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Die erfahrenen Wächter Simon und Arlo nehmen den neuen Wächter Tekaro unter ihre Fittiche, um ihn auf kommende Einsätze vorzubereiten. Tatsächlich steht wenige Tage später eine neue Mission an, die zunächst nach Routine klingt, bis Tekaro zusammen mit Wächterin Doris eine ungeheuerliche Entdeckung macht. Zur selben Zeit spitzen sich die Unruhen auf Babylon weiter zu. Die Menschen werden immer verzweifelter, und so kommt es auf den abenteuerlichsten Wegen zur Flucht nach Terra... Jan Gardemann, Nina Morawietz und Manfred Weinland schrieben diesen spannenden SF-Roman voller Action nach dem Exposé von Ben B. Black.
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Seitenzahl: 372
Veröffentlichungsjahr: 2021
Ren Dhark
Weg ins Weltall
Band 85
Flucht nach Terra
von
Jan Gardemann
(Kapitel 1, 3 sowie 13 bis 18)
Nina Morawietz
(Kapitel 2 sowie 4 bis 7)
Manfred Weinland
(Kapitel 8 bis 12)
und
Ben B. Black
(Exposé)
Inhalt
Titelseite
Vorwort
Prolog
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
14.
15.
16.
17.
18.
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Impressum
Vorwort
Wie viele von Ihnen, liebe Leser, sicherlich wissen, treffen sich die REN DHARK-Autoren sowie meine Wenigkeit etwa alle zwei Jahre zu einer Autorenkonferenz, um uns gemeinsam Gedanken zum weiteren Handlungsverlauf unser aller Lieblingsserie zu machen. Da das Team über ganz Deutschland verstreut ist, stellt das eine der wenigen Gelegenheiten dar, an denen wir uns persönlich sehen können, es ist also jedes Mal etwas Besonderes für uns. Die sonstige Kommunikation läuft gezwungenermaßen via Telefon und E-Mail, in geringen Teilen inzwischen auch über eine App auf dem Smartphone – also mittels Hand-Suprasensor, wie es in der Serie heißen würde.
Vor wenigen Wochen war es also wieder einmal so weit, dass wir in einem Bonner Hotel zusammengekommen sind. Der Tradition folgend fanden wir uns am Freitagnachmittag dort ein und arbeiteten bis Sonntagmittag intensiv an Ideen, Entwürfen, Handlungsplots, neuen und alten Gegnern, Verbündeten und Handlungsträgern, um Ihnen, geschätzte Leser, auch mit den kommenden Büchern wieder gewohnt gute Unterhaltung auf hohem Niveau bieten zu können. Die Köpfe haben am Ende ordentlich geraucht, aber das, was dabei herausgekommen ist, kann sich neuerlich sehen lassen, wie ich finde.
Naturgemäß kann und darf ich an dieser Stelle nicht zu viel verraten, um Ihnen die Spannung beim Lesen der fertigen Bücher nicht zu nehmen, aber ein paar Hinweise sind erlaubt. Wie auch in den Jahren zuvor haben wir wieder Anregungen aus der Leserschaft aufgegriffen, uns mit Kritik auseinandergesetzt und natürlich auch wieder jede Menge eigener Ideen entwickelt und verarbeitet. Diese Vorgehensweise hält die Serie lebendig, auch wenn ihre Anfänge in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurückreichen. Der Spagat, auf der einen Seite den ursprünglichen Geist REN DHARKS möglichst beizubehalten und auf der anderen Seite auch aktuelle Entwicklungen zu verarbeiten, ist jedes Mal eine Herausforderung, die wir allerdings sehr gerne annehmen. Sprachlich bleibt es dabei ebenfalls interessant, wie oben erwähnter Hand-Suprasensor zeigt, denn im echten Leben spricht jeder von einem »Handy« oder »Smartphone«, gemeint ist aber fast das Gleiche, auch wenn ein HS aus dem Jahre 2073 natürlich deutlich fortschrittlicher und leistungsfähiger ist, vor allem was die Variabilität in dessen Anwendung angeht.
Aber zurück zu den Hinweisen, denn ich stelle gerade fest, dass ich abschweife – etwas, das mir gerne passiert, wenn es um REN DHARK geht, denn da gibt es so viel zu erzählen. Der Commander und seine Getreuen werden in einen Bereich vorstoßen, in dem sie noch nie waren, dabei wird jedoch auch die heimische Milchstraße im Fokus bleiben. In Summe werden wir uns einem der ganz großen Rätsel der Serie weiter annähern, denn auch das war eine Forderung von Leserseite: Erzählt mehr von XY! Was das XY ist, muss ich jedoch für mich behalten, nur so viel, dass es um jemanden oder etwas geht, der/das sehr, sehr alt ist. Insgesamt verbinden sich Ereignisse, die lange zurückliegen, und aktuelle Geschehnisse zu einer Melange, die für mich den besonderen Reiz der Serie ausmacht.
Aber genug davon, sonst laufe ich Gefahr, doch noch mehr auszuplaudern, und das wäre nicht fair. Daher scheuche ich Sie jetzt in die aktuelle Handlung des vorliegenden Buches, in der es ebenfalls Getriebene gibt, und zwar getrieben von Nöten und Zukunftsängsten. Und das mündet in einer Flucht nach Terra …
Stuttgart, im Juli 2019
Ben B. Black
Prolog
Im Herbst des Jahres 2067 scheint sich das Schicksal endlich einmal zugunsten der Menschheit entwickelt zu haben. Deren Hauptwelt heißt längst nicht mehr Terra, sondern Babylon. 36 Milliarden Menschen siedelten auf diese ehemalige Wohnwelt der Worgun um, als die irdische Sonne durch einen heimtückischen Angriff zu erlöschen und die Erde zu vereisen drohte. Mittlerweile konnte die Gefahr beseitigt werden, und das befreundete Weltallvolk der Synties hat den Masseverlust der Sonne durch die Zuführung interstellaren Wasserstoffgases wieder ausgeglichen. Die Erde ist erneut ein lebenswerter Ort, auf dem allerdings nur noch rund 120 Millionen Unbeugsame ausgeharrt haben. Die neue Regierung Terras unter der Führung des »Kurators« Bruder Lambert hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Planeten nach dem Vorbild Edens in eine Welt mit geringer Bevölkerungsdichte, aber hoher wirtschaftlicher Leistungskraft zu verwandeln, und ist deshalb nicht bereit, die nach Babylon Ausgewanderten wieder auf die Erde zurückkehren zu lassen.
Noch im selben Jahr nimmt Ren Dhark das Angebot des Industriellen Terence Wallis an und lässt seinen Körper mit Nanorobotern behandeln, die ihn und sieben von ihm Auserwählte unsterblich machen. Doch anstatt sich mit seiner nun vollständig veränderten Lebensperspektive beschäftigen zu können, muss sich Ren Dhark einer neuen Aufgabe stellen: Eine unbekannte Macht namens Kraval sorgt dafür, dass der Hyperraum nicht länger zugänglich ist.
Als man diese Herausforderung endlich gemeistert hat, tauchen die Wächter mit einer neuen Hiobsbotschaft auf: Im Zentrum der Milchstraße hat sich scheinbar aus dem Nichts ein Miniaturuniversum gebildet, das allerdings exponentiell wächst und schon in wenigen Jahren den Untergang unseres Universums herbeiführen könnte. Mithilfe der Nomwarun – nur etwa 50 Zentimeter große Nachfahren der Worgun – gelingt es schließlich, der Gefahr zu begegnen. Allerdings spielen die Nomwarun nicht mit offenen Karten und zerstören das Miniuniversum, anstatt es wie versprochen in ein anderes Kontinuum zu versetzen, weil das anscheinend nicht möglich gewesen ist. Ren Dhark macht dieses Resultat sehr zu schaffen, doch es gelingt ihm nicht, die Nomwarun entsprechend zur Rede zu stellen.
