Science Fiction Doppelband 2002 - Manfred Weinland - E-Book

Science Fiction Doppelband 2002 E-Book

Manfred Weinland

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende SF-Romane: (XE399) Die Getilgten (Manfred Weinland) Grenzstation Outer Circle (Ann Murdoch) Am Rande eines instabilen Wurmlochs befindet sich die Raumstation S 7, allgemein nur Outer Circle genannt. In ihrem Innern werden immense Warenmengen umgeschlagen, außerdem ist es ein wichtiger Halte- und Umsteigepunkt für Passagiere. Hier ist die Schwarze Division stationiert, einer Elitetruppe des einflussreichen Raumritterordens, der den Einflussbereich der Menschen mit militärischen Mitteln ausdehnen will. Outer Circle ist somit ein Brennpunkt und eine galaktische Anlaufstelle zugleich – aber auch Ausgangspunkt für provozierte Konflikte, in denen der Raumritterorden eine tragende Rolle spielt.

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Seitenzahl: 372

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Manfred Weinland

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Inhaltsverzeichnis

Science Fiction Doppelband 2002

Copyright

Raumschiff Rubikon 26 Die Getilgten

Prolog

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

Epilog

Grenzstation Outer Circle

Science Fiction Doppelband 2002

Manfred Weinland, Ann Murdoch

Dieser Band enthält folgende SF-Romane:

(XE399)

Die Getilgten (Manfred Weinland)

Grenzstation Outer Circle (Ann Murdoch)

Am Rande eines instabilen Wurmlochs befindet sich die Raumstation S 7, allgemein nur Outer Circle genannt. In ihrem Innern werden immense Warenmengen umgeschlagen, außerdem ist es ein wichtiger Halte- und Umsteigepunkt für Passagiere. Hier ist die Schwarze Division stationiert, einer Elitetruppe des einflussreichen Raumritterordens, der den Einflussbereich der Menschen mit militärischen Mitteln ausdehnen will. Outer Circle ist somit ein Brennpunkt und eine galaktische Anlaufstelle zugleich – aber auch Ausgangspunkt für provozierte Konflikte, in denen der Raumritterorden eine tragende Rolle spielt.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfredbooks und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author

COVER: A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Raumschiff Rubikon 26 Die Getilgten

Manfred Weinland

Am Morgen einer neuen Zeit.

Der Krieg zwischen den organischen und anorganischen raumfahrenden Völkern konnte im letzten Moment abgewendet werden. Die Menschen jedoch sind nach wie vor fremdbestimmt und als die Erinjij gefürchtet, die sich in ihren Expansionsbestrebungen von nichts und niemandem aufhalten lassen.

Abseits aller schwelenden Konflikte kommt es im Zentrum der Milchstraße zu einer von niemand vorhergesehenen, folgenschweren Begegnung.

Eine unbekannte Macht hat sich dort etabliert. Schnell zeichnet sich ab, dass es sich um keinen "normalen" Gegner handelt. Die Bedrohung richtet sich nicht nur gegen die heimatliche Galaxie, sondern könnte das Ende allen Lebens bedeuten.

Die Geschichte des Kosmos, so scheint es, muss neu geschrieben werden …

Prolog

»Es ist eine Lüge, nicht wahr? Sie ist nicht tot!« Winoa stand da wie vom Blitz getroffen.

Rotak legte die Arme um »sein kleines Mädchen«, wie er sie manchmal nannte, und erwiderte den Druck, mit dem Winoa ihre Arme um ihn schlang. Sie hatte ihr Gesicht in seiner Brust begraben und schluchzte hemmungslos zwischen den Worten, die sie mit viel zu hoher Stimme hervorbrachte.

»Nein«, erwiderte er und strich tröstend durch das lange, seidige Haar seiner Tochter. »Sie ist nicht tot. Wäre sie es, hätten wir es gefühlt.«

Winoa schien genau zu wissen, was er damit meinte. Sie nickte ein paar Mal heftig, ohne das Gesicht von seiner Kleidung zu nehmen. Er fühlte die Wärme ihrer Tränen, mit denen sie sein tunikaartiges Hemd tränkte. Es störte ihn nicht, im Gegenteil. Er hatte diese Nähe in letzter Zeit vermisst. Nur hätte er sich ein weniger tragisches Ereignis gewünscht, das Winoa veranlasste, zu ihm zu finden, sich ihm anzuvertrauen und ihm in ihrer ganzen Verletzlichkeit gegenüberzutreten.

»Was ist eigentlich genau passiert?«, flüsterte sie erstickt. »Und wieso hat es nur sie getroffen? Das kann doch nicht sein! Wieso sucht niemand nach ihr? Sie ist irgendwo da unten! Ich verstehe nicht, dass der Commander … dass John …«

»Sei nicht ungerecht«, tadelte Rotak sie sanft. »John trägt keine Schuld. Soviel ich weiß wurde der Ort des Unglücks akribisch untersucht, jeder Quadratzentimeter …«

»Dann hätte man sie gefunden! Sie lebt! Du hast es selbst gerade gesagt. Und wenn sie lebt …« Erstmals löste sie das Gesicht von ihm und legte den Kopf weit in den Nacken, um zu ihm aufzusehen. »… dann muss sie da unten sein. Dann hat man eben nicht jeden Stein nach ihr umgedreht! Ich verlange –«

»Beruhige dich, Kind.«

»Wie soll ich mich beruhigen, wenn Mum vielleicht mit dem Tode ringt? Wenn jede verfluchte Minute vielleicht darüber entscheidet, ob wir sie noch rechtzeitig finden oder zu spät kommen werden? Bei den kobaltblauen Türmen! Warum bin ich denn so aufgelöst? Man hat die Suche abgebrochen! Abgebrochen! Das ist doch ein Unding! Ausgerechnet John hat das befohlen. Dabei hat er immer beteuert, Mum zu lieben. Sie hat das geglaubt, das weiß ich. Ich habe es geglaubt. Aber …«

»Sei nicht ungerecht.«

Sie drückte sich von ihm ab und brachte die ausgestreckten Arme zwischen sich und ihren Vater. »Wie kannst du so ruhig bleiben?« Ihre Stimme vibrierte.

»Ich bin nicht ruhig. Ich bin ebenso in Sorge wie –«

Ihr Blick bekam etwas Sezierendes. So als wollte sie die Tiefen seiner Seele ausloten, um vielleicht auf etwas zu stoßen, was sie zum Anlass nehmen konnte, um ihn offen der Lüge zu bezichtigen. Sie war kaum noch zurechnungsfähig vor Trauer und Traurigkeit und Entsetzen über das Geschehen.

»Ich weiß nicht«, sagte sie.

»Was weißt du nicht?«

»Ob du wirklich so betroffen bist …«

»Was unterstellst du mir, Kind?« Rotak zeigte nicht, wie sehr ihn ihr Vorwurf tatsächlich erschütterte. Er war selten unbeherrscht. Eigentlich nie. Und er wollte auch jetzt nicht damit anfangen.

»Ich unterstelle gar nichts. Ich vermisse nur den letzten Funken Engagement. Du weißt, was ich meine.«

Er schüttelte den Kopf. Er wusste es wirklich nicht.

Doch sie ließ ihn nicht lange im Unklaren.

