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Großmeister, Eure Eminenz, wir möchten endlich wieder leben! Denkt ihr Heulsusen etwa, ich nicht? Verzeiht, Großmeister, wir vermögen nicht mehr zu denken! Großmeister, wir haben fehl gehandelt, wir hätten das Böse niemals um Beistand bitten dürfen. Genug! Euer elendiges Jammern ist mir zuwider! Bald, bald ist es so weit. Bald kommt Mutter, um uns zu befreien. Aber Großmeister, Eure Eminenz, warum sollte sie das tun? Nach all den Jahren? Wartet es ab! Und jetzt seid still! Ich wünsche den Augenblick auszukosten. Vater wird sicher große Augen machen.
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2025
Cover
Personenliste
Der Fluch der bösen Puppen
Leserseite
Vorschau
Impressum
Die Hauptpersonen des Romans sind
Professor Zamorra deMontagne: der Meister des Übersinnlichen; furchtloser Kämpfer gegen die Ausgeburten der Hölle und Wissenschaftler für parapsychologische Phänomene
Nicole Duval: seine Sekretärin sowie Lebens- und Kampfgefährtin
Gaspard und Anouk Moreau: leben zufrieden und glücklich in Montverdun, ca. dreiundzwanzig Kilometer von Château Montagne entfernt
Sarah (38), Romain (39), Etienne (15) und Simón (17): leben ebenfalls zufrieden und glücklich in Montverdun
Malteser-Joe: Gerard »Malteser-Joe« Fronton, Madame Claires Vermieter, Ex-Fremdenlegionär, entfernter Verwandter der Moreaus
Reynard, Gilbert, Stephane und Danielle: Mitglieder von NOMAC (No-Magic-Corpse – eine Organisation von Dämonenhassern mit mehreren Kommandoebenen), leben seit Kurzem im Headquarter Montagne de la mort, einer Art Kommune, ca. sechs Kilometer Luftlinie östlich von Château Montagne
Taran: Amulettwesen; entstanden als künstliches Bewusstsein, das sich in Merlins Stern bildete und dort lebte. Nachdem Merlins Stern mit dem Flammenschwert fusionierte, ist Taran in das neue und gleichwertige, vom Erzengel Michael geschaffene, Amulett umgezogen.
sowie zwei Überraschungsgäste!
Der Fluch der bösen Puppen
(Teil 1)
von Thilo Schwichtenberg
Großmeister, Eure Eminenz, wir möchten endlich wieder leben.
Denkt ihr Heulsusen etwa, ich nicht?
Genug! Euer elendiges Jammern ist mir zuwider! Bald, bald ist es so weit. Bald kommt Mutter, um uns zu befreien.
Aber Großmeister, Eure Eminenz, warum sollte sie das tun? Nach all den Jahren?
Wartet es ab! Und jetzt seid still! Ich wünsche den Augenblick auszukosten. Vater wird sicher große Augen machen ...
Sie sind gefährlich! Sie sind tödlich! Denn sie dürsten nach Blut: Die Puppen des Bösen!
Frankreich. Montverdun, ca. 23 km von Château Montagne entfernt.
Der kleine Berg erhob sich keck über dem Örtchen Montverdun. Weinreben strebten am Hang zu ihm hinauf. Auf seinem Buckel ruhte die steinerne Priorei seit nunmehr neunhundert Jahren. Ihre roten Dächer glommen satt und träge im Nachmittagslicht.
Etwas unterhalb, am westlichen Ende des Tausendseelenortes, lag das ebenfalls steinerne Häuschen der Moreaus. Bordeauxrot blühende Kletterrosen rankten am Spalier an der Hauswand mittlerweile bis zum Obergeschoss.
