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Christen, Moslems, Juden, Buddhisten und Hindus suchen besondere Orte auf. Sie machen sich auf den Weg. Sie pilgern. Das Pilgern ist somit nicht an einen der berühmten christlichen Wallfahrtswege gebunden. Vielmehr ist der Pilger auf Pfaden unterwegs, die ihn zu sich selbst führen. Dabei kommt er dem Ersehnten unter Umständen ein wenig näher. In Norwegisch Lappland liegt der Ort Kautokeino. Kautokeino soll so viel bedeuten wie die Mitte des Weges. Dort gibt es das Nichts, deshalb ist der Autor in Kautokeino. Und das ist es, wonach er immer gesucht hat. Keine Ablenkung, nur das Wesentliche, die Mitte des Weges, Kautokeino. Es sind saisonal begrenzte Versuche, der Fülle zu entgehen, um die Leere zu empfinden. Pilgern bietet die Möglichkeit, sich mit elementaren Fragen wie: Was bleibt am Ende einer Liebe? Was bleibt am Ende eines Lebens? Bin ich gekommen, um zu gehen? oder Wo bin ich zu Hause? auseinanderzusetzen... Ausgabe: zahlreiche Schwarzweiß - Fotos sowie 4 Farbseiten
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Seitenzahl: 66
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Umschlagfoto: Rentiere am Altafjord
Vorwort
Die Anreise
Das Reiseziel, der hohe Norden
1. Am nördlichen Bottnischen Meerbusen
von Kalix über Haparanda bis Tornio
2. In den Wäldern Nordfinnlands
von Rovaniemi über Unari und Inari nach Näätämö
2.a. 1. Pilgerweg
von Unari an die Ufer des Kukasjärvi
2.b. 2. Pilgerweg
auf die Hügel nördlich des Inarisees
3. Nordnorwegen
vom Kosinfjell über Kirkenes, die Varangerhalbinsel, Tana bru, die Nordkynhalbinsel, das Torskefjell, Kval-sund, das Altensfjell bis Kautokeino
3.a. 3. Pilgerweg
ins Innere der Varangerhalbinsel
3.b. 4. Pilgerweg
zur Finnkjrka bei Kj0llefjord
4. In den Wäldern Nordschwedens
von Kiruna, über Jokkmokk, Arvidsjaur bis Swedje
Zusammen mit meinem Hund Struppi habe ich einen Sommer in Lappland verbracht. Wir sind in die Wildnis gewandert. Wir haben magische Orte aufgesucht.
An diesen Plätzen können Menschen das Gefühl haben, Gott sehr nahe zu sein.
Über diese vergessenen, geheimnisvollen Orte, die von samischer Vorgeschichte zeugen, lag mir kein Verzeichnis vor.
Somit blieb mir nichts anderes übrig, als die samischen Bewohner darauf anzusprechen. Ich wollte wissen, ob ihnen Stätten in der Wildnis bekannt sind, an denen ich auf Artefakte stoßen werde. Möglicherweise sind ihnen Feuerstellen, Reste ehemaliger Goahtis oder Opferplätze aus der schamanischen Epoche bekannt.
Christen, Moslems, Juden, Buddhisten und Hindus suchen Stätten ähnlicher Art auf. Sie machen sich auf den Weg. Sie pilgern.
Das Pilgern ist somit nicht an einen der berühmten christlichen Wallfahrtswege, wie den Jakobsweg oder den Pile-grimsleden, gebunden.
Vielmehr ist der Pilger auf Pfaden unterwegs, die ihn zu sich selbst führen. Dabei kommt er dem Göttlichen unter Umständen ein wenig näher.
Und ich, Paganist oder Pantheist, wanderte dorthin, dorthin, wo Menschen sich seit jeher versammelt haben, um ihren Göttern zu opfern. Diese Stätten, dem mythisch Kosmischen verbunden, habe ich gesucht.