Knapp zwei Jahre später, im Sommer des Jahres 2072, scheint endlich die Normalität in der Milchstraße zu herrschen, die sich jedermann wünscht. Da werden Arc Doorn, Chris Shanton und Amy Stewart durch ein Lichtphänomen aus einer uralten Einrichtung der Wächter unterhalb des Titicacasees in die Galaxis Voktar verschlagen. Ren Dhark eilt seinen Freunden zu Hilfe, und nach einer kleinen Odyssee gelingt es den Raumfahrern im Sommer 2073 schließlich, wieder in die Milchstraße zurückzukehren.
Kaum zu Hause, bekommen es die Raumfahrer mit jemandem zu tun, der offenbar bewohnte Planeten mit tödlichen Seuchen überzieht. Auf der Suche nach Hinweisen auf den Verbleib des geheimnisvollen Fremden dringt die POINT OF ins Hoheitsgebiet des Telin-Imperiums vor. Dort gelingt es schließlich, Kharamak zu stellen, doch der Krayn lässt Ren Dhark und seinen Begleitern keine andere Wahl, als ihn zu töten.
Die Terraner befinden sich bereits wieder auf dem Heimweg, als sie von den Tel dazu aufgefordert werden, bei der Aufklärung einer Reihe bestialischer Morde auf der Forschungswelt Reshaf zu helfen. Der Täter entpuppt sich als ein Teil des Bakterienmannes, dem Ren Dhark und seine Getreuen bis Babylon folgen, wo dessen Large jedoch bereits von der BF abgeschossen wurde.
Während die Besatzung der POINT OF ihren wohlverdienten Urlaub auf der neuen Zentralwelt der Menschen genießt, kommt es immer wieder zu Störungen in der bis dato reibungslos arbeitenden Technik. Auf Babylon bricht mehr und mehr das Chaos aus, viele Bewohner suchen ihr Heil in der Flucht vorzugsweise zurück zur Erde, doch das gestaltet sich schwieriger als gedacht, denn dort sind sie nicht willkommen …
1.
Roald Amund fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, während er auf den Gebäudekomplex des Transmitterbahnhofs von Alamo Gordo zuschritt. Die Scheinwerfer der Sicherheitsdienste und des Militärs, die die Anlage umstellt hatten, ließen die Fassade des imposanten Bauwerkes hell in der Nacht aufleuchten.
Hinter den Glasfronten erblickte der Korrespondent von Rundfunk Utopia dichtgedrängt stehende Menschen, die mit besorgten, ängstlichen Gesichtern oder aber mit grimmig entschlossenen Mienen nach draußen schauten. Ansonsten war dem Bahnhofsgebäude nicht anzusehen, dass es zurzeit von Tausenden Babyloniern besetzt gehalten wurde, die sich in einer beispiellosen Aktion der Transmitterstrecke Babylon-Erde bemächtigt hatten, um nach Terra zu gelangen.
Doch nun saßen sie in dem Gebäudekomplex fest, da Lambert ihnen nicht erlaubte, den Bahnhof zu verlassen. Zurück nach Babylon konnten die Eingeschlossenen auch nicht, denn die in ausgehöhlten Asteroiden installierten Zwischenstationen der Transmitterstrecke wurden von überfüllten Reisemodulen blockiert.
»Keinen Schritt weiter!«, schallte ein Ruf aus der Richtung des Haupteingangs zu Amund herüber. Eine Reihe äußerst verschieden aussehender Roboter verbarrikadierte den Zugang. Hinter den Maschinen standen Bewaffnete, die nervös, aber mit grimmigen Mienen zu ihm herüberschauten.
Amund blieb stehen und hob die Arme. »Sie haben nichts von mir zu befürchten!«, rief er und erklärte mit ein paar kurzen Sätzen, dass er Korrespondent von Rundfunk Utopia war. »Die Freien Bürger New Yorks sollen aus erster Hand erfahren, was sich hier abspielt«, schloss er, »damit sie sich unabhängig von der Berichterstattung opportunistischer Korrespondenten eine Meinung bilden können.«
Die Menschen hinter den Robotern schienen ratlos zu sein. Sie begannen heftig zu debattieren. Doch schließlich konnte sich eine Brünette, die das lange Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, gegen die anderen durchsetzen.
»In Ordnung, kommen Sie langsam und mit erhobenen Händen näher!«, rief sie ihm zu.
Amund gehorchte.
Ein Roboter, der sich auf drei Kugeln fortbewegte, kam auf ihn zu und fing an, ihn zu durchleuchten. Anschließend tastete er ihn mit seinen Greifklauen ab.
»Unbewaffnet!«, schallte es aus den Sprechrillen des kugelrunden Kopfes der Maschine hervor. »Mitgeführtes technisches Gerät: ein Vipho.«
»Okay, bring ihn her!«, rief die Frau der Maschine zu.
Der Roboter packte Amund am Oberarm und zog ihn auf den Eingang zu.
»Justice Willcox«, stellte sich die Frau Amund vor, als er stolpernd vor ihr anlangte. »Ihr Auftauchen kommt uns nicht ganz ungelegen«, erklärte sie mit einem dünnen Lächeln. »Die Lage im Transmitterbahnhof spitzt sich allmählich zu. Vor wenigen Minuten waren wir gezwungen, eine Notabschaltung der Transmitterstrecke durchzuführen, weil einfach kein Platz mehr für weitere eintreffende Reisemodule vorhanden ist. Ganz zu schweigen davon, dass die Räume vor lauter Menschen aus allen Nähten zu platzen drohen.«
»Eine Notabschaltung der Transmitterstraße?«, fragte Amund befremdet. »Und was ist mit den Hunderten von Menschen, die in ihren Reisemodulen jetzt in den Relaisstationen festsitzen?«
»Für solche Fälle sind die ausgehöhlten Asteroiden mit Notrationen ausgestattet«, gab Justice zurück. »Die Festsitzenden werden dort also eine Weile ausharren können.«
Amund furchte die Stirn. Die Art und Weise, in der diese Frau von den armen Seelen sprach, deren Reise zur Erde unverhofft in einer der zehn Zwischenstationen der Strecke endete, behagte ihm ganz und gar nicht. »Gehört es etwa zum Kalkül Ihrer Gruppe, dass all diese Menschen im Transmitterbahnhof von Alamo Gordo und in den Relaisstationen in Bedrängnis geraten?«, erkundigte er sich unverblümt. »Mir kommt es so vor, als würden Sie diese Unschuldigen in Geiselhaft nehmen, um Ihre politischen Forderungen durchzusetzen.«
»Die Zustände in dieser Anlage haben allein Bruder Lambert und die terranische Regierung zu verantworten!«, schrie Justice ihn in plötzlicher Wut an.
Amund nickte verstehend. »Bruder Lambert erweist sich als zäher und unnachgiebiger, als Sie erwartet haben«, dämmerte es ihm.
»Warum machen Sie nicht einfach Ihre Arbeit und berichten von den Zuständen hier?« Die Frau wirkte plötzlich müde und abgekämpft.
