte an hunderten Stellen zitternde und schlängelnde Bewegung wahrzunehmen, und hier und da entstanden auch schon wieder winzige brodelnde Schlammgeysire, und es schienen mehr zu werden, je näher sie mir waren. Konnte es sein, dass diese unheimliche Masse auf meine Nähe reagierte?

Ich lief langsamer und ging schließlich das Risiko ein stehen zu bleiben, um meine Beobachtung zu verifizieren. Tatsächlich nahm das zitternde Erwachen und Beben ab, je größer die Entfernung wurde, während es in meiner unmittelbaren Nähe umso schneller war. Ich musste hier raus. Aus dieser Straße und am besten aus der ganzen Stadt, und das so rasch wie möglich.

Den immer größer werdenden Ansammlungen der schwarzen Höllenmaterie ausweichend, lief ich den Weg zurück, den ich gerade gekommen war. Vorhin war die Stadt buchstäblich tot gewesen, jetzt gewahrte ich überall beginnende Bewegung, ein beständiges Zittern und Tasten und Erwachen, das noch nicht wirklich bedrohlich war, aber zunahm. Ich sollte mich besser beeilen.

Wie um mich in dieser Überlegung noch zu bestärken erscholl hinter mir ein schrilles, trällerndes Pfeifen. Die Straße war leer, als ich einen raschen Blick über die Schulter zurückwarf, doch der Ruf wurde erwidert, und ich konnte regelrecht spüren, wie etwas Düsteres und Uraltes rings um mich herum zu erwachen begann – etwas, das tausendmal gefährlicher war als das Monster, dem ich gerade mit Mühe und Not entkommen war.

Durch die Verwüstung und das allgegenwärtige Schwarz sah hier alles irgendwie gleich aus, sodass ich schon längst die Orientierung verloren hatte. Ich richtete mich einfach nach dem Hügel, den ich vorhin herabgekommen war. Sehr viel, was mir den Blick verstellen konnte, gab es hier nicht mehr. Noch eine oder zwei Querstraßen, schätzte ich, und ich hatte es geschafft.

Mein Optimismus hielt sogar noch vor, als ich die nächste Biegung der schwarz besudelten Straße hinter mir hatte, dann lag die vermutlich allerletzte Abzweigung vor mir, und ich blieb wie vom Donner gerührt stehen. Mindestens ein Dutzend Tentakelmonster blockierten die Straße auf ganzer Breite. Und sie standen nicht einfach nur so da. Sie alle starrten mich an, und das war kein Zufall.

Sie hatten auf mich gewartet.

Aus purem Selbstschutz – und um nicht gänzlich in Hysterie zu verfallen – redete ich mir ein, dass ich mich zu wichtig nahm und einfach nur Pech gehabt hatte, aber was ich sah, behauptete das genaue Gegenteil. Die Ungeheuer standen wie eine Reihe höllischer Trauerweiden mit sanft hin und her wiegenden Tentakeln da und starrten mich aus ihren schrecklich Zyklopenaugen an, und hätte ich auch nur den geringsten Zweifel daran gehabt, dass ich hier in eine gut vorbereitete Falle getappt war, hätte er sich spätestens in dem Moment erledigt, in dem ich über die Schulter zurücksah und auch dort ein Dutzend tentakelpeitschende Gestalten erblickte, die einen Moment zuvor noch nicht da gewesen waren – zusammen mit einem guten alten Bekannten: Es war ganz eindeutig dasselbe schwarze Ungeheuer, dem ich mit Mühe und Not entkommen war. Ich erkannte es ohne jeden Zweifel. Etliche seiner Fangarme waren dünner und kürzer, als ich sie in Erinnerung hatte, und die knöchernen Dornen an ihren Enden glichen eher dünnen Nadeln. Das Auge blinzelte ununterbrochen und weinte schwarze Tränen, und ich bildete mir ein, die Raserei zu sehen, die hinter diesem gnadenlosen Blick wütete. Dieses Ding war nicht einfach nur ein Raubtier auf der Jagd nach Beute. Was ich in seinem Auge las, das war blanker Hass. Ich hatte es verletzt, und es war gekommen, um mich dafür zu bestrafen.

