The House of Falconer - Die Macht des Schicksals - Barbara Taylor Bradford - E-Book
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The House of Falconer - Die Macht des Schicksals E-Book

Barbara Taylor Bradford

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Beschreibung

Der Auftakt der neuen mitreißenden Saga der New-York-Times-Bestseller-Autorin!

London 1884: Victoria ist Königin, und Großbritannien steht vor dem Höhepunkt seiner Macht. Doch das viktorianische England ist ein Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinanderklafft.

James Falconer arbeitet am Stand seines Vaters auf einem florierenden Londoner Markt, der Henry Malvern gehört, Chef des angesehensten Handelsunternehmen Londons. Aber James ist ehrgeizig. Er träumt davon, ein Imperium von Geschäften aufzubauen, und so wendet er sich von der Familientradition ab. James glaubt, dass ausgerechnet Geschäftsmann Henry Malvern ihm helfen kann, seinen Träumen näherzukommen.

James arbeitet hart, erweist sich als fleißig und vertrauenswürdig und erregt schließlich Henrys Aufmerksamkeit. Doch dann bedroht ein Verrat seine Träume - und gefährdet alles, was ihm am Herzen liegt. James muss beweisen, dass er wirklich der Herr seines Schicksals ist ...

Durch Intrigen und Romanzen, Tragödien und Triumphe verflechten sich die Leben der Familien Falconer und Malvern.

Vom viktorianischen London bis zu den pulsierenden Hafenstädten Englands und Frankreichs, von anmutigen Herrenhäusern in Gloucestershire bis zur Dekadenz von Paris - "Die Macht des Schicksals" ist der Auftakt einer neuen unvergesslichen historischen Saga der Autorin der Emma-Harte-Saga.

»Ein extravaganter, fesselnder Roman über Liebe, Mut, Ehrgeiz, Krieg, Tod und Leidenschaft.« New York Times

»Eine mächtige Saga. Seit ›Vom Winde verweht‹ war kaum etwas so fesselnd.« Evening News

»Ein langer, befriedigender Roman über Geld, Macht, Leidenschaft und Rache, der vor dem Hintergrund der Geschichte des 20. Jahrhunderts spielt.« Los Angeles Times

»Nur wenige Romanautoren verstehen es so perfekt wie Barbara Taylor Bradford, die Leser zum Umblättern zu verleiten. Sie ist eine der weltbesten Erzählerinnen.« The Guardian

»Eine klassische Saga über Loyalität, Geheimnisse, Leidenschaft und Intrigen ... Wenn Sie unter Entzugserscheinungen von Downton Abbey leiden, ist dieses Buch genau das Richtige für Sie.« Daily Mail

»Bradfords Unmengen von Fans werden diese romantische Saga verschlingen.« Booklist

»Der Auftakt einer neuen Bestseller-Reihe.« Kirkus Reviews

»Bradfords Fans werden eine Fülle an spannenden und nahbaren Charakteren finden, mit denen sie sich identifizieren können.« Publisher's Weekly

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Seitenzahl: 529

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Personenverzeichnis

Teil 1

1

2

3

4

5

Teil 2

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

Teil 3

21

22

23

24

25

26

27

Teil 4

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

Teil 5

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

Danksagung

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

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Über dieses Buch

Der Auftakt der neuen mitreißenden Saga der New-York-Times-Bestseller-Autorin!

London 1884: Victoria ist Königin, und Großbritannien steht vor dem Höhepunkt seiner Macht. Doch das viktorianische England ist ein Land, in dem die Schere zwischen Arm und Reich weit auseinanderklafft.

James Falconer arbeitet am Stand seines Vaters auf einem florierenden Londoner Markt, der Henry Malvern gehört, Chef des angesehensten Handelsunternehmen Londons. Aber James ist ehrgeizig. Er träumt davon, ein Imperium von Geschäften aufzubauen, und so wendet er sich von der Familientradition ab. James glaubt, dass ausgerechnet Geschäftsmann Henry Malvern ihm helfen kann, seinen Träumen näherzukommen.

James arbeitet hart, erweist sich als fleißig und vertrauenswürdig und erregt schließlich Henrys Aufmerksamkeit. Doch dann bedroht ein Verrat seine Träume – und gefährdet alles, was ihm am Herzen liegt. James muss beweisen, dass er wirklich der Herr seines Schicksals ist ...

Durch Intrigen und Romanzen, Tragödien und Triumphe verflechten sich die Leben der Familien Falconer und Malvern.

Vom viktorianischen London bis zu den pulsierenden Hafenstädten Englands und Frankreichs, von anmutigen Herrenhäusern in Gloucestershire bis zur Dekadenz von Paris – »Die Macht des Schicksals« ist der Auftakt einer neuen unvergesslichen historischen Saga der Autorin der Emma-Harte-Saga.

Barbara Taylor Bradford

The House of Falconer

Die Macht des Schicksals

Aus dem Englischen von Michael Krug

Dieses Buch ist für meinen Mann Bob, meinen Helden, der mir immer den Freiraum zum Schreiben gibt, ganz egal, was sich gerade abspielt.

In Liebe und ewiger Dankbarkeit.

Personenverzeichnis

DIE FALCONERS

Philip Henry Rosewood Falconer, Gründer der Dynastie; leitender Butler.

Esther Marie Falconer, seine Frau und Mitbegründerin der Dynastie; leitende Haushälterin.

Ihre Söhne:

Matthew, der älteste Sohn und Erbe; Standinhaber auf dem Malvern Market.

George, angesehener Journalist der Tageszeitung The Chronicle.

Harry, Koch und Inhaber des Cafés Rendezvous.

Ihre Enkelkinder (Matthews Nachkommen):

James Lionel, ein ehrgeiziger, aufstrebender junger Geschäftsmann.

Rosalinde, bekannt als Rossi, Näherin.

Edward Albert, Helfer seines Vaters beim Betrieb der Stände.

Ihre Schwiegertochter:

Maude Falconer, Matthews Ehefrau und Mutter seiner Kinder; Näherin.

DIE VENABLES

Clarence Venables, Esther Falconers Schwager, Großonkel von James Falconer. Besitzer einer Schifffahrtsgesellschaft in Hull.

Marina Venables, Clarence’ Ehefrau und jüngere Schwester von Esther Falconer. Großtante von James Falconer. Bekannte Künstlerin.

Ihre Kinder:

William, ältester Sohn und Erbe, arbeitet bei der Schifffahrtsgesellschaft in Hull.

Albert, zweiter Sohn, arbeitet bei der Schifffahrtsgesellschaft in Hull.

Ihre Schwiegertochter:

Anne Venables, Alberts Ehefrau.

DIE MALVERNS

Henry Ashton Malvern, Besitzer der Malvern Company, eines Großbetriebs und Immobilienunternehmens.

Alexis Malvern, sein einziges Kind und Erbe. Teilhaber an der Firma.

Joshua Malvern, Henrys Bruder und Geschäftspartner in London.

Percy Malvern, sein Cousin, der das Weingeschäft in Le Havre leitet.

DIE TREVALIANS

Sebastian Trevalian, Leiter der Trevalian Privatbank.

Seine Töchter:

Claudia, älteste Tochter und Erbin.

Lavinia, Debütantin.

Marietta, Debütantin.

Seine Schwester:

Dorothea Trevalian Rayburn, Kunstsammlerin und Vorstandsmitglied der Bank.

Sein Schwiegersohn:

Cornelius Glendenning, Claudias Ehemann, Bankier.

DIE CARPENTERS

Lord Reginald Carpenter, Verlagsmagnat und Inhaber des Chronicle.

Lady Jane Cadwalander Carpenter, seine Ehefrau.

Ihre Töchter:

Jasmine, Debütantin.

Lilah, Debütantin.

Teil 1

Der SchubkarrenjungeLondon1884

1

James Lionel Falconer, von allen außer seiner Großmutter Jimmy genannt, war außer Atem. Abrupt blieb er mitten auf der Straße in Richtung Camden Lock stehen. Die von ihm geschobene Karre wurde von Minute zu Minute schwerer. Zumindest erschien es ihm so. Er lehnte sich daran, ruhte sich einige Herzschläge lang aus und versuchte, wieder zu Atem zu gelangen.

Es war Donnerstag, der 12. Juni 1884. Ende des vergangenen Monats hatte er seinen vierzehnten Geburtstag gefeiert. Seither fühlte er sich sehr erwachsen. Immerhin arbeitete er bereits seit seinem achten Lebensjahr mit seinem Vater an ihren Ständen auf dem überdachten Markt von Henry Malvern in Londons Stadtteil Camden. Bis er zehn gewesen war in Teilzeit, danach war er jeden Tag hingegangen. Ihm gefiel das Feilschen, das Verhandeln, das Hin und Her über Preise genauso sehr wie seinem Vater.

Der nannte ihn seinen »gewieften Jungen«, was Jimmy freute. Er bewunderte seinen Vater und eiferte ihm nach. Der siebenunddreißigjährige Matthew Falconer kleidete sich zur Arbeit stets adrett, und Jimmy tat es ihm gleich. Sein Vater vergaß nie, bei Stammkunden nachzufragen, wie es ihren Familien ging, und Jimmy auch nicht. Es hatte sich ihm eingeprägt.

Sogar seiner Großmutter Esther Falconer war seit seinen frühesten Kindertagen aufgefallen, wie er seinen Vater in nahezu jeder Hinsicht nachahmte. Oft zauberte ihr das ein Lächeln ins Gesicht, und manchmal steckte sie ihm sogar ein Dreipencestück dafür zu, dass er ein so braver Junge war. Sie riet ihm, das Geld für schlechte Zeiten zu sparen. Und das tat er, denn er maß ihren Worten viel Bedeutung bei.

