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Dr. Florian Winter erhält eine Einladung von Christian Dollinger, der mit seiner Frau vor Jahren in die Praxis kam und um Rat bat, da sich der Kinderwunsch der beiden nicht erfüllte. Damals stellte Dr. Winter fest, dass die Frau sehr dominant ist und ihr Mann sich ihren Wünschen unterordnet. Doch nach diesem Arztbesuch ändert sich das. Während eines Urlaubes muss Dollinger feststellen, dass seine Frau nur ihre eigene Interessen verfolgt und noch gar keine Kinder will. Nach einem Streit kommt es zu einem folgenschweren Autounfall...
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Seitenzahl: 134
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Tage der Angst: Dr. Florian Winter Arztroman 8
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von Horst Weymar Hübner
Dr. Florian Winter erhält eine Einladung von Christian Dollinger, der mit seiner Frau vor Jahren in die Praxis kam und um Rat bat, da sich der Kinderwunsch der beiden nicht erfüllte. Damals stellte Dr. Winter fest, dass die Frau sehr dominant ist und ihr Mann sich ihren Wünschen unterordnet. Doch nach diesem Arztbesuch ändert sich das.
Während eines Urlaubes muss Dollinger feststellen, dass seine Frau nur ihre eigene Interessen verfolgt und noch gar keine Kinder will. Nach einem Streit kommt es zu einem folgenschweren Autounfall...
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Alfred Bekker
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Morgens um sechs Uhr klingelte bei Winters in einer höchst aufdringlichen Weise das Telefon.
Florian Winter stand bereits unter der Dusche. Er hörte nichts.
Helga Winter hantierte in der Küche, deckte den Frühstückstisch für zwei und schaltete die Kaffeemaschine an. Sie hasste es, wenn so früh das Telefon läutete. Es bedeutete nie etwas Gutes. Außerdem behauptete sie, an der Art, wie die Telefonglocke schrillte, genau zu hören, ob es sich um einen gereizten Anrufer handelte oder um einen friedlichen und ausgeglichenen Menschen.
Natürlich wusste sie, dass es technisch nicht möglich war. Die Stimmungslage und der Gemütszustand eines Anrufers konnten die Glocke überhaupt nicht beeinflussen.
Der weckt mir noch die Kinder auf, dachte sie besorgt und eilte in die Diele, wo der Apparat auf
der Telefonbank stand.
„Winter. Ja bitte?“, meldete sie sich, und es war Absicht, dass ihre Stimme nicht von Schmelz
und Entzücken überfloss.
Der Anrufer war eine Sie.
„Guten Morgen, Frau Winter. Entschuldigen Sie den frühen Überfall! Doktor Stoll hier. Ich hatte
Nachtbereitschaft, ich habe sie noch. Kann ich Ihren Mann sprechen? Es ist wirklich dringend.“
Die Stimme von Frau Dr. Stoll klang auch wirklich so.
„Das ist im Moment aber wirklich schlecht“, sagte Helga Winter. „Kann ich ihm etwas ausrichten?“
„Seien Sie bitte so lieb, Frau Winter. Wir haben vor zwei Stunden einen Notfall hereinbekommen. Ein schwerer septischer Schock. Herr Mittler hat gebeten, Ihren Mann zu verständigen. Wir können die Patientin kaum halten. Die Umstände lassen eine verpfuschte Abtreibung vermuten, vorsichtig ausgedrückt.“
Hermann Mittler war der Oberarzt. Wenn der um das Leben der Patientin fürchtete und Alarm schlug, dann war es wahrhaftig schlimm bestellt.
Helga Winter verstand es so, dass Frau Stoll den Oberarzt in die Klinik gerufen hatte und dass sie dort erst einmal mit vereinten Kräften um das Leben der Patientin gerungen hatten. Nur hatte sich der Zustand dramatisch zugespitzt.
Sie war lange genug mit Florian verheiratet, um eine Menge von seinem schweren Beruf zu wissen. Die Ehe hatte sie nie so verstanden, dass man zusammenlebt, sich aber nicht um den Beruf des Partners kümmert. Sie hatte immer Anteil genommen.
Die Patientin mit dem septischen Schock gehörte auf die Intensivstation. Sie war keine Ärztin, aber so viel wusste sie schon. Eine Blöße wollte sie sich allerdings nicht geben. Herr Mittler und Frau Stoll waren ja schließlich keine Anfänger. Die wussten, wo und wie anzupacken war.
