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Helgoland, schon der Name klingt wie ein mystisches Ziel. Und viele Freunde, die wir fragten, ob sie schon einmal auf Helgoland gewesen wären, schüttelten den Kopf oder zuckten mit den Schultern. Das ist die Standardantwort für eine Insel ganz weit draußen in der Nordsee. Ja, die meisten Nordsee-Urlauber machen gewiss einen Tagesausflug dorthin. Aber mit meist stürmischer An- und Abfahrt bleiben maximal vier Stunden Zeit, um Helgoland zu erkunden. Und da auch nur, wenn man sein Fischbrötchen im schnellen Gehen verspeist. Was von so einem Besuch übrig bleibt, sind vermutlich nicht mehr als eine Stange zollfreier Zigaretten und eine Flasche Spirituosen, für die man die Mehrwertsteuer sparte. Wir wollten eigentlich kein Buch schreiben. Wir wollten einfach nur mal Helgoland; mitten in der Nordsee den Spirit fühlen, dem Wind lauschen, den Nordseewellen zuschauen. Und dann kam alles ganz anders. Wir spürten eine gewisse Sprödheit. Es fehlte uns ein herzliches Willkommen, wie echt oder unecht es auch sein mag. Auf Helgoland ist das anders. Du bekommst, was Du brauchst, aber Du musst Dich kümmern. Helgoland ist von Anbeginn bis heute eine einzige Schicksalsgeschichte. Immer wieder hin- und hergeschenkt. Mal Seefestung. Mal Waffenschmiede. Mal Seeräubernest. Abgesoffen. Bombardiert. Gesprengt. Und immer wieder aufgebaut. Das macht zäh, vielleicht auch spröde. Es gibt noch Wunden aus jener Zeit, und auch Wunder. Zum Beispiel der 150 Jahre alte Maulbeerbaum. Zusammen gebombt und doch schlug er wieder aus. Die Kegelrobben, die hier am eisigen Strand ihre Jungen gebären. Das rote Felswatt und der Lummenfelsen, von dem sich die jungen Trottellummen waghalsig in die Nordsee stürzen, obwohl sie gar nicht fliegen können. Nirgendwo sahen wir so viele Vogelbeobachter mit dicken Rohren, weil hier mit 430 Arten die größte Zahl von Mitteleuropa gezählt wird. Die Bunker. Sie erinnern an die schwärzesten Tage Helgolands, als die Briten versuchten, die Insel in Grund und Boden zu bomben. Der Fahrstuhl ins Oberland trägt seine Passagiere seit Jahrhunderten hoch zum Falm, der wie eine Kapitänsbrücke den totalen Ausguck beschert. Weit fällt der Blick auf die Nordsee und auf die Düne, der vom Meer abgetrennte sandige Teil von Helgoland. Eine andere Welt. Das Kontrastprogramm für eilige Tagestouristen. Wenn die weg sind, atmet Helgoland eine Spur leichter. Die Shops schließen und die Restaurants öffnen. Man kann gut essen auf Helgoland. Aber man muss sich kümmern.
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Seitenzahl: 72
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Viel mehr als ein Vorwort
Helgoland – stets ein sprödes Unterfangen
Wie kommt man heute nach Helgoland?
Fremdenverkehr auf Helgoland
Helgoland und die Düne
Der weiße Felsen
Die Düne heute
Tschüss Thomas
Ankunft auf der Insel
Das Tourismus-Büro
Helgoland auf vielen Ebenen
Das 18. Jahrhundert
Das Seebad
Börteboote gehören zum UNESCO-Kulturerbe
Der Fahrstuhl
Merkwürdige und andere Vögel
Architektur auf Helgoland
Der erste Morgen
Der Klippenrandweg
Der Leuchtturm
Der Pinneberg
Vogelpieper und andere
Die Vogelwarte Helgoland
Das Geheimnis der vielen Vogelbeobachter
Die roten Felsen
Die lange Anna (friesisch: Nathurn Stak)
Die Festung Helgoland
Gibraltar des Nordens
Der Erste Weltkrieg
Die Nazi-Zeit auf Helgoland
Das Projekt Hummerschere
Kriegsbeginn auf Helgoland
1945
Die sechs aufrechten Helgoländer
Die Bombardierung am 18. April 1945
Racheakt gegen die Nazis
Die Evakuierung
Aus der Chronik
Die Nicolaikirche
James Krüss
Das Schlösschen Ungefähr
Die Helgoländer Bunker
Noch ein Weg ins Nordost-Land
Das Museum
Kein Internationaler Mädchentag auf Helgoland
Schlick statt Fango
Das Aquarium
Berühmte Besucher
Heinrich Heine und die Nordsee
Ausflug auf die Düne
Fernsicht aus unserer Fewo
Der Weg der Tagesgäste
Der Südstrand
Die Meile der Hummerbuden
Der Helgoland-Marathon
AWI – das Alfred-Wegner-Institut
Endlich Knieper!