Jimmy richtete sich auf, stieß den Atem aus, packte die beiden Griffe und schob die Karre weiter. Er ging in gleichmäßigem Tempo, da er wusste, dass die breite Straße stärker anstieg, nachdem sie sich in zwei Richtungen verzweigte.

Keuchend folgte er ihr weiter und begann zu schwitzen – es war ein warmer Tag. Als er den Markt schon fast erreicht hatte, fuhr ihm ein jäher, stechender Schmerz in die Brust. Abrupt blieb er stehen, erschrocken von der Heftigkeit des Gefühls.

Er stützte sich schwer auf die Griffe der Schubkarre, um auf den Beinen zu bleiben, fürchtete jedoch einen Moment lang, er könnte dennoch umkippen. Nur langsam ließen die Schmerzen nach. Aber er blieb außer Atem. Schweiß bedeckte sein Gesicht. Er konnte sich nicht vorstellen, was ihm fehlte. Was war nur gerade passiert?

»Jimmy! Jimmy! Alles in Ordnung, Junge?«

Er erkannte Mrs Greenwoods Stimme und drehte sich um. Sie war eine Nachbarin und arbeitete als Köchin in einem großen Haus auf einer Terrasse in der Nähe des Regent’s Park.

»Es geht mir gut«, antwortete er, und er fühlte sich tatsächlich wieder besser. Was die Schmerzen auch gewesen sein mochten, sie waren verschwunden. Ihm war nur noch warm an jenem sonnigen Tag, und er blieb außer Atem.

Als Mavis Greenwood an seiner Seite eintraf, musterte sie ihn eindringlich. Besorgnis sprach aus ihrem herzlichen, mütterlichen Gesicht. »Du bist plötzlich stehen geblieben und hast merkwürdig ausgesehen. Ich habe den Eindruck, dass irgendetwas nicht stimmt.«

»Es ist nichts weiter. Ich bin nur ein bisschen außer Atem, und mir ist heiß.«

Sie nickte. »Aber beschweren wir uns mal lieber nicht über das Wetter. Die letzten Tage hat es wie aus Eimern geschüttet.«

Jimmy lachte. Er mochte Mrs Greenwood. Sie brachte ihnen oft einige ihrer wunderbaren Backwaren. Besonders ihre Stachelbeertorte hatte es ihm angetan.

»Wo ist dein Vater, Jimmy? Er sollte nicht zulassen, dass du dich mit dieser Schubkarre plagst. Sie ist ja beinahe größer als du.«

Er grinste sie an, bevor sich seine Miene schlagartig änderte. Ernüchtert erklärte er: »Pa hat Ma zu Dr Robertson gebracht. Sie meint zwar, es wäre nur eine Erkältung, aber mein Vater glaubt, es könnte eine Bronchitis oder – schlimmer noch – eine Lungenentzündung sein.«

»Oh, hoffentlich nicht, Junge. Das sind üble Krankheiten.« Sie platzierte die Tasche auf dem Sack, der den Inhalt der Schubkarre bedeckte, und legte die Hand um einen der Griffe. »Komm, Jimmy. Nimm du den anderen Griff. Ich helfe dir, sie zum Markt zu schaffen.«

Jimmy stand kurz davor, die Hilfe abzulehnen, überlegte es sich jedoch rasch anders. Damit würde er sie kränken. Also tat er, wie ihm geheißen, und übernahm den anderen Griff. Zusammen schoben sie den Karren und stimmten die Schritte aufeinander ab.

Als Matthew Falconer zum ersten Mal einen Stand auf dem Malvern Market gemietet hatte, war er fest entschlossen gewesen, erfolgreich zu werden – und das hatte er geschafft. Schon bald war der Besitzer Henry Malvern auf ihn aufmerksam geworden und hatte erkannt, was für ein guter Kaufmann er war. Als ein neuer Stand verfügbar geworden war, hatte er Matt die Gelegenheit geboten, ihn zu mieten. Und das hatte er getan.

Der Malvern Market gehörte zu den wenigen überdachten Märkten in der Gegend – das Glasdach und die Steinmauern sorgten bei schlechtem Wetter für Schutz. Deshalb konnten die Waren das ganze Jahr über der Öffentlichkeit feilgeboten werden, was alle Standbesitzer schätzten.

Jimmy und Mavis Greenwood schoben die Karre durch das große Eisentor. Dabei grüßte sie Tommy, der Verwalter, der im Pförtnerhaus wohnte. Danach steuerten Jimmy und Mavis auf den Bereich zu, in dem sich die beiden aneinandergrenzenden Schuppen befanden.

Erst wurden dessen Türen entriegelt und aufgeklappt, danach öffnete Jimmy die der Lagerräume, die zwei kleinen Geschäften ähnelten. Mavis Greenwood half ihm, die Sägeböcke und Holzbretter herauszuholen, um daraus die Stände zusammenzubauen.

Während sie Jimmy dabei zur Hand ging, fragte sie sich, wie sich Matt Falconer vorstellte, dass sein Sohn es allein hätte schaffen sollen. Sosehr es sie verblüffte, sie verlor kein Wort darüber. Am besten kümmerte man sich nur um die eigenen Angelegenheiten, das wusste sie.

Als sie die Stände fertig aufgestellt hatten, hob sie ihre Handtasche aus der Schubkarre und lächelte Jimmy an. »Und welche Schätze verbergen sich unter dem alten Sack?«

Jimmy zog sie weg und zeigte es ihr. »Küchenutensilien aus Kupfer. Pa hat sie bei einem Nachlassverkauf vergangene Woche erstanden. Aus einem großen Haus drüben im Westen.« Er zeigte darauf. »Sehen Sie nur, Mrs Greenwood. Kupferformen für Götterspeise, Pudding, Lachsschaum. Alles Sachen, die man braucht, wenn man Koch in einem so großen Haus ist.«

Sie nickte, ergriff einige der Gegenstände und begutachtete sie eingehend. »Schöne Stücke, Jimmy, das muss ich zugeben. Wie viel kostet diese Form denn?«, erkundigte sie sich, weil ihr eine davon besonders gefiel.

»Pa hat vergessen, mir die Preisliste mitzugeben, aber Sie können sie für sechs Pence haben. Ich denke, das müsste ungefähr passen.«

»Sechs Pence! Das ist glatter Wucher, Jimmy Falconer!«

»Oh! Na ja, dann ist mir vielleicht ein Fehler unterlaufen. Drei Pence? Wie hört sich das an, Mrs Greenwood?« Lächelnd sah er sie an. Immerhin hatte sie ihm geholfen, es überhaupt zum Markt zu schaffen. Dafür verdiente sie ein Schnäppchen.

Mavis öffnete die Handtasche und holte ihre Geldbörse heraus. Sie reichte ihm die Münze, schenkte ihm ein breites Lächeln und ließ die Form in der Tasche verschwinden. »Danke, Jimmy. Du bist sehr fair gewesen. Jetzt mache ich mich besser auf den Weg, sonst komme ich noch zu spät zur Arbeit.«

»Danke für die Hilfe, Mrs Greenwood. Darf ich Sie etwas fragen?«

»Was immer du willst, Junge, nur bitte schnell.«

»Kann man mit vierzehn einen Herzinfarkt bekommen?«, sagte er und sah sie eindringlich an.

Sie starrte zurück, bevor sie ausrief: »Sei nicht albern, Jimmy! Abgesehen davon bist du kerngesund. Musst du ja sein, sonst würde dein Vater nicht von dir erwarten, eine so schwere Karre hierher zu schieben.«

Sobald Jimmy allein war, begann er, die Kupferformen auf den Ständen zu platzieren. Dabei hielt er sich an die Anweisungen seines Vaters, ordnete die Ware der Größe nach so an, dass der Blick der Kundschaft von vorn über die kleineren Artikel aufsteigend nach hinten zu den höheren wandern würde.

Während der Arbeit, die ihm beinah automatisch von der Hand ging, sorgte er sich um seine Mutter und fragte sich auch, wo sein Vater sein mochte. Wie lange würde es beim Arzt dauern? Gelegentlich drehte er sich um und schaute hinüber zum Zugangstor des Markts. Es war noch recht früh, dennoch gingen bereits andere Standbesitzer ähnlichen Tätigkeiten nach wie er.

Als er an Mrs Greenwood zurückdachte, überkam ihn ein unverhoffter Anflug von Schuldgefühlen. Sie hatte die Schuld an seiner misslichen Lage auf der Straße bei seinem Vater gesehen, tatsächlich jedoch lag sie bei ihm. Er hatte die Schubkarre überladen, hatte zu viele Formen und eine Vielzahl weiterer Artikel in sie gepackt. Das musste er ihr unbedingt erklären, wenn er sie das nächste Mal sah. Er wollte nicht, dass sie schlecht über seinen Vater dachte.

Jimmy hatte gerade das Anordnen der Ware auf den Ständen beendet, als er sah, wie sein Vater eintraf und durch das Eisentor in seine Richtung eilte. Instinktiv wollte er ihm entgegenrennen, aber er hielt sich zurück, wie man es ihm von klein auf beigebracht hatte – immer beherrschen, immer würdevoll bleiben. Also wartete er stattdessen.