Amund schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. »Das tue ich doch bereits. Aber Sie sollten nicht erwarten, dass meine Berichterstattung schönfärberisch ausfällt. Genauso wenig werde ich versuchen, Sie und Ihre Leute als Verbrecher darzustellen. Sich eine Meinung über die Vorkommnisse hier zu bilden, überlasse ich voll und ganz den Freien Bürgern New Yorks.«
Justice winkte ab. »Hauptsache, die Öffentlichkeit erfährt, wie es in diesem Bahnhof zugeht. Das wird Lambert genug Druck bescheren, sodass er sich nicht länger davor drücken kann zu reagieren.«
*
»Sie machen Ihre Sache ausgezeichnet, Roald«, lobte Angelica, deren Konterfei auf dem Miniaturbildschirm von Amunds Vipho dargestellt wurde. »Wir senden Ihre Aufnahmen inzwischen ungeschnitten, und wie es aussieht, hocken die meisten Freien Bürger trotz fortgeschrittener Stunde vor ihren Fernsehgeräten, um die erste Sendung von Rundfunk Utopia zu verfolgen.«
Amund verließ die Herrentoilette, indem er sich an den vor den Sanitäreinrichtungen Wartenden vorbeiquetschte. Kinder quengelten, und manch einem Erwachsenen war der Kragen geplatzt, sodass er seinem Unmut über die ekelerregenden Zustände in den Toiletten und Waschräumen lautstark Luft machte.
»Es freut mich, dass meine Arbeit so gut ankommt.« Amund blieb inmitten der Wartenden stehen und atmete mehrmals tief durch. Was er eben in der Sanitäranlage hatte sehen müssen, war fast zu viel für ihn gewesen. Die Reinigungsroboter schafften es nicht mehr, gegen den Schmutz anzukämpfen, obwohl sie unermüdlich arbeiteten.
Er sah auf die Zeitanzeige und stellte fest, dass er bereits seit drei Stunden ununterbrochen durch den völlig überfüllten Transmitterbahnhof irrte und Filmaufnahmen anfertigte.
»Der Transmitterbahnhof gleicht einem Pulverfass«, keuchte er und setzte sich wieder in Bewegung. »Es kommt einem Wunder gleich, dass Finkerton und seine Leute die Menschen hier einigermaßen ruhighalten können.« Unsanft schob er sich an schwitzenden Leibern vorbei und gelangte schließlich in eine Halle, in der sich das dichte Gedränge nahtlos fortsetzte.
»Dieser Finkerton scheint ein helles Köpfchen zu sein«, merkte Angelica an. »Während deines Interviews vor einer halben Stunde ist deutlich geworden, dass es sich bei ihm um einen äußerst willensstarken, charismatischen Burschen handelt. Obwohl du ihn nicht geschont hast, hat er sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Er scheint genau zu wissen, was er will, und er lässt sich von Lambert nicht in die Knie zwingen. Das hat er mehr als deutlich zu verstehen gegeben.«
Amund fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Bitte denkt daran, seinen Namen rauszuhalten, das habe ich ihm versprochen.«
»Wir haben ein Signal über die Stellen geblendet, an denen sein Name genannt wird«, beruhigte Angelica ihn.
Amund sah sich beklommen um. Die Menschen standen Schulter an Schulter dicht gedrängt, vor den Wänden hatten sich Frauen und Kinder auf dem Boden niedergelassen, um ein wenig zu verschnaufen. Der Lärmpegel war erheblich und die Luft geschwängert von säuerlichem Schweißgeruch und anderen menschlichen Ausdünstungen.
»Die Frage ist nur, wie lange die Leidtragenden diese Auseinandersetzung noch durchhalten werden«, sagte der Korrespondent mit belegter Stimme. »Einige der hier Festsitzenden sind bereits kollabiert und mussten ärztlich versorgt werden, und in einer Fernsprechkabine hat eine Frau ihr Kind zur Welt gebracht.«
Angelica nickte mitfühlend. »Das waren bewegende Bilder, Roald, die auch mich sehr mitgenommen haben. Bleib trotzdem am Ball!«
»Vielleicht versuchst du zur Abwechslung mal, einen Blick nach draußen zu erhaschen«, drang nun Torbens Stimme aus dem Vipho, »um den Kontrast deutlicher herauszuarbeiten, der zwischen den Zuständen innerhalb und außerhalb des Transmitterbahnhofs besteht.«
Amund nickte ermattet. »Verstanden. Aber es kann eine Weile dauern, bis ich die Kuppel erreicht habe. Hier ist einiges los, wie ihr sehen könnt.«
»Halt unterwegs auf alles drauf, was du vor dein Vipho bekommst, dann kannst du nichts falsch machen!«
*
Als Ray Husen den Korrespondenten von Rundfunk Utopia in der Menge erblickte, schickte er zwei Roboter los, die dafür sorgen sollten, dass der Mann schnell zur Innenwand der Kuppel gelangte.
»Sie kommen genau richtig!«, rief er Amund zu, als dieser zu ihnen stieß. »Dort draußen tut sich endlich etwas.«
Der Korrespondent nickte grüßend in die Runde. Neben Husen waren auch Finkerton und ein weiterer Gruppenleiter anwesend.
»Ihre Berichte tragen offenbar endlich Früchte, Mister Amund«, merkte Finkerton an, ohne den Blick von dem hellerleuchteten Areal abzuwenden, auf dem es inzwischen noch mehr von Uniformierten wimmelte.
Amund verzichtete darauf, dem Mann zu erklären, dass seine Berichte nicht erst jetzt Früchte trugen. »Was geschieht dort unten?«, fragte er stattdessen.
»Sie haben eine Bühne und Schallfeldgeneratoren aufgebaut«, erläuterte Husen. »Und vor wenigen Minuten ist ein Gleiter aus dem Fuhrpark der Regierung aufgetaucht.«
Amund schwenkte sein Vipho, um eine Aufnahme des Außengeländes zu machen. Als der Regierungsgleiter in den Erfassungsbereich der Kamera geriet, glitt die Fronttür des Fahrzeugs plötzlich auf, und ein mittelgroßer Mann mit schütteren dunklen Haaren stieg aus. Er besaß die füllige Statur eines Staatsmannes, der sein Amt schon viel zu lange bekleidete und ein bisschen zu viel von den Vorteilen genossen hatte, die seine Position mit sich brachte.
»Bruder Lambert«, sagte Finkerton gewichtig. »Endlich, er kommt aus seinem Bau gekrochen.«
Husen nickte Amund anerkennend zu. »Das haben wir wahrscheinlich nur Ihrer Berichterstattung zu verdanken. Sogar Terra-Press sendet inzwischen Ausschnitte aus den Sendungen von Rundfunk Utopia.«
Amund behagte es ganz und gar nicht, dass seine Arbeit von anderen Einrichtungen für deren Zwecke instrumentalisiert wurde. Doch dagegen konnte er nichts tun, die Sache hatte längst eine Eigendynamik entwickelt.
Lambert enterte das Podest und ließ sich ein Mikrofon aushändigen. Ohne Umschweife kam der Kurator Terras gleich zur Sache.
»Über eines sollten Sie sich klar sein«, dröhnte seine kraftvolle und dennoch melodische Stimme in voller Lautstärke aus den Schallfeldern, sodass alle in der Halle Anwesenden seine Worte deutlich verstehen konnten. »Ihr, die ihr jetzt von Babylon auf die Erde zurückströmt, habt diese Welt in ihrer schwersten Stunde einst im Stich gelassen.«
Amund kroch eine Gänsehaut über den Rücken. Lambert schaffte es mit seinem ruhigen Wesen und seiner unaufgeregten Sprechweise, seinen Worten besonderes Gewicht zu verleihen, fast wie ein fest im Glauben stehender Prediger.
