Sechsmal Geisterschock: 6 klassische Gruselkrimis - W. A. Hary - E-Book

Sechsmal Geisterschock: 6 klassische Gruselkrimis E-Book

W. A. Hary

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Beschreibung

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe. (499) Dieser Band enthält folgende Romane von W.A.Hary: Fürst des Schreckens W.A.Hary: Der Fluch des Irren W.A.Hary: Wege des Grauens W.A.Hary: Finale im Geisterhaus W.A.Hary: Dämonen in London W.A.Castell: Ruf der Verdammten

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W.A.Hary, W.A.Castell

Sechsmal Geisterschock: 6 klassische Gruselkrimis

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Inhaltsverzeichnis

Sechsmal Geisterschock: 6 klassische Gruselkrimis

Copyright

W. A. Hary Fürst des Schreckens

W. A. Hary Der Fluch des Irren

​W. A. Hary Wege des Grauens

​W. A. Hary Finale im Geisterhaus

​W. A. Hary Dämonen in London

Ruf der Verdammten

Sechsmal Geisterschock: 6 klassische Gruselkrimis

W.A.Hary, W.A.Castell

Mark Tate ist der Geister-Detektiv. Mit seinem magischen Amulett, dem Schavall, nimmt er es mit den Mächten der Finsternis auf und folgt ihnen in andere Welten und wenn es sein muss, bis in die Hölle. Ihm zur Seite steht May Harris, die weiße Hexe.

Dieser Band enthält folgende Romane

von

W.A.Hary: Fürst des Schreckens

W.A.Hary: Der Fluch des Irren

W.A.Hary: Wege des Grauens

W.A.Hary: Finale im Geisterhaus

W.A.Hary: Dämonen in London

W.A.Castell: Ruf der Verdammten

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author /

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

W. A. Hary Fürst des Schreckens

„ Die unheilvolle Allianz der magischen Art!“

Es war ein seltsames Gefühl, als ich erwachte. So, als sei ich gerade eben erst neu geboren worden. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mein Kopf war ungewöhnlich klar, sämtliche Nebel und Wirrnisse scheinbar beseitigt. Das erzeugte ein unbeschreibliches Glücksgefühl.

Ja, der Wahnsinn hatte anscheinend eine Ende. Oder… gehörte auch dies hier nur wieder zu den Wahnvorstellungen, die mir diese Droge bescherte? Wollte der Fürst des Schreckens sich nur wieder an meinem Leid laben?

Mich umgab Helligkeit, aber ich konnte dennoch nichts sehen.

Kein Wunder, und es fiel mir jetzt erst auf: Ich hatte ja die Augen geschlossen!

Ganz vorsichtig öffnete ich sie, wenngleich nur einen winzigen Spalt. Weil ich wieder namenlose Schrecken erwartete.

Meine Gedanken durchrasten meinen Schädel wie auf einer endlosen Achterbahn. Ich konnte mich an alles erinnern. Nein, an fast alles. Die letzte Erinnerung… Da befand ich mich in einem Taxi, auf dem Weg zu meinem Freund und Partner Don Cooper, der sich angeblich gemeinsam mit seiner Freundin Lydia Hamilton in seiner Wohnung befand.

Und ich war nicht lange davor in der Wohnung von Lydia Hamilton erwacht. Wie auch immer ich überhaupt dorthin gelangt war: Alles war dermaßen realistisch erschienen. Bis ich die Leiche des Staatsanwaltes in der Wohnung entdeckt hatte und daraufhin eigentlich völlig unlogisch und absolut nicht so reagierte, wie es meiner gebührte. Auf dem Höhepunkt hatte ich den armen Hausmeister ins Koma geschlagen, mit einem Schürhaken. Und ich war geflohen.

Hatte mir die wiedererwachte Leiche des Staatsanwaltes nicht gesagt, wo ich Don und seine Freundin finden konnte? War ich nicht deshalb in jenes Taxi gestiegen und hatte mich auf den Weg gemacht?

Und wieso lag ich jetzt stattdessen hier in einem Bett?

Und das spürte ich ganz deutlich, dass ich in einem weichen, bequemen Bett lag.

Wie war ich überhaupt hierher gekommen?

Die Taxifahrt lag meiner Erinnerung nach nur Sekunden zurück. Irgendwie schien ich ein weiteres Mal das Bewusstsein verloren zu haben. Wie auch immer. Und hatte man mich dann hierher gebracht? Vielleicht hatte sich der Taxifahrer einfach nur Sorgen gemacht um mich und hatte den Notarzt gerufen?

Ich musste mich vergewissern. Dazu musste ich die Augen ganz öffnen, nicht nur einen winzigen Spalt breit. Wie sollte ich denn anders erkennen, wo ich mich befand?

Ich riss die Augen auf und starrte über mich an die weiße Decke.

Aus den Augenwinkeln gewahrte ich, dass Menschen um mich herum standen.

Ein Blick zur Seite.

Nicht irgendein Mensch geriet in mein Blickfeld, sondern der mir durchaus bestens bekannte Sergeant Benders.

Er lächelte verkrampft.

„Willkommen unter den Lebenden, Mr. Tate!“, begrüßte er mich.

Das klang ungewöhnlich in meinen Ohren. Was meinte er? Gab es da noch etwas, was ich noch gar nicht wissen konnte? Vielleicht hatte ich mit dem Taxi sogar einen Unfall gehabt und erwachte jetzt hier, nachdem mich die Ärzte wieder zusammengeflickt hatten?

Nein, dann hätte ich mich in meiner Beweglichkeit beeinträchtigt fühlen müssen. Aber da war keine Beeinträchtigung, nicht einmal eine spürbare Erschöpfung. Ich fühlte mich eben so, als sei ich soeben erst wieder neu geboren worden.

Doch ich war nach wie vor Mark Tate, der Teufelsjäger. Sonst hätte mich Benders nicht mit meinem Namen angesprochen.

Ich schaute zur anderen Seite.

Ärzte!

Also befand ich mich in der Tat im Krankenhaus.

Was war passiert?

„Eine ganze Menge!“, antwortete Benders.

Seit wann konnte er meine Gedanken lesen? Oder hatte ich die Frage unbewusst laut ausgesprochen?

Ich schaute ihn überrascht an.

Er schüttelte den Kopf. Dann machte er ein beschwichtigendes Zeichen mit beiden Händen.

„Als der Konstabler Alarm schlug, begab ich mich persönlich an Ort und Stelle. Sie haben sich recht seltsam benommen, Mr. Tate, wenn ich das so sagen darf. Sie waren überhaupt nicht mehr Herr Ihrer Sinne, und es wurde immer schlimmer, wie uns schien. Wir mussten sie mit fünf Mann festhalten und sogar in eine Zwangsjacke stecken lassen.

Der Konstabler hat uns aufgeklärt: Sie haben ihm gegenüber anscheinend etwas von einer unbekannten Droge erwähnt, und auch, wo man Ihnen diese gegen Ihren Willen verabreichte. Natürlich habe ich eine sofortige Razzia in jener Spelunke durchführen lassen. Ich kann Ihnen allerdings nur sagen, dass wir keinerlei Erfolg dabei hatten.“

„Und was ich mit meinem Freund und Partner Don Cooper?“

„Den haben wir jedenfalls vor Ort nicht angetroffen. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, wo sich Don Cooper befindet. Ich ließ Sie jedenfalls sofort hierher ins Krankenhaus bringen. Ich kann Ihnen sagen, ohne die Hilfe der Ärzte hätten Sie womöglich gar nicht überlebt. Sie hatten wahrlich alle Hände voll zu tun. Obwohl sie bis jetzt immer noch nicht sagen können, um welche Droge es sich überhaupt handelte. So etwas hatten sie jedenfalls noch nie zuvor erlebt, in ihrer ganzen Laufbahn nicht. Dabei waren Ihre Gehirnaktivitäten dermaßen intensiv, dass die Ärzte annahmen, Sie würden in einer Art Traumwelt leben, gewissermaßen eingeschlossen im eigenen Körper. Es müssen ziemlich drastische Erlebnisse gewesen sein, Ihren körperlichen Reaktionen nach zu urteilen. Aber jedes Gegenmittel, das die Ärzte Ihnen verabreichten, bewirkte das genaue Gegenteil: Es wurde nur noch schlimmer. Ohne künstliche Beatmung und ähnliche Maßnahmen wäre es längst aus und vorbei mit Ihnen. Auf diese Weise haben sie um Ihr Leben gekämpft und letztlich sogar gesiegt…“

„Moment mal“, vergewisserte ich mich mit angehaltenem Atem: „Soll das heißen, ich war die ganze Zeit über in Ihrer Obhut? Ich war genau dort, wo ich das Bewusstsein verloren habe, nämlich bei dem Konstabler, und dann…“

„Ja!“, bestätigte der Sergeant.

Ich atmete erleichtert auf: Die Leiche des Staatsanwaltes, der arme Hausmeister, den ich niederschlug… Alles nur Wahnvorstellungen, nichts weiter.

Ich hätte mir nie zuvor vorstellen können, dass mich Wahnvorstellungen dermaßen freuen könnten, aber allein angesichts der Tatsache, dass es keinen von mir brutal niedergeschlagenen Hausmeister gab…

Ich konnte jetzt sogar auflachen.

„Ich kann Ihnen gar nicht genug danken, Sergeant Benders! Die Tatsache, dass alles dies, das ich seit jenem Zeitpunkt erlebte, nicht in Wirklichkeit sich abgespielt hat…“

Aber dann erinnerte ich mich wieder der Worte des toten Staatsanwaltes, der ja behauptet hatte, Don Cooper sei in seiner Wohnung, gemeinsam mit seiner Freundin Lydia Hamilton.

Dann stimmte das etwa überhaupt nicht?

Aber was war denn dann aus Don Cooper geworden, wenn man ihn nicht in jener Spelunke vorgefunden hatte? Immerhin hatte ich ihn dort das letzte Mal gesehen.

Ich machte mir jetzt ernsthaft Sorgen um ihn. Sicherlich aus gutem Grund.

