Ren Dhark – Weg ins Weltall 83: Hexenkessel Babylon - Manfred Weinland - E-Book

Ren Dhark – Weg ins Weltall 83: Hexenkessel Babylon E-Book

Manfred Weinland

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Beschreibung

Der Planet Babylon ist die neue Zentralwelt der Menschheit, auf der die Besatzung der legendären POINT OF ihren wohlverdienten Urlaub verbringen möchte. Allerdings ist nicht alles so friedlich, wie es zunächst scheint, denn unter der Oberfläche brodelt es gewaltig, sodass Bernd Eylers, der Chef der GSO, seine besten Leute darauf ansetzt. Dann kommt es zu ersten Ausfällen der Technik, die die Stimmung in der Bevölkerung weiter aufheizen. Langsam aber sicher verwandelt sich der Planet in den Hexenkessel Babylon... Jan Gardemann, Nina Morawietz und Manfred Weinland schrieben diesen äußerst explosiven SF-Roman nach dem Exposé von Ben B. Black.

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Ren Dhark

Weg ins Weltall

 

Band 83

Hexenkessel Babylon

 

von

 

Nina Morawietz

(Kapitel 1 bis 5 sowie 19 und 20)

 

Jan Gardemann

(Kapitel 6 und 7 sowie 21 bis 24)

 

Manfred Weinland

(Kapitel 8 bis 18)

 

und

 

Ben B. Black

(Exposé)

Inhalt

Titelseite

Vorwort

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

17.

18.

19.

20.

21.

22.

23.

24.

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Impressum

Vorwort

Wie die meisten von Ihnen, liebe Leser, vermutlich wissen, nutze ich einen Teil meiner Freizeit immer wieder gerne, um ein wenig am PC zu spielen. Ich habe mit diesem Vergnügen bereits um 1980 herum angefangen, als die meisten Spiele noch textbasiert waren, was man sich heutzutage kaum noch vorstellen kann. Die ersten grafischen Spiele, bei denen man ein Männchen durch die Gegend laufen lassen konnte, stellten eine Sensation dar, auch wenn die Anzahl der Farben und die Auflösung der Bilder im Nachhinein als mäßig zu bezeichnen sind – vom Gequäke der Klangausgabe ganz zu schweigen.

Moderne Spiele haben das alles längst hinter sich gelassen und bieten dem Spieler einen Detailreichtum, der immer weiter in den Bereich der realistischen Darstellung rückt und vermutlich irgendwann ein Stadium erreichen wird, bei dem man eher von einem interaktiven Film als von einem Spiel sprechen muss. Aber das ist es gar nicht, was mich an Spielen fasziniert, denn bei all der tollen Grafik und den teils fantastischen Sounds ist mir vor allem eines wichtig: Ein gutes Spiel muss eine gute Geschichte erzählen, so wie ein gutes Buch auch.

Ich komme auf all diese Gedanken, weil ich derzeit in einem Spiel unterwegs bin, das es verstanden hat, mich von Anfang an in seinen Bann zu ziehen. Zu Beginn erwacht man in der Gestalt eines humanoiden Roboters und wird von einer donnernden Stimme, die einem unsichtbaren Sprecher gehört, als dessen Kind begrüßt, das sich in der Welt zurechtfinden soll und dazu ein paar Prüfungen ablegen muss. Die Umgebung ist gartenartig und traumhaft schön, die allseits präsenten Ruinen erinnern an die Blütezeit des römischen Reichs. Die Prüfungen erweisen sich als größere und kleinere Logikrätsel, bei denen verschiedene Dinge geschickt kombiniert werden müssen, um sie zu lösen. Manche der Hindernisse, die sich einem dabei in den Weg stellen, sind tödlich, aber das ist klar erkennbar, und sie sind in der Minderzahl. Der Spieler hat keinen Zeitdruck beim Lösen der Aufgaben, das Ganze spielt sich also sehr angenehm. Und dann ist da noch »der Turm«, dem man laut der Stimme ja fernbleiben soll, denn dort erwarte einen nichts anderes als der Tod …

Aber damit nicht genug, kommt auch recht schnell die Frage auf, was eine Person beziehungsweise ein Bewusstsein ausmacht. Das Spiel hat neben den Logikrätseln also durchaus auch eine philosophische Komponente, bei der es zum Beispiel um die Frage geht, ob eine KI auch eine Person sein kann, und wo denn genau die Grenze zum Personsein zu ziehen ist.

Solche Fragen und Gedankenspiele faszinieren mich, und sie erinnern mich auch immer an unser aller Lieblingsserie, wo der intelligente Roboter Artus ja schon vor einiger Zeit seinen Bürgerstatus erhalten hat und wir uns überlegen, was mit Wesen wie Jimmy, dem Checkmaster oder Bulam ist. Wären das nicht auch Kandidaten für den offiziellen Bürgerstatus? Und wenn nicht, warum nicht?

Aber nun will ich Sie nicht länger mit solchen durchaus tiefsinnigen Gedanken vom Lesevergnügen abhalten. Uns erwartet ein weiteres spannendes Abenteuer, diesmal im Hexenkessel Babylon …

 

Stuttgart, im April 2019

Ben B. Black

Prolog

Im Herbst des Jahres 2067 scheint sich das Schicksal endlich einmal zugunsten der Menschheit entwickelt zu haben. Deren Hauptwelt heißt längst nicht mehr Terra, sondern Babylon. 36 Milliarden Menschen siedelten auf diese ehemalige Wohnwelt der Worgun um, als die irdische Sonne durch einen heimtückischen Angriff zu erlöschen und die Erde zu vereisen drohte. Mittlerweile konnte die Gefahr beseitigt werden, und das befreundete Weltallvolk der Synties hat den Masseverlust der Sonne durch die Zuführung interstellaren Wasserstoffgases wieder ausgeglichen. Die Erde ist erneut ein lebenswerter Ort, auf dem allerdings nur noch rund 120 Millionen Unbeugsame ausgeharrt haben. Die neue Regierung Terras unter der Führung des »Kurators« Bruder Lambert hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Planeten nach dem Vorbild Edens in eine Welt mit geringer Bevölkerungsdichte, aber hoher wirtschaftlicher Leistungskraft zu verwandeln, und ist deshalb nicht bereit, die nach Babylon Ausgewanderten wieder auf die Erde zurückkehren zu lassen.

Noch im selben Jahr nimmt Ren Dhark das Angebot des Industriellen Terence Wallis an und lässt seinen Körper mit Nanorobotern behandeln, die ihn und sieben von ihm Auserwählte unsterblich machen. Doch anstatt sich mit seiner nun vollständig veränderten Lebensperspektive beschäftigen zu können, muss sich Ren Dhark einer neuen Aufgabe stellen: Eine unbekannte Macht namens Kraval sorgt dafür, dass der Hyperraum nicht länger zugänglich ist.

Als man diese Herausforderung endlich gemeistert hat, tauchen die Wächter mit einer neuen Hiobsbotschaft auf: Im Zentrum der Milchstraße hat sich scheinbar aus dem Nichts ein Miniaturuniversum gebildet, das allerdings exponentiell wächst und schon in wenigen Jahren den Untergang unseres Universums herbeiführen könnte. Mithilfe der Nomwarun – nur etwa 50 Zentimeter große Nachfahren der Worgun – gelingt es schließlich, der Gefahr zu begegnen. Allerdings spielen die Nomwarun nicht mit offenen Karten und zerstören das Miniuniversum, anstatt es wie versprochen in ein anderes Kontinuum zu versetzen, weil das anscheinend nicht möglich gewesen ist. Ren Dhark macht dieses Resultat sehr zu schaffen, doch es gelingt ihm nicht, die Nomwarun entsprechend zur Rede zu stellen.

