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'Seelsorge im Andreasviertel' handelt von Pfr. Kreidler, der im Jahr 1900 im Andreasviertel von Berlin lebt und arbeitet. In einem Stadtteil, der von Armut, Verzweiflung und sozialen Spannungen geprägt ist, setzt er sich unermüdlich für die Menschen seiner Gemeinde ein. An seiner Seite steht Georg Brieskorn, ein loyaler Detektiv, der ihm hilft, die Herausforderungen und Gefahren dieses Viertels zu meistern. Gemeinsam kämpfen sie gegen die Widrigkeiten und bringen Hoffnung in das Leben derjenigen, die in den Gassen um ihr Überleben kämpfen. Die Erzählung thematisiert die Kraft der Nächstenliebe und die Bedeutung von Gemeinschaft, während sie die sozialen Ungleichheiten und menschlichen Schicksale beleuchtet. Es ist ein Aufruf an alle, Verantwortung zu übernehmen und aktiv dort zu helfen, wo Hilfe am dringendsten benötigt wird.
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Seitenzahl: 155
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Gewidmet:
Meinem Freund Wolfgang Kreidler und Georg Brieskorn
Kap. 1 - Tiedemanns Geschichte
Kap. 2 - Gestohlene Treuebezeugungen
Kap. 3 - Weiße Tauben im Andreasviertel
Kap. 4 - Inkassogeschäfte
Kap. 5 - Elend im Hausflur - ein gutes Ende
Kap. 6 - Ein seltsamer Geburtstagsbesuch
Kap. 7 - Der Stiefel und der Ziegelstein
Kap. 8 - Vater Schulz, der Taugenichts
Kap. 9 - Der seltsame Nachbar
Kap.10 - Elend
Kap.11 - Der hungernde Philosoph
Kap.12 - Das wahre Gesicht
Inmitten der pulsierenden Metropole Berlin, in einem Stadtteil, der von Widersprüchen und Kontrasten geprägt ist, entfaltet sich die bewegende Geschichte von Pfr. Kreidler und seinem unermüdlichen Einsatz für die Menschen des Andreasviertels. Dieses Büchlein lädt den Leser ein, die Schatten und Lichtblicke des Lebens in einer Vorstadt zu erleben, die sowohl ein Hort der Hoffnung als auch ein Ort der Herausforderung ist. Hier, wo dunkle Gestalten und brisanter Alltag zusammentreffen, zeigt sich die wahre Essenz der Seelsorge: Nächstenliebe, Mitgefühl und das Streben, auch den Schwächsten in der Gesellschaft zu helfen.
Im Jahr 1900 ist das Andreasviertel weit mehr als nur eine Vorstadt. Es ist ein Mikrokosmos menschlicher Schicksale, in dem die Armut und die Verzweiflung allgegenwärtig sind. Doch trotz der tückischen Gefahren, die dieser Ort birgt – sei es in Form von Aufständen an der Blumenstraße oder durch ständige Kontrollgänge mit blankem Säbel durch die Polizei, die um Recht und Ordnung bemüht ist – tritt Pfr. Kreidler mit unerschütterlichem Glauben und einer bemerkenswerten Empathie vor die Tür seiner Gemeindeglieder. Sein Einsatz für die verlorenen Seelen, die in den Gassen des Viertels um ihr Überleben kämpfen, ist nicht nur bewundernswert, sondern auch ein beeindruckendes Beispiel für die Kraft der Seelsorge.
An seiner Seite steht Georg Brieskorn, ein Detektiv von ungewöhnlichem Format, dessen Loyalität und Mut es den beiden ermöglichen, gegen die Widrigkeiten anzukämpfen. Die ungewöhnliche Partnerschaft zwischen dem Pfarrer und dem Ermittler ist nicht nur von praktischer Natur; sie symbolisiert auch die Überbrückung von Klassenunterschieden und die Bedeutung von Gemeinschaft in Zeiten der Not. Gemeinsam finden sie Wege, Menschen aus ihren Schwierigkeiten zu helfen und ihnen einen Funken Hoffnung zu schenken. Die Geschichten fanden sich um 1900 in kleinen Notizen im ‚Vorwärts‘, der Zeitung der SPD, in einer Vorstadt, die damals eine Kindersterblichkeit von 80% hatte.