*

Die Situation war eindeutig. Die Hexe war ihm über. Don Cooper sah keine Chance mehr für sich.

„Niemand kann dich hören, und niemand kann dir helfen.“

Sie quietschte vor Vergnügen.

„Du bist mir ganz und gar ausgeliefert, Don Cooper, bis in alle Ewigkeiten. Oh, ich kenne noch ein paar ganz tolle Spielchen. Macht es dir nicht auch Spaß? Haha, hier findet dich kein Mensch!“

Sie verwandelte sich in eine uralte Frau.

Erst da sah Cooper, dass sie überhaupt kein Kleid angehabt hatte. Was wie ein Kleid ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit Bestandteil ihres amorphen Körpers gewesen.

Die alte Hexe hatte zentimeterlange Fingernägel. Kichernd beugte sie sich zu ihm hinab.

Don Cooper schloss die Augen, damit ihn eine gnädige Bewusstlosigkeit in ihre Fänge nehmen konnte. Aber diese Bewusstlosigkeit konnte und wollte nicht kommen. Doch er spürte seltsamerweise auch die messerscharfen Fingernägel nicht.

Er riss die Augen wieder auf. Es hatte keinen Sinn, sozusagen zum freiwilligen Opfer zu werden. Die Droge machte ihm enorm zu schaffen. Sie lähmte seine Kräfte, aber noch immer nicht so stark, dass er wirklich keinerlei Chance mehr gehabt hätte. So etwas wie letzte Reserven waren ihm noch geblieben.

Und er erinnerte sich an das, was auf der Insel der Geisteraffen mit ihm passiert war. Zu diesem Zeitpunkt hatte zwar dieser ganz spezielle Daedrafürst nachgeholfen, der jetzt wohl mal wieder vor lauter Feigheit untergetaucht war, emsig bemüht, nur ja nicht ihrem Gegner aufzufallen…

Die Hexe war über ihm, nach wie vor. Die messerscharfen Nägel kamen auf ihn zu und bohrten sich unbarmherzig in sein Fleisch. Nicht nur in sein ungeschütztes Gesicht. Sie schlug ihre Nägel in seine Augen, die er weit offen ließ. Don Cooper blinzelte dabei noch nicht einmal.

Er hatte gesehen, wie die Hexe sich verwandelt hatte. Das Ganze hier um ihn herum… Das waren seines Erachtens eher Wahnvorstellungen, die nicht unbedingt der Wirklichkeit entsprachen. Diese Wirklichkeit sah vielleicht völlig anders aus.

Und er hatte tatsächlich nur noch diese eine Chance, sich gegen die Auswirkungen der Wahnsinnsdroge zu wehren, eben durch sein Verwandlung.

Sogleich spürte er diese unvorstellbaren Schmerzen, die seinen Körper durchrasten, ausgelöst durch die Verwandlung. Gleichzeitig jedoch wurden die Auswirkungen durch die messerscharfen Fingernägel der alten Hexe vollkommen unwirksam. Das hieß: Sie verlor jegliche Macht über ihn.

Don Cooper bäumte sich auf. Im wahrsten Sinne des Wortes. Er wuchs gedankenschnell heran, verwandelte sich brüllend und in Sekundenbruchteilen in ein Muskelmonster, das mit dem sagenhaften Hulk der Comicserie eigentlich alles gemeinsam hatte, außer der Hautfarbe.

Seine Kleider zerrissen wie nasses Papier. Fetzen flogen davon. Nur um die Hüften herum blieb ein Rest von Kleidung, denn dort veränderte er sich am wenigsten.

Die Hexe fuhr erschrocken zurück – und begann wieder, sich zu verwandeln.

Don Cooper spürte die Kräfte, die ihn erfüllten und die unbarmherzigen Schmerzen wieder vertrieben.

Waren es diese Schmerzen beziehungsweise die Erwartung der Schmerzen, die dafür sorgten, dass er sich nicht willentlich in jenen Hulk verwandeln konnte? War diese Verwandlung wirklich nur dann möglich, wenn es absolut keinen anderen Ausweg mehr gab?

Hätte er sich jetzt nicht verwandelt, hätte die alte Hexe ihn tatsächlich mit ihren messerscharfen, stahlharten Fingernägeln regelrecht zerfleischt. Es wäre sein Ende gewesen. Endgültig. Sie hatte vor diesem unausweichlich erscheinenden Ende nur noch ein wenig mit ihm spielen wollen, voller Sadismus. Sie hatte ihn quälen wollen. Und jetzt hatte sie einfach genug gehabt und ihrem Wirken ein blutiges Ende setzen wollen.

Eine ganz klare Fehlplanung, wie Don Cooper jetzt sarkastisch bemerkte.

Mit seinen übergroßen Pranken griff er nach der alten Hexe, die jetzt wie eine hilflose Puppe anmutete. Sie hatte allen Schrecken für ihn endgültig verloren.

Aber sie war nicht mehr die Hexe, die ihn attackiert hatte, sondern sah jetzt aus wie Sir Archibald Gronwell, der Staatsanwalt.

Nur vorübergehend, denn jetzt zeigte auch dieser sein eigentliches Wesen: Der untote Körper des Staatsanwaltes wurde beherrscht von einem Fürsten des Schreckens, genauer, einem Daedrafürsten. Nicht der Sorte wie derjenige, der für die erste Verwandlung von Don Cooper über der Insel der Geisteraffen gesorgt hatte, sondern als die Inkarnation des wahrhaft Bösen. Des Bösen nicht nur auf Erden sondern auch dort, woher er stammte, nämlich dem Daedrareich.

So eine Art parallele Erde, dort stammst du ursprünglich her!, dachte Don Cooper, packte seinen Widersacher, um ihn zu zerquetschen wie eine matschige Kartoffel, doch im nächsten Augenblick waren seine übergroßen Hände leer: Der Daedra hatte sich gerade noch rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Er war hinweg teleportiert.

Und jetzt hatte sich auch die unmittelbare Umgebung verändert.

Natürlich war er nicht mehr in dem Gebäude, in dem sich die Spelunke befand. Irgendwie hatte es der Daedra während seines sadistischen Spieles geschafft, ihn in eine Art Lagerhalle zu entführen. Diese Halle war überwiegend leer, und die Wände, die es vorher gegeben hatte, verpufften ganz einfach, als wären sie tatsächlich nur ein Trugbild gewesen, erzeugt durch seinen von der Wahnsinnsdroge umnebelten Verstand.

Aber es war sicherlich mehr als nur ein Trugbild gewesen. Durch die Macht des Daedrafürsten hatten sich diese Wände, ja, der gesamte Raum, in dem Don sich wiedergefunden hatte, regelrecht manifestiert. Bis zu einem gewissen Grad zumindest. Und den Rest hatte eben die Wahnsinnsdroge besorgt.

Eine Droge, die jetzt keine Wirksamkeit mehr hatte.

Don Cooper stampfte in seiner monströsen Hulkgestalt zum Tor. Es war natürlich abgeschlossen.

Aber Don hatte keine Lust, sich um die reguläre Öffnung zu kümmern. Er schlug einmal kurz mit dem Ellenbogen zu, und das gesamte Tor, in seiner kompletten Größe, platzte einfach aus dem Rahmen.

Don stampfte darüber hinweg.

Er fand sich im Hafengelände wieder. Kein Mensch war zu dieser nachtschlafenden Zeit zu sehen. So wurde auch niemand Zeuge der eigentlich spektakulären Ereignisse.

Dann verwandelte sich Don Cooper wieder zurück in seine normale Gestalt. Er musste nicht länger ein Hulk bleiben, um überleben zu können. Von der Wahnsinnsdroge und dem Fürsten des Schreckens fehlte jegliche Spur.

Ich habe es geschafft!, dachte er und wollte es gar nicht selber glauben.

Doch dann besann er sich. Er eilte in die Halle zurück, um sein Mobiltelefon zu suchen. Und natürlich seine Brieftasche. Seine Kleider waren zwar für immer ruiniert, aber zumindest diese Utensilien galt es noch zu retten. Falls sie überhaupt noch zu retten waren.

Don Cooper fand sogar einen Lichtschalter, und als die Hallenbeleuchtung aufflammte, musste er sekundenlang geblendet die Augen schließen, ehe er sich orientieren konnte.

Das Gesuchte wurde rasch gefunden.

Glück gehabt: Beides war unbeschädigt.

Don Cooper fand sogar auch noch seine Wagenschlüssel, an die er zunächst gar nicht gedacht hatte.

„Umso besser!“, murmelte er zerknirscht vor sich hin, und dann benutzte er sein Telefon, um Lydia Hamilton, seine Freundin, anzurufen.

„Gottlob!“, seufzte sie. „Ich habe mir schon echt Sorgen gemacht um dich.“

„Nicht ohne Grund“, gab Don zerknirscht zu. In kurzen Stichworten erklärte er dann: „Ich habe Mark gefunden, in einer üblen Kneipe. Dann wurde mir ein Drogendrink eingeflößt. Ich wurde entführt, aber jetzt ist es mir gelungen, mich zu befreien.“

„Wie bitte?“

„Hör zu, das habe ich dir noch nicht erzählt, aber ich will es dir nicht mehr länger verheimlichen: Neuerdings geht da etwas mit mir vor. Äh, wie soll ich mich ausdrücken…? Äh, kennst du dieses Comic vom unglaublichen Hulk?“

Sie bestätigte.

„Ja, so etwas Ähnliches musst du dir vorstellen. Das heißt, wenn ich wirklich in einer absolut ausweglosen Situation bin, kann es sein, dass ich mich in so ein Ungeheuer verwandele. Aber ich bleibe dabei Herr meiner Sinne, werde also sozusagen nur äußerlich zu einem Monster. Allerdings habe ich danach das Problem, beinahe nackt zu sein.“

„Nackt?“, rief sie alarmiert.