Knapp zwei Jahre später, im Sommer des Jahres 2072, scheint endlich die Normalität in der Milchstraße zu herrschen, die sich jedermann wünscht. Da werden Arc Doorn, Chris Shanton und Amy Stewart durch ein Lichtphänomen aus einer uralten Einrichtung der Wächter unterhalb des Titicacasees in die Galaxis Voktar verschlagen. Ren Dhark eilt seinen Freunden zu Hilfe, und nach einer kleinen Odyssee gelingt es den Raumfahrern im Sommer 2073 schließlich, wieder in die Milchstraße zurückzukehren.

Kaum zu Hause, bekommen es die Raumfahrer mit jemandem zu tun, der offenbar bewohnte Planeten mit tödlichen Seuchen überzieht. Auf der Suche nach Hinweisen auf den Verbleib des geheimnisvollen Fremden dringt die POINT OF ins Hoheitsgebiet des Telin-Imperiums vor. Dort gelingt es schließlich, Kharamak zu stellen, doch der Krayn lässt Ren Dhark und seinen Begleitern keine andere Wahl, als ihn zu töten.

Die Terraner befinden sich bereits wieder auf dem Heimweg, als sie von den Tel dazu aufgefordert werden, bei der Aufklärung einer Reihe bestialischer Morde auf der Forschungswelt Reshaf zu helfen. Der Täter entpuppt sich als ein Teil des Bakterienmannes, dem Ren Dhark und seine Getreuen bis Babylon folgen, wo dessen Large jedoch bereits von der BF abgeschossen wurde. Während die Besatzung der POINT OF ihren wohlverdienten Urlaub auf der neuen Zentralwelt der Menschen genießt, kommt es immer wieder zu Störungen in der bis dato reibungslos arbeitenden Technik – und diese Störungen sind alles andere als harmlos …

1.

Unaufhaltsam sauste die Liftkabine nach unten. Ömer spürte, wie sich seine Eingeweide verschoben. Panisch blickte er zu Liv, dann in das kreidebleiche Gesicht seines ehemaligen Partners. Ihnen blieben nur noch wenige Sekunden bis zum sicheren Tod. Sein einziger Trost bestand darin, dass es nicht wehtun würde. Wer aus einem Kilometer Höhe auf Unitall aufschlug, zerplatzte wie eine reife Tomate.

Jos Aachten van Haag lag halb unter Liv begraben. In seinen Augen flackerte die Gewissheit, sterben zu müssen. Selbst die Angst konnte er nicht gänzlich verbergen. Seine zusammengepressten Lippen glichen einem schmalen Strich. Hilfesuchend sah er zu Ömer herüber, der jedoch ebenso wenig einen Ausweg wusste wie er. Sollten die besten Agenten der GSO tatsächlich auf diese Weise sterben? Wer würde ihnen nachtrauern? Familie oder Lebenspartner hatte keiner von ihnen.

Plötzlich ging ein Ruck durch die Kabine. Ein ohrenbetäubendes Kreischen setzte ein. Ömer befürchtete schon, dass die Kabine auseinanderfallen würde, stattdessen verlangsamte sie sich merklich und kam schließlich zum Stillstand. Im ersten Moment wagte er weder zu atmen noch sich zu rühren. Er glaubte, dass der Lift lediglich einen Zwischenhalt eingelegt hatte und den Fall nach unten gleich fortsetzen würde.

Es war Liv, die sich als Erste bewegte. »Ist …, ist es vorbei?«, fragte sie zaghaft. Sie versuchte, sich aufzurichten. Dabei rutschte sie ab und landete mit dem Ellenbogen dort, wo es Ömer allein vom Zusehen wehtat.

Jos stieß einen Schmerzlaut aus und packte sie rasch bei den Schultern. »Pass doch auf, Mann!«

»Das war keine Absicht.«

»Und jetzt runter von mir!« Er schob sie von sich fort.

»Du könntest ruhig etwas netter zu mir sein«, fand sie. »Immerhin sind wir gerade erst dem Tod von der Schippe gesprungen.«

»Ist nicht das erste Mal für mich. In meinem Beruf lebt man gefährlich.«

»In deinem?«

Anstatt zu antworten, erhob sich Jos und kontrollierte den Sitz seines Handnadelstrahlers im Halfter unter seinem Sakko. Anschließend richtete er sich Kleidung und Frisur, wobei er sich in einem verchromten Dekoelement der Liftkabine begutachtete.

Liv rollte mit den Augen und stand nun ebenfalls auf. Sie verzichtete auf einen bissigen Kommentar. Stattdessen näherte sie sich vorsichtig der Glasscheibe. Dort versuchte sie, irgendetwas zu erkennen.

»Funktioniert Antigrav wieder?«, erkundigte sich Ömer.

»Keine Ahnung. Ich glaube, uns hat ein mechanisches Sicherheitssystem gerettet. Da sind so komische Dinger zwischen Schachtwand und Kabine. Allerdings weiß ich nicht, ob die sich nicht vorher schon dort befanden. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn wir uns in einem normalen A-Grav-Schacht befunden hätten!«

»Dann wären wir jetzt tot«, stellte Jos trocken fest.

Er schien wieder ganz der Alte zu sein. Jedenfalls hatte die Nahtoderfahrung augenscheinlich keine Spuren an ihm hinterlassen.

Er reichte Ömer die Hand und zog ihn auf die Beine.

»Ich habe mich schon immer gefragt, weshalb es in den Wohnpyramiden so etwas Altmodisches wie Kabinen gibt«, fuhr Liv fort. »Wahrscheinlich wollten sich die Ingenieure nicht zu sehr auf die Worgun-Technologie verlassen und haben lieber Altbewährtes verbaut.«

Ömer steckte sich das verrutschte Hemd wieder ordentlich in die Hose. »Ich meine mal gelesen zu haben, dass die Kabinen auch dazu dienen, den Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Fast niemand tritt freiwillig in einen mehrere Hundert Meter tiefen Schacht, in dem sich nur Luft befindet.«

»Ob man allein abstürzt oder zusammen mit einer Plattform, macht eigentlich keinen Unterschied.«

»Für die Psyche offenbar schon.«

»Manchmal sind die einfachsten Lösungen die besten. Fallschirme oder Rucksäcke mit mobilen Antigrav-Generatoren zu verteilen, wäre wahrscheinlich weniger effizient gewesen.«

»Hilft mir hier mal einer?«, unterbrach Jos die beiden. Er stand an der Tür der Kabine und versuchte, den Schlitz mit seinen Fingern zu verbreitern.

»Du musst sie erst entriegeln«, informierte Liv ihn.

»Längst geschehen.«

Ömer ging zu Jos. Gemeinsam stemmten die beiden Männer die Tür auf und legten den Unitallboden zwischen der fünfundzwanzigsten und sechsundzwanzigsten Ringebene frei. Dieser war gerade einmal fünfzig Zentimeter dick, obwohl er ungeheure Lasten aushalten musste.

