Reise um die Welt - Erik Schreiber - E-Book

Reise um die Welt E-Book

Erik Schreiber

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Beschreibung

Dem ersten Musenalmanach von Ad. von Chamisso und K. A. Varnhagen folgten noch zwei Jahrgänge nach, zu denen sich ein Verleger gefunden hatte, und das Buch hörte erst auf zu erscheinen, als die politischen Ereignisse die Herausgeber und Mitarbeiter auseinandersprengten. Ich studierte indes angestrengt, zuvörderst die griechische Sprache, ich kam erst später an die lateinische und gelegentlich an die lebenden Sprachen Europas. Der Entschluss reifte in mir, den Kriegsdienst zu verlassen und mich ganz den Studien zu widmen.

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Herausgeber

Erik Schreiber

Windrose 5

Reiseerzählungen

Adelbert von Chamisso

Reise um die Welt

Saphir im Stahl

Reiserzählungen 5

e-book 195

Adelbert von Chamisso - Reise um die Welt

Erscheinungstermin 01.11.2023

© Saphir im Stahl Verlag

Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Archiv Andromeda

Lektorat Peter Heller

Vertrieb neobook

Herausgeber

Erik Schreiber

Windrose 5

Reiseerzählungen

Adelbert von Chamisso

Reise um die Welt

Saphir im Stahl

Adelbert von Chamisso

Adelbert von Chamisso, eigentlich: Louis Charles Adélaïde de Chamisso de Boncourt, wurde am 30. Januar 1781 auf Schloss Boncourt (Champagne) geboren und starb am 21. August 1838 in Berlin.

Chamissos Familie floh während der französischen Revolution nach Deutschland. 1796 wurde er Page der Königin von Preußen, 1798 bis 1807 war er preußischer Offizier. 1815-18 machte er eine Weltumseglung. Nach der Rückkehr wurde er Adjunkt am Botanischen Garten in Berlin, später Vorsteher des Herbariums. Neben seinen Studien als Naturforscher betätigte er sich als Erzähler und Lyriker. Sein Liederkreis „Frauenliebe und -leben“ wurde von Robert Schumann vertont.

Vorwortlich

Des Leutnant der russisch-kaiserlichen Marine, Otto von Kotzebue, „Entdeckungsreise in die Südsee und nach der Berings-Straße zur Entdeckung einer nordöstlichen Durchfahrt, unternommen in den Jahren 1815-18 auf Kosten Sr. Erlaucht des Herrn Reichskanzler Grafen Rumanzow auf dem Schiffe ›Rurik‹. Weimar, 1821. 4.“ enthält im dritten Bande meine auf diese Reise, an welcher ich als Naturforscher teilnahm, bezüglichen „Bemerkungen und Ansichten“.

Der einzige Vorteil, den ich mir von meinen Bemühungen während und nach der Reise als Naturforscher und Schriftsteller versprechen durfte, war, diese von mir geforderten Denkschriften vor dem Publikum, für welches sie bestimmt waren, in reinem Abdruck und würdiger Gestalt erscheinen zu sehen. Der Erfolg entsprach nicht meiner Erwartung. Was ich geschrieben, war von unzähligen sinnzerstörenden Druckfehlern an vielen Stellen verfälscht und unverständlich; und dieselben in einem „Errata“ anzuzeigen wurde mir bestimmt abgeschlagen. In einer eigenen Abhandlung, die mir zugeschrieben werden konnte und zugeschrieben worden ist, trug Eschscholtz über die Korallen-Inseln hergebrachte Meinungen wieder vor, die widerlegt zu haben ich mir zu einem Hauptverdienst anrechnete. Die Verlagshandlung hatte die Aussicht auf eine französische Übersetzung, die ein mir befreundeter Gelehrter besorgen wollte, vereitelt, indem sie die zu diesem Behuf begehrten Aushängebogen verweigerte. Endlich warf noch über das erscheinende Buch Sands unselige Tat ihren düstern Schatten und ließ nur den Namen, den es an der Stirne trug, im Lichte der Parteien schimmern.

Ich habe von dieser Reisebeschreibung, und auch nur von dem nautischen Teil derselben, eine einzige würdigende Beurteilung gesehen („Quarterly Review“, 1822).

Und dennoch halte ich einige Teile meiner Arbeit für nicht unwert, der Vergessenheit entzogen zu werden. Was ein gradsinniger Mann, der selbst gesehen und geforscht, in der Kürze aufgezeichnet hat, verdient doch wohl, in dem Archive der Wissenschaft niedergelegt zu werden; nur das Buch, das aus andern Büchern ausgeschrieben und zusammengetragen worden, mag von neueren, vollständigeren oder geistreicheren, verdrängt werden und verschallen.

Sollte ich jetzt die Gegenstände, die ich damals abgehandelt, einer neuen Untersuchung unterwerfen, so läge mir ob, die Zeugnisse und Aussagen meiner zahlreichen Nachfolger zu vergleichen und zu prüfen; das ist aber der Beruf des jüngsten Forschers auf dem gleichen Felde, dem die vollständigen Akten vorliegen; ich sage: der Beruf des jüngsten Reisenden; die Berichte älterer Weltumsegler sind in der Regel wahrhaft, aber nur Selbstanschauung kann das Verständnis derselben eröffnen.

In meiner Kindheit hatte Cook den Vorhang weggehoben, der eine noch märchenhaft lockende Welt verbarg, und ich konnte mir den außerordentlichen Mann nicht anders denken als in einem Lichtscheine, wie etwa dem Dante sein Urahnherr Cacciaguida im fünften Himmel erschien. Ich war wenigstens noch der erste, der eine gleiche Reise von Berlin aus unternahm. Jetzt scheint, um die Welt gekommen zu sein, zu den Erfordernissen einer gelehrten Erziehung zu gehören, und in England soll schon ein Postschiff eingerichtet werden, Müßiggänger für ein geringes Geld auf Cooks Spuren herumzuführen.

Ich habe schon oft Gelegenheit gehabt, jüngeren Freunden einen Rat zu erteilen, den noch keiner befolgen mochte. Ich würde, sagte ich ihnen, wenn ich von einer wissenschaftlichen Reise zurückkehrte, über die ich berichten müsste, in der Erzählung derselben den Gelehrten ganz verleugnen und nur das fremde Land und die fremden Menschen oder vielmehr nur mich selbst in der fremden Umgebung dem teilnehmenden Leser zu vergegenwärtigen trachten; und entspräche der Erfolg dem Willen, so müsste sich jeder mit mir hinträumen, wo eben uns die Reise hinführte. Dieser Teil wäre vielleicht am besten während der Reise selbst geschrieben worden. Abgesondert würde ich sodann den Gelehrten vorlegen, was ich für jedes Fach der Wissenschaft Geringfügiges oder Bedeutendes zu erkunden oder zu leisten das Glück gehabt hätte.

Die Erzählung meiner eignen Reise ist nicht von mir gefordert worden, und ich habe, wenig schreibselig, es gern anderen, dem Herrn von Kotzebue und dem Maler Choris„Voyage pittoresque autour du monde“. Paris 1822. Fol., überlassen, eine solche jeder für sich zu verfassen. Ich habe nur sächlich über die Lande, die wir berührt haben, meine „Bemerkungen und Ansichten“ in den Blättern niedergelegt, von denen ich mehrere, unerachtet ihrer oft unvermeidlichen Dürre, gegenwärtiger Sammlung einverleiben will. Und, offenherzig gesprochen, das eben ist's, was mich veranlasst, das Versäumte nachzuholen und an euch, ihr Freunde und Freunde meiner Muse, diese Zeilen zu richten. Ich bilde mir nicht ein, vor Fremden, sondern nur vor Freunden zu stehen, da ich von mir unumwunden zu reden und ein Hauptstück meiner Lebensgeschichte vorzutragen mich anschicke.

Aber wird nicht der Tau von den Blumen abgestreift, nicht ihr Duft verhaucht sein? Seither sind fast zwanzig Jahre verstrichen, und ich bin nicht der rüstige Jüngling mehr, ich bin ein fast alter, ein kranker, müder Mann; aber der Sinn ist mir noch frisch, das Herz noch warm geblieben; wir wollen das Beste hoffen. Ebendie Krankheit, die meine Kraft bricht und mich zu ernsteren Arbeiten untüchtig macht, verschafft mir die nötige Muße zu dem vertraulichen Gespräch.

Einleitend

Wer mich teilnehmend auf der weiten Reise begleiten will, muss zuvörderst erfahren, wer ich bin, wie das Schicksal mit mir spielte und wie es geschah, dass ich als Titulargelehrter an Bord des „Ruriks“ stieg.