In „Seelsorge im Andreasviertel" entfaltet sich eine Erzählung voller Menschlichkeit, in der Dankbarkeit und Solidarität oft unerwartete Blüten treiben. Es ist ein Appell an unsere eigene Verantwortung, laut und leise, sichtbar und unsichtbar, an den Orten zu wirken, wo Hilfe am dringendsten gebraucht wird.
Möge dieses Büchlein nicht nur Unterhaltung bieten, sondern auch Inspiration, die eigene Rolle in der Gemeinschaft zu überdenken und die kleinen Möglichkeiten des Helfens und Mitfühlens zu entdecken. Mögen wir, auch im Angesicht von Widrigkeiten, den Mut des Pfr. Kreidler und Georg Brieskorn in uns tragen und uns für jene einsetzen, die es am meisten brauchen.
In dankbarer Verbundenheit, Johannes Simang
Es war ein trüber Nachmittag, als Pfarrer Kreidler von St. Georg sich aufmachte, um einen Krankenbesuch im Andreasviertel zu machen. Der Alexanderplatz war ein Ort des geschäftigen Treibens, die Menschen drängten sich an den Ständen, während der Geruch von frisch gebrühtem Kaffee und gebrannten Mandeln in der Luft lag. Doch Kreidler hatte nur Augen für die wolkenverhangenen Himmel und die bedrückenden Gedanken, die ihn auf seinem Weg begleiteten. Eigentlich war St. Andreas schon seit rund 40 Jahren von St. Georg abgetrennt, aber sie hatten um Hilfe bei Besuchen im Andreasviertel gebeten. Pfarrer Kreidler war gespannt, was ihn erwartete, denn man sagte, dass ich nicht einmal die Polizei gern im Andreasviertel aufhielt.
„Was mochte den kranken Mann veranlasst haben, um einen Besuch zu bitten?“, dachte er. Der Pfarrer war bekannt für seine einfühlsame Art und sein offenes Ohr, doch in diesem Fall spürte er eine besondere Schwere. Er hatte gehört, dass der Mann im Andreasviertel, ein ehemaliger Fischer mit einem langen, bewegten Leben, unter einer heimtückischen Krankheit litt.
Als Kreidler die schmalen Gassen des Viertels erreichte, umgab ihn ein Gefühl der Melancholie. Die alten, baufälligen Häuser schienen Geschichten zu erzählen, die in den Mauern verborgen lagen – Geschichten von Mühsal, Hoffnung und Verlust. Er klopfte an die Tür der bescheidenen Wohnung des Kranken.
Die Tür öffnete sich langsam. Ein fahler Lichtstrahl fiel auf Kreidlers Gesicht, als er eintrat. Die kleine Stube war spärlich möbliert, der Geruch von altem Holz und Kräutern mischte sich in der Luft. Auf einer einfachen Liege lag der Kranke, Herr Tiedemann, ein graumelierter Mann in den letzten Zügen seines Lebens. Seine Augen waren tief in den Höhlen, doch in diesen müden Augen flackerte ein letzter Rest von Lebenswillen.
„Pfarrer Kreidler, danke, dass Sie kommen!“, murmelte Tiedemann schwach. Seine Stimme war gebrochen, und der Pfarrer setzte sich behutsam an sein Bett.
„Wie geht es Ihnen, Herr Tiedemann?“, fragte Kreidler sanft. Doch statt einer Antwort rollten Tränen über das vom Schmerz gezeichnete Gesicht des Mannes. Es war nicht nur die Krankheit, die ihn quälte, es war die Einsamkeit und die Geister seiner Vergangenheit, die ihn verfolgten.
Kreidler hörte aufmerksam zu, während Tiedemann von seinen Erinnerungen erzählte – den prächtigen Tagen am Wasser, dem Fang des Lebens, und den düsteren Abenden, als er entwurzelt und verloren in der Stadt umherirrte. Je mehr der Pfarrer hörte, desto mehr begriff er, dass dieser Mann nicht nur einen physischen, sondern auch einen seelischen Kampf führte.
In den folgenden Tagen besuchte Kreidler Tiedemann regelmäßig. Ihre Gespräche waren erfüllt von alten Geschichten, und Kreidler begann, die Last der Einsamkeit von Tiedemanns Schultern zu nehmen. Der Kranke öffnete sich mehr und mehr, und eines Abends, als die Dämmerung die Stadt in sanftes Licht tauchte, offenbarte er ein Geheimnis.
