Sie ist mein Tod - Martina Gabriele Lorenz - E-Book

Sie ist mein Tod E-Book

Martina Gabriele Lorenz

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Beschreibung

England ist in Aufruhr. König Henry VIII. will die Scheidung von seiner Ehefrau Katharina von Aragón. Doch Katharina beharrt auf der Rechtmäßigkeit ihrer Ehe. Während Katharina mit dem Kaiser und dem Papst mächtige Verbündete hat, sehen die Reformatoren in "des Königs großer Sache" die Chance, England von Rom zu spalten. Der erbitterte, von Intrigen geschürte Kampf fordert viele Opfer auf beiden Seiten.

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Seitenzahl: 527

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Romanreihe und Autorin
Impressum
Widmung
Hauptteil
1. Warten
2. Der Kampf beginnt
3. Zwei Königinnen
4. Tretet vor das Gericht
5. Wolseys Stern sinkt
6. Zwei Fronten
7. Wolseys Ende
8. Spaltung
9. Nan Bullen
10. Kirche und Politik
11. Calais
12. Erfüllung
13. Ohne Papst und Kaiser
14. Bis zum letzten Atemzug
15. Verbannt
16. Königskinder
17. Das Gesetz
18. Vater, König, Ehemann
19. Attraktiv bleiben
20. Gehetzt
21. Hochverrat
22. Tod eines Egoisten
23. Ungezügelt
24. Wulfhall
25. Machiavellis Rat
26. Katharina R.
27. Verloren
28. Weg mit der Hexe
29. Verraten und verlassen
30. Angeklagt
31. Im Tower
32. Je vous pardonne
33. Familienbande
34. Gestörte Idylle
35. Die Stimme des Nordens
36. Jahreswechsel
37. Krieg und Frieden
GLOSSAR
Familien- und Personenübersicht Band 1–3
Könige der Rosenkriege bis Henry VII.
Päpste während der Tudor-Herrschaft bis 1547
Nachwort

Martina Lorenz

DIE TUDOR-DYNASTIE

TEIL II

SIE IST MEIN TOD

Roman

Romanreihe und Autorin

Es gibt Dinge, die waren, Dinge, die vielleicht waren, und Dinge, die hätten sein können. Diese Idee ist die Grundlage des mehrteiligen historischen Familienromans über die Tudors. Hinter den geschichtlichen Tatsachen stehen Menschen mit ganz unterschiedlichen Beweggründen: Ehrgeiz, Pflichtgefühl, Liebe, Angst, Rache. Einige halten die Macht in der Hand, einige fallen ihr zum Opfer. Manchmal sind es dieselben.

Die Romanreihe im Überblick

Band I: Machtspiele (1486 – 1526)

ISBN Printausgabe 978-3-945886-08-3

Band II: Sie ist mein Tod (1526 – 1537)

ISBN Printausgabe 978-3-945886-09-0

Band III: Kein anderer Wille (1537 – 1547)

ISBN Printausgabe 978-3-945886-10-6

Martina Lorenz wurde 1963 geboren, studierte Linguistik, Anglistik und Germanistik und war Lehrerin für Fremdsprachen. Ihre Hobbys sind Schreiben, Malen, Geschichte und Königshäuser. Sie lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Schwäbisch Gmünd.

»In den Tudors vereint sich eine bewegte Familiengeschichte mit spannenden historischen Ereignissen, die England grundlegend und nachhaltig veränderten. Ich hatte meine erste Begegnung mit den Tudors in meinem Englischbuch der 8. Klasse, und seither haben sie mich nicht mehr losgelassen.« M.L.

Über dieses Buch

Manchmal, wenn er nachts in die Dunkelheit starrte, kamen ihm Zweifel, ob ein Leben mit Anne all die Opfer wirklich wert war. Warum machte er es nicht wie alle anderen Könige, nahm sich eine Mätresse, bei Bedarf eine andere, und blieb einfach mit Katharina verheiratet? Stattdessen war er dabei, es sich mit seinem Volk, seinem Lordkanzler und mit dem Papst zu verderben.

England ist in Aufruhr. König Henry VIII. will die Scheidung von seiner Ehefrau Katharina von Aragón, um seine große Liebe Anne Boleyn zu heiraten. Doch Katharina beharrt auf der Rechtmäßigkeit ihrer Ehe. Während Katharina mit dem Kaiser und dem Papst mächtige Verbündete hat, sehen die Reformatoren in des »Königs großer Sache« die Chance, England von Rom zu spalten. Der erbitterte, von Intrigen geschürte Kampf fordert viele Opfer auf beiden Seiten.

Band II des mehrteiligen Romanzyklus erzählt die Geschichte der Tudors und ihrer Weggefährten von 1526 bis 1537.

Impressum

Inhalt © 2020 by Martina Lorenz Cover © 2020 by Martina Lorenz /canva.com

Verlag: Sprache & Text

Martina Lorenz

Ludwig-Bölkow-Str. 19 73568 [email protected]

Erstveröffentlichung Printausgabe 2020

e-book-Veröffentlichung 2024 (epubli)

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Autors und des Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Widmung

Für

die drei wichtigsten Menschen

in meinem Leben

Martin

Maxim & Sebastian

Hauptteil

1. Warten

An einem Septembernachmittag des Jahres 1526 wartete Kardinal Wolsey seit Stunden ungeduldig auf die Rückkehr des Königs, der mit Anne Boleyn ausgeritten war. Es begann bereits zu dämmern, als Henry VIII. endlich eintraf, Anne Boleyn an seiner Seite.

»Euer Majestät, ich habe wichtige Nachrichten für Euch«, begrüßte Wolsey den König und fuhr sogleich fort: »Der kaiserliche Botschafter … «

Henry VIII. winkte ab. Zu sehr stand er noch im Bann des Nachmittags, an dem Anne endlich sein Werben erhört und eingewilligt hatte, seine Frau zu werden, sobald er von Katharina frei war. Er konnte jetzt keine Politik gebrauchen. »Später, Wolsey. Habt einen Augenblick Geduld.«

Der Kardinal entfernte sich mit einem säuerlichen Gesichtsausdruck.

Anne sah ihm nach. »Wie kann es sein, dass alle Nachrichten und Briefe immer zuerst beim Kardinal landen und er alles vor dem König weiß? Hat Thomas Wolsey eine höhere Stellung als du selbst?«

Henry hörte den kritischen Unterton in ihrer Stimme, doch er empfand ihn nicht als unangemessen. War ihre Bemerkung denn nicht ein Zeichen ihrer scharfen Beobachtungsgabe und ihres Interesses an Dingen, die am Hof passierten? Solche Eigenschaften waren wichtig für eine zukünftige Königin. Zärtlich ergriff er ihre Hand. »Ach, Anne. Glaubst du, ich hätte Zeit, mit dir über die Felder zu reiten, wenn ich all die Briefe und Botschaften selbst entgegennehmen und beantworten müsste? Wolsey nimmt mir den größten Teil der Arbeit ab und informiert mich in Kurzform über das Wichtigste. Du wirst einen sehr schreibfaulen Ehemann bekommen, mein Herz. Ich habe mir sogar einen Stempel mit meiner Unterschrift prägen lassen, das spart Zeit. Aber glaub mir, in den Briefen an dich war jedes einzelne Wort von meiner eigenen Hand und meiner eigenen Seele. Und so wird es immer bleiben. Möchtest du dich nun ein wenig ausruhen, dann werde ich die Zeit nutzen und mir anhören, was Wolsey mir über den neuen kaiserlichen Botschafter zu berichten hat. Vielleicht hat er in Erfahrung gebracht, wann dieser Herr endlich hier eintrifft, er ist ja seit Wochen überfällig. Je schneller ich es hinter mir habe, desto besser.« Henry lachte entschuldigend und drückte Anne zum Abschied einen sanften Kuss auf die Finger.

Erst im Dezember konnte Don Iñigo López de Mendoza y Zuñiga seine diplomatischen Dienste am englischen Hof antreten, ganze vier Monate später als erwartet, da er auf seiner Reise nach England in französische Gefangenschaft geraten war. Der kaiserliche Botschafter merkte bald, dass seine Position am Hof Henrys VIII. alles andere als einfach war. Jedes Gespräch mit der Königin wurde überwacht, jeder Brief kontrolliert. Katharina von Aragóns Hoffnung, über den neuen Botschafter mehr Kontakt zu ihrem Neffen Karl V. zu bekommen, stellte sich als falsch heraus. Der kaiserliche Botschafter war zutiefst betrübt darüber, ihr in ihrer Situation nicht wirklich weiterhelfen zu können. Sehr schnell wurde ihm klar, wie unglücklich und isoliert Katharina war; auch des Königs Tändelei mit der aparten Anne Boleyn entging ihm nicht.

Die Königin hätte es bestimmt leichter, wenn sie sich etwas von den Interessen meines Herrn, des Kaisers, distanzierte, notierte er in seinen persönlichen Aufzeichnungen. Ich kann nichts weiter für sie tun, als alles, was hier vor sich geht, genau zu dokumentieren. Der Kardinal Wolsey hat seine Augen und Spione überall, man kann keinen Schritt tun, keine Silbe sprechen, ohne dass er davon erfährt. Der König hat kein Auge mehr für seine Frau, auch wenn sie zum Schein einträchtig nebeneinandersitzen und gemeinsam speisen. Sobald die Königin sich in ihre Gemächer zurückgezogen hat, tanzt der König mit diesem Mädchen, das ihn an der Nase herumführt. Ich werde meine Augen offen halten müssen, denn ich habe das Gefühl, dass die Königin in Gefahr schwebt. Gebe Gott, dass ich die Zeichen erkenne und Mittel und Wege finde, sie rechtzeitig zu warnen.