Nachlese Aqua Ventus Das weltweit größte Wasserstoffprojekt
Literatur
Wir haben uns selten so ausführlich auf eine Reise vorbereitet. Siehe auch Literaturverzeichnis. Es ist aber nicht so, dass man alles Wissen über Helgoland aus Büchern und Prospekten einsammeln könnte. Es sieht eher so aus, als ob sich viele berufen fühlten, etwas über „ihr“ Helgoland zu veröffentlichen, ohne es mit Jahreszahlen und der Realität richtig genau zu nehmen und stattdessen mit Gefühlen auszuschmücken. Höchst persönliche Berichte, die man in den beiden Kirchen als Paperback oder Broschüre erhält, eröffnen intime Einblicke in Familienschicksale aus mehreren Jahrhunderten. Auch James Krüss, der auf der Insel aufgewachsene Kinderbuchautor und Schriftsteller, vervollständigt mit seinem Buch „Mein Urgroßvater und ich“ dieses unbeschreibbare Gefühl der Insulaner. Selbst die verschiedenen Chroniken weichen voneinander ab oder sind interpretationsbedürftig. Ob unser Überblick in allen Aspekten der Realität entspricht, dessen sind wir uns auch nicht sicher. Man könnte meinen, es sei Absicht, die Fremden etwas im Ungewissen zu lassen.
Es war Ende des 18. Jahrhunderts, als sich Pastor Hinkelmann aufmachte, um von Cuxhaven nach Helgoland zu reisen. Das Meer war ihm fremd; der Hauslehrer kam aus dem Thüringischen. Die englische Familie, deren Kinder er in Religion unterrichtete, hatte gute Beziehungen zu Sir Henry, dem damaligen Gouverneur von Helgoland. Es ist nicht bekannt, auf welchem Weg ihn die Anfrage erreicht hatte, ob er den deutschen Prediger auf Helgoland eine Weile vertreten wolle. Hinkelmann fand die Idee spannend und willigte schnell ein.
Dass Helgoland mitten in der Nordsee liegt, daran hatte Hinkelmann nicht gedacht. Vor allem der Kutter „Kronprinz von England“, ein entsetzlich nach Schellfisch, Tabak und Tran stinkendes Segelboot mit einer Handvoll fluchender, saufender Matrosen, raubten ihm schnell die Illusion, seine schwarze Soutane könne bei seiner Ankunft Eindruck verschaffen. Schwere Seen schlugen in die Schaluppe und sie ritt mit geblähten Segeln auf grünen Meeresgebirgen. Hinkelmann war übel und er war pitschenass. Erst nach bangen Stunden nahm er das Angebot der Matrosen an, einen Schluck aus der Rumflasche zu nehmen. Durchweicht und durchgefroren kamen sie nach schier endlosem Kampf im Schein der Abendsonne am Strand von Helgoland an. Hinkelmann musste gar 20 Schritte durchs Wasser waten, ohne dass sich nur eine helfende Hand nach ihm ausstreckte. So beginnt der Helgoländer Roman „Schiff auf Strand“ von Meta Schoepp. Wenn ich ihn eher gelesen hätte, wären wir vielleicht woandershin gefahren.
Die Suche nach der günstigsten Anreise von Reinheim im Odenwald offenbarte einige Grausamkeiten; nicht so wie bei Pastor Hinkelmann, aber trotzdem: Helgoland ist nicht so einfach mit einer Fähre zu erreichen wie Amrum oder Borkum, womöglich noch gut getaktet mit der Deutschen Bundesbahn. Um Mitternacht hätten wir in Darmstadt mit dem Zug losfahren müssen, um mit etlichen Nachtaufenthalten auf Bahnhöfen in Frankfurt, Hannover und Hamburg-Harburg rechtzeitig nach Cuxhaven zu gelangen. Jede Verspätung wäre fatal gewesen.
Denn das Seebäderschiff MS Helgoland legt pünktlich um 10.15 Uhr ab und der schnellere Katamaran „Halunder Jet“ um 11.30 Uhr. Wer die verpasst, muss – so nett es sein soll - eine Übernachtung in Cuxhaven einplanen und verliert einen ganzen Tag. Jährlich machen zwei Millionen Menschen Urlaub in Cuxhaven. Vermutlich gibt es schon wegen der Schiff-Versäumer Möglichkeiten der einmaligen Übernachtung. Neue Anreisen ab 2022 siehe Seite →!
