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Woher weiß ich all das, was ich weiß? Vor allem das, was ich eigentlich überhaupt nicht wissen kann. Schizophrenie? Dämonen? Aliens? Mossad? Mit dieser (nahezu) Allwissenheit kann ich leicht eine Professur bekommen; ich könnte sogar Herrscher der Welt werden. Ich habe schon damit angefangen, Israel aufblühen zu lassen. Aber es scheint höhere Ziele im Leben zu geben, für die ich sogar diese Perspektive opfere.
Wenn sie mich auswählen, um der Herr der Welt zu werden, aber ich keine Lust dazu habe, was werden sie tun? Sie lassen mich und suchen sich jemanden anderen. Aber wenn sich dies zu spät herausstellt und ich schon viel zu weit bin, dann kann ich vielleicht ihre Pläne durchkreuzen.
Wie es vorne ist, das wissen wir schon, sogar doppelt. Aber wie ist es wohl hinten?
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Veröffentlichungsjahr: 2019
Andy S. Falkner
Vorne und hinten
Trilogie (in einem Band) Science Fiction Memoirs
Text & Bild © Andreas Solymosi
Umschlaggestaltung: nach einem Gemälde-Motiv von Vera Solymosi-Thurzó
Einige Abbildungen stammen aus Wikipedia
Alle Rechte vorbehalten
Woher weiß ich all das, was ich weiß? Vor allem das, was ich eigentlich überhaupt nicht wissen kann. Schizophrenie? Dämonen? Aliens? Mossad? Mit dieser (nahezu) Allwissenheit kann ich leicht eine Professur bekommen; ich könnte sogar Herrscher der Welt werden. Ich habe schon damit angefangen, Israel aufblühen zu lassen. Aber es scheint höhere Ziele im Leben zu geben, für die ich sogar diese Perspektive opfere.
Wenn sie mich auswählen, um der Herr der Welt zu werden, aber ich keine Lust dazu habe, was werden sie tun? Sie lassen mich und suchen sich jemanden anderen. Aber wenn sich dies zu spät herausstellt und ich schon viel zu weit bin, dann kann ich vielleicht ihre Pläne durchkreuzen.
Wie es vorne ist, das wissen wir schon, sogar doppelt. Aber wie ist es wohl hinten?
Ich wusste immer schon, dass ich anders bin. Aber ich habe nie mit jemandem darüber gesprochen. Nein, an Mädchen war ich immer interessiert, und ich wollte auch nie mein Geschlecht ändern, es geht um nichts dergleichen. Mein Aussehen ist auch in Ordnung; zwar habe ich eine etwas zu große Nase, so dass ich auch für einen Juden gehalten werden kann, aber damit hatte ich nie ein Problem. Mein Anderssein ist also etwas anders als bei allen anderen Anderen. Dass ich mit niemanden darüber sprechen sollte, wusste ich anfangs instinktiv, später wurde mir klar: Das soll mein Geheimnis bleiben.
Wenn mich jedoch jemand gründlicher angesehen hätte, wäre ich ihm vielleicht etwas eigenartig vorgekommen. Aber meine Eltern waren mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, Freunde hatte ich nur hie und da, sie waren nur Mittel zum Zweck des Verbergens: Ich versuchte möglichst wie die anderen zu sein und mich wie sie zu verhalten. Meine Lehrer waren meistens zufrieden mit mir, weil ich alles wusste, was ich sollte, oder zumindest fast alles. Ich habe es bloß einige Male versiebt, nur um mich zu tarnen: Ich wollte nicht herausstellen, in welchem Maße ich Klassenbester bin und sogar der Primus der Schule. Natürlich nicht in Sport oder in Musik – da war ich ziemlich durchschnittlich oder eher ein bisschen darunter. Aber was ich wissen musste, das wusste ich. Ich wusste nicht einmal selber, woher.
Zumindest am Anfang. Als ich mich entscheiden musste, ob ich meiner Mutter frech widersprechen oder mich mit dem Nachbarskind anlegen sollte, ahnte ich, was richtig war. Natürlich verhielt ich mich nicht immer dementsprechend, aber damals vermutete ich nur, dass ich nicht perfekt erscheinen sollte. Bei der Beantwortung verschiedener Fragen im Kindergarten und in der Vorschule (beim Rechnen oder wer wohl den Wolf getötet hat) fiel es mir jedoch oft schwer, mich nicht als Erster zu melden. Die Antwort leuchtete meistens in meinen Gedanken auf, aber gleich mit der Warnung, nicht unter den anderen aufzufallen.