Und vermutlich würde es sein Ziel auch erreichen, dachte ich schaudernd. Aber ich würde es ihm nicht leicht machen und mein Leben so teuer verkaufen, dass es noch lange an diesen Tag zurückdenken würde. Als es sich pfeifend und wankend in Bewegung setzte, suchte ich nach festem Stand, drehte mich seitlich und ergriff meine Glasscherbe mit beiden Händen.

Wie es aussah, hatte ich dem Ungetüm doch zumindest einen gewissen Respekt eingeflößt, denn es wankte zwar noch ein kleines Stück auf mich zu, hielt dann aber an und wackelte einen Moment lang unschlüssig hin und her. Dann drehte es sich blitzartig zur Seite und packte einen seiner kleineren Brüder mit der Hälfte seiner muskulösen Tentakel, während sich die Dornen an den Enden der anderen tief in dessen schwarzes Fleisch senkten.

Das gefangene Ungeheuer begann schrill zu pfeifen und mit den eigenen Tentakeln auf seinen größeren Bruder einzuschlagen, doch seine Bewegungen und Rufe wurden auch rasch schwächer, und ich beobachtete etwas ganz und gar Grässliches: Das gefangene Monster begann zu schrumpfen. Sein Körper wurde kleiner und schmaler und schien den inneren Halt zu verlieren, die Tentakel verdorrten und zogen sich verschrumpelt in den zerschmelzenden Leib zurück. Und im gleichen Maße begann das andere Ungeheuer anzuschwellen und zu regenerieren. Sein Körper war jetzt größer und massiger, die Tentakel wieder so dick und kraftvoll wie am Anfang und seine Bewegungen fließend und eindeutig schneller. Als es von seinem Opfer abließ, hatte dieses ein Drittel seiner Körpermasse verloren und zerfloss auf dem Boden endgültig zu körnigem schwarzen Brei. Die nun vollständig wiedererstarkte Kreatur, stieß ein triumphierendes Trällern aus und fuhr mit peitschenden Tentakeln erneut zu mir herum – und explodierte.

Etwas, das wie geschmolzenes Silber blitzte und viel zu schnell war, um es mit Blicken zu erfassen, raste so dicht an mir vorbei, dass ich einen scharfen Luftzug spürte. Es schlug mit einem nachhallenden nassen Klatschen in den schwarzen Leib der Kreatur und brach in einer Explosion aus Schleim und brodelnden Fleischfetzen aus seinem Rücken wieder hervor, um auch noch ein zweites Monster zu treffen und nahezu in zwei Hälften zu schneiden, und noch bevor der zischelnde Todesschrei der Kreatur ganz verklungen war jagten zwei weitere silberne Blitze an mir vorbei und rissen die nächste Kreatur in Stücke.

»Laufen Sie!«, brüllte eine Stimme hinter mir. »Schnell!«

Die Worte gingen fast in dem ohrenbetäubenden Chor aus schrillen Pfiffen und kreischenden Schreien unter, der im gleichen Sekundenbruchteil losbrach, in dem die übrig gebliebenen Tentakelmonster aus ihrer Schockstarre erwachten und sich alle zusammen auf mich stürzten.

Etwas blitzte, und der dumpfe Donner einer viel zu nahen Explosion rollte über mich hinweg und hätte mich um ein Haar aus dem Gleichgewicht gebracht, riss mich aber auch im letzten Moment wieder in die Wirklichkeit zurück, sodass ich auf dem Absatz herumfahren und wie von Furien gehetzt davonjagen konnte.

Unangenehmerweise warteten dieselben Furien auch nur ein paar Schritte vor mir, und obwohl ich nicht richtig hinsah, erkannte ich trotzdem, dass auch die verbrannten Ruinen beiderseits der Straße zu peitschendem Leben erwacht waren. Aber ich rannte trotzdem weiter und versuchte eine Lücke in dem lebendigen Wald vor mir zu entdecken, und ich war gerade so weit mir einzugestehen, dass es keine gab, als es erneut silbern aufblitzte. Zwei, drei, vier Tentakelmonster wurden einfach in Stücke gerissen, sodass sich eine Bresche in der gerade noch undurchdringlichen Wand vor mir auftat. Ohne auch nur darüber nachzudenken, rannte ich hindurch, entging mit einem Hechtsprung einem Tentakelhieb und kam mit einer Rolle wieder auf die Füße, nur um mich sofort einem weiteren Schlammmonster gegenüberzusehen, diesmal einem der besonders großen, unangenehmen Sorte, die in den verbrannten Ruinen hausten.