Aus einem alten Hause entsprossen, ward ich auf dem Schlosse zu Boncourt in der Champagne im Januar 1781 geboren. Die Auswanderung des französischen Adels entführte mich schon im Jahre 1790 dem Mutterboden. Die Erinnerungen meiner Kindheit sind für mich ein lehrreiches Buch, worin meinem geschärften Blicke jene leidenschaftlich erregte Zeit vorliegt. Die Meinungen des Knaben gehören der Welt an, die sich in ihm abspiegelt, und ich möchte zuletzt mich fragen: Sind oft die des Mannes mehr sein Eigentum? – Nach manchen Irrfahrten durch die Niederlande, Holland, Deutschland und nach manchem erduldeten Elend ward meine Familie zuletzt nach Preußen verschlagen. Ich wurde im Jahre 1796 Edelknabe der Königin-Gemahlin Friedrich Wilhelms II. und trat 1798 unter Friedrich Wilhelm III. in Kriegsdienst bei einem Infanterieregimente der Besatzung Berlins. Die mildere Herrschaft des Ersten Konsuls gewährte zu Anfange des Jahrhunderts meiner Familie die Heimkehr nach Frankreich, ich aber blieb zurück. So stand ich in den Jahren, wo der Knabe zum Manne heranreift, allein, durchaus ohne Erziehung; ich hatte nie eine Schule ernstlich besucht. Ich machte Verse, erst französische, später deutsche. Ich schrieb im Jahre 1803 den „Faust“, den ich aus dankbarer Erinnerung in meine Gedichte aufgenommen habe. Dieser fast knabenhafte metaphysisch-poetische Versuch brachte mich zufällig einem andern Jünglinge nah, der sich gleich mir im Dichten versuchte, K. A. Varnhagen von Ense. Wir verbrüderten uns, und so entstand unreiferweise der „Musenalmanach auf das Jahr 1804“, der, weil kein Buchhändler den Verlag übernehmen wollte, auf meine Kosten herauskam. Diese Unbesonnenheit, die ich nicht bereuen kann, ward zu einem segensreichen Wendepunkte meines Lebens. Obgleich mein damaliges Dichten meist nur in der Ausfüllung der poetischen Formen, welche die sogenannte neue Schule anempfahl, bestehen mochte, machte doch das Büchlein einiges Aufsehen. Es brachte mich einerseits in enge Verbrüderung mit trefflichen Jünglingen, die zu ausgezeichneten Männern heranwuchsen; andererseits zog es auf mich die wohlwollende Aufmerksamkeit von Männern, unter denen ich nur Fichte nennen will, der seiner väterlichen Freundschaft mich würdigte.

Dem ersten Musenalmanach von Ad. von Chamisso und K. A. Varnhagen folgten noch zwei Jahrgänge nach, zu denen sich ein Verleger gefunden hatte, und das Buch hörte erst auf zu erscheinen, als die politischen Ereignisse die Herausgeber und Mitarbeiter auseinandersprengten. Ich studierte indes angestrengt, zuvörderst die griechische Sprache, ich kam erst später an die lateinische und gelegentlich an die lebenden Sprachen Europas. Der Entschluss reifte in mir, den Kriegsdienst zu verlassen und mich ganz den Studien zu widmen. Die verhängnisvollen Ereignisse vom Jahre 1806 traten hemmend und verzögernd zwischen mich und meine Vorsätze. Die Hohe Schule zu Halle, wohin ich den Freunden folgen sollte, bestand nicht mehr; sie selbst waren in die weite Welt zerstreut. Der Tod hatte mir die Eltern geraubt. Irr an mir selber, ohne Stand und Geschäft, gebeugt, zerknickt, verbrachte ich in Berlin die düstere Zeit. Am zerstörendsten wirkte ein Mann auf mich ein, einer der ersten Geister der Zeit, dem ich in frommer Verehrung anhing, der, mich emporzurichten, nur eines Wortes, nur eines Winkes bedurft hätte und der, mir jetzt noch unbegreiflich, sich angelegen sein ließ, mich niederzutreten. Da wünschte mir ein Freund, ich möchte nur irgendeinen tollen Streich begehen, damit ich etwas wiedergutzumachen hätte und Tatkraft wiederfände.

Der Zerknirschung, in der ich unterging, ward ich durch den Ruf als Professor am Lyceo zu Napoléonville entrissen, den unerwartet im Spätjahr 1809 ein alter Freund meiner Familie an mich ergehen ließ. Ich reiste nach Frankreich; ich trat aber meine Professur nicht an. Der Zufall, das Schicksal, das Waltende entschied abermals über mich; ich ward in den Kreis der Frau von Staël gezogen. Ich brachte nach ihrer Vertreibung aus Blois den Winter 1810–11 in Napoléonville bei dem Präfekten Prosper von Barante zu, folgte im Frühjahr 1811 der hohen Herrin nach Genf und Coppet und war 1812 ein mitwirkender Zeuge ihrer Flucht. Ich habe bei dieser großartig wunderbaren Frau unvergeßliche Tage gelebt, viele der bedeutendsten Männer der Zeit kennengelernt und einen Abschnitt der Geschichte Napoleons erlebt, seine Befeindung einer ihm nicht unterwürfigen Macht; denn neben und unter ihm sollte nichts Selbständiges bestehen.

Im Spätjahr 1812 verließ ich Coppet und meinen Freund August von Staël, um mich auf der Universität zu Berlin dem Studium der Natur zu widmen. So trat ich jetzt erst handelnd und bestimmend in meine Geschichte ein und zeichnete ihr die Richtung vor, die sie fortan unverwandt verfolgt hat.

Die Weltereignisse vom Jahre 1813, an denen ich nicht tätigen Anteil nehmen durfte – ich hatte ja kein Vaterland mehr oder noch kein Vaterland –, zerrissen mich wiederholt vielfältig, ohne mich von meiner Bahn abzulenken. Ich schrieb in diesem Sommer, um mich zu zerstreuen und die Kinder eines Freundes zu ergötzen, das Märchen „Peter Schlemihl“, das in Deutschland günstig aufgenommen und in England volkstümlich geworden ist.

Kaum hatte der Boden sich wieder befestigt und wieder blau der Himmel sich darüber gewölbt, als im Jahre 1815 der Sturm sich wiederum erhob und aufs neue zu den Waffen gerufen ward. Was meine nächsten Freunde mir beim ersten Ausmarsch zuschreien müssen, sagte ich mir nun selbst: die Zeit hatte kein Schwert für mich; aber aufreibend ist es, bei solcher waffenfreudigen Volksbewegung müßiger Zuschauer bleiben zu müssen.

Der Prinz Max von Wied-Neuwied schickte sich damals an, seine Reise nach Brasilien anzutreten. Ich fasste den Gedanken, mich ihm anzuschließen; ich ward ihm zu einem Gehülfen vorgeschlagen; – er konnte seine schon abgeschlossene Ausrüstung nicht erweitern, und die Reise aus eignen Mitteln zu bestreiten, war ich unvermögend.

Da kam mir zufällig einmal bei Julius Eduard Hitzig ein Zeitungsartikel zu Gesichte, worin von einer nächst bevorstehenden Entdeckungsexpedition der Russen nach dem Nordpol verworrene Nachricht gegeben ward. „Ich wollte, ich wäre mit diesen Russen am Nordpol!“, rief ich unmutig aus und stampfte wohl dabei mit dem Fuß. Hitzig nahm mir das Blatt aus der Hand, überlas den Artikel und fragte mich: „Ist es dein Ernst?“ – „Ja!“ – „So schaffe mir sogleich Zeugnisse deiner Studien und Befähigung zur Stelle. Wir wollen sehen, was sich tun lässt.“

Das Blatt nannte Otto von Kotzebue als Führer der Expedition. Mit dem Staatsrate August von Kotzebue, der zur Zeit in Königsberg lebte, hatte Hitzig in Verbindung gestanden und war mit ihm in freundlichem Verhältnisse geblieben. Briefe und Zeugnisse meiner Lehrer, die zu meinen Freunden zu rechnen ich stolz sein konnte, sandte Hitzig mit der nächsten Post an den Staatsrat von Kotzebue ab, und in der möglichst kurzen Zeit folgte auf dessen Antwort ein Brief von seinem Schwager, dem Admiral, damaligem Kapitän der russisch-kaiserlichen Marine, von Krusenstern, dem Bevollmächtigten des Ausrüsters der Expedition, Grafen Romanzow, aus Reval vom 12. Juni 1815. Ich war an die Stelle des Professors Ledebour, den seine schwache Gesundheit zurückzutreten vermocht hatte, zum Naturforscher auf die zu unternehmende Entdeckungsreise in die Südsee und um die Welt ernannt.