Der große Garten musste noch im letzten Jahr sehr gepflegt worden sein. Jetzt aber wuchs das Gras ungehindert gen Himmel. Gänseblümchen brachten weiße Tupfer ins üppige Grün. Zwischen Pfingstrosen und Azaleen schoben sich spitzstachelige Disteln hervor. Inmitten der Zweige des Sommerflieders drängten sich geschwulstartig die Brennnesseln, und auch die Schneebällchen teilten sich ihren Platz mit wildem Mohn und Rispengras.
Die Obstbäume, allen voran der Aprikosenbaum, hatten Triebe angesetzt, die längst hätten entfernt werden müssen, um eine üppige Ernte zu garantieren. So lagen die wenigen Früchte auf dem Boden und faulten. Ein Festmahl für Insekten. Die dürre Fichte hatte der letzte Sturm einer Lanze gleich in den Birnbaum gerammt. Der rosafarbene Stoff der Hollywoodschaukel leuchtete dezent moosgrün, und zwischen der Steinen der Sitzecke drückte sich der Klee hervor. Der verschnörkelte Gartentisch stand unbeugsam, während die zierlichen Stühle längst umgeworfen worden waren. Die Nistkästen beherbergten weiterhin die Nester aus dem letzten Jahr. Trotzdem war das Piepen von Meisen, Rotschwänzchen und Amseln zu hören. Die ehemals akkurat geschnittene Hecke breitete sich nun explosionsartig in alle Richtungen aus ...
Gaspard Moreau seufzte leise. Noch vor einem Jahr war dies sein Reich gewesen. Er hatte nicht nur den Garten zum Blühen gebracht, nein, auch seiner Anouk hatte er jeden Abend einen kleinen Strauß der schönen Pracht auf den runden Tisch im Wohnzimmer gestellt. Und wenn im Sommer die Fenster geöffnet waren, so konnte man nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Duft von draußen oder von drinnen kam.
Vorletztes Jahr hatte er noch Kartoffeln, Gurken und Tomaten angebaut. Hatte Äpfel, Birnen und Aprikosen geerntet.
Vorbei.
Alles vorbei.
Was er nun seit November sah, war das Weiß der Zimmerdecke, die Nachrichten im Fernsehen und seine Anouk.
Immer kleiner wurden die Kreise.
Nunmehr so gut wie ans Bett gefesselt zu sein ... Gaspard schloss die Augen. Nein! Es war ein erfülltes Leben gewesen. Eine weit über sechzigjährige Ehe. Liebe auf den ersten Blick. Keine Kinder, leider, aber eine innige, sehr innige Liebe.
Er drehte den Kopf zum Fenster. Na, wenigstens das wollte ihm noch gelingen.
Da, wo der Regen stetig niederprasselte, hatte sich Moos gebildet, ja selbst aus der Dachrinne des Schuppens drückte es sich mittlerweile heraus. Die Scheiben waren fast matt, von außen ein Gemenge aus Dreck und Algen, von innen aus Staub und Luftfeuchte.
Sein Renault. Er stand noch immer vor der Garage. Etwas ramponiert vom Blech her und der linke, vordere Reifen mittlerweile platt. Am Ende hatte ihn die treue Seele nur noch bis zum Bäcker gefahren.
Ramponiert. Gaspard lachte rau auf. Ramponiert, das war wohl mittlerweile so gut wie alles in diesem Haus.
Bis auf – er unterdrücke das Stimmchen.
Ja doch. Es war nicht mehr zu ändern.
Am Ende blieb die Hoffnung. Vielleicht wurde es ja wieder etwas besser mit ihnen.
Besser?, fragte das Stimmchen, mit dir? Mit Anouk? Gib es zu: Du hast alle Vorzeichen bei euch beiden ignoriert. Jetzt lebe damit. Und habe Angst!
Ein Glas fiel zu Boden und zersprang klirrend.
Gaspards Kopf ruckte herum. Er kniff die Augenlider zusammen und sah durch die geöffnete Tür des Schlafzimmers. Bis in die Küche konnte er nicht schauen. Gaspard räusperte sich:
»Anouk?«
Obwohl die Türen allesamt geöffnet waren, erhielt er keine Antwort.