Die Ungerechtigkeit, die Tiedemann widerfuhr
Es war ein regnerischer Nachmittag, als Pfarrer Kreidler wieder an die Tür der kleinen Wohnung von Herr Tiedemann klopfte. Die Luft war kühl und feucht, und der Himmel war von grauen Wolken verhangen. Doch in der kleinen Stube, die Tiedemann bewohnte, brannte ein schwaches Licht, und der Duft von gebrühtem Kaffee erfüllte den Raum. Der Pfarrer trat ein und fand den alten Fischer in einem abgetretenen Sessel sitzend, mit einer Decke über den Beinen.
Tiedemann schaute auf, als die Tür sich öffnete und Kreidler eintrat. „Guten Tag, Herr Pfarrer“, begrüßte er ihn mit einem schwachen Lächeln. „Was für ein Wetter! Es erinnert mich an die stürmischen Nächte am Wasser.“
Kreidler setzte sich und nahm sich Zeit, den alten Mann zu betrachten. Tiedemanns Gesicht war von Sorgenfalten geprägt, und seine Augen hatten einen leeren, verloren Blick. Das Gespräch begann, und Kreidler fragte mit sanfter Stimme: „Wie ergeht es Ihnen heute, Herr Tiedemann?“
Nach ein paar Minuten des Small Talks, während der Regen leise gegen die Fenster klopfte, seufzte Tiedemann tief. „Es gibt etwas, das ich Ihnen erzählen möchte, Pfarrer. Eine Geschichte aus meiner Zeit als Arbeiter, die an mir nagt und mich nie loslässt.“
Kreidler lehnte sich vor, interessiert und aufmerksam. „Bitte, erzählen Sie mir davon.“
Tiedemann begann zu sprechen, seine Stimme zitterte leicht, als er sich in die Vergangenheit versetzte. „Es war vor vielen Jahren, als ich bei der Firma Siemens und Halske beschäftigt war, in Charlottenburg. Ein gewöhnlicher Arbeiter war ich, stets fleißig und ehrlich, bis ich eines Tages die erschütternde Mitteilung erhielt, dass ich entlassen sei. Arbeitsmangel, hieß es.“
Er hielt kurz inne, als ob er die Erinnerung wieder hochkämpfen musste. Kreidler konnte spüren, wie die Emotionen in Tiedemann aufwallten. „Ich war so wütend. Ich hatte nie etwas falsch gemacht, und doch fand ich mich plötzlich ohne Arbeit – ohne Einkommen. Ich stellte meinen Meister zur Rede, aber anstatt zu helfen, wies er mich einfach ab. Unerhört!“
„Ich… ich war so verzweifelt“, fuhr Tiedemann fort, während er nervös an seinen Fingern zupfte. „Und dann kam alles ins Rollen. Es gab eine Rempelei, als ich nicht sofort gehen wollte. Man wollte mich hinausbefördern, und ich, anstatt mich zu fügen, kämpfte. Ich wollte um meine Ehre kämpfen.“
Kreidler hörte geduldig zu, spürte den Zorn des Mannes und das Gefühl der Gerechtigkeit, das in ihm brodelte.