Vorfreude. Reise über Hamburg nach Kopenhagen

Nun war ich wirklich an der Schwelle der lichtreichsten Träume, die zu träumen ich kaum in meinen Kinderjahren mich erkühnt, die mir im „Schlemihl“ vorgeschwebt, die als Hoffnungen ins Auge zu fassen ich, zum Manne herangereift, mich nicht vermessen. Ich war wie die Braut, die, den Myrtenkranz im Haare, dem Heißersehnten entgegensieht. Diese Zeit ist die des wahren Glückes; das Leben zahlt den ausgestellten Wechsel nur mit Abzug, und zu den hienieden Begünstigteren möchte der zu rechnen sein, der da abgerufen wird, bevor die Welt die überschwengliche Poesie seiner Zukunft in die gemeine Prosa der Gegenwart übersetzt.

Ich schaute, freudiger Tatkraft mir bewusst, in die Welt, die offen vor mir lag, hinein, begierig, in den Kampf mit der geliebten Natur zu treten, ihr ihre Geheimnisse abzuringen. So wie mir selber in den wenigen Tagen bis zu meiner Einschiffung Länder, Städte, Menschen, die ich nun kennenlernte, in dem günstigsten Lichte erschienen, das die eigene Freudigkeit meines Busens hinausstrahlte, so muss ich auch den günstigsten Eindruck in denjenigen, die mich damals sahen, zurückgelassen haben; denn erfreulich ist der Augenblick des Glücklichen.

Das Schreiben des Herrn von Krusenstern enthielt in sehr bestimmten Ausdrücken das nächste, was zu wissen mir not tat. Die Zeit drängte: Der „Rurik“ sollte Sankt Petersburg am 27. Juli und Kronstadt am 1. August verlassen; er konnte unter günstigen Umständen schon am 5. August zu Kopenhagen anlegen. Meinem Ermessen ward anheimgestellt, entweder in Sankt Petersburg oder zu Kopenhagen zu der Expedition zu stoßen. Im Falle, dass ich das erstere vorzöge, würde ich den mir für den Eintritt in Russland nötigen Pass an der Grenze vorfinden. Der Ehr- und Habsucht ward keine Aussicht vorgespiegelt, sondern als Lohn auf das Gefühl verwiesen, zu einem rühmlichen Unternehmen mitgewirkt zu haben. Das Schiff war anscheinend vorzüglich gut gebaut und besonders bequem und gut eingerichtet. Meine Kajüte, so lauteten die Worte, war, ungeachtet der geringen Größe des Schiffes, viel besser als die von Herrn von Tilesius am Bord der „Nadeshda“.

Nach reiflicher Beratung mit meinen Freunden ward beschlossen, dass ich zu Kopenhagen an Bord steigen und die drei Wochen bis zur Mitte Juli in Berlin benutzen und genießen solle.

Ich erhielt in diesen Tagen von August von Staël einen Paris am 15. Mai datierten, aber durch die nötig gewordenen Umwege verspäteten Brief, den ich nur mit Wehmut aus der Hand zu legen vermochte. Der Wurf war geschehen, und ich blickte nur vorwärts, nicht seitwärts.

Meines Freundes Gedanken hatten sich vom alten Europa nach der Neuen Welt gewandt, und er schickte sich zur Reise an, in den Urwäldern, die seine Mutter am Sankt-Laurenz-Fluss besaß, Neckerstown zu begründen. Sein Begehren war, meine Zukunft an die seinige zu binden; er teilte mir seinen weitaussehenden, näher zu beratenden Plan mit und bezeichnete mir den Anteil, den er mir in der Ausführung zugedacht. Ich sollte mit angeworbenen Arbeitern im nächsten Frühjahr in New York zu ihm stoßen. Ich konnte ihm nur das eben von mir eingegangene Verhältnis darlegen, betrübt, ihm meine Mitwirkung bei einem Plane zu versagen, der übrigens nie in Ausführung gebracht worden. Was ihn davon abgelenkt hat, habe ich nie erfahren.

Mein Hauptgeschäft war nun, emsig die Zeit und die Willfährigkeit gelehrter Männer benutzend, zu erkunden, welche Lücken der Wissenschaft auszufüllen eine Reise gleich der vorgehabten die Hoffnung darböte; mir Fragen vorlegen, mir sagen zu lassen, worauf besonders zu sehen, was vorzüglich zu sammeln sei. Ich konnte mich und andere nur Allgemeines fragen; über Zweck und Plan der Reise hatte Herr von Krusenstern geschwiegen, und ich wusste nicht, an welchen Küsten angelegt werden sollte.

Niebuhr bezeichnete mir einen Strich der Ostküste Afrikas, dessen Geographie noch mangelhaft sei und den bei westlicher Rückfahrt aufzunehmen die Umstände leichtlich erlauben möchten. Ich entgegnete ihm kleinlaut und fast erschrocken, dieses sei doch allein Sache des Kapitäns. Er maß aber auch in solcher Angelegenheit der beratenden Stimme des Gelehrten einiges Gewicht bei. – Was bei einer solchen Entdeckungsreise ein Gelehrter ist, wird aus diesen Blättern erhellen.

Der Dichter Robert sagte zu mir: „Chamisso, sammeln Sie immerhin und bringen Sie heim für andere Steine und Sand, Seegras, Blattpilze, Entozoa und Epizoa, das heißt, wie ich höre, Eingeweidewürmer und Ungeziefer; aber verschmähen Sie meinen Rat nicht: Sammeln Sie auch, wenn Sie auf Ihrer Reise Gelegenheit dazu finden, Geld und legen Sie es für sich beiseite; mir aber bringen Sie eine wilde Pfeife mit.“ – Wohl habe ich für den Freund eine wilde Pfeife von den Eskimos mitgebracht, und er hat seine Freude daran gehabt; aber das Geld habe ich vergessen.

Ich will hier gelegentlich anführen, dass ich am Bord des „Ruriks“ eine Denkschrift des Doktors Spurzheim vorfand, der, weniger praktisch, zur Beförderung der Kraniologie empfahl, den Wilden das Haupthaar zu scheren und ihre Schädel in Gips abzuformen.

Ich fuhr von Berlin den 15. Juli 1815 mit der ordinären Post nach Hamburg ab. Die Beschreibung von dem, was damals eine ordinäre Post hieß, möchte jetzt schon an der Zeit und hier an ihrem Orte sein, da der Fortschritt der Geschichte auch dieses Ungeheuer weggeräumt hat. Ich kann aber, ohne meine Glaubwürdigkeit zu gefährden, auf Lichtenberg verweisen, der die Martermaschine mit dem Fasse des Regulus verglichen hat. „Der deutsche Postwagen“, schrieb ich damals, „scheint recht eigentlich für den Botaniker eingerichtet zu sein, indem man nur außerhalb desselben ausdauern kann, und dessen Gang darauf berechnet ist, gute Muße zu lassen, vor und zurücke zu gehen. In der Nacht wird auch nichts versäumt, da man sich am Morgen ungefähr auf demselben Punkte wiederfindet, wo man am Abend vorher war.“

Der Schirrmeister, der die ersten Stationen den Zug leitete, ein langer, fröhlicher Gendarm, hatte seit fünf und einem halben Jahre, dass er zur Ruhe gesetzt war, ungefähr 8 524 deutsche Meilen auf seinem Postkurs von etwa zehn Meilen in Hin- und Herschwingungen zur Post zurückegelegt – der Gurt der Erde misst deren nur 5 400. Die Passagiere waren unbedeutend. In Lenzen gesellte sich zu uns ein Mann vom Volke, ein schöner, rüstiger, fröhlicher Greis, früher Hamburger Matrose, zur Zeit Elbschiffer, der vielmals, und zuletzt als Harpunier, auf dem Robben- und Walfischfange den nordischen Polargletscher besucht hatte. Einmal war das Schiff, worauf er war, nebst mehreren andern im Eise untergegangen; er selbst hatte nach siebzehn auf dem Eise verbrachten Hungerstagen Grönland erreicht. Er hatte siebzehn Monate mit dem „Wildmann“ gelebt und „Wildmannssprache“ gelernt. Ein dänisches Schiff von fünf Mann Equipage nahm ihn nebst zwanzig seiner Unglücksgefährten an Bord und brachte ihn bei dürftiger Kost nach Europa zurück. – Von beiläufig 600 Mann kehrten nur 120 heim. Er selbst hatte etliche Finger eingebüßt. Dieser Mann, mit dem ich bald freund wurde, war mir erfreulicher als ein Buch; er erzählte einfach und lebendig, was er gesehen, erlebt und erduldet; ich horchte ihm lernbegierig zu und sah vor mir die Eisfelder und Berge und die Küsten des Polarmeeres, in das ich von der Berings-Straße aus einzudringen die Hoffnung hatte und worin Gleiches zu erleben und zu erdulden mein Los sein konnte.