»Lass uns nach ihr spüren.«

Rotak zuckte leicht zusammen. Das Ritual, auf das ihn Winoa ansprach, funktionierte nur bei den Angks, die vor Jahren für den Dienst auf der RUBIKON ausgebildet und konditioniert worden waren. Ganz gleich, wo an Bord sich die einzelnen Individuen aufhielten, im Moment der körperlichen und geistigen Verschmelzung mit dem Schiff war es möglich, den genauen Aufenthaltsort jedes Einzelnen zu bestimmen – auch ohne Unterstützung der KI.

»Worauf du anspielst«, lehnte Rotak kategorisch ab, »funktioniert nur innerhalb der RUBIKON. Assur wird aber auf Diversity vermisst – auf der Oberfläche eines fremden Planeten.«

»Wir könnten es wenigstens versuchen.«

Rotak schüttelte den Kopf. »Dafür ist die Vereinigung nicht gedacht. Und in der momentanen Situation wäre es mehr als fahrlässig, uns mit derartigem zu beschäftigen. John hat Bereitschaft für alle Angks angeordnet. Er stößt in das Objekt vor, das er für Kargors Raumschiff hält. Unsere Kraft und Unterstützung kann jeden Moment gebraucht werden.« Er schüttelte noch einmal den Kopf. »Es geht nicht. Später vielleicht. Sobald wir die Tiefsee verlassen haben.«

Winoa schien sich mit der aktuellen Entwicklung wenig befasst zu haben. Für einen Moment ließ sie sich ablenken. »Tiefsee?«

Rotak setzte sie ins Bild. »Wo warst du, als die Durchsage kam?«

»Bei Yael.«

»In der Kalser-Nachbildung?«

Sie nickte geistesabwesend.

»Vielleicht wäre es besser, wenn du dorthin zurückkehren würdest«, sagte Rotak. »Nach unserer Rückkehr aus der Perle spreche ich mit den anderen. Sollten sie zustimmen, werden wir eine Zusammenkunft einberufen – aber, bitte, erwarte nicht zu viel davon. Wie ich schon sagte –«

Sie winkte ab und kehrte ihm den Rücken. »Schon gut. Ich weiß. Normalerweise funktioniert das Spüren nur hier an Bord …«

Gebeugt, als würden Zentnergewichte auf ihre schmalen Schultern drücken, ging sie davon. Ob nach Pseudokalser zu Yael oder sonst wohin, ließ sie Rotak gegenüber offen.

Er sah ihr nach, bis sich das Türschott von Rotaks Quartier schloss und weitere Blicke auf sie verwehrte.

Rotak seufzte.

Obwohl er davon ausgegangen war, nun wieder allein in seinem Häuschen im Angkdorf zu sein, erklangen hinter ihm Schritte.

Erstaunt wandte er sich um – und erstarrte.

Weil er sich Assur gegenüber sah.

»Ich hätte einen Vorschlag, wie wir ihr helfen könnten«, sagte sie. »Wärst du bereit, mich anzuhören?«

»Wer bist du? Du bist nicht Assur! Wer dann?«

»Kannst du es dir nicht denken?«

Täuschend echt jede Bewegung, täuschend echt Klang und Betonung der Stimme – und doch … es fehlte das Entscheidende.

»Nein.«

»Assur« blickte ernst, trat näher. »Ich will dich nicht vor den Kopf stoßen. Es war eine Idee, um zu helfen, mehr nicht. Aber ich erkenne bereits, dass es nicht funktionieren kann. Woran hast du es erkannt?«

Obwohl sie unfertig wirkte, ging durchaus Faszination von der Täuschung aus.

»Wo soll ich anfangen?«, fragte er. Gleichzeitig ertappte er sich dabei, dass er sich nicht satt sehen konnte an der durchaus real wirkenden Gestalt. Er war sicher, sie sogar berühren zu können, wenn er die Hände ausstreckte.

Aber davor schreckte er zurück.

»Wer bist du?«, fragte er. »Es genügt nicht, dass ich weiß, wer du nicht sein kannst. Gib dich zu erkennen.«

»Du kommst nicht selbst darauf?«

Es hatte den Anschein, als scheue die Besucherin davor zurück, ihre Herkunft selbst preiszugeben.

Scham – erkannte er Scham in ihrem Blick?

»Nein, ich komme nicht selbst darauf.«

»Assur« wandte sich zum Gehen.

»Bleib!«

Sie schüttelte den Kopf, ohne stehen zu bleiben. »Es ist besser. Es war dumm. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.«

Rotak lief ihr hinterher, holte sie ein. Er fasste sie grober an den Armen, als es seine Absicht gewesen war.

Sie war kein Geist, keine Halluzination …

… für ein paar Sekunden.

Dann änderte sich ihre Konsistenz. Dann wurde sie doch zum Gespenst. Seine Hände fielen einfach durch sie hindurch. Sie verblasste.

Und war fort.

Rotak stand noch lange wie betäubt da.

Winoa trat durch das Schott in die künstliche Kalser-Welt.

Sie konnte sich nicht erinnern, einmal unbeeindruckt von dem Werk geblieben zu sein, durch das sie ihre Füße auf der anderen Seite gelenkt hatte.

Aber heute war alles anders. Die Landschaft, in die sie trat, schien ihre Farben, selbst ihre Gerüche verloren zu haben. Die Schatten auf Winoas Gemüt schienen aus ihr heraus zu sickern und ihr vorauszueilen. Wohin immer ihr Blick auch wanderte – alles erschien ihr trostlos.

Gebrauchte Momente. Ausgelaugte Situationen. Als hätte jemand sie schon einmal erlebt und mir dann aus zweiter Hand angedreht …

Sie konnte sich nur über die eigenen, abstrusen Gedankengänge wundern.

»Yael!«

Wie ein Hilfeschrei fraß sich ihr Ruf durch den holografischen Nachbau eines Planeten.

Entweder hörte Winoas Freund ihn, oder Sesha setzte ihn in Kenntnis – jedenfalls löste sich eine geflügelte Gestalt aus der Krone des Baumes, in dem die gemeinsame Behausung von Yael und seinem Orham Jiim untergebracht war. Im Näherkommen schwanden die letzten Zweifel, dass es sich tatsächlich um den Jungnargen und nicht um seinen Elter handelte.

Yael landete unmittelbar vor Winoa und erkannte offenbar sofort, in welcher seelischen Verfassung sie sich – immer noch – befand. Wie hätte sich daran auch etwas ändern sollen in so kurzer Zeit.

Sie war völlig durch den Wind, und Yael tat das einzig Richtige in diesem Moment – er schlang seine Flügel um sie und nahm sie nicht nur sinnbildlich »unter seine Fittiche«.

Sie schmiegte sich an ihn, unbefangener als sie es bei Rotak getan hatte. Bei Yael konnte sie sich ohne inneren Widerstreit geben, wie sie war. Musste sich nicht verstellen.

Aber gerade weil sie ihm so nahe stand, spürte sie sofort, dass etwas nicht stimmte.

Durch die Nebel ihrer Verstörung hindurch fühlte sie es.

»Du hast etwas – sag«, forderte sie ihn auf, obwohl sie gekommen war, um sich selbst Trost und Unterstützung zu holen.