„Die Frau liegt doch intensiv?“, fragte sie mit einiger Zurückhaltung. Die Ärztin sollte nicht den Eindruck bekommen, sie wollte sich einmischen.
„Seit einer Stunde, wir betreuen sie dort. Aber die Schädigung durch die Blutvergiftung schreitet rasend schnell voran, Frau Winter.“
„Ich sage meinem Mann Bescheid, Frau Stoll. Er kommt sofort in die Klinik!“, versprach Helga und legte auf.
Florian würde es ihr nie verzeihen, wenn sie ihn nicht augenblicklich verständigte. Seine Patienten lagen ihm am Herzen, auch solche Notfälle. Und er trug für die Gynäkologie und die Geburtshilfe und alles, was dort geschah, die Verantwortung.
Sie eilte ins Badezimmer. Er stand noch in der Duschkabine und summte zum Plätschern des Wassers. Mit einem Ruck zog sie die Schiebetür auf. „Das feuchte Fest ist beendet, Florian ...“
Florian Winter war von Kopf bis Fuß mit Seifenschaum beklebt. Er reckte das Gesicht in die Brausestrahlen, wischte sich das Wasser aus den Augen und reckte lachend die triefnassen Arme seiner Frau entgegen. Gerade, als wollte er sie in die Duschkabine ziehen.
„Komm herein, wenn du kein Feigling bist!“, lockte er. „Für eine neue Frisur komme ich auf.“ Der Schalk blitzte aus seinen Augen.
Es tat ihr leid, ihm die gute Laune verderben zu müssen. Sie wehrte seine nassen Hände ab. „Frau Stoll hat gerade angerufen, Florian. Sie brauchen dich in der Klinik.“
Eine steile Falte erschien über seiner Nasenwurzel. Schaum aus den Haaren lief da hinein und suchte sich über den Nasenrücken einen Weg abwärts.
„Herr Mittler ist schon in der Klinik“, ergänzte Helga. „Ein septischer Schock. Die Frau liegt intensiv.“
„Also brauchen sie mich jetzt. Sofort“, murmelte er und stellte sich voll unter die Brausestrahlen. Er prustete und streckte den Kopf unter dem Wasservorhang hervor. „Gib mir bitte noch ein Frotteetuch, mit dem Haartrockner dauert es zu lange. Ein septischer Schock kommt nicht von ungefähr. Haben sie gesagt, was ihn ausgelöst hat?“
Einen septischen Schock fürchten die Ärzte wie der Teufel das Weihwasser, das wusste Helga. Florian machte darin keine Ausnahme. Sie hatte ihm verschweigen wollen, dass die Ursache offensichtlich eine miserabel gemachte Abtreibung war. Das regte ihn immer wieder maßlos auf. Pfuschern und Engelmachern hatte er den bedingungslosen Krieg erklärt. Die Aufregung hatte sie von ihm fernhalten wollen. Wenigstens solange, bis er in die Klinik kam. Dann war es noch früh genug, dass er die Wahrheit erfuhr. Aber da er sie so direkt fragte, konnte sie ihn nicht beschwindeln.
„Sie vermuten eine verpfuschte Abtreibung“, sagte sie und griff ihm ein kuscheliges Frotteetuch aus dem Badezimmerschrank. Florian Winter kam unter der Dusche hervor, als hätte er die Wassertemperatur versehentlich auf kochend heiß gestellt. Seine Augen blickten streng und unerbittlich.
Ich habe es gewusst, es regt ihn auf, dachte Helga bekümmert.
„Der Teufel soll diese Laienhandwerker holen!“, wetterte er los. „Man müsste diese habgierigen Seelen allesamt in Formalin ertränken!“ Er nahm das Frotteetuch an und warf es sich über den Kopf. Sie sah, wie eilig er es jetzt hatte.
„Ich lege dir deine Sachen heraus“, sagte sie und ließ ihn allein. Im Schlafzimmer richtete sie ihm zusammen, was er stets anzuziehen pflegte. Dann goss sie ihm in der Küche eine Tasse Kaffee ein und rührte Zucker und Milch hinein, wie er es gerne hatte. Sie bestrich ihm auch noch eine Scheibe Brot, damit er wenigstens eine Kleinigkeit im Magen hatte. Wie sie ihn und seine Arbeitsauffassung kannte, nahm er sich in der Klinik bestimmt nicht die paar Minuten Zeit, um ein zweites Frühstück nachzuholen. Gerade legte sie ihm noch eine Scheibe Wurst auf das Brot, als er schon in die Küche kam, die feuchten Haare an den Kopf gekämmt, ziemlich abwesend in Gedanken und mit einem missbilligenden Ausdruck im Gesicht.