Ich erreichte am 18. Juli die liebe Stadt Hamburg, wo ich meine Geschäfte besorgte, alte Freunde besuchte und neue werte Bekanntschaften anknüpfte. Besonders lieb- und hilfreich war mir Friedrich Perthes, in dessen Buchhandlung sich folgendes Ergötzliche zutrug. Der Hausknecht, der seinen Herrn so freundlich vertraut mit mir umgehen sah und mich beim Globus von weiten Reisen erzählen hörte, fragte einen der Kommis, wer denn der schwarze ausländische Herr sei, für den er manche Gänge zu besorgen gehabt. – „Weißt du das nicht?“ antwortete ihm jener; „es ist Mungo Park.“ Und froh und stolz, wie ein Zeitungsblatt, das einmal eine große Nachricht auszuposaunen hat, lief der literarische Zwischenträger seine Gänge durch die Stadt, jeden, den er kannte, anhaltend, um ihm mitzuteilen, Mungo Park sei nicht umgekommen; er sei da, er sei bei seinem Herrn, er sehe so und so aus und erzähle viel von seinen Reisen. – Nun kamen einzeln und scharenweise die guten Hamburger zu Perthes in den Laden gelaufen und wollten Mungo Park sehen. – Im „Schlemihl“, und zwar im vierten Abschnitt, steht geschrieben: „Muss ich's bekennen? Es schmeichelte mir doch, sei es auch nur so, für das verehrte Haupt angesehen worden zu sein.“

Am 21. abends nahm ich Extrapost nach Kiel. Hamburg war zur Zeit noch die Grenze der mir bekannten Welt gegen Norden, und weiter hinaus nach Kopenhagen zu Land oder zur See vordrängend – ich hatte noch in meinem Leben kein Schiff bestiegen –, war ich auf einer Entdeckungsreise begriffen. Ich habe wirklich mit Treue die nordische Natur bei Kopenhagen studiert, woselbst, mit dem „Rurik“ anlangend, mein Freund und Gefährte Eschscholtz, der noch nie so weit nach Süden vorgeschritten war, gleichzeitig die südliche Natur zu studieren begann, entzückt, als ihm zuerst Vitis vinifera sub dio, die Weinrebe im Freien, zu Gesichte kam. Süden und Norden sind wie Jugend und Alter; zwischen beiden denkt sich jeder, solang er kann; alt sein und dem Norden angehören will kein Mensch. – Ich habe aus einem Gedicht an einen Jubilar das Wort „alt“ ausmerzen müssen, und ein lappländischer Prediger erzählte mir von seiner Versetzung nach dem Süden, nach Torneå unter dem Polarkreise.

In Kiel am 22. Juli angelangt, war ich daselbst gleich heimisch, wie ich überhaupt die Gabe in mir fand, mich überall gleich zu Hause zu finden. Etliche der Männer, die ich zu sehen hoffte, waren bereits zur Krönung nach Kopenhagen abgereist. Ein Freund führte mich in befreundete Kreise ein, und ich wartete in freudigem Genusse des Moments auf die Abfahrt des Paketboots, an dessen Bord ich erst am 24. Juli vor Tagesanbruch gerufen ward. Ich hatte mich mit ängstlicher Bedächtigkeit erkundigt, ob der Fall überhaupt denkbar sei, dass, durch widrige Winde aufgehalten oder verschlagen, das Paketboot über acht Tage auf der Fahrt nach Kopenhagen zubringen könne, und mir war versichert worden, man könne im schlimmsten Falle immer noch beizeiten auf den dänischen Inseln landen.

Ein Einlass des Meeres schlängelt sich gleich einem Landsee landeinwärts nach Kiel, begrenzt von Hügeln, die im schönsten Grün der Schöpfung prangen. Ein Binnenmeer ohne Ebbe und Flut, in dessen glatte Spiegelfläche das grüne Kleid der Erde hinabtaucht, hat das Großartige des Ozeans nicht. Nettelbeck schilt die Ostsee einen Entenpfuhl; man kommt auf der Fahrt von Kiel nach Kopenhagen nicht einmal in das Innere desselben hinein, indem man immer Sicht des Landes behält. Aber recht anschaulich wurde, wie die Meere recht eigentlich die Straßen des Landes sind, bei der Menge Segel, die man um sich sieht und von denen wir zwischen der grünen Ebene Seelands und den niedrigen Küsten Schwedens nie unter fünfzig zählten.

Wir waren am Morgen des 24. Juli unter Segel gegangen. Am Abend frischte der Wind, und die Nacht ward stürmisch. Als das Schiff, eine Galeasse von fünf Mann Equipage, zu rollen begann, wurden auf demselben die anfangs lauten Passagiere still, und ich selbst zahlte dem Meere den ersten Tribut. Aber ich erholte mich am andern Tage wieder und glaubte mich schon wohlfeileren Kaufes abgefunden zu haben, als ich selber befürchtet hatte. Nebst dieser Erfahrung erwarb ich auch auf dieser Vorschule des Weltumseglers anderes, wovon ich zu reden Anstand nehme: Das ergab sich später, als ich nicht gern fand, was ich doch emsig zu suchen vermocht wurde. In der Apotheke zu Kopenhagen, wo ich, des Dänischen unkundig, mein bestes Latein hülfebegehrend entfaltete, antwortete mir der Lehrbursche in noch viel besserem Deutsch, indem er mir die geforderte Salbe einhändigte. Wir wurden am 26. Juli mittags bei gänzlicher Windes- und Meeresstille in den Hafen von Kopenhagen von unsrem Boote bugsiert.

Ich habe in Kopenhagen, wo ich mich gleich heimisch eingerichtet hatte, mit lieben teilnehmenden Freunden und im lieb- und lehrreichen Umgange von Männern, die in Wissenschaft und Kunst die Ehre ihres Vaterlandes sind, vielleicht die heitersten und fröhlichsten Tage meines Lebens verlebt. Hornemann war zur Zeit abwesend, dagegen Pfaff aus Kiel in Kopenhagen. Oehlenschläger beschäftigte sich eben mit der Übersetzung der „Undine“ von Fouqué. Das Theater war, wie gewöhnlich in den Sommermonaten, geschlossen. Bibliotheken, Sammlungen, Gärten beschäftigten mich während der Stunden des Tages, die Abende gehörten der schönsten Geselligkeit.

Ich habe der Salbung, nach unserm Sprachgebrauch der Krönung des vielgeliebten Königs Friedrich VI. von Dänemark im Schlosse zu Friedrichsburg beigewohnt. Ich bemerke beiläufig, dass meine Freunde die für mich nötige Einlasskarte von einem Juden, der solche feil hatte, erhandelten.

Ich habe in Kopenhagen kein Pferdefleisch zu essen bekommen, was ich als Naturforscher gewünscht hätte. – Meine Freunde bemühten sich umsonst; es wurde auf der Tierarzneischule, die allein dieses Vorrecht hat, kein Pferd während meiner Anwesenheit geschlachtet.

Der Leutnant Wormskiold, der sich bereits auf einer Reise nach Grönland um die Naturgeschichte verdient gemacht hatte und sich jetzt darum bewarb, sich an die Romanzowsche Expedition als freiwilliger Naturforscher anschließen zu dürfen, suchte mich gleich nach meiner Ankunft auf. Ich kam ihm zutrauensvoll mit offenen Armen entgegen, froh, der winkenden Ernte einen Arbeiter mehr zuführen zu können; und man wünschte mir Glück zu dem fleißig-emsigen Gehülfen, den ich an ihm haben würde.

Ich erhielt den 9. August am frühen Morgen gefällige Mitteilung von der Admiralität, dass eine russische Brigg eben signalisiert werde.

Mögen hier noch, bevor ich euch an Bord des „Ruriks“ führe, etliche Zeilen Platz finden, die ich damals über Kopenhagen und Dänemark niederschrieb. Man erinnere sich dabei an den Überfall der Engländer und den Verlust der Flotte Anno 1807 und an die neuesten Ereignisse: die erzwungene Abtretung von Norwegen an Schweden, dessen selbständige Verteidigung unter dem Prinzen Christian von Dänemark und den endlichen Vertrag, wodurch es als ein eigenes Königreich unter eigenen Gesetzen sich dem Könige von Schweden unterwarf.