Anne starrte trübsinnig aus dem Fenster. Gott sei Dank war der Januar fast vorbei. Von allen Monaten hasste sie ihn am meisten. Man konnte kaum nach draußen, die Weihnachtszeit mit ihren aufwändigen Festivitäten war vorbei, Karneval noch weit, und das Einerlei aus Kartenspiel, Lautenzupfen, Singen und dummem Hofklatsch schien kein Ende zu nehmen. Wie gerne würde sie wieder einmal ausreiten oder auf die Jagd gehen. Der König hatte ihr vor Wochen versprochen, sie einmal auf eine Hirschjagd mitzunehmen. Die Jagd auf Großwild war dem Hochadel vorbehalten, zu dem ihre Familie nie gehört hatte und deswegen mit Fasanen, Hasen und anderem Kleingetier hatte vorliebnehmen müssen. Aber Annes Freude auf dieses Ereignis war mittlerweile der Resignation gewichen, denn sie glaubte nicht mehr daran, dass Henry sein Versprechen wahr machen würde, genauso wenig wie das, sich von seiner Frau zu trennen. Seit Monaten wartete sie darauf, aber er hatte wohl immer noch keine entscheidenden Schritte unternommen, und die Tatsache, dass er an Weihnachten sogar seine Tochter Mary an den Hof geholt und sich mit ihr und Katharina als glückliche Familie dem Volk präsentiert hatte, ließen Anne zu dem Schluss kommen, dass er die ganze Geschichte mit dem Eheversprechen nur erfunden hatte, um sie herumzukriegen. Anne presste ihre Hand gegen die beschlagenen Scheiben. Wenn ihre Familie nicht wäre, hätte sie die Sache längst abgehakt und dem König gesagt, dass sie von seinen Spielchen genug hatte. Andererseits konnte es ihr egal sein, wenn er nicht in die Füße kam. Ohne Heirat kein Sex – mit dem König würde sie nur als Königin schlafen. Das waren ihre Bedingungen, und davon würde sie nicht abstehen. Dieser Gedanke ließ nun doch ein Lächeln auf ihrem Gesicht erscheinen.

»Woran denkt die schönste aller Frauen?« Thomas Wyatt tauchte neben ihr auf.

Sie lehnte sich an seinen Arm und seufzte. »Ich wünschte, es wäre schon Mai. Diese Winterzeit macht mich wahnsinnig. Ich fühle mich wie ein eingesperrtes Tier.«

Wyatt deutete einen Handkuss an. »Vielleicht kann ich dazu beitragen, Euren Trübsinn zu vertreiben? Was haltet Ihr von einem Dichtwettbewerb?«

Sie lachte. »Ihr habt wohl Freude am Verlieren, Thomas. Oder warum bietet Ihr mir das an?«

»Ich verliere gerne, wenn ich dadurch ein Lächeln auf Euer Gesicht zaubern kann. Darf ich?« Er bot ihr den Arm und führte sie hinüber zum Kamin. Auf den mit Fellen ausgelegten Bänken ließen sie sich nieder.

»Schriftlich oder nur in Worten?«, fragte sie.

»Ich habe mir gedacht, einer sagt ein Wort, und dann muss jeder, der mitmacht, so viele Reimworte wie möglich darauf finden. Wie viele sind wir?« Andere Höflinge und Hofdamen fanden sich ein. »Wir brauchen einen Schiedsrichter. George, wie wäre es mit Euch?«

George Boleyn lachte. »Nichts lieber als das. Dann blamiere ich mich schon nicht mit meiner mickrigen Dichtkunst.«

»Und deine Schwester kann sich ihres Sieges jetzt schon sicher sein, nicht wahr«, ertönte eine sanfte Stimme, die Anne sofort als die ihrer Schwägerin erkannte.

»Keine Sorge, liebe Jane«, sagte sie mit übertriebener Freundlichkeit. »Ich bin talentiert genug, um auch ohne meinen Bruder zu gewinnen.«

So kam es auch. Nach zwei Stunden, in denen die Mitstreitenden einer um den anderen ausgeschieden waren, blieben am Ende nur noch Anne und Thomas Wyatt übrig, und in der alles entscheidenden Runde musste sich der Dichter gegenüber Anne geschlagen geben.

Er spielte den Untröstlichen, warf sich Anne zu Füßen: »Ich ergebe mich und schwöre, dass ich Euch nie wieder herausfordern werde.«

Sie hielt ihm gnädig die Hand hin und zog ihn hoch. »Nein? Das würde ich sehr schade finden, lieber Thomas. Ihr habt es immerhin verstanden, mich einen eintönigen Wintertag in Windeseile vergessen zu lassen. Das ist ein großer Verdienst.« Sie sah ihm feierlich in die Augen und lachte.

Er ergriff seine Chance. »Dann habe ich mir eine Belohnung verdient.«

»Was für eine Belohnung?«

»Vielleicht … einen Kuss?« Er sah ihr abweisendes Gesicht und kam näher. »Nicht hier, natürlich. Wir könnten uns später treffen. Im Park.«

Sie lachte laut auf. »Im Park! Lieber Thomas, Ihr scheint zu vergessen, dass es Winter ist! Da ist der Park nicht der richtige Ort für Romanzen. Abgesehen davon finde ich Eure Forderung ziemlich dreist.«

Sie wollte streng klingen, aber er nahm sie nicht ernst. Seine Augen hatten etwas Glänzendes an ihrem Gürtel entdeckt. Blitzschnell griff er zu und schnappte sich das, was da aus ihrer Tasche herausbaumelte.

»Nein! Was tut Ihr da!« Anne versuchte, ihm das erbeutete Schmuckstück wieder zu entreißen, aber er verbarg es in seiner Faust und ließ es dann unter seiner Tunika verschwinden. »Gebt es her!« Anne war wütend, aber er ignorierte es.

»Nein, ich behalte es – als Pfand.«

»Ein Pfand kann man auslösen.«

Er lachte. »Dann löst es doch aus.«

»Und wie?«

»Nun, mit einem Kuss.«

Verächtlich wandte sie sich ab. »Behaltet es.«

Die schwere Metallkugel klatschte mit einem dumpfen Geräusch auf den Rasen, hüpfte einmal auf, rollte gemächlich ein kurzes Stück und blieb in unmittelbarer Nähe einer anderen Kugel liegen.

»Der Wurf gehört mir, Wyatt!« Mit langen Schritten eilte der König auf die beiden Kugeln zu. »Seht Ihr?« Er wies mit der linken Hand auf seine Kugel und maß grob mit gespreizten Fingern den Abstand zu der kleineren Zielkugel.

Thomas Wyatt, der ebenfalls näher gekommen war, hatte jedoch weniger Interesse an dem Boulespiel als an dem, was er an des Königs kleinem Finger entdeckte: Es war eindeutig ein Ring von Anne, und erst jetzt fiel es ihm auf, dass Anne Boleyn ihn schon seit einiger Zeit nicht mehr getragen hatte. Wyatt kombinierte blitzschnell. »Wenn Euer Majestät es erlauben, würde ich gerne nachmessen, in der Hoffnung, dass ich der Glückliche bin.« Damit griff er unter sein Hemd und zog den Anhänger hervor, den er Anne vor einigen Wochen abgeluchst hatte. Er maß mit der Kette nach, an der der Anhänger befestigt war, sorgfältig darauf bedacht, dass der König ihn deutlich zu sehen bekam. Des Königs Gesicht sprach Bände, als er in dem Schmuckstück eines seiner Geschenke an Anne wiedererkannte.

Tatsächlich hatte Wyatt den besseren Wurf getan, aber jeder der beiden Männer wusste, dass es nicht mehr um das Boulespiel ging, als Henry sagte: »Das mag so sein, aber dann bin ich betrogen worden.« Dann drehte er sich um und verließ den Platz.

Er irrte durch die langen Gänge von Greenwich, als sei er auf der Flucht. Sein Geschenk an der Brust seines Rivalen – er wusste nicht, was er denken, geschweige denn, was er tun sollte. Er fühlte sich gedemütigt, verletzt, hintergangen. Es konnte nicht sein, dass sie ihn so an der Nase herumführte, das würde sie nicht wagen, nicht bei ihm, ihrem König. Aber noch während er das dachte, drängte sich ihm das Gefühl, nein, die Gewissheit auf, dass Anne sehr wohl genau das tun konnte, sonst wäre sie nicht Anne. Schwer atmend lehnte er sich gegen die Brüstung des eckigen Turms, der einen so schönen Blick auf die Themse bot. Er konnte sich nicht daran erinnern, wie er hier heraufgekommen war, aber seine Verwirrung und Verzweiflung hatten ihn an den Ort geführt, den er als junger König extra hatte bauen lassen, damit er die Sterne beobachten konnte.

Da stehe ich nun, dachte er, der mächtigste Mann Englands, und benehme mich wie ein eifersüchtiger Jüngling, ein gekränkter Liebhaber, der ich noch nicht einmal bin.