Matthew Falconer näherte sich lächelnd seinem Sohn und zog den Jungen kurz an sich. »Sie hat eine sehr schwere Erkältung«, erklärte Matt. Sofort bemerkte er den besorgten Ausdruck in Jimmys blauen Augen. »Sie liegt zu Hause im Bett. Der Arzt hat ihr eine gute Hustentinktur mitgegeben. Sie soll das Bett hüten, sich warm halten und reichlich Flüssigkeit zu sich nehmen.«

Strahlend vor Erleichterung meinte Jimmy: »Ich bin dankbar, dass es keine Bronchitis oder Lungenentzündung ist.«

»Das kannst du laut sagen. Dafür bin ich genauso dankbar wie du, Jim. Jetzt möchte ich, dass du zu deiner Großmutter gehst. Sie soll dir eine Flasche von ihrem Himbeeressiggebräu und ein paar Kampferbeutel geben. Und jeden besonderen Rat, den sie auf Lager hat. Lady Agatha wird nichts dagegen haben, falls sie noch dort ist. Deine Großmutter hat mir erzählt, dass die Familie die nächsten zwei Monate in Frankreich verbringt und heute abreist.«

Der Junge nickte. »Dann mache ich mich gleich auf den Weg. Soll ich die Sachen nach Hause zu Mutter bringen?«

»Ja, mein Junge. Großmutter wird dir bestimmt auch ein Sandwich und vielleicht etwas zu essen für deine Ma mitgeben.«

»Aber was ist mit dir, Pa? Wir haben heute Morgen vergessen, unsere Imbisse einzupacken, bevor wir aufgebrochen sind.«

»Mach dir um mich keine Sorgen. Der Krämer kommt ja in der Regel gegen ein Uhr vorbei und preist seine Waren an. Ich kaufe mir etwas von ihm.«

»Sobald ich Mutter das Mittagessen gegeben habe, komme ich wieder.«

»Nein, nein, tu das nicht. So spät am Nachmittag lohnt sich das nicht für ein, zwei Stunden. Bleib zu Hause, kümmere dich um Rossi und Eddie. Sorg dafür, dass sie essen. Und jetzt los.«

2

James verließ den Malvern Market ohne einen Blick zurück, aus mehreren Gründen glücklich. Er war froh, dass seine Mutter keine tödliche Krankheit hatte und wohlbehalten zu Hause im Bett lag. Außerdem erleichterte ihn, dass der besorgte Blick seines Vaters verschwunden war und er vergnügt vor sich hin gepfiffen hatte, als James von den Ständen losgegangen war. Und er freute sich sehr darauf, seine Großmutter zu sehen.

Um sie so schnell wie möglich zu erreichen, beschleunigte er auf der Straße die Schritte. Seine Großmutter Esther Marie Falconer stellte die wichtigste und einflussreichste Person in seinem Leben dar. Und er in ihrem. Das wusste er mit Sicherheit, weil sie es ihm gesagt hatte – aber diskret, da sie die Gefühle seiner Geschwister nicht verletzen wollte.

James liebte seine Eltern. Von seinem Vater schaute er sich einige Verhaltensweisen ab und kleidete sich sogar wie er. In seine mittlerweile zwölfjährige Schwester Rossi war er ebenso vernarrt wie in seinen kleinen Bruder Eddie, der unlängst seinen neunten Geburtstag gefeiert hatte. Und dann gab es noch seinen wunderbaren Großvater, der auf sie alle ein Auge hatte. Philip Henry Rosewood Falconer hatte ihm viel beigebracht, vor allem über Geografie und den Rest der Welt. Er hatte ihm sogar einen Globus auf einem Ständer geschenkt, den James als einen seiner bedeutendsten Schätze betrachtete.

Dennoch stand seine Großmutter ganz oben auf der Liste. Sie verkörperte seinen Leitstern. Als er vier Jahre alt gewesen war, hatte sie ihm bereits Lesen und Schreiben beigebracht. Als er in dem Alter in Rochester an die Schule gekommen war, hatte sich sein erster Lehrer beeindruckt von seinem Können und seiner Intelligenz gezeigt.

Als James Camden hinter sich ließ, herrschte auf der Straße der übliche morgendliche Betrieb. Scharen von Männern eilten in Richtung des Malvern Market, offensichtlich Standbetreiber, aber auch Frauen, Kundschaft in Erwartung des einen oder anderen Schnäppchens.

Morgens und abends herrschte unter der Woche in der Regel die meiste Hektik, wenn Männer und Frauen erst zur Arbeit eilten und abends nach Hause zurückkehrten.

Einige der Männer winkten ihm zu, und er winkte breit lächelnd zurück. Alles Betreiber von Nachbarständen. James besaß ein freundliches Wesen und ein bereitwilliges Lächeln. Er mochte Menschen und schloss leicht Freundschaften. Umgekehrt fühlten sich die Leute von seiner charismatischen Persönlichkeit und seinem attraktiven Äußeren angezogen.

Seine Großeltern arbeiteten in der Nähe des Regent’s Park, der nicht allzu weit entfernt war. Sobald James die Chalk Farm Road überquert hatte, lag nur noch ein kurzer Weg vor ihm, der in Richtung Marylebone führte.

Er mochte das Viertel und wusste eine Menge darüber. Seine Großmutter hatte ihm erzählt, dass es um 1818 vom großen Regency-Architekten John Nash geplant und angelegt worden war. Das Gesamtkonzept hatte die Regent Street, den Regent’s Park und die wunderschönen Terrassen und Straßen mit eleganten Stadthäusern in der Nähe des Parks umfasst.

Dort lebten Philip und Esther Falconer in einem der von John Nash entworfenen Gebäude mit Blick auf den Regent’s Park. Es gehörte ihren Arbeitgebern, Lord Arthur Blane Montague und seiner Frau, Lady Agatha Denby Montague, Tochter von Lord Percival Denby, dem sechsten Earl of Melton.

Esther Falconer war im Dorf Melton in Yorkshire geboren worden, nicht besonders weit vom großen nördlichen Seehafen Hull. Mit zwölf Jahren war Esther hübsch, klug und ehrgeizig gewesen. Dank der Verbindung ihrer Mutter zu Lady Agathas Tante hatte sie eine Arbeit in Melton Priory bekommen.

Esther war zur Zofe ausgebildet worden, insbesondere für Lady Agatha, die jüngste Tochter des Earls, damals sechzehn Jahre alt. Mit siebzehn war Lady Agatha als Debütantin am Hof vorgestellt worden und hatte ihre erste Saison in London verbracht.

Seither war Esther bei ihrer Herrin. Seit vierundvierzig Jahren, um genau zu sein. Im Verlauf der Zeit war sie aufgestiegen und mittlerweile leitende Haushälterin von Lady Agathas derzeitigen Residenzen in London und Kent – und stolz darauf.

Auch Philip Falconer aus Kent stand im Dienst der Familie. Begonnen hatte er im Alter von sechzehn Jahren als Lakai bei Lord Arthur Blane Montague in dessen Landsitz, dem Fountains Court in Kent. Außerdem hatte er im Haus am Regent’s Park gearbeitet, das Mr Montague mehrere Jahre vor der Heirat mit Lady Agatha erstanden hatte.

Esther und Philip hatten sich in jenem wunderschönen Haus von Nash in London kennengelernt und sich bald ineinander verliebt. Nicht weit davon entfernt hatten sie geheiratet, und seither lebten sie dort. Ihre Arbeitgeber schätzten sie entschieden zu sehr, um sie gehen zu lassen. Lady Agatha hatte mehrere Räume hinten im Gebäude in eine Wohnung für Philip und Esther umbauen lassen. Dort hatten sie nach wie vor ihren Hauptwohnsitz, obwohl sie über eine ähnliche Unterkunft am Fountains Court in Kent verfügten, wo ihre drei Söhne geboren und aufgewachsen waren.

Esther durchquerte gerade den hinteren Gang, als sie abrupt stehen blieb. Draußen betätigte wiederholt jemand so heftig den Türklopfer aus Messing, dass es sich wie Donner anhörte.

Sie eilte zum Dienstboteneingang, öffnete die Tür und sah sich ihrem Lieblingsenkel gegenüber.

So verblüfft sie kurzzeitig war, sie lächelte sofort, streckte die Hand aus und zog ihn ins Haus. Dann entglitt ihr das Lächeln ein wenig, als sie mit leicht gerunzelter Stirn fragte: »Stimmt etwas nicht? Was machst du mitten am Tag hier, James?«

»Es ist nichts weiter, Großmutter. Ma ist krank. Dr Robertson sagt, sie hat eine schwere Erkältung. Er hat ihr eine Arznei mitgegeben und sie nach Hause ins Bett geschickt. Dort ist sie jetzt. Pa wollte, dass ich dein Himbeeressiggebräu hole, wie er es nennt. Oh, und ein paar Kampferbeutel.«

»Ich verstehe«, erwiderte Esther, deren jähe Angst sich verflüchtigte. »Bestimmt hat der Arzt recht. Leider wird man Sommererkältungen schwer los, James.« Sie schlang die Arme um ihn und drückte ihn an sich. Er erwiderte die Umarmung. Schließlich trat er zurück. »Entschuldige, falls ich dich erschreckt habe, Oma.«

»Schon gut. Obwohl ich wirklich dachte, du wolltest die Tür aufbrechen, als du geklopft hast.« Sie musterte ihn, ließ den Blick langsam über sein Gesicht wandern. Erst vor zehn Tagen hatte sie ihn zuletzt gesehen, dennoch kam er ihr reifer vor. Mittlerweile war er einen Fingerbreit größer als sie.

Er erwiderte ihren Blick und fragte leise: »Was ist? Warum siehst du mich so an?«

Esther schüttelte mit einem verhaltenen Lächeln den Kopf. »Du hast dich ein bisschen verändert und scheinst mir ... nun ja, reifer zu sein. Auch wenn du erst vierzehn bist, du wirst so schnell erwachsen.«

Darüber lächelte er zuerst, dann lachte er. Und er verzauberte sie – diese ebenmäßigen weißen Zähne, der natürliche Charme, die sagenhaften blauen Augen, so voller Feuer und Leben. Die Frauen werden ihm einmal zu Füßen liegen, dachte sie.