Kopenhagen scheint mir nicht größer, nicht volkreicher als Hamburg zu sein; breite Straßen, neue, charakterlose Bauart. Das neue Stadthaus ist in griechischem Stil aus Backsteinen mit Kalkbewurf gebaut.Unter den Künsten ist vorzüglich die Baukunst berufen, einer entschiedenen Volkstümlichkeit, einer charaktervollen Zeit eine Stimme zu verleihen, sich vernehmbar der Nachwelt zu verkünden. Die ägyptische, die griechische, die gotische Baukunst, von denen die letztere schon für uns nicht minder der Vergangenheit angehört als die vorbenannten, legen uns das Zeugnis solcher Volkstümlichkeiten ab. Wie sollte eine Zeit wie die unsrige, deren Charakter eben darin besteht, alle Schranken niederzureißen, alle Volkstümlichkeiten zu verschmelzen und aus den Angelegenheiten eines Volkes die Angelegenheiten aller Völker zu machen, so dass zum Beispiel an der Frage der Reform nicht das Schicksal Englands, sondern das Schicksal der Welt hängt; wie sollte die Zeit der Buchdruckerkunst und der Posten, der Dampffahrzeuge zu Wasser und zu Lande, der Schnellpresse, der Zeitungen und der Telegraphen eine andere Baukunst haben, als um Straßen und Brücken, Kanäle, Häfen und Leuchttürme zu bauen? Ich habe den Maler David vor den Modellen griechischer Tempel den Satz mit Autorität behaupten hören: die Griechen hätten in der Baukunst alles geleistet, was zu leisten möglich wäre, und es bliebe nur übrig, sie zu kopieren; Eigenes ersinnen zu wollen sei widersinnig.Die Dänen hassen von jeher die Deutschen: nur Brüder können einander hassen. Jetzt aber hassen sie zuvörderst die Schweden, sodann die Engländer, und der Hass gegen die Deutschen tritt zurück. Sie ringen nach Volkstümlichkeit und sind gedemütigt. Viele lieben deswegen doch nicht Napoleon; nur erkennen alle, und wer wollte es leugnen, dass sie das Opfer der Sünden anderer geworden sind. An Frankreichs Schicksal nehmen sie teil, weil Frankreichs Macht der Macht ihrer Unterdrücker, der Engländer, die Waage hielt. Sie sind Seemänner, ein Volk der See. Man schaut es von Kopenhagen aus, dass Norwegen nicht, und minder noch als die deutschen Provinzen, eine Besitzung von Dänemark, sondern der Sprache, der Verwandtschaft, der Geschichte nach recht eigentlich die andere Hälfte des Reichs war. Die Flotte aber war das Palladium. Gewöhnlich wurde bei den Symposien, zu denen ich zugezogen ward, das norwegisch volkstümliche Lied „Sinclair Song“ mit Ingrimm und Wehmut gesungen und der Toast „Auf die erste glückliche Seeschlacht!“ ausgebracht. Der König wird mit inniger Anhänglichkeit geliebt und das Unglück der Zeiten nicht ihm zugerechnet. Die Zeremonie der Salbung, bei der er mit Krone und Zepter und seine Ritter in altertümlicher Tracht um ihn her erschienen, war kein Schau- und Faschingspiel, sondern das Herz der Dänen war dabei, und der Volksgeist belebte noch die alten ehrwürdigen Formen. Billigdenkende rechnen mit dankbarer Liebe dem Prinzen Christian das in Hinsicht Norwegens Unternommene und wirklich Erreichte zu, Unbillige das unerreicht Gebliebene und einschätzen ihn. – – Zu Kiel sind die Professoren deutsch, die Studenten dänisch gesinnt.

Der „Rurik“. Abfahrt von Kopenhagen. Plymouth

Ich meldete mich am Morgen des 9. August 1815 am Bord des „Ruriks“ auf der Reede zu Kopenhagen bei dem Kapitän. Ein Gleiches tat mit mir der Leutnant Wormskiold; und Herr von Kotzebue, anscheinlich durch die Eintracht, die er unter uns herrschen sah, bewogen, sagte ihm die Aufnahme zu. Seiner Reisebeschreibung nach scheint er hierin nicht eigenmächtig gehandelt zu haben. Er übergab mir einen schmeichelhaften Brief vom Grafen Romanzow und einen andern vom Herrn von Krusenstern, ließ mich übrigens vorläufig ohne Instruktion und Verhaltungsbefehle. Ich fragte vergebens danach; ich ward über meine Pflichten und Befugnisse nicht belehrt und erhielt keine Kenntnis von der Schiffsordnung, in die ich mich zu fügen hatte. Es musste mir in meinen Verhältnissen auf dem „Rurik“ so wie überhaupt in der Welt ergehen, wo nur das Leben das Leben lehrt. Es ward uns befohlen, binnen drei Tagen mit unserer Habe am Bord zu sein. Die Abfahrt verzögerte sich aber bis zum 17. Am 13. besuchten die Gesandten mehrerer Höfe das Schiff und wurden, wie sie dessen Bord verließen, mit dreizehn Kanonenschüssen salutiert.

Es ist hier der Ort, von der abgesonderten kleinen Welt, zu der ich nun gehörte, und von der Nussschale, in der eingepresst und eingeschlossen sie drei Jahre lang durch die Räume des Ozeans geschaukelt zu werden bestimmt war, eine vorläufige Kenntnis zu geben. Das Schiff ist die Heimat des Seefahrers; bei solcher Entdeckungsreise schwebt es über zwei Drittel der Zeit in völliger Abgeschiedenheit zwischen der Bläue des Meeres und der Bläue des Himmels; nicht ganz ein Drittel der Zeit liegt es vor Anker im Angesichte des Landes. Das Ziel der weiten Reise möchte sein, in das fremde Land zu gelangen; das ist aber schwer, schwerer, als sich es einer denkt. Überall ist für einen das Schiff, das ihn hält, das alte Europa, dem er zu entkommen vergeblich strebt, wo die alten Gesichter die alte Sprache sprechen, wo Tee und Kaffee nach hergebrachter Weise zu bestimmten Stunden getrunken werden und wo das ganze Elend einer durch nichts verschönerten Häuslichkeit ihn festhält. Solange er vom fremden Boden noch die Wimpel seines Schiffes wehen sieht, hält ihn der Gesichtsstrahl an die alte Scholle festgebannt. – – Und er liebt dennoch sein Schiff! – wie der Alpenbewohner die Hütte liebt, worin er einen Teil des Jahres unter dem Schnee freiwillig begraben liegt.Dieses ist zu Trient in Savoyen der Fall.

Hier ist, was ich zu Anfang der Reise über unsere wandernde Welt aufschrieb. Den Namen sind die Vor- und Vatersnamen hinzugefügt, bei welchen wir auf dem Schiffe nach russischer Sitte genannt wurden.

Der Kapitän Otto Astawitsch von Kotzebue. Erster Leutnant Gleb Simonowitsch Schischmarew, ein Freund des Kapitäns, älterer Offizier als er, nur Russisch redend; ein heiter strahlendes Vollmondsgesicht, in das man gern schaut; eine kräftige, gesunde Natur; einer, der das Lachen nicht verlernt hat. – Zweiter Leutnant Iwan Jakowlewitsch Sacharin, kränklich, reizbar, jedoch gutmütig, versteht etwas Französisch und Italienisch. – Der Schiffsarzt, Naturforscher und Entomolog Iwan Iwanowitsch Eschscholtz, ein junger Doktor aus Dorpat, fast zurückhaltend, aber treu und edel wie Gold. – Der Naturforscher, ich selbst, Adelbert Loginowitsch. – Der Maler Login Andrewitsch Choris, der Herkunft nach ein Deutscher, der, jetzt noch sehr jung, bereits als Zeichner Marschall von Bieberstein auf einer Reise nach dem Kaukasus begleitet hatte. – Freiwilliger Naturforscher Martin Petrowitsch Wormskiold. – Drei Untersteuerleute: Chramtschenko, ein sehr gutmütiger, fleißiger Jüngling; Petrow, ein kleiner, launig-lustiger Bursche; der dritte, Koniew, uns fernerstehend. – Zwei Unteroffiziere und zwanzig Matrosen.

Die Seeleute, unter denen, die sich freiwillig zu dieser Expedition gemeldet haben, ausgesucht, sind ein hochachtbares Volk; handfeste Leute, der strengsten Mannszucht unbedingt unterwürfig, sonst von tüchtiger, ehrgeiziger Gesinnung, stolz auf ihren Beruf als Weltumsegler.

Der Kapitän, der in seiner frühesten Jugend mit Krusenstern auf der „Nadeshda“ die Reise um die Welt gemacht, ist der einzige an seinem Bord, der die Linie überschritten hat; – der Älteste an Jahren bin ich selbst.

Der „Rurik“, dem der Kaiser auf dieser Entdeckungsreise die Kriegsflagge zu führen bewilligt hat, ist eine sehr kleine Brigg, ein Zweimaster von 180 Tonnen, und führt acht kleine Kanonen auf dem Verdeck. Unter Deck nimmt die Kajüte des Kapitäns den Hinterteil des Schiffes ein. Von ihr wird durch die gemeinschaftliche Treppe die Kajüte de Campagne getrennt, die am Fuß des großen Mastes liegt. Beide bekommen das Licht von oben. Der übrige Schiffsraum bis zu der Küche am Fuße des Vordermastes dient den Matrosen zur Wohnung.