»Ihr habt die Erde, eure Heimat, verraten und somit für immer das Recht verwirkt, Terra jemals wieder als eure Heimstatt in Anspruch zu nehmen.«
Unruhe machte sich unter den in der Halle Zusammengepferchten breit.
»Ihr irrt, wenn ihr glaubt, dass ich mich von euch erpressen lasse«, fuhr Lambert fort. »Niemand von euch wird einen Fuß auf das Territorium außerhalb des Transmitterbahnhofs setzen, dafür wird gesorgt werden. Darum: Kehrt auf die Welt zurück, die ihr damals als eure neue Heimat auserkoren habt, als die Erde euch gebraucht hat. Kehrt nach Babylon zurück und sorgt dafür, dass auf eurer Heimatwelt wieder lebenswerte Zustände einkehren. Kämpft für den Erhalt Babylons, anstatt schon wieder die Flucht zu ergreifen, weil es euch auf eurem Heimatplaneten zu ungemütlich geworden ist!«
Lambert schaltete das Mikrofon aus und wandte sich zum Gehen. Gleichzeitig brach in den Hallen des Transmitterbahnhofs heftiger Tumult aus.
*
»Dieser Unmensch!«, schrie Finkerton außer sich vor Wut. »Mit seinen Ansichten stellt er sich über die Menschheit und verdammt alle Babylonier zur Unfreiheit!«
»Geoffrey, komm zu dir!«, mahnte Husen eindringlich. »Die Leute drehen total durch, und deine Worte machen es nur noch schlimmer!«
Erst jetzt schien der Gruppenchef gewahr zu werden, was um ihn herum geschah.
In der Halle herrschte große Aufregung; die Versammelten schrien aufgebracht aufeinander ein, es wurde gedrängelt, geschubst und gestoßen. Einige versuchten, sich zum Ausgang vorzuarbeiten, wurden von anderen aber wiederum daran gehindert. Eine Frau kreischte schmerzgepeinigt auf, und irgendwo plärrte ein Kind herzerweichend.
»Sie müssen etwas unternehmen, Finkerton!«, drängte Amund. »Offenbar planen einige, die terranischen Sicherheitskräfte zu überrennen, um nach Alamo Gordo durchzubrechen. Ich meine sogar gehört zu haben, dass einige vorhaben, Lambert zu lynchen!«
Der Gruppenchef sah sich wirr um, woraufhin Amund ihn an den Aufschlägen seiner Jacke packte und durchdringend anstarrte. »Sie sind dafür verantwortlich, wenn die Menschen, die sich Ihnen und Ihrer Gruppe anvertraut haben, jetzt zu Schaden kommen! Sie vermögen sie zu beeinflussen, also reißen Sie sich endlich zusammen und bringen Sie diese Menschen wieder zur Vernunft!«
Finkerton schüttelte die Hände des Korrespondenten ab. Benommen wandte er sich der Menge zu und hob beschwichtigend die Arme. Doch ehe er einen Laut von sich geben konnte, schallte plötzlich die Stimme einer Frau aus der Sprechanlage des Bahnhofs. Es war Justice Willcox’ Stimme, wie Amund schnell erkannte.
»Lasst euch von Lambert nicht provozieren!«, rief sie, hörbar um Beherrschung bemüht. »Er ist unfähig, sich in die Lage derer zu versetzen, die Angst um die Menschen haben, die sie lieben und für deren Wohl sie verantwortlich sind. Er schimpft sich einen evangelikalen Christen, dennoch scheint ihm Nächstenliebe fremd zu sein. Und dass er uns beleidigt und verhöhnt, anstatt uns zu helfen, die wir doch auf sein Wohlwollen angewiesen sind, beweist nur, dass er in seiner Position fehl am Platze ist!«
Erleichtert stellte Amund fest, dass der Aufruhr sich langsam legte. Die Menschen verharrten, um den Worten der jungen Frau zu lauschen.
»Wenn wir uns jetzt unserem Zorn hingeben und es zulassen, dass die Situation außer Kontrolle gerät, werden wir die Sympathie derjenigen verlieren, die in diesem Moment vor ihren Bildschirmen sitzend Anteil an unserem Schicksal nehmen«, fuhr Justice fort. »Die Gewaltszenen werden sie abschrecken und uns nicht länger als Opfer einer unmenschlichen Einwanderungspolitik erscheinen lassen, sondern als Täter und Kriminelle.«
»Sie ist großartig!«, jubilierte Amund und sah sich in der Halle um, in die nun langsam nachdenkliche Ruhe einkehrte. »Die Menschen besinnen sich wieder!«
Er wandte sich Finkerton zu, doch der kniete vor einem der von der Gruppe als Schwadronmaschinen bezeichneten Roboter und schraubte mithilfe von Dwarf daran herum. Die Serviceklappe der trapezförmigen Maschine stand offen, und Dwarfs Werkzeugschlauch führte hinein. Finkerton arbeitete konzentriert, während der auf seinem Prallfeld schwebende Roboter leicht schwankte.
»Was haben Sie vor?«, erkundigte sich Amund und richtete die Kamera seines Viphos auf die Szene.
»Ich werde einen direkten Kontakt zu Lambert herstellen«, erklärte Finkerton und sah dann zu Husen auf. »Bring mir diesen Vorhang dort«, wies er seinen Mitstreiter an und deutete auf eine hellgraue Stoffbahn, die einen Stahlträger verdeckte.
Husen gehorchte ohne Zögern, riss den Schal herab und kehrte damit zum Gruppenchef zurück. Die Schwadronmaschine streckte den Teleskoparm lang aus und nahm Husen die Stoffbahn aus den Händen.
»Geben Sie mir Ihr Vipho«, forderte Finkerton daraufhin Amund auf.
Der Korrespondent wich befremdet einen Schritt zurück.
»Nun machen Sie schon!«, fuhr Finkerton ihn an und vollführte eine ungeduldige Geste mit der Hand. »Ich will Ihr Gerät mit der Sensorik des Roboters verbinden. Auf diese Weise werden alle Video- und Audioaufzeichnungen der Maschine direkt in Ihr Vipho überspielt.«
Amund gab sich einen Ruck und händigte dem Mann das Gerät aus. Finkerton führte Dwarfs Werkzeugschlauch an das Bedienfeld des Viphos heran, woraufhin sich fadendünne Auswüchse am Ende der biegsamen Röhre ausbildeten. Einige dieser Fäden tippten in Windeseile auf dem Tastfeld herum, andere schienen direkt in das Gerät einzudringen.
Der Vorgang dauerte nur einige wenige Augenblicke. Skeptisch betrachtete Amund das Vipho, als es ihm schließlich zurückgegeben wurde. Äußerlich schien das Gerät unverändert zu sein, doch der Bildschirm war nun aufgeteilt, zeigte auf der einen Hälfte die Aufnahme der internen Kamera und auf der anderen den Videostrom der Schwadronmaschine.
Finkerton versiegelte die Klappe des Roboters und stand auf. Dwarf glitt dienstbeflissen heran und blieb auf Brusthöhe vor dem Gruppenchef in der Luft stehen.
Eine Luke glitt auf und gab ein Bedienfeld sowie einen kleinen Steuerknüppel frei. Finkerton griff zu, und als er den Steuerknüppel bewegte, stieg die Schwadronmaschine plötzlich in die Höhe. Der Roboter steuerte auf eine offenstehende Lüftungsklappe im Scheitelpunkt der Kuppel zu, flog hindurch und gelangte ins Freie. Die hellgraue Stoffbahn zog er dabei wie eine Fahne hinter sich her.