Zwischen dem Boden und der oberen Kante der Kabine befand sich ein großer Spalt, durch den mehrere Menschen mit weit aufgerissenen Augen und Mündern in die Kabine hineinstarrten. Keiner der Männer und Frauen machte Anstalten, den drei Überlebenden des Absturzes zu helfen.

Jos kletterte als erster hinaus und drängte die Gaffer ein Stück zurück, ehe er in die Knie ging. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, unterstützte er Liv und Ömer dabei, ebenfalls der Kabine zu entkommen. Die Menschentraube, die ursprünglich auf den Lift gewartet hatte, starrte die drei weiter an, als wären diese von den Toten wiederauferstanden.

Liv schaute empört zu Ömer, der unmerklich den Kopf schüttelte. Er wusste, dass sie die Gaffer am liebsten zusammengestaucht hätte. Seiner Meinung nach hätten sie es auch verdient, dennoch wollte er sich nicht vor den Augen aller zum Moralapostel aufspielen und noch mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken. Da fiel sein Blick mit einem Mal auf eine Frau, die sich an der geschlossenen Tür eines benachbarten Schachtes zu schaffen machte. Liv bemerkte sie ebenfalls und wollte ihr zu Hilfe eilen, doch er hielt sie zurück.

»Jos und ich erledigen das«, bestimmte er.

Empört sah sie ihn an. »Und ich soll untätig zuschauen, oder was?«

»Einer von uns muss den Chef über den Vorfall informieren.«

»Kann das nicht ein paar Minuten warten?«

Er warf einen kurzen Blick zu der Menschentraube hinüber, die nicht nur gaffte, sondern auch lauschte. Mit gesenkter Stimme erklärte er seiner Partnerin: »Für meinen Geschmack waren das heute zu viele Katastrophen um und in dieser Pyramide. Das kann kein Zufall sein.«

Livs braune Mandelaugen weiteten sich. »Du glaubst, es könnte sich um einen Anschlag auf die Regierung oder die GSO handeln?«

»Oder ganz Babylon.«

»Gut, ich kümmere mich darum.«

*

Während Ömer und Jos jener Frau halfen, die Tür zum Antigrav-Schacht zu öffnen, stahl sich Liv klammheimlich davon. Glücklicherweise interessierten sich die Gaffer mehr für den Lift als für sie. Wahrscheinlich hofften sie doch noch auf ein paar Tote oder zumindest Verletzte. Während ihrer Zeit bei der Polizei hatte Liv eine Menge von dieser Sorte Mensch kennenlernen dürfen. Diese Leute genossen es, für ihre spektakulären Geschichten bewundert und für ihre Traumata mit Aufmerksamkeit beglückt zu werden. Sie spielten sich regelrecht auf, so als ob sie über Geheimwissen verfügen würden. Kritisierte man sie, rechtfertigten sie sich mit den abstrusesten Ausreden. Dass das eine oder andere Opfer hätte gerettet werden können, hätten sie den Weg für die Helfer nicht blockiert, nahmen sie billigend in Kauf.

Liv schüttelte die Gedanken ab. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, sich über diese Idioten aufzuregen. Sie suchte sich einen ungestörten Platz in der Nähe, den sie neben einem Stapel Sperrmüll fand. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass niemand sie beobachtete, aktivierte sie den Sprachverwirbler an ihrem Armbandvipho und wählte die Nummer ihres Chefs.

Bernd Eylers nahm sofort ab. »Miss Sanders, gut, dass Sie sich melden!«

»Haben Sie bereits von dem Ausfall der hiesigen Antigrav-Generatoren gehört?«

Auf dem kleinen Bildschirm glaubte sie zu erkennen, wie für einen winzigen Moment so etwas wie Besorgnis über Eylers’ Gesicht huschte. »Hier in der Pyramide?«

»Genau.«

»Wann?«

»Vor nicht einmal zehn Minuten. Mister Giray, Mister van Haag und ich befanden uns gerade auf dem Weg nach oben, als unsere Kabine in der einhundertdreizehnten Ebene plötzlich abstürzte. Glücklicherweise griffen die mechanischen Sicherheitssysteme und fingen uns zwischen der fünfundzwanzigsten und sechsundzwanzigsten Ringebene ab. Wir sind mit dem Schrecken davongekommen. Ansonsten geht es uns gut.«

Eylers musterte sie einen Moment lang. Selbst auf dem winzigen Bildschirm wirkte der Blick seiner hellgrünen Augen durchdringend.

Schließlich sagte er: »Ich bin froh, dass Sie wohlauf sind. Es wäre ein großer Verlust für die GSO gewesen, auf einen Schlag drei ihrer besten Leute zu verlieren. Suchen Sie, Mister Giray und Mister van Haag bitte beizeiten einen Arzt auf, um sich untersuchen zu lassen!«

»Das werden wir«, versprach Liv. »Allerdings rufe ich nicht an, um mit Ihnen über unsere Gesundheit zu sprechen. Es steht zu befürchten, dass es sich bei den Vorkommnissen des heutigen Tages möglicherweise um Anschläge auf die Regierung Babylons oder auf die GSO handelt.«

Eylers nickte. »Ich habe gerade erst aus Kreisen der POINT-OF-Besatzung von einem kurzen, aber dafür kompletten Stromausfall in einer Pyramide nahe des Raumhafens erfahren. Zusammen mit dem dortigen Ausfall des Leiterstrahlsystems sowie der Störung des hiesigen des Gleiterleitsystems können wir nicht länger von einem bloßen Zufall ausgehen. Ich werde daher in einer Stunde eine Konferenz einberufen, zu der Sie drei bitte auch erscheinen.«

*

Nachdem das Gespräch mit Bernd Eylers geendet hatte, kehrte Liv zu Ömer und Jos zurück. Denen war es inzwischen gelungen, die Tür zum Schacht zu öffnen. Die Liftkabine hing allerdings eine Ebene über dieser fest. Die Frau lief bereits in Richtung Rampe, die nach oben führte.

Ömer zog eine Gafferin vom Schacht fort, die sich neugierig über den Abgrund beugen wollte.

»Was soll das?«, zeterte sie los. »Nehmen Sie gefälligst Ihre Griffel von mir!«

»Ich habe Sie lediglich daran hindern wollen, hinunterzufallen.«

»Bestimmt funktionieren die Antigrav-Generatoren längst wieder«, skandierte sie mit einer abschätzigen Miene.

»Darauf würde ich mich nicht verlassen.«

»Mit dem Lift ist doch auch nichts passiert. Dafür sorgt die ausgefeilte Sicherheitstechnologie. Ich muss es wissen, immerhin arbeite ich für einen der größten Gebäudeversicherer Babylons.« Auf der Suche nach Bestätigung ließ sie ihren Blick über die Gesichter der anderen Zuschauer schweifen.

Ömer spürte, wie Jos ihn kurz am Arm berührte – das Zeichen, das es an der Zeit war, sich zurückzuziehen. Liv sah auffordernd zu ihm herüber. Sie schien ihm dringend etwas mitteilen zu wollen.