Aber vielleicht kamen ihr die Probleme eines anderen gerade recht. Sie klammerte sich an die Herausforderung, um nicht pausenlos daran zu denken, vielleicht nie mehr ihrer Mutter begegnen zu können.

Er lockerte die Umarmung, wie schon Rotak es getan hatte – auch das fühlte sich ganz anders, richtiger, an als bei ihrem Vater. Sie war verwirrt, fühlte sich gleichzeitig aber auch bestätigt in der Wahl, die ihre Gefühle getroffen hatten. Obwohl Yael ein Nichtmensch war, übte er eine faszinierende Anziehungskraft auf sie aus und schenkte ihr mehr Liebe und Geborgenheit als ein menschlicher Freund es ihrer Ansicht nach vermocht hätte.

»Ich habe etwas getan«, sagte er und zitterte dabei leicht, »was ich besser gelassen hätte.«

»Du?« Sie sah ihn an, ohne zu verstehen, was er meinte. »Wovon redest du? Hast du etwas angestellt?«

»Im weitesten Sinne – sicher.«

»So schlimm wird es wohl kaum sein.«

»Das musst … du entscheiden.«

»Ich?«

»Es betrifft dich.« Jedes einzelne Wort schien ihn Mühe und Überwindung zu kosten, aber sie schätzte ihn schon jetzt dafür, dass er es, was immer es sein mochte, nicht vor ihr verheimlichen wollte.

»Sag schon. Wenn es mich betrifft, kannst du auf eine milde Richterin hoffen. Wie dir wohl nicht entgangen ist, habe ich momentan anderes im Kopf.«

Er lächelte verkrampft. »Darum geht es ja.« Seine Stimme war fast ein Flüstern.

Er löste die Schwingen vollends von ihr und stand mit hängenden Schultern da, den Blick zu Boden gerichtet.

Sie verzichtete darauf, ihn erneut zu drängen, wartete einfach, bis er sich überwunden hatte zu sprechen.

Endlich gab er sich einen Ruck. »Ich war bei deinem Vater.«

Winoa wusste nicht, womit er sie mehr hätte verblüffen können. »Wann? Vor allem: Warum?«

»Vorhin. Nachdem du gegangen warst.«

Sie musterte ihn argwöhnisch. »Das kann nicht sein. Ich bin auf direktestem Weg hierhergekommen. Wie willst du –« Sie verstummte, spürte, dass viel mehr hinter seiner Beichte steckte, als er bislang preisgegeben hatte.

Er hob den Blick und bettelte um mildernde Umstände. Um Nachsicht.

Winoa wurde zunehmend unsicherer.

»Du warst also bei meinem Vater – lassen wir es mal dabei. Warum? Was wolltest du von ihm? Du hast dich noch nie darum bemüht, ihn näher kennenzulernen. Warum … gerade jetzt?«

»Mein … mein Verstand muss ausgesetzt haben – inzwischen ist es mir selbst klar. Aber zunächst fand ich die Idee gar nicht so schlecht oder verkehrt. Erst … erst als ich Rotaks Reaktion sah …« Er seufzte. »Es war eine … Menschen sagen, glaube ich, Schnapsidee! Ich geb’s zu und bitte dich nur, mir zu verzeihen!«

Er klang, als hätte er tatsächlich etwas Hochprozentiges konsumiert. Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn zum Dorf, zu einer Stelle etwas abseits des holografischen Getümmels, die sie beide mochten. Hier, auf einer Bank, die sowohl menschliche als auch nargische Bedürfnisse erfüllte, saßen sie oft und redeten. Schenkten sich Nähe und tauschten Zärtlichkeiten aus.

Yael folgte mit merklichem Unwillen. Offenbar scheute er die letzte Konsequenz seiner Beichte.

»Du warst bei meinem Vater und hast mit ihm gesprochen. Worüber?«

»Wir haben nicht viel gesprochen. Und wohl auch nicht das Richtige.«

»Aha. Wenn du in dem Tempo weitermachst, kommen wir auf keinen grünen Zweig.«

Er holte tief Luft – und gestand ihr sein Vergehen.

Danach war sie erst einmal sprach- und fassungslos.

»Schnapsidee trifft es nicht einmal ansatzweise«, platzte es schließlich aus ihr hervor. »Was hast du dir nur dabei gedacht? Du musst ihn zu Tode erschreckt haben!«

»Das ist mir auch klar geworden. Allerdings zu spät …«

Sie überlegte, wie sie damit umgehen sollte. »Du bist … bist ihm in Gestalt meiner Mutter erschienen? Wie hast du das gemacht? Wie bei Charly? Wie auf Voosteyn, als du den Wächter der Kartei hinters Licht geführt hast?«

Er bejahte. »Ich kann meine Projektionen mittlerweile beherrschen. Das war schon mal anders – da haben sie eher mich beherrscht. Aber es genügte, mir deine Mutter vorzustellen, um sie zu … zu einem Scheinleben erstehen zu lassen. Sie war materiell, greifbar – solange ich das wollte. Aber dann bekam ich kalte Füße. Dein Vater … dein Vater ahnt offenbar nicht, dass ich dahinter stecke. Bevor ich mich ihm offenbaren konnte, lief alles aus dem Ruder.«

»Was wolltest du ihm denn sagen – oder demonstrieren? Wie konntest du nur glauben, damit etwas Gutes zu bewirken?«

Zum ersten Mal seit sie sich näher gekommen waren, verstand sie ihn nicht im Geringsten, nicht einmal ansatzweise. Was er getan hatte, war … paranoid. Im günstigsten Fall.

»Eigentlich ging ich zu ihm – du weißt, dass ich durch die Augen meiner Projektionen sehen, durch ihre Ohren hören und mit ihrem Mund sprechen kann –, um ihn zu fragen, was er davon hält, wenn ich … wenn ich dir anbiete, dir deine Mutter zurückzuholen. Für eine Übergangszeit. Damit du ihren Verlust, den der echten Assur, leichter kompensieren ka–«

»Schwachsinn!« Winoa explodierte förmlich und sprang auf. »Was für ein unglaublicher Schwachsinn! Leichter kompensieren? Du hast sie doch nicht alle! Wie kannst du glauben, ich käme leichter über ihr Verschwinden hinweg, indem du mir eine Doppelgängerin von ihr präsentierst?«

Er setzte zu einer Erwiderung an, scheiterte aber offenbar an der Erkenntnis, dass sie in allen Belangen recht hatte.

In ihrer Rage war Winoa nicht geneigt, ihm das zugute zu halten.

Sie wandte sich um. »Lass mich besser die nächste Zeit in Frieden – ganz in Ruhe. Das muss ich erst mal verdauen. Und meinem Vater klar machen.«

»Du willst deinem Vater …?«

»Was denkst du denn? Das muss der Schock seines Lebens für ihn gewesen sein!« Kopfschüttelnd ließ sie ihn zurück und war froh, dass er ihr nicht folgte.

Als es klopfte, hob Cloud irritierte eine Braue.

Er konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt jemand die Fingerknöchel benutzt hatte, um sich vor seiner Kabine bemerkbar zu machen. Es gab einen Türsummer. Der war verlässlicher. Nur ganz schwach drang das Klopfen zu ihm vor; es war leicht zu überhören.

»Sesha?«

»Commander?«

»Wer steht vor der Tür zu meiner Unterkunft?«

Die KI veränderte die Struktur des Türschotts in einer Weise, dass darauf das Abbild eines Gesichts erschien.