„Außer eben um die Hüfte herum. Äh, ich meine, ich könnte jetzt meinen Wagen suchen und damit zurückfahren, aber wenn ich unterwegs in diesem Aufzug hier auffalle, könnte das zu Missverständnissen führen. Genauso könnte es Probleme geben, wenn ich die Polizei einschalte. Ich nehme an, dass die inzwischen sowieso längst die Spelunke durchsucht hat. Hier, in der Lagerhalle, wo man mich festgehalten hat, da gibt es natürlich keine Spur des Entführer. Dafür gibt es Spuren meiner Verwandlung. Die müssen ja nicht unbedingt gefunden werden von der Polizei, nicht wahr?“

„Des Entführers? Soll das heißen, es war nur einer?“

„Ja, nur einer“, gab Don Cooper zerknirscht zu. „Aber kein gewöhnlicher, wie ich dir verraten darf. Aber könntest du mich bitte hier abholen? Dann kann ich es dir genauer berichtigen. Und bitte beeile dich – und vergiss nicht, mir passende Klamotten mitzubringen. Am besten fährst du daheim, bei mir, vorbei und suchst etwas aus.“

„In Ordnung, ich eile!“, versprach Lydia seufzend und hängte auf. Nicht bevor Don ihr auch noch die Adresse der Lagerhalle durchgegeben hatte.

Danach brauchte er nur zu warten.

Es tauchte niemand auf inzwischen. Anscheinend hatte der Fürst des Schreckens seine Untoten anderweitig im Einsatz. Oder aber er hatte sowieso geglaubt, mit Don allein fertig werden zu können. Sonst hätte er ihn ja gleich seinen Vasallen in jener Spelunke überlassen können, und Don war inzwischen überzeugt davon, dass zumindest ein Teil der Gäste und sicherlich auch der Wirt selber zum Syndikat der Untoten gehörte. Die Polizei hatte jedoch bei ihrer Razzia solches mit Sicherheit noch nicht einmal geahnt, geschweige denn enttarnt.

Wie denn auch? Die Untoten waren nicht von Lebenden zu unterscheiden, wenn man die Zeichen nicht erkannte.

*

Es war die Nacht der Nächte. Nicht nur für die unmittelbar Betroffenen, sondern eigentlich für die ganze Menschheit, denn wehe dieser, wenn es dem Fürsten des Schreckens tatsächlich gelang, am Ende zu siegen und seine Macht weiter auszubauen. So, wie er es plante.

Aber noch war er nicht so weit, dass es ihm gelingen konnte. Noch gab es so etwas wie Gegenwind.

Unter anderem durch einen Don Cooper, dem es nicht nur gelungen war, zu überleben, indem er sich gegen den Fürsten des Schreckens erfolgreich zur Wehr gesetzt hatte, sondern der sich jetzt wieder auf freiem Fuß befand, unangefochten zunächst. Und es gab auch noch anderen Gegenwind, von dem Don Cooper noch nicht einmal etwas ahnte. Geschweige denn ich, der ich mich zu diesem Zeitpunkt in den Fängen einer gnadenlosen Wahnsinnsdroge war, die mich zunächst einfach nicht mehr aus ihren Klauen lassen wollte, trotz Bemühen der wackeren Ärzte.

Dass es weiteren Gegenwind gab, war unter anderem und vielleicht sogar insbesondere einer Figur zu verdanken, die bislang sich stets erfolgreich im Hintergrund gehalten hatte. Ihrer Natur gemäß. Don hätte ihn nur mal wieder als feigstes Wesen bezeichnet, das ihm jemals begegnet war. Ich sicherlich ebenfalls. Andererseits waren die Gründe für seine Feigheit nicht ganz von der Hand zu weisen: Es erschien, objektiv betrachtet, geschickter, aus dem Unsichtbaren heraus zu agieren. Ohne die Aufmerksamkeit des Hauptgegners zu provozieren und damit ein unkalkulierbares Risiko heraufzubeschwören.

Nun, zu dieser Haltung, die Don eben Feigheit nannte, gehörte es auch, dass dieses Wesen auch gern andere für seine Zwecke einspannte. Diesmal nicht unmittelbar mich oder Don Cooper, sondern jemanden, den wir zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon außerhalb des makabren Spieles vermuteten. Obwohl er das ganz und gar nicht war.

Jenes feige Wesen hatte beschlossen, dass der Rolle des Bobby, des Sechzehnjährigen mit italienischer Abstammung, eine wahrhaft stärkere Bedeutung zukommen sollte.

Dieses feige Wesen war natürlich niemand anderes als „unser“ Daedrafürst. Er hatte es vermieden, auch nur den kleinsten Hinweis auf seinen wahren Namen zu geben. Was deutlich machte, dass man über seinen wahren Namen möglicherweise Macht über ihn erhalten konnte. Logisch, dass er dies vermeiden wollte. Das hatte nicht nur mit purer Feigheit zu tun. Dies musste sogar Don Cooper letztlich einsehen.

Jedenfalls hatte er sich bislang komplett im Hintergrund gehalten. Was allerdings nicht bedeutete, dass er nicht Bescheid wusste. So kannte er Bobbys Rolle durchaus, und natürlich auch die Rolle von dessen Großmutter.

Die betagte Großmutter Venturato war da zunächst sogar noch wesentlich wichtiger als Bobby selbst. Denn wenn es einen Weg zu Bobby gab, um diesen für die eigene Sache begeistern zu können, dann eben nur über dessen Großmutter.

Nicht auszudenken beispielsweise, wenn Bobby allein schon beim Anblick des Daedrafürsten nur mit Ablehnung reagieren würde. Und der Daedrafürst wusste sehr wohl, wie Menschen auf ihn reagierten, die nicht besonders darauf vorbereitet waren. Sogar ein Don Cooper konnte und wollte nicht glauben, dass er in Wahrheit auf der Seite des Guten war und keineswegs der Schreckliche, als der er erschien.

Dass natürlich auch Großmutter Venturato schier zu Tode erschrak, als er unmittelbar hinter ihr materialisierte und sich vernehmlich räusperte, war zwar ein wenig kalkulierbares Risiko, aber eins, das er leider eingehen musste. Wohl weil es weniger ein Risiko für ihn selber als mehr für die alte Frau war, die beim Herumfahren und bei seinem Anblick sich röchelnd an die Brust fasste, wo ihr betagtes Herz drohte, seine Arbeit für immer aufzukündigen.

Der Anfall dauerte nur Sekunden an, und spätestens, als der Daedrafürst sich vorstellte, eben als Daedrafürst, erlernte die geplagte Frau zumindest wieder das Atmen.

Sie schnappte nach Luft wie der viel zitierte Karpfen auf dem Trockenen.

Ihre Hand blieb in der mageren Brust verkrallt, während sie auf die Knie sank und bibbernd die grausige Erscheinung vor ihr anstarrte.

Sie wusste als Daedra-Kundige sehr wohl, dass ein Daedrafürst grausig anzusehen war, aber es war eine Sache, dies theoretisch begriffen zu haben, und es war eine völlig andere Sache, einen solchen Fürsten dann direkt vor sich stehen zu haben.

Aber stand er denn überhaupt? Schwebte er denn nicht knapp über dem Boden? War er denn überhaupt gegenständlich oder etwa nur eine Vision? Und wenn Letzteres: Wieso sorgte er dann nicht für ein gefälligeres Aussehen?

„Beides – sozusagen!“, antwortete der Fürst, der natürlich ihre Gedanken lesen konnte. „Und ich wenn ich dir jetzt ein gefälligeres Aussehen vorgaukeln würde, wäre ich dann nicht höchst unehrlich gegenüber dir?“

Das wurde der alten Frau bewusst, und vor allem, dass der Daedra offensichtlich ihre Gedanken lesen konnte. Das machte sie prompt zornig. So zornig, dass sie darüber sogar das namenlose Grauen vergaß und sich wieder aufrappelte.

Dabei bekam sie eher am Rande mit, dass ihr tapferes Herz wieder das Schlagen begonnen hatte, viel kräftiger als vor dem Stillstand, natürlich beflügelt ebenfalls durch den heiligen Zorn.

Sie ballte ihre knochigen Hände zu Fäusten und schüttelte sie.

„Schämen sollst du dich, eine alte Frau dermaßen zu erschrecken, beinahe zu Tode!“

„Aber, wie hätte ich es denn anders machen sollen? Als Stimme aus dem Unsichtbaren oder wie?“

„Das wäre allemal besser gewesen!“, zeterte sie.

„Du sprichst die Daedrasprache!“, stellte der Fürst ungerührt fest. „Ich habe mehr geahnt als gewusst, dass du dich besonders gut auskennst in Daedra, aber ich muss jetzt zugeben, beeindruckt zu sein.“

„Verdammter Schmeichler, als wärst du nicht längst schon darin völlig sicher!“, beschimpfte sie ihn. „Und glaube nur ja nicht, dass ich Angst vor dir habe. Ich bin lediglich beinahe zu Tode erschrocken. Kein Wunder, bei deinem Anblick. Aber jetzt, komm mir bloß nicht zu nah. Du hast keine Chance. Ich kenne die geheimen Rituale. Kein Daedra kann mir etwas anhaben.“

„Das weiß ich doch, Großmutter Venturato, und ich kann dir versichern, mir liegt nichts ferner als dich zu bedrohen. Ganz im Gegenteil, ich bin hier, weil ich dringend deine Hilfe benötige.“

„Meine Hilfe?“, echote sie verblüfft und ließ sogar die Fäuste wieder sinken.

Er deutete auf den selbstgebastelten Altar.

„Zuerst einmal, was soll das denn? Ein christlicher Altar? Was soll der nutzen gegen Daedramagie?“

„Dummkopf, der nutzt natürlich überhaupt nichts. Der dient ja auch nur zur Tarnung. Wenn mich jemand erwischt beim Beschwören, darf er nicht merken, dass es um ein geheimes Daedra-Ritual geht. Und wer weiß schon die Daedrasprache richtig einzuordnen?“

„Da ist was Wahres dran!“, grollte der Daedrafrüst anerkennend.

