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Schriftsteller der Zukunft arbeiten anders als Thomas Mann: Ihre intelligenten Agenten und Avatare produzieren multimediale Werke, in die man je nach Interesse und Bildungsgrad oberflächlich oder tief eintauchen kann. Auch mitspielen, besonders wenn auch der Schriftsteller selbst in die virtuelle Realität eintaucht.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Andy S. Falkner
Science Fiction virtuell
Science Fiction Extract
Megalomane und Gigantophobe, Band 21
Text & Bild © Andreas Solymosi
Umschlaggestaltung: Judith Solymosi, nach einem Gemälde-Motiv von Vera Solymosi-Thurzó
Einige Darstellungen stammen aus Wikipedia
Alle Rechte vorbehalten
Schriftsteller der Zukunft arbeiten anders als Thomas Mann: Ihre intelligenten Agenten und Avatare produzieren multimediale Werke, in die man je nach Interesse und Bildungsgrad oberflächlich oder tief eintauchen kann. Auch mitspielen, besonders wenn auch der Schriftsteller selbst in die virtuelle Realität eintaucht.
In diesem Roman bin ich Schriftsteller. Ein erfolgreicher, wenn auch keine Weltgröße, nicht einmal weltbekannt. Aber erfolgreich, zumindest so weit, dass ich ganz gut davon leben kann. Freilich muss ich dafür hart arbeiten. Ich schreibe Trivialliteratur, in großer Menge: Jährlich 2-3 voluminöse Werke erscheinen von mir – nicht in Buchform, sondern im Internet, die man auf elektronischem Papier liest und ansieht. Ich lebe nämlich in der Mitte des 22. Jahrhunderts, wo man keine Bücher mehr druckt, wohl aber sie (wieder) liest – oder zumindest hört, lesen lässt (das elektronische Papier ist in der Lage, den Text auch vorzulesen). Meine Bücher enthalten nicht nur Texte, sondern sind multimediale Werke. Mit vielen Bildern, Musik, Videoclips. Diese stelle ich nicht selber her, sondern eine Mannschaft, die von meinem Verlag beschäftigt wird – ich schreibe nur den Text und plane das ganze Buch. Manchmal zeichne ich dies und das, aber das kann ich nicht so gut. Was ich gut kann, ist das Ergebnis meiner intensiven Phantasie und überdurchschnittlichen Produktivität. Dazu gebrauche ich in hohem Maße die moderne Computertechnik: sowohl um mein Werk herzustellen als auch um das Material zu sammeln. Ich setze meine Romane gerne auf historische Szenen, aber ich schreibe oft auch Science Fiction oder Geschichten in besonderen, gar extremen Umgebungen wie im lebensfeindlichen Hochgebirge oder im kochenden Gewässer im Inneren von Unterseevulkanen. Hierzu brauche ich viel Information, die ich aus Datenbanken einsammle, besser gesagt, einsammeln lasse. Im Laufe der langen Jahre meiner Tätigkeit habe ich gelernt, mich verschiedener Dienste und Agenten zu bedienen und sie auf meine Bedürfnisse zu konfigurieren. Oder zum Beispiel schreibe ich meine Romane nicht auf traditionelle Weise von vorne nach hinten, sondern von oben nach unten: Zuerst skizziere ich die ganze Geschichte in groben Zügen, ich schreibe ein Extract, dann fange ich an, sie zu verfeinern; ich baue Notizen ein, springe hin und her im Ganzen, und Stück für Stück komme ich zu den Details. In der Zwischenzeit weise ich meine Agenten (das sind spezielle, manchmal überraschend intelligente Computerprogramme) an, zu bestimmten Themen Daten zu sammeln. Das Ganze tue ich nicht nur tippen, sondern auch diktieren, per Hand steuern. Ich arbeite oft mit komplexen Makros, wobei eine einzige Anweisung eine ganze Reihe von Aktionen auslöst. Die letzten Schliffe erledige ich auch nicht selbst, sondern mein semantisches Prüfprogramm, das nicht nur die eventuellen Rechtschreib- und Stilfehler korrigiert, sondern auch die logischen Widersprüche und Mängel aufdeckt.
Dann, wenn die Textversion (oder ein Kapitel) mehr oder weniger fertig ist, skizziere ich auf ähnliche Weise die visuellen und akustischen Ergänzungen. Weil ich kein bildender Künstler bin, werden diese von anderen Mitgliedern meiner Mannschaft vollendet. Aber ein historisches Foto von der Originalszene, gefunden vom Agenten, oder ein Ausschnitt aus einem (vielleicht 200 Jahre alten) Film mit einem ähnlichen Thema kann viel im multimedialen Aufbau helfen. Der letzte Schritt ist, die Clips zu generieren. Damit kann ich auch ganz gut umgehen, weil ich in die von den Künstlern ausgearbeiteten Szenen meine Avatare (die vom Computer generierten Figuren) einsetze, bewege und meine Texte in ihren Mund gebe. Nur bei sehr erfolgreichen (und für sehr großen Erfolg vorgesehenen) Romanen ist es bezahlbar, einzelne Szenen von echten, lebendigen Schauspielern spielen zu lassen oder gar das Ganze zu verfilmen. Der Sinn der Clips ist sowieso nur, Interesse zu wecken: Wir wollen, dass der Konsument den ganzen (oder fast den ganzen) Text kennen lernt. In welchem Maße er dazu bereit ist, hängt von seinem Bildungsgrad ab – ich liefere ihm auf jeden Fall das komplette Buch. Natürlich nur auf der Ebene der Allgemeinbildung des 22. Jahrhunderts: Mit Thomas Mann oder Dante kann ich nicht, will ich auch nicht konkurrieren.