Ihre anfängliche Sorge war mittlerweile vergessen. »Gehen wir in mein Wohnzimmer. Ich sage der Köchin, dass sie das Himbeeressiggebräu vorbereiten soll. Sie wird dir auch etwas zu essen machen.«

Esther führte James durch den langen Korridor in den Bereich, der ihr Wohnzimmer, Philipps Arbeitszimmer sowie die Küche und die Weinkeller beherbergte. Dort ließ sie ihn zurück und trat den Weg zur Köchin an.

James befand sich allein im Wohnzimmer, wo er zu einem Sessel am Fenster ging und sich setzte. Der Raum gefiel ihm. Er empfand ihn als gemütlich und angenehm hell.

Das Zimmer umfasste einen Kamin, ein Sofa, Sessel und den Schreibtisch seiner Großmutter. Sie hatte ihm einmal erklärt, dass es sich bei dem Tisch um ein georgianisches, edles antikes Stück handelte, das Lady Agatha ihr geschenkt hatte. Im Grunde glich der Raum einem Büro, in dem Esther Speisepläne erstellte, die Haushaltskonten führte und andere Verwaltungstätigkeiten erledigte. Dazwischen jedoch konnte sie sich auch darin entspannen.

Das Arbeitszimmer seines Großvaters befand sich ein paar Türen weiter den Korridor hinunter. Auch dort stand ein Schreibtisch, vor allem jedoch enthielt es Bücher, hauptsächlich über Wein und die Weinberge Frankreichs.

Im Verlauf der Jahre war Philip Falconer zu einem Fachmann geworden, und Mr Montague hatte ihm gestattet, einen wunderbaren Keller einzurichten.

James wusste, wie glücklich sich die gesamte Familie dank Philip und Esther Falconer schätzen konnte. Ihre lange Zeit in Diensten des Haushalts Montague schützte sie alle. Sein Vater und seine beiden Onkel arbeiteten und verdienten anständig. Trotzdem beruhigte das Wissen, dass die älteren Falconers für sie da sein würden, falls sie je Hilfe bräuchten. Ja, sie konnten sich in der Tat glücklich wähnen.

Dass Menschen ihr gesamtes Leben einer Adelsfamilie verschrieben, war nicht ungewöhnlich. Doch James wusste, dass man seine Großeltern im Dienst behielt, weil sie sich obendrein in ihren Tätigkeiten auszeichneten. In gewisser Weise waren sie zu einem Teil der Familie geworden. Oft wurden ihnen kleine, aber hoch geschätzte Privilegien zugestanden. James’ Großeltern erfreuten sich deshalb zahlreicher Vorzüge, weil die Montagues so große Stücke auf sie hielten. Seine Großmutter hatte ihm unlängst anvertraut, dass Lady Agatha zu ihr gemeint hatte, sie und Philip wären nicht bloß die Besten, sondern noch besser. Esther hatte bei diesen Worten ausgesprochen stolz und erfreut geklungen.

James schaute zur Tür, als sie sich öffnete. Sein Großvater trat mit einem breiten Lächeln ein. James sprang auf und rannte ihm entgegen. Sie umarmten sich, und Philip küsste ihn auf die Wange, bevor er ihn losließ.

»Was für eine nette Überraschung, dass du hier bist, Junge. Du bist ja ganz schön in die Höhe geschossen, seit ich dich zuletzt gesehen habe.«

»Das sagt Vater auch.«

»Deine Großmutter hat mir erzählt, dass es deiner Mutter nicht gut geht und Matthew dich hergeschickt hat, um Himbeeressig zu holen. Aber mit ihm ist doch alles in Ordnung, oder?«

James nickte. »Rundum kampftauglich, wie er es nennt.«

Philip ließ sich auf dem Sofa nieder, James setzte sich auf den Sessel ihm gegenüber. »Ist Lady Agatha schon abgereist?«

Philip lächelte. Er wusste, wie sehr es James gefiel, was für ein Aufhebens die Frau um ihn machte. »In der Tat. Mit ihrem Gemahl, Ms Helena, Mr William, zwei Dienstmädchen, dem Kammerdiener und genug Gepäck, um zwei Kutschen zu füllen. An die Riviera, um die Sonne und die Festlichkeiten am Meer zu genießen. Erst verweilen sie in Nizza, danach geht es weiter nach Monte Carlo. Die Rückkehr ist für September geplant. Es sei denn, der Lord möchte bereits im August zur Moorhuhnsaison zurück sein.«

Esther traf ein und ergriff das Wort. »Gehen wir in das Esszimmer für das Personal und genehmigen uns eine Kleinigkeit zu Mittag.« Sie winkte die beiden mit sich und fügte hinzu: »Die Köchin hat Cottage Pie gemacht. Sie bereitet gerade noch einen zu, den du mit nach Hause nehmen kannst, James. Und eine hervorragende Hühnersuppe für deine Mutter. Bei Halsschmerzen geht nichts über Hühnersuppe.«

Philip und James folgten Esther, die den Korridor entlang in das Esszimmer für das Personal eilte, wo sie zusammen Platz nahmen. Die nächste Stunde würden sie den Raum für sich allein haben, da die anderen Hausbediensteten putzten und ihren sonstigen Aufgaben nachgingen.

Schon lange hatte sich Esther vorgenommen, mit ihrem Enkel über die Zukunft zu sprechen. Sie brannte darauf zu erfahren, ob er besondere Pläne für die Arbeit hatte. Die Gelegenheit erschien ihr günstig, um das Thema anzuschneiden.

Mit Liebe in den hellgrünen Augen wandte sie sich an ihn. »Ich wollte dich schon länger fragen, ob du vorhast, ewig mit Matthew auf dem Markt an den beiden Ständen zu arbeiten. Oder hast du vielleicht andere Vorstellungen?«

Überrascht starrte James sie mit großen Augen und verwirrter Miene an. Einen Moment lang erwiderte er nichts. Schließlich sagte er: »Ich weiß es noch nicht wirklich.«

»Mir kommt gelegentlich in den Sinn, wie sehr du dich für Architektur interessierst. Und ich weiß, dass dich John Nash und seine Regency-Gebäude faszinieren. Opa und ich wären bereit, dir die Ausbildung zum Baukünstler zu ermöglichen, wenn du das möchtest«, verkündete Esther, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und sah ihn erwartungsvoll an.

Er schüttelte vehement den Kopf. »Nein, ich will kein Zeichner werden, Oma. Aber danke für das Angebot – und dir auch, Opa. Das ist sehr großzügig von euch.« Seine Aufrichtigkeit schwang in seiner Stimme deutlich mit.

»Wie sieht es allgemein mit einer Hochschulausbildung aus?«, fragte Philip, beugte sich vor und richtete alle Aufmerksamkeit auf seinen Enkel. Er wusste, wie besonders James war, hochintelligent und mit angeborener Klasse. Außerdem bestach er durch reichlich Charme und gutes Aussehen, insgesamt durch und durch ein Erfolgsmensch.

Als James nichts erwiderte, fügte Philip hinzu: »Wir wollen dich damit nicht unter Druck setzen, James. Denk einfach darüber nach, vielleicht fällt dir ja etwas ein. Du sollst nur wissen, dass wir da sind und dich unterstützen. Die Welt liegt dir zu Füßen.«

James nickte. Dabei sah er seinen Großvater aufmerksam an und dachte sich, wie schneidig er mit dem schwarzen Jackett, der Nadelstreifenhose, dem makellosen weißen Hemd und der silbernen Seidenkrawatte wirkte. Der perfekt gekleidete Butler.

Sein Blick richtete sich auf seine Großmutter, die ihrem Ehemann in einem langen, marineblauen Rock und passender Bluse samt weißem Kragen und Bündchen um nichts nachstand. Das volle silbrige Haar trug sie zu einem Dutt hochgesteckt. Für ihn verkörperte sie den Inbegriff maßgeschneiderter Eleganz.

Er wusste, dass sie sechsundfünfzig Jahre alt war, obwohl sie nicht danach aussah. Ebenso wenig wie sein Großvater, der mittlerweile sechzig Lenze zählte. Beide hatten sich gut gehalten, fand er und unterdrückte ein Lächeln, als er überlegte, was sie wohl sagen würden, wenn er seine Gedanken ausspräche.

Stattdessen setzte sich James aufrechter hin und holte tief Luft, als er beschloss, ihnen die Wahrheit über seine Träume zu verraten. »Ich will Kaufmann werden«, vertraute er ihnen an. »Damit meine ich, dass ich irgendwann ein Geschäft wie Fortnum & Mason oder eine Einkaufspassage wie die Burlington Arcade an der Piccadilly besitzen möchte. Ich will der erfolgreichste Händler in London werden! Der ganzen Welt!« Seine Stimme war vor lauter Aufregung angeschwollen. Als er sich zurücklehnte und tief durchatmete, stellte er fest, dass seine Großeltern ihn verblüfft anstarrten.

3

James liebte seine Großeltern und würde nie etwas tun, das sie verärgern könnte oder respektlos gewesen wäre. Allerdings besaß er auch eine schelmische Ader und freute sich diebisch, dass es ihm gelungen war, ihnen ausnahmsweise die Sprache zu verschlagen. Unverhofft bahnte sich ein Lachen in ihm an.

Aber da er es als unangebracht empfand, schluckte er es hinunter und bemühte sich, ernst zu bleiben. Nach einem neuerlichen tiefen Atemzug wiederholte er: »Ja, ich möchte ein großer Kaufmann werden. Das ist mein wahrer Traum.«

»Es ist wundervoll, dass du solchen Ehrgeiz besitzt, James«, brach sein Großvater als Erster das Schweigen. »Es ist wichtig, schon früh zu wissen, was man aus seinem Leben machen will. Gut so, Junge.«

»Wie hast du vor, deinen Traum zu verwirklichen?«, erkundigte sich seine allzeit bodenständige, praktisch denkende Großmutter. James hatte mit seiner Enthüllung eindeutig ihre Neugier geweckt.