Die Kajüte de Campagne ist beiläufig zwölf Fuß ins Gevierte. Der Mast, an dessenFuß ein Kamin angebracht ist, bildet einen Vorsprung darin. Dem Kamine gegenüber ist ein Spiegel und unter dem, mit der einen Seite an der Wand befestigt, der viereckige Tisch. In jeglicher Seitenwand der Kajüte sind zwei Kojen befindlich, zu Schlafstellen eingerichtete Wandschränke, beiläufig sechsFuß lang und dritthalb breit. Unter denselben dient ein Vorsprung der Länge der Wand nach zum Sitz und gibt Raum für Schubladen, von denen je vier zu jeder Koje gehören. Etliche Schemel vollenden das Ameublement.

Zwei der Kojen gehören den Offizieren, die zwei anderen dem Doktor und mir. Choris und Wormskiold schlafen im Schiffsraum in Hängematten. Meine Koje und drei der darunter befindlichen Schubkasten sind der einzige Raum, der mir auf dem Schiffe angehört; von der vierten Schublade hat Choris Besitz genommen. In dem engen Raume der Kajüte schlafen vier, wohnen sechs und speisen sieben Menschen. Am Tische wird morgens um sieben Uhr Kaffee getrunken, mittags um zwölf gespeist und sodann das Geschirr gescheuert, um fünf Uhr Tee getrunken und abends um acht der Abhub der Mittagstafel zum zweitenmal aufgetragen. Jede Mahlzeit wird um das Doppelte verlängert, wenn ein Offizier auf dem Verdecke die Wache hat. In den Zwischenzeiten nimmt der Maler mit seinem Reißbrett zwei Seiten des Tisches ein, die dritte Seite gehört den Offizieren, und nur wenn diese sie unbesetzt lassen, mögen die andern sich darum vertragen. Will man schreiben oder sonst sich am Tische beschäftigen, muss man dazu die flüchtigen, karggezählten Momente erwarten, ergreifen und geizig benutzen; aber so kann ich nicht arbeiten. Ein Matrose hat den Dienst um den Kapitän, Scheffecha, ein kleiner Tatar, ein Mohammedaner; ein anderer in der Kajüte de Campagne, Sikow, einer der tüchtigsten, ein Russe fast herkulischen Wuchses. – Es darf nur in der Kajüte Tabak geraucht werden. – Es ist wider die Schiffsordnung, das Geringste außerhalb des jedem gehörigen Raumes unter Deck oder auf dem Verdeck ausgesetzt zu lassen. – Der Kapitän protestiert beiläufig gegen das Sammeln auf der Reise, indem der Raum des Schiffes es nicht gestatte und ein Maler zur Disposition des Naturforschers stehe, zu zeichnen, was dieser begehre. Der Maler aber protestiert, er habe nur unmittelbar vom Kapitän Befehle zu empfangen.

Zu Kopenhagen wurde über die oben angeführte Zahl der Schiffsmannschaft noch ein Koch angeworben, ein verwahrlostes Kind der See: der Gesichtsbildung nach ein Ostindier oder ein Malaie; der Sprache nach, die aus allen Dialekten der redenden Menschen undeutlich zusammengemischt war, kaum ein Mensch. Außerdem ward ein Lotse für die Fahrt im Kanal und nach Plymouth an Bord genommen, und dieser brachte die Zahl unserer Tischgesellschaft auf acht, die am kleinen Tische nicht mehr Raum hatten.

Der „Rurik“ war am 30. Juli 1815 – zwei Tage früher, als mir gemeldet worden – von Kronstadt ausgelaufen und am 9. August auf der Reede von Kopenhagen angelangt. Wir lichteten am 17. um vier Uhr des Morgens die Anker, die wir vier Stunden später vor Helsingör wiederum auswerfen mussten. Der Wind, der abwechselnd nur zur Ein- oder Ausfahrt das Tor offenhält, ward uns erst am Morgen des 19. günstig, an welchem Tage wir um zehn Uhr des Morgens durch den Sund fuhren und mit uns zugleich über sechzig andere Schiffe, die auf denselben Moment gewartet hatten. Wir salutierten die Festung, ohne ein Boot abzuwarten, das vom Blockschiff auf uns zu ruderte; und rascher segelnd als die Kauffahrer um uns her, überholten wir schnell die vordersten und ließen bald ihr Geschwader weit hinter uns. Der Augenblick war wirklich schön und erhebend.

Wir hatten auf der Fahrt durch die Nordsee fast anhaltend widrige Winde bei nasskaltem Wetter und bedecktem Himmel. Nach langem Lavieren musste uns ein Schiff, das wir anriefen, das Leuchtschiff am Ausfluss der Themse zeigen, das wir noch nicht entdeckt hatten. Ich ward in der Nacht vom 31. August zum 1. September auf das Verdeck gerufen, um die Feuer der französischen Küste bei Calais brennen zu sehen; der Eindruck entsprach nicht ganz meiner Erwartung. Am Morgen brachte uns ein günstiger Windhauch durch die Dover-Straße. Albion mit seinen hohen weißen Küsten lag uns nahe zur Rechten, fern zur Linken dämmerte Frankreich im Nebel; wir verloren es allmählich außer Sicht, und es ward nicht wieder gesehen. Wir mussten noch am selben Tage die Anker auf einige Stunden fallen lassen. Am 7. September mittags gingen wir vor der Stadt Plymouth im Cathwater vor Anker.

Die Zeit dieser Fahrt war für mich eine harte Lehrzeit. Ich lernte erst die Seekrankheit kennen, mit der ich unausgesetzt rang, ohne sie noch zu überwinden. Es ist aber der Zustand, in den diese Krankheit uns versetzt, ein erbärmlicher. Teilnahmslos mag man nur in der Koje liegen oder oben auf dem Verdecke, am Fuße des großen Mastes, sich vom Winde anwehen lassen, wo näher dem Mittelpunkte der Bewegung dieselbe unmerklicher wird. Die eingeschlossene Luft der Kajüte ist unerträglich, und der bloße Geruch der Speisen erregt einen unsäglichen Ekel. Obgleich mich der Mangel an Nahrung, die ich nicht bei mir behalten konnte, merklich schwächte, verlor ich dennoch nicht den Mut. Ich ließ mir von andern erzählen, die noch mehr gelitten als ich, und von Nelson, der nie zur See gewesen, ohne krank zu sein. Ich duldete um des freudigen Zieles willen die Prüfung ohne Murren.

Wormskiold hatte indes die meteorologischen Instrumente zu beobachten übernommen. Seine Kenntnis des Seelebens gab ihm einen großen Vorsprung vor mir, der ich, in die neuen Verhältnisse uneingeweiht, durch manchen Verstoß unvorteilhafte Vorurteile wider mich erweckte. Ich wusste zum Beispiel noch nicht, dass man nicht ungerufen den Kapitän in seiner Kajüte aufsuchen darf; dass ihm, wenn er auf dem Verdeck ist, die Seite über dem Wind ausschließlich gehört und dass man ihn da nicht auch anreden soll; dass diese selbe Seite, wenn sie der Kapitän nicht einnimmt, dem wachthabenden Offizier zukommt; ich wusste vieles der Art nicht, was ich nur gelegentlich erfuhr.

Ich hatte nicht bemerkt, dass in Hinsicht der Bedienung ein Unterschied zwischen den Offizieren und uns anderen gemacht werde. Als wir in Plymouth einliefen, gab ich unserm Sikow meine Stiefeln zu putzen; er empfing sie aus meiner Hand und setzte sie vor meinen Augen sogleich da wieder hin, wo ich sie eben hergenommen hatte. So ward mir kund, dass er nur seinen Offizieren zu dienen habe. Ich musste von dem Tage an auf die kleinen Dienste Verzicht leisten, die er mir bis dahin freiwillig geleistet hatte; der wackere Kerl war mir von Herzen gut, ich glaube, er würde für mich durchs Feuer gegangen sein; aber meine Stiefeln hätte er nicht wieder angerührt. Solche Dienste wusste sich Choris von andern Matrosen zu verschaffen; Eschscholtz wusste sie sich selber zu leisten; ich aber wusste mich darüber hinwegzusetzen und ihrer zu entbehren.

Ich ward, sobald das Schiff vor Anker lag, zu dem Kapitän gerufen. Ich trat zu ihm in seine Kajüte ein. Er redete mich ernst und scharf an, mich ermahnend, meinen Entschluss wohl zu prüfen; wir seien hier in dem letzten europäischen Hafen, wo zurückzutreten mir noch ein leichtes sei. Er gebe mir zu überlegen, dass ich als Passagier an Bord eines Kriegsschiffes, wo man nicht gewohnt sei, welche zu haben, keinerlei Ansprüche zu machen habe. Ich entgegnete ihm betroffen: es sei mein unabänderlicher Entschluss, die Reise unter jeder mir gestellten Bedingung mitzumachen, und ich würde, wenn ich nicht weggewiesen würde, von der Expedition nicht abtreten.