„So kam es, dass der Betriebsingenieur Weßlau sich einmischte. Er war nie ein Freund von mir gewesen, und in dieser Ausnahmesituation trat er noch unbarmherziger auf, als ich es mir je vorstellen konnte. Plötzlich ertönte ein Befehl, den Hydranten zu öffnen – und das Wasser, dieser verfluchte Wasserstrahl, traf mich mit voller Wucht.“
Tiedemann sprach nun mit lauterer Stimme, und Kreidler konnte den Schmerz und die Demütigung spüren, die mit jeder Silbe kamen. „Das Wasser war kalt, und ich fiel zu Boden, bewusstlos von der Kälte, während sie mich wie Abfall behandelten. Der Portier, dieser frühere Schutzmann, schob mich einfach hinaus, als wäre ich ein Stück Müll.“
Die Traurigkeit in Tiedemanns Stimme wurde greifbar. „Und dort lag ich, total durchnässt, auf dem Pflaster, wo niemand mir half. Ich war bewusstlos und erst später wurde ich, wie ein altes Schiff in den Hafen, wieder zu mir gebracht. Man nahm mich in den Pferdestall, um mich zu beleben. Die Verzweiflung, die ich fühlte, kann sich niemand vorstellen!“
Kreidler sah in die Augen des alten Mannes. „Was passierte dann, Herr Tiedemann?“
Tiedemann wischte sich über die Augen. „Schwer krank lag ich anschließend zu Hause. Es war eine Zeit, die ich nicht vergessen kann, eine Zeit, in der ich meine Würde verlor. Doch der Körper heilt, auch wenn die Seele länger braucht.“
Er atmete tief durch, als ob er sich von einer langen Reise erholte. „Aber ganz langsam fand ich einen Weg zurück zum Leben. Es war nicht nur der Körper, der stark sein sollte; es war auch mein Geist. Was mich nicht tötete, machte mich nur stärker.“
Kreidler nippte an seiner Tasse und bemerkte, wie Tiedemann sich sanft entspannte. „Ich habe gelernt, dass ich vergeben muss – nicht nur den anderen, sondern auch mir selbst. Es war nicht einfach, Pfarrer, aber ich fange an, Frieden zu schließen.“
„Haben Sie einen Zeugen für die Ereignisse?“ fragte Pfr. Kreidler. Tiedemann nickte: „Es stand ja sogar im Vorwärts vom 13.Jan. 1894 – warten Sie, hier habe ich den Artikel.
Pfr. Keidler: „Darf ich ihn mitnehmen, ich hätte da eine Idee. Damit verabschiedet er sich von seinem Gemeindeglied.
Das Wunder der Gerechtigkeit im Andreasviertel
Pfarrer Kreidler saß an seinem Schreibtisch in St. Georg, bedrückt von den Erzählungen, die er von Herrn Tiedemann gehört hatte. Die Ungerechtigkeit, die diesem ehemaligen Fischer widerfahren war, nagte an seinem Gewissen. Er wusste, dass er handeln musste. Ein Gefühl der Entschlossenheit überkam ihn, als er seine Feder zur Hand nahm und einen Brief an die Geschäftsleitung von Siemens aufsetzte – eine Beschwerde, die von seiner Wut und seinem Wunsch nach Gerechtigkeit zeugte.
„Ich kann nicht länger untätig zusehen“, murmelte er vor sich hin, während er die letzten Sätze des Briefes niederschrieb. „Ich werde die Vorfälle dokumentieren und es auf die rechtliche Ebene bringen, wenn es nötig ist. Tiedemann hat sein Recht auf Würde und Respekt verdient.“
Mit einem letzten Blick auf den Brief stopfte er ihn in einen Umschlag, bereit, sich dem Unrecht entgegenzustellen.
Am nächsten Morgen machte sich Kreidler auf den Weg zu den Büroräumen von Siemens in Charlottenburg. Der Regen tropfte nieder, und seine Entschlossenheit wurde nur von dem Gedanken an Tiedemann gestärkt, der in seiner kleinen Wohnung weiter ausharrte, gefangen durch die Ungerechtigkeiten in seiner Vergangenheit.
Als Kreidler den Empfang erreichte, wurde er von einer unfreundlichen Empfangsdame aufgehalten, die mit verschränkten Armen hinter dem Schreibtisch saß. „Kann ich Ihnen helfen?“
„Ja, ich möchte dringend mit jemandem sprechen, der für das Personal zuständig ist – in Bezug auf Herrn Tiedemann und die Vorfälle, die sich in Ihrer Abteilung zugetragen haben“, antwortete er resolut.
„Das müssen Sie schriftlich einreichen. Wir können da nichts tun“, erwiderte sie schnippisch.
Kreidler griff in seine Tasche, zog den Umschlag heraus und legte ihn auf den Tisch. „Das hier kann nicht ignoriert werden. Sollte ich gezwungen sein, einen Gerichtsprozess einzuleiten, würde ich das auch tun.“
Sein Auftreten beeindruckten die Empfangsdame schließlich und sie gab ihm eine kurze, aber bedeutende Anweisung: „Warten Sie hier. Ich werde sehen, ob Herr Ingenieur Weßlau Zeit hat, Sie zu sprechen.“
Nach einem Moment des Wartens wurde Kreidler schließlich in das Büro von Ingenieur Weßlau geleitet. Der Mann, der zuvor in Tiedemanns Geschichte eine tragende Rolle gespielt hatte, sah selbstbewusst und arrogant aus, als er sich hinter seinem Schreibtisch zurücklehnte.