*
Im Senderaum im oberen Stockwerk des 1 WTC herrschte schummeriges Halbdunkel. Es war kurz vor Mitternacht, und Torben wie auch Angelica saßen völlig ermattet in ihren vor der Steuerkonsole platzierten Sesseln. Marie Ussuri, die Technikerin, die die verstaubte Anlage wieder auf Vordermann gebracht hatte, lötete an ihrem Arbeitstisch sitzend an einer Platine herum, die vorhin ihren Geist aufgegeben hatte.
Wer diese Sendeanlage einst installiert hatte, war nicht überliefert. Ussuri vermutete jedoch, dass sie Teil des Kommunikationsnetzes des amerikanischen Geheimdienstes gewesen war. Allerdings existierten dafür keine Belege. Wohl aber funktionierte die Anlage auch jetzt noch nahezu einwandfrei, obwohl sie mehrere Jahrzehnte lang abgeschaltet und eine Zeitlang vereist gewesen war. Die Sendereichweite ging weit über die ehemalige Grenze des Bundesstaates New York hinaus, und auch das Frequenzspektrum war breiter ausgelegt als für gewöhnliche Rundfunkanstalten damals üblich.
Schläfrig ließ Torben den Blick über die Bildschirmbatterie schweifen, nahm aber kaum noch bewusst wahr, was sich darauf abspielte. Viel zu tun hatte das Paar nicht. Amunds Viphosignale, die durch eine Relaisstelle in seinem Gleiter verstärkt wurden, erreichten den Empfänger der Sendeanlage in hervorragender Qualität. Die Datenströme gelangten unbearbeitet in den Verteiler und wurden in den Sendemast auf der Spitze des 1 WTC weitergeleitet.
Seit knapp vier Stunden sendete Rundfunk Utopia nun schon ununterbrochen die Berichte von Roald Amund, und wenn sie den Angaben des analytischen Rates Glauben schenken durften, genoss die Sendung die ungeteilte Aufmerksamkeit eines Großteils der Bevölkerung von New York.
Verwundert setzte sich Angelica in ihrem Sessel auf und betrachtete die Bildschirme konzentriert. »Was ist denn jetzt los?«, fragte sie befremdet. »Amunds Vipho sendet plötzlich zwei parallele Datenströme!«
Auch Torben erwachte jetzt aus seinem Tran. Eben noch waren auf sämtlichen Monitoren ein und dieselben Bilder zu sehen gewesen, doch jetzt wechselten die Aufnahmen ständig zwischen zwei verschiedenen Perspektiven hin und her. Einmal wurde der vor der transparenten Kuppelwand stehende Geoffrey Finkerton gezeigt und dann wieder der mit Uniformierten übersäte Vorplatz, auf den aus einer erhöhten Position herabgeblickt wurde.
Die vom Sender abgestrahlten Bilder wechselten ebenfalls in chaotischen Intervallen und überlagerten sich teilweise, wie Torben jetzt verärgert feststellte.
»Mist, wir haben nicht aufgepasst!«, entfuhr es ihm. »Amund hat irgendwas gedreht.«
Angelica deutete auf einen Bildschirm, auf dem ein trapezförmiger Roboter zu erkennen war. Ein Vorhang flatterte in seiner Greifklaue. »Der zweite Datenstrom stammt wahrscheinlich von dieser Maschine«, dämmerte es ihr.
Torben nickte beipflichtend und machte sich hektisch an der Konsole zu schaffen. Viel Erfahrung im Umgang mit der Steuervorrichtung hatte er bisher noch nicht sammeln können, trotzdem brachte er es irgendwie fertig, die Datenströme zu kanalisieren, sodass er nun gezielt zwischen den beiden Perspektiven wechseln konnte.
»Sag irgendwas dazu!«, forderte er seine Frau auf.
Angelica bog das Schwanenhalsmikrofon zu sich herüber, schaltete es ein und gab für die Zuschauer eine Erklärung ab. Wie immer, wenn sie nicht weiterwusste, improvisierte sie freiheraus und behauptete, Amund hätte sich Zugriff auf den Datenstrom eines Roboters verschafft, den die im Transmitterbahnhof Festsitzenden nach draußen geschickt hatten.
Als Torben gewahr wurde, dass die Maschine direkt auf Bruder Lambert zuflog, schaltete er den Videostrom des Roboters schnell auf den Sendekanal.
Der Kurator Terras stand gerade im Begriff, in den Regierungsgleiter zu steigen, zögerte jedoch, als er bemerkte, dass die umstehenden Uniformierten ihre Waffen gen Himmel richteten.
Lambert sah nach oben, und sein von Pigmentflecken übersätes Gesicht mit der spitzen Nase wurde deutlich sichtbar. Die Sprenkel erstreckten sich auch über Lamberts Hals und verliehen ihm ein geheimnisvolles, aber auch irgendwie dämonisches Aussehen. »Nicht schießen!«, wies er die Sicherheitsbeamten an und streckte den Arm beschwichtigend zur Seite aus. »Dieser Roboter trägt eine Parlamentärsflagge!«
»Mutig ist Lambert ja, das muss man ihm lassen«, kommentierte Angelica. »Er verzichtet sogar auf einen Leibwächter.« Erschrocken schaltete sie das Mikrofon aus, als sie merkte, dass es noch auf Senden geschaltet war.
Torben verdrehte die Augen. »Keine Stellungnahmen«, mahnte er ungehalten. »Die Freien Bürger sollen sich selbst eine Meinung bilden.«
»Das nächste Mal passe ich besser auf«, giftete Angelica zurück.
Lambert trat einen Schritt von der Gleiterlimousine weg. Die Art und Weise, in der sich die perspektivische Darstellung seines Körpers verschob, ließ darauf schließen, dass der Roboter nur wenige Meter vor ihm niederging und landete.
Herausfordernd starrte Lambert die Maschine an. »Was wollen Sie?«, fragte er sichtlich unbeeindruckt. »Ich habe alles gesagt, was ich den Drückebergern von Babylon zu sagen hatte.«
»Es ist an der Zeit, dass Sie von Ihrem hohen Ross absteigen, Lambert«, drang eine männliche Stimme aus den Sprechrillen der Maschine. »Sie können nicht länger die Augen und Ihr Herz davor verschließen, dass sich die Menschheit auf Babylon in einer Notlage befindet und auf die Hilfe der Erde angewiesen ist.«
»Mit wem spreche ich überhaupt?«, verlangte Lambert zu wissen.
»Mein Name tut nichts zur Sache. Ich bin nur das Sprachrohr von Tausenden, die wegen Ihrer rigiden Einwanderungspolitik jetzt in arge Bedrängnis geraten sind.«
»Es ist nicht meine Schuld, dass Sie und all diejenigen, die sich auf Ihr illegales Unterfangen eingelassen haben, jetzt im Transmitterbahnhof festsitzen«, stellte Lambert klar. »Sie sind nicht berechtigt, die Transmitterstraße Erde-Babylon wieder in Betrieb zu nehmen und Tausende ohne gültiges Visum auf die Erde zu bringen.«
»Offenbar wissen Sie nicht, was auf Babylon vor sich geht«, gab der Sprecher zurück, bei dem es sich um Finkerton handelte, wie die Aufnahme von Amunds Vipho verriet. »Die Zustände in den Wohnpyramiden sind inakzeptabel und lebensbedrohlich.«
»Die technischen Mängel in den Hinterlassenschaften der Mysterious werden nicht behoben werden, indem Sie davonrennen«, kommentierte Lambert trocken. »Babylon braucht seine Bewohner jetzt mehr denn je. Doch die ziehen es mal wieder vor, den Schwanz einzukneifen und sich aus dem Staub zu machen, genauso wie sie es damals taten, als die Erde auf sie angewiesen war.«
»Sie klingen wie ein alter, verbitterter Mann«, entgegnete Finkerton kalt. »Dass Sie kein Verständnis für Familien aufbringen können, die aus Angst um ihr Leben die bittere Entscheidung treffen müssen, ihre Heimat zu verlassen, um an einem fremden Ort eine neue Existenz aufzubauen, sagt viel über Sie aus, Mister Lambert.«
»Wollen Sie etwa andeuten, dass es sich bei den Menschen, die damals auf der Erde zurückblieben, anstatt sich dem Exodus nach Babylon anzuschließen, um hartherzige Individuen handelt, denen das Leben und Wohlergehen ihrer Familienmitglieder egal war?«, konterte Lambert unaufgeregt.
