Schicksalsberg Marmolata - Ute Fischer - E-Book

Schicksalsberg Marmolata E-Book

Ute Fischer

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Beschreibung

Wie fühlt sich das an? Nach 52 Jahren kehrte die Autorin Ute Fischer zurück an den Ort, wo sie als junges Mädchen mit ihrem Freund 48 Meter tief in eine Gletscherspalte der Marmolata gestürzt war. Ohne Rettung wären sie im Berg geblieben und voraussichtlich 70 Jahre später im Fedaia-Stausee aufgetaut. Aber sie überlebten beide. Mit einer für damalige Zeiten komplizierten Seil-Rettung wurden sie von der Bergwacht wieder ans Tageslicht geholt und im Schein von Fackeln und unter Gefahr auch für die Retter zur Bergstation des Sesselliftes hinuntergetragen. Die große Seilbahn auf den Gipfel gab es damals noch nicht. Ihre Tragen wurden auf den Sessellift gebunden und zu Talstation gefahren. Auch der Abstieg hinunter ins Tal war nicht ungefährlich. Solche Unfälle begleiten Menschen häufig durch ihr ganzes Leben. Zur Rückkehr an solche Unglücksorte braucht es Mut. Und der kommt manchmal erst mit dem Alter. Erst mit 70 machte sich die Reisejournalistin mit ihrem Mann auf den Weg, um die Spuren dieses Unfalls aufzusuchen. Der Gletscher war weg. Wo Gletscherspalten den damals gewaltigen Eispanzer in Stücke rissen, gähnt heute eine steinige Mondlandschaft. Aber sie fanden noch zwei der zehn Bergretter lebend und konnten ihnen nach so langer Zeit die Hand drücken und sich bedanken. Und dann holten sie die Reise durchs Fassatal nach, die vor 52 Jahren so brachial endete. Unbegreiflich, dass sie ausgerechnet und zufällig in einem Hotel landeten, dass einen starke Verbindung zur touristischen Entwicklung des Fassatals darstellt. Tita Piaz, der Teufel der Dolomiten, erbaute es 1907 am Fuße des Passo-Pordoi. Wie kaum ein anderer inspirierte er den Tourismus um Fassatal, das vom Karer-Pass bis zur Marmolata reicht. So entstand aus der ursprünglichen Spurensuche am Berg wieder ein umfänglicher Reisebegleiter, der achte in der Reihe Wohin? Warum? Wie wars? Mit einem unerwarteten Happy End im Januar 2020.

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Ein Buch aus dem

Redaktionsbüro Fischer + Siegmund

In den Rödern 13

64354 Reinheim

Fotos: Fischer (10), Siegmund (14), Bergwacht (1), Hotel Col di Lana (2)

Das Buch wurde nach bestem Wissen zusammengestellt. Für die Richtigkeit der beschriebenen Angaben wird keine Gewähr übernommen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Marmolata

Spurensuche

Abreise am 16. August 2018

Ferragosto

Brenner-Pass

Bozen

Wo bitte geht’s zum Fassatal?

Das Fassatal

Die Dolomitenstraße

Tourismus im Fassatal

Die Pioniere

Upps – was für ein Auto!

Hotel Col di Lana

Das Wiedersehen

Zur Marmolata

Marmolata zum Ersten

Die Seilbahnen auf die Marmolata

Der Sturz

Wo ist der Gletscher?

Penia die Canazei

Angelo Pacher

Das geheimnisvolle Motorrad

Besuch bei Lodovico

Endlich: die Boe-Hütte

Willy Costamoling

Conturineshöhle

Tita Piaz

Berge gucken

Alleghe

Zum Cristallo und den Drei Zinnen

Die Drei Zinnen

Ein Höhenweg der zwölf Klettersteige

Besuch bei der Bergwacht in Alba

Wetter für den Rosengarten?

Das mythische Reich von König Laurin.