Das lernte ich langsam, und so überstand ich meine Kindheit ohne jegliche Anstrengung. Sogar jetzt, wenn ich so zurückblicke, sehe ich, dass ich mir zu dieser Zeit auch eine überdurchschnittliche soziale Kompetenz angeeignet habe, obwohl mein Interesse an den Menschen (im Gegensatz zu anderen sozial Kompetenten) eher moderat ist; eigentlich sind sie mir egal. Aber ich ahnte (später sogar wusste) immer, wie ich mit ihnen umgehen sollte, um sie für meine Zwecke zu gewinnen (spielen, gemeinsames Programm vornehmen, später nach Mädchen jagen). Dies ging mir in Fleisch und Blut über, und ich musste mich später gar nicht mehr auf solche Vermutungen verlassen.
Zum ersten Mal bekam ich etwas Angst vor der ganzen Sache, als ich dreizehn war und von Bewusstseinsspaltung hörte; zuerst dachte ich, ich litt an dieser psychischen Krankheit. Aber das Wissen explodierte sofort in mich hinein: Nein! Da wunderte ich mich zum ersten Mal, woher wohl. Ich konnte sofort antworten: von hinten. Dies kam jedoch nicht von hinten, das wusste ich vorne.
Von da an differenzierte ich bewusst, was ich vorne wusste und was hinten. Ich stellte fest: Vorne wusste ich all das, was ich zuvor erlebt oder gelernt hatte, was auch andere wissen. Hinten jedoch nur Dinge, die ich vorne nicht einmal wissen konnte; zum Beispiel die Hausaufgabe, die ich gar nicht gelernt hatte oder was ich wohl an diesem Mädchen so sehr mochte und wie ich sie als Freundin gewinnen könnte. So war es kein Wunder, dass ich ohne große Mühe die Schule absolvierte, wenn auch nicht mit außergewöhnlichen aber hervorragenden Ergebnissen. Auch in meinen sozialen Beziehungen empfand ich keinen Mangel. Zum Beispiel war es mir klar, dass ich nicht zu den attraktivsten Jungen gehörte, und ich kaum ein Mädchen durch Pfeifen oder obszöne Worten erobern würde. Aber bald entdeckte ich, welche mich für mein großartiges Gehirn bewunderten und wie ich ihnen meine überdurchschnittlichen Erkenntnisse über die Zusammenhänge der Wirklichkeit am effektivsten präsentieren konnte. In solchen Freundschaften beachtete ich dann auch, dass ich am Ende nicht zu viel Schmerz verursachte, mir selbst auch nicht – so beendete ich sie nach einigem Vergnügen meistens bald. Meine soziale Kompetenz entwickelte sich weiter.
Das Wissen von hinten musste ich immer separat abrufen. Dies bedeutete eine leichte Verzögerung (vielleicht 10 Sekunden) gegenüber dem Wissen vorne; vielleicht kann ich sagen, ich musste fragen. Die Antwort kam meistens, aber nicht immer. Zum Beispiel, wie das alles funktionierte und warum, niemals. Und ob das auch manche anderen Menschen hätten, und wenn nicht, wieso lief es gerade bei mir? Aber es war klar, dass dies immer ein Wissen war, das mir normalerweise nicht zur Verfügung stand. Selten gab es Dinge, die ich auch hinten nicht wusste. Manchmal kam es sogar vor, dass ich mangels Antwort begann, darüber nachzudenken, und dann fiel es mir vorne ein.
Es war gut, immer der Schlaueste, der Klügste zu sein, und sogar noch klüger als ich mich zeigte. Ich wusste, dass ich mehr wusste als der Rest, und es war besser, das für mich zu behalten. Von meiner Klugheit veröffentlichte ich nur so viel, wieviel mir für mein unauffälliges Vorwärtskommen notwendig schien. Wie viel das ist, das wusste ich hinten immer genau.
Also, nach dem Abitur kam ich zu einer der besten Universitäten, und ich konnte sogar wählen. Ich wählte diejenige, wo es eine Chance auf ein Stipendium gab, damit ich mich nicht fürs Leben verschuldete – meine Eltern, die inzwischen schon geschieden waren, hätten kaum eine so teure Ausbildung finanziert. Natürlich musste ich um das Geld kämpfen, und hier muss ich zugeben, ich schlug meine Konkurrenten haushoch. Es war nicht schwer, da alle Antworten sofort von hinten kamen.