„Schade um das schöne Frühstück“, meinte er.
Helga seufzte. Wenigstens das sieht er, dachte sie. Und dabei war ich immer der Meinung, unser Leben würde mal ruhiger werden. Es sieht überhaupt nicht danach aus!
Florian Winter wandte sich ab.
„Trink wenigstens den Kaffee, Florian! Was nützt der Patientin der Chefarzt, dem plötzlich flau im Magen wird?!“
„Jawohl, Frau Studienrat!“, antwortete er in einem Anflug von scheuem Humor und trank den Kaffee in einem Zug.
Es wühlt in ihm, dachte sie beklommen. Er meint es zwar im Spaß, aber Frau Studienrat hat er mich Jahre nicht mehr genannt!
„Und jetzt noch das Brot!“, drängte sie.
Florian Winter winkte ab. „Es eilt, sie warten auf mich. Wozu hätten sie denn sonst angerufen?“
Sie klappte ihm das Brot einfach zusammen und drückte es ihm in die Hand. „Dann iss es im Auto auf! Du vergibst dir nichts dabei. Und wer sollte dich außerdem um diese Zeit sehen?“
Er hatte etwas dagegen, im Wagen zu essen. Das sähe unkultiviert aus, war sein Standpunkt. Den Kindern gestattete er allerdings, dass sie gelegentlich eine Portion Pommes frites im Wagen verdrückten.
Florian Winter betrachtete das Brot in seiner Hand wie einen toten Vogel oder einen ähnlich unnützen Gegenstand. Als er Helgas gewollt strenge Miene bemerkte, fügte er sich und nahm das Brot mit.
„Ich rufe mal an“, sagte er und eilte in die Diele hinaus. „Ob ich zum Mittagessen heimkomme, kann ich allerdings noch nicht versprechen.“
Helga folgte ihm auf dem Fuß und achtete darauf, dass er die richtige Jacke von der Garderobe nahm und seine Tasche nicht vergaß. Zehn Minuten später fuhr er schon die Straße hinab, und sie winkte ihm nach, bis der Wagen verschwunden war. Fröstelnd presste sie die Arme an den Oberkörper. Um diese Tageszeit war es doch noch empfindlich kühl. Wenigstens steckte die Zeitung schon im Rohr. Sie nahm sie mit hinein, und der Gedanke, dass es Leute gab, die noch viel früher aufstehen mussten, vermochte sie etwas zu trösten.
Sie nahm ihr Frühstück allein ein und überflog die Zeitung. So recht konzentrieren konnte sie sich nicht. Was Florian aus Flachs gesagt hatte, ließ ihre Gedanken nicht mehr los. Frau Studienrat! Manchmal fehlte ihr der Beruf, das Zusammensein mit den Kollegen, die Arbeit mit den Schülern und all die Freude und der Ärger, der sich daraus ergab.
Aber sie hatte damals mit Florian lange Aussprachen gehabt, und es war ihr Wunsch und Wille gewesen, den Lehrerberuf an den Nagel zu hängen und nur noch Ehefrau und später Mutter zu sein. Florian hatte sie nicht dazu gedrängt. Das rechnete sie ihm hoch an.
Ob sie vielleicht in ein paar Jahren, wenn die Kinder groß genug waren ...?
Sie gab sich selber die Antwort darauf, denn sie schüttelte den Kopf. Stefan kam schon ganz gut alleine zurecht. Aber Andrea ging jetzt gerade in den Kindergarten. Die Kleine brauchte sie noch. Und das auf Jahre. Und außerdem würde es schwer werden, eine Anstellung zu bekommen. Eine Menge junge Pädagogen waren mit der Ausbildung fertig und warteten auf eine Lehrerstelle. Aber diese Stellen waren heute verzweifelt dünn gesät. Es gab so viele arbeitslose Lehrer, dass einen das Grausen packen konnte.
Denen eine Stelle wegnehmen?, fragte sie sich. Das geht nicht, das kann ich nicht machen. Ich habe meinen zweiten Beruf, auch wenn er ein Universalberuf ist: Ehefrau und Hausfrau und Mutter, und weiß der liebe Himmel was noch alles!