Im Internet lesen wir von Flügen nach Helgoland. Klar ab Heide und Büsum; aber das ist noch weiter als Cuxhaven. Tatsächlich finden wir eine Flugverbindung Frankfurt – Helgoland. Zwei Stunden Flugzeit. Abflug in Reichelsheim; unfassbar, das liegt vor unserer Haustüre. Dachten wir. Doch Pustekuchen: Reichelsheim gibt es auch in der Wetterau. Aber auch nur 45 Minuten Fahrzeit und kostenloses Parken. Und dort steht also das Flugzeug, das uns in zwei Stunden nach Helgoland bringen würde. Eine einmotorige MCR 4S für drei Passagiere mit Gepäck. Unser Pilot heißt Thomas. Über den Preis reden wir besser nicht.
Die meisten Besucher sind Tagesgäste. Ein paar Hundert erreichen täglich die Nordseeinsel mit Schiffen aus Cuxhaven, Bremerhaven, Hamburg, Amrum und Büsum. So war es im Oktober. In der Hochsaison muss der Besucherstrom gigantisch sein. Bis zu 4.500 Tagestouristen wurden gezählt. Alleine das tägliche Seebäderschiff aus Cuxhaven fasst über 1000 Sitzplätze, der Katamaran „Halunder Jet“ fast 700. Und alle kommen gegen 12 Uhr mittags an. Dann ziehen wahre Karawanen vom Südhafen, die „Südstrand“ genannte Straße entlang der Hummerbuden in die Zollfrei-Einkaufsstraße „Lung Wai“ mit ihren Nebensträßchen. Und gegen 16 Uhr schlendern sie vollbepackt mit Spirituosen und Zigaretten zurück zum Hafen. Diese Gäste brauchen also keine Übernachtung.
Gleichwohl gibt es einige Hotels und Apartmenthäuser, einfache Ferienzimmer und reichlich Ferienwohnungen; auf der Düne sogar ein Bungalowdorf. Trotzdem suchen wir nach einer Empfehlung von der Tourist Information. Eine spröde Angelegenheit, weil das Wort „spröde“ für unseren Helgoland-Aufenthalt unserem Wortschatz nicht unbedingt bereichert, aber eine neue Bedeutung erhält. Unsere E-Mail-Anfrage wird erst einmal mit einer Warteparole beantwortet. Zwei Tage vergehen, ohne dass eine Antwort eintrifft. Also erneute Anfrage und eine schnelle Antwort: Wir sollten doch mal in unserem SPAM-Filter nachschauen. Da iss nix. Erneuter Kontakt: „Man habe da etwas übersehen.“ Dann kommen zwei Angebote, von dem wir sogleich eine Ferienwohnung buchen; auch weil uns dank Ortsplan die gute Lage fasziniert: direkt am Falm mit Aussicht auf Nordsee und Düne. Gleich vorweg: Der Falm ist die schönste Straße Helgolands, quasi die erste Reihe an der Bruchkante des Oberlands, von der man, wie von einer Kapitänsbrücke auf einem Schiff, alles überschauen kann. Wir sind Feuer und Flamme und wollen uns gleich kümmern, was wir in dieser einen Woche alles erobern können. Erneute Anfrage bei der Tourist-Info wegen Führungen und thematischen Rundgängen, die angeblich das ganze Jahr stattfinden würden. Nein, die Guides seien gerade alle krank oder in Urlaub. Aber man habe Flyer, um sich selbst auf den Weg machen zu können. Einen erhalten wir beigefügt als PDF. Er ist kaum zu entziffern. Das zähe Ringen um Information erinnert an einen alten Roman, durch den ich mich gefressen hatte. Demut ist gefordert.
Unsere kommende Abreise verläuft mit einer gewissen Spannung. Klappt das mit dem Flug? Was ist, wenn Sturm angesagt ist? Dann müssten wir doch mit dem Auto in der halben Nacht losfahren, um eines der Schiffe zu erreichen. Am Tag vorher erhalten wir die erlösende Antwort: Thomas ist zwar noch in Griechenland, wird aber rechtzeitig in Reichelsheim sein, um uns nach Helgoland zu fliegen. Wir fragen uns, ob Thomas ein Berufspilot ist, der für Condor von Griechenland nach Deutschland fliegt und dann – womöglich unausgeschlafen – mit uns am nächsten Morgen in die Luft geht?
Relativ gelassen starten wir am nächsten Morgen mit dem Auto nach Reichelsheim. Das ist unwesentlich weiter, als zum Flughafen Rhein-Main. Den Flugplatz, er liegt nördlich von Florstadt mitten in der Pampa, erreichen wir über schmale asphaltierte Wege. Eine richtig voll ausgerüstete Anlage mit einer langen Startbahn, einem Tower, ein Geschäftsgebäude mit Büros und Restaurant sowie mehreren Hangars.