Die drei Geheimagenten verließen den Ort zügig und schweigend, um nicht noch mehr Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Ihre Kollegen bei der GSO würden später die Daten des hiesigen Überwachungssystems auswerten und all jene Personen aufspüren, die die Überlebenden mit ihren Hand-Suprasensoren aufgenommen hatten. Anschließend würden sie unauffällig Programme auf die handlichen Geräte schleusen, die die Gesichter auf den Bildern und Videos mithilfe einer Künstlichen Intelligenz verfälschte. Parallel dazu wütete der selbstlernende Algorithmus wie üblich auch im Hyperfunknetz. Insofern musste sich kein Agent Sorgen machen, unfreiwillig berühmt zu werden, solange er schnell handelte und nicht gerade Lance Buldook vor die Kamera lief.

Kaum hatten die drei genügend Abstand zu den Gaffern gewonnen, die sich Zentimeter für Zentimeter wie bei einer Mutprobe dem Abgrund näherten, informierte Liv ihre Kollegen über die Besprechung, die in weniger als einer Stunde in der hundertzwanzigsten Ringebene stattfinden sollte.

Misstrauisch schaute Ömer zu den Antigrav-Schächten hinüber, die sich wie Säulen zwischen den Ebenen spannten. Ihm behagte der Gedanke nicht, in eine der Kabinen zu steigen, bevor nicht eine Armee von Technikern alles gründlich überprüft hatte. »Wie sollen wir so schnell dort hinaufgelangen?«

»Zu Fuß«, antwortete Jos und hielt auch schon auf die nächstgelegene Rampe zu.

»Das sind fast einhundert Ebenen!«, rief Liv ihm in Erinnerung.

»Vierundsiebzig. Wenn deine Ausdauer dafür nicht ausreicht, hast du bei der GSO nichts verloren.«

Der ehemaligen Polizistin klappte der Mund auf, und selbst Ömer, der sich sonst immer aus den Querelen der beiden heraushielt, zuckte eine Augenbraue.

»So ein Arsch!«, knurrte sie leise, als sich Jos bereits einige Meter entfernt befand.

Ihr Partner ging nicht darauf ein, auch wenn er sich ziemlich zurückhalten musste, um ihr nicht beizupflichten. Er hielt es für das Beste, für keinen von beiden Partei zu ergreifen. Zu sehr befürchtete er, dass dieses private Problem irgendwann auf die Arbeit übergreifen könnte. Er wollte nicht mit Liv über Jos sprechen, vor allem nicht während eines Einsatzes. Er schätzte sie genauso sehr wie seinen früheren Partner. Beide verfügten über Stärken und Schwächen. Eigentlich hatte er gehofft, dass seit dem gemeinsamen Verhör von Lek zwischen den beiden alles geklärt war, doch offenkundig hatte er sich geirrt. Vielleicht sollte ich doch mal ein ernstes Wörtchen mit Jos reden, überlegte er, fegte diesen Gedanken jedoch vorerst wieder beiseite, um sich auf den Aufstieg zu konzentrieren. Er hoffte inständig, nicht auf halber Strecke schlappzumachen.

*

Als Ömer und Liv rund fünfundvierzig Minuten später in der hundertzwanzigsten Ebene der Regierungspyramide ankamen, blieben ihnen nur noch fünf Minuten, um sich in den Waschräumen frisch zu machen. Wenig überraschend traf Ömer in dem für Männer Jos an, der sich gerade ein sauberes Hemd vor dem Spiegel anzog.

»Da bist du ja endlich!«, grüßte dieser ihn.

Ömer warf sich eine Ladung kaltes Wasser ins Gesicht und überprüfte seine schweißnassen Achseln im Spiegel. Ob er sich so im Konferenzraum blicken lassen durfte?

»Ich habe mir erlaubt, dir auch eins zu besorgen«, erklärte Jos überraschend und legte ihm ein gefaltetes, beigefarbenes Hemd auf den Beckenrand. »Das müsste noch deine Größe sein, sofern du dich in den letzten vier Jahren nicht hast gehen lassen.«

»Danke.« Im Eiltempo wusch Ömer sich und kleidete sich neu ein. Der saubere Stoff fühlte sich gut auf seiner Haut an. »Willst du das wiederhaben?«

»Gewaschen, wenn es geht.«

»Ich habe übrigens gesehen, dass du in den Lift gesprungen bist«, log Ömer.

»Und?« Jos gab sein Versagen ungeniert zu.

»Du solltest dich nicht so aufspielen.«

»Seit wann bist du so empfindlich, Ömer? Die Liftkabine hing in der hundertvierzehnten. Bevor ich meinen werten Kollegen als stinkendes Schwein in Erinnerung bleibe, riskiere ich lieber einen Absturz.« Ohne eine Miene zu verziehen, strich sich der vierundfünfzigjährige Top-Agent mit der Handfläche eine widerspenstige Strähne zurecht. Das Haar an seinen Schläfen war mittlerweile silbern. Von dort ausgehend zogen sich weitere graue Fäden durch sein braunes Haar. Es ergänzte sich hervorragend mit seinem markanten Gesicht, das von den Strapazen vieler Einsätze gekennzeichnet war. »So, mein Guter, wir werden erwartet.« Im Vorbeigehen klopfte er seinem früheren Partner freundschaftlich auf die Schulter, ehe er den Waschraum verließ.

Ömer versuchte hastig, den vorletzten Knopf seines Hemdes in das dazugehörige Loch zu friemeln, gab jedoch aus Zeitmangel auf und folgte Jos.

*

Der größte Konferenzraum der GSO verfügte über zweihundert Stühle, von denen an diesem Mittag fast alle besetzt waren. Bernd Eylers hatte in Windeseile alle verfügbaren Agenten zusammentrommeln lassen. Gerüchten zufolge beschäftigte der Geheimdienst mittlerweile mehr als vierzehntausend Agenten, deren Missionen sich teilweise bis in die hintersten bekannten Winkel der Milchstraße erstreckten. Die genaue Zahl kannten einzig Bernd Eylers, seine engsten Vertrauten und wahrscheinlich auch die Buchhaltung.

Ömer ließ seinen Blick über die Reihen schweifen. Zu seinem Erstaunen entdeckte er seine Partnerin in der dritten vor der Bühne. Sie winkte ihm zu. In diesem Moment drehte sich auch ihr Sitznachbar um, mit dem sie sich bis eben angeregt unterhalten hatte. Es handelte sich um niemand anderen als Ibrahim ben Dorrha. Neben den beiden befand sich jeweils ein freier Stuhl.

»Hast du etwa auch den Lift genommen, Liv?«, erkundigte sich Jos im Vorbeigehen bei Ömers Partnerin.

Sie warf ihm einen abschätzigen Seitenblick nach. »Auch?«

»Deine Frisur sitzt verdächtig gut für fast einhundert Ebenen.«

»Da gibt es so ein Ding, das sich Fön nennt. Und bevor du nach meiner Bluse fragst: Ich habe stets drei frische in meinem Schrank liegen.«

»Danke für die Info.«

»Gerne doch.« Mit einem leisen Seufzer drehte sich Liv zu Ömer und begutachtete sein äußeres Erscheinungsbild. Es schien ihr zu gefallen. Um es zu perfektionieren, strich sie ihm eine schwarze Strähne hinter das Ohr, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte. »Alles gut?«

»Ich hoffe es. Wie ist es dir gelungen, dich so schnell wieder vorzeigbar zu machen?«

»Alles eine Frage der Übung. Ich hatte mir bereits in Ebene sechsundzwanzig einen Plan zurechtgelegt. Du siehst aber auch ganz gut aus.«

»Ohne Jos’ Spende wäre ich aufgeschmissen gewesen.« Er zupfte sich am Hemd.