»Rotak …«

Cloud war überrascht. Gleichzeitig wusste er aber auch, dass das Erscheinen des Angk nur ein Thema haben konnte.

Assur.

Im ersten Moment wollte er vor der Begegnung kneifen. Doch dann überwand er sein Unbehagen. Er betätigte den Türöffner.

Rotak trat ohne Umschweife.

»Commander.«

»Rotak. Was kann ich für dich tun?«

Er hoffte immer noch, dass es um etwas anderes ging als das, was er vermutete.

Aber seine Intuition trog ihn nicht.

»Die RUBIKON steht kurz davor, Diversity zu verlassen.«

»Das ist richtig.«

Rotak nickte kurz. Dann schüttelte er den Kopf. »Das geht nicht.«

»Geht nicht?«, echote Cloud fragend.

»Nicht, solange nicht alles versucht wurde.«

»Du meinst – bezüglich Assur.«

Er nickte. Sein hageres Gesicht wirkte kantiger denn je.

»Wir haben alles versucht«, sagte Cloud. »Wenn es noch etwas gäbe, das die Möglichkeit in sich birgt, sie vielleicht doch noch zu finden, ihre sterblichen Überreste, würde ich nicht zögern, es zu versuchen. Aber –«

»Es gibt eine Möglichkeit – und sie wurde noch nicht probiert.«

»Welche?«

Rotak erklärte es ihm.

Cloud hörte sich an, was der Angk auf dem Herzen hatte – allerdings erstaunte es ihn, dass Rotak sich an einen Hoffnungsstrohhalm klammerte, der gar nicht existierte.

»Du willst sie erspüren? Das mag innerhalb der RUBIKON, deren Teil ihr werden könnt, funktionieren. Aber da draußen, auf dem Planeten … wie soll das gehen?«

»So habe ich Winoa gegenüber auch argumentiert«, sagte Rotak. »Aber sie gibt keine Ruhe. Und um auch die unwahrscheinlichste Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen – vielleicht auch nur um meiner Tochter und mir selbst zu beweisen, dass wirklich alles getan wurde –, bitte ich dich, es uns versuchen zu lassen. Ich habe mit den anderen gesprochen. Es gibt Dutzende Freiwillige, die spontan ihre Unterstützung zugesagt haben. Ich glaube, wenn ich alle fragen würde, gäbe es keinen Einzigen, der nein sagen würde.«

Cloud zweifelte nicht daran.

»Wir konzentrieren uns momentan auf Jarvis, der immer noch als vermisst gilt. Ich weiß nicht, ob ich ein solches Unternehmen, wie von dir vorgeschlagen, gutheißen kann. Wir müssen flexibel bleiben, was Rettungsmaßnahmen hinsichtlich Jarvis angeht.« Er seufzte. »Wie lange würdest du … würdet ihr … für ein solches Vorhaben denn brauchen?«

»Nicht lange. Wenn wir nicht gleich Kontakt zu ihr bekommen, ist sie nicht mehr da. Aber wir müssen zur Oberfläche. In die Nähe der Stelle, wo sie zuletzt war.«

Cloud rieb sich den Nacken. »Das bin ich ihr schuldig, oder?«, sagte er.

Rotak zuckte mit den Schultern. »Kommt darauf an, wen du meinst. Assur oder Winoa?«

»Beiden.«

Der Angk nickte. »Ich glaube so ist es. Und es ist nicht sonderlich aufwändig. Auch die Risiken sind überschaubar.«

»Ich hoffe, das stimmt.«

»Was sollte uns passieren?«

»Das fragt man vorher immer. Klüger ist man erst hinterher. So ging es mir mit Assur. Als sie darauf drängte, endlich auch einmal an einem Außeneinsatz teilnehmen zu dürfen, dachte ich: ‚Warum eigentlich nicht? Was soll schon passieren?‘ Nun, die Antwort kennen wir beide.«

»Das war eine andere Situation.«

Cloud machte eine wegwerfende Geste. »Wie dem auch sei – ich bin einverstanden. Meinen Segen habt ihr. Aber es muss gleich passieren. Ein Shuttle wird euch hinunter bringen. Länger als drei Stunden habt ihr nicht – den Transfer eingeschlossen. Es sei denn natürlich, ihr würdet hieb- und stichhaltige Spuren finden …«

»Danke.« Rotak wandte sich zum Gehen.

»Warte«, sagte Cloud.

Der Angk blieb stehen und wandte sich noch einmal um. »Ja?«

»Viel Glück!«

Kurz bevor Winoa das Shuttle bestieg, stürmte Yael in den Hangar.

»Warte! Bitte, warte!«

Ihr Vater stand schon in der offenen Luke. Winoa bemerkte, wie seine Züge beim Anblick des Nargen verhärteten. Vielleicht hätte ich ihm lieber nicht sagen sollen, wer hinter der falschen Assur steckte …

»Steig ein«, sagte er.

»Gleich«, erwiderte sie mit einem zaghaften Lächeln, das um sein Verständnis flehte. »Ich komme gleich nach.«

»Wir starten in fünf Minuten. Wenn du bis dahin nicht an Bord bist, kannst du nicht mitkommen.«

Sie wusste, dass schon allein das limitierte Zeitzugeständnis des Commanders diese Frist rechtfertigte. Aber ihr war auch klar, dass Rotak auf diese Weise Druck ausüben wollte, sich nicht zu ausgiebig mit Yael auseinanderzusetzen. Ihr Vater hatte sehr ungehalten auf ihre Eröffnung reagiert, dass der Jungnarge hinter dem Vorfall in seinem Quartier steckte. Mittlerweile war ihre eigene Verärgerung aber schon wieder etwas verflogen. Sie vermisste Yaels Nähe und Berührungen. Vor allem aber vermisste sie ihn als Zuhörer, dem sie ihre geheimsten Sorgen anvertrauen konnte.

»Ich komme mit. Es wird nicht lange dauern. Danke!«

Rotak verschwand im Innern des Shuttles, wo schon die anderen Angks, die an dem Ausflug teilnahmen, Platz genommen hatten.

Winoa drehte sich um und ging Yael ein paar Schritte entgegen.

Dann standen sie sich gegenüber.

Yaels Wangen waren dunkel ockerfarben. In seinen schwarzen Augen, die wie Perlen aussahen, in denen jemand Stücke der Nacht eingeschlossen hatte, entdeckte Winoa Spiegelbilder von sich selbst.

»Was ist?«, fragte sie brüsk.

Zu leicht wollte sie es ihm auch nicht machen.

»Ich … wollte mich nur von dir verabschieden. Pass auf dich auf da unten.«

»Das ist alles?«

Er nickte betreten.

Sie hielt das Strahlen nicht länger zurück. »Lieb von dir!« Sie schlang die Hände um seinen Nacken und drückte ihm einen trotz der Kürze überaus sehnsuchtsvollen Kuss auf den Mund. »Wir reden, sobald ich zurück bin!« Sie trat zurück, genoss für einen Moment die Erleichterung, die sich über sein Gesicht legte und rannte dann winkend zum Shuttle.

»Du hättest noch zwei Minuten gehabt«, empfing Rotak sie mit unbewegter Miene.