Die Worte des Kapitäns, die ich hier wiederholt habe, wie ich sie damals niederschrieb, wie sie ausgesprochen wurden und mir unvergesslich noch im Ohre schallen, waren für mich sehr niederschlagend. Ich glaubte nicht, Veranlassung dazu gegeben zu haben. Ich kann aber dem Kapitän bei dieser Gelegenheit nicht unrecht geben. Es scheint so natürlich, dass ein Titulargelehrter, Teilnehmer einer gelehrten Unternehmung, begehren werde, dabei eine Auctorität zu sein, dass dem Schiffskapitän nicht zu verargen ist, es zu erwarten und dem vorzubeugen. Denn zwei Auctoritäten können auf einem Schiffe nicht zusammen bestehen, und das lehrt die Erfahrung auch auf Kauffahrteischiffen, wo es meist unerfreulich zugeht, wann neben dem Kapitän ein Superkargo und Stellvertreter des Eigentümers ist. Man nimmt auch, wo das Seewesen verstanden wird, Rücksicht darauf. In Frankreich und England werden auf Entdeckungsreisen keine Titulargelehrten mehr mitgenommen, sondern es wird dafür gesorgt, dass alle Teilnehmer der Expedition Gelehrte seien; bei den amerikanischen Kauffahrern ist der Führer des Schiffes zugleich der Handelsmann, und die Handelskompanien haben Faktoreien, zwischen welchen und dem Mutterland das betrachtete Schiff zu fahren dem unumschränkt an seinem Bord gebietenden Offizier einzig obliegt. Ob es gleich in der Wesenheit der Dinge liegt, ist es doch zu bedauern, dass der Gelehrte, dem es in der Regel am Bord eines Kauffahrers so wohl ergeht, so beengt wird da, wo sich ihm ein weiterer Wirkungskreis zu eröffnen scheint. Voller Lust und Hoffnung, voller Tatendurst kommt er hin und muss zunächst erfahren, dass die Hauptaufgabe, die er zu lösen hat, darin besteht, sich so unbemerkbar zu machen, sowenig Raum einzunehmen, sowenig dazusein als immer möglich. Er hat hochherzig von Kämpfen mit den Elementen, von Gefahren, von Taten geträumt und findet dafür nur die gewohnte Langeweile und die nie ausgehende Scheidemünze des häuslichen Elendes, ungeputzte Stiefeln und dergleichen.

Meine nächste Erfahrung war eben auch nicht ermutigend. Ich hatte mich vorsorglich über das Prinzip und den Bau der Filtrierfontäne belehrt und erbot mich, eine solche zu verfertigen. Das zur ungünstigsten Zeit geschöpfte und jetzt schon sehr übel riechende Wasser der Newa, welches wir tranken, schien meinen Antrag zu unterstützen. Nichtsdestoweniger fand er keinen Anklang. Es fehlte an Raum, an Zeit, an andern Erfordernissen, und zuletzt war der Kapitän der Meinung, „das Filtrieren werde dem Wasser die nahrhaften Teile entziehen und es weniger gesund machen“. Ich sah ein, dass ich die Sache fallenlassen müsse.

Plymouth liegt an einem Einlass des Meeres, welcher sich hinter dem Küstenstriche höheren Landes in Arme teilt und zwischen schönen Felsenufern weit in das Land eindringt. Alte und neue Städte, Dörfer, Stapelplätze, Arsenäle, Festungen, prachtvolle Landhäuser drängen sich an diesen Ufern; die ganze Gegend ist nur eine Stadt, das eigentliche Plymouth nur ein Revier derselben. Das Land umher wird überall von Mauern und Hecken in Felder abgeteilt. Die weißen Mauern, der feine Staub, die Bauart, die riesenhaften Inschriften der Häuser und die Anschlagzettel erinnern unwillkürlich an die Umgegend von Paris. Ein solches Meer von Häusern ist auch Paris; aber ihm fehlt die große Straße, das Meer. Dieses trägt hier in eigenen Häfen und auf Ankerplätzen unzählige Schiffe, dort (Plymouth-Dock) Kriegsschiffe, hier (Plymouth-Cathwater) Kauffahrteischiffe aller Nationen. Es wurde zurzeit ein riesenhaftes Werk ausgeführt, das Breakwater, ein Damm, der den Eingang des Sundes zum Teil absperren und das Binnenwasser vor dem Andrange der äußeren Wellen schützen sollte. Über zweiundsechzig Fahrzeuge waren unaufhörlich beschäftigt, die Felsenmassen herbeizubringen, die in den Steinbrüchen an den Ufern des Fjordes unablässig gesprengt wurden. Das Abdonnern dieser Minen, die Signalschüsse, das Salutieren der Schiffe erweckten oft im tiefsten Frieden das Bild einer belagerten Stadt.

Ich war und blieb fremd in Plymouth. Die Natur zog mich mehr an als die Menschen. Sie trägt einen unerwartet südlichen Charakter, und das Klima scheint besonders mild zu sein. Die südeuropäische Eiche (Quercus ilex) bildet die Lustwälder von Mount Edgcomb, und Magnolia grandiflora blüht im Freien am Spalier.

Das Meer hat bei hohen felsigen Ufern und Fluten von einer Höhe, die kaum auf einem andern Punkte der Welt – auf der Küste von Neuholland – beobachtet wird, seine ganze Herrlichkeit. Die Flut steigt an den Übergangs-, Kalk- und Tonschieferklippen bis auf zweiundzwanzigFuß; und bei der Ebbe enthüllt sich dem Auge des Naturforschers die reichste, wunderbar rätselhafteste Welt. Ich habe seither nirgends einen an Tangen und Seegewürmen gleich reichen Strand angetroffen. Ich erkannte fast keine von diesen Tieren; ich konnte sie in meinen Büchern nicht auffinden, und ich entrüstete mich ob meiner Unwissenheit. Ich habe erst später erfahren, dass wirklich die mehrsten unbekannt und unbeschrieben sein mussten. Ich habe im Verlaufe der Reise manches auf diese Weise versäumt, und ich zeichne es hier geflissentlich auf zur Lehre für meine Nachfolger. Beobachtet, ihr Freunde, sammelt, speichert ein für die Wissenschaft, was in euren Bereich kommt, und lasset darin die Meinung euch nicht irren: Dieses und jenes müsse ja bekannt sein, und nur ihr wüsstet nicht darum. – War doch unter den wenigen Landpflanzen, die ich von Plymouth zum Andenken mitnahm, eine Art, die für die englische Flora neu war.

Uns begünstigte die heiterste Sonne. Ich begegnete auf einer meiner Wanderungen zweien Offizieren vom 43. Regimente, die, neugierig, unser Schiff zu sehen, mir auf dasselbe folgten. Sie luden den Kapitän und uns alle, Genossen ihres gemeinschaftlichen Tisches zu sein. Die Einrichtung ist getroffen, dass an einem oder zweien Tagen der Woche ein reichlicheres Mahl aufgetragen wird und jeder Gäste mitbringen kann. Der Kapitän und ich folgten der Einladung. Ich glaube nie eine reichlicher besetzte Tafel gesehen zu haben. Es ward viel gegessen, noch mehr getrunken, wobei jedoch den fremden Gästen kein Zwang auferlegt wurde; aber es herrschte keine Lustigkeit. Am Abend gaben uns, die uns eingeladen hatten, das Geleit, und einer der beiden entledigte sich vor uns des genossenen Weins, ohne dass dadurch der Anstand verletzt wurde.

Ich habe der politischen Ereignisse, die mich auf diese Reise gebracht und die, sobald der Ruf an mich ergangen war, für mich in den Hintergrund zurückgetreten waren, nicht wieder erwähnt. Mich mahnt Plymouth, mich mahnt die freundliche Berührung mit dem Offizierkorps des 43. Regimentes an den Mann des Schicksals, den von hier aus kurz vor unserem Einlaufen der „Bellerophon“ nach Sankt Helena abgeführt hatte, damit er, der einst die Welt unterjocht und beherrscht hatte, dort in erbärmlichen Zwistigkeiten mit seinen Wächtern kleinlich untergehe. Allgemein war für den überwundenen Feind die Begeisterung, die aus allen Klassen des Volkes, besonders aus dem Wehrstande, einmütig uns entgegenschallte. Jeder erzählte, wann und wie oft er ihn gesehen und was er getan, in die Huldigung der Menge einzustimmen; jeder trug seine Medaillen, jeder pries ihn und schalt zürnend die Willkür, die ihn dem Gesetze unterschlagen. In welchem Gegensatze mit der hier herrschenden Gesinnung war nicht der niedrige Schimpf der Spanier in Chile, die sich beeiferten, das Tier der Fabel zu sein, das dem toten Leuen den letzten Fußtritt geben will! Der „Bellerophon“ hatte weit im Sunde vor Anker gelegen, und der Kaiser pflegte sich zwischen fünf und sechs Uhr auf dem Verdecke zu zeigen. Zu dieser Stunde umringten unzählige Boote das Schiff, und die Menge harrte begierig auf den Augenblick, den Helden zu begrüßen und sich an seinem Anblick zu berauschen. Später war der „Bellerophon“ unter Segel gegangen und hatte, kreuzend im Kanal, was noch zu seiner Ausrüstung mangelte, erwartet. Man erzählte von einer wegen Schulden gegen Napoleon erhobenen Klage und der darauf erfolgten Vorladung eines Friedensrichters, welche Vorladung, falls sie auf das Schiff, während es vor Anker lag, hätte gebracht werden können, zur Folge gehabt haben würde, dass der Verklagte dem Richter hätte gestellt werden müssen. Hätte aber seinFuß den englischen Boden berührt, so konnte er nicht mehr dem Schutze der Gesetze entzogen werden.