»Anouk, was ist denn passiert? Anouk, Liebes, so antworte mir doch!«
Stille. Stille im ganzen Haus.
Draußen, weit entfernt, musste ein Traktor über das Feld knattern. Ein Hund bellte leise, und ein dicker schwarzer Brummer klatschte immer wieder gegen die Fensterscheibe.
»Anouk«, flüsterte Gaspard.
Es half alles nichts!
Vorsichtig schob er die Beine in Richtung Bettkante. Dann fielen sie unkontrolliert zu Boden.
Gaspard stöhnte auf und schloss die Augen.
Weiter!, ermutigte er sich. Er griff nach dem Bügel über dem Bett und zog sich in eine sitzende Position.
»Anouk!«, rief er abermals.
Gaspard versuchte sich aus dem Bett zu stemmen. Doch die Beine, sie wollten einfach nicht mehr, sie schienen aus Gummi zu bestehen. Aber war es denn ein Wunder? Nächstes Jahr wurde er neunzig, und Anouk war siebenundachtzig Jahre alt.
Nun, wenigstens saß er jetzt richtig auf der Bettkante.
Er lachte, schüttelte den Kopf. Was früher selbstverständlich war, war nun zum fast unüberwindbaren Hindernis geworden.
Der Rollator stand etwas entfernt. Es ging einfach nicht mehr.
Sollte er es dennoch wagen?
»Anouk«, rief er, »Liebes, so sag doch endlich etwas.«
Nichts.
Abermals versuchte er sich aufzurichten. Vergeblich.
Er rutschte langsam in Richtung Nachttisch. Die Arme zitterten. Gaspard keuchte, verschnaufte kurz und stützte sich mit der linken Hand am Nachtischkasten ab.
Langsam, zitternd, kam er hoch.
Weiter! Weiter!, drängte er sich. Es ist nur ein kleines Stück bis zum Rollator, das musst du doch schaffen!
Drück die Beine durch, sei ein Mann!
Im nächsten Moment kippte er nach vorn, fiel auf die Knie, stieß sich den Kopf, fiel zur Seite und drückte mit dem Rücken den Rollator weg, der in unerreichbare Ferne rollte.
Gaspard lag auf dem Boden und stöhnte benommen.
Diese Schmerzen! In den Knien, in der rechten Hand, am Kopf.
Hatte er sich etwas gebrochen?
Er spürte Wut und Zorn in sich aufsteigen.
»Anouk«, flüsterte er, »Ach, Anouk.«
Unter Schmerzen drehte er sich auf den Bauch. Vorsichtig zog er die Arme an den Körper, versuchte sich aufzustemmen.
Zwecklos! Das waren Messer statt Gelenke. Immer wieder stießen die scharfkantigen Klingen ins Fleisch.
Gaspard keuchte. Vor Anstrengung. Vor Wut. Vor Verzweiflung.
»Gaspard!«, rief plötzlich eine Frauenstimme, »was ist denn hier passiert?«
Gaspard schrie auf. Er versuchte den Kopf zu drehen. »Anouk! Du lebst!«
Trotz der Schmerzen fiel ihm ein Stein vom Herzen.
»Aber warum sollte ich nicht leben?« Anouk war näher gekommen. »Was machst du auf dem Boden? Du sollst doch das Bett nicht verlassen.«
»Ich habe mir Sorgen gemacht.«
»Um wen denn?«
»Um dich, Liebes.«
»Aber warum das?«
Gaspard seufzte innerlich. »Ich habe in der Küche ein Glas zerspringen hören.«
»Ein Glas? Ist es kaputt gegangen? Oh.« Anouk stockte, blieb still. »Oh, ich erinnere mich. Ja, mir ist ein Glas Wasser aus der Hand gefallen. Ich habe es aufgekehrt.«
»Gut, dann ist es gut«, murmelte Gaspard.