Vielleicht wird sich mancher nach dem Lesen dieser kleinen Lektüre die Frage stellen: Was haben all' diese geäußerten Gedanken mit einer Pilgerschaft zu tun?
Pilgern ist für mich kein Event. Pilgern ist der Weg nach Innen. Pilgern ist die große Suche nach dem Großen. Pilgern bedeutet auch, sich auf den Weg zu machen, sich Dinge näher anzusehen, Gedanken zuzulassen, sich in Verzeihung zu üben, sich Bewertungen anderer anzuschauen, ohne diese ebenfalls zu bewerten. Pilgern ist eine Zeit der Kontemplation. Dieser Weg ist voller innerer Barrieren. Die Wege, die ich wählte, führten durch sumpfiges Land, durch Flüsse und über Geröllfelder. Sie waren voller Barrieren. Diese Pilgerschaften waren voll von inneren und äußeren Barrieren. So ist das Leben.
Und Pilgern bedeutet letztendlich den Rückzug aus der Welt der Gier, des bewertet werdens, der Vergleiche, der Lügen und Machenschaften.
Nur in einem solchen Umfeld gelange ich zur Klarheit, mit der ich nach den Wanderungen in die alte Welt zurückkehren werde.
Ich verlasse mein Land. Silbergrün verneigt sich die Gerste zum Abschied.
Die Tage werden immer länger. Gegen 23 Uhr flüstert der gehende Tag mir ein Lebewohl mit einem tiefdunklen Türkis im Westen zu. Es ist an der Zeit, nach Thule zu fahren.
Nördlich des Polarkreises wird es für die vor mir liegenden Wochen kein Dunkel mehr geben.
Wir rasten am Bannetzer Moor. Eine Nachtigall schlägt und pfeift und wimmert.
Als ich am nächsten Morgen gut ausgeschlafen erwache, ist Struppi bereits hellwach. Gebannt sieht er den Kaninchen beim Grasen zu.
Der unaufdringliche Duft ätherischer Öle, die der Gagelstrauch eingelagert hat, verströmt sich beinahe unbemerkt.
Im Traum durchwanderte ich die Nacht:
Es ist Frühlingserwachen. Eine zarte Duftwelle weht mich an, ein Frühblüher, ein Hauch von Schlehe vielleicht. Und während die Nacht beginnt heller zu werden, da kommt mir ein alter Mann entgegen. Sein Gesicht ist von Falten tief zerfurcht, seine Haare sind grau und zottelig.
Ich sehe in sein Gesicht und finde es nicht. Wer ist er? Ich habe ihn nie zuvor gesehen. Er spricht mich an. Phaidros sei sein Name.
Phaidros sagt: "Ich bin nicht der, für den Ihr mich haltet. Ich lasse euch reden. Ich lasse euch ziehen. Mit euch wird die Enge innerer Zwänge vergehen, während mir der Wind der Freiheit entgegenweht."
Das Gefühl, ALLES gehen zu lassen, ALLES zu geben, das ist Freiheit.
Der Traum war gut. Ich fühle mich gestärkt. Der Tag beginnt. Gleich fahre ich los. Wohin genau? Werde ich schon sehen. Mein Ziel ist die Varangerhalbinsel. Bis dort liegen über 3000 Kilometer Fahrweg vor mir.
Kaum ist man über Dänemark ins südschwedische Helsingborg gelangt, stößt man außerhalb der Ortschaft auf Warnhinweise, dass Elche die Fahrbahn kreuzen können.
Die südschwedische Landschaft erinnert an Mecklenburg-Vorpommern. Um Elche zu beobachten, muss man nicht in die entlegenen, einsamen Landschaften Lapplands reisen. In Südschweden soll es bereits Elche geben. Und es gibt sie hier tatsächlich. Heute sah ich einen Elch, der ein Rapsfeld querte und eine Elchkuh mit ihren beiden Kälbern auf einer waldnahen Wiese weiden.
Hoch im Norden werden die Warnhinweise auf kreuzende Rentiere häufiger.