Meine Universitätsjahre waren die wichtigsten beim Aufbau meiner Karriere, wie bei vielen anderen auch. Gleich zu Anfang lief ich durch die besten Klubs, Vereine, Studentenverbände der Eliteschule; zu manchen musste ich gar nicht selber gehen, sie suchten die Stipendiaten auf. In so einer Efeu-Hochschule gibt es nämlich vier Klassen von Studenten: die Reichen, die wegen der Großspende ihres Vaters zugelassen wurden, oder selbst wenn nicht, für die Studiengebühren aufkommen können. Es gibt dann die mit hohem Selbstvertrauen, die das Risiko eingehen und sich auf die legitime Erwartung hin verschulden, dass ein so nobler Abschluss ihnen später einen guten Job und jede Menge Geld einbringen würde. Dann gibt es die Armen, die Minderheiten und die Sportler, die Stipendien auf dieser Grundlage erhalten; und dann gibt es die echten Stipendiaten, die dies auf der Grundlage ihrer Leistung (das heißt, ihres Könnens) erhalten. Diese letztere Klasse kann frei wählen, zu welchem Klub man gehören möchte; sie werden von den meisten umworben.
Ich entschied mich für die Makkabäus-Gesellschaft – die Empfehlung kam von hinten. Obwohl ich trotz meiner großen Nase kaum jüdisches Blut in mir habe (zum Glück eher mütterlicherseits), war es überraschend leicht, von der israelischen Botschaft und von verschiedenen jüdischen Gemeinden Bestätigungen über die Dazugehörigkeit meiner (oft nur eingeheirateten) Groß- und Urgroßeltern aller Art zu besorgen – vielleicht auch nur wegen des Briefkopfs der Universität auf meinen Anträgen. Ich vermute, dass diese Anträge auch von der Makkabäus-Gesellschaft angeschoben wurden, da auch sie eine Zukunft darin sahen, dass ich mich bei ihnen verpflichten sollte.
Diese anfänglich nur kleine Finanzgruppe legte zunächst das Geld von Jerusalemer Kleinbürgern mehr oder weniger legal im reichen Amerika an, dann wuchs sie aber schnell und mit der Zeit gewann sie einen kleinen wirtschaftlichen Einfluss, vor allem in der Unterstützung von Unternehmen, die in beiden Ländern tätig waren. Sie erkannten früh, dass es sich lohnt, in intellektuelles Kapital zu investieren; schon auch deshalb, weil sich die besten Köpfe der Welt in Israel befinden. Selbst diejenigen, die anderswo leben, sind meistens Juden, die kaum einen Job an der Universität von Tel Aviv oder gar im geheimen Forschungsteam des Mossad ausschlagen würden. Deshalb streifen die Makkabäer durch die efeubewachsenen Universitäten, und so kamen sie zu mir. Als ich tiefer ihre Aktivitäten durchblickte, wurden sie mir immer sympathischer, und es wurde mir klar, dass sich mein Platz unter ihnen befand. Diese Gewissheit kam von hinten.
Hier wusste ich auch, dass es besser war, nicht jeden Zusammenhang aufzudecken und nachzuforschen, wieso ich so schnell auf der akademischen Leiter emporstieg, dass ich eine feste Stelle schon im Alter von dreißig Jahren hatte. Ich könnte dies meinen Leistungen zuschreiben, zumindest wenn ich mein Maximum geboten hätte, dann wäre es offensichtlich. Aber wie immer, hielt ich mich zurück, und ich war zwar immer unter den Besten, aber nicht immer der Erste.
Weder für mich noch für die Makkabäus-Gesellschaft war die akademische Karriere das Eigentliche, sondern der Einfluss. Eine solche Professur konnte jedenfalls für diesen Zweck gut gebraucht werden. Und natürlich war es auch nicht egal, für welche Forschungsprogramme wir öffentliche Gelder erhielten und wie wir dort die neu rekrutierten Makkabäus-Studenten hineinschmuggeln konnten, die bereits ihre zukünftigen Arbeitsplätze in Israel hatten, vielleicht sogar beim Mossad. Die Gesellschaft, wie es mir inzwischen schon offensichtlich war, wollte ihren spektakulär wachsenden Einfluss für dieses kleine Land nutzen.
Ich persönlich als Wirtschafts- und Finanzexperte hatte nicht viel Platz in diesen meist ingenieurmäßigen Forschungsprogrammen; umso mehr wurde mein Wissen über strategische Entscheidungen genutzt. Darin spielte auch meine Freundschaft mit Andy eine wichtige Rolle.