Sie verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und bewies sogleich, dass sie nicht zu alt war, um auch solche Schmeicheleien nicht durchschauen zu können.

„Schon wieder verkohlst du mich, Daedra. Der Teufel soll dich holen!“, zischte sie.

„Ach, den lassen wir besser mal aus dem Spiel. Er hat sowieso nichts an mir“, meinte der Daedrafürst lapidar. „Aber es stimmt tatsächlich: Ich benötige deine Hilfe, und wenn du willst, bin ich gern bereit, dir das zu erklären.“

„Aha?“

„Ich gehöre nicht auf die Seite des Bösen. Ich bin sozusagen ein Vertreter des Guten.“

„Bei den bisherigen Lügen, die du mir aufgetischt hast…“

„Also bitte, Großmutter Venturato, ich wollte einfach nur nett sein. Sonst nichts. Denn wenn man nett ist, wird vieles leichter.“

„Nur wenn man wirklich nett ist und nicht nur so tut!“, belehrte ihn Großmutter Venturato ungerührt.

„Also gut, begriffen. Kommen wir zum Punkt: Du hast erlebt, wie es Bobby ergangen ist. Er war mit dem Fürsten des Schreckens verbunden, ohne dass dieser das überhaupt bemerkt hat.“

„Und woher weißt du davon?“

„Ich – äh – ich war sozusagen mit dabei, allerdings von beiden nicht bemerkt. Dem Fürsten des Schreckens ist nur etwas aufgefallen, als es sozusagen schon zu spät war und Bobby sich von ihm zurückgezogen hat. Das wiederum gelang Bobby allerdings nur, weil du ihm dabei geholfen hast. Sein Vater hat ihn von der Straße aufgelesen und zu dir gebracht. Wenn nicht, hätte sich der Fürst wohl an Bobby gerächt, und Bobby wäre jetzt nicht mehr am Leben. Wer weiß, vielleicht wäre er jetzt sogar Mitglied seiner Untotenarmee?“

„Du meinst, dem ist tatsächlich was aufgefallen, was dich betrifft? Zum Zeitpunkt, als sich Bobby bereits von ihm zurückzog?“

„Ja, aber er brachte es nicht mit mir in Zusammenhang. Ein Glück! Er dachte wohl, es hinge doch noch mit Bobby und seiner Befreiung durch dich zusammen.“

„Alles klar soweit, aber was hat das jetzt dennoch mit dir zu tun?“

„Der Fürst des Schreckens wurde beschworen schon vor Jahrhunderten, und jetzt noch einmal von einem gewissen Sir Archibald Gronwell. Er hat sich mit geheimem Daedrawissen befasst, genauso wie du. Allerdings unter völlig anderen Vorzeichen. Du hattest niemals die Absicht, die Daedraenergien für deine eigenen Zwecke zu nutzen, selbst dann nicht, als es dir wirklich schlecht ging im Leben. Damit stehst du in guter Tradition mit einer langen Reihe deiner Vorfahren, die ihr Wissen von Generation zu Generation weiter vermittelten, allerdings nur an ausgesuchte Personen, die überhaupt fähig waren, diese Energien zu spüren. Du bist also sozusagen selbst eine Quelle der Energien. Du bist das lebende Tor zu jener parallelen Welt.“

„Ich traue dir nicht!“, krächzte Großmutter Venturato unumwunden. „Klar, dieser Fürst des Schreckens, wie du ihn nennst, wurde beschworen. Sonst wäre er ja wohl kaum hier. Ich würde niemals auch nur auf die Idee kommen, so etwas zu tun, also einen Daedra zu beschwören, weil ich weiß, dass dies niemals gut gehen kann. Dieser Gronwell hat sicherlich ebenfalls diese Erfahrung inzwischen machen müssen. Wie Bobby schon erzählt hat: Anscheinend hat er sich selber erschossen, um als Untoter zum Werkzeug des Daedrafürsten werden zu können. Sein Wissen und seine Fähigkeiten haben den Fürsten entsprechend gestärkt. Aber es gibt so etwas wie einen Gegenpart. Auch das weiß ich von Bobby. Und jetzt weiß ich immer noch nicht, welche Rolle eigentlich dir zugedacht ist.“

„Mir? Überhaupt keine! Ich bin lediglich der neutrale Beobachter, wenn du so willst.“

„Und du willst mich für deine Zwecke einspannen? Also, wenn das nicht typisch ist für einen Daedra…“

„Nein, nein, ganz so ist es nicht!“, versuchte der Daedrafürst, seine Absichten zu verteidigen.

„Wie denn sonst? Ich meine, ich würde nie auf die Idee kommen, einen Daedra zu beschwören und ihm damit zu ermöglichen, auf Erden wirken zu können, aber ich würde deshalb auch niemals auf die Idee kommen, mit einem Daedra zusammenzuarbeiten, den sonst wer beschworen hat. Und wer hat dich denn eigentlich beschworen? Wer war denn der arme Teufel, Dank dessen du dich hier, im Diesseits, halten kannst?“

„Es gibt keine Beschwörung in meinem ganz speziellen Fall!“, behauptete der Daedrafürst ernst. „Bei mir jedenfalls nicht. Ich wurde von keinem Menschen auf Erden beschworen. Bei mir liegt der Fall sozusagen völlig anders. Ich wurde nämlich aus dem Daedrareich verbannt. Und was das Schlimmste dabei ist: Einer von denen, denen ich diese Verbannung verdanke, das ist ausgerechnet jener Fürst des Schreckens! Deshalb darf er auf keinen Fall auf mich aufmerksam werden. Weil er Macht über mich hätte. Seit meiner Verbannung versuchen die Daedra schon, meiner habhaft zu werden. Wahrscheinlich haben sie mich schon als tot abgehakt, aber…“

„Ich weiß, dass kein Daedra wirklich sterben kann, wenn er auf Erden wirkt! Niemand kann einen Daedra vernichten. Das Einzige, was passiert, ist, dass man einen Daedra zurück in sein Reich verbannt“, trumpfte Großmutter Venturato mit ihrem geheimen Wissen auf.

„Das mag in jedem normalen Fall zutreffen, aber nicht bei mir. Weil ich eben kein beschworener Daedra bin, der den eigenen Beschwörer unterjochte, um sich hier, auf Erden, halten zu können, sondern man hat mich mit vereinten Kräften aus dem Daedrareich verbannt. Das heißt, wenn ich hier sterbe, dann ist das endgültig. Man kann mich nicht zurück verbannen. Oder was glaubst, wieso ich immer noch hier herumgeistere? Hast du eine Ahnung, was ich in den letzten Jahrhunderten alles angestellt habe, um einen Weg zurück zu finden? Ohne Erfolg, wie du hier sehen kannst.“

„Aha?“, machte die Gro0ßmutter misstrauisch und legte den Kopf schief, um den Daedrafürsten genauer in Augenschein zu nehmen. Trotz des schrecklichen Anblicks, an den sie sich inzwischen halbwegs gewöhnt hatte. Falls man sich daran überhaupt jemals gewöhnen konnte.

Andererseits: Der Daedra konnte ja nichts dafür, dass er aussah wie eben… ein Daedra. Sie wollte zumindest in dieser Hinsicht nachsichtiger sein. Fundamentale Frage jedoch blieb, ob er überhaupt die Wahrheit sagte?

„Was willst du wirklich von mir?“, fragte sie gerade heraus.

„Ich will, dass du Bobby davon überzeugst, in den bevorstehenden Kampf aktiv einzugreifen!“

„Wie bitte?“, entfuhr es der Großmutter. „Bobby?“

Sie schüttelte entschieden den Kopf.

„Nie im Leben! Ich werde doch meinen guten Jungen nicht in eine solche Gefahr bringen.“

„Und wenn es sonst keine Möglichkeit mehr gibt? Du weißt, dass der Fürst des Schreckens sozusagen beeinträchtigt ist. Es gibt einen Art Gegenpol. Dieser Gegenpol befindet sich im Nebengebäude der Gronwellschen Villa. Es handelt sich um eine unglückliche Seele, die dort seit Jahrhunderten in ihrem eigenen Verlies gefangen ist. Damals hat ihr eigener Vater sie einmauern lassen. Unter anderem, um sie vor dem Zorn des wahnsinnigen Kurfürsten zu retten, der sogar seinen eigenen Sohn umbrachte, nur weil er herausfinden wollte, wo er die Unglückliche finden konnte. Dann hat er ihren Vater und dessen treuen Diener zu Tode gefoltert. Doch sie hielten dicht, bis zum letzten Atemzug. Mehr noch: Bevor der Mann starb, beschwor er den Fürsten des Schreckens. Obwohl er wusste, wie gefährlich das werden konnte, ging er das Wagnis ein, geboren in der schieren Verzweiflung. Das hat zwar den wahnsinnigen Kurfürsten das Leben gekostet, doch von Stund an bemühte sich der daedrische Fürst des Schreckens, seine Inkarnation zu manifestieren. Mit nur relativ bescheidenem Erfolg, denn die Unglückliche in ihrem Verlies schlug ganz nach ihrem Vater: Sie war eingeweiht in die Geheimnisse der Daedra und nutzte diese ihrerseits. So starb zwar ihr Körper und vermoderte in seinem Verlies, doch dieses Verlies wurde zu einer Enklave, zu einer Art Zwischenreich, genährt von Daedraenergien. Da kam der Fürst des Schreckens niemals heran, und sie schwächte ihn, so dass all seine Bemühungen, seine Macht über das Gronwellsche Anwesen auszudehnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt waren.

Heute Nacht soll das endgültig anders werden. Der Fürst des Schreckens hat seine Armee der Untoten außerhalb des Grundstückes aufbauen können, gestärkt durch die zusätzliche Beschwörung von Gronwell. Und im gleichen Maße, wie er immer stärker wurde seit der endgültigen Übernahme des Syndikats das falschen Staatsanwaltes, das der Fürst des Schreckens zum Syndikat der Untoten hat werden lassen, im gleichen Maße wurde die unglückliche Seele in ihrem Verlies schwächer. So schwach, dass heute Nacht die Entscheidung fallen kann – endgültig und für immer.“

„Die Entscheidung?“, zweifelte Großmutter Venturato.