Vom Glockenturm der nahen Palastkapelle begann es, zur Vesper zu läuten, und kurz darauf sah Henry seine Frau Katharina zusammen mit Bischof Fisher zur Andacht schreiten, hinter ihnen folgten Katharinas Hofdamen. Anne ging ganz am Schluss. Er konnte seine Augen nicht von ihr lassen und starrte ihr in einer qualvollen Mischung aus Schmerz, Wut und Begehren hinterher. Da wandte sie den Kopf nach oben und sah ihn stehen. Sie hob die Hand und winkte. Als habe er nur auf dieses Zeichen gewartet, drehte er sich um und eilte die Turmtreppe hinunter. Er musste mit ihr sprechen, jetzt gleich. Seine großen Füße hatten auf den schmalen Stufen der Wendeltreppe kaum Platz, er stolperte und konnte sich gerade noch am Geländer festhalten, sonst wäre er gestürzt. Er schrammte sich das Bein an einem hervorspringenden, scharfkantigen Mauerstück, aber es interessierte ihn nicht. Die Wachmänner am Hoftor sahen ihm verdutzt nach, als er an ihnen vorbeihastete.

Als er in den kleinen Vorhof der Kapelle kam, stand sie an der Mauer. Es schien, als sei sie absichtlich draußen geblieben, um auf ihn zu warten. Sollte er sich darüber freuen, oder war auch das Teil eines Spiels, das er noch nicht durchschaute? Sie lächelte, doch er konnte das Lächeln nicht erwidern. »Du solltest eigentlich schon in der Kapelle sein«, sagte er und deutete auf die mit Schnitzereien verzierte Holztür, hinter der man Gemurmel und den eintönigen Singsang der Psalmen hörte.

Sie schüttelte den Kopf. »Als du so schnell oben am Turm verschwunden bist, hatte ich das untrügliche Gefühl, dass du gleich zu mir kommst. Und so habe ich beschlossen, hier auf dich zu warten. Aber du siehst nicht glücklich aus.«

»Zeig mir den Mann, der glücklich ist, wenn er ein Geschenk für seine Liebste am Hals eines anderen Mannes wiederfindet«, herrschte er sie an.

»Pst!« Sie legte den Zeigefinger auf den Mund und deutete mit der anderen Hand auf die Kapelle. »Lass uns ein Stück weiter weggehen«, schlug sie vor.

Für ihre Souveränität hätte er sie in diesem Moment am liebsten geschlagen, aber er folgte ihr in einen abgelegeneren Winkel des Hofes. Wie ein dummer Junge, dachte er bei sich. Wie ein kleiner dummer Junge laufe ich diesem Mädchen hinterher.

Das Mädchen stand vor ihm und sah ihn gespannt an. »Ich habe nicht ganz verstanden, worum es geht«, sagte sie.

Er holte tief Luft, um sich zu beruhigen. »Erinnerst du dich an den kleinen vergoldeten Anhänger mit dem Reh in der Mitte?«

Er hatte eine schuldbewusste oder doch zumindest eine erschrockene Reaktion erwartet, aber nicht diese Gleichgültigkeit, mit der sie sagte: »Ach, das.«

»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast? Wie kommt das Ding unter Wyatts Tunika?« Henrys Stimme zitterte vor mühsam unterdrückter Wut.

»Er trägt es unter seiner Tunika? Mein Gott, dieser Vollidiot!« Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. »Es ist alles ganz anders, als du denkst, glaub mir. Wyatt hat mir den Anhänger gestohlen, ich habe versucht, ihn zurückzubekommen, aber es war vergeblich.«

»Wahrscheinlich hast du dich nicht genug bemüht. Er war dir wohl nicht wichtig genug.«

»Ich musste abwägen. Es schien mir besser, auf den Anhänger zu verzichten als den Preis zu bezahlen, den er für die Rückgabe wollte. Oder meinst du, es wäre besser gewesen, den Anhänger mit dem Kuss, den Wyatt von mir forderte, auszulösen?«

»Er wollte einen Kuss von dir? Was glaubt dieses Schwein eigentlich ...«

Sie unterbrach ihn, bevor er zu laut wurde. »Bitte, Henry! Thomas Wyatt wollte dir bestimmt nicht in die Quere kommen. Er hatte nur einfach keine Ahnung, dass du und ich …« Ihr beschwichtigender Tonfall wurde plötzlich aggressiv, als sie fortfuhr: »Wie sollte er denn etwas ahnen? So wie du dich mir gegenüber in letzter Zeit verhalten hast, kommt kein Mensch auf die Idee, dass du mich zu deiner Frau machen willst. Ich weiß ja selbst nicht einmal mehr, ob ich noch daran glauben soll.«

Ihre Worte erschütterten ihn. »Aber Anne, das ist nicht dein Ernst. Du zweifelst doch nicht wirklich an meinem Versprechen?«

»Was bleibt mir denn anderes übrig? Welche Schritte hast du denn bisher unternommen, um die Scheidung von deiner Frau durchzukriegen? Hast du überhaupt schon etwas in die Wege geleitet? Deinem Gesichtsausdruck nach nicht. Was soll ich also glauben, und vor allem: wie lange soll ich es noch glauben?« Sie wandte sich zum Gehen.

Er lief ihr nach. »Anne, bitte! Es ist nicht so einfach, die Sache muss gut vorbereitet werden …«

»Du hast doch einen fähigen Kardinal«, antwortete sie kühl. Dann ließ sie ihn endgültig stehen und schlüpfte leise in die Kapelle.

2. Der Kampf beginnt

»Wolsey, ich muss eine Möglichkeit finden, mich von Katharina zu trennen.«

Thomas Wolsey wärmte sich die klammen Hände über dem Feuer in Henrys Kamin. Es war Anfang April noch einmal sehr kalt geworden.

Henry ging hinüber zu ihm. Er zog das linke Bein ein wenig nach. Die kleine Wunde an seinem Oberschenkel, die er sich vor einigen Wochen an der Schlossmauer geholt hatte, war hartnäckig und hatte zu eitern begonnen. Sein Arzt Dr. Butts meinte zwar, dass sie sich mittlerweile auf dem Weg der Heilung befände, aber das Bein schmerzte bei jeder Bewegung. »Warum sagt Ihr nichts?«

Langsam drehte sich der korpulente Kardinal um. »Was meint Ihr mit Trennung?«

Henry hob die Hände in einer Mischung aus Hilflosigkeit und Ungeduld. »Ich denke seit Monaten darüber nach und komme immer wieder zu dem Schluss, dass ich nur dann auf einen Erben hoffen kann, wenn ich eine neue Ehe eingehe. Mit Katharina ist es endgültig vorbei, das wisst Ihr doch.« »Es ist dieses Boleyn-Mädchen, nicht wahr?«

Henrys erster Impuls war, Anne aus dem Spiel zu lassen und die Frage grundsätzlich zu erörtern. Aber wozu sollte er noch mit seinen Gefühlen hinterm Berg halten, es würde binnen kurzer Zeit ohnehin jeder erfahren, und er sehnte sich geradezu nach jemandem, mit dem er offen sprechen konnte. »Ich weiß nicht, mit wem ich sonst darüber reden soll. Ihr seid ein Kirchenmann und solltet solche Gefühle vielleicht nicht kennen, aber ich weiß, dass Ihr auch eine Geliebte habt und Kinder … und vielleicht könnt Ihr verstehen, dass man sich gegen manche Gefühle nicht wehren kann, so wie ich mich gegen das, was ich für Anne Boleyn empfinde, nicht wehren kann. Sie kommt mir vor, als sei sie für mich geschaffen. Sie ist so ganz anders als die Frauen am Hof. Sie ist musikalisch, schreibt Verse, sie ist unheimlich klug und versteht, sich sehr gewählt auszudrücken, ich habe mich mit ihr schon des Öfteren über Religion unterhalten …«

»Sie liest ketzerische Schriften und steht auf der Seite der Protestanten, das habt Ihr ja gewiss bemerkt«, schaltete Wolsey sich ein.

Henry winkte ab. »Das ist nur ein Zeichen dafür, dass sie einen scharfen, kritischen Verstand hat. Man muss sich mit den Zeichen der Zeit auseinandersetzen. Sie passt perfekt an einen modernen Königshof. Es wird Zeit, dass hier in England ein bisschen mehr Kultur und Stil gepflegt wird.« »Mein König, diese Dinge mögen alle richtig sein. Doch erlaubt mir zu behaupten, dass sie eine Trennung von der Königin nicht rechtfertigen. Anne Boleyn ist eine auffallende Erscheinung, gewiss, aber sie entspricht doch nicht dem Status einer Katharina von Aragón.«

Erregt packte der König den Kardinal am Arm. »Aber eine Katharina von Aragón kann mir keine Kinder mehr gebären! Und ich brauche einen Sohn!«

Wolsey wartete geduldig, bis der König ihn wieder losließ. Dann sagte er: »Ich fürchte, dass es unmöglich ist, eine vom Papst dispensierte Ehe mit einer Königin, die obendrein die Tante des Kaisers ist, zu lösen. Die Ehe ist ein von Gott eingesetztes Sakrament, das nicht willkürlich aufgehoben werden kann.«

»Was heißt hier willkürlich? Ich habe Euch doch gesagt, warum ich es tun muss!«

»Ich verstehe Euch ja, mein König. Und denkt nicht, dass das, was ich soeben gesagt habe, unbedingt meine persönliche Meinung widerspiegelt. Ich habe lediglich versucht, Euch die wahrscheinliche Einstellung des Papstes zu Eurem Problem darzulegen.« Nun nahm Wolsey den König beim Arm. »Wollt Ihr meinen Rat hören? Behaltet Eure Ehefrau und macht diese Anne Boleyn zu Eurer Mätresse. Dann habt Ihr das höchstmögliche Vergnügen und keinen Ärger. Verbringt ab und zu einmal eine Nacht pro forma im Schlafzimmer der Königin, lasst sie bei offiziellen Anlässen an Eurer Seite auftreten und erweist ihr den notwendigen Respekt. Was Ihr ansonsten tut, mit wem und wie oft …« Wolsey verzog die Mundwinkel zu einem kleinen nachsichtigen Lächeln.