Liv verzog das Gesicht. »Wer trägt denn heute noch beige?«

»Ich zum Beispiel.«

»Hattest du keine Ersatzkleidung mehr im Schrank?«

»Doch, aber keine Zeit mehr, sie zu holen. Woher kennst du eigentlich Ibrahim ben Dorrha?«

»Von Sahara. Weißt du nicht mehr?«

Ömer schnalzte mit der Zunge. »Fast vergessen.«

»Wir beide erleben einfach viel zu viel.«

»Zum Glück bist du ein wandelndes Lexikon.«

Liv lächelte, was auch ihn zufrieden stimmte. Zwischendurch brauchte sie einfach ein bisschen Lob – natürlich nicht zu oft, damit es sich nicht abnutzte. Er gab es ihr gerne, denn erstens verdiente sie es, und zweitens arbeitete er lieber mit ihr, wenn sie halbwegs gut gelaunt war. Wenn ihr etwas auf die Stimmung drückte, erwies sie sich manchmal als eine ganz schöne Kratzbürste. Glücklicherweise beherrschte sie die seltene Kunst, auf Knopfdruck alles Private abzuschalten, sobald es um die Arbeit ging.

Ömer schaute zum Rednerpult hinüber, das sich auf einem kleinen Podest befand. Tron Bridges sortierte dort gerade Datenfolien. Ein Assistent bereitete den Holoprojektor für die Präsentation vor.

Als Bernd Eylers erschien, wurde es schlagartig still im Saal. Er hielt sich nicht lange mit Begrüßungen auf, sondern kam gleich zur Sache, indem er eine kurze Zusammenfassung der zurückliegenden Ereignisse lieferte.

Die wenigsten im Publikum zeigten sich überrascht. Auf sämtlichen Medienkanälen wurde über die Vorfälle berichtet und vor allem auch spekuliert.

»Auffällig ist, dass die Technik in den letzten Tagen ausgerechnet an den strategisch wichtigsten Orten Babylons ausfiel: in Armstrong Field und im Regierungsviertel«, hielt Bernd Eylers fest. »Man könnte argumentieren, dass diese nun einmal stärker beansprucht werden als andere und dass immer ein Restrisiko besteht. Allerdings kümmern sich allein in der hiesigen Pyramide Hunderte von überprüften Arbeitern um die Instandhaltung. Am Raumhafen verhält es sich genauso. Die Anlagen werden täglich mehrfach überprüft, sodass ein Totalausfall nur auf eine über einen langen Zeitraum erfolgte, systematische Vernachlässigung zurückzuführen wäre – oder eben auf eine gezielte Sabotage. Eine erste grobe Untersuchung deutete jedoch weder auf das eine noch das andere hin. Es steht zu befürchten, dass wir es mit einem bislang unbekannten, sehr geschickten und technisch versierten Feind zu tun haben, der möglicherweise von außerhalb stammt.«

»Hoffentlich nicht schon wieder diese Kalamiten«, murmelte ein Kollege rechts neben Ömer.

Nachdem Eylers einen Schluck Wasser getrunken hatte, fuhr er fort: »Bis die Sache aufgeklärt und die Gefahr gebannt ist, verhänge ich eine vorläufige Urlaubssperre. Alle verfügbaren Agenten rücken in Viererteams aus, um draußen die Lage zu sondieren sowie gegebenenfalls bei weiteren Vorkommnissen auch direkt eingreifen beziehungsweise helfen zu können. Ich habe mir die Freiheit genommen, die Teams selbst zusammenzustellen. Konkrete Anweisungen für Ihre Mission sollten Sie in diesem Augenblick auf Ihre Hand-Suprasensoren erhalten.«

Tatsächlich brummten und piepten im Saal mehrere Dutzend Geräte los. Überall begann Kleidung zu rascheln.

Als Liv sich auf ihrem Stuhl versteifte, wusste Ömer bereits, was er gleich auf seinem Bildschirm lesen würde: Sie und er bildeten ein Team mit Jos Aachten van Haag und Ibrahim ben Dorrha.

Jos lehnte sich grinsend zurück und schaute zu Ömer herüber. »Ganz wie in alten Zeiten, was, Partner?«

»Mach Ibrahim nicht eifersüchtig!«, gab dieser zurück.

»Er wird es schon verkraften, nicht wahr, Ibra?« Voller Tatendrang schlug Jos dem Gemeinten auf den Rücken und erhob sich. »Los jetzt! Ich will mir die Mistkerle schnappen, die mir mein Mittagessen ruiniert haben.«

»Erst einmal springe ich unter die Dusche«, informierte Liv ihn nüchtern, als er sich an ihr vorbeidrängeln wollte.

Er blieb stehen und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Wozu? Du bist hier nicht auf dem Laufsteg.«

»Ich muss aber auch nicht wie ein Iltis stinken, oder?«

»Ich im Übrigen auch nicht«, mischte sich Ömer ein. »Dein Hemd klebt mir schon wieder am Rücken. Bist du dir sicher, dass du es wiederhaben willst?«

Jos blinzelte. Offenkundig war er gerade nicht zu Späßen aufgelegt. Er bemaß Liv noch einmal mit einem abschätzigen Seitenblick, bevor er sagte: »Ich hoffe, euch reichen zwanzig Minuten.«

Ben Dorrha lächelte entschuldigend. Das ruppige Verhalten seines Partners schien ihm ein bisschen unangenehm zu sein. »Wir sehen uns gleich.«

Dann trennten sich die Wege des Viererteams vorerst.

2.

Zwanzig Minuten später stiegen Ömer, Liv, Jos und Ibrahim in ein Gleitertaxi, das sie in einen Randbezirk von Armstrong Field bringen sollte. Genau wie die Regierungspyramide befand sich auch der Raumflughafen Babylons in Neu-Alamo, sodass der Flug nicht allzu lange dauern würde.

In der Auftragsbeschreibung hatte Bernd Eylers explizit betont, dieses wichtige Gebiet von seinen besten Leuten »betreut« sehen zu wollen. Auf diesen Umstand hatte Ömer Liv vorhin noch aufmerksam gemacht, als sie ihm gebeichtet hatte, sich wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen.

Tatsächlich war sie das vierte, auch wenn dieses Bild im Jahr 2073 doch ein wenig irritierte. Abgesehen von ein paar Oldtimern, die hauptsächlich auf Eden und neuerdings auch wieder auf der Erde fuhren, existierten kaum noch beräderte Fahrzeuge. Die Menschen bevorzugten Prallfeld- oder Antigrav-Generatoren, die sie reibungslos und nahezu lautlos über die Straßen gleiten ließen.

Ömer schaute aus dem Fenster und genoss die Aussicht. Normalerweise nahm er die günstigeren Taxischweber, doch Jos hatte wegen des Verkehrs auf einen Gleiter bestanden.

Jenseits der Scheibe erhoben sich die teilweise mehrere Hundert Meter hohen Ringpyramiden. Ihre verspiegelten Fensterflächen reflektierten sowohl den Himmel als auch die Verkehrsteilnehmer, die an ihnen vorbeiflogen.