Sie frühstückte fertig. Dann war es höchste Zeit, Stefan zu wecken. Sonst kam er zu spät zur Schule. Er erfand nämlich jeden Morgen tausend neue Gründe, um herumtrödeln zu können. Und wenn Stefan aus dem Haus war, wurde es auch schon Zeit, Andrea zu wecken und sie später zum Kindergarten zu bringen.
Florian Winter hielt sich nicht mit langen Vorreden auf. Inge Stoll, seine burschikose Stationsärztin, erwartete ihn in der Personalschleuse zur Intensivstation.
„Morgen, werte Kollegin! Wie steht es?“
„Besser wäre uns allen viel lieber, Herr Professor. Das Labor hat gerade die Werte geschickt, und wir konnten auch so einiges in Erfahrung bringen.“
Er winkte ab, und das galt der Titulierung. Aus dem Mund der Ärzte, die schon lange zu seinen beiden Stationen gehörten und gewissermaßen das lebende Inventar ausmachten, hörte er nicht gerne den Professor.
„Wenn Sie sich etwas zurückziehen könnten, werte Kollegin, damit ich mich vorschriftsmäßig bedecken kann, wäre ich Ihnen sehr verbunden!“, sagte er und hielt fast verzweifelt die sterile Hose hoch, die er aus dem Paket im Schrank genommen hatte. Inge Stoll errötete wie ein Schulmädchen, das sich zum ersten Rendezvous verabredet, und warf die Tür der Schleuse zu.
Hastig zog sich Florian Winter um und stellte sich für eine halbe Minute unter die sogenannte Ultraviolett-Dusche. Die tötete Keime ab, die jeder, der von draußen kam, unvermeidlich mit sich herumschleppte. Hinter der Tür lauerte die Stationsärztin. „Entschuldigen Sie nur, ich bin so aufgeregt, dass ich gar nicht darauf geachtet habe“, brachte sie zu ihrer Rechtfertigung vor.
„Meine Ärzte sollen nicht aufgeregt sein, weder in einer solchen, noch in einer anderen Situation“, belehrte er Inge Stoll. „Außerdem dürfte Ihnen bekannt sein, wie ein Mann im Hemd aussieht. Also haben Sie sich nachträglich nicht so! Wo ist die Patientin?“
„Bitte, hier entlang, in der vierten Box.“ Dr. Stoll ging voraus.
Die Kabinen waren nur durch Vorhänge gegen den Flur abgegrenzt. Einige dieser Vorhänge gerieten in Bewegung, neugierige Gesichter zeigten sich. Das Pflegepersonal der Intensivstation war gespannt, wie Winter mit der Situation wohl fertig wurde. Er ließ sich nicht irritieren.
Der Vorhang vor Box vier flog von starker Hand geschleudert plötzlich vor seinem Gesicht beiseite. Er sah Hermann Mittler vor sich stehen, seinen Oberarzt. Der Seufzer der Erleichterung, der sich Mittlers Brust entrang, entging seiner Aufmerksamkeit nicht.
„Guten Morgen allerseits!“, wünschte Florian Winter, um das Verfahren abzukürzen.
„Morgen, Herr Professor!“, schallte es ihm entgegen.
Die Patientin war an die lebenserhaltenden Geräte angeschlossen, aber bei einem septischen Schock war mit Geräten verzweifelt wenig auszurichten.
„Geben Sie sofort ein Antibiotikum!“, ordnete Winter an. Das Beatmungsgerät lag bereit, für alle Fälle. Die Anzeigen schrieben schlechte Werte. An einem Schreiber hantierte ein Anästhesist. Er widmete sich ganz den Instrumenten und der Patientin, die daran hing, und es kümmerte ihn überhaupt nicht, wer da hereingekommen war. Er drehte sich dann aber doch um und schenkte Dr. Winter ein Zwinkern, das allerdings alles andere als Zuversicht ausdrückte.
Der Mann mit der Mundmaske und dem grünen Kittel war Herr Kirchrath. Er war ein großartiger Narkotiseur, und Operationen, die er vorbereitete und leitete, waren fast immer Glanzlichter im Klinikbetrieb.