„Was kann ich für Sie tun, Pfarrer Kreidler?“, fragte Weßlau mit einem kühlen Lächeln.
„Ich bin hier, um über die Vorfälle im Zusammenhang mit Herrn Tiedemann zu sprechen“, begann Kreidler nüchtern. „Sein Leben wurde durch Ihre Entscheidungen beschädigt, und ich beabsichtige, diesem Unrecht Einhalt zu gebieten.“
Weßlau schüttelte den Kopf. „Das ist absurd. So etwas passiert in jeder Fabrik. Wenn jemand nicht aufpasst, ist das nicht mein Problem.“
Doch Kreidlers eindringlicher Blick ließ Weßlau innehalten. „Sie können das nicht einfach abtun, Herr Weßlau. Tiedemann ist nicht nur eine Nummer, er ist ein Mensch, der unter Ihrer Aufsicht Ungerechtigkeiten erlitten hat. Ich habe keinen Zweifel, dass ich diesen Fall vor Gericht bringen kann.“
In diesem Moment öffnete sich eine Tür, und ein Kollege trat ein, mit einer Zeitung in der Hand. „Hast du das gesehen, Weßlau? Ein Artikel über die Vorfälle in deiner Abteilung. Sie nennen dich beim Namen. Der Artikel wurde am Empfang abgegeben, er ist schon älter.“
Weßlau erblasste sichtlich und schnappte nach dem Artikel. Kreidler beobachtete, wie der Ingenieur die Schlagzeile las: „Skandal in der Fabrik – Manager für Ungerechtigkeit an verletztem Arbeiter verantwortlich.“ Die Worte schienen wie ein Hammer auf Weßlau niederzuschlagen, und er nahm schnell einen tiefen Atemzug.
„Nun, das… das war nicht so gemeint“, stammelte Weßlau, während seine Haltung verwundbar wurde.
Kreidler nutzte den Moment der Verwirrung und setzte nach. „Sie müssen die Verantwortung übernehmen. Herr Tiedemann verdient Entschädigung und die Gewissheit, dass so etwas nicht wieder geschieht.“
Weßlau war sichtlich unter Druck geraten. „Ich… ich erkenne die Problemlage an, aber es war nicht meine Absicht, ihn zu schädigen. Ich…“
Doch der Pfarrer hatte genug gehört. „Ich werde sicherstellen, dass die Öffentlichkeit von dieser Sache erfährt, und nicht nur Herr Tiedemann. Siemens kann sich kein solches Verhalten leisten.“
Da brach Weßlau schließlich in eine Art von Nervosität aus. „In Ordnung, ich gebe zu, dass ich Fehler gemacht habe. Das sollte nicht so passieren. Der Meister, ja, er hat auch seine Rolle gespielt. Wir werden uns um eine Lösung kümmern.“
Woche um Woche verging, und die Nachrichten über den Vorfall verbreiteten sich. Der Druck auf Siemens wurde größer, während Tiedemann seine Zeit in der Stille seines Zuhauses verbrachte, in der Hoffnung, dass seine Geschichte Gehör finden würde.
Am Tag der Entscheidungen informierte die Personalabteilung Kreidler darüber, dass Weßlau und der Meister der Abteilung entlassen worden waren. Zu Kreidlers Überraschung erhielt Tiedemann sogar eine Entschädigung für die erlittenen Ungerechtigkeiten.
„Wir sind bereit, Sie wiedereinzustellen, sobald Sie dazu arbeitsfähig sind, Herr Tiedemann“, teilte der Personalchef fernschriftlich mit.
Als Tiedemann die Nachrichten erfuhr, konnte er die Tränen der Erleichterung nicht zurückhalten. Kreidler war zur Stelle, um „sein Schäfchen“ zu besuchen, und das Lächeln von Tiedemann war einer der dankbarsten Anblicke, die der Pfarrer je erlebt hatte.
„Es ist nicht nur der Job, es ist das Gefühl, dass Gerechtigkeit wiederhergestellt wurde“, flüsterte Tiedemann, während er Pfr. Kreidler umarmte.