»Seltsam«, sagte Anouk mehr zu sich selbst. »Aber ich habe eigentlich keinen Durst.«
Gaspard keuchte, unterdrückte den Schmerz. »Liebes, du wolltest mir ein Glas Wasser bringen.«
Anouk lachte auf. »Aber natürlich wollte ich das. Ich Dummerchen. Ich werde es sogleich nachholen.«
Seine Gemahlin bewegte sich, blieb stehen.
Gaspard hörte sie mehr, als dass er sie sah. Tränen rannen ihm über die Wangen, tropften auf den hellblauen Teppich.
»Aber nun komm doch erst einmal ins Bett. Du sollst dich doch schonen.«
»Ja, ich versuche es ja.«
»Was sind denn das für rote Tropfen auf meinem Teppich?«
Jetzt sah sie Gaspard ebenfalls. Er musste sich am Kopf verletzt haben. Er schluckte, räusperte sich. »Es ist nichts. Bitte, Liebes, öffne das Fenster.«
Anouk tat, wie ihr geheißen.
Mittlerweile hatte Gaspard ein Taschentuch hervorgezogen und sich das Blut von der Stirn gewischt. Er versuchte sich zu drehen, zum Bett zurückzukriechen. Er stellte sich an wie eine Schildkröte, die auf dem Panzer lag.
Wenigstens schien nichts gebrochen.
Er sah Anouks Füße vor sich.
»Aber Gaspard, was machst du denn da auf dem Boden?«
»Es ist nichts. Ich bin gleich wieder im Bett.«
»Ich weiß nicht, mein Rücken. Ich glaube, ich kann dir nicht helfen.«
»Nein, schon gut. Das wird schon.« Doch so richtig kam er nicht vorwärts. Die Knochen taten ihm weh, die Schläfe pochte, das Handgelenk nicht minder.
»Ich muss Hilfe holen«, murmelte Anouk. »Ah. Sie können uns helfen! Sie sind doch unsere Kinder.«
Gaspard spürte, wie er verkrampfte. »Nein, Liebes. Es sind nicht unsere Kinder. Anouk, ich flehe dich an, denk bitte nicht daran.«
Seine Gemahlin lachte auf. »Ich könnte Annkathrin fragen.«
Gaspard, der sich gerade auf das Bett ziehe wollte, erschlaffte. »Nein, bitte nicht.«
»Aber warum denn nicht? Annkathrin hilft dir. Sie ist doch unsere Tochter.«
Gaspard spürte plötzlich Galle im Mund. »Nein. Nein, ist sie nicht.«
Abermals versuchte er sich auf das Bett zu ziehen. Er ignorierte den Schmerz im Handgelenk. Er schob mit den Füßen. Er musste es schaffen!
»Gaspard Moreau! Versündige dich nicht an deiner Tochter. Natürlich hilft sie dir. Das weiß du genau. Ich werde sie jetzt holen.«
»Nein! Liebes, bitte, lass sie in ihrer Vitrine, ich meine, in ihrem gläsernen Zimmer. Schau, schau, ich bin noch stark genug. Ich komme von allein wieder ins Bett zurück.«
Seine Hände verkrampften sich im Laken. Millimeter um Millimeter schob er sich über das Bett. Er versuchte sich auf den Rücken zu drehen. Er schwitzte. Die Sinne schienen ihm zu schwinden. Dann war es geschafft!
»Schau, ich habe es ganz allein hinbekommen.«
Stille breitete sich aus.
»Was hast du allein hinbekommen?«
»Nichts, Liebes, nichts. Bitte hole mir jetzt ein Glas Wasser aus der Küche.«
»Für meinen lieben Mann tue ich doch alles.«
Anouk lachte keck und begab sich in die Küche.
»Gaspard?«
»Ja, Liebes?«
»Was wollte ich denn in der Küche?«
»Mir ein Glas Wasser holen.«
Anouks Lachen drang bis zu ihm ins Schlafzimmer.