Ein Schuss fiel, und nur ein Stück unter dem glotzenden Zyklopenauge erschien ein faustgroßes Loch in der blubbernden schwarzen Masse, das sich aber auch beinahe sofort wieder schloss. Die Verletzung hielt das Ungetüm auch keineswegs auf, sondern schien es eher noch wütender zu machen. Ein zweiter und dritter Schuss stanzten weitere vollkommen wirkungslose Löcher in das schwarze Fleisch der Bestie, dann jagte etwas Silbernes und rasend Schnelles heran und riss sie zwar nicht in Stücke, rasierte ihr aber gut die Hälfte ihrer Tentakel ab und ließ sie mit einem gepeinigten Pfeifen zurückprallen.

»Verdammt noch mal, lauf, du Idiot!«, erklang die Stimme erneut, auch jetzt wieder überlagert vom Krachen einer weiteren Explosion, die diesmal wohl deutlich näher stattgefunden haben musste, denn ich sah nicht nur einen grellen Lichtblitz in den Augenwinkeln, sondern spürte auch eine Woge intensiver Hitze auf dem Gesicht. Ich taumelte trotzdem weiter, glaubte einen Schatten zu erkennen, der irgendwie anders war als die wild peitschenden Monster und verwettete mein Leben darauf, nicht nur einer verzweifelten Hoffnung aufgesessen zu sein. Rings um mich herum tobte das reine Chaos. Überall zerbarsten Tentakelmonster, nur um praktisch sofort von neuen Ungeheuern ersetzt zu werden, die sich aus dem schwarzen Schlamm erhoben. Die Luft vibrierte vom Kreischen und Pfeifen der sterbenden Ungeheuer und dem Krachen der immer schneller aufeinanderfolgenden Explosionen, und auch das tiefe Brummen und der Schatten waren wieder da.

Ohne in meinem verzweifelten Zickzackspurt innezuhalten, sah ich nun doch in den Himmel hinauf, erblickte dort etwas, das viel zu bizarr und einfach zu groß war, um existieren zu dürfen, und versuchte erst gar nicht, es zu begreifen, sondern rannte nur noch schneller. Vor mir explodierten weitere Monster in stiebenden Wolken aus schwarzem Blut und Schleim, aber da waren noch andere Gestalten, schlanker und deutlich agiler und schneller, die in stroboskopisch abgehackt wirkenden Bewegungen zwischen den Bestien hin und her sprangen und Feuer und silbernen Tod in alle Richtungen verteilten. Der Schatten glitt erneut über die Straße, kehrte zurück und blieb schließlich an Ort und Stelle. Ich sah noch einmal nach oben.

Auch wenn ich immer noch nicht verstand, was ich da eigentlich sah, war der Anblick doch im wahrsten Sinne des Wortes atemberaubend: Ein Koloss von ganz und gar unmöglichen Ausmaßen mit eisengrauen Flanken, der den Himmel verdunkelte und von gewaltigen Motoren angetrieben wurde, jeder einzelne so groß wie ein kleines Kriegsschiff, und gespickt mit Antennen, sonderbaren Aufbauten und Waffen, die grelle Blitze und Feuer auf die Erde herabspien.

Wieder jagte eine ganze Salve silberne Blitze vorbei, traf irgend­etwas hinter mir, das mit einem trällernden Todesschrei starb, und plötzlich wuchs eine weitere, zu meiner Erleichterung eindeutig menschliche Gestalt vor mir auf, packte mich mit einem eisenharten Griff am Arm und zerrte mich so brutal hinter sich her. Noch mehr Gestalten tauchten ringsum auf, ganz eindeutig Menschen, und überall war Feuer, peitschten Schüsse und krachten flammende Explosionen – und unter alledem war noch etwas. Etwas Uraltes und unvorstellbar Mächtiges und Böses, das näher kam.

»Kommen Sie hierher! Er ist gleich da! Schnell!«, rief die Stimme, als hätte ihr Besitzer meine Gedanken gelesen, und die Hand, die mich so rücksichtslos weitergezerrt hatte, ergriff mich an der Schulter und stieß mich weiter. Etwas explodierte in meiner direkten Nähe, sodass ich erschrocken die Augen schloss und für eine einzelne, aber entsetzliche Sekunde das Gefühl hatte, Feuer zu atmen.