„Ja, mein Freund. Jetzt haben Sie die Chance, Ihr Leben neu zu gestalten und all das hinter sich zu lassen. Sie sind nicht allein – wir sind hier, und es wird eine neue Zukunft geben.“
Und so, mit der Gewissheit, dass Gerechtigkeit Wirklichkeit geworden war und dass die Schatten des Andreasviertels endlich an dieser Stelle zu weichen begannen, konnte Tiedemann einen neuen Lebensabschnitt beginnen – einen, in welchem Hoffnung und Würde die vorherrschenden Töne bildeten.
Der Pfarrer lächelte warmherzig. „Es ist kraftvoll, was Sie sagen, Herr Tiedemann. Es ist wichtig, auf die Heilung zu achten und den Mut zu finden, nach vorn zu schauen.“
„Ja“, antwortete Tiedemann, „und ich hoffe, dass meine Geschichte nicht nur für mich, sondern auch für andere eine Lehre sein kann. Wir alle kämpfen unsere Kämpfe, aber wir müssen auch die Stärke in uns entdecken, um all diese Schatten hinter uns zu lassen.“
Kreidler nickte, entzückt von Tiedemanns ungewohnter Entschlossenheit. „Ihr Zeugnis ist wichtig, mein Freund, und ich bin dankbar, dass Sie mir dies anvertraut haben.“
Und so saßen die beiden Männer bei dem schummrigen Licht, während der Regen an die Fenster prasselte und die Geschichten der Vergangenheit in Zukunft Hoffnung und Veränderung in sich trugen.
„Es ist nie zu spät, um Frieden zu finden, Herr Tiedemann“, sagte Kreidler, seine Stimme fest und tröstend. „Glauben Sie daran, dass die Vergebung möglich ist, sowohl von anderen als auch von sich selbst.“
Die Tage vergingen und der Gesundheitszustand von Tiedemann besserte sich langsam. Seine Worte wurden geformt von der Hoffnung auf den Neuanfang. Er begann, sich mit seinen Gedanken und der Schuld auseinanderzusetzen. Kreidler blieb an seiner Seite, betete mit ihm und half ihm, die Schatten seiner Vergangenheit zu beleuchten.
Eines Abends, als die Luft kühl war und die Sterne über den Dächern des Andreasviertels leuchteten, bat Tiedemann den Pfarrer, ihm ein Stück Papier zu bringen. Er wollte einem alten Freund einen Brief schreiben, um Frieden zu schließen, wie er eben alles in Reine bringen wollte, was sein Leben ins Ungleichgewicht gebracht hatte.
„Es tut mir leid“, begann er, während Kreidler über seine Schulter schaute. „Es tut mir leid für das, was ich getan habe…“ Der Pfarrer spürte die Erleichterung, die von Tiedemann ausging, als die Worte zu Papier flossen, und in diesem Moment wurde die alte Wunde des Mannes ein Stück weit geheilt.
Die Wochen vergingen, und Tiedemann blühte auf, auch wenn er noch immer die Fesseln der Krankheit trug. Eines Morgens sagten sie sich gegenseitig Lebewohl – der Pfarrer war auf dem besten Wege, einen letzten Besuch zu machen, da er wietere Aufgaben in diesem Stadtteil hatte. Der einst kranke Mann war dankbar, und Kreidler fühlte, dass er etwas Wertvolles hinterlassen hatte.
„Sie haben mir mehr gegeben, als ich je geglaubt habe“, murmelte Tiedemann mit einer Kraft, die er zuvor nicht gehabt hatte. „Ich werde die Welt anders betrachten, dank Ihnen.“
Kreidler nickte und lächelte herzlich. „Es war Ihr Mut, Herr Tiedemann, der den Unterschied gemacht hat.“ Als er die Tür hinter sich schloss, fühlte er, dass die Nöte im Andreasviertels ein Stückchen heller geworden waren.
In den folgenden Wochen erfuhr er von anderen Gemeindegliedern, dass Tiedemann an einen neuen Ort erfolgreich umgesiedelt war, und Kreidler wusste, dass der Mann nicht nur seinen inneren Frieden gefunden hatte, sondern auch seine neue Lebensmission entdeckt hatte – als eine Stimme aus dem Andreasviertel, die die verlorenen Seelen ermutigte und ihnen half, ihre eigenen Kämpfe zu führen und die Nöte zu besiegen.