„Ja, ich weiß, dass Bobby Don Cooper und seinem Partner Mark Tate verraten hat, wie man unbemerkt in das Grundstück gelangt. Sie werden wohl beide diesen Weg gehen, und diesmal werden sie nicht entrinnen können.“

„Mark Tate?“, wunderte sich die Großmutter. „Hat Bobby mir nach seiner Befreiung nicht erzählt, dass dieser sich unter dem Einfluss einer Wahnsinnsdroge befindet, um ihn somit für eine gewisse Dauer auszuschalten? Immerhin lang genug, um genügend Zeit gewinnen zu können? Das hat Bobby meines Wissens nach aus den Erinnerungsfetzen lesen können, die der Schreckensfürst während der Verbundenheit auf ihn übertragen hat.“

„Mark Tate wird bis dahin auch wieder Herr seiner Sinne sein und gemeinsam mit seinem Freund und Partner dort eindringen. Der Fürst des Schreckens hat beide gewaltig unterschätzt, wie es scheint. Und er kann sowieso gegen beide nicht unmittelbar vorgehen. Bislang zumindest. Denn beide haben ein jeder eine Besonderheit. Mark Tate ist ein tausendfach Wiedergeborener, der schon seit Jahrtausenden aktiv gegen das Böse auf Erden kämpft, während Don Cooper seit seinem Aufenthalt im jenseitigen Land Oran im Ausnahmefall in der Lage ist, sich in ein mächtiges Monster zu verwandeln. Doch wenn sie es wagen, sich heute Nacht, in der Nacht der Nächte, in die Höhle des Löwen zu begeben – und das im wahrsten Sinne des Wortes -, erwartet sie eine tödliche Falle in Form der Armee von Untoten, die der Fürst des Schreckens eben heute Nacht dort zusammenziehen lässt. Die Falle wird zuschnappen, während sich der Fürst selber um seine letzte Widersacherin, eben jene unglückliche Seele in ihrem Verlies, widmen wird. Er wird deren Macht übernehmen und sie dabei vernichten. Es sind unvorstellbare Kräfte, die jenes Verlies in einer eigenen Enklave halten. Diese Kräfte werden endgültig dem Fürsten gehören, und er wird dadurch in die Lage versetzt werden, die ganze Welt zu erobern!“

„Ist er nicht besonders empfindlich gegen Sonnenlicht?“, erinnerte sich die Großmutter nun.

„Ja, ungewöhnlich für einen Daedra und auch ungewöhnlich bei Untoten, die durch Daedraenergien wiederbelebt wurden. Diese Schwächung verdankt der Fürst des Schreckens einzig und allein seiner daedramagischen Widersacherin. Wenn er sie besiegt jedoch…“

„Und was soll Bobby dabei bewirken können?“

Der Daedrafürst schaute sie ruhig an. Eine ganze Weile, ehe er endlich Antwort gab. Auch diesmal bewegte sich sein Schlund überhaupt nicht. Die Worte gelangten auch nicht über die Ohren zu der Großmutter, sondern klangen unmittelbar in ihrem Kopf auf:

„Bobby wird gewissermaßen zum Zünglein an der Waage! Eigentlich wärst du besser geeignet, Großmutter Venturato, bei deinem Wissen und deinem Können, aber du bist altersbedingt leider körperlich nicht mehr so ganz auf der Höhe, wenn du mir diese Bemerkung erlaubst. Bobby jedoch ist ein junger Bursche, und er ist ein äußerst geschickter Einbrecher. Er wird unbemerkt in das Grundstück eindringen können, im Gegensatz zu dir – unbemerkt von der Alarmanlage genauso wie vom Fürsten des Schreckens, der sich in diesem Augenblick gerade auf die Falle vorbereitet, die er Don Cooper und Mark Tate bereitet.

Was die Unglückliche in ihrem Verlies betrifft, ist er sich seiner Sache völlig sicher, dass er mit Leichtigkeit siegen wird. Doch dann wird Bobby vor Ort sein, unerkannt, und er wird mit dem, was er von dir gelernt hat, die Unglückliche entscheidend stärken können. Sie wird keineswegs so schwach sein, wie der Fürst des Schreckens vermutet, sondern ihn voll und ganz beschäftigen, während Don Cooper als die Inkarnation eines Hulk unter seinen Untoten aufräumen wird. Der Fürst wird seinen Vasallen nicht helfen können, weil er an ganz anderer Front beschäftigt sein wird. Das wird einerseits Don Cooper und Mark Tate eine Chance einräumen und andererseits…“

Großmutter Venturato nickte zu diesen Worten zunächst, doch dann unterbrach sie ihn:

„Soweit zumindest der Plan.“

„Ja, der Plan. Und alles wird so kommen, wenn es dir gelingt, Bobby dazu zu überreden, dass er seinen wesentlichen Part übernimmt.“

„Das mag ja alles stimmen. Ich akzeptiere sogar, dass du da nicht persönlich eingreifen kannst, um vielleicht zunächst unerkannt die Unglückliche in ihrem Verlies zu stärken. Dabei könnte der Schreckensfürst zumindest auf dich aufmerksam werden. Und wenn er einmal weiß, wer du bist, kann er vielleicht sogar Macht über dich gewinnen. Wobei genau das Gegenteil dessen eintreten könnte, was du beabsichtigst.“

Sie schürzte die welken Lippen und betrachtete den Daedra nachdenklich.

„Aber ich frage mich die ganze Zeit über, wieso du mir das überhaupt alles erzählst. Was ist dein Motiv, Daedra? Und ich weiß genug, um zu wissen, dass auch einem Daedra, der sich als der Gute ausgibt, nicht zu trauen ist. Zumindest nicht, wenn man ein Mensch ist. Wir Menschen sind euch doch sowieso egal, so lange wir euch keinen Nutzen bringen. Ihr kennt nur eure eigenen Belange. Ich kann ja verstehen, dass dieser Fürst des Schreckens dir besonders zuwider ist, weil du ihm deine Situation verdankst, aber wenn du dich dermaßen einmischst… Angenommen, die Sache geht schief, trotz Bobby? Das wird nicht nur Bobby das Leben kosten und Don Cooper und Mark Tate. Danach wird der Fürst des Schreckens nämlich dermaßen mächtig sein, dass vielleicht sogar auch ich um mein Leben bangen muss. Und dann wird der Fürst des Schreckens sicherlich deine Spur aufnehmen. Allein schon, weil du mit Bobby und mir in Kontakt getreten bist. Diese Spur wirst du nicht mehr verwischen könen, wenn deine Pläne scheitern. Wieso fürchtest du dich nicht genau davor und tust so, als wären deine Pläne bombensicher?“

„Das tu ich ja, mich vor einem Scheitern fürchten, und sei diese Wahrscheinlichkeit auch noch so klein!“, gab der Daedrafürst ohne zu zögern zu. „Glaube mir, ich würde lieber weiterhin vollkommen neutral bleiben, ohne mich im Geringsten einzumischen, weder direkt noch indirekt. Aber ich sehe hier meine einzige Chance, die ich überhaupt noch habe. Eine Chance immerhin, die so einmalig ist, dass ich gewillt sein muss, zumindest dieses hoffentlich möglichst geringe Risiko einzugehen.“

„Deine Chance?“ Sie schüttelte den Kopf. „Das verstehe ich jetzt gar nicht: Welche Chance denn? Dann wird der Fürst des Schreckens zurück verbannt sein ins Daedrareich, wenn er scheitert. Also falls dein Plan gelingt. Aber falls nicht? Selbst wenn seine Verbannung gelingt… Vielleicht erfährt er im Verlauf des Kampfes von Bobby und damit auch… von dir? Dann nimmt er sein Wissen mit ins Daedrareich. Ist das kein grundsätzliches Risiko für dich - sowieso?“

„Klar ist es das!“, gab der Daedrafürst auch das zu.

„Aber du hast doch von einer Chance gesprochen?“

„Natürlich, Großmutter Venturato.“

Da fiel es der Großmutter sozusagen wie Schuppen von den Augen.

„Ach, jetzt verstehe ich erst: Du erwartest doch nicht etwa von mir so eine Art Gegenleistung?“

„Genau das tu ich!“

Die Großmutter atmete ein paar Mal tief durch, bevor sie hervorstieß:

„Das leuchtet mir jetzt ein, Daedra. Denn das ist nun wirklich typisch für deinesgleichen. Von wegen durch und durch der Gute… Du tust doch tatsächlich nichts ohne Hintergedanken. Aber du hast es nicht geleugnet, und das spricht für dich. Deshalb glaube ich dir jetzt.“

„Alles?“, war die bange Frage.

Sie nickte heftig.

„Ja, Daedra, alles! Ich erkenne deine Ehrlichkeit. Sofern man bei einem Daedra überhaupt von so etwas wie Ehrlichkeit sprechen darf, heißt das. Und du erwartest doch tatsächlich, dass ich dir aus lauter Dankbarkeit anschließend ein Tor ins Daedrareich öffnen werde?“

Keine Antwort.

„Und wenn es mir gar nicht gelingt?“

„Noch ein Risiko, das ich dabei eingehen muss. Aber falls es dir nicht gelingen wird, war es den Versuch dennoch wert, finde ich.“

„Gut zu wissen, Daedra, denn ich kann und will dir nichts versprechen. Ich werde jetzt nach Bobby rufen lassen. Mein Sohn Juliano wird ihn aus seinem Zimmer holen. – Apropos mein Sohn: Eigentlich sollte er längst hier sein, bei mir.“

„Äh, verzeih mir, Großmutter Venturato, aber ich – äh – habe ein wenig Einfluss auf ihn genommen. Er steht draußen, vor der Tür, bis unser Gespräch beendet ist.“

„Aha?“, machte die Großmutter gleichmütig. „Also gut, lass ihn jetzt herein. Ich nehme an, du bleibst unsichtbar für ihn?“

„Ich glaube, das ist sowieso besser.“

„Gute Entscheidung!“, lobte Großmutter Venturato sarkastisch und winkte dann dem Daedra herrisch zu.