Ich wurde weitergezerrt, und alles wurde noch chaotischer. Schüsse peitschten in immer schnellerer Folge, das Krachen von Explosionen und Schreie erfüllten die Luft – nicht alle davon stammten von den Schlammungeheuern –, und das Brummen wurde noch einmal lauter und begann nun tatsächlich in meinen Zähnen und im Hinterkopf zu schmerzen. Dann wurde ich an beiden Armen gepackt und in eine Art Geschirr aus knarrendem Leder und Metall gezwängt, das mich weit genug einschnürte, um mir das Atmen schwer zu machen. Ein Gesicht tauchte vor mir auf, schmal und schweißglänzend und von pechschwarzem Haar eingerahmt, aber es war zu schnell wieder verschwunden, um es wirklich zu erkennen. Etwas glühend Heißes streifte meine Seite und riss ein Stück aus meinem Hosenbein, ohne aber die Haut darunter auch nur anzukratzen, und plötzlich war die Gestalt wieder da, ein dünnes Drahtseil mit einem schweren Karabinerhaken in der Hand, den sie mit einer tausendfach geübten Bewegung an dem Geschirr hinter meinem Rücken einrastete.

Mir blieb endgültig die Luft weg, als das Seil mit einem brutalen Ruck gespannt und ich regelrecht in die Höhe katapultiert wurde. Meine Rippen knackten mit meinen Trommelfellen um die Wette, und es tat so weh, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Ich wurde so schnell nach oben gerissen, als wären die Stadt und der gesamte Planet unter mir in einen Abgrund gestürzt, der ganze Galaxien verschlingen konnte. Binnen einer einzigen Sekunde schrumpfte die Welt unter mir zur Größe einer Modelleisenbahnlandschaft zusammen, dann kam ich mit einem harten Ruck zum Halten, der mir fast das Bewusstsein raubte. Hände griffen nach mir, lösten das Drahtseil und das Geschirr und fingen mich auf, als mich die Kräfte verließen. Der Ohnmacht nahe und mit einem Herz, das sein Allerbestes tat, um meinen Brustkorb von innen he­raus zu sprengen, sank ich auf Hände und Knie und registrierte nur beiläufig, dass ich mich in einer nur schwach erleuchteten rechteckigen Kammer befand und von etlichen aufgeregt durcheinander rufenden Gestalten umgeben war. Erregte Stimmen schwirrten, und ich spürte, dass zumindest ein Teil dieser drängenden Worte mir galten, achtete aber immer noch nicht darauf, sondern kroch zu der rechteckigen Luke zurück, durch die ich hereingezerrt worden war.

Die Stadt lag nun gute hundert Meter unter mir und hatte sich in ein Schlachtfeld verwandelt. Überall brannte es. Explosionen blitzten in ununterbrochener Folge und rissen die verbrannten Trümmer auseinander, und überall waren schwarze Gestalten, die zu kämpfen schienen, manche formlos und mit peitschenden Armen, andere eindeutig menschlich – und dann lenkte etwas meinen Blick auf die Lagune und das schillernde Wasser des Hafens.

Ich hatte mich nicht getäuscht, wobei sich mein Verstand noch weigerte, das als real zu akzeptieren, was ich dort unten sah. Im Wasser war etwas Dunkles und Gigantisches – und es machte sich gerade in diesem Moment daran, die Meeresoberfläche zu durchbrechen.

Eine der winzigen Menschengestalten schoss plötzlich in die Höhe und verschwand aus meinem Sichtfeld, dann eine zweite und dritte, und schließlich begann sich die ganze Stadt unter mir zu drehen und weiter in die Tiefe zu sinken. Eine Gestalt schoss auf mich zu, und ein schwarzer Kampfstiefel verfehlte mein Gesicht so knapp, dass ich den fauligen Schlamm riechen konnte, der daran haftete. Der Besitzer des Stiefels polterte neben mir auf den Boden, und die Stadt drehte sich noch einmal schneller zur Seite und kippte dann gänzlich weg.

Aber nicht schnell genug, um mich nicht noch einen letzten Blick auf den Hafen erhaschen zu lassen, und das gigantische, schlängelnde schwarze Etwas, das aus dem schäumenden Wasser auftauchte und nach oben griff.