Torben reagierte blitzschnell und schaltete den Datenstrom, der von Amunds Vipho gesendet wurde, auf den Sendekanal.
Lamberts Erwiderung hatte Finkerton sichtlich sprachlos gemacht; die Gesichtszüge des Gruppenchefs drohten zu entgleisen. Es bedurfte keiner großen Menschenkenntnis, um zu erkennen, dass er in diesem Moment nicht weiterwusste.
»Kehren Sie mit Ihren Leuten nach Babylon zurück«, war wieder Lamberts Stimme zu vernehmen. »Eine andere Option steht Ihnen nicht zur Verfügung.«
»Dazu sind wir nicht in der Lage«, erklärte Finkerton mit tonloser Stimme. »Wegen der in den Asteroidenstationen festsitzenden Reisemodule ist die Transmitterstraße blockiert; sie kann derzeit in keiner Richtung mehr benutzt werden.«
Torben schaltete wieder auf Lambert um. Der Kurator Terras furchte die Stirn, und ein Anflug von Verärgerung huschte über sein fleckiges Antlitz. »Das haben Sie mit Absicht getan!«, wurde er jetzt das erste Mal ungehalten. »Sie haben diese Leute absichtlich in Gefahr gebracht, um ein Druckmittel gegen mich in der Hand zu haben!«
»Wir waren zu diesem Schritt gezwungen, weil die Aufnahmekapazität des Bahnhofs erschöpft war«, rechtfertigte sich Finkerton. »Und dies nur, weil Sie so lange gezögert haben, auf die Situation im Transmitterbahnhof zu reagieren!«
Lambert starrte nachdenklich vor sich hin, massierte seine Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger und blinzelte mehrmals. »In Ordnung«, gab er dann widerstrebend von sich. »Ich werde veranlassen, dass Hilfsgüter in den Transmitterbahnhof gebracht werden. Den Festsitzenden ist es aber nach wie vor nicht gestattet, den Bahnhof zu verlassen.«
»Das ist doch keine Lösung!«, beschwerte sich Finkerton.
»Bereiten Sie Ihre Leute darauf vor, dass sie in dem Gebäude ausharren müssen, bis eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden wurde«, gab Lambert kühl zurück.
»Die Menschen hier sind mit ihrer Geduld am Ende«, mahnte Finkerton. »Ich weiß nicht, wie lange sie sich noch ruhig verhalten werden.«
»Sie sind dafür verantwortlich, im Transmitterbahnhof für geordnete Verhältnisse zu sorgen. Diese Suppe haben Sie sich selbst eingebrockt, jetzt löffeln Sie sie auch aus!«
Mit diesen Worten drehte sich Lambert weg und stieg in den Regierungsgleiter. Noch während die Tür zuglitt, stieg das Fahrzeug empor, drehte bei und verschwand aus dem Licht der Scheinwerfer.
Torben ächzte und lehnte sich ermattet in seinen Sessel zurück. »Lambert ist ein verdammt harter Knochen«, kommentierte er. »Ich möchte jetzt nicht in der Haut der Festsitzenden stecken.«
Angelica nickte beklommen. »Wir können von Glück reden, dass wir den Absprung zur Erde noch rechtzeitig geschafft haben. Ich hätte es unseren Kindern nicht zumuten wollen, mit all diesen Fremden in den Hallen der Transmitterstation zusammengepfercht abzuwarten, welches Schicksal die Politiker ihnen zugedacht haben.«
2.
»Weg mit dem Regime!«, skandierte die Menge. »Nieder mit Appeldoorn! Tötet ihn und seine Marionetten!«
Seitdem die Strecke von Babylon zur Erde gesperrt worden war, kippte die Stimmung in der Halle des Transmitterbahnhofs, der 2066 in einer etwas außerhalb von Neu-Alamo befindlichen Pyramide eingerichtet worden war, allmählich. Immer mehr stimmten in die aggressiven Parolen mit ein. Fäuste reckten sich in die Luft. Die Nachfolgenden, die ebenfalls in die Halle wollten, drückten unbarmherzig von hinten, sodass es vorne bei den Einstiegen immer enger wurde. Kinder schrien im Gedränge.
Mittendrin standen schwitzend die beiden GSO-Agenten Ömer Giray und Liv Sanders. Sie hofften inständig, nicht als solche erkannt zu werden, denn sie ahnten, dass sich der Zorn des Mobs als Erstes gegen sie richten würde. Hin und wieder ließen sie ein »Jawohl!« und »Genau!« von sich hören, um nicht negativ aufzufallen. Noch schenkte ihnen niemand Beachtung.
»Öffnet endlich wieder die verdammte Transmitterstrecke!«, forderte jemand.
»Suchen wir das Kontrollzentrum auf!«, kreischte ein anderer. »Dort hocken die Übeltäter.«
»Zur Not zwingen wir sie mit Waffengewalt!«
Ömer bemühte sich nicht, seine Gefühle zu verbergen, denn Sorge und Angst standen auch in den Gesichtern etlicher Umstehender. Krampfhaft überlegte er, wie seine Partnerin und er diesem Hexenkessel entkommen könnten, doch mittlerweile reichte der Platz kaum noch zum Atmen. Er sah zur Decke der Halle hinauf. Zu hoch, dachte er mit Bedauern.
»Das bringt doch nichts!«, rief jemand hinter ihm. »Vielleicht wurde die Transmitterstrecke am Zielbahnhof abgeschaltet.«
»Bruder Lambert würde so etwas niemals tun!«, behauptete eine Frau. »Er ist doch Christ!«
»Hindert ihn das etwa? Angenommen, ich habe recht, dann können wir die Strecke nicht mehr ohne Weiteres von hier aus in Betrieb nehmen.«
»Also sollen wir einfach aufgeben?«
»Nein, wir halten den Transmitterbahnhof besetzt. Dann sind wir sofort zur Stelle, sollte es endlich wieder weitergehen.«
»Und wie lange soll das dauern?«, hielt ein anderer dagegen. »Mir tun jetzt schon die Füße weh.«
»Vergesst nicht die Kinder!«, mischte sich ein weiterer Mann in die Diskussion ein. »Wir können ihnen nicht zumuten, noch länger zu warten. Mit etwas Pech kommen die nächsten Reisemodule erst in ein paar Tagen – oder nie.«
»Meine Rede! Wir sollten die Sache lieber selbst in die Hand nehmen! Das kann doch nicht so schwer sein. Immerhin sind wir in der Überzahl.«
»Wir dürfen uns nicht aufteilen. Wenn wir alle hierbleiben, haben die da oben keine andere Wahl, als auf unsere Forderungen einzugehen. Kleine Gruppen sind angreifbarer als große.«
»Mag sein. Trotzdem traue ich diesen Halunken nicht über den Weg. Vielleicht schicken sie uns gar nicht zur Erde, sondern setzen uns im Hyperraum aus«, mutmaßte jemand.