»Natürlich. Kommt sofort.«
Gaspard schloss die Augen. Wie hatte alles nur so schnell und vor allem so unschön kommen können?
Das weißt du sehr genau, flüsterte das Stimmchen. Du hast alle Anzeichen unterdrückt, ausgeblendet. Ignoriert. Von dir. Und ganz besonders von Anouk.
Es klopfte an der Haustür, dann wurde sie auch schon geöffnet.
»Bonjour!«, rief Manon im Hausflur.
»Ich bin hier!«, rief Gaspard und dachte verbittert: Wo sollte ich auch sonst sein.
Manon und der Pflegedienst. Ohne ihn wären sie schon längst im Heim. Doch so wurden sie versorgt, pflegetechnisch wie einkaufstechnisch. Eigentlich lief es ja bisher ganz gut.
Du machst dir immer noch keine Gedanken, was aus dem Zimmer wird, wenn ihr weg seid, flüsterte das Stimmchen. Verkaufe endlich an ihn.
Nein, dachte Gaspard, ganz gewiss werde ich unsere Lieblinge nicht an ihn verkaufen.
Die innere Stimme ließ nicht locker.
Er muss nur von eurem Zustand Kenntnis erhalten. Dann ist er da. Und du kannst nichts gegen ihn ausrichten. Verkaufe und du bist alle Sorgen los. Außerdem erhaltet ihr noch ein hübsches Sümmchen für Annehmlichkeiten im Heim.
Die brünette Pflegekraft rauschte ins Zimmer und stockte. »Sie bluten! Sind Sie aus dem Bett gefallen?«
»Mein Mann ist nicht aus dem Bett gefallen.«
Anouk, die ebenfalls ins Zimmer gekommen war, stellte sich schützend vor Gaspards Bett.
Gaspard wischte sich über die Schläfe. »Es ist nichts. Aber wenn Sie ein Pflaster bei der Hand hätten, kann das nicht schaden.«
Die Pflegekraft drückte Anouk beiseite. Sie fuhr das Pflegebett nach oben, beugte sich über Gaspard und betrachtete die Wunde an der Schläfe.
»Sie sind aus dem Bett gefallen«, widerholte sie leise.
»Nein, das ist er nicht. Mein Mann kann nicht mehr aufstehen.«
»Ist gut, Liebes. Du wolltest mir doch ein Glas Wasser holen. Hast du das denn ...«
Gaspard unterbrach sich. Nein, die Vollendung des Satzes brachte er einfach nicht über die Lippen.
Manon öffnete die Schublade des Nachttischkastens und entnahm ihr Jod, Tücher, eine Binde und das Pflaster. Während sie Gaspard verarztete, sagte sie ihm leise aber bestimmt ins Ohr: »Ich verstehe Sie beide. Ja, das tue ich. Sie wollen unabhängig bleiben. Aber das geht so nicht weiter. Ihre Frau kann Sie nicht pflegen. Sehen Sie das endlich ein. Auf Grund Ihrer finanziellen Situation können wir nur zweimal am Tag zu Ihnen kommen. Plus Einkaufen und Reinigung. Das reicht nicht für Ihre Situation. Sehen Sie den Tatsachen ins Auge. Sie müssen ins Heim. Beide.«
»Das geht nicht«, flüsterte Gaspard.
»Gute Frau, was erlauben Sie sich?« Anouk hatte sich ebenfalls zu ihnen gebeugt. Ihre Stimme vibrierte vor Zorn. »Mischen Sie sich nicht in unsere Angelegenheiten ein.«
Manon sah sie kurz an. »Ich sage die Wahrheit.«
»Ich mag Sie nicht«, erwiderte Anouk.
»Das haben Sie in einer Minute schon wieder vergessen.«
»Hört auf. Beide.«
Gaspard konnte die Tränen nicht unterdrücken.