Der Boden unter mir begann zu vibrieren, und meine Ohren knackten, als das gewaltige Fahrzeug, in dem ich mich offensichtlich befand, schnell an Höhe gewann. Meine Nase begann zu bluten, und zugleich schob sich eine schwere Metallplatte vor die Öffnung und verriegelte sich mit einem schweren Klacken. Ein heftiger Schlag ließ den Boden erneut erbeben, und ich hörte einen Laut, der mich bis ins Mark erschauern ließ; ein Geräusch wie von diamantharten Krallen, die über Glas oder Metall schrammten. Das Brummen schwoll noch einmal an, und ich spürte, wie sich das riesige Gefährt gegen eine gewaltige Kraft stemmte, die es festzuhalten und wieder in die Tiefe zu reißen versuchte – und dann kam es mit einem Ruck frei.

Ich wurde umher geschleudert. Rote Schlieren tanzten vor meinen Augen, und ich musste all meine Willenskraft aufbieten, um Schlimmeres zu vermeiden, als mir vor Schmerz übel wurde.

Dann ergriff eine Hand meine Schulter und riss mich in die Höhe.

»Was …?«, begann ich.

Die Antwort auf diese Frage musste warten, denn ich wurde weitergestoßen. Mir war noch immer übel, und alles verschwamm vor meinen Augen.

»Später!«, bellte dieselbe Stimme. »Sie müssen aus den Sachen raus und unter die Dusche! Schnell!«

Ich verstand immer weniger, aber darauf nahm mein rabiater Helfer wenig Rücksicht. Fast schon brutal wurde ich weiter durch eine Tür gestoßen, die im letzten Moment zischend vor uns zur Seite glitt, einen kurzen Gang mit Wänden aus grauem Metall entlang und in einen weiteren großen Raum mit blitzend verchromten Wänden und ebensolchem Boden. Eine Woge feuchter Wärme schlug mir entgegen und nahm mir schier den Atem, und ich registrierte fast beiläufig, dass ich mich in einer Art Duschraum befinden musste. Eine zweite, ganz in schwarz gekleidete Gestalt kam hinter uns herein, eilte zu einer der Duschen und drehte sie auf. Ich konnte nicht einmal protestieren, da wurde ich schon von den beiden Männern gepackt und unter den dampfend heißen Strahl geschoben. Noch während ich nach Luft japsend darum kämpfte, die Übelkeit irgendwie im Zaum zu halten, zerrten und schnitten mir die beiden Kerle sämtliche Kleider vom Leib und begannen, mich mit groben Bürsten am ganzen Körper abzuschrubben.

Sie ließen erst von mir ab, als ich ernsthaft glaubte, gleich gehäutet zu werden. Keuchend und mit zitternden Knien sank ich gegen die verchromte Wand, drehte das Gesicht aus dem dampfenden Strahl und investierte sicherlich eine Minute darin, wieder zu Atem zu kommen. Schließlich richtete ich mich mit einem Ächzen auf, trat ganz aus dem heißen Wasserstrahl heraus und fuhr mit beiden Händen durch das Gesicht.

Ich blinzelte ein paarmal, aber es wurde nicht besser. Mein Blick blieb verschwommen, was nicht nur an den dichten Dampf­schwaden lag, die mittlerweile den gesamten Dusch­raum füllten. Die beiden Gestalten blieben unscharfe Schemen, die ich nur mit Mühe als menschlich identifizieren konnte (oder es wenigstens hoffte). Und ich sah, dass sie irgendwie seltsam gekleidet waren, auch wenn ich nicht sagen konnte, was genau mich an dem Anblick irritierte.

Einer der beiden trat an mir vorbei, drehte die Dusche ab und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum, der andere deutete nach rechts.

»Da hinten liegen Handtücher und etwas zum Anziehen«, sagte er. »Trocknen Sie sich ab und überzeugen Sie sich noch einmal davon, dass das Zeug auch wirklich weg ist. Sind Sie verletzt?«

Ich schüttelte den Kopf, und das schien meinem rabiaten Fürsorger zu genügen, denn er ließ sich ohne ein weiteres Wort in die Hocke sinken und begann die Reste meiner zerschnittenen Kleidung aufzusammeln. Genau wie die seines Kameraden waren auch seine Hände zerschunden und mit zahlreichen mehr oder weniger tiefen Wunden übersät, was ihn aber nicht zu stören schien.