»Geht das überhaupt?«, wollte eine Frau wissen.
»Natürlich. Appeldoorn will um jeden Preis an der Macht bleiben. Hier in der Halle des Transmitterbahnhofs kann er kein Blutbad vor den Augen Babylons anrichten.«
»Verwechseln Sie den Präsidenten vielleicht mit Trawisheim?«
»Keineswegs. Diese Politiker sind doch alle gleich!«
»Ich glaube, Sie übertreiben.«
»So etwas kann nur eine Systemhure sagen.«
»Was fällt Ihnen ein?«
Bevor der Streit eskalieren konnte, schallte plötzlich von draußen eine Lautsprecherstimme herein. Zuerst waren ihre Worte kaum zu hören, doch die Tausenden von Menschen in der Halle verstummten nach und nach und reckten ihre Hälse in Richtung der Scheiben, die sie vom Rest der Welt trennten. Ömer und Liv standen zu dicht an den Transmittern, um den Sprecher sehen zu können.
»Achtung! An alle, die sich in der Halle aufhalten«, wiederholte die Stimme noch ein paar Mal, bevor sie fortsetzte: »Wie Sie vermutlich schon bemerkt haben, ist die Transmitterstrecke momentan blockiert. Derzeit sitzen Hunderte Reisende in den Zwischenstationen fest. Bevor diese nicht geräumt sind, kann kein geordneter Betrieb mehr aufgenommen werden.«
Ein Raunen ging durch die Menge.
»Die Gegenstation auf der Erde wurde inzwischen komplett abgeschaltet. Genauere Informationen diesbezüglich liegen uns jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht vor. Wir werden Sie auf dem Laufenden halten.«
»Seht ihr?«, rief jemand im Gedränge. »Ich hatte recht! Diese Sesselpupser nehmen endlich Vernunft an.«
»Bestimmt kam es zum Stau, weil zu viele in die Module eingestiegen sind«, vermutete ein anderer.
»Das bezweifele ich«, hielt jemand dagegen. »Wir verschicken auch voll beladene Frachtcontainer über das Transmitternetz. Meistens verlief das reibungslos.«
»Möglicherweise sind zu viele auf einmal transmittiert, und nun herrscht Chaos in den Zwischenstationen.«
»Das erklärt allerdings nicht die Sache mit der Erde.«
»Na ja, was sollen wir sonst tun, außer abzuwarten? Selbst wenn wir wollten, könnten wir deren Station von hier aus nicht reaktivieren.«
»Nicht? Terence Wallis hat sich doch bestimmt eine Hintertür eingebaut, um die volle Kontrolle zu behalten.«
»Und wenn schon! Die finden wir auf die Schnelle sowieso nicht. Warten wir einfach ab, was passiert!«
Die Eingepferchten nahmen die Informationen des anonymen Sprechers den Umständen entsprechend gut auf. Manche murrten zwar und behaupteten, dass die Sache mit den Zwischenstationen wahrscheinlich bloß ein Trick sei, um die Reisewilligen hinzuhalten, doch die meisten waren froh, nicht selbst irgendwo in einem hoffnungslos überfüllten Modul in einem Asteroiden mitten im Weltraum festzustecken.
»Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten«, ertönte die Lautsprecherstimme erneut, »bitten wir Sie nun, den Bahnhof zu räumen.«
Einen Augenblick lang herrschte Stille in der Halle, dann brachen mit einem Mal wütende Rufe aus. »Es ist eine Falle!«, gellte eine Frau, der prompt Dutzende weitere Menschen zustimmten. »Eine Falle!« »Wir verlassen den Bahnhof nicht!«, schrien immer mehr Leute in die Richtung, in der sie die sogenannten Systemhuren vermuteten.
Die Stimme versuchte, die Maßnahme zu erklären: »Denken Sie an die Festsitzenden in den Relaisstationen! Wir können sie nur rasch befreien, wenn …« Die restlichen Worte gingen im Geschrei der Menge unter.
»Ihr kriegt uns hier nicht raus! Der Transmitterbahnhof gehört uns!«
»Kommt doch rein, wenn ihr euch traut!«, brüllten die Wagemutigeren. »Widerstandslos geben wir nicht auf. Raus bekommt ihr uns nur über unsere Leichen!«
»Weg mit dem Regime! Auf nach Terra!«
»Wir verstehen Ihre Sorgen«, antwortete die Lautsprecherstimme ruhig. »Und ich verspreche Ihnen, dass wir auf Hochtouren an einer Lösung arbeiten.«
»Wer’s glaubt, wird selig!«
»Wir befinden uns alle in einer schwierigen Situation. Die technischen Ausfälle betreffen uns alle.«
»Oh, jetzt machst du einen auf guten Kumpel?«
»Es stimmt: Die Ursache für die technischen Ausfälle konnten wir noch nicht finden«, fuhr die Stimme von draußen unbeirrt fort. »Umso wichtiger ist es, nun Ruhe zu bewahren, damit nicht noch mehr Menschen zu Schaden kommen.«
»Spar dir deine Monologe, du Vollidiot! Das interessiert uns alles nicht. Glaubst du, wir durchschauen dein Spielchen nicht? Sag Appeldoorn, dass er uns mal kreuzweise kann!«
»Nur mit Ihrer Hilfe wird es uns gelingen, die Festsitzenden in den Relaisstationen zu befreien.«
»Die Leute tun mir ja schon leid«, offenbarte Ömer den Leuten um sich herum.
»Ja, stimmt«, pflichtete Liv ihm bei. »In deren Haut möchte ich jetzt wirklich nicht stecken.«
»Vielleicht sollten wir der Aufforderung tatsächlich nachkommen.«
»So ein Quatsch!«, maulte jemand zwei Reihen vor den Agenten. »Der Typ labert nur. Wahrscheinlich versucht in diesen Sekunden ein Sondereinsatzkommando, sich Zugang zur Halle zu verschaffen.«
»Um was zu tun?«, hakte Ömer nach.
»Um uns aus dem Bahnhof zu vertreiben, du Dussel. Oder glaubst du, die haben diesen Clown absichtlich vor dem Gebäude platziert? Normalerweise interessiert sich doch keiner von denen da oben für uns, aber kaum zeigen wir, dass wir uns nicht alles gefallen lassen, schon versuchen sie es mit Beschwichtigungen. Wahrscheinlich hoffen sie, dass wir bis zu den nächsten Wahlen wieder alles vergessen haben werden. Nicht mit uns!«
»Ich hatte mir das alles viel einfacher vorgestellt«, antwortete ein Vater in der Nähe, der sein Kind auf den Schultern trug. »Uns wurde versprochen, dass uns der Weg zur Erde offenstünde. Hätte ich gewusst, was uns erwartet, wäre ich daheimgeblieben. Meine Frau habe ich im Gedränge aus den Augen verloren. Ich habe es wirklich satt! Wahrscheinlich wartet Rosy längst zuhause auf mich.« Er begann, sich um seine eigene Achse zu drehen, was aufgrund der Enge kaum möglich war.
»Passen Sie doch auf, Mann!«, schnauzte jemand neben ihm.
»Haben Sie mich gerade geschubst? Ich trage ein Kind, Sie Arschloch!« Prompt fing der kleine Mensch auf seinen Schultern an, lauthals zu heulen.