Winoa nickte. »Ich weiß. Aber ich wollte deine Geduld nicht überstrapazieren.«

Eine Weile schien er durch sie hindurch zu starren. Die Shuttle-Luke schloss automatisch. Über einen Monitor war zu sehen, dass das Fahrzeug Richtung Hangartor schwebte.

Kurz darauf füllten Sterne das Bild aus.

Und dann … Diversity.

»Du hängst an ihm, stimmt’s?«

Rotaks Stimme holten ihre Gedanken von dort zurück, wo Yael geblieben war.

»Er hat einen Fehler gemacht. Und ich bin sauer auf ihn. Aber er ist kein schlechter Kerl.« Sie bemühte sich, Worte zu finden, die die Kluft zwischen Rotak und ihrem Freund nicht noch tiefer werden ließen.

»Das beantwortet nicht meine Frage.«

Sie seufzte. »Was erwartest du? Natürlich mag ich ihn. Aber ich weiß auch, dass er Mist gemacht hat. Und du ihm das wahrscheinlich nicht so bald verzeihen wirst.«

»Würdest du es denn wollen?«

»Was?«

»Dass ich ihm verzeihe.«

Sie brauchte nicht groß zu überlegen. Sie nickte, sah ihn aber nicht an.

»Gut.«

Mehr sagte er nicht.

Als sie endlich den Blick hob, lächelte er.

»Was heißt das?«

»Ich will es versuchen. Es war absolut unsensibel von ihm, aber sagtest ja, er wollte damit eigentlich Gutes bezwecken.

»Was für ein Idiot!«

Rotaks Lächeln vertiefte sich. »Ja«, sagte er. »Was für ein Idiot!«

Sie lachten beide gleichzeitig los.

Verrückt, dachte Winoa. Mum musste erst … verschwinden, damit ich meinem Vater wieder näherkomme …

Als Nächstes näherten sie sich der Stelle, die Assur zum Verhängnis wurde.

Ein riesiger Krater klaffte wie eine Wunde in der Landschaft.

Das Shuttle setzte nahe des Rands auf.

Als Winoa ausstieg, hörte sie ein Geräusch und blickte nach oben.

Aus dem blauen Himmel senkte sich ein zweites Shuttle herab.

»Ich dachte, wir wären komplett«, sagte sie. »Du hast nicht erwähnt, dass noch mehr mitkommen, um –«

Rotak schüttelte den Kopf, nachdem er selbst erstaunt nach oben geblickt hatte. »Das war auch nicht abgemacht«, sagte er.

Das zweite Shuttle landete unweit des ersten. Als sich die Luke öffnete, huschten Spinnenbots heraus, gefolgt von einer einzelnen menschlichen Gestalt.

»Jelto!« Winoa ging ihm automatisch entgegen.

Der Florenhüter hob grüßend die Hand.

»Was tust du hier?«

»Nachholen, wozu ich bislang nicht kam.«

»Und das wäre?«

Jelto orientierte sich kurz und zeigte dann auf einen knorrigen Baum in bedenklicher Nähe des Kraterrands, aber der zurückliegende Erdrutsch hatte ihn verschont.

»Die Bots helfen mir – falls ich die Zusage bekomme.«

»Zusage?«

»Von ihm.« Abermals zeigte der Florenhüter auf den Baum.

Winoa wusste nicht, ob sie Jelto richtig verstand. Aber der hoch gewachsene Mann mit den schockgrünen Augen lächelte milde und sagte: »Ich hatte schon einmal Kontakt mit ihm. Er besitzt Intelligenz, die der menschlichen ebenbürtig ist.«

Winoas Augen weiteten sich staunend.

»Was überrascht dich daran so?«, fragte Jelto. »Du kanntest Cy. Pflanzliche Intelligenz kommt häufiger vor.«

Winoa nickte schnell. »Dumm von mir, natürlich. Aber … Cy war für mich immer etwas Einzigartiges. Besonderes.«

»Und das wird er auch immer bleiben. Es ist wie unter Menschen. Auch da treffen wir manchmal ganz besondere, und ein jeder ist auf seine Weise einzigartig.«

Winoa blickte an ihm vorbei zu Rotak, der wild gestikulierte, sie zu sich rief. »Entschuldige, ich muss los.«

Jelto nickte. »Ich weiß. Ich bin informiert. Viel Glück bei eurem Versuch. Aber versprecht euch keine Wunderdinge davon.«

Winoa wollte sich die Hoffnung nicht nehmen lassen. Mit einem letzten Wink rannte sie zu der Gruppe zurück, die sich ein Stück weit von dem Shuttle entfernt hatte und auf den Boden setzte, einen Kreis bildete.

Als sie hinter sich schaute, sah sie Jelto, gefolgt von einem Heer eifriger Bots, auf den allein stehenden Baum zugehen und seine Aura zünden.

Das Licht, das aus ihm herausströmte, war heller als die Sonne im Zenit.

Winoa beobachtete fasziniert, wie der Florenhüter den Baum erreichte und ihn in sein Licht tauchte.

Dann widmete sie sich der Aufgabe, die sie selbst angeregt hatte.

Dem letzten Versuch, Assur doch noch ausfindig zu machen – lebendig oder tot.

Aber als die beiden Shuttles einige Zeit später zurück zur RUBIKON starteten, konnte nur Jelto den gewünschten Erfolg verbuchen. Der Baum hatte sein Einverständnis gegeben, auf das Raumschiff umzusiedeln, und die Bots hatten sein Wurzelwerk vorsichtig aus dem Erdreich befreit.

»Nichts«, meldete Rotak noch während des Rückflugs zur RUBIKON. »Wenn sie – oder etwas von ihr – noch auf Diversity wäre, hätten … hätten wir es gespürt.«

»Sicher. Danke für eure Bemühung.«

»Danke für die Möglichkeit, es zu versuchen.«

»Das war selbstverständlich.«

Rotak nickte.

»Wie geht es Winoa?«, fragte Cloud.

»So wie uns allen«, erwiderte der Angk.

»Braucht sie psychologischen Beistand?«

»Ich bin für sie da.«

Offenbar klang Rotak für Clouds Empfinden so bestimmt, dass er es ohne weitere Nachfrage so stehen ließ.

»Und Jarvis?«, erkundigte sich der Angk.

»Unveränderter Status.«

1.

In Windeseile begaben sich Quirin, Parv und Slig in den Kernbereich der Stadt, wo armdicke Kampfstrahlen einschlugen und teils verheerende Explosionen auslösten. Dann nämlich, wenn Stein, der damit in Berührung kam, regelrecht zerplatzte. Nicht selten wurden dabei ganze Gebäude in die Vernichtung gerissen, in Schutt und Asche gelegt.

Ausgangspunkt der schrecklichsten Verwüstung, an die Quirin sich eigener Aussage zufolge erinnern konnte, dass sie die Bergstadt jemals heimgesucht hatte, war in allen Fällen die seltsame Armada von Fluggeräten, die nach wie vor auf die Stadt und ihre Bewohner zuhielt.

»Wer ist das?«, jammerte Parv unzählige Male während ihrer Flucht. Er vertraute ebenso wie Slig auf Quirin, dass er sie auf dem schnellsten Weg aus der geheimnisvollen Ansiedlung heraus führen würde; immerhin lebte er am längsten von ihnen hier und kannte sich in den Sträßchen und Gassen aus wie in seiner Westentasche. Quirin war ein Floy, ein insektoider Vaschgane, ganz im Gegensatz zu dem echsenartigen Pieroo Parv oder dem Tauren Slig, der pflanzlichen Ursprung hatte.