»Nein, verdammt!« Henry schlug mit der Hand auf den Tisch. »Ich will, dass meine Ehe annulliert wird! Und wir haben uns schließlich zusammen mit Frankreich auf die Seite des Papstes gestellt – da muss er uns doch entgegenkommen!«

Wolsey machte ein bedenkliches Gesicht. »Diese Überlegung ist richtig, aber sie greift nur, wenn dem Papst dabei genügend Handlungsspielraum bleibt. Und wenn die kaiserlichen Truppen in Italien so weiterwüten, dann weiß ich nicht, was …«

»Umso schneller muss der Antrag gestellt werden. Ich erwarte von Euch eine schriftliche Ausarbeitung mit Verweis auf die unterstützenden Bibelstellen, diese Woche noch. Und noch etwas: Veranlasst, dass Thomas Wyatt nach Italien geschickt wird. Denkt Euch irgendeine diplomatische Mission für ihn aus. Hauptsache, er ist eine Weile weg vom Hof.«

Thomas Wolsey hatte eine schlaflose Nacht. Er hatte sich beim König seine Bestürzung über dessen Vorhaben nicht anmerken lassen, aber nun, in der einsamen Dunkelheit seines vornehmen Wohnsitzes, wurde ihm das ganze Ausmaß der bevorstehenden Tragödie bewusst. Eine gesalbte Königin sollte wegen der frechen Tochter eines Emporkömmlings verstoßen werden. Auch wenn Wolsey und Königin Katharina nie wirkliche Freunde waren, empfand er jetzt wahrhaftiges Mitleid und fast Verzweiflung über des Königs fixe Idee. Wolsey wälzte sich auf die andere Seite seines Himmelbettes. Nein, er würde diese Sache nicht alleine schultern. Ein Kirchenrat sollte entscheiden. Der König sollte seine Bedenken vor dem Rat vorbringen, und dann würde man sehen, was passierte. Das Wichtigste war, die Sache zunächst scheinbar voranzutreiben und den Papst möglichst lange außen vor zu lassen. Vielleicht erledigte sich das Ganze dann von allein. Beruhigt schloss Wolsey endlich die Augen. Gleich morgen würde er sich mit dem Erzbischof besprechen.

Am Morgen des 17. Mai 1527 trat der Rat in York Place, Wolseys Residenz in Westminster, zusammen. Wolsey hatte alles daran gesetzt, das Treffen geheim zu halten, aber er hatte die Wachsamkeit des spanischen Botschafters unterschätzt. Mendoza, der sich und die Königin ab dem ersten Tag seines Aufenthalts in England von Spionen umringt gesehen hatte, hatte seinerseits zu demselben Mittel wie Wolsey gegriffen. Und so war, noch während die Bischöfe und Anwälte unter Warhams und Wolseys Vorsitz zum ersten Mal tagten, ein Brief Mendozas an den Kaiser unterwegs, in welchem er ihm seinen Verdacht mitteilte, dass Wolsey irgendetwas im Schilde führte, um den König und die Königin auseinanderzubringen. Mendoza ahnte nicht, dass er Wolsey in diesem Fall unrecht tat und die Initiative tatsächlich vom König ausging.

Nachdem der König seinen Fall vor dem Kirchenrat dargelegt und seine Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Verbindung mit Katharina geäußert hatte, kamen die Männer am 31. Mai zu dem Schluss, dass es nicht in ihrer Kompetenz lag, die Sache zu entscheiden. Sie verwiesen auf den Papst als die alleinige Instanz, die hier ein Urteil zu fällen vermochte.

Henry passte das überhaupt nicht. Ihm wäre es lieber gewesen, man hätte die Sache intern regeln können. Nun würde das Ganze doch an die Öffentlichkeit gelangen. Dass sich Gerüchte über »die große Sache des Königs« längst im ganzen Land verbreitet hatten und auch schon auf den europäischen Kontinent übergeschwappt waren, wollte er nicht wahrhaben. Es ärgerte ihn, dass keiner seiner Männer sich definitiv auf seine Seite stellte. Keiner wollte sich dazu bekennen, dass die Ehe nicht gültig war, ein jeder wies die Verantwortung von sich. Auch der Geheime Rat, den Henry nach der Enthaltung des Kirchenrats ebenfalls befragte, bestätigte zwar, dass an der Gültigkeit seiner Ehe durchaus Zweifel bestünden, aber auch hier wurde wieder der Papst als allein zuständige Autorität empfohlen.

Feiglinge, dachte Henry bei sich, alles Feiglinge. Keiner wagte es, das von ihm so ersehnte Machtwort zu sprechen. Er wollte sich nicht eingestehen, dass er selbst nicht weniger feige war, Farbe zu bekennen, denn bis jetzt hatte er immer noch nicht den Mut gefunden, sein Vorhaben Katharina mitzuteilen, die natürlich längst von Mendoza über die drohende Gefahr informiert worden war, ihrerseits jedoch ebenfalls Wolsey und nicht ihren Ehemann als den Urheber der ganzen Intrige sah.

Der Bote, der Anfang Juni am englischen Hof erschien, brachte erschütternde Nachrichten: Die kaiserlichen Truppen waren in Rom eingefallen, plünderten und mordeten und, was das Schlimmste war, sie hatten den Papst gefangen genommen. Henry wurde blass und erschrak bis ins Mark, als er davon erfuhr. Der Papst ein Gefangener des Kaisers – damit konnte er den Annullierungsantrag für seine Ehe vergessen. »Schaff mir Wolsey her, sofort!«, brüllte er einen Pagen an, und der rannte fast panisch davon, denn noch nie hatte er einen solch wütenden Ausdruck in den Augen des Königs gesehen.

Henry erwartete Wolsey am Anlegesteg. »Wisst Ihr, was in Rom passiert ist?«, fragte er ihn, noch bevor der Kardinal seinen schwerfälligen Körper von der Barke ans Ufer gehievt hatte.

Wolsey nickte. »Es pfeifen ja bereits die Spatzen von den Dächern – ungeheuerlich.«

»Ja, ungeheuerlich«, äffte der König ihn nach. »Und was machen wir jetzt?«

Wolsey hatte Mühe, seinen Watschelgang den weit ausholenden Schritten des Königs anzupassen, während sie dem Palast zustrebten. Schon leicht außer Atem sagte er: »Es wird äußerst schwierig, vom Papst in seiner jetzigen Situation die Einwilligung in Euer Gesuch zu bekommen. Immerhin befindet er sich in den Händen des Neffen der Königin, und …«

»Was Ihr nicht sagt, Wolsey«, unterbrach ihn der König zynisch, »darauf wäre ich von allein nie gekommen. Verdammt! Schildert mir nicht das Problem, sagt mir lieber eine Lösung!«

Wolseys ehrliche Antwort wäre gewesen: »Ich habe keine«, aber er wusste, dass er dies zumindest in diesem Augenblick auf keinen Fall sagen durfte. Das letzte Stück des Weges zum Schloss war steil, und das hinderte ihn am Sprechen. Schwer schnaufend lehnte er sich oben an die Mauer.

Der König klatschte ihm leicht mit der Hand auf den Bauch. »Ihr werdet immer fetter, Wolsey. Ihr bewegt Euch zu wenig. Seht mich an.« Dabei streckte er ein Bein vor. »Meine Waden sind immer noch so schlank wie früher.«

Ein paar Tage später befand sich Wolsey auf einem Schiff in Richtung Frankreich, wo er versuchen sollte, König Franz I. für die Angelegenheit seines Herrn zu gewinnen. Zwar konnte man vom Papst nicht erwarten, dass er ein Urteil zugunsten Henrys sprach, aber, so hatte Wolsey es Henry dargelegt, es würde im Prinzip reichen, wenn er vom Papst die Vollmacht bekäme, über den Fall zu entscheiden.

Zur selben Zeit, als Wolsey in Calais an Land ging, trat Henry endlich den Gang an, den er seit Monaten vor sich her schob: Er musste Katharina reinen Wein einschenken. Und es grauste ihm davor. Es war früher Vormittag, eine Zeit, in der er hoffte, sie allein vorzufinden.

»Die Königin betet.« Der schüchterne Versuch der Hofdame, ihn vom Betreten des Privatgemachs seiner Noch-Ehefrau abzuhalten, scheiterte an seinem schroffen »Das ist mir egal.« Katharina betete immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit, kam es ihm vor; sogar, wenn sie sich ankleiden oder ihr Haar richten ließ, glitt der unvermeidliche Rosenkranz durch ihre Finger. Anne hatte ihm das erzählt. Anne, die weit weg war, in Hever. Sie hatte beschlossen, den Hof für eine Weile zu verlassen, um ihm nicht noch mehr Anlass zur Eifersucht zu geben, wenn sie, um Gerüchte über sich und den König zu vermeiden, mit den Höflingen flirtete.

Katharina kniete vor dem Kruzifix an der Wand, aber sie erhob sich schnell, wenn auch mühevoll, als sie ihn bemerkte.