»Mir reicht’s auch!«, sprang dem Vater jemand verbal bei. »Ich gehe nach Hause. Das bringt hier doch nichts.«
»Ihr feigen Hunde wollt doch wohl nicht kurz vor dem Ziel kneifen?«, beleidigte eine Frauenstimme diejenigen, die versuchten, in Richtung Ausgang zu drängen.
Immer mehr Menschen begannen, rücksichtslos ihren Willen durchzusetzen. Die einen wollten den Bahnhof verlassen, die anderen versuchten, sie daran zu hindern. Wer in der Überzahl war, ließ sich schwer sagen. In unmittelbarer Nähe von Ömer und Liv prügelten sich zwei Männer – so gut es in dem Gedränge eben ging. Eine Frau sprang dem einen auf den Rücken und würgte ihn von hinten. Ein weiterer Mann packte sie bei den Haaren. Wilde Flüche und Beschimpfungen wurden ausgestoßen.
Immer mehr Menschen ließen sich von der Prügelei inspirieren und gingen nun ebenfalls aufeinander los. Gegenseitig unterstellten sie sich, Agitatoren zu sein, die im Auftrag Appeldoorns Chaos stiften sollten.
Ömer und Liv vermieden es, irgendjemandem in die Augen zu sehen oder für irgendjemanden Partei zu ergreifen. So hofften sie, von den Aggressoren ignoriert zu werden. Schweigend ließen sie sich hin und her stoßen. Nur manchmal drückten sie ihre Mitmenschen von sich, um nicht von ihnen zerquetscht zu werden. Dank ihrer Agentenausbildung konnten sie auch in stressigen Situationen wie diesen ruhig bleiben und verfielen nicht wie manch anderer in blinde Panik.
»Charly!«, kreischte eine hysterische Frauenstimme. »Wo bist du? Oh Gott! Ihr Schweine habt meinen Kleinen totgetrampelt! Weg da! Ich muss zu meinem Jungen!« Die tragische Nachricht breitete sich rasch in der gesamten Halle aus, doch anstatt zur Vernunft zu kommen, schoben sich die Leute nun gegenseitig oder wahlweise Appeldoorn die Schuld in die Schuhe.
Die beiden GSO-Agenten konnten nichts tun. Sie standen eingequetscht in einem chaotischen Meer aus Menschen, wo es kein Vor und kein Zurück gab. Sie spürten deutlich, wie sich die Stimmung immer weiter aufheizte. Ohne ein Wunder würde jeden Augenblick eine Massenpanik ausbrechen.
Plötzlich erfüllten blassblaue Strahlen die überfüllte Halle des Transmitterbahnhofs. Bevor die Eingepferchten begreifen konnten, was soeben geschah, wurden sie auch schon bewusstlos.
3.
Ren Dhark flog mit dem Flash eine weitläufige Schleife um die Regierungspyramide. Die im Luftraum über dem Gebäude patrouillierenden Polizeigleiter ließen den ehemaligen Commander der Planeten gewähren, denn die Beamten hatten den Flash und seine beiden Insassen längst überprüft.
»Ich fasse es nicht«, stieß Amy hervor, während sie mit in den Nacken gelegtem Kopf zum Bildschirm an der Decke hinaufspähte. »Das Gelände um die Regierungspyramide herum wimmelt von aufgebrachten Menschen. Und irgendein Hitzkopf hat die Barrikaden angezündet, die die Demonstranten errichtet hatten, um das Gebäude zu isolieren. Dichte Rauchwolken ziehen über die Straße hinweg.«
»Es ist ein harter Rückschlag für die Ausreisewilligen, dass die Transmitterstrecke zwischen Babylon und der Erde jetzt wieder blockiert ist«, sagte Dhark rau. »Und obwohl Appeldoorn nichts dafür kann, geben die Leute ihm und seiner Regierung die Schuld dafür. Der gesunde Menschenverstand scheint diese Individuen vollkommen verlassen zu haben.«
Der weibliche Cyborg nickte mit finsterer Miene. »Sie vermögen vor Angst und Panik keinen klaren Gedanken mehr zu fassen. Die Situation in den Pyramidenstädten droht, vollkommen außer Kontrolle zu geraten.«
»Ich möchte jetzt nicht in Appeldoorns Haut stecken.« Dhark steuerte den Flash mit seinen Gedanken auf das abgeflachte Dach der Pyramide zu. »In den letzten Stunden hat er Dinge veranlasst, von denen er sich sicherlich niemals hätte träumen lassen, dass er sie eines Tages tatsächlich würde in die Wege leiten müssen.«
»Den im Transmitterbahnhof wütenden Mob vom Militär mit Strich-Punkt niederschießen zu lassen zählt sicherlich nicht zu den glanzvollsten Momenten seiner Regierungszeit«, bestätigte Amy trocken.
»Was hätte er denn sonst tun sollen?«, gab Ren zurück. »Die Menschen, die mithilfe des mobilen Transmitters in die Hallen des Bahnhofs gelangt waren, rasteten doch alle total aus, als sich herausstellte, dass die Transmitterstraße plötzlich wieder blockiert ist. Es hätte Schwerverletzte, wenn nicht sogar Tote gegeben, wenn sie nicht paralysiert worden wären.«
»Das Militär gegen die Zivilbevölkerung einsetzen – das ist schon ein starkes Stück, Ren!«
Der Commander nickte grimmig und ließ die Landebeine des Beibootes ausfahren. »So etwas hat zuletzt Trawisheim während des Babylon-Umsturzes getan. Doch der wurde immerhin von Kalamiten beeinflusst.«
»Appeldoorn ist mit seinem Latein am Ende, so viel steht fest«, fasste der weibliche Cyborg freudlos zusammen. »Und jetzt hat er dich herbeizitiert, weil er hofft, dass du ihm aus der Patsche helfen wirst.«
»Nicht nur mich«, erwiderte Dhark und schaltete das Antriebssystem ab. »Sein Stellvertreter sowie Bulton und Eylers sind auch mit von der Partie, und sicherlich noch einige seiner Berater.«
Der Flash setzte auf und kam zur Ruhe. Dhark erhob sich aus dem Sessel und gab den Gedankenbefehl zum Öffnen der Luke. Er stieg aus und reichte Amy die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen. Von einem anderen Mann hätte sich der weibliche Cyborg diese Geste nicht gefallen lassen, denn in ihren Augen ließ sie Frauen wie hilflose Wesen erscheinen, die zu blöd waren, ohne die Hilfe eines Mannes aus einem Fahrzeug zu steigen. Doch in Rens Fall stellte diese Geste eher einen Beweis seiner Zuneigung dar denn den Versuch, sie als Frau herabzuwürdigen.
Als Amy vor ihm stand, schloss Dhark sie kurz in seine Arme. »Für die Menschheit läuft es mal wieder nicht so gut«, hauchte er ihr ins Ohr. »Umso dankbarer bin ich, dass wir beide uns so gut verstehen.«
»Daran haben wir ja auch hart gearbeitet«, gab der weibliche Cyborg zurück. »Und die Menschen werden sich jetzt auch ordentlich anstrengen müssen, um dieses Chaos in den Griff zu bekommen.«
Zwei Uniformierte näherten sich dem Paar. »Folgen Sie uns bitte«, sprach der ranghöhere der beiden Männer sie an. »Wir werden Sie sicher zum Konferenzraum geleiten.«
»Ist es in der Regierungspyramide denn nicht mehr sicher?«, erkundigte sich Amy leicht verwundert.
»Diese Maßnahme ist für Situationen wie diese protokollarisch festgelegt und dient nur Ihrer Sicherheit«, erklärte der Beamte zurückhaltend.
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