Es gab noch einen Vierten im Bunde, Mo, doch der hatte seine Intelligenz verloren und begleitete sie nurmehr in Manier eines Nutztieres. Quirin war trotz dieses Handicaps nach wie vor freundschaftlich mit dem »verdummten« Vaschganen verbunden, was Parv einerseits Respekt abnötigte, ihn andererseits aber auch einigermaßen ratlos machte.

»Schneller!«, drängte Slig, der an Parvs Seite hinter Quirin und Mo her hetzte. »Wir müssen in die Ebene – und dann …« Seine heiseren Worte verstummten, als hätte ihm eine scharfe Klinge die Stimmbänder durchtrennt. Wahrscheinlich wusste er selbst nicht, wie es am Fuß des bis in die Wolken reichenden Berges weitergehen sollte.

An manchen Stellen der Stadt, wo sie vorbeikamen, hatte man einen unverstellten Blick bis ganz nach unten. Aber zur Überraschung Parvs – und wohl auch Sligs – war dort unten kaum Bewegung auszumachen, die auf andere Flüchtlinge hinwies. Nicht mehr jedenfalls als dort gemeinhin ohnehin zu beobachten war, denn der Landeplatz der Gleitflieger befand sich unweit des Pfades, der in die Stadt hinauf führte.

Die Flieger …

Parv schüttelte im Laufen den Kopf. Die Verrückten, die sich von weit oben in die Tiefe stürzten und dabei allein auf das zerbrechliche Konstrukt bauten, das echte Flügel nachahmte, waren eines von vielen Mysterien der rätselhaften Stadt, in die es Slig und ihn verschlagen hatte.

Nach tiefer Bewusstlosigkeit waren er und der Taure in einem Bereich Venlogs erwacht, von dem sie noch nie gehört hatten und über den noch nicht einmal das Große Gedächtnis, in das alle Vaschganen eingebettet waren, Auskunft zu geben vermochte. Zeitweise war Parv deshalb sogar zu der Ansicht gelangt, sich gar nicht mehr auf Venlog zu befinden.

Aber wo dann?

Unweit von ihnen schlug ein Lichtbalken ein, der aus der Ferne abgefeuert worden war. Die Folgen waren furchtbar. Ein Gebäude stürzte vollständig ein, Nachbarhäuser erlitten gewaltige Schäden.

Das Verrückteste aber war: Parv sah keine Vaschganen panisch das Weite suchen, wie es dem natürlichen Überlebensreflex entsprochen hätte – dafür aber umso mehr Vaschganen, die vor seinen Augen auf das in sich zusammenfallende Bauwerk zu eilten, als legten sie es darauf an, mit in den Tod gerissen zu werden.

Absurd.

»Seht!«, versuchte er Quirins und Sligs Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was er gerade beobachtete. Die Blicke seiner Begleiter schienen auf andere Ziele gerichtet zu sein und nichts davon mitbekommen zu haben.

»Was?«, schnaubte Slig und wandte den Kopf in die Richtung, die Parv ihm wies.

Aber als er hinschaute, war das Drama schon nicht mehr als das zu deuten, was es in Parvs Augen darstellte – der Selbstmord mehrerer Vaschganen, von denen in der aufwallenden Staubwolke schon nichts mehr zu sehen war.

Lautlos, ohne einen einzigen Schrei, waren sie von herabstürzenden Trümmern begraben worden.

Parv schilderte, was er gesehen hatte.

Slig machte keinen Hehl daraus, dass er ihm nicht glaubte, mehr noch, ihn für geistig nicht zurechnungsfähig hielt, so etwas zu behaupten.

Quirin äußerte sich gar nicht. Mit Mo an der Leine eilte er unverdrossen weiter die serpentinenartig angelegten Pfade abwärts.

Parv war einmal mehr enttäuscht von Sligs Ignoranz. Der Taure, der gerade erst beteuert hatte, ihm in echter Freundschaft zugetan zu sein, legte ein Verhalten an den Tag, das dies Lügen strafte.

Aber alles in allem ließen die Ereignisse Parv zu wenig Zeit für Dinge wie Ärger oder Frustration.

Die Stadt erbebte unter immer neuen Einschlagen. Die vorrückenden Jorrims gaben sich gnadenlos.

Jorrims – Eherne!

Parv hatte schon vor dem Angriff unmissverständliche Hinweise darauf gehabt, dass die Ehernen, über die nicht einmal das Große Gedächtnis viel Verlässliches zu sagen wusste, nicht nur der Fantasie der Vaschganen entsprungen, sondern ganz real waren. Doch nun lieferten die vermeintlichen Fantasiebilder selbst den Beweis ihrer Existenz – und Überlegenheit.

Schrecklicher als jede andere Parv bekannte Waffe wüteten die Lichtspeere, die sie aus ihren fliegenden Fahrzeugen – noch so ein unbegreifliches Wunder! – abfeuerten.

»Was ist – wohin willst du?«

Urplötzlich und ohne eine Erklärung wechselte Quirin mit Mo in eine Seitengasse, verließ damit den direktesten nach unten führenden Weg.

»Quirin! Wir müssen raus – raus aus der Stadt! Warum verlässt du –« Parv blieb abrupt stehen.

Slig lief weiter – hinter Quirin und Mo her.

»Slig!«

Der Gefährte ließ sich nicht aufhalten. Zusammen mit dem Floy und seinem verdummten Freund drohte er in der Vaschganenmenge zu verschwinden, die in der Seitenstraße unterwegs war.

Während er ihnen nachschaute, wurde Parv zum ersten Mal richtig bewusst, dass die Bewohner der an die Bergflanke geschmiegten Stadt weit davon entfernt waren, in Panik zu verfallen. Anders als Parv selbst wirkten sie von den Ereignissen zwar überrumpelt, aber schienen überhaupt nicht in Sorge um ihr Leben zu sein.

Fluchend stürmte Parv den Gefährten schließlich hinterher – gerade noch rechtzeitig, bevor sie seiner Wahrnehmung entschwanden. »Wartet! Dresch! So wartet doch!«

Er holte sie ein, als Quirin auf einen Platz einbog, den die Bewohner der Stadt weiträumig umgingen.

Quirin blieb stehen. Mit ihm Mo und Slig.

Schwer atmend gesellte sich Parv zu ihnen und blickte auf etwas, das wie eine dunkle Lache auf dem Straßenpflaster glitzerte. Offenbar war dieses Etwas der Grund dafür, dass die Vaschganen einen großen Bogen um die betroffene Stelle machten.

»Was ist das?«, murmelte Slig.

Parv wusste es so wenig wie der Taure. »Keine Ahnung. Quirin?«

Quirin hielt sich nicht mit einer Antwort auf, sondern stakte bereits auf das Phänomen zu, das flüssig und doch fest wirkte – als hätte jemand Lack ausgeschüttet, der sofort zu einer harten Schicht erstarrt war.

»Quirin!«

Der Floy reagierte nicht. Er schien Parv entweder nicht zu hören oder er ignorierte ihn absichtlich.