Im nächsten Moment wurde von außen die Tür geöffnet.

*

Großmutter Venturato betrachtete ihren Sohn Juliano. Er machte den Eindruck, als habe er tief und fest geschlafen und sei soeben erst erwacht.

So ähnlich verhält es sich ja auch!, dachte sie zerknirscht und warf einen kurzen Seitenblick auf den Daedrafürsten, der wie ein bedrohlicher Schatten seitlich da stand, ohne dass seine unteren Extremitäten den Boden zu berühren schienen. Füße konnte man zu diesen Klauen ja kaum sagen…

Sie schaute wieder ihren Sohn an.

„Juliano, bitte, tu mir den Gefallen und rufe Bobby.“

„Aber, der schläft doch sicherlich schon tief und fest. Und nach alledem, was er erlebt hat, wird es ihm gut tun“, versuchte Juliano prompt, zu widersprechen.

„Das weiß ich ja, Bambino mio, aber ich würde dich nicht darum bitten, wenn es nicht wirklich wichtig wäre. Glaube mir. Oder soll ich meine alten, müden Knochen selbst in Bewegung setzen und die steile Treppe hinauf…?“

Juliano winkte mit beiden Händen ab.

„Ist ja schon gut, Mama, ich bin so gut wie unterwegs. Aber was soll ich ihm sagen, wenn er mich nach dem Grund fragt?“

„Ich glaube kaum, dass er dich fragen wird. Ich glaube noch nicht einmal, dass er wirklich schläft. Bobby hat Dinge erlebt, die ihm bestätigen, was ich ihn lehrte. Ich nehme an, das wird ihn dermaßen beschäftigen, dass an Schlaf überhaupt nicht zu denken ist.“

Sofort umwölkte sich Julianos Miene sorgenvoll, doch er sagte nichts mehr und setzte sich in Bewegung.

Als er die Treppe emporstieg, hatte er es nicht allzu eilig.

Großmutter Venturato wandte sich an den ungebetenen und darüber hinaus ziemlich unheimlichen Gast, von dem Juliano nichts bemerkt hatte.

„Danke!“, sagte sie zu ihm, und der Daedra wusste, wie sie das meinte: Sie bedankte sich dafür, dass er Juliano seinen Anblick erspart hatte.

In Gedanken weilte Großmutter Venturato jetzt bei ihrem Enkel Bobby. Sie hörte die Stimme ihres Sohnes oben, vor der Tür zu Bobbys Zimmer.

„He, Sohn, bist du wach?“

„Ja, Papa!“, kam es gedämpft durch die Tür heraus. „Was ist denn nun schon wieder los?“, fügte er hinzu. Es klang ein wenig ungehalten.

„Deine Großmutter wünscht dich zu sprechen. Es sei dringend.“

Sie hatte sich nicht geirrt: Bobby hatte weder geschlafen noch fragte er nach dem Grund. Schon Sekunden darauf öffnete sich die Tür zu seinem Zimmer. Schweigend kam er mit Juliano herunter.

Großmutter Venturato winkte ihrem Sohn zu.

„Juliano, bitte, bleib draußen!“

„Aber ich...“

„Ich bitte dich darum! Es ist besser, wenn du nicht mit dabei bist. Sei mir nicht böse, Juliano, aber du würdest es wahrscheinlich nicht verstehen können. Auch wenn ich mir alle Mühe geben sollte, es dir zu erklären.“

„Also, falls du Bobby in Gefahr bringen solltest…“, rief Juliano daraufhin alarmiert.

Das fehlte jetzt gerade noch!, dachte Großmutter Venturato. Laut jedoch sagte sie:

„Würde ich wirklich meinen eigenen und einzigen Enkel in Gefahr bringen wollen? Hast du vergessen, dass er der Erbe des geheimen Wissens ist?“ Diesmal winkte sie selbst mit beiden Händen ab. „Du brauchst mir jetzt gar nicht zu sagen, was du davon hältst. Du hast darüber höchstens ein müdes Lächel übrig gehabt. Doch selbst du müsstest inzwischen einsehen können, dass es sich nicht um baren Unsinn handelt. Du warst schließlich Zeuge der Vorgänge.“

„Ja, ich weiß ja“, gab Juliano kleinlaut zu. „Also gut, ich ziehe mich zurück. Falls man mich wider Erwarten doch noch brauchen sollte: Ich bin oben. An Schlaf ist für mich sowieso nicht mehr zu denken, in einer solchen Nacht. Ich hoffe bloß, dass diese Gangster nicht wieder hier auftauchen.“

„Da mach dir mal keine Sorgen, Juliano: Die kommen ganz bestimmt nicht wieder. Das garantiere ich dir.“

Juliano war anzusehen, dass er ihr das nicht abnahm, aber er sagte nichts mehr dazu, sondern schloss die Tür von außen.

Der Daedra stand nach wie vor an seinem Platz, nicht nur unsichtbar für Juliano, sondern auch für Bobby, wie Großmutter Venturato zufrieden registrierte.

Sie wandte sich an ihren Enkel:

„Hör zu, Bobby, es hat sich etwas entscheidend geändert.“

„Was denn?“, erkundigte der sich ahnungslos.

„Du hattest den Kontakt mit einem echten Daedrafürsten, dem sogenannten Fürsten des Schreckens. Er wurde vor Jahrhunderten beschworen und kann sich seitdem hier, auf Erden, manifestieren – mehr oder weniger stark. Aber es ist dir doch klar, dass es außer diesem noch andere Daedra gibt?“

„Logisch!“, nickte er.

„Auch Fürsten.“

„Wieso sagst du mir das jetzt?“ Er legte misstrauisch den Kopf schief.

„Es gibt nicht nur Daedrafürsten der bösen Art, sondern auch der guten Art. Es ist wie bei uns Menschen. Da gibt es auch gute und böse.“

„Böse und weniger böse Menschen!“, korrigierte Bobby seine Großmutter, ohne mit der Wimper zu zucken.

„In Ordnung, Bobby, ohne jetzt darüber diskutieren zu wollen, aber es gibt einen Daedrafürsten, der dich gern sprechen würde.“

„Wie bitte?“, rief Bobby aus. Dann mäßigte er die Lautstärke seiner Stimme und fügte fast flüsternd hinzu: „Weitere Daedrafürsten – und einer will ausgerechnet mich sprechen?“

„Ja, weil er deine Hilfe braucht. Dringend sogar!“

Prompt schaute Bobby umher, ohne jedoch den Daedra zu sehen, der nur sichtbar für die Großmutter blieb.

Großmutter Venturato vermied es, in diese Richtung zu schauen, um Bobby nicht noch mehr zu verunsichern.

„Ja, wie gesagt, weil er deine Hilfe braucht. Es geht dabei nicht nur um jenen Don Cooper und seinen Partner Mark Tate. Sie werden deinen Rat beherzigen und heute Nacht noch in das Gronwellsche Anwesen eindringen. Aber dort erwartet sie eine unentrinnbare Falle. Diesmal werden sie nicht überleben können. Zwar gibt es eine Gegenkraft, wie du sicherlich weißt…“

„Eine Gegenkraft? Und ich soll davon wissen?“

„Leugne es nicht, Bobby! Du bist ein Quell der Daedraenergien, genauso wie ich. Durch uns können diese Energien ins Diesseits gelangen. Allerdings nur, wenn wir es bewusst zulassen. Es macht uns sensibel dafür, also für Daedraenergien überhaupt. Also wirst du es gespürt haben, als du dort eingedrungen bist.“

„Nun gut, Großmutter Venturato, ich weiß ja, dir kann ich nichts vormachen. Es ist nicht nur so, dass ich es gespürt habe, sondern auch, ich konnte mich abschirmen dagegen. Daher hat der Fürst des Schreckens ja auch meine Anwesenheit überhaupt nicht bemerken können. Genauso wenig eben wie sein Gegenpart, dessen Zentrum das Nebengebäude zu sein scheint.“

„Was kannst du über diesen Gegenpart sagen?“

„Gar nichts, Großmutter Venturato. Ich habe die Präsenz gespürt. Mehr nicht.“

Da erzählte ihm seine Großmutter, wie die Zusammenhänge wirklich waren.

Bobby reagierte sehr erstaunt. Am Ende jedoch gab er sich gleich wieder misstrauisch.

„Und was hat das Ganze jetzt mit mir zu tun und jenem anderen Daedrafürsten?“

„Dieser andere Daedrafürst kann nicht selber aktiv in das Geschehen heute Nacht eingreifen. Er benötigt jemanden, der dies für ihn tut. Dabei muss er selbst im Hintergrund bleiben, weil sonst der Fürst des Schreckens Macht über ihn erlangen könnte. Damit würde alles zunichte gemacht.“

„Aha? Und was soll meine Aufgabe sein?“

„Du sollst vor den beiden Detektiven vor Ort sein. Diesmal allerdings wirst du nicht in das Hauptgebäude eindringen, sondern in das Nebengebäude. Versuche, dich gegenüber dem Fürsten des Schreckens abzuschirmen. Er darf nicht merken, dass du mitmischst. Und ansonsten brauchst du nur das zu sein, was du seit Geburt sowieso schon bist: Eine Quelle der Daedraenergien!“

„Ja, das bin ich, aber ich wollte das nie und will das auch in Zukunft nicht!“, protestierte Bobby. „Du hast ja gesehen, was passiert, wenn man sich darauf einlässt. Du siehst es am Beispiel des Fürsten des Schreckens. Der nur dadurch überhaupt ins Diesseits gelangen konnte, um hier sein Unwesen zu treiben.“

„Das eine kann nicht unbedingt mit dem anderen verglichen werden, denn die Unglückliche in ihrem ewigen Verlies ist keine Daedra, sondern sie ist wie du und ich. Wenn du ihr hilfst, indem du ihr erlaubst, aus dir die nötigen Energien zu schöpfen, wird sie den Kampf gegen den Fürsten des Schreckens gewinnen können. Anders wird sie keine Chance haben. Du brauchst also weiter nichts zu tun, als rechtzeitig vor Ort zu sein.“

„Und der Daedra? Wieso helfe ich ihm dabei? Was sind seine Motive? Hast nicht du selber mich gelehrt, niemals einem Daedra zu trauen? Wo ist er eigentlich? Ich möchte es von ihm persönlich hören. Nur so kann ich abschätzen, ob er nicht irgendeine Hinterhältigkeit vor hat, von der ich jetzt noch nichts weiß. Ich meine, vielleicht will er damit einfach nur einen alten Rivalen ausschalten und anschließend wird alles noch schlimmer als durch den Fürsten des Schreckens?“

„Also gut, Bobby, das kannst du haben: Der Fürst ist hier, in diesem Raum. Du kannst ihn nur nicht sehen. Glaube mir, das ist auch gut so, denn sein Anblick ist wahrhaft erschreckend.“

„Ist mir egal: Der soll sich mir zeigen!“, forderte Bobby daraufhin tapfer.