Er kam ohne Umschweife zur Sache. »Katharina, ich muss dir etwas mitteilen. Ich kann es mit meinem Gewissen nicht länger vereinbaren, dass wir offensichtlich eine vor Gottes Angesicht unrechte Ehe führen. Deswegen habe ich den Fall zur Prüfung …«

»Ich weiß«, sagte sie leise. »Es ist mir nicht entgangen, dass Wolsey ein geheimes Treffen einberufen hat. Ich war nur der Meinung, dass es von ihm ausging. Nicht von dir.« Und dann begann sie zu weinen. Sie hielt die Hände vor ihr Gesicht, um die Tränen zurückzuhalten, aber es gelang ihr nicht. Ihre Schultern bebten.

Henry hatte nicht damit gerechnet, dass sie sich sanftmütig in seine Entscheidung fügen würde, er hatte sich auf einen Streit eingestellt, auf eine kühle, stolze Katharina, die sich ihm mit hoch erhobenem Kopf entgegenstellte, aber nicht auf dieses schluchzende Bündel, das vor seinen Augen jegliche Beherrschung verlor. »Hör zu, Katharina«, sagte er schließlich, »es kann noch einige Zeit dauern, bis eine Entscheidung getroffen wird. Bis dahin sollten wir von Bett und Tisch getrennt leben. Du kannst dir eine Residenz aussuchen, wo du wohnen willst, und es soll dir an nichts fehlen, aber du kannst nicht hierbleiben.«

Sie weinte so laut, dass er seine letzten Worte kaum noch verstand. Er war ratlos. Unbeholfen berührte er ihre Schulter, wie um sie zu trösten. Sie griff seine Hand und hielt sie sich an ihre nasse Wange, schmiegte ihr Gesicht in seinen Ärmel und weinte, weinte.

»Nein, Kate. Wein doch nicht. Ich hoffe doch auch, dass sich alles aufklärt und ich zu dir zurückkehren kann. Alles wird gut, glaub mir.«

Sie schien ihn nicht zu hören. Ihr Schluchzen wurde noch lauter, sie sank in die Knie und dann auf den Boden. Dort lag sie dann, zusammengekrümmt und fast besinnungslos vor Kummer. Er hielt es nicht mehr aus und wandte sich zum Gehen. An der Tür drehte er sich noch einmal um, kam zurück. »Versprich mir, dass du mit niemandem darüber redest, ja? Versprichst du mir das?«

Sie reagierte nicht. Ihr hemmungsloses Schluchzen war in ein leises Wimmern übergegangen. Er stürzte aus dem Zimmer. Weg hier, nur weg! Er ließ sich ein Pferd satteln und jagte aus dem Hof, als sei er auf der Flucht. Katharinas Reaktion hatte ihn erschüttert, aber was ihn noch mehr erschreckte, war sein eigenes Verhalten ihr gegenüber. Warum hatte er ihr nicht knallhart gesagt, dass sie vom Hof zu verschwinden hatte? Dass er nichts mehr von ihr wissen wollte und die Trennung kaum noch erwarten konnte? Er hatte sie belogen, und es war das erste Mal in seinem Leben, dass er sich einer eigenen Lüge so bewusst wurde. Doch schlimmer noch als die Lüge selbst war der Grund, warum er gelogen hatte: Er hatte Katharinas Schmerz nicht ertragen. Sie hatte ihm leidgetan, und das erschreckte ihn. Er hatte plötzlich Angst vor der ganzen Prozedur, die auf ihn zukommen würde, Angst, dass er den womöglich monatelangen Scheidungsprozess nicht durchhalten würde. Und was, wenn der Papst nicht einverstanden war?

Wolsey kehrte mit einem wenn auch nicht selbst errungenen Teilerfolg nach England zurück.

»Euer Majestät, der Papst befindet sich, wie Ihr wisst, immer noch in der Hand des Kaisers und kann daher keine Annullierung Eurer Ehe aussprechen. Der Kaiser hat ihm eindeutig zu verstehen gegeben, dass er sich mit allen Mitteln und um jeden Preis gegen eine solche Entscheidung, die die Rechte seiner Tante verletzen würde, zur Wehr setzen wird. Allerdings konnten wir« (damit meinte er die von ihm und Henry ebenfalls auf die »große Sache« angesetzten Diplomaten) »den Papst davon überzeugen, dass, sollte er in der Sache zu unseren Gunsten entscheiden, er sich jeglicher Hilfe zur Befreiung aus den Fesseln des Kaisers sicher sein kann.« Wolsey schwieg einen Augenblick, um eine Reaktion seines Herrn abzuwarten, doch dieser blickte ihn nur mit unbeweglichem, fast versteinertem Gesicht an und winkte ihm ungeduldig, dass er fortfahren solle. »Nun, jedenfalls hat Papst Clemens mir die Vollmacht erteilt, die Verhandlungen über die Rechtmäßigkeit Eurer Ehe zu führen.«

»Ja?«

»Und er wäre für den Fall, dass sie sich als unrechtmäßig herausstellt, bereit, Euch eine erneute Heirat zu gewähren, da er nachempfinden kann, wie lebensnotwendig ein königlicher Erbe für das englische Volk ist. Ich habe mit Franz Verhandlungen über Eure Verheiratung mit seiner verwitweten Schwester Marguerite geführt. Von …«

»Was soll das, Wolsey«, schrie ihn der König plötzlich an. »Ich habe kein Interesse an einer ehelichen Verbindung mit Frankreich! Ist Euch das etwa entgangen?«

Wolsey wurde blass. »Es ist also wahr, was die Leute sich an allen europäischen Höfen erzählen, dass Ihr tatsächlich dieses Mädchen zu Eurer Frau machen wollt?«

»Es wäre nicht das erste Mal, dass ein König seine …«, Henry wollte »Geliebte« sagen, aber das brachte er nicht fertig, »… eine Frau aus Liebe heiratet. Mein eigener Großvater, König Edward IV., hat dies getan – und daraus sind letztlich die Tudors hervorgegangen!«

»Verzeiht, Euer Majestät. Ich meinte nur … die Dinge, die man sich über Mistress Boleyn erzählt. Und das englische Volk liebt Königin Katharina. Es würde Euch eine Trennung von ihr wegen eines einfachen Mädchens niemals verzeihen. Zumal diese Anne Boleyn nicht den besten Ruf hat.«

»Ruf! Was schert mich ihr Ruf! Was schert mich die Meinung meiner Untertanen! Sie wollen versorgt sein und in Frieden leben! Und das können sie nicht, wenn das Schicksal der englischen Krone nach meinem Tod nicht gesichert ist.«

»Zweifelsohne, Euer Majestät, zweifelsohne. Aber Ihr könntet Euch eine europäische Prinzessin zur Gemahlin nehmen, das könnte das Volk bei aller Zuneigung zu Königin Katharina noch akzeptieren, da es um die Notwendigkeit eines Thronfolgers weiß.«

»Schluss jetzt!« Der König trat mit dem Fuß gegen eine der geschnitzten Holzbänke, die zwischen den Fenstern standen. »Ich heirate Anne Boleyn und sonst niemanden!« Dann trat er zu Wolsey und packte ihn am Arm. »Und Euch, Wolsey, würde ich raten, mir diese Ehe schnellstens zu ermöglichen, wenn Euch an Eurer Position und Eurem Ansehen hier bei mir gelegen ist.«

Wolsey schlug die Augen nieder. »Sehr wohl, mein König.«

Wieder einmal schlich der Kardinal vom königlichen Hof wie ein geprügelter Hund. Es gab keinen Zweifel – seit der König mit dieser Anne Boleyn liiert war, war er, Wolsey, in dessen Gunst Stück für Stück gesunken. Seine lange Abwesenheit vom Hof hatte sie wahrscheinlich zusammen mit der ganzen Boleyn-Brut, allen voran ihrem Bruder, genutzt, um den König gegen ihn aufzubringen. Weiß Gott, was sie ihm für Geschichten über ihn erzählt haben mochte. Womöglich stimmte es, was man sich draußen über sie erzählte. Dass sie zaubern könne und Menschen in ihren Bann schlagen. Das Letztere war ihr beim König eindeutig gelungen.

Wolsey fiel seine Ankunft in London vor zwei Tagen ein. Normalerweise empfing der König ihn immer sofort und unter vier Augen, wenn er ihn durch seinen Boten benachrichtigen ließ. Dieses Mal musste er den König in der kleinen Halle begrüßen, wo er sich mit Anne Boleyn und ein paar anderen Höflingen nach dem Mahl entspannte. Deutlich hatte Thomas Wolsey noch Anne Boleyns Stimme im Ohr, die er durch die Tür gehört hatte. »Warum soll der König zum Kardinal gehen?«, hatte sie den Boten angegiftet. »Der Kardinal hat dahin zu kommen, wo der König ist!« Und der König hatte nicht widersprochen, sondern ihn, seinen wichtigsten Mann, wie einen stinknormalen Höfling empfangen.

Thomas Wolsey seufzte auf. So sehr es ihm innerlich auch widerstrebte, er musste alles daran setzen, dass des Königs Ehe annulliert wurde und er diese Anne Boleyn heiraten konnte. Sonst wären seine, Wolseys, Tage gezählt.