Die kommende Nacht ist kurz. Wir schlafen unter dem freien Himmel auf einem wilden, kurzrasigen Grün, das sich dünn über den von eiszeitlichen Gletschern glattgeschliffenen Granit zieht.
Mein Hund blickt auf die nachtruhige Ostsee. Ich denke, er mag dieses freie, ungeregelte Leben im Draußen.
Um 3:45 Uhr ist es hell. Rotorange durchbricht die Sonne den Nebel. In Senken hält er sich noch bis 5 Uhr. Der frühe Morgen in Sörmland, die Menschen schlafen noch, Elche stehen am Waldrand, Kahlwild zieht in die Wiese, Wildschweine durchwühlen den Acker, 3 Kraniche schreiten dicht daneben an der Furche entlang, ein Fuchs sucht nach Mäusen, das Leben ist großartig.
Über Hudiksvall gelangen wir auf die östlich vorgelagerte Halbinsel Hornslandet. Die Insel Kuggörarna ist durch eine schmale Straße mit der Halbinsel verbunden. Wir genießen Schweden und den Sommer und das Meer.
Während die Frühstückseier im kochenden Wasser auf dem Blechboden des Kochtopfes tanzen, höre ich Chopins Nocturnes, eingespielt von Rubinstein. Dem Klang der sanft angeschlagenen Klaviertasten zu lauschen ist ein wahrer Genuss. Die Nocturne No. 1, Op. 9 in B-flat zum Frühstück, der traurige Gesang des Rotkehlchens verblasst neben dieser Schöpfung. Schwermut und Wehmut sind eben doch nah Verwandte.
Ein historischer Segelkahn fährt aufs Meer, Möwen lachen, die Sonne wärmt, kann ein Tag schöner beginnen?
Ein sonnenleichter Tag hat begonnen. Das Wasser am Strand von Juniskär ist flach und aufgewärmt. Struppi badet, ich auch.
Zwischen Sundsvall und Örnsköldsvik führt die Europastraße 4 durch hügeliges Gelände, und die Ausblicke auf den Bottnischen Meerbusen sind grenzenlos. Die Inseln vor der Küste bleiben ungezählt.
Zwischen Byske und Abyn wird es nicht mehr richtig dunkel. Wir nähern uns dem Land der Nachtsonne.
Mitternacht
morgens um 8 Uhr
von Kalix über Haparanda bis Tornio
Wir haben das nördliche Ende des Bottenviken, des Bottnischen Meerbusens erreicht. Dieser nördliche Meeresbereich liegt im Winter mehrere Monate unter einem Eispanzer, welcher so mächtig ist, dass er sogar von schweren Lastwagen befahren werden kann. Vorgelagerte Inseln werden im Winter direkt angesteuert.
Kalix liegt in Schwedens nördlichster Provinz, in Norrbotten. Diese Provinz ist der schwedische Teil der Nordkalotte. Nach Jämtland ist Norrbotten die am dünnsten besiedelte Provinz Schwedens. Hier leben durchschnittlich 2,4 Menschen pro km2. In Nordrhein-Westfalen wohnen, um diese Zahl besser zu verdeutlichen, durchschnittlich 515 Menschen pro km2.
Heute empfängt uns Kalix sommersonnenwarm. Die Bewohner können mein Erstaunen über dieses sommerliche Wetter nicht nachvollziehen. 'So sind unsere Sommer', bekomme ich zu hören.
Die Länge der Luftlinie zwischen Bad Salzuflen und Kalix beträgt immerhin gute 1.750 Kilometer.
Badefreuden am Kalixälven 1750 Kilometer nördlich von Bad Salzuflen
Das Wasser des Kalixälven kommt aus den Bergen und fließt langsam am Ort vorbei zum Meer. Es ist kalt. Die Lufttemperatur beträgt heute 24°C. Die Menschen lassen sich bei solch sommerlichen Temperaturen nicht abhalten, im Fluss zu baden.