Das ließ sich der Daedrafürst nicht zweimal sagen: Für Bobby materialisierte er wie aus den Nichts.

Bobby griff sich gurgelnd an die Kehle. Seine Augen drohten ihm aus den Höhlen zu quellen. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück und kam ins Wanken, als wollte er im nächsten Augenblick zusammenbrechen.

Er wusste schon von seiner Grußmutter, wie schrecklich ein Daedra anzusehen war, aber jetzt einen wahrhaftig vor sich zu haben, das war wiederum etwas völlig anderes.

Der Daedra reagierte gar nicht. Ruhig wartete er ab. Und als Großmutter Venturato schon Reue spürte, weil sie Bobby überhaupt in die Sache mit einbezogen hatte, da fing sich Bobby wieder.

Er erholte sich erstaunlich schnell von seinem Schock, Vielleicht lag es auch daran, dass es nicht sein erster Kontakt mit einem echten Daedra war?

„Nur eine Frage, Daedrafürst“, sagte er mit mühsam beherrschter Stimme: „Wieso soll ausgerechnet ich das tun und nicht etwa Großmutter an meiner Stelle? Sie wäre dafür wesentlich besser geeignet.“

Der Daedra nickte ihm zu, und seine Stimme klang direkt in Bobbys Kopf auf:

„Das ist richtig, mein Junge, aber sie würde den Einbruch nicht schaffen. Sie ist alt und gebrechlich und würde auch als junge Frau bei weitem nicht so geschickt vorgehen können wie du.“

„Klar, aber wieso ist ein solcher Einbruch überhaupt nötig?“, konterte Bobby. „Wieso benutzt du nicht einfach deine Möglichkeiten und teleportierst sie an Ort und Stelle?“

„Das wäre zu gefährlich. Es könnte vom Fürsten des Schreckens bemerkt werden.“

„Hast du nicht die Macht dazu, dies zu tun, eben ohne bemerkt zu werden?“

„Nein, die habe ich leider nicht. Sobald ich aktiv werde, ist es aus für mich. Er ist einer von denen, die mich damals aus dem Daedrareich verbannten, in der Hoffnung, ich würde diese Verbannung nicht überleben. Seitdem versuche ich vergeblich, zurückzukehren. Jetzt sehe ich in deiner Großmutter noch die einzige Chance, die mir verblieben ist. Sie hat mir versprochen, alles zu tun, um mich zurück zu verbannen.“

„Was denn, du willst tatsächlich wieder zurück ins Daedrareich? Freiwillig?“

„Ja, denn bei mir ist es anders als sonst. Ich wurde von niemandem auf Erden beschworen. Deshalb kann ich hier vernichtet werden. Sogar Menschen wie du und deine Großmutter könnten das. Ihr müsstet es nur wollen. Allein schon, indem ich mich euch offenbare, gehe ich ein tödliches Risiko ein. Aber ich sehe keinen anderen Ausweg mehr. Der Fürst des Schreckens darf nicht siegen.“

„Nicht nur, weil dir die Menschen am Herzen liegen, sondern vor allem, weil dich selbst das gefährden würde, nicht wahr?“

„Natürlich, Bobby! Warum sollte ich das Offensichtliche leugnen?“

Boby schaute seine Großmutter an und knirschte deutlich hörbar mit den Zähnen.

„Also gut, Großmutter Venturato, ich werde es tun. Ich muss es sogar tun, sonst würde ich niemals mehr in Ruhe schlafen können. Ich zweifele nämlich keinen Augenblick daran, dass sich der Fürst des Schreckens als erstes mir zuwenden wird, sobald er entsprechend gestärkt aus dem Kampf heute Nacht hervorgehen würde. Also muss ich alles tun, um ihm zuvor zu kommen.“

Ein Seitenblick auf den Daedra.

„Es ist keineswegs deinetwegen, dass ich zusage! Es ist in erster Linie meinetwegen. Wenn ich dabei auch noch Don Cooper und Mark Tate retten kann: Umso besser. Immerhin sind sie die einzigen außerhalb meiner Familie, die bislang nett zu mir waren.“

Er wandte sich abrupt zur Tür und sagte über die Schulter hinweg: „Ich bin dann mal unterwegs, denn es gilt, keine Zeit mehr zu verlieren. Und bitte, Großmutter Venturato, lass dir was einfallen, um meinen Vater zu beruhigen. Ich möchte nicht, dass er sich meinetwegen zu viele Sorgen macht. Das hat er nicht verdient.“

„Ja, das verspreche ich!“, sagte Großmutter Venturato tonlos, und es stahl sich eine Träne in einen Augenwinkel. Es war ihr beinahe, als würde sich ihr Enkel für immer von ihr verabschieden.

Was, wenn der Plan des Daedra letztlich schief ging und ihr Bobby das nicht lebend überstand?

Andererseits musste sie jedoch zugeben, dass Bobby in der Tat überhaupt keine andere Wahl hatte: Wenn er nicht aktiv in den Kampf eingriff, wie der Daedra es vorgeschlagen hatte, würde er damit keineswegs seinen Kopf aus der Schlinge ziehen. Ganz im Gegenteil: Er würde sich selbst der einzigen Chance berauben, die ihm letztlich noch geblieben war.

*

Es gab nur eine Möglichkeit, sicher zu gehen, was inzwischen aus Don Cooper geworden war: Ich bat um ein Telefon und rief die Nummer von Don an.

Er meldete sich so schnell, als hätte er auf diesen Anruf bereits sehnsüchtig gewartet.

Anstelle einer Begrüßung fragte er mich, wo ich sei.

„Mir geht es gut, Don. Danke der Nachfrage. Ich bin vorhin hier, im Krankenhaus, erwacht. Diese Wahnsinnsdroge hat die Ärzte vor ein Rätsel gestellt. Sie hatten einige Mühe, mich wieder in die Wirklichkeit zurückzuholen. Aber es ist ihnen letztlich gelungen, wie du siehst.“

„Na, gottlob! Ich habe es auch nur geschafft, indem ich mich in meinen Hulk verwandelte.“

„Aha, hast du?“, wunderte ich mich, denn es war das erste Mal seit wir die Insel der Geisteraffen verlassen hatten.

„Kannst du das Krankenhaus verlassen oder soll ich zu dir kommen?“

„Ist Lydia bei dir?“, fragte ich anstelle einer Antwort.

„Ja, ist sie. Wieso?“

„Also gut, ich komme auf dem schnellten Weg zu euch. Und dann erfahrt ihr mehr.“

Nach diesen Worten gab ich das Telefon zurück und schaute die Ärzte fragend an.

„Es ist Ihre Entscheidung, Mister Tate. Wenn Sie sich danach fühlen, können Sie gehen. Ich kann dazu einfach deshalb nicht mehr sagen, weil wir keinerlei Erfahrung mit dieser Art Droge haben.“

Mein Blick fiel auf Sergeant Benders.

„Könnten Sie mich fahren?“

Er zögerte eine Sekunde, ehe er widerstrebend nickte.

„Ich bin zwar nicht als Chauffeur für Privatdetektive geeignet, aber in diesem einen Fall könnte ich durchaus eine Ausnahme machen. Aber nur unter einer Bedingung, Mister Tate.“

„Bedingung?“

„Ja, ich will einfach mehr erfahren über die Zusammenhänge!“

„Oh, das können Sie gern haben, Sergeant: Don und ich recherchieren in Sachen Drogenschmuggel und Drogenmissbrauch. Dabei geht es nicht nur um diese Wahnsinnsdroge, die offensichtlich von jenem Syndikat neu geschaffen wurde. Dass jene Spelunke, in der man uns beide versucht hat auszuschalten, eine Schlüsselrolle spielt, brauche ich nicht zu betonen. Obwohl sie leider nichts dort finden konnten, was als Beweismittel hätte dienen können. Und der Wirt kann sich im Nachhinein immer noch damit herausreden, nichts von Drogen zu wissen. Diese Droge hätte mir theoretisch auch außerhalb eingeflößt werden können. So zumindest ist die unbefriedigende Sachlage. Und jetzt würde ich gern gemeinsam mit Don weiter recherchieren, falls Sie erlauben.“

„Mehr gibt es zu diesem Thema nicht zu sagen?“, erkundigte sich der Sergeant misstrauisch.

„Wenn wir es am Ende schaffen, eine konkrete Sachlage zu schaffen oder gar das Syndikat aufzulösen… Wäre Ihnen damit gedient?“

Er blieb die Antwort schuldig, sondern schaute mich nur erwartungsvoll an.

Ich fuhr rasch fort: „Würde es etwas geben, wozu die Polizei eingreifen könnte, würde ich es natürlich sagen. Logisch. Es würde keinen Sinn ergeben, auf eigene Faust zu handeln bei einem dermaßen mächtigen Gegner, wenn es anders ginge.“

„Nun, das ist eigentlich nicht genau das, was ich hören wollte, Mister Tate, aber ich gebe mich damit trotzdem zufrieden. Versuchen Sie jetzt, aufzustehen. Erst dann wissen wir, ob Sie überhaupt schon das Krankenhaus verlassen können.“

Ich folgte seinem Rat.