»Um deine Frage zu beantworten, Oma, noch kann ich meinen Plan nicht in die Tat umsetzen. Das wird ein paar Jahre warten müssen. Aber ich habe einen Plan und werde dafür sorgen, dass er funktioniert. Ich werde hart daran arbeiten, meinen Traum wahr werden zu lassen. Sobald ich das richtige Alter dafür habe.«

In Esthers Augen schimmerte ein erfreutes Lächeln. »Das klingt sehr vernünftig. Und möchtest du uns deinen Plan verraten?«

»Ja, gern ...« James verstummte, als die Köchin mit einem Tablett eintrat, gefolgt von Polly, einem der jungen Hausmädchen.

Ihre weiße Schürze wallte um sie herum, als sie sich näherte und das Tablett am anderen Ende des Tischs abstellte, bevor sie eine Auflaufform aus weißer Keramik zu Jimmys Großmutter brachte und vor ihr platzierte.

»Hier ist er endlich, Mrs Falconer, der Cottage Pie. Polly hat außerdem eine Schüssel mit Erbsen, die Sauciere und die Teller mitgebracht.«

»Danke, Mrs Grainger. Und dir auch, Polly«, sagte Esther und lächelte die beiden an, die den Rest seitlich von ihr anordneten.

Die Frauen lächelten zurück, bevor sie wieder gingen.

Esther bediente erst James und Philip, ehe sie sich selbst eine Portion auf ihren Teller löffelte. Das Essen roch köstlich. Die Kruste aus Kartoffelbrei über dem Hackfleisch war perfekt goldbraun.

Nach einem ersten Bissen legte James die Gabel beiseite und fuhr fort. »Was meinen Plan angeht, den habe ich glasklar vor Augen. Die nächsten Jahre möchte ich weiterhin bei Pa arbeiten und noch viel von ihm lernen. Und dann werde ich ihn bitten, mich mitzunehmen, wenn er Nachlassverkäufe auf dem Land oder in den Londoner Vororten besucht, wohin auch immer er reist. Ich sehe ihm gern beim Mauscheln zu, wie er es nennt. Er ist Fachmann, und das muss ich ebenso werden. Außerdem möchte ich etwas über andere Dinge lernen.«

»Worüber zum Beispiel, James?«, hakte Philip neugierig nach.

»Die schönen Dinge im Leben. Zum Beispiel denke ich, Kenntnisse über die schönen Dinge könnten nicht schaden. Um ein Geschäft wie Fortnum & Mason und eine Einkaufsgalerie mit edlen Läden zu betreiben, brauche ich solches Wissen.« James sah erst seinen Großvater, dann Esther mit fragender Miene an.

»Eine gute Überlegung«, befand seine Großmutter. »Wissen ist Macht in Großbuchstaben.«

»Ich kann dir etwas über edle Trauben und alle großen Weine Frankreichs beibringen«, bot Philipp lächelnd an. »Das würde ich gern.«

James’ junges Gesicht strahlte, als er begeistert nickte. »Ach, Opa, was für eine wunderbare Idee! Danke. Wann können wir anfangen?«

Philip und Esther sahen sich gegenseitig an und schmunzelten belustigt, aber auch erfreut über James’ Enthusiasmus und Lerneifer.

Esther schlug vor, James künftig zu einigen Ausflügen mitzunehmen, wenn es die Arbeit auf dem Markt zuließ. »Ich möchte, dass du dir die Burlington Arcade erneut ansiehst. Du bist mit mir erst einmal dort gewesen. Außerdem gibt es in London noch andere Einkaufspassagen, die zu besuchen sich lohnt. Und unbedingt müssen wir mehrere Ausflüge zu Fortnum & Mason unternehmen. Damit du dort genau unter die Lupe nehmen kannst, was auf jeder Etage verkauft wird. Du hast völlig recht, James. Um einen Laden für hochwertige Güter zu betreiben, musst du die Ware, deinen Markt und vor allem deine Kunden verstehen. Du musst wissen, wovon sie träumen, was sie besitzen möchten. Du musst ihren Stil kennen, ihre Lebensweise, was sie tragen, essen und trinken.«

»Ich freue mich jetzt schon sehr darauf, meinen Lieblingsladen zu besuchen.« Seine blauen Augen funkelten strahlender denn je. Schließlich machte er sich mit sichtlichem Genuss über sein Mittagessen her. Er war froh, dass er sich seinen Großeltern anvertraut hatte, und begeistert von ihrer ermutigenden Reaktion.

Esther bedachte ihn mit einem liebevollen Blick, ehe sie sich dem eigenen Cottage Pie widmete. Philip musterte seinen jungen Enkel nachdenklich, aufmerksam und abwägend.

Es stand außer Frage, dass der Bursche außerordentlich klug war, zudem gut erzogen von Esther und ihm sowie natürlich seinen Eltern. Seine Mutter Maude sorgte dafür, dass James all die Zeitschriften und Bücher las, die er von Lady Agatha an ihn weiterleitete. Auch bei seinem sonstigen Unterricht hatte Maude ihn über die Jahre stets unterstützt.

Matthew wiederum hatte ihm gezeigt, wie man sich gut und angemessen kleidete und seine spärliche Garderobe pflegte. Offensichtlich besaß James in seinem Alter noch nicht viel, aber es wurde immer gebügelt und in tadellosem Zustand gehalten. Seine Mutter stopfte und nähte, damit ihre Familie allzeit adrett auftrat. Hinzu kam, dass Matthew seinen Jungen zum bestmöglichen Verkäufer ausbildete.

Er sieht ausgesprochen fit und gesund aus, dachte Philip und war froh darüber. In Gedanken dankte er seinen Arbeitgebern dafür, dass sie ihn und Esther all die Jahre behalten hatten. Seine Frau und er hatten immer darauf geachtet, ihre Söhne und Enkelkinder gut zu ernähren und ihnen zu vermitteln, wie wichtig anständiges Essen für die Gesundheit war. Es erzürnte Philip, wenn er daran dachte, wie sein Land, das nun, im Jahr 1884, als bedeutendste, reichste und mächtigste Nation der Welt galt, Millionen seiner Bürger behandelte. Gewissenlos ließ die Regierung sie in verdreckten, üblen Elendsvierteln leben und verhungern.

Ich wäre nicht überrascht, wenn sie sich eines nahen Tags erheben und eine Revolution gegen den Adel, die Oberschicht und die Staatsführung vom Zaun brechen, kam ihm plötzlich in den Sinn. Als er dabei unwillkürlich an die Französische Revolution dachte, zuckte er innerlich zusammen. Doch so, wie die Dinge standen, war es keineswegs weit hergeholt, dass sich dasselbe in seinem Land wiederholen könnte.

Die unteren Arbeiterklassen und die Ärmsten der Gesellschaft litten ständig Hunger. Ihre Tagesrationen bestanden aus einem Brocken Brot. Dazu gab es – mit Glück – eine Tasse Tee, sonst Wasser oder ein Glas Bier. Letzteres war besser, als es klang, weil es zumindest nicht so gefährlich wie ein Teil der Wasserversorgung war. Unwillkürlich wünschte Philip, es gäbe mehr Männer wie seinen Master, der sich ungewöhnlich gemeinnützig engagierte. Arthur Montague hatte seinem ältesten Sohn und Erben, Mr Roland Montague, der mit seiner Frau Catherine eine Wohlfahrtseinrichtung gegründet hatte, reichlich Geld für den Zweck zur Verfügung gestellt. Sie leisteten wunderbare Arbeit dabei, den Armen und Notleidenden in Whitechapel und den umliegenden Gegenden von Londons East End zu helfen.

»Wenn du fertig bist, Philip, denke ich, sollten wir das Essen – und den Himbeeressig – aus der Küche holen, damit ich James nach Camden begleiten kann«, murmelte Esther, als sie ihren Stuhl zurückschob.

Ihre Worte rissen Philip aus seinen Gedanken. Er nickte und erhob sich. »Ein guter Einfall, Liebes. Ich nehme James kurz in mein Büro mit und zeige ihm meine Bücher, während du bei der Köchin bist.«

Als James mit seinem Großvater fünfzehn Minuten später in der Personaldiele zu Esther stieß, bestand Philip sofort darauf, dass sie einen Hansom nehmen sollten. »Die beiden großen Leinentaschen sehen fürchterlich schwer aus«, schimpfte er, als seine Gattin damit aufbrechen wollte, eine in jeder Hand.

»Schon gut, das sind sie nicht«, erwiderte sie. »Und mit den kleineren da drüben kann James mir helfen.«

Sofort rief James: »Ich glaube, sie sind alle sehr schwer, Oma, und sie quellen förmlich über. Großvater hat recht. Wir sollten einen Hansom nehmen.« Er wollte keine Wiederholung der Erfahrung mit der Schubkarre. Das hatte ihm ein wenig Angst eingejagt. Vor allem jedoch sehnte er sich danach, in einer jener zweirädrigen Droschken mitzufahren. Das war er noch nie.

Zu James’ Erleichterung hatte sein Großvater die Diskussion für sich entschieden. Danach war er hinausgegangen und hatte fast auf Anhieb eine Droschke gefunden. Mittlerweile saß James mit seiner Großmutter darin, umgeben von noch mehr Taschen. »Wenn wir schon einen Hansom nehmen, kann ich auch gleich ein paar Sachen für Maude mitnehmen«, hatte sie zu seinem Großvater gemeint, der nur wissend gelächelt hatte. Er hatte sie gebeten, Maude auszurichten, dass er sie liebte und ihr baldige Besserung wünschte.