Zu Hause in Hampton Court setzte er sich an den Schreibtisch und verfasste ein Schreiben an Papst Clemens, in dem er ihn bat, ihm Kardinal Lorenzo Campeggio als Unterstützung für die Gerichtsverhandlung zu schicken. Campeggio als päpstlicher Gesandter sollte dann das Urteil sprechen. Müde legte Wolsey die Feder beiseite und sah sich in seinem großen, prächtig ausgestatteten Arbeitszimmer um. Allein die Seidenteppiche an den Wänden waren ein Vermögen wert. Fast zärtlich strich er nun über die blank polierte Fläche seines Schreibtisches – dunkles Holz, Nussbaum, mit kunstvollen Schnitzereien, die wie ein Relief um die Tischplatte liefen. Dann trat er zum Fenster, von dem man den weitläufigen, gepflegten Rasen bis hinunter ans Themseufer überblicken konnte. Hampton Court war ein prachtvolles Anwesen, und es war sein Verdienst. Er hatte aus dem Gebäude das gemacht, was es heute war, einen Palast. Und plötzlich kam ihm ein Gedanke. Er würde Hampton Court dem König schenken. Henry VIII. hatte den Palast immer mit einer Mischung aus Bewunderung und Neid betrachtet, denn keines seiner Schlösser konnte es an Pracht und Eleganz mit Hampton Court aufnehmen. Ein leiser Stich fuhr Thomas Wolsey durchs Herz, als er begann, die Urkunde aufzusetzen, die seinen König zum Besitzer von Hampton Court machen würde. Leicht fiel es ihm nicht, sich von seinem Kleinod zu trennen, aber er fühlte, dass er etwas tun musste, um gegen die Ränke Anne Boleyns zu bestehen.

Des Königs Reaktion war eine bittere Enttäuschung. Henry las die Urkunde, die sein Kardinal ihm mit einer tiefen Verbeugung überreicht hatte. »Ihr wollt mir Hampton Court vermachen?«, fragte er. »Wie komme ich dazu?«

Noch einmal verneigte sich Thomas Wolsey. »Euer Majestät, ich meine erkannt zu haben, dass Euch das Anwesen sehr gut gefällt, und daher wollte ich Euch eine Freude machen.«

»Danke, Wolsey, ich weiß Euer Opfer zu schätzen. Aber die größte Freude, die Ihr mir machen könnt, ist die: Verschafft mir die Scheidung von Katharina von Aragón.«

»Sobald der päpstliche Legat in London eingetroffen ist, können wir mit der Gerichtsverhandlung beginnen, und ich werde alles tun, Euer Majestät, um Eure Interessen durchzusetzen.«

Der König sah ihn kalt an. »Das hoffe ich für Euch, Wolsey, das hoffe ich.«

3. Zwei Königinnen

Eine lange Zeit des Wartens begann. Der Winter wich dem Frühling, und der Sommer brachte das Schweißfieber nach London. Henry geriet in Panik, als er davon hörte. Mit seinem engsten Hofstaat floh er aufs Land und nahm Katharina und Anne mit.

Anne war wütend. »Ich dachte, du willst dich von ihr trennen«, zischte sie ihn an. »Warum liegt dir dann so viel daran, sie vor der Krankheit in Sicherheit zu bringen?«

»Anne, sie ist immerhin noch die Königin von England, und …«

»Ja, und wenn es so weitergeht, wird sie es wohl immer bleiben, nicht wahr? Nach deinen Versprechungen müsste eigentlich schon lange ich an ihrer Stelle sein. Mindestens seit einem Jahr.«

»Ich kann nichts dafür, dass es so lange dauert. Der päpstliche Gesandte ist unterwegs, hat man mir gesagt. Er wird bald eintreffen, und dann ist es nur noch eine Sache von wenigen Wochen.«

»Hast du dir eigentlich schon mal überlegt, was du tust, wenn der Papst der Annullierung nicht zustimmt?«

»Er wird zustimmen, glaub mir. Dafür sorgt schon Wolsey. Er weiß, dass er bei mir nur noch eine Existenzberechtigung hat, wenn er die Sache positiv zu Ende bringt.«

»Ja, ja. Der gute, alte Wolsey«, sagte sie spöttisch. »Was wärst du nur ohne ihn?« Dann wurde ihr Gesicht ernst. »Die Leute mögen mich nicht. Hast du ihr Murren gehört, als wir durch die Dörfer geritten sind? Sie hassen mich, weil ich ihre Königin vom Thron stoße.«

Er winkte ab. »Sie werden sich an dich gewöhnen, Liebste. Und wenn nicht, dann ist es mir auch egal. Ich liebe dich.« Er legte zärtlich den Arm um sie, aber sie entwand sich geschickt.

»Mir ist es aber nicht egal. Sie denken alle, dass ich mit dir das Bett teile. Sie haben mich als Hure beschimpft! Mich! Einer hat mich sogar angespuckt!«

»Angespuckt?« Henry wich entsetzt zurück. Allerdings entsetzte ihn weniger die Demütigung, die man Anne zugefügt hatte, als die Vorstellung, dass irgendwo an diesem Körper, den er so begehrte, der Speichel eines ordinären Bauern geklebt hatte, der womöglich – und der Gedanke, der ihm nun durch den Kopf schoss, jagte seinen Herzschlag in die Höhe – die Krankheit in sich trug, vor der er sich so fürchtete, die Krankheit, an der damals sein Bruder gestorben war und die seit Wochen mehr und mehr Tote in seinem Land forderte. Er nahm ihre Hand, ließ sie aber gleich wieder los. »Wie fühlst du dich, mein Liebling? Du fühlst dich doch nicht etwa krank?«

Sein ängstlicher Ton schmeichelte ihr. »Nein, es ist alles bestens«, sagte sie und lächelte ihn an.

Nur wenige Tage später, es war Mitte Juni, kam Katharina zu Henry. Sie ignorierte seinen erstaunten Blick. »Ich wollte dir nur mitteilen, dass eine Zofe von Mistress Boleyn wahrscheinlich am Schweiß erkrankt ist.«

Henry wurde schneeweiß. »Mein Gott …« Sein Hirn schien zu schwimmen, hin- und hergerissen zwischen der Sorge um Anne und der Angst vor der Krankheit, die ihn nun doch eingeholt hatte. »Wir müssen weg von hier!«

Er schrie nach seinen Dienern, und ein paar Stunden später befand sich Henry auf dem Weg zu einem neuen Zufluchtsort. Anne wurde nach Hever geschickt. Seine Angst ließ es nicht zu, sie in seiner Nähe zu haben. Er kam nicht einmal, um sich von ihr zu verabschieden. Stattdessen schickte er ihr eine Nachricht, in der er ihr seine Liebe versicherte, wo immer er auch sei.

Anne erkrankte tatsächlich. Als Henry davon erfuhr, geriet er außer sich vor Angst und schickte sofort seinen Leibarzt nach Hever. Anne, die nur eine leichte Form des Fiebers durchmachte, befand sich bereits auf dem Weg der Besserung, als der Arzt einen Tag später eintraf und ihr Henrys Schreiben überreichte, in dem er ihr versicherte, er würde gern die Hälfte ihres Leidens auf sich nehmen, wenn sie nur wieder gesund würde. Sie las den Brief, während der Arzt sie untersuchte, und meinte schließlich: »Sagt dem König, dass ich zufrieden gestorben wäre, wenn ich als Königin hätte sterben können.«

In den Wochen, in denen Anne noch zur Sicherheit in Hever blieb, überhäufte der König sie mit Geschenken, und zu ihrer Überraschung kam auch ein Geschenk von Kardinal Wolsey mit den besten Genesungswünschen. Anne lachte verächtlich, als sie seine Worte las. »Das macht er nur, um sich beim König wieder einzuschmeicheln. Ich wette, er würde es viel lieber sehen, wenn mich dasselbe Schicksal ereilt hätte wie Marys Ehemann.«

William Carey war von einigen Tagen am Schweißfieber gestorben.

Es dauerte Monate, bis Kardinal Campeggio im Oktober 1528 endlich in London eintraf. Seine Reise musste immer wieder wegen der Gichtanfälle, die den alten Mann plagten, unterbrochen werden. Trotz der Schmerzen, die Campeggio dabei erleiden musste, kamen ihm seine Unpässlichkeiten nicht ungelegen, da sie ihm dazu verhalfen, einen Teil der päpstlichen Strategie anzuwenden: Zeit gewinnen. Papst Clemens VII., der sich immer noch in kaiserlicher Gefangenschaft befand, konnte es sich in seiner Situation nicht leisten, sich mit England als seinem potentiellen Retter zu überwerfen, war aber andererseits natürlich nicht in der Lage, eine Entscheidung gegen die kaiserlichen Interessen zu fällen. Und so blieb Zeit der einzige Faktor, den er nutzen konnte. »Zögert die Entscheidung hinaus«, hatte er Campeggio angewiesen. »Am besten wäre es, der König würde dieser anderen Frau überdrüssig und besteht nicht mehr auf der Auflösung seiner Ehe. Oder die Königin geht freiwillig in ein Kloster. Dann wäre die Angelegenheit vom Tisch, ohne dass die Kirche eingreifen muss, und der König wäre frei für eine neue Ehe.«

Doch weder Campeggio noch Wolsey konnten Katharina davon überzeugen, den Schleier zu nehmen. »Ich gehöre an die Seite des Königs«, war ihre Antwort, als Campeggio mit ihr diese Möglichkeit erörtern wollte. »Ich schwöre, dass meine Ehe mit Henrys Bruder nie vollzogen wurde. Gott hat für mich nicht das Klosterleben vorgesehen, sondern er hat mich in den Stand der Ehe mit dem König von England berufen, und seinem Willen gehorche ich.«