Sobald meine Füße den Boden berührten, packten mich Schwindel. Ich musste sekundenlang dagegen ankämpfen, ehe ich endgültig das Bett verlassen konnte. Aber dann erholte ich mich erstaunlich rasch.

Einer der Ärzte reichte mir meine Kleider.

Sobald ich vollständig angezogen war, öffnete Sergeant Benders die Tür und winkte mir einladend zu. Gemeinsam mit ihm und einem seiner Leute, der anscheinend den Dienstwagen fahren sollte, verließ ich das Zimmer und danach das Krankenhaus.

Minuten später hielt dieses Dienstfahrzeug vor dem Haus meines Freundes und Partners Don Cooper.

*

Don Cooper und Lydia Hamilton lauschten gebannt meinen Erklärungen. Vorher hatte mich Don in Kenntnis darüber gesetzt, dass Lydia eingeweiht war. Das gefiel mir einerseits ganz und gar nicht, aber andererseits merkte ich während der Erzählung, dass man ihr durchaus trauen konnte. Vielleicht war es uneigennützig, so zu denken, aber ich hielt es durchaus für einen Vorteil, eine so kompetente Verbündete bei der Presse zu haben.

Schließlich nickte Don nachdenklich.

„Du hast wahrscheinlich recht. Jetzt sind nur noch wir beide gefordert. Hinzu kommen noch weitere Aspekte.“ Und er erzählte mir, dass inzwischen Bobbys Vater Juliano Venturato angerufen hatte. Erst fiel später würden wir erfahren, dass dieser Anruf noch vor dem Auftauchen des Daedrafürsten bei Großmutter Venturato erfolgt war. Endlich hatte er sich von der Seite seines bemitleidenswerten Sohnes lösen können, der sich mit dem Vorwand in sein Zimmer zurückgezogen hatte, endlich schlafen zu wollen. Juliano hatte alles erzählt, was er von Bobby erfahren hatte. Es war mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte.

„Das ist ja alles sehr aufschlussreich“, sagte ich daher gedankenverloren. „Also ist der ehemalige Staatsanwalt der alleinige Initiator, besser gesagt der Daedra, der seinen Körper übernommen hat. Sobald er vernichtet beziehungsweise zurück ins Daedrareich verbannt ist, erlischt der gesamte Spuk. Er braucht vielleicht noch ein paar Tage, bis seine Macht noch mehr gefestigt ist und er seinen Gegenpol in jenem Nebengebäude überwinden kann. Wahrscheinlich befindet sich der originale Körper des Staatsanwaltes irgendwo verborgen in der Villa. Deshalb die Angst vor der Polizei. Er fürchtet sich vor einer genauen Durchsuchung. Diese könnte sich zumindest als störend erweisen.“

„Du meinst, es würde Sinn ergeben, die Polizei doch noch einzuschalten und die Villa durchsuchen zu lassen?“, wunderte sich Don.

„Nein, das meine ich damit nicht. Ich habe jetzt nur laut nachgedacht, um sozusagen den günstigsten Fall zu berücksichtigen. Dass der Fürst des Schreckens noch Tage Zeit hat für das Finale ist somit nur im unbegründeten Optimismus geboren. Immerhin hat er gegenüber uns bewiesen, zu was er bereits in der Lage ist. Vielleicht irre ich mich ja gewaltig und unterschätze seine Macht? Und die könnte inzwischen zumindest groß genug sein, um eine Durchsuchung des Hauses im Sande verlaufen zu lassen. Nein, einmal allen Optimismus über Bord geworfen: Das hätte bereits am Tag passieren sollen. Ist es aber nicht. Also kommen wir auf den Ursprung zurück: Wir müssen auf jeden Fall dort einsteigen – und zwar ohne weiteres Zögern. Bevor es endgültig zu spät ist für unser Eingreifen!“

„Bei allem dürfen wir allerdings nicht vergessen, dass wir es mit einem Wahnsinnigen zu tun haben – zumal mit einem wahnsinnigen Daedra“, gab Lydia zu bedenken.

Don sah sie lächelnd an.

„Du bedenkst überhaupt nichts, Darling! Wir werden die Sache allein in die Hände nehmen.“

„Aber ich...“, wollte Lydia protestieren.

Don unterbrach sie mit einer Handbewegung.

„Du bist eine Frau, die ihr Leben nicht aufs Spiel setzen darf. Zwei Todeskandidaten wie Mark und ich genügen. Jede weitere Person wäre nur hinderlich – und unnötig, glaube mir. Wir beide haben nämlich ziemlich Erfahrung mit solchen Auseinandersetzungen.“

Lydia Hamilton konnte sagen, was sie wollte, gegen seine Argumente kam sie nicht an. Wir machten uns am Ende also allein auf den Weg.

Traurig blickte uns Lydia durch das Fenster nach, als wir unten zum Wagen gingen. Sie sah dabei aus, als wäre sie der festen Überzeugung, uns beide tatsächlich nie mehr lebendig wiederzusehen.

Wir sahen nicht mehr, dass sie nach unserem Wegfahren ihren Blick auf den Horizont heftete, wo in einer guten Stunde die Sonne aufgehen musste, während Tränen über ihr schönes Gesicht rannen.

„Bitte, kommt wieder!“, flüsterte sie. „Don, ich liebe dich doch so sehr!“

*

Mehrere Familien wohnten in dem Haus, vor dem wir standen. Das Gebäude in der Meeson Street grenzte fast an das Gronwellsche Grundstück. Dort war Bobby eingestiegen.

Don und ich warteten, bis jemand das Gebäude verließ. Zu nachtschlafender Zeit konnte das sehr lange dauern, aber es ging schon dem Morgen zu, und wir hatten Glück.

Ein Mann trat aus dem Haus. Mit raumgreifenden Schritten ging er davon.

Don und ich spurteten über die Straße.

Die Eingangstür besaß einen automatischen Türschließer. Bevor sie sich wieder ganz geschlossen hatte, waren wir heran und stießen sie auf. Dann standen wir im Treppenhaus und lauschten gebannt.

Alles blieb ruhig. Niemand hatte unser Eindringen bemerkt.

Natürlich hatte Bobby nicht ganz so kompliziert vorzugehen brauchen wie wir. Er hatte den Eingang mit einem Drahtbürstendietrich geöffnet. Doch obwohl er uns ein solches Ding ebenfalls überlassen hatte, waren alle unsere Bemühungen umsonst gewesen. Wir waren eben keine perfekten Einbrecher.

Leise stiegen wir die Treppe empor. Den Lift wollten wir nicht benutzen - des Lärmes wegen.

Am Treppenhausfenster im dritten Stock blieben wir stehen. Abermals lauschten wir aufmerksam.

In diesem Augenblick öffnete sich schräg hinter uns eine Wohnungstür. Eine Frau im Morgenmantel trat heraus.

Einen Herzschlag lang fühlten wir uns als ungebetene Eindringlinge entdeckt. Aber die Frau reagierte gar nicht auf uns.

Rechtzeitig versteckten wir uns hinter dem Aufzugsschacht.

Die Frau schlurfte näher. Sie hatte anscheinend etwas gehört.

Wir vernahmen deutlich ihre Schritte. Sie kam direkt auf uns zu.

Keiner von uns wagte laut zu atmen.

„Fred?“, rief die Frau lauschend und blieb stehen. Die Treppenhausbeleuchtung flammte auf.

„Fred?“, wiederholte sie.

War sie die Frau des Mannes, der gerade das Haus verlassen hatte?

Murmelnd wandte sie sich ab und verschwand in ihrer Wohnung. Das Licht blieb brennen. Wenig später schaltete es sich automatisch aus.

„Verdammt“, flüsterte Don, „das war knapp! Ich glaube, das war mein erster und auch mein letzter richtiger Einbruch.“

„Die hat wohl etwas gehört und glaubte, ihr Mann käme zurück“, vermutete ich. Ich gab mir einen Ruck. „Vorwärts, wir dürfen keine Zeit verlieren! Bald ist die Nacht zu Ende.“

Wir öffneten das Gangfenster, wie von Bobby beschrieben, und stiegen auf die niedrige Brüstung.

Der Weg, den wir vor uns hatten, war recht riskant. Wir mussten die Mauer, die uns vom Gronwellschen Grundstück trennte, berührungslos überwinden, um nicht den Alarm auszulösen.

Bobby hatte dazu die einzige Möglichkeit entdeckt: Zwischen Haus und Mauer befand sich ein Abstand von etwa sechs Fuß. Die Mauer selbst, die zwei Yard unterhalb des Fensters endete, besaß eine Stärke von fast zwei Fuß. Hinter dieser Mauer stand eine dicke, knorrige Eiche. Trotz der relativ milden Jahreszeit hatte diese wenig Laub. Sie musste schon uralt sein und war schon halb abgestorben. Zwischen Mauer und Baum befand sich eine weitere Kluft von drei Fuß. Das waren insgesamt also elf Fuß - praktisch unüberwindbar, wenn man aus einem engen Fenster sprang und wenn man bedachte, dass der Sprung in einer Höhe von mindestens sechs Yard erfolgen sollte. Aber es gab dennoch eine Möglichkeit…

Don hatte sich die Mühe gemacht, das Abschleppseil des kleinen Minicooper mitzunehmen. Er hatte schon vor meinem Kommen dafür gesorgt, dass der Wagen aus dem Hafenviertel geholt worden war. Don bildete an einem Ende eine Schleife und warf diese über den dicken Ast, der fünf Fuß vor uns über die Mauer ragte.

Sorgfältig überprüfte er den Sitz des Seiles. Dann band er an das freie Ende eine lange, dünne Schnur. Don hielt diese Schnur in der Hand, um jederzeit das Abschleppseil wieder zum Fenster ziehen zu können.