»Sehen Sie, was Sie angerichtet haben. Mein lieber Mann weint.« Anouk drehte sich um. »Ich hole jetzt unsere Tochter.«
Sie verließ das Schlafzimmer.
Gaspard drückte vorsichtig Manons Arm beiseite. »Anouk! Komm bitte wieder zu mir. Bitte!«
»Sie haben keine Tochter«, stellte Manon fest und wickelte die Binde um Gaspards Kopf.
»Anouk glaubt, dass wir eine Tochter haben. Bitte, holen Sie sie zurück, bevor etwas Schlimmes passiert. Sie darf die Vitrine auf keinen Fall öffnen. Ich habe zwar den Schlüssel, aber ...« Gaspard brach ab.
»Der Verband hält. Ich muss jetzt Ihre Pants wechseln.«
Gaspard nahm Manons Hände in die seinigen. Mit Nachdruck sagte er: »Bitte gehen Sie ihr nach. Sie darf unter keinen Umständen die Glasvitrine öffnen!«
»Jetzt beruhigen Sie sich doch. Ihre Frau weiß sowieso nicht, wo der Schlüssel ist.«
Eine Scheibe zersplitterte.
»Au!«, rief Anouk, »o weh, hier ist plötzlich überall Blut.«
»Nein«, flüsterte Gaspard. Seine Hände zitterten. »Anouk, was hast du getan?«
Manon sah ihm fest in die Augen. »Was hat sie jetzt schon wieder angestellt? Ich sage es ja. Sie müssen den Tatsachen endlich ins Auge sehen. Das wird hier nichts mehr.«
Sie erhob sich.
Gaspard schüttelte den Kopf. Seine Lippen bebten. »Es ist zu spät.«
Manon nahm Jod und Tücher an sich. »Ich sehe nach.«
Sie begab sich ins andere Zimmer.
»Bleiben Sie hier!«, rief Gaspard verzweifelt.
»Reingehen, hierbleiben«, murmelte die Pflegekraft, die im Türrahmen stehen geblieben war, »sehr entscheidungsfreudig sind Sie nicht. Aber jetzt muss ich Ihre Frau verarzten.«
Dann war sie aus dem Zimmer.
»Was haben Sie jetzt schon wieder gemacht?«, hörte Gaspard ihre aufgebrachte Stimme. »Man kann Sie keine Sekunde aus den Augen lassen. Zeigen Sie mal her. Aaahhh!«
Stille breitete sich aus.
»Hallo?« Gaspard hob den Kopf. Der tat schrecklich weh. »Anouk? Schwester Manon, was ist?«
Da kam die Pflegekraft zurück. Sie taumelte leicht. Ihr Blick zeigte Unverständnis. In ihrem linken Auge steckte ein großer Glassplitter.
Sie schwankte auf Gaspard zu. »Sie, sie hat ...«
Vor seinem Bett brach sie zusammen.
Frankreich, Château Montagne
»Waaas? Und das erzählst du mir erst jetzt?«
Nicole Duval schob die Sonnenbrille auf der Nase nach unten und sah Professor Zamorra darüber hinweg empört an. Nein, sie war sogar mehr als empört. Sie war enttäuscht, wütend! Aber auch bestürzt. Und das hatte einen Grund.
Der Schlossherr lag neben ihr. Sie ruhten beide auf Liegen, die am seitlichen Rand des Pools standen. Das Glasdach war nach hinten geschoben worden. Die Sonne brannte ungehindert auf sie herab. Zwischen den Liegen hatte Thomas, der Butler des Châteaus, ein Tischchen platziert, auf dem zwei nunmehr leere Longdrink-Gläser standen.
»Na ja ...« Zamorra druckste herum. »Ich bin mir selbst noch nicht im Klaren darüber, wie ich die Sache einzuordnen habe. Ich meine, vielleicht war es ja doch nur ein Traum ...«