James saß in der Pferdekutsche seiner Großmutter gegenüber. Mit einem Arm stützte er mehrere der Leinentaschen auf dem Sitz neben ihm. Seine Großmutter tat es ihm gleich. Er hatte keine Ahnung, was genau die zusätzlichen Taschen enthielten, doch durch die angenehmen Aromen, die sie verströmten, war er überzeugt davon, dass es sich um Essen handelte. Apfelkuchen, entschied er. Und vielleicht Wurstbrötchen.

Nachdem Esther eine lange Weile schweigend mit geschlossenen Augen ausgeharrt hatte, als wäre sie tief in Gedanken versunken, schlug sie die Lider auf und sah James eindringlich an. »Ich möchte dich etwas fragen«, sagte sie mit leiser Stimme.

»Du kannst mich alles fragen, Oma.«

»Hast du deinem Vater schon von deinem Traum erzählt, der bedeutendste Kaufmann der Welt zu werden? Von deinem Plan?«

James schüttelte den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Nur du und Großvater wissen davon.«

»Meinst du nicht, du solltest deinen Vater vielleicht in deine Vorstellungen für die Zukunft einweihen? Immerhin sollte er wissen, dass du die Marktstände in wenigen Jahren verlassen wirst.«

»Es könnte sein, dass ich länger bei ihm bleibe«, erklärte James. »Vielleicht, bis ich siebzehn oder achtzehn bin. Ich muss erst ausloten, was Mr Malvern sagt, wenn ich ihm meinen Vorschlag unterbreite.«

»Oh. Du hast also nicht nur einen Traum und einen Plan, sondern auch einen Vorschlag für ihn?«

»Ja«, murmelte James und fand, dass sie bei den Worten seltsam geklungen hatte. Sarkastisch? Das sah ihr nicht ähnlich. Nein, sie war nicht skeptisch. Nur neugierig.

»Ich habe ein paar Ideen. Sie könnten die Markthalle verbessern. Nur Kleinigkeiten, trotzdem würden sie den Malvern Market in gewisser Hinsicht aufwerten«, sagte er.

»Willst du mir davon erzählen?«, hakte sie nach. Diesmal lächelte sie und klang mehr wie ihr übliches Selbst.

Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe sie noch nicht fertig durchdacht.«

»Verstehe«, erwiderte Esther. »Dann denk weiter darüber nach.«

4

Der Hansom kam an der Straßenecke zum Stehen, an der Matthew Falconer mit seiner Familie lebte, direkt an der Hampstead Road in Camden.

Der Fahrer sprang vom Sitz, öffnete den Wagenverschlag und half Esther beim Aussteigen. James folgte seiner Großmutter. Er und der Fahrer holten die Leinentaschen heraus, während Esther die Geldbörse öffnete, um den Mann zu bezahlen. Sie erledigte es, sobald sich die Taschen an der Eingangstür befanden, und dankte ihm. Kleine Kinder beobachteten sie neugierig von der anderen Straßenseite aus.

Der Fahrer tippte sich an die Mütze, erwiderte den Dank und fügte sogar hinzu: »’nen netten Jungen haben Sie da, gnä’ Frau.« Grinsend stieg er wieder auf den Kutschbock, stimmte pfeifend ein Liedchen an und fuhr davon.

James kramte noch nach dem Schlüssel, als sich die Eingangstür plötzlich öffnete. Rossi stand lächelnd da. Hinter ihr lugte der kleine Eddie hervor. »James und Oma! Was bin ich froh, dass ihr hier seid.« Sie zog die Tür weiter auf und half ihnen, die Taschen hineinzutragen.

Das Haus war hoch, schmal und nicht besonders groß, dennoch bot es der Familie bequem Platz, und allen gefiel es. Die weitläufige Küche, gleichsam der Mittelpunkt des Haushalts, vermittelte eine behagliche, heimelige Atmosphäre.

Sie besaß einen großen offenen Kamin, einen Ofen samt Herd und ein breites Fenster mit Blick in den Garten hinter dem Haus. An dem langen Esstisch aus Eichenholz unter dem Fenster nahmen sie die Mahlzeiten ein.

Sobald sich die Leinentaschen wohlbehalten auf dem Tisch befanden, umarmte und küsste Esther ihre Enkel Rossi und Eddie. Zu James sagte sie: »Ich gehe nur rasch nach oben und sehe nach deiner Mutter. Aber ich bin gleich zurück und koche die Himbeeressigmedizin.«

James nickte. »Dann packe ich inzwischen die Taschen aus. Rossi kann mir helfen.«

»Ich will auch helfen«, warf Eddie ein. James lächelte ihn an und erlaubte es ihm.

Esther eilte in die Diele und erklomm die Treppe zum Stockwerk mit den Schlafzimmern. Unterwegs hörte sie Maude husten. Als sie den Raum betrat und das Gesicht ihrer Schwiegertochter erblickte, erschrak sie regelrecht. Sie war aschfahl und hatte dunkle Ringe unter den Augen. Das sonst so glänzende, sorgfältig frisierte, hellbraune Haar stand zerzaust in alle Richtungen ab.

»Ich bin hier, Maude«, sagte Esther mit einem beunruhigten Unterton in der Stimme und ging zum Bett. »Möchtest du heiße Suppe oder nur den Himbeeressig?«

Esther hatte an ihrer Schwiegertochter von jeher weder Fehl noch Tadel gefunden. Sie hatte sich als hingebungsvolle Ehefrau und Mutter erwiesen, und die gesamte Familie liebte sie innig. Für Esther war Maude die ruhigste Person, die sie je gekannt hatte. Maude führte einen liebevollen, friedlichen Haushalt. Zornige Worte fielen nie, und es wurde immer Essen auf den Tisch gebracht. Das Haus war stets blitzsauber, und die Kinder wurden gut versorgt. Ihr Sohn konnte sich ebenso glücklich schätzen wie ihre Enkelkinder.

Esther zog sich einen Stuhl ans Bett, setzte sich, beugte sich vor und sagte mit leiser Stimme: »Bist du wach, Maude? Ich habe Suppe und mein Gebräu mitgebracht.«

»Nur schläfrig. Der Himbeeressig würde helfen«, flüsterte Maude heiser. »Ist Jimmy bei dir?«

»Er ist unten bei Rossi und Eddie. Vorhin ist er zu mir gekommen. Wir haben eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen, dann sind wir direkt hergefahren. Ich habe reichlich Essen dabei, du musst dir also keine Sorgen machen. Matthew und die Kinder sind versorgt.«

Maude schaute zu ihr auf. Die Krankheit hatte das übliche Funkeln in den dunkelbraunen Augen gedämpft. »Danke«, murmelte sie. »Weißt du, es ist nicht die Beulenpest, nur eine Erkältung mit Halsschmerzen. In wenigen Tagen bin ich wieder auf den Beinen.«

»Wenn es dir besser geht, und erst dann. Ich bin in ein paar Minuten zurück, Liebes.« Esther eilte nach unten.

Als sie in die Küche zurückkehrte, entdeckte sie die Flasche mit Himbeeressig und das Glas mit Hühnersuppe auf dem Eichenholztisch. Alles andere war in der Speisekammer verstaut worden.

»Ist Mutter sehr krank?«, fragte James unübersehbar besorgt.

»Nein, es ist nur eine schlimme Erkältung mit einem kräftigen Husten. Das wird schon wieder. Du kannst zu ihr hinaufgehen, wenn du willst. Oder besser noch, nimm ihr gleich das Getränk mit. Dauert nur einen Moment, es zu kochen.«

Während Esther sprach, durchquerte sie die Küche, holte die Flasche und kehrte rasch damit zurück. Dann stand sie über einer Pfanne am Herd und rührte den Himbeeressig um. Sie fügte Zucker und ein großes Stück Butter hinzu, das James ihr aus der Speisekammer gebracht hatte.

»Ist das alles?«, fragte James und klang überrascht, als er seine Großmutter ansah. »Nur diese Zutaten werden zusammen gekocht?«

»Mehr oder weniger.« Esther nickte. »Allerdings bereite ich den Essig auf besondere Weise zu, indem ich ein paar Kräuter hinzufüge.«

»Und welche?«

»Das ist ein Geheimnis.« Esther zwinkerte ihm zu und goss das Gebräu in eine Tasse. »So, mein Junge. Jetzt kannst du es zu deiner Mutter bringen. Sie muss langsam daran nippen. Es ist ziemlich heiß.«

James tat, wie ihm geheißen. Als er das Schlafzimmer seiner Eltern betrat, sprang ihm sofort ins Auge, wie schlecht seine Mutter aussah. Behutsam trug er die Tasse zu ihr und stellte sie auf dem Nachttisch ab.

Als Maude das leise Geräusch hörte, schlug sie die Augen auf. Sofort erschien ein Lächeln in ihrem Gesicht, als sie ihren ältesten Sohn erblickte. »Da bist du ja, Jimmy.«

»Oma sagt, du sollst langsam trinken«, erwiderte er und griff nach der Tasse. »Vorsichtig, Ma. Ist sehr heiß.«

Maude stemmte sich im Bett hoch und nahm die Tasse von ihm entgegen. »Ich weiß nicht, warum, aber das hilft immer. Es ist ein wirklich gutes Heilmittel für mich.«

»Oma tut etwas Besonderes rein, nur will sie mir nicht verraten, was. Sie sagt, es ist ein Geheimnis.«

Maude sah ihn über den Rand der Tasse hinweg an. »Seltsam. Sonst erzählt dir deine Großmutter alles.«

James schmunzelte. Er lehnte sich auf dem Stuhl zurück, den Blick eindringlich auf seine Mutter gerichtet. Obwohl sie müde und krank wirkte, hielt er sich die Worte seiner Großmutter vor Augen, dass es sich wohl nur um eine Erkältung handelte, nichts Ernsteres. Von dem Gedanken getröstet, entspannte er sich.