Mit seinem künstlichen linken Auge vergrößerte Ömer einen der dunklen Flecken.

Jos, der ihm gegenübersaß, beugte sich vor. »Hast du etwas Interessantes entdeckt?«

»Allerdings.«

»Es hat doch hoffentlich mit dem Fall zu tun.«

»In gewisser Weise schon.«

»Spann uns nicht auf die Folter!«

»Mich selbst, wie ich mich selbst beobachte.«

Jos verzog abfällig das Gesicht. »Immer noch ganz der Scherzbold, was?« Er lehnte sich zurück und schaute zu Liv. Offenbar lag ihm etwas auf der Zunge, doch er sprach es nicht aus. Stattdessen warf er einen Blick auf sein Armbandvipho, dann aus dem Fenster.

In diesem Moment sackte der Gleiter abrupt ab. Die vier Agenten krallten sich in die Lehnen der Passagiersessel und starrten ihr jeweiliges Gegenüber alarmiert an. Glücklicherweise blieb die Flughöhe anschließend stabil.

»Verflucht noch mal!«, ertönte es aus dem Cockpit. Der Pilot schlug mit der Faust auf die Konsole. »Scheiß Autopilot!«

»Was ist passiert?«, erkundigte sich Ibrahim. In seiner Stimme lag ein leichtes Zittern.

»Das Teil hat urplötzlich die Verbindung umgestellt. Fast hätte ich die Kollegen in der Nebenspur geschnitten.«

»Müssen wir uns Sorgen machen?«

»Nein, ich habe alles im Griff.« Demonstrativ umklammerte der Pilot mit beiden Händen das Steuer. »Es gab eine Warnung, dass die Technik momentan verrückt spielt auf Babylon. Ich habe ja schon immer gesagt, dass diese Leitsysteme eine Seuche sind. Anstatt den inkompetenten Idioten die Fluglizenz zu entziehen, schränken die Politiker lieber unsereins in unserer Freiheit ein. So können sie mehr Steuern von uns allen kassieren, angeblich zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur, die kein Schwein braucht.« Er gewann wieder an Höhe und bog ab. »Die Hauptstraße meide ich jetzt lieber.«

»Sie meinen, das Gleiterleitsystem ist schon wieder ausgefallen?«

»Genau. Der Autopilot verliert ständig die Verbindung.«

»Und das könnte nicht an Ihrem Gerät liegen?«

Mit einem Mal schoss ein blauer Gleiter an ihnen vorbei, der im Slalom versuchte, den anderen Verkehrsteilnehmern auszuweichen.

»Pass doch auf, du Arschloch!«, schrie der Pilot demjenigen mit erhobener Faust nach. Natürlich konnte der Gemeinte ihn nicht hören. Er drehte sich zu seinen Fahrgästen um. »Haben Sie das gesehen? Genau davon habe ich gesprochen.«

Entsetzt riss Liv die Augen auf. »Würden Sie bitte nach vorne schauen?«

Der Pilot runzelte die Stirn. »Wozu? Der Bordrechner hat längst wieder die Verbindung zum Leitsystem hergestellt.«

»Was ist das denn für ein Argument?«

»Was meinen Sie damit?«

»Wenn das System neuerlich ausfällt, könnten Sie gar nicht so schnell darauf reagieren.«

»Schätzchen, ich fliege seit über zwanzig Jahren, dreizehn davon auf Babylon.«

»Trotzdem sind Ihnen noch keine Augen am Hinterkopf gewachsen.«

Er stieß verächtlich die Luft aus, wandte sich jedoch wieder seiner Konsole zu. »Immer diese Angsthasen!« Auf der Suche nach Unterstützung schaute er in den Rückspiegel, mit dem er den Fond einsehen konnte. Niemand pflichtete ihm bei, selbst Jos nicht.

»Beim nächsten Mal nehmen wir die Untergrundschnellbahn«, raunte Liv ihrem Partner zu.

Ömer nickte. Mit mulmigem Gefühl in der Magengrube schaute er zum Rückfenster hinaus.

Glücklicherweise schienen sich keine Unfälle ereignet zu haben – zumindest nicht in dem Ausmaß wie am Vormittag.

Der Agent holte seinen Hand-Suprasensor hervor und wählte sich ins Hyperfunknetz ein. Dort recherchierte er die aktuellen Eilmeldungen. Tatsächlich wurde bereits über den kurzen Ausfall des Gleiterleitsystems in Neu-Alamo berichtet. Von Toten war allerdings nicht die Rede.

*

Im Raumhafenviertel angekommen landete das Gleitertaxi auf der Parkebene der Wohnpyramide, in denen die GSO Appartements für ihre Geheimagenten bereitstellte. Als Ömer aus dem Fond stieg, erfasste ihn eine Windböe, die ihm seinen Zopf ins Gesicht peitschte. Mit zusammengekniffenen Augen eilte er zum Eingang.

Froh, endlich wieder hinter der schützenden Scheibe zu sein, schaute er hinaus. Die Ebene lag nicht hoch genug, um die Pyramidenlandschaft Babylons zu überblicken.

Weitere Gleiter landeten sowohl auf dieser Seite als auch auf der Plattform der benachbarten Pyramide. Manche Karosserien wiesen Schrammen auf, ansonsten wirkte alles ganz normal.

Liv berührte Ömer am Arm. »Kommst du?«

Er riss sich von dem Ausblick los und folgte ihr zum Antigrav-Lift, auf den wieder einmal Jos bestand. Ganz schlau wurde er aus seinem ehemaligen Partner nicht. Wollte dieser seinen Mut beweisen oder lediglich Pragmatismus?

Liv schien seine Bedenken zu teilen. »Am besten nehmen wir den nächsten, damit unser Chef im Fall der Fälle nicht vier Verluste zu beklagen hat.«

Mit missmutiger Miene drehte sich Jos zu Ömer um. »Ist deine Schutzbefohlene immer so pessimistisch?«

Bevor die Gemeinte irgendetwas entgegnen konnte, öffnete sich die Tür zur Liftkabine.

»Ich denke, Liv hat recht«, sprang Ibrahim der ehemaligen Polizistin bei. »Nach dem Ausfall des Leitsystems eben sollten wir lieber nichts riskieren.«

»Einverstanden.« Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, betrat er die Kabine. Wenige Sekunden später schloss sich die Tür wieder, und der Lift fuhr in die tieferen Ringebenen hinab.

»Ich werde einfach nicht schlau aus diesem Mann«, offenbarte Liv ihrem Partner. »Erst motzt er herum von wegen Pessimismus, dann ändert er schlagartig seine Meinung, bloß weil sein Partner mir zustimmt.«

Ömer schürzte die Lippen. »Ich glaube, er hat einfach eingesehen, dass du recht hattest.«

»Für mich sah das anders aus.«

»Vielleicht hättest du deinen Vorschlag etwas weniger drastisch formulieren sollen.«

Liv blähte die Nasenflügel auf. Es schien, als ob sie widersprechen wollte. Dann jedoch atmete sie geräuschvoll aus und gestand: »Vermutlich hast du recht. Ich sollte nicht zu viel in Jos’ Verhalten hineininterpretieren, sondern mir auch mal an die eigene Nase fassen.«

Endlich kehrte der Lift zurück. Die beiden Agenten stiegen ein.