Beides missfiel Parv gleichermaßen. Während Slig und selbst Mo, dessen Zügel Quirin aus der Hand hatte gleiten lassen, innehielten und keine Anstalten machten, dem Floy weiter zu folgen, setzte Parv sich ohne Zögern in Bewegung.

Er sah noch, wie sich Quirin am Rand der Lache bückte und nach dem seltsamen Gebilde am Boden zu tasten schien …

… dann traf ihn das Vergessen wie der Schwingenschlag eines tollwütigen Kargoy.

Der Beschuss der Stadt hörte unvermittelt auf.

Der Vaschgane, der eben noch nach der quecksilbrigen Masse auf dem Straßenpflaster getastet hatte, richtete sich wieder auf und sah sich nach seinem Begleiter um, der hinter ihm ohne erkennbaren Anlass ins Straucheln geraten war.

»Bist du soweit?«, fragte Floy.

Der Pieroo machte eine Geste, die unter Vaschganen unüblich war. Aber der Floy verstand ihn mühelos. Während er stadtauswärts blickte, näherte sich der Taure, der ebenfalls zu ihrer Gruppe gehörte.

»Woher mag der Eindringling kommen?«, fragte er.

Der Pieroo und der Floy wussten keine Antwort, natürlich nicht. Das Auftauchen des Dings in der Maske eines Humanoiden hatte sie ebenso überrascht wie … alle.

Ohne den Vierten im Bunde – Mo – auch nur eines Blickes zu würdigen, warteten sie das Eintreffen der Gleiter ab.

Ohne Scheu oder gar Furcht vor den aussteigenden »Ehernen« sahen sie zu, wie sie sich um die Lache gruppierten. Bevor sie aber daran gehen konnten, die amorphe Masse zu bergen, bückte sich der Pieroo unversehens und griff mit der Echsenklaue in sie hinein.

Eherne, Floy und Taure warteten ebenso neugierig wie die Stadtbewohner, die die Szene verfolgten, auf eine Erklärung für sein Verhalten. Der Pieroo erhob sich schließlich wieder und hielt etwas in die Luft, was für Erstaunen und Aufsehen sorgte.

»Unmöglich«, kam es fast stammelnd über die Lippen des Floy. »Woher hat es das? Gestohlen?«

»Gibt es denn eine andere Erklärung?«, sagte der Taure.

Einer der Ehernen forderte den Pieroo auf, ihm den Kristall auszuhändigen. »Wir werden es klären«, sagte er. »Wollt ihr uns begleiten?«

Floy und Taure verneinten.

Der Pieroo aber, der den Kristall gefunden hatte, dessen Form Ähnlichkeit mit einer Schuppe seines Echsenkörpers hatte, schloss sich den Ehernen an und half dabei, die amorphe Masse vom Pflaster zu lösen und in einen Behälter zu befördern. Als die Arbeit getan war, verschwand der Behälter in einem der Gleiter, und der Pieroo stieg ebenfalls zu.

Kurz darauf hoben sämtliche Fahrzeuge, die die Stadt unter Beschuss genommen hatten, ab.

Die Blicke, die dem Pulk folgten, bis er am Horizont verschwand, waren alles andere als betroffen. Manch einer äußerte sogar sein Bedauern, in den Wirren der einstürzenden Gebäude nicht umgekommen zu sein.

Doch nach einer Weile verstummten solche Äußerungen und änderte sich das Mienenspiel vieler Vaschganen.

Auch durch den Tauren und den Floy ging ein sichtbarer Ruck.

Slig wirbelte herum, blickte suchend nach allen Seiten. »Wo ist Parv?«

Quirin ließ seinen Blick ebenfalls über die Umgebung schweifen. Aber auch er fand keinen Hinweis auf Parv. Nur Mo war bei ihnen.

»Ich hoffe, ihm ist nichts passiert«, seufzte Slig. »Wo sind die Jorrims? Eben waren sie doch noch ganz nah mit ihren Flugmaschinen …«

Die Jorrims – oder Ehernen, wie sie sie nannten – waren ebenso von der Bildfläche verschwunden wie Parv.

Slig und Quirin befragten ein paar Passanten, doch auch die beteuerten, nicht zu wissen, wohin die Angreifer so plötzlich wieder verschwunden waren, wie sie gekommen waren.

Hatte es den Angriff überhaupt gegeben?

Etliche zerstörte Häuser zeugten davon.

»Was hatte dieser Spuk zu bedeuten?«, murmelte er.

Als er beobachtete, wie aus den Trümmern eines nahen Hauses ein toter Vaschgane gezogen wurde, befürchtete er, dass Parv vielleicht auch umgekommen sein könnte.

Stundenlang irrte er mit Quirin durch die Stadt und suchte nach dem Vermissten.

Vergeblich.

»Komm«, sagte Quirin irgendwann. »Lass uns nach Hause gehen. Vielleicht ist er schon dort – oder findet dorthin. Wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass er sich lediglich irgendwo herumtreibt.«

Slig wirkte wenig überzeugt, dennoch folgte er Quirin.

Tief im Herzen fühlte er, dass er Parv nie mehr wiedersehen würde.

Aber er irrte, wenn er glaubte, der Pieroo sei umgekommen.

Er wusste nur nichts von dem geheimen Doppelleben, das er selbst und jeder andere Vaschgane in diesem besonderen Bereich von Venlog führte.

Er ahnte nicht einmal, dass auch in ihm selbst ein fremdes Leben pulste, das ihn nach Belieben an- und ausknipste …

2.

»Jarvis schweigt. Wir bekommen keinen Kontakt zu ihm. Er ist überfällig!«

Wieder und wieder hallten die Worte in Clouds Erinnerung nach.

Nachdem Rotak und Konsorten von Diversity zurückgekehrt waren, entschied er, dass die Zeit des Zauderns vorbei sein musste.

Endgültig!

»Es reicht!«, quetschte er zwischen den Zähnen hervor, so leise, dass wahrscheinlich niemand in seiner Nähe es verstand, auch Scobee nicht, deren Sitz auf dem Kommandopodest unmittelbar an seinen angrenzte.

Doch als er sich zurückfallen ließ – Indiz genug, um zu verraten, was er vorhatte –, wirbelte ihr Kopf herum, und sie sah ihn entgeistert an. »Was hast du vor? Nicht schon wieder ein Alleingang, ich bit–«

Wie abgeschnitten endete ihr Ausruf, weil sich der Deckel des Sarkophagsitzes geschlossen hatte und Cloud die neuronale Verbindung zum Schiffskörper herstellte.

Er hatte keine Lust – vor allem aber keine Kraft mehr –, länger zu warten.

Er verschmolz auf geistiger Ebene mit der RUBIKON und nutzte ihr technisches Repertoire, um seine menschlichen Sinne zu ergänzen. Mit kybernetischen.

Und während die Freunde, die sich gerade in der Bordzentrale aufhielten – Scobee, Jiim und Algorian – überrumpelt zurück blieben, lenkte er die RUBIKON fast in Kamikaze-Manier auf den Planeten hinab, auf dem sich vielleicht auch schon Jarvis‘ Schicksal erfüllt hatte.

Er war blind in das gesprungen, was sie als Tridentische Kugel in einem der Ozeane von Diversity entdeckt zu haben glaubten.