An dem Tag war das Geschäft an den Ständen schleppend gewesen, deshalb beschloss Matthew, an jenem warmen Juninachmittag früher Schluss zu machen. Der Besitzer des Markts, Henry Malvern, würde erst am nächsten Tag vorbeischauen. Die Sorge um seine Frau bewog Matthew, hastig aufzubrechen und die Hauptstraße von Hampstead entlangzueilen.

Er nahm nicht mal die Schubkarre, um morgen mit frischer Ware zurückzukehren. Sie hatten noch genug auf Lager. Er hatte alles zusammen mit den Sägeböcken und Brettern in den Schuppen eingeschlossen.

Auf der Straße tummelten sich Männer, die ebenfalls die Markthalle verließen, und andere, die in nahen Betriebe oder Fabriken arbeiteten. Das dichte Gedränge überraschte ihn. Es war erst fünf Uhr. Meist wurde bis sechs oder sieben gearbeitet, teilweise sogar noch länger.

Vielleicht liegt es am schönen Wetter nach dem vielen Regen, dachte Matthew, während er in gleichmäßigem Tempo weiterging, da er nicht ins Schwitzen geraten wollte. Alle wollen hinter dem Haus im Garten sitzen und die Zeitung lesen oder auf ein Bier ins Pub gehen.

Das Pub. Er kannte etliche Männer, die aus Gewohnheit nach der Arbeit trinken gingen – viele von ihnen an den meisten Abenden der Woche. Er nicht. Ihn zog es nach Hause zu seiner Maude und ihren gemeinsamen Kindern. Sie bedeuteten ihm die Welt. Er hatte keinerlei Interesse daran, Bier in einer Schankstube zu schlürfen oder Darts zu spielen. Und ganz bestimmt wollte er sich nicht anhören, wie andere Ehemänner über ihre Frauen murrten und ihre Probleme bei ihm abluden.

Maude. Als ihr Bild in seinem Kopf erschien, lächelte er innerlich. Unverhofft dachte er daran zurück, wie er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Vor mittlerweile achtzehn Jahren.

Er war neunzehn gewesen, sie siebzehn. Damals liefen sie sich auf dem Hinterhof von Fountains Manor in Kent über den Weg.

Als sie bemerkte, wie er den kleinen Koffer in ihrer Hand ansah, erklärt sie ihm, dass sie eine Bluse für Lady Agatha lieferte. Er bot an, ihn für sie zu tragen, und sie stimmte dankend zu. Dann führte er sie zum Hintereingang und in die Küche, wo sich seine Mutter zufällig gerade mit der Köchin unterhielt.

Offensichtlich kannte sie die wunderschönste junge Frau, die er je gesehen hatte, denn sie begrüßte sie herzlich und bewunderte das rosenrosa Kleid, das sie trug. Im Nu war sie mit ihr zu Lady Agatha in deren Boudoir entschwunden.

Die Erinnerung an das Gefühl der Enttäuschung, das er damals empfunden hatte, bewog ihn, die Schritte zu beschleunigen. Er musste nach Hause und für Maude da sein. Matthew dachte daran zurück, wie er sich auf dem Hof herumgedrückt hatte, bis die wunderschöne junge Frau endlich aus dem Haus gekommen war. Dann fragte er sie, ob er sie zum Haupttor begleiten dürfte. Sie sah ihn eindringlich und fragend an. Schließlich lächelte sie, und er lächelte zurück, überwältigt von ihrem Liebreiz. Weit auseinanderliegende, tiefbraune Augen, funkelnd vor Leben. Darüber perfekt gewölbte Brauen und glänzendes braunes Haar, das gelockt das bezaubernde, herzförmige Gesicht umrahmte. Die schlanke, zierliche Gestalt. Einfach atemberaubend.

Er war hingerissen von ihr. Und sie von ihm.

Ein Jahr später waren sie verheiratet. Dann kamen die Kinder. Sie waren glücklich, liebevoll, einander treu ergeben und ausgesprochen eng verbunden. Zusammen mit seinen Eltern und Brüdern bildeten sie einen verlässlichen Familienverband, der allen ein Gefühl von Sicherheit verlieh.

»Ich bin hungrig«, klagte Eddie. »Warum kann ich nicht jetzt gleich ein Wurstbrötchen haben?«

Rossi schaute zu ihm und erklärte ihm freundlich: »Weil wir auf Vater warten. Sobald er zu Hause ist, setzen wir uns alle hin und essen gemeinsam zu Abend.«

»Steht Mama auf und kommt runter?«, fragte Eddie wehmütig.

»Das glaube ich nicht. Es ist auch besser, wenn sie sich ausruht.«

Eddie sprang vom Stuhl und verkündete mit unverhoffter Entschlossenheit: »Ich gehe zu ihr rauf. Wenn ich ihr einen Kuss gebe, fühlt sie sich bestimmt besser.«

Rossi legte die Messer und Gabeln in ihren Händen auf den Tisch, ging zur Speisekammer und verschwand darin. »Dieses eine Mal mache ich eine Ausnahme. Bitte bring mir einen der Teller, Eddie. Dann gebe ich dir ein Wurstbrötchen.«

Eddie rannte zum Eichenholztisch und brachte mit einem strahlenden Lächeln im Gesicht einen Teller in die Speisekammer zu Rossi. Seine Schwester legte das Brötchen darauf und ermahnte ihn: »Aber nicht schlingen – iss langsam.«

»Mach ich.«

»Und wie sagt man?« Rossi sah ihren kleinen Bruder eindringlich an.

»Danke«, erwiderte Eddie und trug den Teller zum anderen Ende des Tischs, weit weg von dort, wo Rossi ihn für das Abendessen deckte.

In dem Moment kam James mit der Tasse zurück in die Küche. »Ma ist endlich eingeschlafen. Die Ruhe wird ihr guttun.« Er brachte die Tasse zum Spülbecken und drehte sich seiner Schwester zu. »Wie ich sehe, hast du Eddies Quengeln nachgegeben. Wahrscheinlich hat er wirklich Hunger, Rossi. Es wird allmählich spät.«

»Ich weiß. Trotzdem muss er lernen, sich in Geduld zu üben.«

»Ich mag nicht üben!«, rief Eddie.

»Das sagt man nur so. Es heißt bloß, dass man auf etwas warten kann, ohne zu klagen«, erklärte James und setzte sich neben den Neunjährigen. »Ich könnte selbst gerade einen Happen vertragen. Aber ich warte, bis Pa nach Hause kommt.«

Eddie vergötterte seinen älteren Bruder. Lächelnd schaute er zu ihm auf und bot ihm das Wurstbrötchen an. »Nimm einen Bissen. Macht mir nichts aus, mit dir zu teilen, Jimmy.«

James schüttelte den Kopf und legte dem Jüngeren den Arm um die Schultern. »Oma hat Cottage Pie und Hühnersuppe mitgebracht. Sobald Pa zu Hause ist, wird beides aufgetischt.«

Rossi meldete sich zu Wort. »Vielleicht schiebe ich den Pie besser gleich in den Ofen, Jimmy, und stellte die Hühnersuppe in einem Topf auf den Herd. Was meinst du?«

»Gute Idee. Soll ich dir helfen?«

»Ich will auch«, bot Eddie bereitwillig an und biss von seinem Brötchen ab.

»Das schaffe ich schon«, erwiderte ihre Schwester, als sie mit dem letzten Gedeck fertig wurde. Als sie in die Speisekammer zurückkehrte, begann sie plötzlich zu lachen. »Oma und du habt ja genug Essen für Nelsons Marine mitgebracht. Steak-and-Kidney-Pie und ein Stück Kochschinken sind auch da. Oh, und ein Apfelkuchen. Ganz zu schweigen von den Wurstbrötchen.«

James lachte mit ihr. »Oma hat immer mehr eingepackt, als Opa darauf bestanden hat, dass wir einen Hansom nehmen sollen.«

»Mit so was bin ich noch nie gefahren«, kam von Eddie, diesmal wieder voll Wehmut.

»Wirst du eines Tages«, erwiderte James.

»Wann? Ich will wissen, wann!«

»Nie, wenn du nicht zu quengeln aufhörst!«, rief Rossi.

James wandte sich an seine Schwester. »Wie war die Schule heute?«

»Ganz gut. Wie neuerdings üblich, habe ich einige der jüngeren Kinder unterrichtet, danach hatte ich eine Stunde mit der Nählehrerin. Ich nähe und gestalte für mein Leben gern. Wie du weißt, gehe ich nach diesem Monat ja nicht mehr hin. Danach arbeite ich mit Mama und helfe ihr bei den Bestellungen für Blusen und Tücher.«

Alle drei zuckten zusammen und schauten erschrocken zur Tür, als es klopfte. James stand sofort auf und bedeutete den anderen zu bleiben.

Das Klopfen wiederholte sich, als er die Haustür erreichte. »Was wollen Sie? Wer ist da?«, fragte er, da mehrfach angewiesen worden war, niemanden ins Haus zu lassen, wenn sie allein waren.

»Ich bin’s, James. Großvater. Als deine Großmutter zurückgekommen ist, hat sie gesagt, deine Mutter müsste sich ausruhen. Sie hat mich geschickt, um nachzusehen, ob es euch drei gutgeht.«

James drehte den Schlüssel im Schloss und öffnete die Tür, um seinen Großvater hereinzulassen. »Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen.« Erklärend fügte er hinzu: »Pa hat uns eingebläut, nur dann aufzumachen, wenn wir wissen, wer es ist.«

»Sehr klug«, erwiderte Philip, als er James in die Küche begleitete, wo er sofort von Eddie und Rossi bestürmt wurde, die sich ihm entgegenwarfen und ihn umarmten.