So sehr Kirchraths ärztliche Künste geschätzt waren, so sehr waren seine derben und respektlosen Sprüche gefürchtet. Nicht einmal vor Primarius Faulhaber nahm er ein Blatt vor den Mund. Und das wollte schon etwas heißen. Wer aber andererseits etwas konnte, durfte auch eine Lippe riskieren.
Irgendwie kam es Florian Winter vor, als sei der mächtige Rauschebart von Kirchrath gesträubter als sonst. Die rotgeränderten Augen verrieten, dass der Narkotiseur Nachtdienst gehabt hatte und dass ihm keine ruhige Minute vergönnt gewesen war.
„Wir müssen jetzt aber bald was tun!“, drängte der Anästhesist.
Florian Winter ließ sich die Unterlagen geben.
Die Frau hieß Sabine Monk, war ledig, 28, und wohnte am Ort. Ihre Blutgruppe war bestimmt AB Rhesus positiv. So gesehen war sie eine Universalempfängerin, falls es nötig wurde, ihr Ersatzblut zu geben.
Frau Monk hatte eine Schwangerschaftsunterbrechung machen lassen. Ambulant und in irgendeinem Krankenhaus gleich hinter der Grenze. Diese Angabe war besonders auffällig unterstrichen. Florian Winter sah darin die Arbeit von Inge Stoll; sie hatte auch die Befragung der Patientin vorgenommen und die Niederschrift verfertigt. Gleich ihm verabscheute sie solche Eingriffe, bei denen das Leben der Frauen in gröblichster Fahrlässigkeit aufs Spiel gesetzt wurde.
Der Eingriff war vor zwei Tagen vorgenommen worden. Frau Monk hatte lediglich etwas ruhen müssen, bis die Blutung gestoppt war, und dann war ihr erlaubt worden, die Anstalt zu verlassen. Nach eigenen Angaben war sie allein unterwegs gewesen, und so war sie mit dem Auto auch wieder heimgefahren. Mehr als dreihundert Kilometer weit. Ein unerhörter Stress, dem sie sich ausgesetzt hatte.
Natürlich war es schiefgegangen. Auf der Autobahn hatte ein Unwohlsein sie ereilt, und sie hatte überhastet einen Rastplatz ansteuern müssen. Dort hatte sie festgestellt, dass die Blutungen wieder eingesetzt hatten. Wenigstens hatte man ihr in weiser Voraussicht ein paar Vorlagen mitgegeben, und mit diesen half sie sich für die nächsten drei Stunden. Dabei musste ihr dann so schwindlig geworden sein, dass sie vom Sitz fiel und sich unter dem Armaturenbrett liegend wiederfand. Furchtbar peinlich war ihr das gewesen, und es hatte auch jemand zum Seitenfenster hereingestarrt. In aller Eile hatte sie die Vorlagen zusammengerafft und eine zwischen die Beine gepresst und war davongefahren.
Dr. Stoll hatte bei diesem Punkt der persönlichen Befragung sofort nachgehakt und wissen wollen, wo sich denn die Vorlagen befunden hätten.
Auf dem Boden! Auf dem schmutzigen, dreckigen Boden des Autos!
Florian Winter war versucht, sich an den Kopf zu greifen. Das gab es doch nicht, das durfte doch überhaupt nicht wahr sein! Die Frau hatte eine dieser mit allen möglichen Krankheitskeimen geradezu gespickte Vorlage benutzt. Hatte den Dreck vom Boden der günstigsten Eintrittspforte für Erreger so nahe wie nur möglich gebracht. Die Leute in der fremden Klinik hätte man prügeln müssen! Nie hätten sie die Frau unmittelbar nach dem Eingriff gehen lassen dürfen.
„Ist die Erregerbestimmung gemacht?“, fragte Dr. Winter.
Dr. Mittler griff Laborzettel von einem Rolltischchen. „Aus dem Blut“, sagte er, und das hieß, dass der ganze Körper der Frau bereits mit den Erregern überschwemmt war, weil sie bis ins Blut gelangt waren und damit auch in den letzten Körperwinkel transportiert wurden. „Streptokokken und Staphylokokken. Die Bakterienverschleppung in dem Wagen kann durch ein Tier erfolgt sein. Die Frau hat angegeben, dass sie Hundehalterin ist.“
„Das auch noch!“, brummte Dr. Winter. Er hatte nichts gegen Hunde oder andere Tiere, nur in diesem speziellen Fall hatte er eine ganze Menge gegen sie. Aber vielleicht wäre es auch ohne Hund passiert.