Liv wählte die zuvor vereinbarte Ringebene, auf der sie zu der anderen Hälfte ihres Teams stoßen würden.

Ömer war froh, dass seine Partnerin ihren Fehler selbst einsah. Es lag ihm fern, sie zu kritisieren. Aus eigener Erfahrung wusste er, wie tückisch zwischenmenschliche Kommunikation sein konnte. Ein Großteil aller Probleme basierte auf Missverständnissen.

Er selbst hatte sich immer gut mit Jos Aachten van Haag verstanden, auch wenn er zugeben musste, dass der Mann seine Umwelt manchmal ziemlich herablassend behandelte. Möglicherweise war Jos der ständige Erfolg in den Kopf gestiegen oder er versuchte lediglich, sich auf diese Weise lästige Bewunderer vom Hals zu halten. Ömer erinnerte sich noch gut an den Moment, als Liv der lebenden Legende zum ersten Mal begegnet war. Ihre Augen hatten geleuchtet. Fast hätte man meinen können, sie hätte sich ein bisschen in Jos verguckt. Da wäre sie nicht die Einzige gewesen. Allerdings konnte und wollte er sich nicht vorstellen, wie die beiden miteinander anbändelten. Liv verdiente etwas Besseres als einen notorischen Weiberhelden.

*

Die achtzehnte Ebene bot ein breites Angebot an Einkaufs-, Unterhaltungs- und Erholungsmöglichkeiten für die rund einhundertfünfzigtausend Bewohner der hiesigen Ringpyramide. Aufgrund der Nähe zum Raumhafen gab es auch viele Hotels. Unter den Passanten befanden sich daher auch einige nichtmenschliche Touristen und Geschäftsleute.

Um ihren Hunger zu stillen, suchten die vier GSO-Agenten zunächst einen Imbissstand in einem gut besuchten Gang auf. Dies ermöglichte ihnen, nicht nur ihr verpasstes Mittagessen nachzuholen, sondern auch unauffällig die Passanten zu beobachten. Ohne konkrete Hinweise verschafften sie sich erst einmal einen Eindruck von der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung sowie bei den außerirdischen Gästen.

Sollte es sich tatsächlich um Anschläge auf die Infrastruktur gehandelt haben, musste sich irgendjemand etwas davon versprechen. Aufgrund der jüngsten Ereignisse um die Bürgermeisterkandidaten Ronald Svegerson und Jalar Abid, die mit teilweise sehr fragwürdigen Mitteln ihre Umfragewerte steigerten und im Verdacht standen, Gesetzesänderungen zugunsten von verbrecherischen Firmen wie RRPT Technologies herbeiführen zu wollen, lag die Vermutung nahe, dass die Verantwortlichen für die technischen Ausfälle möglicherweise aus genau diesem Umfeld stammten.

Im Augenblick schien die Stimmung in der Ringebene allerdings gelassen zu sein. Niemand wirkte besonders ängstlich. Im Gegenteil: Die Leute unterhielten sich so angeregt über die jüngsten Katastrophen, als ob es sich lediglich um einen neuen Film im Holokino handeln würde. Offenkundig vertrauten sie noch immer in die Technologie, die sie allgegenwärtig umgab.

Während Ömer und Jos sich jeweils eine Currywurst bestellten, wählten Liv und Ibrahim frittiertes Hühnchen. Dazu gab es Pommes frites.

Das Essen verlief ereignislos. Die vier unterhielten sich über Belanglosigkeiten, denn sich gegenseitig anzuschweigen wäre bloß negativ bei ihren Mitmenschen aufgefallen. Sie beherrschten die Kunst, sowohl auf ihre Umgebung zu achten, als auch ein glaubwürdiges Gespräch zustande zu bringen.

»Kann man das essen?«, fragte die unverkennbare Stimme eines Translators.

Zwei junge Nomaden inspizierten gerade die Speisekarte und leckten sich dabei wiederholt über die Schnauze. Immer wieder schnüffelten sie in Richtung der Essensausgabe, vor allem dann, wenn jemand seine Bestellung überreicht bekam.

»Ich will auf jeden Fall ein Bier«, verkündete der andere Kanoide.

»Aber sauf nicht wieder so wie letztes Mal! Du weißt, wie der Rudelführer darauf reagiert.«

»Er muss es ja nicht erfahren.«

»Das wird er aber, wenn das ganze Raumschiff nach Erbrochenem stinkt.«

»Das lag an der defekten Lüftungsanlage. Also, wollen wir etwas bestellen?«

»Würste hatte ich beim letzten Mal. Die gefallen mir nicht. Beim ersten Biss sind sie schon im Magen. Ich möchte etwas zum Kauen.«

Die Nomaden stellten sich in die Schlange. Als sie an die Reihe kamen, fragte der eine von ihnen höflich: »Habt ihr Markknochen?«

»Markknochen?«, gab der Verkäufer irritiert zurück.

»Knochen mit köstlichem Mark zum Herausknabbern. Auf Terra gibt es das in jedem Supermarkt.«

»Wir sind hier auf Babylon, und das hier ist ein Imbissstand.«

»Habt ihr etwas mit Sehnen?«, wollte der zweite Kanoide wissen.

»Igitt! Ihr zwei macht euch jetzt besser vom Acker, bevor ich die Polizei rufe.«

Der schwarzhäutige Raumfahrer, dessen Aussehen entfernt an einen felllosen Dobermann erinnerte, senkte enttäuscht die Ohren. »Ist das etwa die berühmte Gastfreundschaft der Terraner?«

Sein Begleiter knurrte: »Komm, wir gehen, bevor ich ihm noch in die Flanke beiße!«

Zielstrebig gingen die beiden zum gegenüberliegenden Stand. Der dortige Verkäufer schien ihren Wünschen offener gegenüberzustehen. Sie erhielten riesige Steaks, die zäh genug für ihre Raubtiergebisse waren, sodass sie eine Weile darauf herumkauen konnten. Die umstehenden Menschen versuchten, die Tischmanieren der Nomaden zu ignorieren, doch das genüssliche Geschmatze und Gegrunze befremdete sie sichtlich.

*

Nachdem die GSO-Agenten ihre Mahlzeit beendet hatten, begaben sie sich in Ömers Wohnung, die sie zu ihrem Hauptquartier auserkoren hatten. Dort besprachen sie ihr Vorgehen für die nächsten Tage.

Wie üblich wollten sie zunächst so viele Informationen wie möglich sammeln, diese am nächsten Vormittag zusammentragen und gemeinsam besprechen.

»Geht ihr als Paar?«, erkundigte sich Jos bei Ömer.

Dieser schüttelte den Kopf. »Diesmal zieht jeder alleine los, damit wir einen größeren Bereich abdecken können.«

»Bekommt sie das denn ohne dich hin?«

Liv schnaubte. »Hattest du nicht vorhin behauptet, unsere Berichte zu lesen?«

Beschwichtigend hob Jos die Hände. »Nimm es nicht persönlich, aber eine Ausbildung bei der Polizei Babylons ist nicht vergleichbar mit einer Agentenausbildung bei der GSO. Ich will lediglich sichergehen, dass du der Aufgabe gewachsen bist.«

»Und warum fragst du mich dann nicht selbst?«

»Weil Ömer schon über zwanzig Jahre dabei ist und ich seine Meinung schätze. Dich hingegen kenne ich mehr oder weniger nur flüchtig.«

Jos’ brutale Ehrlichkeit stieß Liv offensichtlich auf. Wundersamerweise sprang sie dem selbstgefälligen Agenten nicht an die Gurgel, sondern verdrehte lediglich die Augen.