Thomas Wolsey, dessen höchstes Ziel es mittlerweile geworden war, seine eigene Haut zu retten, verlegte sich aufs Drohen: »Es wäre besser für Euch, Madam, Ihr würdet Euch dem Willen des Königs fügen, anstatt auf etwas zu bestehen, was in seinen Augen nicht existiert. Ihr verbringt doch ohnehin die meiste Zeit Eures Tages in der Zwiesprache mit Gott. In einem Kloster könntet Ihr das ungestört von allen irdischen Verpflichtungen tun und Euch weitere Unannehmlichkeiten ersparen, die mit Sicherheit kommen werden.«

Sie ging auf ihn zu: »Diese Unannehmlichkeiten, mein Lord von York, verdanke ich niemandem außer Euch! Ihr habt mit Eurer Bösartigkeit den Stein ins Rollen gebracht, weil Ihr immer noch einen Hass auf meinen Neffen, den Kaiser, hegt, der Euch damals die Papstkrone vermasselt hat!«

Wolsey hob abwehrend die Hände; er hatte die Königin noch nie so erlebt. »Nein, Madam, ganz bestimmt nicht! Es widerstrebt meinem Willen zutiefst, dass ich mit Euch solche Dinge erörtern muss, und nichts liegt mir ferner, als Eure Ehe mit dem König anzuzweifeln. Aber als Gesandter des Papstes muss ich in der Angelegenheit neutral bleiben. Ich kann weder des Königs Sichtweise noch Eure bevorzugt behandeln.«

Katharina wies mit der Hand zur Tür. »Ich glaube Euch kein Wort. Geht.«

Nach außen hin bewahrte Katharina ihre Haltung. Sie schien unbeeindruckt von dem, was ihr Ehemann gegen sie im Schilde führte, und tatsächlich ließ sich Henry in der Öffentlichkeit nicht anmerken, dass er sie loswerden wollte, sondern spielte den braven und aufmerksamen Ehemann, auch wenn er andererseits ungeniert mit Anne, die wieder an den Hof zurückgekehrt war, herumtändelte. Anne bekam ihre eigenen Gemächer, nicht weit weg vom Turnierplatz, aber in ausreichender Entfernung zum eigentlichen Hof. Katharina kränkte dies, aber am meisten verletzte sie die Tatsache, dass Wolsey oder wer auch immer sonst noch mit dem Kardinal unter einer Decke steckte, einige ihrer Hofdamen dazu angestiftet hatte, sie auszuspionieren. Kein einziger ihrer Schritte, kein einziges ihrer Worte war vor den Ohren ihrer Gegner sicher. Als sie Mendoza davon berichtete, hob der nur resignierend die Schultern, denn sie erzählte ihm nichts Neues. Trotz allem ließ sie sich nicht darin beirren, ihren Aufgaben als englische Königin nachzukommen. Im Gegenteil. Sie begab sich wieder mehr an die Öffentlichkeit, erschien prächtig gewandet und mit fröhlicher Miene zu den Hof-Festivitäten, unternahm Ausritte, bei denen sie sich von ihren Untertanen zujubeln ließ, und sie wusste, dass dieser Jubel ehrlich und von Herzen kam. Nachts in ihrem Bett nur konnte sie sich ihrem Kummer hingeben. Sie weinte selten, aber sie grämte sich und flehte ihren Heiland an, ihr in diesen schweren Zeiten beizustehen. Keinen Augenblick zweifelte sie an der Richtigkeit ihres Handelns. Sie bat Kardinal Campeggio darum, ihr die Beichte abzunehmen, und schwor noch einmal bei ihrem Seelenheil, dass sie und Arthur nicht fleischlich miteinander verkehrt hatten.

»Sie macht mich wahnsinnig!« Henry ging erregt in seinem Audienzzimmer hin und her, in dem sich der Geheime Rat versammelt hatte. »Wenn sie nicht bald aufhört, sich so frech als Königin aufzuspielen, die sie nicht mehr ist, nie war, dann wird sie mich kennenlernen! Sie scheint nicht im Geringsten darüber betrübt zu sein, dass sie mich als ihren Ehemann verlieren könnte! Das ziemt sich nicht! Man hat mir zugetragen, dass sie sogar plant, mich und Wolsey zu vergiften!«

»Sie fühlt sich bezüglich ihrer Ehe mit Euch absolut im Recht. Höchstens der Papst könnte sie davon überzeugen, sich freiwillig von Euch zu trennen – und das wird er aus bekannten Gründen nicht tun.«

»Ja.« Henry schnaufte ungeduldig, nachdem Stephen Gardiner seine Ausführungen beendet hatte. »Ich brauche keine Erklärungen, ich brauche eine Lösung! Ich will, dass diese sture spanische Prinzessin endlich einsieht, dass sie hier nichts mehr verloren hat!«

Thomas Wolsey meldete sich zu Wort: »Ich denke, Euer Majestät, wir brauchen ein Druckmittel, dem sie sich nicht entziehen kann. Die Königin hat eine sehr innige Verbindung mit ihrer Tochter. Wenn man ihr den Umgang mit Prinzessin Mary verbieten würde, würde sie das sicher sehr hart treffen, und sie würde noch einmal über ihre Situation nachdenken – und vielleicht vernünftig werden.«

Henry nickte. Ja, das war eine gute Idee. Katharina und Mary hingen wie Kletten aneinander. Sie würde es nicht aushalten, wenn sie sie nicht mehr sehen dürfte. »Schreibt Katharina von Aragón einen Brief und informiert sie darüber, dass sie ihre Tochter nie mehr wiedersehen wird, sollte sie sich noch länger meinem Willen widersetzen. Und sagt ihr, dass, wenn sie die Finger in irgendeiner Verschwörung gegen mich im Spiel hat, ich nicht davor zurückschrecke, sie als Verräterin zu bestrafen. Und welche Strafe auf Verrat steht, das wird sie ja wohl wissen.«

Henry hatte es nicht leicht in dieser Zeit. Obwohl er alles daran setzte, endlich frei zu werden für Anne, schäumte diese vor Eifersucht auf Katharina.

»Du sitzt in schönster Eintracht mit ihr am Tisch beim Essen, du behandelst sie mit aller Ehrerbietung, du besuchst sie sogar immer noch in ihren Privaträumen. Womöglich teilst du auch noch das Bett mit ihr! Bei der Vorstellung wird mir fast schlecht!«

»Ich habe sie kurz aufgesucht, um ihr nahezulegen, dass sie ins Kloster gehen soll! Ich war keine Viertelstunde bei ihr!«

»Und? Hat sie den Vorschlag wenigstens von dir angenommen? Wolsey und dieser andere Kardinal haben es ja wohl nicht geschafft. Und du auch nicht«, fügte sie hinzu, als sie Henrys Gesicht sah.

Katharina hatte zwar auf den Brief des Geheimen Rats reagiert, aber nur, was ihre Kleidung und ihr Auftreten in der Öffentlichkeit betraf. Beides hatte sie nun gemäßigt. Aber sie beharrte weiterhin auf ihrer Position als Königin.

»Es ist mir aber langsam auch egal, was sie denkt und tut«, fuhr Anne fort. »Ich habe keine Lust mehr, darauf zu warten, bis Katharina freiwillig das Feld räumt. Ich sage dir, das wird sie nie tun! Triff jetzt endlich eine Entscheidung! Du bist schließlich der König! Und wenn du dich endlich öffentlich zu mir bekennst, wird auch Katharina merken, dass sie keine Chance mehr hat. Und die Leute werden es nicht mehr wagen, der zukünftigen Königin von England Schimpfworte zuzurufen oder sie mit Dreck zu bewerfen. Das tun sie nur, weil sie mich für deine Mätresse halten!«

»Anne, ich bin ein christlicher König, und ich muss erst sicher sein, dass ich nicht mit Katharina verheiratet bin, bevor ich dem Volk eine neue Königin präsentieren kann!«

»Du sagst MIR schon seit Jahren, dass du mit Katharina nicht verheiratet bist! Warum sagst du es nicht auch deinem Volk? Brauchst du tatsächlich immer Rückendeckung von so jemandem wie Wolsey oder dem Papst, um das, was du für richtig hältst, auch zu vertreten? Das zeugt nicht wirklich von Größe, Henry! Du bist König von England! Warum soll dir der Papst in deine Angelegenheiten pfuschen können? Die Lutheraner zweifeln an der Autorität des Papstes, und ich muss sagen, ich kann es nachvollziehen. Du solltest einmal William Tyndales Buch lesen. Ich kann es dir leihen.«

»Tyndales Schriften sind ketzerisch und verboten!«

Anne lachte. »Wer hat sie verboten? Die Kirche! Und die braven christlichen Könige machen alle mit. Weißt du überhaupt, was in seinen Büchern steht? Nein, natürlich nicht. Und was ist so schlecht daran, dass er die Bibel ins Englische übersetzt hat? Es würde dir viel nützen, Henry, König von England, wenn zumindest ein paar deiner Untertanen die Heilige Schrift selbst lesen könnten. Sie könnten selbst die Bibelstelle nachlesen, die du als Grundlage für die Auflösung deiner Ehe mit Katharina nimmst. Aber leider ist die englische Bibel ja auch verboten.«

Über Annes Worte musste Henry noch lange nachdenken. Er warf einen Blick in die Bücher, die sie ihm brachte. Und es gab Passagen, die ihm einleuchteten. Doch es standen nun andere Dinge an, als über die richtige Religion zu philosophieren. Anne war dabei, die Geduld zu verlieren. Er musste etwas tun, denn so wie die Dinge lagen, würde sich das mit der Scheidung noch eine ganze Weile hinziehen.