Durchs Grödner-Tal

Tita und Maria

Überhaupt: die Radfahrer

Zum Sellajoch

Die Höhlenbären

Stop in Campitello

Februar 2020

Literatur

Tita Piaz: Dolomiten – meine Freiheit

Unsere Reise in die Dolomiten

Vorwort

Dies ist kein übliches Reise-Buch. Zwar waren wir als Reisejournalisten Jahrzehnte lang unterwegs, geübt in Reiserecherche und Reisereportagen. Doch diese Geschichte ist eine private, nicht unbedingt objektiv, sondern eher sehr subjektiv, wie man eben private Reisen empfindet. Das spiegelt sich wider in den Flops und Tops, die wir erlebten. Kurz: Wir haben uns als Reisende selbst aufs Maul geschaut, uns selbst zugehört und unsere Gefühle reflektiert, ohne Rücksicht auf irgendjemanden und irgendetwas, außer auf uns selbst.

Marmolata ist bereits das achte Buch dieser Reihe. Wenn wir von Reisen heimkehren, suchen wir immer nach einer erschöpfenden Antwort auf die Frage: „Wie war`s?“ Wer selbst reist, weiß, dass es darauf keine einfache, vor allem kurze Antwort geben kann. Klar. Schön war`s. Und aufregend. Und ganz anders, als erwartet. Das alleine wäre aber ein ärmliches Fazit und könnte nicht einmal ansatzweise beschreiben, wie unsere Dolomiten-Reise verlief. Fahren Sie doch einfach mal selbst hin!

Marmolata

Von der 18jährigen, die nach 52 Jahren nicht im Fedaia-Stausee auftaute

Der Himmel war nur ein wenige Zentimeter breiter Streifen. Wie ein dünnes blaues Band lag er über mir, sehr weit hoch oben. Wie ein Strich, der mein Schicksal besiegeln sollte. Wie ein Schlussstrich am Beginn meines jungen Lebens. Weißer Schnee war mein Bett. Rechts und links erhoben sich eisgraue Wände. Schillernd und glitzernd wie aus gesplitterten Glas. Sie schienen sich nach oben zur Mitte zu beugen, als wollten sie sich über mir schließen wie das gotische Dach einer Kathedrale.

Ich lag in einer Gletscherspalte. Schlagartig erinnerte ich mich an die Story in Readers Digest von einem jungen Mann, der ebenfalls in einer Spalte verloren gegangen war. 70 Jahre später fand man ihn im See am Fuße des Gletschers. Eine alte Frau war gekommen, ihren Liebsten zu identifizieren. Er sah so jung aus, wie sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Vor 70 Jahren.

Ich hatte meinen Liebsten bei mir. Er hatte versucht, mich aufzuhalten, als ich über den Gletscher rutschte. Ich habe ihn mitgerissen. 48 Meter tief. Er lag nur wenige Meter von mir entfernt. Wir redeten nicht viel. Als ahnten wir, dass dies das Ende aller Gespräche sein würde. Wie geht es Dir? Ich kann nicht aufstehen. Ich versuchte, mich aufzurappeln und zu ihm zu kriechen. Aber dann sah ich, dass mein Unterschenkel in der Mitte ein Knie hatte. Beinbruch. Keine Schmerzen. Ich versuchte zu ihm zu kriechen und verlor immer wieder die Besinnung. Panik? Nein. Ich betete ein letztes Vater-Unser. Laut und vernehmlich. Es hallte an den Wänden wieder, als würden sie mir antworten. Als seien sie die Zeugen für meinen Übertritt ins Jenseits. Mir war klar, dass dies das Ende sein würde. Sterben im Schnee tut nicht weh. Man schläft einfach ein.