Als er sich schließlich von ihnen gelöst hatte, wandte er sich an James. »Soll ich nach oben gehen und nach eurer Mutter sehen? Oder schläft sie gerade?«

»Wahrscheinlich schon noch«, antwortete James. »Ich schleiche mal rauf und schaue nach.«

Philip nickte und ließ sich von den Kindern weiter in die Küche ziehen. Die zu Höflichkeit erzogene Rossi fragte: »Möchtest du eine Tasse Tee, Großvater?«

Er schüttelte den Kopf. Dann schaute er zur Tür, als er hörte, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte. »Ich glaube, euer Vater ist da.«

5

Erschrocken starrte Matthew seinen Vater an. Warum war er gekommen? Ging es Maude schlechter?

Als hätte Philip die Gedanken seines Sohns gelesen, sagte er: »Ich bin nur hier, um zu sehen, wie es Maude geht, Matt. Obwohl deine Mutter bei der Rückkehr nach Hause gemeint hat, es ist eindeutig bloß eine Erkältung.«

»Und was denkst du, Pa?«

»Ich habe sie noch nicht gesehen ...«

James meldete sich zu Wort. »Ich bin gerade oben gewesen, Vater. Sie schläft.«

Matthew entspannte sich, betrat die Küche und breitete die Arme aus, als seine zwei jüngeren Kinder angerannt kamen. Er küsste sie beide, bevor er sich aufrichtete. Dann drehte er sich James zu. »Hat deine Mutter den Himbeeressig getrunken?«

»Ja. Ich habe bei ihr gesessen, während sie daran genippt hat. Gleich danach ist sie eingedöst. Da müssen Betäubungstropfen oder so drin sein.«

Er ist klüger, als gut für ihn ist, dachte Philip, doch er sagte: »Sei nicht albern, James. Deine Großmutter fügt Kirschsaft hinzu. Der macht schläfrig und lindert Halsschmerzen.«

Auf dem Weg zur Tür drehte sich Matthew um und sah seinen Vater an. »Isst du mit uns zu Abend?«

»Ich warte noch ein bisschen, um nach dir bei Maude reinzuschauen, aber bleiben kann ich nicht. Ich habe deiner Mutter gesagt, dass ich heute Abend mit ihr esse. Dazu haben wir nicht so oft Gelegenheit.«

Matthew nickte, bevor er hinauseilte und zwei Stufen auf einmal nahm. Oben auf dem Treppenabsatz hielt er inne, holte tief Luft und beruhigte sich, bevor er die Schlafzimmertür aufschob. Er trat so leise wie möglich ein, bis er feststellte, dass Maude wach war.

»Matt«, flüsterte sie heiser, als er sich neben das Bett setzte. Sie streckte ihm die Hand entgegen.

Er ergriff sie, beugte sich näher und blickte ihr suchend ins Gesicht. Sie sah ausgesprochen blass aus, und ihre Stirn war feucht. Als er sie küssen wollte, drehte sie den Kopf weg. »Ich will nicht, dass du dich ansteckst.«

Lächelnd ignorierte er ihre Worte und küsste sie trotzdem auf die Wange.

»Mir kommt es hier drin sehr heiß vor, Maude.«

»Mir ist tatsächlich ein bisschen warm«, erwiderte sie.

Er sprang auf und ging zum Fenster. Obwohl sie mittlerweile halb sieben am Abend hatten, war es draußen noch hell. Er öffnete den oberen und unteren Flügel des Schiebefensters und schüttelte dabei den Kopf. Wie jeder Viktorianer litt er unter dem zwanghaften Gefühl, nie genug Sauerstoff im Haus zu haben. »Ich verstehe nicht, warum es geschlossen ist«, murmelte er. »Jeder weiß doch, dass Luft durch jedes Zimmer zirkulieren muss. Das ganze Land weiß das.«

Auf dem Weg zurück zum Bett fuhr er fort. »Es darf sich nicht zu viel Kohlensäure ansammeln, weil nicht ausreichend gelüftet wird.«

Als er sich setzte, ergriff er wieder Maudes Hand und sah sie eindringlich an. »Atme tief ein, Schatz. Du brauchst frische Luft. Die wird dir helfen, dich zu erholen.«

»Hier drin ist es wirklich stickig geworden, aber ich hatte einfach nicht die Kraft, aufzustehen und das Fenster zu öffnen«, murmelte sie.

»Was kann ich noch tun, damit du es gemütlicher hast? Bist du durstig? Möchtest du ein Glas Wasser? Oder vielleicht Hühnersuppe? Hast du Hunger?«

»Ich habe überhaupt keinen Appetit. Ich ruhe mich einfach weiter aus und döse vielleicht wieder ein. Schlafen ist im Moment wohl die beste Medizin für mich.«

»Pa ist unten, Maude. Er ist gekommen, um dich zu besuchen.«

»Oh, das ist aber nett von ihm. Sag ihm, er soll raufkommen.«

»Mache ich. Und ich kümmere mich inzwischen um das Abendessen, obwohl ich glaube, Rossi hat schon damit angefangen.«

Ein mattes Lächeln schaffte es in Maudes Gesicht. »Bestimmt.«

Wenig später saß Philip Falconer auf dem Stuhl am Bett. Wie sehr er Maude liebte, sprach aus seinen Augen. Er konnte nur hoffen und beten, dass seine beiden anderen Söhne, Harry und George, das Glück haben würden, Frauen wie sie zu heiraten. »Ich hatte das Gefühl, selbst nach dir sehen zu müssen, Maude. Natürlich vertraue ich Dr. Robertsons Diagnose und Esthers Meinung. Andererseits sorge ich mich um die gesamte Familie. Und um dich ganz besonders nach dem schrecklichen Anfall von Bronchitis, den du letztes Jahr hattest.«

»Ich weiß, Pa«, antwortete sie. So nannte sie ihn schon, seit sie Matthew geheiratet hatte. »Diesmal ist es nur eine schlimme Erkältung. In ein paar Tagen geht es mir wieder besser.«

»Versprichst du es?«

»Ja.« Sie lächelte ihn an. Tiefe Zuneigung sprach aus ihren Zügen.

»Dann gehe ich mit leichterem Herzen nach Hause. Und ich weiß ja, dass du bei Matthew und den Kindern in guten Händen bist.«

Als er nach unten ging, bettelten ihn seine Enkel regelrecht an, zum Abendessen zu bleiben. Er teilte ihnen mit, dass er nicht konnte, und erklärte ihnen, dass ihre Großmutter auf ihn wartete.

»Warum ist Gro’ma nicht mitgekommen?«, fragte Eddie. Als kleines Kind war es ihm nie gelungen, »Großmama« herauszubringen. Nur »Gro’ma«, und das war sie seither für ihn geblieben.

»Gro’ma ist mit dem Flickenteppich beschäftigt, den sie für euch herstellt«, erwiderte Philip. Er küsste alle drei, bevor er zu Matthew ging und ihn am Arm mit in die Diele führte.

»Maude wird wieder gesund, Matt. Sorg nur dafür, dass sie reichlich Flüssigkeit zu sich nimmt und ein paar Tage streng das Bett hütet. Oh, und achte darauf, dass es im Zimmer so kühl wie jetzt bleibt.«

»Mache ich«, antwortete Matthew und bedachte seinen Vater mit einem fragenden Blick. »Ist in dem Himbeeressig von Ma etwas Besonderes?«

Unwillkürlich musste Philip lachen. »Nein. Nur Kirschsaft, wie ich James schon gesagt habe.« Mit anhaltender Belustigung im Gesicht sah er seinen Sohn an. »Lustig, dass du mich das im Alter von siebenunddreißig Jahren fragst. Ist schon jemals jemand in dieser Familie daran gestorben?«

Matthew stimmte in das Lachen ein. »Ach, Pa, du bist verrückt. Es gibt wirklich niemanden wie dich.«

Philip zog seinen Sohn zu sich und umarmte ihn innig. »Hab einen schönen Abend und eine gute Nacht, mein Junge«, murmelte er, ging und schloss leise die Tür hinter sich.

Da es ein lauer Abend war, beschloss Philip, zu Fuß zum Regent’s Park zurückzukehren.

Seine Gedanken kreisten unterwegs um Maude. Seine bezaubernde Schwiegertochter war gebrechlicher, als sie aussah, und erkältete sich leicht. Vergangenen Winter hatte eine Bronchitis sie niedergestreckt, und sie hatten viel Aufhebens darum gemacht – vielleicht zu viel. Außerdem zehrte ein krankes Familienmitglied an den Kräften aller. Zum Glück konnten Esther und er es sich leisten, für einen Arzt zu bezahlen. Der Großteil der Menschen in der Straße der Falconers konnte das nicht. Deshalb war es umso wichtiger, gesund zu bleiben. Jeder versuchte, sich bestmöglich vor Keimen zu schützen.

Die Meinung des Arztes beruhigte ihn. Er wollte nicht, dass sein Sohn zum Witwer oder seine Enkel zu Halbwaisen wurden. Das kam nur allzu häufig vor, nicht selten mit herzzerreißenden Folgen.

Er wusste, wie glücklich er sich in vielerlei Hinsicht schätzen konnte. Er war mit freundlichen, liebevollen, gutherzigen Eltern gesegnet worden. Sie hatten ihn auf den besten Kurs gebracht, indem sie ihn ermutigt hatten, in den Herrschaftsdienst einzutreten.