Er besprach sich mit Wolsey. »Es kann nicht angehen, dass meine zukünftige Frau von meinen Untertanen so respektlos behandelt wird. Wir müssen ein Zeichen setzen, damit ein für alle Mal klar ist, dass Anne Boleyn nicht irgendeine Mätresse ist, sondern die nächste Königin von England! Schließlich hat sie einen Ruf zu wahren.«

Wolseys Gesicht zuckte minimal, als der König das mit dem Ruf ansprach, aber er hatte beschlossen, die Wünsche seines Herrn widerspruchslos auszuführen, sofern es in seiner Macht stand, und er fühlte, wie diese Macht mit jedem Tag, an dem Katharina von Aragón Königin blieb, dahinschwand. Seine fetten Jahre als der große Drahtzieher des Königs waren vorbei. Das Einzige, was ihm jetzt noch blieb, war, sich halbwegs die Gunst des Königs zu erhalten und ihn nicht unnötigerweise mit Einwänden zu reizen. »Euer Majestät, wie wäre es, wenn Mistress Boleyn eine eigene Residenz erhielte? Eine, die einer zukünftigen Königin würdig ist?«

»Woran denkt Ihr?«

»Durham House, an der Strand. Es müsste natürlich entsprechend eingerichtet werden, und Mistress Anne müsste einen eigenen Hofstaat bekommen. Durham House liegt mitten in London, sie wäre praktisch unter ihren zukünftigen Untertanen.«

Der König nickte. »Und auch Katharina hat vor ihrer Krönung dort gelebt. Somit hat Durham House Symbolcharakter. Eine gute Idee, Wolsey.« Er schenkte seinem Kardinal ein gnädiges Lächeln.

Wolsey war glücklich. »Soll ich dann alles Notwendige veranlassen, die Möblierung ...«

»Nein«, unterbrach Henry ihn. »Ich werde Thomas Boleyn damit beauftragen. Er ist mein Rechnungsprüfer und kann am besten beurteilen, welche Kosten anfallen werden. Außerdem wird er als Brautvater sicher für eine passende Einrichtung sorgen.«

Während Anne sich darauf vorbereitete, in Durham House einzuziehen, griff Henry zu einer weiteren Maßnahme, um in der Öffentlichkeit seine Position deutlich zu machen. Er empfing seine Untertanen im Bridewell Palast, wo auch die ersten Verhandlungen über seine »große Sache« stattgefunden hatten. In vollem Staatsornat trat er vor sie, um ihnen seine Situation zu erklären. Dass er einen rechtmäßigen Erben brauchte, damit England nach seinem Tod nicht wieder den Gräueln eines Bürgerkriegs ausgesetzt war. Dass er um die Rechtmäßigkeit seiner Ehe und somit um die Rechtmäßigkeit einer Thronfolge fürchtete und nicht länger von der Angst geplagt sein wollte, mit einer Frau in Sünde zu leben. »Aber«, so endete Henry VIII. seine Ansprache, »sollte das Gericht entscheiden, dass Katharina von Aragón meine vor Gott rechtmäßig angetraute Frau ist, so gibt es nichts, was ich lieber annehmen und nichts, worüber ich mich mehr freuen würde. Denn sie ist, das sage ich Euch, eine Frau von höchster Sanftmut, Demut und Wohlgestalt, sie ist unvergleichlich. Wenn ich noch einmal heiraten sollte, so würde ich sie unter allen Frauen wählen.«

Einige seiner Untertanen konnte er überzeugen, zumindest dahingehend, dass sie sein Dilemma besser verstanden und nicht noch mehr Gerüchte streuten.

Anne dagegen gefielen seine Ausführungen überhaupt nicht. »Wie kannst du sagen, dass du sie wieder heiraten würdest? Du machst mich ja lächerlich! Ich verstehe nicht, warum dir die Leute das glauben sollen! Und dann redest du von ihrer Wohlgestalt! Sie ist eine alte, fette Kuh mit schlaffen Brüsten und geschwollenen Gelenken! Ihr Rücken ist vernarbt, und vom vielen Beten hat sie Schwielen an den Knien! Wie ein Kamel!« Anne hatte vor Jahren einmal in Frankreich ein Kamel gesehen, das fahrende Gaukler bei sich hatten, und die Hornschwielen an den Knien dieses Tieres hatten genauso ausgesehen wie die der Königin. Sie musste sich damals vor Entsetzen abwenden, als sie ihr beim Ankleiden behilflich war und es zum ersten Mal sah.

»Was hätte ich deiner Meinung nach denn sagen sollen? Dass ich es nicht mehr erwarten kann, endlich mit dir ins Bett zu gehen? Hätte ich Katharina in der Öffentlichkeit demütigen sollen? Das hat sie beileibe nicht verdient! Sie ist immerhin die Tochter eines spanischen Königs!«

»Ja, und ich bin ja nur die Tochter eines kleinen englischen Ritters, mit der man umspringen kann, wie es einem beliebt. Der man zuerst den Geliebten wegnimmt, um sie dann über Jahre – über Jahre! – mit einem Eheversprechen hinzuhalten! Ich bin mittlerweile sechsundzwanzig Jahre alt, und wenn du so weitermachst, beziehungsweise dein unfähiger Kardinal, dann wirst du wieder vergeblich auf einen männlichen Erben warten. Meine Zeit als gebärfähige Frau läuft davon! Und was habe ich dann von meinem Leben gehabt? Nichts, als dass ich sagen kann, ich habe meine besten Jahre mit dem Warten auf einen König verbracht. Ein König, der nicht einmal in seinem eigenen Land seinen Willen durchsetzen kann.«

Er küsste sie. Er nahm ihr Gesicht in seine großen Hände und küsste diesen schönen, wütenden Mund. Heftig presste er seine Lippen auf die ihren, fuhr mit der Hand durch ihre seidigen Haare, liebkoste ihren Nacken, rutschte tiefer bis zur Hüfte und hielt sie fest, während sie sich zunächst wehrte, den Kopf zurückbog, aber dann nachgab, ihren Mund öffnete und seinen Kuss erwiderte; er wusste nicht, wie lange. Mehr geschah nicht. Als sie voneinander ließen, sahen sie sich fast verlegen an.

»Ich liebe dich, Anne«, sagte er schließlich. Er nahm ihre Hände. »Nur noch wenige Monate, glaub mir. Vielleicht sogar nur Wochen. Dann können wir endlich heiraten. Hör nicht auf das, was ich den Leuten erzählen muss. Es ist nicht von Bedeutung. Du bist schon lange meine Königin.«

Sie sagte nichts darauf, aber sie sah ihm aus ihrem Fenster nach, als er seine Barke bestieg und sich über die Themse zu seinem Palast rudern ließ.

4. Tretet vor das Gericht

Anne begann, Hof zu halten wie eine richtige Königin. Ihr Vater hatte dafür gesorgt, dass ihr eine ganze Schar von Zofen und Dienern zu Verfügung stand, und einige von Katharinas Hofdamen waren, die Zeichen der Zeit erkennend, zu ihr übergelaufen und hatten ihre frühere Herrin im Stich gelassen.

An den Weihnachtsfeierlichkeiten, die wie jedes Jahr in Greenwich stattfanden, nahm Anne jedoch nicht teil. Sie kam zwar an den Hof, bezog aber Gemächer abseits vom Geschehen und ließ sich auch bei den zahlreichen Turnieren und Maskeraden nicht blicken. Sie wollte vor allem Katharina nicht über den Weg laufen, auch die Gesellschaft von Wolsey und Campeggio, den Henry als Ehrengast geladen hatte, erschien ihr nicht verlockend. Stattdessen empfing sie in ihren Gemächern allerlei Leute, verteilte mild lächelnd Weihnachtsgaben und übte für ihre zukünftige Rolle.

Die echte Königin Katharina hatte wenig Grund zur Freude. Eine von ihr als größter Trumpf betrachtete Abschrift des Briefes, den Papst Julius ihrer Mutter 1503 geschrieben hatte und der ihre Ehe mit Henry unter allen Umständen befürwortete, war vom König und Wolsey als eine Fälschung Mendozas abgetan worden und hatte nun in der bevorstehenden Gerichtsverhandlung keine Aussagekraft mehr. Im Januar 1529 reichte sie eine Klage in Rom ein, da sie Campeggio und Wolsey für nicht fähig hielt, die Verhandlungen zu führen.

Der Beginn der Gerichtsverhandlung über das Scheidungsverfahren verzögerte sich weiter, da Papst Clemens zu Beginn des Jahres krank wurde. Erst Ende März, in der Woche vor Ostern, kam Nachricht aus Rom, dass das Verfahren beginnen konnte. Henry eilte selbst zu Anne, um ihr die frohe Botschaft mitzuteilen.

»Jetzt haben wir es bald geschafft, mein Liebes!«

Anne saß vor einer kleinen geschnitzten Truhe, aus der sie nun nacheinander verschiedene Schmuckstücke, alles Geschenke von Henry aus den letzten Monaten, hervorholte. Sie hob eine goldene Kette hoch, die einen in einer goldenen Herzform gefassten Diamanten als Anhänger hatte. »Danke, Liebster«, sagte sie und legte sich das Schmuckstück um.