Ende des vorletzten Jahrhunderts stürzte der britische Arzt und Botaniker Edward Byrne in eine Gletscherspalte. Die Neugier, in die Spalte sehen zu wollen, verleitete ihn, sich vom Seil zu befreien. In der zu schmalen Spalte blieb er jedoch mit seinem Rucksack kopfüber hängen. Die Retter fanden den Gefährten in etwa sechzig Fuß Tiefe, vom tropfenden Schmerzwasser mit einer dünnen Eishaut überzogen. Auch Byrne überlebte den Sturz. Ihn ließ dieses Ereignis nicht mehr los. Als Glaziologen beobachtete er mehr als zwei Jahrzehnte, wie sich seine Gletscherspalte dem Gletschermund näherte. Er war auf der Suche nach seinem Rucksack. Siehe Literatur: Der Klang des Schnees.

Bei mir sind mehr als fünf Jahrzehnte vergangen, bis ich erstmals den Wunsch verspürte, an den Ort zurück zu kehren, wo ich beinahe mein damals erst 18 Jahre währendes Leben gelassen hätte. Ich stürzte in eine Gletscherspalte. 48 Meter tief. So hoch wie ein ordentlicher Kirchturm. Normalerweise überlebt das ein Mensch nicht. Wir waren sogar zwei, die das überlebten, aber auch nur, weil wir ursprünglich vier waren und unsere Gefährten, Arno und Marianne, Hilfe holten. Und das zu Zeiten ohne Handy, ohne GPS. Und angeseilt waren wir natürlich auch nicht.

Mein ganzes Leben lang fand ich danach nie wieder einen Gefährten, der mit mir in die Berge steigen, und schon gar nicht in diese Berge fahren wollte. Ist bei dir nicht genug kaputt gegangen bei diesem Unfall? Hast du die Alpträume vergessen, die dir immer wieder den Schlaf raubten? Die vielen Monate im Krankenhaus, damit deine gebrochenen Lendenwirbel wieder heilten? Und dann das zu kurze Bein, weil man den Splitterbruch damals einfach eingegipst hatte? Vergessen die Operationen, um das Bein wieder länger zu machen und das falsch belastete Sprunggelenk neu zu justieren? Und die immer prophezeiten Aussichten auf statische Beschwerden, die im Alter kommen sollten? Ich sollte dankbar sein, das alles so abgelaufen sei. Ende der Debatte. Und trotzdem rumorte etwas in mir. Ich meinte, ich müsste an den Ort zurückkehren, wo mein damals sehr übermütiges Leben eine scharfe Wende erfuhr.

Die vielen Monate im Krankenhaus, die ich im Liegen verbringen musste, die unendlich langen Tage und Wochen, in denen ich nichts anderes tun konnte, als lesen und malen. Fernsehen gab es damals nicht in Krankenhäusern. Mein kleines Transistorradio störte die restlichen acht bis zehn Frauen in dem Krankensaal. Sie waren alle so alt. Keine Gesprächspartner für mich. Jede Menge Schenkelhalsbrüche. Sie kamen und gingen. Nach und nach wurden sie entlassen und neue kamen. Immer wieder. Nur ich blieb wo ich war. In meinem Bett. Oktober. November. Dezember. Es gab Einläufe für diejenigen mit Verstopfung, die den ganzen Saal verstänkerten. Unbarmherzig wurden wir mit Rizinusöl malträtiert, wenn nicht genügend Stuhlgang auf der Krankenakte vermerkt war. Lügen halfen nur vorrübergehend. Einmal wusch mir eine „Mitgefangene“ die Haare, in dem ich mich diagonal mit dem Kopf über die Bettkante legte und sie mit einer Schüssel Wasser hantierte. Einmal in diesen vielen Monaten. Die morgendlichen Brötchen mit einer Blume Butter und einem Kleks Marmelade kamen mir zum Hals heraus. Bis heute bin ich nicht scharf auf Brötchen und auch nicht auf Marmelade.

Um Weihnachten zogen irgendwelche Chöre durch die Säle, verteilten Nikolaustütchen und sangen uns in Grund und Boden. Fröhliche Weihnachten. Ja, danke. Warum schreibe ich das? Ich versuche zu erklären, wie sich in mir etwas änderte. Anfangs war ich nur traurig, ärgerlich, enttäuscht und haderte, was mir geschehen war. Meine Lehrabschlussprüfung musste ich absagen. Mein Freund war bereits vor Weihnachten entlassen worden und ließ sich nicht bei mir blicken. Ich hatte ihn seit unserer Überführung aus dem Krankenhaus Cavalese nach Deutschland nicht mehr gesehen. Briefe beantwortete er auch nicht, obwohl wir im gleichen Krankenhaus lagen und seine und meine Eltern uns beide besuchten.