Auf dem Theater von Plymouth trat zurzeit bei erhöhten Eintrittspreisen Miss O'Neill in Gastrollen auf. Ich habe sie zweimal gesehen, in „Romeo und Julie“ und in „Menschenhass und Reue“ („The Stranger“). Nach der Rückkehr im Jahre 1818 habe ich in London auch Kean gesehen, und zwar in der Rolle von Othello. Ich erkenne es dankbar als eine Gunst des Schicksals, dass ich, der ich das französische und das deutsche Theater, beide in ihrem höchsten Glanze, ich möchte sagen, vor ihrem Verfall, gekannt habe, auch etliche Fürsten der englischen Bühne, sei es auch nur flüchtig, zu sehen bekam. Miss O'Neill befriedigte mich in der Julie nicht, in welcher Rolle sie mir zu massiv erschien; gegen die Eulalia hatte ich nichts einzuwenden; die Gabe der Tränen, die man an ihr bewundern musste, kam ihr da vortrefflich zustatten. Mir schienen überhaupt die Darstellenden den Shakespeare zu geben, schier wie Hamlet seine „Mausefalle“ nicht gegeben haben will. Kotzebue berechtigt zu minderen Anforderungen, die genügender erfüllt wurden. Übrigens haben die englischen Schauspieler alle einen guten Anstand, sprechen die Verse richtig und bemühen sich mit sichtbarer Anstrengung, die Worte, gegen die Sitte des gemeinen Lebens, deutlich und vernehmbar auszusprechen. Sie scheinen mir darin den französischen Schauspielern vergleichbar, denen eine Dressur unerlässlich ist, die alles einbegreift, was auch der nicht von dem Gotte Begabte aus sich heraus und in sich hinein zu bilden vermag. Gottbegabte Künstler sind überall selten. Vielleicht hat unser Deutschland deren verhältnismäßig viele, aber selten sieht man auf unserer Bühne solche, die sich zu dem hinaufgebildet haben, was von den französischen Schauspielern gefordert wird; und das gemeine Handwerkervolk, das die Mehrzahl ausmacht – was soll man von ihnen sagen?

Da ich eben berichten müssen, wie ich in Shakespeares Vaterland unsern Kotzebue von den ersten Künstlern, und zwar befriedigender als ihren eigenen Heros, habe aufführen sehen, so werd ich auch gleich, um nicht wieder darauf zurückzukommen, ein vollgültiges Zeugnis ablegen, dass für die, welche die Regierungen de facto anerkennen, dieser selbe Kotzebue der Dichter der Welt ist. Wie oft ist mir doch an allen Enden der Welt, namentlich auf O-Wahu, auf Guajan usw., für meinen geringen Anteil an dem Beginnen seines Sohnes mit dem Lobe des großen Mannes geschmeichelt worden, um auch auf mich einen Zipfel von dem Mantel seines Ruhmes zu werfen. Überall hallte uns sein Name entgegen. Amerikanische Zeitungen berichteten, dass „The Stranger“ mit außerordentlichem Beifall aufgeführt worden. Sämtliche Bibliotheken auf den Aleutischen Inseln, soweit ich solche erkundet habe, bestanden in einem vereinzelten Bande von der russischen Übersetzung von Kotzebue. Der Statthalter von Manila, huldigend der Muse, beauftragte den Sohn mit einem Ehrengeschenke von dem köstlichsten Kaffee an seinen Vater, und auf dem Vorgebürge der Guten Hoffnung erfuhr der Berliner Naturforscher Mundt die Ankunft des „Ruriks“, auf dem er mich wusste und erwartete, von einem Matrosen, der ihm nur zu sagen wusste, dass der Kapitän des eingelaufenen Schiffes einen Komödiantennamen habe. Vom „Alarcos“, vom „Ion“ und deren Verfassern habe ich in gleicher Entfernung vom Hause nichts gehört.

Die amerikanischen Kauffahrer, denen keine meerbespülte Küste unzugänglich ist, denen aber die Sonne der romantischen Poesie noch nicht aufgegangen, sind die wandernden Apostel von Kotzebues Ruhm; er ist das für sie taugliche Surrogat der Poesie. Die Tat beweist übrigens, dass er ein Erfordernis besitzt, welches manchem Vornehmeren abgeht; denn was hilft es der Stute Rolands, so unvergleichlich und tadellos zu sein, wenn sie leider tot ist?

Wir fanden in der Regel die Meinung herrschend, der große Dichter lebe nicht mehr. Das ist natürlich: Wer suchte Homer, Voltaire, Don Quixote und alle die großen Namen, in deren Verehrung er aufgewachsen, unter den Lebendigen? Aber auch die Anzeige seines Todes wollte man auf O-Wahu und wohl auch an andern Orten in amerikanischen Zeitungen gelesen haben. Dieses Gerücht, welches mich beunruhigte, kam auch zu den Ohren des Kapitäns, der es auf den Tod eines seiner Brüder deutete, welcher im Feldzug 1813 rühmlich starb. Man wird im Verlauf dieser Blätter sehen, wie man uns in Europa, die wir die Post in Kamtschatka versäumt, verloren und verschollen hat glauben müssen und wie der Vater den hoffnungsvollen Sohn zu beweinen vollgültigen Grund gehabt. Endlich langt unverhofft, unerwartet, allen möglichen Nachrichten von ihm zuvorkommend, der „Rurik“ wieder an, und Otto Astawitsch eilt, dem Vater die junge Gattin, mit der er sich vermählt, zuzuführen – er findet die blutige Leiche auf der Totenbahre!

Ich komme von einer Abschweifung, die mich etwas weit geführt hat, auf Plymouth wieder zurück und eile der Abfahrt entgegen. Die Zeit, nicht immer zweckmäßig angewandt, verging sehr schnell. Wir hatten jeder unsere Ausrüstung zu vervollständigen; uns hielt in der zerstreuenden Umgebung nichts zusammen; jeder sorgte für sich selbst, wie er konnte und mochte; vieles hätte, gemeinschaftlich besprochen und planmäßig ausgeführt, zweckmäßiger und schneller geschehen können. Ein paar Diners, zu denen ich mit dem Kapitän eingeladen wurde, bieten mir zu keinen neuen Bemerkungen Stoff. Die Sitten der mehr Ehrfurcht gebietenden als durch Liebenswürdigkeit anziehenden Engländer finden sich in allen Büchern beschrieben. Ich habe da den Stachelbeerwein gekostet, dessen wegen das Haus des Vicar of Wakefield berühmt war, und habe ihn dem Champagner gleich, nur süßer gefunden. Ich habe nach abgehobenem Tischtuch am grünen Teppiche getrunken und trinken sehen; ernst, gelassen und wortkarg, einer abwechselnd sich gegen den andern verneigend, eine Ehren- oder Wohlwollensbezeigung, die auf gleiche Weise zu erwidern man nicht verabsäumen darf. Ich habe überhaupt Engländer nur dann lachen sehen, wann ich Englisch mit ihnen zu reden versucht, und habe mir auf die Weise oft zu meiner eigenen Freude freudige Gesichter erzeugt. Ich habe später auf dem Schiffe den Freund Choris Englisch gelehrt, der mir die Mühe dadurch vergalt, dass er mir hinfort unter Engländern zu einem Dolmetscher gedient. Wo er zu meinem Englischen die Aussprache herbekommen hat, ist mir unerklärt geblieben. Ich habe übrigens die Engländer im allgemeinen höflich und dienstfertig gefunden. Das Seehospital, welches ich besuchte, veranlasst mich nur zu bezeugen, dass alles, was man von der Reichlichkeit, Reinlichkeit und Schönheit solcher englischen Institute und von der Ordnung und Fülle, die in ihnen herrscht, aus Büchern weiß, weit hinter dem Eindruck zurückbleibt, den die Ansicht macht.