Sofort nach der Teleportation – eigentlich Transition, denn bei Jarvis funktionierte die räumliche Versetzung seines Körpers auf technische Weise, nicht mithilfe einer Paragabe – war der Kontakt zu ihm abgebrochen. Und hatte seither nicht wieder aufgebaut werden können.

Cloud war erfahren genug, um zu ahnen, dass dies nichts Gutes bedeutete. Offenbar war Jarvis im Inneren der CHARDHIN-Perle auf etwas getroffen, das ihn hinderte, sich mit der RUBIKON in Verbindung zu setzen – oder einfach nur zu ihr zurück zu kehren.

Vielleicht ist er nicht einmal im Inneren angelangt, sinnierte Cloud, während die RUBIKON im Schutz ihrer Dimensionswälle und Prallschirme in immer dichtere Bereiche der Diversity-Atmosphäre vordrang. Möglich, dass die Hülle der von Kargor zum Raumschiff umfunktionierten Perle ihn gar nicht erst passieren ließ …

Falls dem so war, mochte der Sprung Jarvis sonst wohin versprengt – oder umgebracht haben.

Cloud war wild entschlossen, die Antwort darauf zu finden.

Und bremste die RUBIKON auch nicht ab, als sie die Oberfläche des Ozeans erreichte, auf dessen Grund Sonden bereits Vorarbeit geleistet und ein Stück der CHARDHIN-Außenschale freigelegt hatten.

In zwölf Kilometern Wassertiefe.

Die Tridentische Kugel hatte sich demnach fast hundert Kilometer tief in die Planetenrinde gewühlt – wie und warum auch immer.

»John! Öffne den Sitz! Was hast du vor? Bring nicht das ganze Schiff in Gefahr, nur um –«

Er blendete Scobees Appell, über Funk an ihn herangetragen, aus.

Wann immer es ging, versuchte er die RUBIKON nach demokratischen Gesichtspunkten zu führen.

Momentan ging das seiner Meinung nach nicht.

Weil er keine Zeit mehr verschwenden wollte.

Zeit, von der vielleicht die letzte Chance abhing, Jarvis doch noch zu retten.

Unaufhaltsam glitt die RUBIKON dem Grund des Meeres entgegen.

Cloud strapazierte die Ortungssysteme des Schiffes mit Höchstwerten. Der sichtbar gemachte Teil von Kargors Raumschiff wurde abgetastet und nach feinsten Lecks abgesucht.

Zu seinem eigenen Erstaunen wurde Cloud fündig.

Unmittelbar über einem solchen Haarriss stoppte er die RUBIKON ab.

Der immense Druck der Tiefe konnte ihr nichts anhaben.

Cloud instruierte Sesha über sein Vorhaben – und kehrte anschließend zu seinen Freunden zurück.

Der Deckel des Sarkophags löste sich auf.

»Ich bin euch eine Erklärung schuldig«, wandte sich Cloud an die hitzig debattierenden Freunde, die den offenen Sitz erst bemerkten, als Clouds Stimme erklang.

»Du hast Glück, dass du mildernde Umstände geltend machen kannst«, fauchte Scobee ihn an. »Vielleicht sollten wir als Erstes Sesha checken lassen, ob du geistig noch zurechnungsfähig bist. Die Aktion gerade …«

Cloud verstand ihre Verärgerung.

»Lass ihn«, erhielt er unerwartete Schützenhilfe von Algorian. Der aoriische Telepath hatte die rechte Hand erhoben und versuchte, Scobee mit Gesten zu beschwichtigen. »Er wollte sein Handeln doch gerade erklären.«

»Ja«, sagte Scobee zynisch. »Nachdem er gehandelt hat – mir wäre es nur lieber, hätte er es vorher getan!«

»Ich hab’s ja verstanden«, wandte sich Cloud an Scobee, nachdem er Algorian dankbar zugenickt hatte. »Aber die Pferde gingen mit mir durch. Ich musste mir ein Ventil verschaffen. Wir haben schon viel zu lange abgewartet. Ich will nicht auch noch Jarvis auf die Verlustliste setzen müssen.«

Sein »auch noch« verstand jeder. Es gab keine Nachfrage. Nur Scobees Aufforderung: »Schon gut. Aber sag endlich, warum du uns direkt vor die Kanonen der TK gelotst hast! Ist vielleicht ein bisschen viel des Guten. Selbstmord kann man auch stilvoller begehen.«

Cloud schüttelte entschieden den Kopf. »Ich glaube nicht, dass ‚Kanonen‘, wie du es nennst, auf uns gerichtet sind. Die bisherigen Untersuchungen deuten darauf hin, dass wir es tatsächlich mit Kargors verschollenem Raumschiff zu tun haben – und Kargor ist nicht unser Feind, schon gar nicht unser Todfeind.«

»Selbst wenn einiges darauf hindeutet, dass wir es am Meeresgrund mit der mobil gemachten CHARDHIN-Perle zu tun haben, heißt das nicht, dass auch Kargor noch an Bord sein muss.«

Scobees Einwand war berechtigt. Die Art der »Versenkung« deutete vielmehr darauf hin, dass die Tridentische Kugel ihr Grab auf Diversity gefunden hatte. Durchaus denkbar, dass der Feind der Bractonen – beziehungsweise der Ganf –, die Auruunen, das gigantische Fahrzeug längst aufgebracht hatten. Vielleicht war das »Eingraben« in die Planetenrinde nur die Nebenwirkung einer Waffe, die von den Auruunen gegen Kargor und die Seinen zum Einsatz gebracht worden war.

Dort unten mochte nurmehr das Wrack einer einst stolzen Perle liegen – und die Besatzung mochte komplett ums Leben gekommen sein.

Blieb die Frage, wann all dies geschehen sein sollte.

»Nein«, pflichtete Cloud ihr bei. »Das heißt es nicht. Aber es gibt einen Weg, es herauszufinden – und der ist allemal besser, als in Passivität zu verfallen und darauf zu hoffen, dass Jarvis irgendwann schon von selbst wiederkehrt.« Er hob leicht den Kopf. »Sesha?«

»Commander?«

»Wir haben es bislang versäumt, den Meeresgrund an der Stelle altersmäßig zu bestimmen, unter der wir die TK vermuten.«

Die KI schwieg.

Cloud formulierte konkret: »Sofort Sonden ausschleusen, deren einzige Aufgabe genau darin besteht – Altersbestimmung der Sedimente, die sich über der Perle abgelagert haben.«

»Was erhoffst du dir davon?«

»Ich will wissen, wann Kargor hier strandete.«

»Vor rund zwei Jahren – das wissen wir doch«, beteiligte sich erstmals Jiim an dem Gespräch.

»Genau das bezweifle ich – und nicht erst seit dem Fund«, sagte Cloud.

Algorian, der sich einige menschlichen Verhaltensweisen angeeignet hatte, nickte plötzlich. »Warum bin ich darauf nicht auch schon gekommen?«

»Hast du mich geespert?«, wandte sich Cloud an ihn.

Der Aorii wechselte die Gesichtsfarbe. Ein Erröten konnte man es bei ihm nicht nennen, eher ein Ergrauen.

»Entschuldige …«

Cloud winkte ab. »Solange es nicht zur Gewohnheit wird. Aber dann weißt du von meinem Verdacht – erklär es den anderen. Bitte.«