Es wurde Januar, Februar. Alle sechs Wochen wurde ich geröntgt, um nach den Wirbeln zu sehen. Wenn ich mich nur endlich einmal aufsetzen dürfte. Wie groß kleine Wünsche werden können. Weiter liegen! Der Vorgang des Aufstehens bestand ausschließlich darin, dass ich mir einen sogenannten Bettknochen in den Nacken schob und zum Schlafen entfernte. Noch immer mit Voll-Gips am linken Bein. Mit einer langen Stricknadel kratzte ich mich, wenn das Jucken gar zu schlimm war. In diesen Monaten hatte ich viel Zeit, über mich und mein künftiges Leben nachzudenken. Und das tat ich auch. Ich ließ mir meine Schulbücher ins Krankenhaus bringen und begann zu lernen. Ich wollte die bestmögliche Lehrabschlussprüfung hinlegen. Ich entdeckte eine Dankbarkeit in mir, die ich früher nie gefühlt hatte. Mir wurde dies kleine Wunder bewusst, dass ich lebte. Ich hätte querschnittsgelähmt sein können. Oder gleich tot. Ich entdeckte das Gebet, um zur Ruhe zu kommen, wenn mir die Bettdecke mal wieder zu schwer wurde. Ich, die früher keinerlei Geduld für Handarbeiten hatte, stickte meiner Mutter eine Tischdecke. Im Liegen. Ich bereute, wie oft ich mich gedrückt hatte, als meine Mutter Hilfe im Haushalt gebraucht hätte. „Ich würde dir so gerne beim Kartoffelschälen helfen“, sagte ich ihr. Und sie lächelte mich dafür dankbar an. In diesen Monaten bin ich erwachsen geworden. Als ich im März aus dem Krankenhaus entlassen wurde, war ich ein anderer Mensch. Im Sommer legte ich tatsächlich die beste Lehrabschlussarbeit von Oberfranken ab. Soviel zur Vorgeschichte für diese Reise in die Dolomiten.

Auf dem Gipfel des Piz Boe, zwei Tage vor dem Sturz in die Gletscherspalte, siehe Hintergrund.

Spurensuche

Irgendwann in den letzten zwei Jahren wurde der Wunsch dringend, zur Marmolata zurück zu kehren. Spurensuche? Nein! Nach 52 Jahren findet man ganz sicher keine Spuren. Und dann noch auf der 3.343 Meter hohen Marmolata, dem höchsten Gebirgsgrat der Dolomiten, einem Teil der südlichen Kalkalpen in Italien. Die Königin der Dolomiten. Hier befindet sich der einzige nennenswerte Gletscher dieses Gebirgsteils. Marmolata leitet sich von Marmor ab. Auf Italienisch heißt sie Marmolada, auf Ladinisch Marmoleda.

Als Reisejournalisten stehen wir seit Jahrzehnten noch immer auf den Presseverteilern verschiedener Destinationen. Aus vielen hatte ich mich löschen lassen. Wie mich die Trentiner entdeckt hatten, weiß ich nicht. Jedenfalls hatte ich sie nie gelöscht, sondern immer ein wenig darin herumgelesen. Dann kam auch noch ein PR-Büro für das Fassatal hinzu, das mich monatlich mit touristischen Informationen beglückte. Im Fassatal – zwischen Bozen und der Marmolata - lag der Ort Penia di Canazei, in dem wir damals wohnten. Monat für Monat grübelte ich darüber, dorthin zu fahren. Reiner Zufall, dass in unserem Wohnort ein Italienisch-Kurs angeboten wurde. Ich meldete mich