»Ich glaube, sie schafft das«, unterstützte Ibrahim sie überraschend bereits zum zweiten Mal an diesem Tag.

Jos stutzte. »Woher willst du das wissen?«

»Du hast mir selbst aus den Berichten vorgelesen.«

Ömer glaubte, ein zorniges Funkeln in den Augen seines ehemaligen Partners zu erkennen, doch sicher war er sich nicht. Jos kann seine Emotionen hervorragend verbergen und unbekümmert wirken, während es in Wahrheit in ihm brodelt, grübelte er. Ich frage mich wirklich, welche Laus ihm über die Leber gelaufen ist. Als wir damals zusammen mit Luise Irtuzeata die robonisch unterwanderten Brotherhood of Black Muslims zerschlugen, hat er sich auch nicht so aufgeführt. Warum bloß hat er Liv auf dem Kieker? Geht es wirklich um ihre Ausbildung? Fast könnte man meinen, er hätte Angst, dass sie ihm den Rang ablaufen könnte. Dabei müsste er selbst am besten wissen, dass ihm niemand das Wasser reichen kann.

Ohne das Thema weiter zu vertiefen, gab Jos nach. »Gut, soll sie ihre Chance erhalten! Dann sehen wir ja, was dabei herumkommt.«

*

Als Liv Stunden später die vierte Pyramide abgeklappert hatte, ärgerte sie sich immer noch über Jos Aachten van Haags Seitenhiebe. Nie brachte er konkrete Kritik an ihrem Verhalten hervor. Nie verriet er ihr, was sie besser machen könnte. Stattdessen behielt der Superagent alle Geheimnisse für sich. Fürchtete er etwa, dass sie ihm eines Tages den Rang ablaufen könnte? Sie hätte nichts dagegen, es zu tun.

An einem Getränkeautomaten besorgte sie sich eine eiskalte Cola und setzte sich damit auf eine nahegelegene Bank, wo sie ihre Beine ausstreckte. Der Zucker hob ihre Laune ein wenig. Zwei ältere Frauen saßen neben ihr und unterhielten sich angeregt über das Tagesgeschehen.

»Also ich habe keine Angst«, stellte eine von ihnen klar. »Damals, vor fast zehn Jahren, als dieses Pyramidenraumschiff Babylon verließ und ein Erdbeben auslöste, da hatte ich Angst. Die Pyramiden haben gezittert, aber gehalten. Seitdem weiß ich: Solange mich Unitall umgibt, kann mir nichts passieren.«

»Aber wenn die Antigrav-Generatoren ausfallen und du dich im Schacht des Expresslifts befindest, hast du ein Problem«, hielt eine andere Frau dagegen.

»Die Leute in der Regierungspyramide haben allesamt überlebt.«

»Dank eines mechanischen Sicherheitssystems, aber ist das überall eingebaut?«

»Davon gehe ich aus. Die Lifts wurden schließlich von uns Terranern installiert.«

»Die Worgun müssen ganz schön mutig gewesen sein, sich frei schwebend nach oben tragen zu lassen. Ich frage mich, wie viele von ihnen infolge eines Absturzes umgekommen sind.«

»Das werden wir wohl nie erfahren.«

»Mir wäre es lieber, die Kabinen wären zusätzlich mit einem Seil gesichert.«

»Geht das überhaupt?«

»Klar, so wurde das doch früher auch gemacht. Was glaubst du, wie wir vor der Erfindung der Antigrav-Generatoren in höhere Stockwerke gelangt sind?«

»Ich dachte, über Treppen.«

»Da hätten die Leute, die in Wolkenkratzern arbeiteten oder lebten, aber einen ganz schön langen Weg nach oben gehabt.«

»Stimmt, jetzt wo du es sagst …«

Liv überlegte, welchen Grund es haben könnte, dass moderne Antigrav-Lifts kein Seil zur Absicherung nutzten. Bei einem Ausfall der Generatoren hätte ein Motor die Kontrolle übernehmen und die Auf- und Abfahrt regeln können. Ohne Seil jedoch stürzte die Kabine einfach ab. Mangels einer Idee recherchierte sie die Antwort mit ihrem Hand-Suprasensor im Hyperfunknetz. Als sie diese las, schlug sie sich die Hand gegen die Stirn. »Es liegt am Gewicht.«

Die beiden Frauen drehten sich fragend zu ihr um.

»Wie war das, junge Dame?«, wollte eine von ihr wissen.

»Am Gewicht. Das Seil müsste teilweise mehrere Hundert Meter lang sein, um bis in die obersten Ringebenen zu reichen, entsprechend viel wiegt es. Dazu muss es nicht nur sein eigenes Gewicht tragen, sondern auch das der Liftkabine einschließlich der Passagiere. Ist das alles zu schwer, reißt es.«

»Sie sind wirklich sehr klug. Sind Sie Ingenieurin?«

Mit einem entschuldigenden Lächeln hob die Agentin ihren Hand-Suprasensor ein Stückchen an. »Ich weiß lediglich, wie man den hier bedient.«

»Ach so.«

Die älteren Frauen verloren schlagartig das Interesse an Liv, was ihr ganz recht war. Sie wollte nicht auffallen, sondern sich möglichst unauffällig umsehen und umhorchen, weshalb sie die beiden auch nicht auf den Irrtum bezüglich der Urheberschaft der Liftkabinen aufmerksam machte, denn diese waren bereits durch die Worgun installiert worden.

Bislang hatte sie nichts Relevantes für ihre Ermittlungen entdecken können, doch sie hoffte, dass sich das bald änderte. Selbstverständlich machte sie nicht den Fehler, sich zu einem Wettrennen gegen ihren hochnäsigen Kollegen hinreißen zu lassen. Ihr Stolz durfte ihr bei ihrer Arbeit keinesfalls im Weg stehen.

*

Ömer inspizierte einen Park, wo er sich die größten Chancen ausmalte, auf etwas Interessantes zu stoßen. Erfahrungsgemäß tummelten sich in den Anlagen bevorzugt Kleinkriminelle, von denen immer irgendjemand über die neuesten Gerüchte aus dem Untergrund Bescheid wusste.

Terroristen arbeiteten gern mit dieser Klientel zusammen, da diese für die Aussicht auf ein Stück vom Kuchen nach dem Umsturz fast alles tat. Meist änderte sich danach das Verhalten der Kriminellen. Sie traten selbstbewusster auf und hielten sich eine Weile mit Delikten zurück, um vom Radar der Polizei zu verschwinden.

Ömer mimte einen Drogenabhängigen. Dafür hatte er sich eigens Bratfett in die offenen Haare geschmiert und sich nach Schweiß stinkendes Parfüm aus seinem Agentenkoffer unter die Achseln gesprüht.

Mit den dezenten Ketchup-Resten auf Jos’ ein wenig zu großem Hemd sowie den undefinierbaren milchigen Flecken auf seiner Jeanshose sah er einfach nur erbärmlich aus – jedoch nicht so erbärmlich, dass er übermäßig viel Aufmerksamkeit auf sich zog.